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Sechsundzwanzigstes Kapitel.
Noch einmal das alte Schloß.

Winter und Frühling waren durch das Land gezogen, und jetzt entfaltete der Sommer seine volle Pracht. Auf Schloß Boncourt lachte ein sonniger Morgen, und die warmen Lüfte trugen den berauschenden Duft der Rosen hinauf zu den geöffneten Fenstern des Erkerzimmers.

In der schattigen Laube saß Doktor Vertier. Sein Gesicht trug heute einen ganz besonders freudigen Ausdruck, er blickte auf François, der wenige Schritte von ihm Mustaphas glänzenden Schweif kämmte und dabei ein fröhliches Liedchen pfiff.

»Nun, François,« lächelte Vertier, »wie lange wird es dauern, bis Ihr den jungen Weltbürger auf Mustaphas Rücken setzt und ihm die ersten Reiterstückchen beibringt?«

»Sobald unsere Frau Marquise es mir gestatten wird,« schmunzelte der Angeredete und klopfte zärtlich den Hals des Schimmels.

»Fast hätte ich über dem freudigen Ereignis hier einen Gruß vergessen,« erinnerte sich Vertier, »er ist zwar insonderheit für die schöne Schloßherrin bestimmt, doch auch Euch läßt Louis Mardal herzlich grüßen.«

»Ist er nach der Vendée zurückgekehrt, und habt Ihr ihn gesehen?« erkundigte sich François eifrig.

»Ja wohl,« nickte der Arzt, »er kam im Herbst in das kleine Städtchen, in das ich mich zurückgezogen hatte. Im Anfang wollte niemand etwas von ihm wissen, denn unsere braven Vendéer waren von jeher so gut königlich gesinnt, daß sie nie etwas mit den Rotmützen zu schaffen haben wollten.

Durch einen Zufall nannte ich einmal Schloß Boncourt in seiner Gegenwart, und die Hast, mit der er mich nach seinen Bewohnern fragte, die Freude seines Gesichtes, als er von St. Herbert und seiner jungen Gattin hörte, machten mich neugierig. Nach vieler Mühe erfuhr ich von ihm, in welchen Beziehungen er zu diesen gestanden hatte. Da könnt Ihr wohl denken, daß ich keine Mühe sparte, um dem armen Burschen eine Stellung zu verschaffen, in welcher er zeigen konnte, daß er mit dem alten Leben gebrochen habe.

Als die erschütternde Nachricht von der Hinrichtung unseres teueren Königs nach der Vendée kam, wißt Ihr ja, wie unser braves Völkchen die Waffen ergriff, um sich gegen alles zu wehren, was von der Republik ausging.

Blutig ist der Krieg, den wir gegen die Schreckensherrschaft führen, die wir nicht dulden wollen. Unser Land seufzt darunter, und wir beten, daß Gott diesem armen zerrissenen Frankreich den Frieden wiedergeben möge. Einer unserer zuverlässigsten Leute, unser kühnster Streiter war Louis Mardal. Die Schuld ist von seiner Seele genommen, und in Jugendfrische kämpft er freudig mit seinen Landsleuten.

Er wußte, daß ich in Angelegenheiten unserer Vendée St. Herbert aufsuchte, der unser armes Städtchen nach Kräften mit Geld unterstützt. Am letzten Tage kam er zu mir, und ich glaube, der Bursche beneidete mich nicht wenig um meine Reise.

»Sagt der Vierge de Notre Dame,« bat er, »daß sie allein mich gerettet hat und daß sie nimmer ihres Versprechens vergessen möge.« Sie kann ihm das selbst versichern, denn ich habe ihm versprochen, daß er bei nächster Gelegenheit als Bote nach Schloß Boncourt geschickt werden solle.«

François rundes Gesicht glänzte vergnügt. »Das wird unsere Herrin freuen. Wenn er hierher kommt, werden wir alle sehr erfreut sein, und du, Pluto,« wandte er sich an den Hund, der an seiner Seite lag, »du wirst den Mardal nicht mehr anknurren, wie du es immer in Paris thatest, wenn er aus der Conciergerie trat. Still, still, du weckst die junge Mutter,« gebot er der Dogge, die, als sie sich angeredet hörte, laut bellend den Diener umkreiste, der einen besorgten Blick nach dem geöffneten Fenster warf.

Wohl war das Bellen dort vernommen worden, aber geweckt hatte es Giovanna nicht. Sie schaute lächelnd auf das schlummernde Kind in der Wiege.

St. Pierre stand an ihrer Seite, er berührte segnend die Stirn des kleinen Schläfers. »Nach Sturm und Kampf winkt Euch eine Welt voll Liebe und Glück,« sprach er mit einem warmen Blick auf seine Kinder.

Die junge Frau lehnte sich fester an Horaces Schulter. »Wie ist das Leben so wunderbar schön, flüsterte sie, dann fuhr sie leise über die rote Narbe auf des Gatten Stirn. »Gebe Gott, daß dies die letzte Wunde sei, die du heimgebracht, sie soll mir allezeit zurückrufen, wie mein Geliebter dem Könige die Treue hielt.«

Vom Dorfe her klangen die Sonntagsglocken herauf, duftige Sommerluft drang durch das Fenster und zog flüsternd um das junge Elternpaar.

Horace hatte den Knaben aus der Wiege genommen und legte ihn in Giovannas Arm. »Weißt du, daß heute Gilberts Namenstag ist?« fragte er.

Sie nickte bewegt. »Ist es nicht, als käme ein Grüßen zu uns von dort oben,« fuhr er fort. »Ich meine, die teuren Verklärten schicken unserem Kinde ihren Segen. Möchte es im Leben lernen das Wort zu halten, das Gott ihm mit dem Namen als Devise gegeben hat: Fidèle a Dieu, au roi, à mon amour.«

»Treue in Ewigkeit,« flüsterte das junge Weib und drückte das schlummernde Kind fester an sich.

 

Verlag und Druck des
Christlichen Zeitschriftenvereins in Berlin


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