Detlev von Liliencron
Roggen und Weizen
Detlev von Liliencron

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Stelldichein

Vor Jahren einmal, so erzählte mir mein junger Gutsnachbar, als ich etwa um die Mitte des Monates Mai durch die Amalienstraße ging, ich wohne jährlich fünf, sechs Wochen im schönen, volllebendurchtränkten München, fiel mir vor einem winzigen Laden ein Mädel auf, das mit seinen Schwestern, so schätzte ich diese, Ball spielte, indem es einen solchen gegen die Wand warf und ihn dann jubelnd von den Kleinen auffangen ließ. Zwischen ihnen machte ein noch nicht jähriger Bernhardinerhund, den ich Säntis rufen hörte, seine tollpatschigen Sprünge. Ich blieb stehn, um einen Augenblick dem lustigen Treiben zuzuschauen. Am andern Tage, um die gleiche Stunde, durchwanderte ich wieder die Straße. Und wieder blieb ich stehn, um kurze Zeit das anmutige Durcheinander zu beobachten. Aber ich richtete, bewußt oder nicht, meine Augen auf die Älteste: Das Mädchen mochte siebzehn Jahre nicht überschritten haben. Und so sehr fesselten mich ihr Gesicht, ihre Bewegungen, ihr Wesen, daß ich in ein nebenan liegendes Wirtshaus eintrat, und von hier aus, nachdem ich ein Fenster zu ebener Erde geöffnet hatte, dem Haschen und Fangen weiter zusah. Die Liebe, das heiße Begehren, wir Menschen wissen es alle, kommt oft ganz plötzlich. An tausenden und abertausenden von jungen Weibern sind wir, ohne daß wir den Ruck im Herzen und in der Brust gefühlt haben, vorbeigegangen. Dann mit einemmal, bei einer Begegnung, wenn auch noch so flüchtigen, kommt dieser Ruck . . .

Schon am nächsten Tage war ich von neuem auf meinem Posten. Die gleiche heitere Gesellschaft, wie in den vorgängigen, tummelte sich wieder auf dem Bürgersteig. Bald hatt ich ein launiges Wort dazwischen geworfen, das lachend aufgenommen wurde. Das Mädel, das an mich herangetreten war, erklärte mir auf Befragen, daß sie Seffi (Josephine) Achtmeier hieße.

In der darauf folgenden Woche sagte mir einmal schnell das hübsche Kind – ich hatte mich stark in sie verliebt und ihr das auch schon unzweideutig zu verstehen gegeben –: »Dös is mei Pat,« indem sie mit den Augen auf einen alten Herrn zeigte, der mißtrauisch und mürrisch uns aus einem gegenüber liegenden Hause überwacht hatte. »Der leidts net.«

Nun, wie solche Sachen sich immer entwickeln. Seffi hatte mir das erste Stelldichein um elf Uhr vormittags im Englischen Garten versprochen für den nächsten Tag. Wir hatten die erste Bank südlich von der Schwabinger Brücke bestimmt.

Schon um zehn Uhr, in brennender Erwartung, war ich an Ort und Stelle. Wir hatten verabredet, uns, wenn der Sitz besetzt sei, aneinander zu schließen und weiter zu gehen. Der herrliche Englische Garten ist von solcher Ausdehnung, daß sich viele hundert einsame Stellen finden.

Und richtig, die Bank war besetzt; zu meinem großen Ärger. Eine alte Dame, mit dem geschäftigsten Strickzeug in der Hand, hatte es sich dort bequem gemacht. Ich saß finster, immer die Zeit berechnend, neben ihr. Und sie rückte und rührte sich nicht.

Ich unterdessen, um mir die Zeit zu vertreiben, betrachtete meine Umgebung: Im denkbar leuchtendsten Sommertag-Sonnenlicht schimmerte das erste hellste Grün der beiden großen Eschen, die rechts und links, wie Wächter unseres Ruheplatzes, standen. Gelbe Taubnessel, Ehrenpreis, Storchschnabel, wilde Stachelbeeren, Hahnenfuß blühten im wuchernden Grase. Der Löwenzahn hatte schon die Federchen angesetzt, die von den Kindern so gern ins Weite geblasen werden.

Aus der Ferne klangen schwach aus einer Villa die Töne eines Klaviers. Blau- und rotsamtene, goldeingefaßte Tücher hingen aus den Fenstern und über den Türen eines Wirtshauses, das, geschmückt wohl zum Empfang eines Vereins, jenseits des hinter uns fließenden Isararmes durch Ulmen und kerzentragende Kastanien prunkte. Die Farben machten sich prächtig in all dem Freiluftlicht.

