Detlev von Liliencron
Roggen und Weizen
Detlev von Liliencron

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Der Buchenwald

Folgende Angaben befanden sich in dem vom statistischen Bureau herausgegebenen »Handbuch des Grundbesitzes im deutschen Reiche. 1. Das Königreich Preußen. Die Provinz Pommern. 1901«: »Acker und Wiesen 578 Hektare, Wald 98, Wasser 2. Summe: 678 Hektare. Name des Gutes: Restin. Name des Besitzers: Heinrich Baron von Restin, Rittmeister a. D. Grundsteuerreinertrag: 15 345 Mark.«

Das war eigentlich Alles, was man über den Besitz und die Vermögensverhältnisse des Barons wußte. Auszüge aus dem Schuld- und Pfandprotokoll waren nicht zu erlangen. Die Protokollata lagen verschlossen auf dem Amtsgericht. So mußte sich die nachbarliche Teilnahme, Teilnahme ist fast in allen Fällen Neugierde, damit begnügen, vielerlei Gerüchte über die Finanzen des alten Herrn zu hören und zu verbreiten. Das wußte man sicher, so einfach der Alte wirtschaftete, so verschwenderisch mußte, nach den großen Summen, die er verbrauchte, zu urteilen, sein einziger Sohn, der als Oberleutnant im 6. Garde-Regiment zu Fuß in Berlin stand, leben.

Der Rittmeister Heinrich Hasso Baron von Restin war der Sohn eines preußischen Majors. Der früh Verwaiste stand dann unter der Obhut einer energischen und praktischen Mutter. Durch das Andenken an seinen Vater bewogen und einer Familien-Überlieferung folgend, trat Heinrich Hasso, nachdem er eine gute Prüfung bestanden, in das Regiment seines verstorbenen Vaters. Die lange Friedensperiode jedoch und das langweilige Leben in einer mausefallenkleinen Garnisonstadt veranlaßten ihn, um seinen Abschied zu bitten. Ehe er den Steigbügeltrunk an die Lippen setzte und mit Tränen von seinen Kameraden und seiner Schwadron Abschied genommen, hatte er geheiratet.

Wir haben ein hübsches Wort in unsrer Alltagsprache: »Er trägt seine Frau auf Händen.« Mit vollem Rechte konnten dies die Menschen vom Rittmeister behaupten, der in denkbar glücklichster Ehe lebte. Ziemlich heruntergekommen durch das jahrelange Einerlei in der kleinen Landstadt, taute er nun erst, er stand bereits in den Vierzigen, an der Seite seiner klugen und gebildeten, kaum zwanzigjährigen Frau, auf. Neigungen, Bevorzugung einzelner Fächer menschlicher Tätigkeit und menschlicher Gedankenarbeit in ihren Resultaten, kleine Liebhabereien für dieses oder jenes Lebensnützliche oder Angenehme, traten, von seiner Frau gewissermaßen in ihm entdeckt und in stiller Weise gehegt und gepflegt, hell zu Tage.

Gleich im ersten Jahre ihrer Ehe waren sie nach Italien gegangen und hatten in Rom und den nördlichen Städten sechs Monate, bis in Deutschland der Frühling ganz eingezogen war, gelebt. Eine Fülle neuer Eindrücke war ihnen hier auf allen Wegen entgegengetreten.

In einer warmen Juninacht, einer Nacht, wie sie uns Eichendorff in seinen Liedern mit so vollendeter Meisterschaft gezeichnet hat, trafen sie wieder auf Schloß Restin ein. Nachdem der Tee genommen war, standen sie am offnen Fenster des Arbeitszimmers des Rittmeisters, das nach der Rückseite lag, und sahen in die Gartenruhe hinaus. Hinter dem Park, im Halbkreise, wie eine feste Mauer den Park stark begrenzend, in Wirklichkeit liefen Garten und Wald ineinander, dunkelte ein herrlicher Buchenforst. Nicht nur im Kreise, sondern in der ganzen Provinz war er wegen seiner Schönheit bekannt.

Mit seiner ganzen Seele hatte von jeher der Baron ihn geliebt und ihm die erdenklichste Sorgfalt gewidmet. Täglich, wenn er in Restin war, ging er dorthin. Man behauptete in der Umgegend, daß er jeden Baum kenne. Einzelnen von ihnen hatte er Namen gegeben wie: Heili Book, Domsäule, Kratzbürste, der Philosoph. Zahlreiche Vögel nisteten ungestört im Walde, und vor allem schien es dem prächtigen, schwarz und gelb gefiederten Pirol, dem sonst so scheuen, hier zu gefallen. Im Juli und August sah es überaus reizend aus, wenn jene Vögel in den Kronen, sonnenüberflutet, gaukelten.

