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Fünfundzwanzigstes Kapitel.
Ludwig XVI. im Temple und auf dem Schafott.

Als man in jenen furchtbaren Augusttagen die königliche Familie in den Temple brachte, hatte Petion den König dort empfangen. Seine ganze Haltung, wie sein Benehmen zeigte, daß er sich der unwürdigen Rolle schämte, welche er bisher gespielt hatte; er ließ es sich jetzt eifrig angelegen sein, für die notdürftigste Bequemlichkeit der königlichen Familie zu sorgen. Vor allem dankte Ludwig es ihm, daß man ihn noch nicht von den Seinen trennte, doch sollte dies nicht lange dauern; denn Petion war nur eine offizielle Magistratsperson der Gemeinde, und konnte daher nur ihre Befehle mildern, nicht aber sie ganz umgehen. So entriß man, trotz Petions Sträuben, den König Ende September seiner Familie und wies ihm ein Gemach in dem großen Turm des Temple an.

Während in Paris die Schreckensherrschaft ihre blutige Geißel schwang und bereits Tausende hingerafft hatte, stritt man sich in dem neu gebildeten Konvent hin und her über das Schicksal des entthronten Königs.

Am 11. Dezember forderte der Konvent Ludwig Capet vor seine Schranken. Ganz Paris war in Bewegung und glich an diesem Tage einem Kriegslager unter Waffen. Des Königs Wagen umschloß eine doppelte Reihe Infanterie, ein Regiment Kavallerie und mehrere Geschütze folgten ihm.

Neugierig starrte die Menge ihren entthronten Monarchen an. Die eingefallenen Wangen Ludwigs, der lange Bart und die Blässe seiner Hautfarbe, ließen ihn traurig verändert erscheinen, es war der Schatten des Königtums, den man zum Richtplatze führte.

In dem Sitzungssaale hörte Ludwig äußerlich gleichmütig auf die gegen ihn vorgebrachten Anklagen, nur als man ihm vorwarf, das Blut seines Volkes geopfert zu haben, zeigte ein bitteres Lächeln seine verhaltene Entrüstung. Die Vorlesung hatte lange gedauert, und der König war völlig erschöpft. Müde und abgespannt vermochte er nicht, in gewandter Weise seine Verteidigung zu übernehmen; Petion. erkannte dies und gestützt auf die Partei der Girondisten, wußte er es durchzusetzen, daß man Ludwig, wie jedem Angeklagten, gestattete, sich zwei Verteidiger zu wählen.

Der König erbat sich die Rechtsgelehrten Tronchet und Desèze. Aber noch ein treuer, und doch beinahe vergessener Freund des Königs meldete sich freiwillig, das gefahrvolle Amt der Verteidigung zu übernehmen. Das war der alte 74 jährige Malesherbes, der zweimal seinen Posten als Minister, aber niemals seine Anhänglichkeit für den König, verloren hatte. Beim Vortreten dieses Greises ging es wie ein elektrischer Schlag durch die Versammlung. Keiner versagte diesem Manne seine Achtung, seine Bewunderung, und selbst der Haß erkannte in diesem Wunsche die heiligen Rechte der Freundschaft an und gewährte die Bitte.

Erschütternd war das Wiedersehen zwischen Malesherbes und dem Könige. »Wohin hat mich dies Volk gebracht, das wir beide so sehr geliebt haben!« rief Ludwig seinem ehemaligen Minister wehmütig zu und schloß ihn überwältigt in seine Arme.

Malesherbes erschien nun täglich im Temple, und dieser eingehende Verkehr mit dem trefflichen Greise wurde für Ludwig eine Quelle reichen Trostes. Sein Gemüt richtete sich auf, und sein Geist arbeitete in erhöhter freier Thätigkeit, wenn er, wie es täglich geschah, mit seinen Verteidigern die verschiedenen Artikel der Anklage-Akte durchging und den Herren sein öffentliches Leben darlegte.

Von seiner Familie erhielt der König nur verstohlene Nachricht; ein Garnknäuel, in das ein Papier gewickelt war, eine Schnur, mit einem Billet, das nach dem Fenster der Königin herabgelassen wurde, das waren die geheimen Wege, welche den Gatten als einziger Austausch ihrer Gedanken blieb.

Ende Dezember legten Malesherbes, Tronchet und Desèze dem Könige den vollständigen Plan seiner Verteidigung vor. Desèze verlas die Rede, welche er abgefaßt hatte; der Schluß wandte sich an das Gefühl des Volkes und schilderte in rührender Weise das Unglück der königlichen Familie. Ludwig selbst wurde bewegt beim Anhören dieser Rede, doch sein Stolz errötete, von seinen Richtern ein anderes Urteil zu erflehen, als das des Gewissens.

»Dieser Schluß muß gestrichen werden,« entschied er, »ich will meine Ankläger nicht rühren.« Nur widerstrebend gab Desèze nach und versprach den Schluß umzuändern.

Die beiden Advokaten verließen den König, nur Malesherbes blieb zurück, denn er sah, daß eine Sorge das Herz seines Gebieters bedrückte. Auf sein teilnehmendes Befragen gestand ihm der König, daß es ihn bedrücke, Tronchet und Desèze in keiner Weise ihre aufopfernde Arbeit lohnen zu können.

Freundlich erinnerte Malesherbes ihn daran, daß die Belohnung solcher Dienste nur die Nachwelt und das eigene Gewissen übernähme, und daß diese Männer keine Gabe so hoch schätzen würden, als die Liebe ihres Monarchen.