Vor uns glänzte ein Teil des Kleinhesseloher Sees. Die Hälfte dieses Teiles lag in grellster Sonne. Ein leises Lüftchen kräuselte die Fläche: als wenn unaufhörlich goldene Tropfen hineinfielen, glitzerten die Wellchen. Die andere Hälfte lag im Schatten einer baumbestandenen Insel: über diesem Wasser schwebten unausgesetzt zwei Möwen. Es kam mir vor, als wenn ich ihre Spiegelbilder sehen könne. Und mehr wohl, um mein unruhiges Blut zu beschwichtigen, als daß es in meine augenblickliche Lage paßte, sagte ich mir leise das wundervolle Gedicht Conrad Ferdinand Meyers vor:

Möwen sah um einen Felsen kreisen
Ich in unermüdlich gleichen Gleisen.
Auf gespannter Schwinge schweben bleibend,
Eine schimmernd weiße Bahn beschreibend,
Und zugleich im grünen Meeresspiegel
Sah ich um dieselben Felsenspitzen
Eine helle Jagd gestreckter Flügel
Unermüdlich durch die Tiefe blitzen.
Und der Spiegel hatte solche Klarheit,
Daß sich anders nicht die Flügel hoben
Tief im Meer, als hoch in Lüften oben,
Daß sich völlig glichen Trug und Wahrheit.

Allgemach beschlich es mich wie Grauen,
Schein und Wesen so verwandt zu schauen,
Und ich fragte mich, am Strand verharrend,
Ins gespenstische Geflatter starrend:
Und du selber? Bist du echt beflügelt?
Oder nur gemalt und abgespiegelt?
Gaukelst du im Kreis mit Fabeldingen?
Oder hast du Blut in deinen Schwingen?

Auf dem Reitwege, der nicht weit vor uns lag, nur durch ein durchsichtig Gebüsch getrennt, ritten ab und zu ausgezeichnet zu Pferde sitzende Offiziere, Gentlemen in Zivil und Damen vorbei.

Endlich erhob sich die alte Dame, es war fünf Minuten vor elf, und ging, mich freundlich und artig mit dem Haupte grüßend, von dannen. Ich war allein. Eine Weindrossel, Kerfe und Raupen im Schnabel, sah mich einen Augenblick an. Ein doppeltschlägiger Schwarzkopf schlug über mir.

Ich war allein. Aufgesprungen, in fiebernder Ungeduld (welches Weib der Erde ließe nicht a bissl auf sich warten) nahm ich wahr, daß der graue Anzug der alten Dame immer mehr verschwand; nahm ich wahr, daß von der Schwabinger Brücke her ein helles Kleid . . . sie kam, schneller und schneller, den täppisch sich an sie hinandrängenden Bernhardiner mit einer abgebrochenen Goldregentraube lachend auf die Nase schlagend. Und dann preßten sich stürmisch zwei apfelgroße, apfelharte Brüstchen an meine Brust, und . . . nun, das Weitere hat jeder erlebt.

Flehentlich bat ich sie, heut am Abend um neun Uhr wieder hier zu sein. Aber sie wehrte, immer wieder die gleichen Ausdrücke wiederholend: »I kann net, i dörf net.« Doch mußte meine Sprache einen Zauber der Überredungskunst in sich haben (und jedes Weib findet unter allen Umständen den Weg, wenn sie will), und als ich gar von einer gemeinsamen Fahrt nach Partenkirchen anfing, fiel sie mir um den Hals und rief: »I kimm, i kimm.«

»I kimm, i kimm« . . . und vor uns, wie aus einer Versenkung gehoben, stand: »Jessas Maria, dös is mei Pat« . . . Seffi verschwand im Nu, und vor mir pflanzte sich, sich mit beiden Händen auf den Stock stützend, umgeben von zwei rostgelben Teckeln und einem dunkelbraunen Dachshund, der Herr Pate auf. In stark ausgesprochnem Münchner Jargon – die Exzellenz und das Hökerweib haben unterschiedslos in München die gleiche Aussprache, das ö wird e, das ü: i, das en: ei – begann der alte Herr auf mich einzureden: »Mein Name ist Baron Binzhuber.« (Ich machte mich mit ihm bekannt.) »Das junge Mädchen, das Sie eben verließ, ist mein Patenkind. Sie ist die Tochter eines wohlachtbaren Bürgers Franz Xaver Achtmeiers dahier. Dieser und ich haben für ihr Seelenheil zu sorgen. Ich bitte Sie daher, mir Ihr Ehrenwort zu geben, daß Sie, fernerhin . . .«

»Ich gebe durchaus nicht mein Ehrenwort.«

Und ich machte kehrt und ging von dannen, den alten Herrn stehen lassend.

Abends trafen das Seffichen (für die Folge nannte ich sie Beppi, weil mir Seffi zu fürchterlich klang) und ich uns an der verabredeten Stelle. Aber wir entfernten uns schleunig. Das Mädel erzählte mir, daß ihr der Pate am Morgen nachgeschlichen sein müsse.

Und was soll ich weiter sagen. Liebesgeschichten sind so langweilig zu erzählen: Siedehitze, Sommerwärme, Herbstsonne, 15 Grade Réaumur, 5 Grade Réaumur, Gefrierpunkt . . .

Und doch ist die Liebe das Einzige. . : . schloß mein junger Gutsnachbar.


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