Wie oft hatte der alte Herr in den Sommertagen seiner Kinderzeit hier gespielt; in spätern Jahren, wenn er auf Ferien in Restin war, sich scheu in den Schatten zurückgezogen und jenen Träumen und Träumereien nachgehangen, die unsre Seele und unser Herz umspinnen, wenn wir in die Jünglingsglutenzeiten unbewußt hinübergehen. Und so sehr war ihm sein Wald ans Herz gewachsen, daß er eine tiefe Sehnsucht empfand, wenn er ihn nicht wenigstens aus den Fenstern seines Schlosses erblicken konnte. Auch in Italien hatte er überall jene Sehnsucht empfunden, und die Vergleiche, die er zwischen den Pinien, Zypressen, Orangenhainen und seinen nordischen Stämmen anstellte, fielen durchaus nicht zu gunsten der Pinien und Zypressen aus.

Es war schon Mitternacht vorüber, als der Baron seiner Frau vorschlug, mit ihm in Garten und Wald zu gehen. Sie tat es mit Freuden, und bald waren sie auf dem Wege. Im Park brach er einen weißen Syringenzweig und steckte ihn der Baronin ins braune Haar. Seinen Arm um ihre Schulter legend, gingen er und sie wie Brautleute. Die Nacht war still. Sie lag wie versteint im Mondenlicht. Bald traten sie in die Buchen. Nichts regte sich. Ohne zu sprechen, gingen sie langsam die gewohnten Wege. Beim »Kiekut« blieben sie stehen und sahen über die stummen Felder hinaus. Wie glücklich sie waren. Gibt es im Leben, wie man sagt, kurze Stunden eines wirklichen, weltabgewandten Glückes, so wurde es jetzt empfunden. Ein tiefer Friede küßte im Vorbeiziehen die beiden guten Menschen.

* * *

Nach vier Jahren genügsamen Lebens wurde ihnen ein Sohn geboren, der mit großen schwarzen Augen in die Welt sah. Wie sonderbar! Der Rittmeister hatte wasserblaue, und von denen seiner Frau hatte er oft scherzend gesagt: »Luischen, Deine Augen haben ja die Farbe meiner Dragoner-Uniform.«

Der Arzt hatte sich am siebenten Tage nach der Geburt des Knaben vom Rittmeister verabschiedet, da er nicht mehr nötig sei: und am folgenden Tage lag die junge Frau tot neben ihrem schreienden Söhnchen.

Zwischen dem Sterbe- und Begräbnistage hatte die Dienerschaft ein Grauen überlaufen, wenn sie den Baron sahen oder hörten. Neben dem Zimmer, wo sein totes Weib lag, hatte er sich eingerichtet. Die Zwischentür war geöffnet. Hier aß und trank er, stark wie gewöhnlich. Kam ein Diener oder die Wärterin herein, so sagte er: »hsch, hsch.« Ja, er pfiff, in der Stube auf- und abgehend, Kavallerie-Signale. Charles, der Kammerdiener, hatte, wie er in der Küche erzählte, etwas »Schreckliches« gesehen. Wie er abends zu seinem Herrn gegangen, hätte der Baron die Tote auf den Armen getragen. Er, Charles, sei schnell wieder hinausgetreten. Und dann war die Dienerschaft leise hinaufgeschlichen und hatte gehorcht und durchs Schlüsselloch gesehen. Aber die Lampe drinnen war ausgelöscht. Ein leises Wimmern nur ließ sich hören.

Am Beerdigungstag war die Gruft der kleinen Kirche in einen Wald verwandelt. Als der Sarg hinabgesenkt war und die Leidtragenden sich entfernt hatten, ging der Baron ans Bett der Verstorbenen. Er kniete und preßte das Haupt in die Kissen. Die linke Hand lag unter der Stirn, mit der rechten tastete er auf dem Platze neben sich.

Die Menschen sterben nicht an gebrochnem Herzen. Es gibt darin keine Ausnahme. Auch der Baron starb nicht. Der Junge hat die Augen des »Italieners«, sagte sich der Rittmeister, wenn er die Augen seines Sohnes, der wie alle aus seinem Geschlechte Hasso hieß, anschaute. Und er hatte nicht nur die Augen des Italieners. Es sprach sich schon jetzt im ganzen Gesicht des zehnjährigen Knaben eine schlagende Ähnlichkeit aus.