Der König hatte stumm dazu genickt, und als am anderen Morgen seine Verteidiger ihn abholten, um mit ihm im Konvent zu erscheinen, umarmte er in tiefer Bewegung die beiden Herren und sagte ihnen seinen warmen Dank. Ihm war das Herz leichter geworden, indem er ihnen durch diesen Liebesbeweis alles gab, was er hatte: Tronchet und Desèze aber fühlten sich überreich belohnt, denn sie hatten erlangt, wonach sie strebten, die Liebe und den Dank ihres entthronten Monarchen.

Als der König im Konvent anlangte, lies man ihn lange im Vorzimmer des Saales warten. Ludwig verhielt sich dabei völlig gelassen und unterhielt sich mit Malesherbes.

Der Greis gebrauchte im Gespräch den Titel »Majestät,« der um so ehrerbietiger klang, je übermütiger hier die Jakobiner trotzten.

Ein Mitglied des Konvents aber hörte den Ausdruck und sich mit Schärfe an den ehemaligen Minister wendend, fragte er: »Was giebt Ihnen die gefährliche Kühnheit, hier Titel auszusprechen, welche von der Nation geächtet sind?«

»Die Lebensverachtung,« versetzte Malesherbes geringschätzig und schickte sich an, dem Könige zu folgen, welcher eben voll Hoheit und ruhiger Würde den Sitzungssaal betrat.

In feierlicher Stimmung hörte der Konvent die Rede Desèzes an, die Richter schenkten in Geduld eine Stunde diesem Könige, dem sie schon im voraus das Leben abgesprochen hatten. An diese Verteidigungsrede seines Advokaten fügte Ludwig noch einige Worte, die ernste Hoheit sowohl wie versöhnende Milde ausdrückten, dann verließ er den Saal, seinen Richtern die Entscheidung überlassend.

Der Streit wogte hin und her, ein wütender Kampf der Parteien begann. Girondisten und Jakobiner fielen übereinander her, jeder wußte, daß zugleich mit der Entscheidung über das Schicksal Ludwigs die Partei als unbedingte Herrscherin auftreten würde, welche ihren Willen durchzusetzen wußte. Tagelang dauerte es so fort, bis endlich am 17. Januar die Stimmenmehrheit über das Leben Ludwigs entscheiden sollte. Marats und Dantons Anhänger waren inzwischen unermüdlich thätig, um alles in Bewegung zu setzen, damit an jenem Tage der Tyrann zum Tode verurteilt werde.

Der Anblick der Stadt war drohend, der des Konventsaales im höchsten Grade unheimlich. Eine finstere, von Jakobinern bewaffnete Volksmenge umgab die winkligen Höfe und düsteren Gewölbe des ehemaligen Klosters, das später eine Reitbahn geworden war und in dem jetzt der Konvent seine Sitzungen halten wollte. Wie dumpfes Brausen klang das Gewirre unzähliger Stimmen, dunkel war die Winternacht, nur von wenigen Lichtern erhellt, und die Züge der Männer, welche sich hin und her drängten, erschienen bleich unter den roten Mützen. An allen Thüren des Gebäudes klirrten Waffen, blitzten Piken, und vor die beiden Haupteingänge waren Geschütze gefahren, deren Kanoniere sie mit brennender Lunte bewachten; wie es schien, weniger um das Volk einzuschüchtern, als um die Kanonen gegen den Saal zu richten, falls der verhängnisvolle Urteilsspruch nicht gefällt würde.

Die wogenden Volkshaufen hatten eine schmale Gasse gebildet, welche alle Deputierten, die den Saal erreichen wollten, passieren mußten. Hier war es, wo die Spione des Volkes sich aufgestellt hatten; mit lauter Stimme nannten sie die Namen der durchschreitenden Männer, bezeichneten die Unschlüssigen, drohten den Furchtsamen und zollten den Unerbittlichen Beifall.

Bei den Namen »Marat, Danton, Robespierre, Desmoulins« öffneten sich die Reihen mit einer gewissen Ehrerbietung, während bei Vergniaud, Brissot und anderen Girondisten geballte Fäuste und drohende Piken verkündeten, wie das Volk sich zu rächen dächte, wenn man ihm nicht gehorchte.

Doch auch hier zeigte es sich, daß selbst die Hefe des Volks persönliche Unerschrockenheit zu ehren weiß. Als der Marquis Villette durch die Reihen schritt und zwanzig Säbelspitzen sich auf seine Brust richteten, bereit, sein Herz zu durchbohren, wenn er sich nicht willig erklärte, für den Tod des Tyrannen zu stimmen, da schob er gleichmütig mit beiden Händen die Säbel fort. »Ich werde nicht für den Tod stimmen,« antwortete er laut, »und ihr werdet mich nicht ermorden, denn ihr müßt in mir mein Gewissen, die Freiheit und die Nation achten!«

Ungehindert ließ die Menge den kühnen Sprecher in den Sitzungssaal ein.

Den weiten Raum beleuchtete ein tief herabhängender Kronleuchter auf der einen Seite mit grellem Lichte, während auf der anderen völlige Dunkelheit herrschte. Die öffentlichen Galerien, welche sich stufenweise wie ein Amphitheater erhoben, waren überfüllt von Männern und geputzten Frauen, die sich sorglos unterhielten. In den obersten Reihen drängten sich wilde Gesellen mit langen Messern im Gürtel und beugten sich weit über die Brüstung. Alles sprach und schrie durcheinander, nur wenn der Name eines Deputierten aufgerufen wurde und er hervortrat, um sein Votum zu geben, erfolgte tiefes Schweigen.

