Detlev von Liliencron
Roggen und Weizen
Detlev von Liliencron

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Heranziehendes Gewitter

. . . komm ich so in die einzige Dorfkneipe, wische mir den Schweiß von der Stirn, suche Wasser für meinen Hund, stell mein Gewehr in die Ecke, nehme die Jagdtasche ab und sage zum Wirt: »Schalk man Lütten unn Glas Beer hem«. Dann tret ich ans Fenster: »Dat war noch eben Tid. Dat süht ja dull ut. In tein Minuten hem wit Gewitter hier.« – »O, dat duert nochn beten; dat kummt nich so gau up,« antwortet Hinrich Ohrt, der Schenkenbesitzer, und spült seine Gläser weiter.

Hinrich Ohrt kenn ich lange. Er ist ein wortkarger, meistens mürrischer Mann. Seine Wirtschaft hat er gut in Ordnung.

Es ist unerträglich heiß in der kleinen Stube. Die Fliegen haben just ihre Zeit. In den noch auf dem Tisch von frühern Gästen her stehenden Bier- und Schnapsgläsern führen sie ein Schlemmerleben. Einige büßen ihre Lüsternheit durch Zappeln in den Resten. Kein schöner Anblick. Aber gradezu entsetzt wendet sich mein Auge ab von einem Hafen, in dem schon hunderte dieser lästigen Tiere gefangen sind oder tot liegen; viele krabbeln noch in letzten Zuckungen. Ich nehme rasch eine fettbetupfte zweite Beilage der »Itzehoer Nachrichten«, die in einer Sofaecke schlief, und bedecke das schreckliche Gewimmel.

Und wieder trete ich ans Fenster. Ich öffne es: schwarze, schwere Wolken ziehen langsam von Süden heran. Noch lauern die Blitze hinter den Vorhängen, wie Seeräuber hinter der Brüstung ihres Schiffes kauern, um auszufallen. Immer näher schiebt sich die finstre Stirn des bösen Wetters. Ans weiter Ferne grollt es dumpf.

Unter mir liegt der Garten des Kruges. So ein kleiner, bescheidener holsteinischer Bauerngarten mit seinem Blumenkunterbunt, mit seinen Buchseinfassungen, dem letzten Ueberbleibsel des Versailler Parkes, ist mir, dicht vor Ausbruch eines Gewitters, von jeher vorgekommen wie eine junge demütige Sklavin, die willig ihren Nacken neigt, um sich von irgend einem hohen Herrn schlagen zu lassen.

Zweig und Ast stehen regungslos. Das weißgraue Blatt einer Silberpappel wirbelt hoch in der Luft. Es muß in einer schmalen Windströmung fliegen, die wir unten nicht merken.

Von links, von einem nicht sichtbaren Hause her, hör ich deutlich die ärgerlichen Worte: »Wat, Schiet, lat mi tofreden« . . . Und gleich darauf seh ich auf dem Fahrwege einen gebückt gehenden Greis. Er hat ein echtes Geizhalsgesicht. Plötzlich bleibt er stehn und schaut drohend zurück, unverständlich vor sich hinmurmelnd.

Von rechts, auch von einem nicht sichtbaren Hause, klingt das Geräusch eines mit aller Gewalt geschlossen werden sollenden Fensters. Schlag auf Schlag geht das Zuschlagen. Sachte, sachte, sag ich in Gedanken, und . . . klirr liegt die Scheibe unten. »Das kommt davon« . . . »Trina, schast to Huus kamen,« rufts irgendwoher.

Auf der Straße treibt ein großes Kalb vorüber, wütend von einem Dorfköter verfolgt. Das Kalb schlägt mit den Hinterfüßen nach dem Hunde. Endlich hat er eins weg. »Da kreg he een up de Snut,« bemerkt, unausgesetzt seine Gläser spülend und trocknend, Hinrich Ohrt.

Im Garten erscheint die blonde, frische Frau des Wirtes. Sie trägt ihren vierjährigen Jungen auf den Armen. Der Bengel fuchtelt gewaltig mit einem großen hölzernen Suppenlöffel umher. Die junge, glückselige Mutter läßt ihr Kerlchen in ihren Armen tanzen; dann zeigt sie ihm die Wolken. Da blitzt es, und noch einmal. Der Knabe wirft den hölzernen Suppenlöffel hin und greift nach den Blitzen. Welch ein reizendes Bild das ist. Aber nun donnerts stärker. »Jung, Jung, Jung, nu möt wi gau to Huus.« Und Mutter und Sohn verschwinden.

Ein greller Blitz und gleich darauf ein heftiger, langaushallender Donner. Ich schließe das Fenster. »Dat warn bannigen Slag,« sagt Hinrich Ohrt, und spült und reibt und trocknet ruhig seine Gläser weiter.


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