»Der Italiener« wurde im Schlosse das Bild eines der Vorfahren des Rittmeisters genannt, das mit andern Ahnenbildern im Speisesaal hing. Man nannte ihn so, weil er tiefschwarze, stechende kleine Augen hatte. Die Baronin, die täglich beim Diner diesem Bilde gegenübergesessen, hatte behauptet, der Italiener mache Augen, so rachebefriedigt, wie wenn er gerade seinen Todfeind vor sich auf dem Scheiterhaufen sähe.

»Der Italiener« hatte zu Ende des siebzehnten Jahrhunderts gelebt. Es war damals nichts Auffallendes, daß er in vier Staaten gedient hatte. Das lag im Charakter der Zeit. Es ging von ihm die Sage, daß er rachsüchtig und grausam gewesen sei. Auf der einen Seite von ungeheurer Habsucht, hatte er zugleich die Leidenschaft des Spiels in so hohem Grade, daß er Alles, bis auf das Gut Restin verspielte. Durch einen Sturz mit dem Pferde war er gestorben. Das Gut Restin war von Vater auf Sohn bis zum heutigen Tage vererbt. Meistens auf tüchtige Menschen, die ihren Königen und dem Vaterlande ihre Kräfte geweiht hatten, oder auf solche, die in der bekannten norddeutschen Gedankennüchternheit auf dem Hofe geblieben waren, auf fast gleicher Bildungsstufe stehend wie ihre »Untertanen«.

* * *

Eine Verwandte des Rittmeisters, ein altes Fräulein, hatte in den ersten zehn Jahren die Erziehung Hassos geleitet. Von hellem Verstande und leichtester Auffassungsgabe, hatte sich der Knabe wie spielend die ersten Steine gelegt zum späteren Aufbau seines Wissens. Der Hauslehrer, wie später die Lehrer auf dem Gymnasium blieben in einem Erstaunen über die außerordentlichen Fähigkeiten des jungen Menschen. Andererseits aber hatte er einen so »bösen«, schadenfrohen, grausamen Charakter, daß er von keinem geliebt wurde. Seine Hauptwissenschaft war die Mathematik. Er wäre ein Rechenmeister ersten Ranges geworden. Als Knabe wollte er Kaufmann werden: Geld zu verdienen schien ihm schon damals die Hauptsache im Leben. Später ließ er sich überreden, nachdem er ein glänzendes Examen auf der Universität abgelegt hatte, Offizier zu werden. Er trat in ein Garde-Infanterie-Regiment ein, wo man bald seine Fähigkeiten und seinen Fleiß erkannte. Schon nach den ersten drei Leutnantsjahren machte er das Examen zur Kriegsakademie in unerhört glänzender Weise. Bald wurde er, nach Beendigung der drei nötigen Jahre, zu trigonometrischen Vermessungen verwandt und hatte später Kommando auf Kommando. In einem Jahre, so durfte der 29jährige Ober-Leutnant hoffen, würde er als Hauptmann in den großen Generalstab versetzt werden.

Aber, wie als Knabe auf der Schule, als Student auf der Universität, so auch in seiner militärischen Laufbahn: Keiner liebte ihn. Selten war er mit den Kameraden zusammen. Nie hatte man gehört, daß er einen dummen Streich verübt. Er hatte »keine Lust am Weibe«, er trank nicht, er verschwendete nicht, im Gegenteil, er war geizig. Dagegen hatte er eine Leidenschaft: er spielte. Er spielte, wo es sich machen ließ, wo es sich traf. Dann funkelten die kleinen schwarzen Augen unheimlich. Dann vergaß er Alles. Schon blieb er nicht im Rahmen seiner Standesgenossen; er spielte, wo sich ihm Gelegenheit bot, und kam dadurch in schlechte Gesellschaft. Mehr als einmal war er schon aus diesem Grunde in unliebsame Affären verwickelt gewesen, aus denen er mit genauer Not entkommen war. Mehr als einmal hatte er vor seinen Vorgesetzten deshalb gestanden. Sein alter Oberst meinte, daß zwar ein »kleines jeu« zu den Annehmlichkeiten des Lebens gehöre, doch wo die Grenzen nicht innegehalten würden, sei die Ehre leicht verpfändet.