Im Anfang blieben die Gemüter in der Spannung der Ungewißheit, denn Tod und Verbannung hatten gleichviel Stimmen. Jetzt wurde Vergniaud aufgerufen, man sah ihn als das Haupt der Girondisten an, seine Entscheidung mußte von unberechenbarem Einfluß auf seine Partei werden, und somit hielt er gewissermaßen Leben und Tod des Monarchen in seiner Hand.

Alle Blicke richteten sich auf ihn, man erinnerte sich seiner unsterblichen Reden gegen Robespierre und die Partei, welche die Hinrichtung erstrebte, man wußte, daß er noch vor kurzem bei seinem Leben und seiner Beredsamkeit geschworen hatte, den König zu retten, jetzt sah man ihn mit starrer Ruhe die Rednerbühne besteigen. Gesenkten Hauptes stand er einen Augenblick da, dann, als kämpfe er ein gewaltiges Gefühl nieder, klang es dumpf von seinen Lippen »der Tod.« Schweigen und Staunen hielt das Gemurre, ja selbst das Atemholen der Versammlung zurück.

»Großartige Worte, feige Thaten,« murmelte Robespierre, und bei der kleinen Anzahl der Anhänger des Königs sank jede Hoffnung bei diesem Ausspruche. Umsonst suchte Vergniaud sein Votum gleichsam zurückzuhalten, indem er einen Aufschub des Urteils verlangte. Man ließ die Klausel nicht gelten und verlangte die nächste Stimme zu hören, während Vergniaud gesenkten Hauptes die Stufen herab schritt.

Der Aufruf wurde fortgesetzt. Die Jakobiner stimmten fast einstimmig für den Tod, und von den Girondisten widerstanden nur wenige dem Beispiele ihres Führers.

Der letzte, den man zur Rednerbühne rief, war der Herzog von Orleans. Silley, sein Vertrauter, hatte gegen den Tod gestimmt, und man erwartete von ihm ein gleiches oder die Bitte, ihm als geborenen Fürsten das Votum zu erlassen. Doch man sollte sich täuschen; langsam, ohne jede Aufregung, trat er hervor, begab sich auf seinen Platz und entfaltete mit stoischer Ruhe ein Papier, von welchem er die Worte las: »Einzig und allein meine Pflicht im Auge haltend, stimme ich für den Tod.«

Ein Schauer durchlief die Bänke und Galerien, denn selbst die Natur der Jakobiner empörte sich gegen dies Votum eines Prinzen von Geblüt. Bei seiner eigenen Partei fand sich kein Blick, keine Geberde, die ihm Beifall zollte, nur staunendes Schweigen folgte seinen Worten, und in augenscheinlicher Verwirrung verließ er die Rednerbühne.

Das Zählen der abgegebenen Stimmen dauerte lange und geschah unter Zweifel und Angst. Endlich erhob sich der Präsident, um den Urteilsspruch zu verkündigen. Durch eine unheimliche Fügung war es das Los des Präsidenten Vergniaud in der gesetzgebenden Versammlung, den Beschluß der Entsetzung und im Konvent das Todesurteil des Königs zu verlesen.

Er war bleich, seine Lippen und seine Hände, in denen er das verhängnisvolle Papier hielt, zitterten. Noch ehe er sich zum Lesen ermannt hatte, ließ sich der Deputierte Duchâtel, in Bettdecken gehüllt, von Drohungen geleitet, in den Konvent tragen und votierte mit sterbender Stimme gegen den Tod.

Doch dieses eine Votum konnte nicht das Schicksal des Königs umstoßen, eine Majorität von 7 Stimmen entschied den Tod Ludwigs. Vergebens mahnte Vergniaud schmerzlich, man möge jetzt, nachdem man die Gerechtigkeit gehört, die Menschlichkeit walten lassen. Es war umsonst, das Urteil war gefällt, der Tod, welcher der Wunsch der Jakobiner gewesen, wurde die That der Girondisten durch das Votum ihres Führers.

Nach dem letzten Erscheinen Ludwigs vor seinen Richtern hielt man den König von jeder Verbindung mit der Außenwelt fern; selbst für Malesherbes blieben, so oft er auch kam, die Thüren des Temples verschlossen.

Der König wußte, daß in diesen Tagen die Abstimmung über Leben und Tod erfolgen sollte und verbrachte seine Zeit in stiller Sammlung. Das Unglück und ernstes Nachdenken hatten in seiner Seele jene Glaubensfreudigkeit genährt, welche willig auch das Schwerste hinnimmt, weil sie weiß, daß ein liebender Vater für seine Kinder die rechten Wege wählt. So beugte sich der König in erhabener Demut den schweren Schickungen und trug mit Heldenstärke jeden neuen Schlag.

Am 19. öffneten sich morgens die Thüren des Turms, und Ludwig sah Malesherbes hineintreten. Freudig ging er ihm entgegen, doch der Greis sank in Thränen zu seinen Füßen, unfähig das furchtbare Wort auszusprechen, das ihn hierher geführt hatte. Der König verstand diesen stummen, herzzerreißenden Schmerz; ohne zu erbleichen, sprach er selbst den entsetzlichen Urteilsspruch aus, hob dann den Freund auf, drückte ihn an sein Herz und schien nur darauf bedacht, den ehrwürdigen Boten seines Todes zu trösten. Als Malesherbes sich gefaßt hatte, erkundigte sich Ludwig nach den näheren Umständen der Abstimmung.

