Detlev von Liliencron
Roggen und Weizen
Detlev von Liliencron

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Der zinnerne Krug

Auf dem Heimwege von einem meinem Gute weit entfernten Holz, das ich besichtigt hatte, war ich hungrig geworden. Ich ritt deshalb auf einen mir am Wege liegenden Hof, dessen Besitzer ich kannte. Zwar mied ich ihn gern, weil er mir nicht zusagte: sein scharfer, kalter Verstand überwucherte ihm das Herz zu sehr.

Ich treffe ihn zu Hause: »Ehrlich gestanden, ich wäre bei Ihnen vorbeigeritten, hätte mich nicht der Hunger geplagt . . .« Der Gutsbesitzer lacht: »Offenheit ist eine große Tugend. Ich aber bin froh, Sie einmal wiederzusehen. Nehmen Sie Platz. Entschuldigen Sie mich für einige Minuten; ich kundschafte, was mein Haus Ihnen bieten kann.« »Aber ich bitte doch um alles in der Welt, sich meinetwegen nicht . . .« Mein Freund hat schon die Tür hinter sich. Ich bin allein. Wie ich mir seinen Schreibtisch betrachte, auf dem jeder Gegenstand in peinlicher Ordnung steht, fällt mir ein zinnerner Krug in die Augen, der mir wegen seiner höchst geschmacklosen Arbeit durchaus nicht den übrigen eleganten Sachen aus Cuivre poli, aus feinster Bronze, aus edeln Metallen überhaupt zugehörig erscheint.

Bald sitzen wir am Frühstückstisch, ziehen kalte Ente und leichten Mosel durch Zahn und Lippen, und sind in lebhafter Unterhaltung. Ich bin meinem Freunde nicht mehr so gegenherzig wie früher und tue ihm im geheimen Abbitte. Wie anregend er erzählt, wie klar und bestimmt er seine Behauptungen zu geben und, kommt es darauf an, zu verteidigen weiß. Dabei ist er nicht eigensinnig, hört mir mit Ruhe und mit jener guten Gabe zu: durch kaum merkliches Kopfnicken, durch Worte wie: ei, ei . . . da bin ich ganz Ihrer Meinung . . . aber wie lebhaft Sie sich dessen erinnern . . . nun, da muß ich sagen . . . und ähnliche, seine Aufmerksamkeit kund zu geben.

Bei einer eingetreten Stockung fragte ich ihn plötzlich: »Auf Ihrem Schreibtisch fand ich eben einen zinnernen Bierkrug, der mir zu den andern dort stehenden Sächelchen nicht ganz stimmen will. Verzeihen Sie meine Neugierde. Wenn Sie mir mitteilen möchten, wie er dahin geraten ist, so würde ich Ihnen dankbar sein. Sie wissen, wie mein Gemüt (zwar Sie haben mich immer über dergleichen Unbegreiflichkeiten ausgelacht) oft durch eine scheinbar kleine Nebensächlichkeit erregt werden kann. Wenn Ihnen nicht etwa ein Geheimnis verbietet, oder . . .« »Aber ich bitte Sie, natürlich, natürlich. Es ist eine ziemlich gleichgültige Geschichte,« lächelte der Gutsbesitzer.

Er beginnt:

»Ich war in eine große Stadt Ostpreußens als Brigade-Adjutant versetzt. Der Ehrgeiz fing mich zu plagen an. Ja, er hatte mich bald dermaßen in seinen scharfen Krallen, daß ich völlig jene Fühlung mit dem übrigen Leben verlor, und im besondern mich nicht mehr den natürlichsten Lebensfreuden, die uns als Gegengewicht im schweren Tagewerk gegeben sind, hingab.

Ich hatte mich in einer Vorstadt eingemietet, um hier in ungestörter Ruhe mich in Arbeit zu versenken zu weiterm, raschem Vorwärts auf dem Wege zum Generalfeldmarschall. Ich vernachlässigte in der Tat sogar meine kameradschaftlichen Pflichten, immer einsamer und zurückgezogner lebend.

Außer mir wohnten in dem kleinen Landhause meine alte Wirtin, die Witwe eines Kaufmanns, mein Bursche und das Dienstmädchen.