Es half nichts. Hasso spielte nur um so toller. Er kam endlich in bedeutende Geldverlegenheiten. Zwar hatte der Vater bis jetzt alle die »unbegreiflichen« Schulden seines Sohnes bezahlt. Aber nun war ein Ende. Mit Schrecken gewahrte eines Tages der alte Herr, daß sein Gut verpfändet und ihm nur der Wald noch übrig geblieben sei.

* * *

Es waren nur wenige Wochen seit jener traurigen Entdeckung vergangen, als ein Brief Hassos eintraf. Er enthielt die gewöhnliche Bitte um Geld. Die Summe, um welche Hasso bat, war, im Vergleich zu dem früher Gewünschten, ungewöhnlich groß. Am Schlusse stand eine Nachricht, die den alten Herrn aufs heftigste erschütterte:

». . . ist es klar, daß, wenn Du diesmal nicht die ebenerwähnte Summe beschaffen kannst, ich untergehen muß. Kurz vor meinem Avancement zum ›Hauptmann‹. Ich halte mich nicht länger. Auf diesen Brief unmittelbar wird ein Bekannter von mir aus Berlin bei Dir eintreffen, den ich freundlich aufzunehmen bitte. Er kennt meine Verhältnisse und Geldangelegenheiten genau. Komme ihm mit Vertrauen entgegen, dann wird er Rat wissen; gehe darauf ein, was er Dir vorschlägt – sonst ist Alles verloren . . .«

Der Alte hatte kaum mit dem Lesen geendet, als der Diener die Karte eines Herrn überbrachte:

Alfred Lächmeyer.
Dr. jur.

Und ohne, daß es dem Rittmeister noch gelungen war, den tiefen Kummer und Schrecken aus seinem Gesicht zu verscheuchen, stand schon ein elegant gekleideter Herr vor ihm. Im Augenblicke des Eintretens hatte dieser Herr sein Monocle fallen lassen, mit der linken Hand leicht über einen fein gekräuselten schwarzen Schnurrbart gestrichen und, eine schnelle, tiefe Verbeugung machend, sich mit den Worten eingeführt:

»Ich komme, Herr Baron, um mit Ihnen, wenn Sie es gestatten, über eine Geldangelegenheit, die Ihren Herrn Sohn betrifft, zu sprechen. Ihr Herr Sohn beehrte mich mit seinem Vertrauen. Ich begehe die Indiskretion, Ihnen zu sagen, daß ich von dem Herrn Leutnant durchaus eingeweiht bin in Ihre augenblickliche finanzielle Lage, und daß . . .«

Der Baron unterbrach ihn:

»Ich möchte, daß dies lieber zwischen Vater und Sohn verhandelt würde. Eine Mittelperson ist mir nicht genehm.«

»Dann werde ich mich zurückziehen. Nur muß ich erwähnen, daß ich selbst bedeutend in dieser Angelegenheit interessiert bin, und es mir deshalb erwünscht wäre, dennoch, ehe ich mich beurlaube, noch einige Worte sagen zu dürfen.«

Der Baron nickte zustimmend. Der Doctor fuhr fort:

»Lassen Sie mich kurz sein, Herr Baron. Die Sache ist folgende. Ihr Herr Sohn führt einen musterhaften Lebenswandel; er berechtigt durch seinen Fleiß und seine Talente zu den größten Hoffnungen. Nur eine Leidenschaft besitzt er: das Spiel. Das hat ihm unendlich viel Geld bis jetzt gekostet. Sie selbst werden das am besten wissen. Viele der Herren Offiziere kommen, um nicht Wucherern in die Hände zu fallen, zu mir.« (Herr Lächmeyer wickelte das Band seines Monocle auf und ab um den Zeigefinger.) »Ich bin ihr Vertrauensmann. Ich schaffe ihnen Geld zu billigen Zinsen. Ich ordne die Sache mit den Eltern.« (Herr Lächmeyer machte eine Pause). »Der Herr Leutnant war vor einigen Tagen bei mir. Er kam sofort zur Sache, und setzte mir mit großer Klarheit auseinander, wie die Angelegenheit stünde. Ich war, was ich sonst bei den Herren oft nicht bin, mit einem Schlage bekannt mit allem. Und ich will mich nun kurz fassen, Herr Baron: die Schulden ihres Herrn Sohnes sind enorm.« (Er nannte die Summe.) »Sie, Herr Rittmeister, können sie nicht mehr aufbringen, wenn Sie sich nicht entschließen, Ihren Wald zu verkauf . . .«

Der Baron fuhr wie von plötzlichem wütendem Schmerz außer sich in die Höhe. Doctor Lächmeyer blieb ruhig sitzen, klemmte sein Monocle ins Auge und betrachtete sein Opfer »mit Gefühl«. Der Schuft war auf diese Szene von Hasso vorbereitet. Er hatte längst ausgekundschaftet, daß ihm der Buchenwald, das Geschäft mit dem Abnehmer war schon fertig, das Doppelte einbringen mußte, wie die Schulden des Sohnes, die er in der Hand hatte.