»Von Petion bin ich überzeugt; daß er gegen meinen Tod votierte,« sprach der König, »aber wie verhielt sich mein Vetter, der Herzog von Orleans?«

Traurig berichtete der Greis die schmähliche Thatsache. Ludwig war heftig bewegt. »Philipp, mein eigener Blutsverwandter,« rief er wiederholt schmerzlich aus, »sein Votum betrübt mich mehr als alle anderen.«

Nach einer langen Pause wandte er sich an Malesherbes. »Für Euch, mein treuer Freund, habe ich noch die Bitte, einen ehrwürdigen, in Paris verborgenen Priester, den Abbé Edgeworth, aufzusuchen. Er war oft mein Vertrauter und Beichtvater, mein Herz verlangt nach seinem tröstenden Zuspruch in diesen letzten Stunden. Wollt Ihr versuchen, seinen Aufenthaltsort zu erkundigen und ihn befragen, ob er bereit sei mir diesen letzten Liebesdienst zu erweisen, wenn der Konvent es gestattet?«

Malesherbes empfand es wie eine Wohlthat, seinem teuren Monarchen eine Bitte erfüllen zu können, und machte sich ungesäumt auf den Weg.

Unterdessen begaben sich die Minister Garat und Lebrun, begleitet von Santerre, zum Könige, um ihm offiziell den Urteilsspruch mitzuteilen. Stehend, mit gehobenem Haupte, das Auge fest auf seine Richter geheftet, hörte er mit der Unerschrockenheit eines Gerechten zu, als ihm angekündigt wurde, daß er in vierundzwanzig Stunden den Tod erleiden solle.

Mit einer Stimme, aus welcher königliche Würde sprach, ersuchte Ludwig die Herren, dem Konvent einen Brief zuzustellen. Das Schreiben enthielt den Wunsch des Königs, seine Familie ohne Zeugen wiederzusehen, einen von ihm bezeichneten Geistlichen noch vor seinem Tode zu ihm zu lassen und seine Hinrichtung um drei Tage aufzuschieben, um ihm zu ernster Vorbereitung Zeit zu lassen. Die Zeilen endigten mit der Bitte an den Konvent, sich derjenigen Armen anzunehmen, welche nur durch seine Gaben bisher erhalten wurden.

Garat nahm nach einigem Zögern den Brief und empfing von dem Könige ein zweites Papier, auf dem der Name des Geistlichen stand, dessen Zuspruch er wünschte. »Malesherbes wird euch die Adresse des Abbé übergeben,« fügte er hinzu, trat dann einige Schritte zurück, indem er sich verneigte, als wenn er bei einer Audienz bei Hofe das Zeichen der Entlassung gäbe.

Die Minister entfernten sich, um dem Konvent die Wünsche des Königs vorzutragen. Brissot, Petion und mehrere Girondisten kämpften während fünf Stunden mit aller ihnen zu Gebote stehenden Beredsamkeit, um der Bitte des Königs Gewährung zu verschaffen. Brissot, dem ein wilder Jakobiner mit sicherem Tode gedroht hatte, falls er sich des königlichen Schreibens annehmen würde, that in heldenmütiger Todesverachtung sein Äußerstes und setzte wenigstens durch, daß man Ludwig gestattete, seine Familie zu sehen und den von ihm gewünschten Geistlichen zu empfangen.

Garat und Santerre wurden zum Könige gesandt, um ihm die Antwort des Konvents mitzuteilen, und nachdem sie sich ihres Auftrags entledigt hatten, begab sich Garat zu Malesherbes, von dem er die Wohnung des Abbé erfuhr, den er aufsuchte und selbst zum Könige brachte. Doch zog er sich zartfühlend zurück, um nicht Zeuge des ergreifenden Wiedersehens zu sein.

König und Priester brauchten geraume Zeit, ehe sie wieder völlig Herr ihrer Empfindungen geworden waren und ein ruhiges Gespräch beginnen konnten. Ludwig führte den Abbé in das abgelegene Erkerstübchen, in welches er sich zurückzuziehen pflegte, wenn er seinen Gedanken nachhing. Dort zeigte er seinem teuren Beichtiger das Testament, das er bereits im Dezember verfaßt hatte. Er las es ihm selbst zweimal vor, damit keins der Gefühle, welche er darin aussprach, dem Manne Gottes entginge, den er als seinen Richter anerkannte. Bei den Stellen, in welchen er der Welt seine Verzeihung hinterlassen hatte, verweilte er länger, aufmerksam prüfend, ob nicht ohne seinen Willen sich ein Ausdruck hineingeschlichen habe, welcher ein Zeichen des Grolls oder des Vorwurfs enthalten könnte.

Das Testament war ein Abbild seiner Seele, jedes Wort atmete Liebe und Versöhnung. In treuer Sorge hatte er jedes einzelnen seiner Lieben gedacht, hatte ihnen gedankt, sie getröstet und auf den Herrn gewiesen. Insonderheit hatte er sich noch seiner drei Verteidiger und seines treuen Kammerdieners Clery erinnert.

Nachdem die Prüfung des Testaments beendigt war, erkundigte sich der König teilnehmend nach dem Schicksal, mehrerer ihm teuren Personen und unterhielt sich in vertraulicher Weise mit dem Freunde bis zur siebenten Stunde, welche ihm das gefürchtete und doch so heiß ersehnte Wiedersehen mit seiner Familie bringen sollte.