Die Lebenseigenschaften meiner Mitinsassen sind bald gegeben: die alte Dame sorgte mütterlich für mein Wohl. Ich sah sie selten. Mein Bursche Domigalla war ein gutmütiger, etwas beschränkter Pole, der mich zuerst, wenn ich ihm Befehle gegeben, mit offenstem Munde und mit aufgerissensten Augen ängstlich angesehen hatte. Als ich seine Eigenart erkannt hatte, sprach ich ihm meine Aufträge langsam und ruhig aus, und ich habe nie einen bessern Diener gehabt. Im übrigen lebte er still und stumm vor sich hin, und seiner Gedanken höchster, war er nicht mit Heimatsbildern beschäftigt, mochte der prächtigst zu erreichende Glanz meiner Stiefel und Sporen sein. Für meine Pferde sorgte er wie eine zärtliche Mutter für ihre Kinder.

Das Dienstmädchen endlich, ein sechszehn, siebzehnjährig Ding, aus der Gegend von Koeslin gebürtig, war nicht schön, nicht häßlich. Ich sah sie in den ersten Monaten selten oder nie. Was gingen mich die Weiber an. Ich war viel zu sehr mit des Lebens Ernst beschäftigt.

Einmal komme ich nachts spät nach Hause. Ich finde Licht, und auf meinem Sofa, die Stirn auf der Tischplatte, sitzt schlafend das Mädchen. Sie erwachte, als ich durch Rücken eines Stuhles Geräusch verursache. Ganz »verbiestert« starrte sie mich an, wurde dunkelrot, lächelte verlegen und bat um Entschuldigung: sie wäre, nachdem sie meinen Schreibtisch abgestaubt, eingeschlummert. Ich machte ihr natürlich keine Vorwürfe, und sie schlich täppisch und unbeholfen hinaus. Ich dachte nicht mehr an den Vorfall. Doch bald fiel es mir auf, daß sie mich aus irgend einem Versteck, einem Winkel, hinter einer Tür, einem Fenster ansah, wenn ich am Tage aus meinem Bureau heimkehrte . . . Sie wollte Domigalla allerlei kleine Dienstleistungen abnehmen für mich, die dieser, ich möchte sagen, eifersüchtig als seinen eigensten Wirkungskreis in Anspruch nahm. Es kam deshalb zu unerquicklichen Reibereien zwischen den beiden. Da, eines Nachts, als ich spät mein Zimmer betrat, fand ich wieder das Mädchen dort. Sie schlief, den Kopf an die Sofalehne zurückgebeugt. In ihren Händen hielt sie eine Photographie von mir. Ihr Mund war ein wenig geöffnet; einfältig, unschuldig war ein Lächeln stehen geblieben, und auf ihren Wangen lagen Tränen. Sie mußte sich erst vor kurzem in den Schlaf geweint haben . . . Plötzlich fiel mir eine Binde von den Augen. Ich weckte sie und ließ sie, ohne ihr rauh das Unschickliche ihres Benehmens zu verweisen, aus der Stube.

Am andern Tage aber hatte ich ein Gespräch mit meiner Wirtin. Ich sagte ihr, daß ich kündigen müsse, wenn Marie nicht entfernt würde. Auch die alte Dame hatte die Sache bemerkt. Sie gab mir recht. Ich bat sie, die Entlassung des Mädchens ohne jedes absichtliche Merkenlassen zu bewirken. Sie fand bald einen Grund, und nach vier Wochen mußte die kleine Pommerin in einen andern Dienst.

Absichtlich war ich am Tage ihres Abzuges erst am Abend in meine Wohnung gegangen, um jeden Abschied, jede »Szene« zu vermeiden. Mein Zimmer war schon erhellt. Auf dem Tische stand, in Papier verpackt, ungeschickt mit Lack geschlossen und betröpfelt, ein Gegenstand. Mein Name war darauf geschrieben. Ich entwickelte ihn, und es entpuppte sich der zinnerne Krug, den Sie vorhin in meiner Arbeitsstube sahen. Ein Zettel lag in ihm: Ahngedenken an Maria.

Das Mädchen hatte für zwei, drei Mark aus ihren Ersparnissen mir das Stück gekauft . . .

Lieber Freund, ich weiß, daß Sie mich für hartherzig halten. Da muß ich Ihnen denn sagen, daß ich bis in Herz und Nieren getroffen war. Ich fühlte Tränen, und ich schämte und schäme mich ihrer nicht. Das arme Dienstmädel hab ich natürlich nicht wiedergesehen, den Krug aber habe ich bewahrt, und er soll auf meinem Schreibtisch stehen bis an mein Ende.«

Ich mußte meinem Bekannten bewegt die Hand reichen; er aber lächelte und sagte ein wenig boshaft: »Na nu, na nu . . .«


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