Noch immer stand der Baron, starr und blaß. Der Doctor fuhr fort, fast in klagendem Tone:

»Sehen Sie, bester Baron« (das ›Herr‹ fiel schon weg) »man muß sich in so vieles im Leben schicken, zumal wenn es sich um das Sein oder Nichtsein des einzigen Kindes handelt. Die Schulden des Leutnants sind, soweit ich sie übersehe, ja, ich weiß es gewiß, nicht ganz ›reinlich‹.« Der Baron zuckte zusammen. »Es handelt sich darum, daß Ihrem Sohne der Abschied . . .« Der Rittmeister fiel ihm in die Rede: »Mag er gehen; ich kann mich auf weiteres nicht einlassen, und ich glaube, daß hiermit, Herr Doctor, unsre Unterredung ein Ende haben dürfte.«

Es trat eine Pause ein. Der Doctor erhob sich und ein wenig aus der Nähe des alten Herrn tretend, sagte er (der Ton klang süß):

»Noch eins, Herr Baron, Ihr Sohn hat schlechte Schulden gemacht, er würde infam kassiert, wenn . . .«

Nun war es zu Ende mit dem Rittmeister. Er schrie: »Ins Zuchthaus mit ihm . . .«

Doctor Lächmeyer hatte sich entfernt; der Baron lag regungslos im Lehnstuhl, lange, lange.

Am Nachmittage brachte ein Bote einen Brief von der nahen Bahnstation:

Geehrter Herr Baron.                    

Bis heute Abend 9 Uhr 51 Minuten bin ich auf der Station Frissow. Vielleicht läßt sich noch bis dahin ein Arrangement treffen.

Euer Hochwohlgeboren ergebenster                
A. Lächmeyer. Dr.

* * *

Es war spät am Nachmittage geworden. Die Oktobersonne war schon untergegangen. Der Baron ging mit hastigen Schritten in seinem Kabinett auf und ab, wohl eine Stunde schon. Die Uhr hatte er aus der Tasche genommen und sie auf den Schreibtisch gelegt. Oft beugte er sich, um die Zeit zu erkennen. Tiefe Qualen hatte er in diesen wenigen Stunden durchgekämpft.

Welch ein Unterschied zwischen Vater und Sohn. Der Alte: ein schwärmerischer Naturfreund, voll echter wahrer Liebe zu Mensch und Tier, zu Feld und Baum, den tausend schlimme Erfahrungen nicht von seinem Standpunkt vertreiben konnten. Dabei mit ziemlich schwerer Auffassungsgabe, einfachem Gedankengang – eine Mittelnatur. Sein Herz war rein und fleckenlos wie seine Ehre. Dagegen der Sohn: glänzend begabt, fleißig, aber grausam. Auf der Jagd ein Mörder, kein Jäger. Im Walde berechnete er die Blätter eines Baumes ohne jedes Verständnis für das, was man »innige Freude an der Natur« nennt. Aber auch körperlich: welcher Unterschied. Der Vater: ein norddeutsches gutmütiges Gutsbesitzer und Soldatengesicht mit roten vollen Wangen und langem Flachsschnurrbart. Hasso dagegen wurde mit jedem Jahre dem »Italiener« ähnlicher. Ihm fehlte nur der spanische Zwickelbart, wie jener ihn trug. Stechende schwarze kleine Augen, gelbblasser Wachsteint, schwarze Haare. Die weißen Zähne spitz, wie bei einer Maus.

Zwischen den beiden hatte es niemals eine Annäherung gegeben. Sie sahen sich so selten wie angänglich. Ihr Briefwechsel war aufs notwendigste beschränkt. Ohne gegenseitiges Verständnis und Interesse waren sie im Leben nebeneinander hergegangen.

* * *

Es war neun Uhr geworden. Der Rittmeister ging noch immer auf und ab. Tiefster Seelenschmerz zeigte sich auf dem alten guten Gesicht. Zuweilen streiften seine Augen ein kleines Bild, das über seinem Schreibtisch hing. Es war ein auf Elfenbein gemaltes Pastellbildchen in Medaillonform: ein stilles Frauengesichtchen, mit blauen Augen, die klug und fröhlich in die Welt schauten. Endlich sah er fest und lange auf das Porträt: »Deinetwegen« sagte er leise.