Um diese Zeit begab er sich allein in den Speisesaal, welcher durch eine Glasthür mit dem Zimmer der Kommissäre verbunden war. Diese Thür durfte geschlossen werden, aber den Wächtern stand es frei, durch die Scheiben jede Bewegung der königlichen Familie zu beobachten, wenn auch ihr Gespräch ungehört bleiben konnte.

Ludwig selbst ordnete die Stühle, sorgte dafür, daß die Königin, wenn sie erschöpft wäre, einen erfrischenden Trunk fände, und harrte dann pochenden Herzens auf die Ankunft seiner Lieben.

Herzerschütternd war der Augenblick, als Marie Antoinette dem Gatten in die Arme sank und die königlichen Kinder sich an den Vater schmiegten, während die Prinzessin Elisabeth die Hand des teuren Bruders ergriff. In schluchzendem Flüstern, von zärtlichen Liebkosungen unterbrochen, tauschten die schwer Geprüften ihre Gedanken aus.

Ein Künstler des Altertums, der das Gesicht im Schmerze wiedergeben wollte, malte es verschleiert, weil er meinte, nicht genügend die Zerrissenheit des menschlichen Herzens wiedergeben zu können. So giebt es in manchem Leben auch Stunden eines so tiefen, heiligen Seelenschmerzes, daß kein Mund ihn ausdrücken, keine Feder ihn beschreiben kann, und zartes Mitgefühl schonend einen verhüllenden Schleier über die Leidensstunde senkt.

Nachdem die Königin sich blutenden Herzens von dem Gatten losgerissen hatte, mit der schmerzlichen Hoffnung, ihn noch einmal, zum letztenmale in der Morgenstunde wiederzusehen, kehrte Ludwig völlig gebrochen zu dem Abbé zurück und sank kraftlos in einen Stuhl. Lange verharrte er in schmerzlichem Schweigen, dann richtete er sich auf. »Mit der Zeit habe ich nun abgeschlossen, wir wollen uns mit der Ewigkeit beschäftigen!«

Der Priester hatte durch Garats Verwendung nach einigem Kampf von dem Konvent die Erlaubnis erhalten, dem Verurteilten das Abendmahl erteilen zu dürfen. Die Municipalbeamten selbst hatten dem Abbé den Wein, die Hostie und die Gefäße des Altars überliefert. Als Edgeworth dem Könige die frohe Eröffnung machte, daß er noch vor seinem Tode die heilige Hostie genießen sollte, dünkte Ludwig diese Verheißung wie ein Strahl der Unsterblichkeit. Es war eine größere Vergünstigung, als er je von seinen Richtern erwartet hatte, und bewegten Herzens erkannte er dies an. Dann beugte er sich in Demut knieend vor dem geweihten Diener des Herrn, um seine Beichte zu verrichten.

Die Nacht war schon zur Hälfte vergangen, als der betende König sein Herz erleichtert hatte und sich zur Ruhe begab. Friedlich und sanft wie ein Kind schlief er, bis Clery ihn um 5 Uhr weckte, um seinem teuren Gebieter zum letztem male beim Ankleiden zu helfen.

In dem kleinen Erkerzimmer hatte Edgeworth den Altar hergerichtet. Hier feierte Ludwig in zuversichtlichem Glauben und voll stiller Weihe mit dem Priester die Messe und empfing aus seiner Hand die heilige Hostie.

Neu gestärkt verließ er die kleine geweihte Stätte und nahm in herzlichen Worten Abschied von Clery, in dessen Hände er noch verschiedene Andenken legte, welche er für seine Familie bestimmt hatte. Er trug diesem getreuen Diener auf, seinen Lieben das Lebewohl zu bringen, das er ihnen und sich selbst ersparen wollte. Clery zerfloß in Thränen: er eilte zu den Municipalbeamten, um von ihnen die Vergünstigung zu erflehen, seinen Gebieter auf dem Schafotte entkleiden zu dürfen, doch er wurde abgewiesen.

Schon begann der Tag durch das vergitterte Fenster zu dämmern, man hörte das Wirbeln der Trommeln, das Stampfen der Pferde und das Rasseln der Kanonen. Der König saß während dessen mit seinem Beichtiger im Turmzimmer.

»Man rüstet sich,« sprach er auf den Lärm horchend, dann drückte er die Hand des Freundes. »Mein Gott,« flüsterte er, »wie glücklich bin ich, daß ich auf dem Throne meinen Glauben bewahrt habe! Wie könnte ich sonst Stunden wie diese ertragen!«

Um 9 Uhr erschien Santerre, von 12 Municipalbeamten begleitet, auf der Schwelle.

Der König erhob sich und trat ihm entgegen. »In einem Augenblick können Sie über mich verfügen, mein Freund,« redete er ihn mit fester Stimme und gebieterischer Haltung an, schloß dann selbst die Thür und knieete vor dem Priester nieder, um seinen Segen vor dem schweren Gange zu erbitten.

Mit gefaßtem Antlitz trat der König wenige Minuten daraus aus seiner Thür. Die Majestät des Todes lag in seiner Erscheinung, als er voller Würde und Hoheit durch die doppelte Reihe der Gensdarmen schritt und sein Testament in die Hände Gobeaus, eines Municipalbeamten legte, um es der Königin zu überbringen.

