Detlev von Liliencron
Roggen und Weizen
Detlev von Liliencron

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Stelldichein in einer großen Stadt

». . . Es bleibt also dabei. Ich fahre Montag und Du kommst Dienstag vormittag mit dem 11 Uhr 23 Minuten-Zug. Alles ist in Ordnung: Du willst Deine Verwandten besuchen, sie überraschen; die Deinigen haben die Erlaubnis gegeben.

Ist bei der Ankunft des Zuges irgend wie Gefahr in Sicht, zeigen sich Bekannte, dann nehmen Du oder ich, wens trifft, die rechte Hand ans Kinn. . . .«

* * *

Punkt 11 Uhr 23 Minuten vormittags rasselt der Zug in die Halle. Nirgends ein Bekannter. Hallo. Wie das Mädel aussieht, so frisch, so rosig. Ich lege meinen Arm in den ihrigen. Es geht mir wie ein Strom durch die Brust. Die Berührung ihres Kleides schon macht mein Blut schneller, freudiger schlagen. Ich fühle den Schlag ihres Herzens an meinem Arm. Wie zärtlich preß ich sie an mich. Die uns Begegnenden merken das nicht. Wir sind so glücklich, so glücklich. Das ist doch keine Sünde? Uns auch vollständig gleichgültig.

In einer Zuckerbäckerei landen wir zuerst. Luischen trinkt drei Tassen Schokolade, Gott segne dich; ich nehme einen Kognak. Wir plaudern, wir lachen. Der weitere Tag wird besprochen. Um fünf Uhr wollen wir essen. Abends hören wir den Troubadour. Wir setzen uns ein wenig stark nach rückwärts. Es könnten denn doch liebe Freunde . . . In den Troubadour gehe ich nur, um mit geschlossenen Augen die hübsche Schmeichelmusik zu hören. Die Angrölerei auf der Bühne, die bekannten Armbewegungen, das Stück überhaupt gefällt Luischen sehr. Ich soll ihr den Inhalt erklären. Ich habe keine Ahnung, obgleich ich die Oper gewiß über dreißig Mal hörte. Ich flunkre allerlei zusammen. Nach dem Theater bring ich sie bis an die Tür zu ihren Verwandten. Wird das eine Überraschung sein.

Am andern Morgen treffen wir uns wieder. Eine Fahrt in einen von unsrer Heimat noch entfernter liegenden Ort ist verabredet. Wir fahren erste Klasse. Natürlich, natürlich. Im Abteil sitzt schon eine alte Dame, die uns fortwährend grimmig über ihre Brille anstiert. Ihre Blicke werden strenger. Wir ducken uns in die Ecken. Luischen sieht mich verstohlen an. Das Weinen scheint ihr näher als das Kichern. Ich rede die Dame an, ich wag es: »Haben Sie vielleicht einen Fahrplan bei sich?« Sehr kurz, in rasend schneller Aufeinanderfolge der Worte, von denen uns jedes beißt, antwortet sie: »Hab ich nicht.« Schweigen. Ihre Blicke werden immer strenger, drohender. Ich wag es noch einmal: »Ist Ihnen vielleicht diese Gegend hier bekannt?« Wieder in derselben rasend raschen Wortaufeinanderfolge: »Kenn ich nicht.« Schweigen. Das Anglotzen wird unausstehlich . . . »Station Eschbach. Umsteigen nach Berlin.« Die Dame entfernt sich. Aber ihren letzten langen, unheimlichen, giftigen, wütenden Blick vergeß ich niemals.

Ein weißlanghaariger Herr, ohne Bart, steigt ein und grüßt uns freundlich. Hinter ihm folgt mit einem Reisetäschchen ein andrer weißhaariger Herr, auch ohne Bart.

Der alte Herr mit den langen Haaren scheint sich mit uns in ein Gespräch einlassen zu wollen. Mit einem Male sagt er: »Lieber Schwenke, wo haben Sie denn unser Fläschchen?« Herr Schwenke überreicht mit einer Art Verbeugung eine kleine, zierliche, korbumflochtene Flasche. Der Herr mit den langen Haaren nimmt sie, dreht vom Mundstück ein Silberbecherlein, schenkt dunklen roten Wein ein und sagt zu Luischen, mit etwas schüttelndem Haupte: »Darf ich Ihnen anbieten, gnädiges Fräulein? Der Herr Bruder wirds erlauben.« Luischen nimmt errötend, ein wenig gezwungen den Trunk. Dann erhalte ich auch einen guten Schluck. Endlich schenkt sich der Alte selbst ein und sagt, nachdem er getrunken: »Nun, lieber Schwenke, vergessen Sie sich selbst nicht« und gibt ihm die Flasche. »Ja, ja, wir Alten, wir brauchen es schon als Medizin.« Er wird ganz lustig und lebhaft, erzählt uns von seinen Reisen, und endlich spricht er: »Ja die jungen Herrschaften ahnen wohl nicht, daß ich von Berlin nach Störfluth, die Station muß gleich kommen, nur fahre, um eine sich dort vorfindende Abart der Nachtlichtnelke, die sonst nirgends in Deutschland wächst, zu suchen. Der gute Herr Minister ist so freundlich gewesen, mir die Lehrer des Ortes zur Verfügung zu stellen. Wenn nur kein Empfang ist.« Und dann lächelt er, als wir ungläubige Gesichter machen: »Die blaue Blume ist es nicht. Die hab ich längst gefunden, die heißt für mich die Einsamkeit. Aber da sind wir an Ort und Stelle.« Er steht auf, drückt uns die Hände, und ich kann nicht unterlassen, mich ihm vorzustellen. Er antwortet verbindlich: »Herzog Gneomar«. Ah, ein wirklicher Herzog, der sich eine Blume suchen will. Ein alter deutscher Herzog auf der Jagd nach einem Blümchen . . . Wir sehen eine weißgekleidete Mädchenschar, Knaben mit einer Fahne. Der Zug braust weiter. Wir recken die Hälse, um so lang wie möglich dem alten Herzog nachzublicken.

Nun sind wir in der fremden Stadt angekommen und staunen Straßen und Plätze an. Wir verirren uns. Endlich trinken wir Rheinwein im Ratskeller. Als wir wieder an die Luft kommen, fühl ich einen kleinen Swips. Ich muß lachen über den dicken Roland, der vorm Ratskeller steht. Er gleicht einer versteinerten Droschke. Luischen lacht auch. Ach, es ist so köstlich, so köstlich . . .

Holde Fee des Geheimnisses, dein Rabenhaar schützte uns vor den Giftzungen. Hab Dank.


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