Nun war der Entschluß gefaßt. Es war die höchste Zeit. Er bestellte den Jagdwagen und führte, bald unterwegs, die Zügel selbst. Die Station Frissow war in gewöhnlichem schlanken Trabe in einer guten halben Stunde zu erreichen. Die Uhr zeigte fünf Minuten nach halb zehn. Um neun Uhr neunundvierzig Minuten kam der Zug auf der Station an. Zwei Minuten waren nur Aufenthalt. So war die größte Eile geboten. Der Rittmeister, der sonst seine Pferde schonte, wo und wie er nur konnte, peitschte heute auf die Tiere, daß sie in rasender Eile den gewohnten Weg dahinflogen. Der Kutscher sah entsetzt auf seinen Herrn. Die letzte Strecke vor der Station lief die Landstraße neben den Schienen. Als der Wagen hier angekommen war, brauste der Zug heran. Nun galt es. Von seinem Sitze aufspringend, schrie und schlug er auf die Pferde. Der Hut flog ihm vom Kopfe. Es war wie im alten Rom beim Wagenrennen. Die Pferde taten das Äußerste. Sie kamen mit dem Zuge zugleich bei dem Haltepunkte an. Der Baron war schon vom Wagen. Barhaupt, in tödlicher Angst stürzte er auf den Perron. Der grauköpfige An- und Abläuter auf dem Bahnhofe dachte bei sich: De ol Herr vun Restin is wull dull worn. Nur ein Reisender hatte auf den Zug gewartet, Herr Lächmeyer. Er war schon eingestiegen und lehnte aus einem Coupéfenster erster Klasse. Wie er den Rittmeister kommen sah, warf er die »Scherbe« ins Auge.

»Nun,« sagte er tonlos, als der Atemlose bei ihm angekommen war, »so erregt, Herr Baron?«

»Nehmen Sie den Wald!« keuchte der Unglückliche.

»Ah, nun . . . Ihr Wort in Ehren; Ihr Herr Sohn ist gerettet. Ich komme in den nächsten Tagen, um Alles zu ordnen.«

Der Zug setzte sich in Bewegung.

Erst spät in der Nacht kam der so tief geschlagne in Restin wieder an. Er hatte Abschied genommen von seinem lieben Walde.

* * *

Ein milder, weicher Novembertag. Stiller, melancholischer Regen, wie im Frühling. Der Südwind drang in die offenstehenden Fenster des Arbeitszimmers des Rittmeisters.

Vom Walde herüber drang ein eigentümliches Geräusch: Axthiebe, das Zischen und Pfeifen einer kleinen Dampfmaschine, Schreien und Fluchen der Fuhrknechte, Sägelärm. Es mußte wüst dort aussehen.

Der Baron hörte es, jeden Ton. Zuweilen griff er an sein Herz, die Axtschläge trafen es unbarmherzig. Mit dem Bilde seiner Frau in der Hand ging er in diesen für ihn schwersten Tagen im Zimmer auf und ab. Er streichelte das Porträt; es war ihm dann, als wenn er ihre Hand auf der seinigen fühlte, und wenn er es küßte, schloß er die Augen.

Zuweilen versuchte er, die gewohnte Pfeife zu stopfen, aber der Tabak lief über oder der Finger blieb minutenlang im Kopfe stehen.

* * *

Mit knapper Not war der Baron dem Konkurse entgangen. Durch einen Zufall begünstigt, hatte er sein Gut verkauft und war nach dem freundlichen Görlitz gezogen. Kurz nachdem er sich dort niedergelassen, hatte ihm der Regiments-Kommandeur Hassos in schonendster Weise den plötzlichen Tod seines Sohnes angezeigt. Der alte Herr erfuhr niemals, daß sich sein Sohn, in äußerste Bedrängnis geraten durch neue und nicht sehr ›reinliche‹ Schulden, das Leben genommen hatte.

Am Todestage hatte im »Militär-Wochenblatt« gestanden:

Baron von Restin, Oberleutnant vom 6. Garde-Regiment zu Fuß und kommandiert zur Dienstleistung bei dem großen Generalstabe, unter Beförderung zum Hauptmann und Überweisung zum großen Generalstabe, in den Generalstab der Armee versetzt.


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