Clery, der Kammerdiener, näherte sich seinem Herrn, er wollte dem Könige den Mantel umhängen, denn der treue Mensch fürchtete, daß sein Gebieter an dem kalten Morgen frieren würde, und daß das Volk einen Frostschauer des Königs als ein Zeichen der Furcht auslegen könne. Ludwig wehrte ihm freundlich, er verstand seine Absicht. »Sei ohne Sorge,« beruhigte er ihn und drückte dem Getreuen die Hand.

»Gehen wir,« gebot er dann und schritt mit Festigkeit die Turmtreppe hinab, während Santerre mit seiner Begleitung ihm mehr zu folgen, als ihn zu eskortieren schien.

Am Fuße der Treppe stand der Thürschließer, welchem der König am Tage zuvor sein unehrerbietiges Betragen mit Heftigkeit verwiesen hatte, jetzt wandte er sich freundlich an ihn. »Verzeiht mir den gestrigen Zorn,« sprach er voll Herzlichkeit, »ich möchte heute keine unvergebene Schuld auf meinem Herzen tragen.«

Finster drehte ihm der Mann den Rücken, und der König schritt weiter, einen sehnsüchtigen Blick nach den Fenstern richtend, welche sein Liebstes bargen. Es war ein stummes, letztes Lebewohl.

Am Eingange des zweiten Hofes erwartete ihn ein Wagen, zwei Gensdarmen stiegen zuerst ein und setzten sich auf den Vordersitz, dem Könige und seinem Beichtiger den Rücksitz überlassend.

Dumpf rollte der Wagen aus dem Thor hinaus in die Straße. Graue Wolken bedeckten den Himmel, und ein eisiger Nebel ließ nur wenige Schritt weit den Wald von Piken und Bajonetten erkennen, die von dem Bastillenplatz aus bis an den Fuß des Schafotts in unbeweglichen Reihen aufgestellt waren. Unheimlich leuchteten die brennenden Lunten der Kanoniere, welche die Mündung ihrer Kanonen auf die Ausgänge der Straßen gerichtet hatten, an denen der Zug vorbei kam. Tiefes Schweigen lag wie ein banger Schrecken auf der Stadt, denn ein strenger Tagesbefehl war erlassen, und die Gesichter der Miliz wie der Soldaten trugen alle einen stumpfen Ausdruck, denn jeder fürchtete durch eine Bewegung der Rührung verdächtig zu erscheinen.

Des Königs Wagen, umringt von Truppen, bewegte sich nur langsam vorwärts. Die sechzig Trommler, welche wirbelnd voran schritten, machten es dem Könige unmöglich, sich mit seinem Beichtiger zu unterhalten, er las in stiller Sammlung aus dem Brevier des Priesters.

Staunen und Wehmut überschlich die Gesichter derer, welche beim langsamen Vorüberfahren die fromme Seelenstimmung des Königs bewundern konnten. Der Ruf »Gnade« ertönte einigemal, aber er erstarb im Tumult und fand kein Echo in der Menge, weil ein jeder in dem Nachbar einen Häscher oder Angeber fürchtete.

Plötzlich stockte der Zug. Durch das Spalier brach in kühner Todesverachtung eine kleine Schar, die mit dem Säbel in der Faust auf den Wagen stürzte.

»Hierher alle, die den König retten wollen,« rief eine klangvolle Stimme, welche den König erbeben ließ.

Ludwig beugte sich vor. »St. Herbert! Batz! Es ist umsonst!« murmelte er feuchten Auges in die glühenden Gesichter der jungen Leute schauend. »Rettet Euch!« fügte er laut mit flehender Stimme hinzu.

Noch einmal wiederholte St. Herbert todesmutig den Ruf, der ein Zeichen für die im Geheimen geworbenen Royalisten sein sollte, welche durch diesen verwegenen Handstreich gehofft hatten, ihren König zu retten; aber die Maßregeln der Republik waren zu scharf gewesen, die Kameraden, durch das Truppenspalier abgeschnitten, hatten so schnell nicht der kühnen, kleinen Schar folgen können, und jetzt antwortete niemand dem verabredeten Zeichen.

Staunen und Überraschung begünstigten die heldenmütigen Verschwörer, die, als sie sich verlassen sahen, sich noch einmal durch die Nationalgarden Bahn brachen und sich in den benachbarten Straßen verloren. Eine Abteilung der Gensdarmerie verfolgte sie und erreichte einige, die diesen Versuch mit ihrem Leben bezahlten.

Unterdessen rollte der Wagen weiter, während des Königs Lippen beteten: »Gott, schütze meine Getreuen.«

Mitten auf dem Revolutionsplatz erhob sich an diesem Tag die Guillotine vor der großen Allee des Tuileriengartens, wie zum Spott dem Palaste der Könige gegenüber. Schon seit Tagesanbruch waren die Umgebungen des Schlosses, die Terrassen der Tuilerien, ja selbst die Dächer der Häuser und die Bäume von einer unabsehbaren Menschenmenge bedeckt, die dem schauerlichen Ereignis entgegen harrte.

Beim Herannahen des Zuges überkam plötzlich eine starre Unbeweglichkeit das gaffende Volk, und als der Wagen wenige Schritte vom Schafott hielt, herrschte Totenstille.

Der König hob die Augen von dem Brevier, in das er sich wieder betend vertieft hatte. »Sind wir angelangt?« fragte er leise den Priester, der ihn mit einem stummen bejahenden Zeichen antwortete.

Die beiden Gensdarmen öffneten den Schlag und stiegen aus. Ludwig legte die Hand auf die Schulter seines Beichtigers. »Meine Herren,« wandte er sich an die Nachrichter, welche an den geöffneten Wagenschlag getreten waren, »tragen Sie Sorge, daß nach meinem Tode diesem Priester keine Beleidigung zugefügt wird.«

Nachdem einer der Scharfrichter ihm Gewährung genickt hatte, stieg der König aus. Die Henkersknechte wollten ihn entkleiden, doch er wies sie mit Majestät zurück, zog selbst seinen Rock aus, löste das Halstuch und schickte sich an, die Stufen des Schaffots zu ersteigen.

Noch einmal näherten sich ihm die Scharfrichter in der Absicht, einen Strick um seine Hände zu winden. Voll tiefer Entrüstung trat der König einen Schritt zurück. »Mich binden,« rief er in einem Tone, aus dem der Stolz seines Stammes sprach, der sich gegen solche Schande auflehnte, »nein, nein, darin werde ich nie einwilligen.«

Die Henker bestanden auf ihrem Recht, und fragend wandten sich des Königs Augen auf den Diener Gottes. »Eure Majestät, gedenken Sie des Heilandes, der mit gebundenen Händen willig die Geißelhiebe seiner Peiniger über sich ergehen ließ. Unterwerfen Sie sich ohne Widerstand dieser neuen Schmach,« mahnte der Priester.

Ludwigs Blick richtete sich zum Himmel empor, dann reichte er selbst den Scharfrichtern die Hände. »Thut, was Ihr wollt,« sprach er, »ich werde den Kelch bis auf den Grund leeren.«

Von dem Arm des Priesters unterstützt stieg er die hohen und glatten Stufen des Schafotts hinauf. Oben angelangt, verließ er seinen Beichtiger und ging festen Schrittes quer über das Schafott, so daß er seinem Palaste gegenüber stand, wo ihn die größte Masse des Volkes sehen und hören konnte. Auf ein Zeichen, das er den Trommlern gab, gehorchten diese mechanisch und schwiegen.

»Mein Volk, ich sterbe frei von allen Verbrechen, die man mir vorwirft,« so hallte die Stimme Ludwig XVI. deutlich und kraftvoll durch die Stille. »Ich verzeihe den Urhebern meines Todes und bitte Gott, daß das Blut, welches ihr vergießt, niemals auf Frankreich zurückfallen möge« ...

Trommeln unterbrachen ihn, ein ungeheures, anhaltendes Wirbeln, das der Chef der Truppen befohlen hatte, übertönte die Stimme des Königs und das Gemurrs der Menge, durch welche ein Schauer lief.

Langsam kehrte der König zur Guillotine zurück; noch einen letzten Blick warf er auf den Priester, den teueren Freund, der am Rande des Schafotts auf den Knieen betete, dann überlieferte er sich den Scharfrichtern.

Als das Haupt Ludwig XVI. gefallen war, zeigte der Henker es dem Volke; fanatische Föderierte tauchten ihren Säbel in das Königsblut und schwangen die geröteten Waffen mit dem donnernden Rufe: »Es lebe die Republik!« Doch die Lippen des Volkes blieben stumm, kein Gegenruf ertönte, Entsetzen lähmte die Zunge und schweigend verlief sich die Menge.

Artilleriesalven verkündeten den entferntesten Vorstädten, daß das Königtum mit dem Könige hingerichtet sei. Banden von Föderierten durchzogen die Quartiere von Paris, jubelten über den Tod des Tyrannen und sangen den blutdürstigen Refrain der Marseilleise. Keine Begeisterung antwortete ihnen, die Stadt blieb stumm, denn Bestürzung war mit der Freiheit in die Wohnungen der Bürger eingezogen, und unheimliches Grauen oder nagende Vorwürfe erfüllten die meisten Gemüter.

Zeitig senkten sich die Schatten der Nacht an diesem trüben Tage auf die Hauptstadt, mit wohlthätigem Dunkel die Schreckensstätte bedeckend, wo das französische Volk so blutigen Frevel an seinem Könige verübt hatte.

Noch immer brausten fanatische Freiheitsrufe durch die Luft, aber sie wurden seltener und schienen in der kalten Winterluft zu erstarren, kein Echo weckte sie zu neuem Leben.

Stiller wurde es und einsamer in den Straßen je weiter die Nacht vorrückte, nur einzelne dunkle Gestalten huschten verstohlen an dem Schafott vorbei. Ihr Fuß zögerte an den Stufen, ein unterdrücktes Schluchzen, ein leise gemurmeltes Gebet ließ erkennen, daß dies Herzen waren, welche die Liebe und der Schmerz um ihren entrissenen König noch einmal nach der Stätte hinaustrieb, wo ihr geprüfter Herrscher in der Stunde seiner größten Erniedrigung so versöhnende Liebe, so hoheitsvolle Majestät zeigte, daß in der Seele seiner Anhänger diese entsetzlichen Augenblicke durch den Glorienschein eines standhaft getragenen Märtyrertums verklärt wurden.

Draußen am Magdalenenkirchhof lag ein armseliges Totenhäuschen. Halb zerfallen, diente es nur zur notdürftigen Herberge für den alten Totengräber, der schon lange seines Amtes entsetzt war, weil er den schweren Dienst nicht mehr versehen konnte. Diese letzten Tage jedoch war das kümmerliche Dach zu einer Zufluchtsstätte für treue Royalisten geworden, und weinende Augen hatten durch die trüben, von Schutt und Spinnweb halb verdeckten Scheiben geschaut, als in einem geschlossenen Karren die Überreste Ludwig XVI. auf den Kirchhof gefahren und in die Grube versenkt wurden.

Keine Blume hatte die Gruft geschmückt, nur ätzenden Kalk warfen die Feinde hinein, um bald jede Spur ihres Königs zu vertilgen. Sie bedachten dabei nicht, daß dieser Königsmord mit ätzender, unvertilgbarer Schrift in die Herzen aller derer geschrieben wurde, welche Schuld an der Frevelthat hatten, und daß die Erinnerung den gemordeten König nimmer in das Grab der Vergessenheit senken würde.

In stiller Mitternacht entstiegen den Kellerräumen des Totenhäuschens verhüllte Gestalten. Eine derselben blieb mit dem greisen Totengräber am Eingange zurück und schaute spähenden Auges umher; matter Mondschein und eine leichte Schneedecke ließen die Gegenstände ziemlich deutlich erkennen.

Die drei anderen, Männer von hohem Wuchs, in dichte Mäntel gehüllt, schritten schweigend, fast lautlos an den Kreuzen und Gräbern vorbei, hin nach der Stelle, wo man Ludwig XVI. die letzte Ruhestätte gegönnt hatte. Der Mond beleuchtete den Platz und warf sein Licht auf die bleichen Gesichter der Männer. Es war der Baron von Batz, Marquis St. Herbert und Graf Dubarry.

Stumm standen sie lange an dem Grabe ihrer Hoffnung. Sie hatten, sich selbst vergessend, ihr Glück und ihr Leben gewagt bei dem Versuch ihren König zu retten, und doch war nun alles umsonst gewesen.

Voll tiefer Wehmut brach Batz endlich das Schweigen. »Wir konnten ihn nicht retten, unseren teuren Monarchen, aber eine letzte Liebesgabe aus treuer Hand wollen wir aus dem einsamen Grabe zurücklassen,« sprach er im Flüsterton und brach einen dunklen Cypressenzweig, den er zu Häupten der Gruft legte.

Dubarry zog aus einer verborgenen Tasche eine lange, wallende Schleife. Er blickte auf St. Herbert. »Es ist das weiße Band,« lächelte er schwermütig, »mit welchem Viktorine mich an jenem verhängnisvollen Feste schmückte, da wir alle gelobten, der weißen Farbe bis in den Tod zu dienen. Sie selbst stickte später goldene Lilien hinein, und nie hat bisher dies teure Wahrzeichen den Platz an meinem Herzen verlassen. Jetzt weihe ich es meinem Könige, dem seine Getreuen wenigstens zeigen durften, dass sie ihm dienen wollten bis zuletzt und das; ihre Liebe und Treue ihn bis zu den Stufen des Schafotts geleitete.«

Während Dubarry das weiße Band um den Cypressenzweig schlang, lehnte St. Herbert die brennende Stirn an den Stamm des Baumes, der ihn stützte. Er war am heutigen Tage durch einen Säbelhieb verwundet worden; eine breite Schmarre lief über seine Stirn, und wenn die Wunde auch in keiner Weise gefährlich war, so hatte doch der Blutverlust und die Aufregung ihn so erschöpft, daß er sich zum Umsinken ermattet fühlte.

Durch die rauhe Rinde des Baumes hatte sich der lose Verband um seine Stirn verschoben, von neuem rieselten einzelne Blutstropfen aus der Wunde und vermischten sich mit den Thränen, die über seine Wangen rollten. Er achtete es nicht. »Ich habe nichts zu geben,« flüsterte er mit versagender Stimme, »nichts, als meine Thränen.«

»Und dein Blut, das für den König floß,« ergänzte Dubarry und zeigte auf den dunklen Tropfen, der auf der weißen Schneedecke des Grabes lag.

Horace seufzte tief, dann stützte er sich schwer auf Dubarrys Arm, und langsam verließen die drei Männer das Grab.

Der Bursche, der mit dem Totengräber die Wache übernommen hatte, schritt den Ankommenden besorgt entgegen. »Es wird doch noch zu viel für uns werden,« klagte er, als er Horaces gebeugte Gestalt sah und die Spuren des Blutes auf seinem Gesicht bemerkte, »was wird unsere junge Frau dazu sagen.«

»Still doch,« beruhigte Dubarry, »bald wird es besser mit ihm. Die Schmarre dort schadet nichts, es ist nur ein Ehrenzeichen, daraus seine Giovanna lesen kann, wie er Königstreue zu halten wußte.«

»Beim blauen Neckarstrom, das verstehen wir.« triumphierte François in stolzer Rührung.

Beim ersten Grauen des Morgens, als Paris sein Leben wieder begann, schritten aus den verschiedenen Thoren der Stadt Männer, deren Gesichter durch die hohen Mantelkragen fast verdeckt und in dem dämmrigen Morgenlichte kaum erkennbar waren.

Indessen war es in dem Totenhäuschen auf dem Magdalenen-Kirchhof einsam geworden, nur der Greis saß darin und schmunzelte vor sich hin, denn der Beutel, welchen er in der Tasche barg, schützte ihn lange vor jedem Mangel.

Draußen aber auf dem Friedhofe hatten leichte Schneeflocken in der Nacht eine weiße Decke über das schmucklose Königsgrab gebreitet und über die Liebesgaben seiner Getreuen. Rauschend zog der Morgenwind durch die Cypressen und streute immer mehr leuchtende Sterne darauf hin. Unter dem weißen Lilienbanner war Ludwig XVI. geboren, jetzt schlummerte er still unter einer weißen Decke, die der Himmel über ihn gebreitet hatte.


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