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Zweites Kapitel.
Schloß Boncourt.

Am 28. November, wenige Tage nach dem besprochenen Feste, hielt ein eleganter Reisewagen vor der Thür des Hotel St. Herbert. François, der Diener des jungen Marquis, hatte bereits das Gepäck aufgeladen und stand wartend am Schlage, von Zeit zu Zeit einen ungeduldigen Blick durch das geöffnete Portal werfend.

Er sollte noch lange warten. Horace hatte von seinen Eltern zwar schon am Abend vorher Abschied genommen, doch hatte er dem Marquis versprochen, ihn vor der Abreise noch in seinem Zimmer aufzusuchen. Er saß in trübes Sinnen verloren, ein Zeitungsblatt in der Hand, und wandte sich erst dem Sohne zu, als dieser schon dicht zu ihm herangetreten war.

»Ich habe dich, wie es mir schien, in keiner erfreulichen Lektüre unterbrochen,« fragte Horace auf das Blatt in den Händen des Vaters deutend.

Der Marquis seufzte. »Es ist die gestern erschienene Deklaration des Königs, die mich mit Sorge erfüllt,« erwiderte er, »danach soll der dritte Stand eine gleiche Zahl Vertreter haben wie die beiden anderen Stände zusammen. So wenig erfahren ich auch in Staatsgeschäften bin, so fürchte ich doch, daß das Königtum dadurch in eine gefährliche Lage gebracht wird, weil es seine Stützen zu Gunsten seiner Feinde schwächt. Ich wage nicht daran zu denken, durch weß Geistes Kinder der dritte Stand vertreten sein wird! Doch da lasse ich mich zum Politisieren fortreißen,« unterbrach er sich. »Gott geleite dich, mein Sohn! Möchte das Ungewitter vorübergezogen sein, wenn du heimkehrst. Mein Herz sehnt sich danach, noch einmal die Sonne des Ruhms über dem schönen Frankreich lächeln zu sehen, weiß Gott, ob ich es je erleben werde.

»Lebe wohl, Horace,« schloß er bewegt. »Du warst mein fröhlicher Sonnenstrahl, es wird dunkler werden, wenn du uns verläßt.«

Das Herz des Sohnes wallte über, als der Vater ihn in die Arme schloß. »Oft schaltest du mich mit Recht einen flatterhaften Knaben,« sprach er, »aber will's Gott, so sollst du, wenn wir uns wiedersehen, in deinem Sohn einen Mann umarmen, dem nicht nur die Liebe dieses gütigen Herzens gehört, sondern mit dem du auch deine Sorgen wie deine Wünsche teilen kannst. Ernste Zeit reift schnell.«

»So sei es,« entgegnete der Marquis und blickte feuchten Auges dem Jüngling nach, als er das Zimmer verließ.

Draußen auf dem Korridor harrte Gilbert des Bruders. Arm in Arm schritten beide die Treppe hinab. »Wenn ich in Nancy Thorheiten begehe, so rufe ich dich,« lächelte Horace wehmütig, »aber ich denke, die Zeit der übermütigen Jugendstreiche ist vorüber, und aus dem tollen Brausekopf, der dir oft soviel Not gemacht hat, soll ein treuer Königskämpe werden.« Noch einen warmen Händedruck tauschten die Brüder aus, dann sprang Horace in den Wagen. »Bringe Viktorine meinen Gruß,« rief er hinaus. Die Pferde zogen an, und das Rollen des Wagens übertönte seine Worte. –

Der junge Offizier hatte seine Reise glücklich zurückgelegt und weilte bereits mehrere Tage in Nancy, ohne daß er wieder an Schloß Boncourt gedacht hätte. Die Neuheit der Verhältnisse, das lustige Leben der Kameraden und die Feste, in welche er sofort mit hinein gezogen wurde, das alles verwischte momentan den ernsten Eindruck der letzten Tage in Paris.

Da geschah es, daß ein zufälliges Wort von François ihn an den verlassenen Ahnensitz in seiner Nähe erinnerte und wieder den Wunsch in ihm weckte, das alte Schloß aufzusuchen. Gewohnt, jeder Regung gleich zu folgen, schickte er François sofort nach Boncourt, um dort seine Ankunft für den nächsten Tag anzumelden und ihm in der Nähe ein Unterkommen für die Nacht zu besorgen.

Als Horace am anderen Morgen erwachte, heulte ein eisiger Wind um seine Fenster und jagte einzelne Schneeflocken durch die Luft. Trotzdem sich das Wetter gegen Mittag nicht aufklärte, wollte er dennoch seinen einmal gefaßten Plan nicht aufgeben, und wohl eingehüllt in Pelz und Decken machte er sich im offenen Jagdwagen auf den Weg.

Die erste Stunde ging es leidlich, denn noch kämpfte die Sonne mit dem trüben Gewölk und sandte ab und zu einen ihrer belebenden Strahlen durch die dunkle Wand; je mehr sie sich aber dem Westen zuneigte, desto kälter ward es. Auch der Weg wurde immer schlechter; ein paar harte Stöße des Wagens weckten den jungen Offizier gar unsanft aus dem träumerischen Halbschlummer, dem er sich hingegeben hatte.

Der Wind zog pfeifend über das Moor, und die Dunkelheit nahm mehr und mehr zu. Endlich fing der Weg an zu steigen, hoher Wald umfing die Reisenden, in den Bäumen rauschte es unheimlich, hier und da brach ächzend ein Zweig und fiel zur Erde. Fast klang es wie ein Stöhnen, wenn die stolzen Bäume ihre Kronen beugen mußten unter der Gewalt des Sturmes. Der düstere Ton paßte schlecht zu den lustigen Tanzmelodien, von denen Horace noch vor einer Stunde geträumt hatte. Vor seinen Augen begann jetzt auch ein toller Tanz zu wirbeln; Schneeflocken fielen, und der heulende Sturm trieb sein Spiel mit den leuchtenden Sternen. Dabei wurde der Weg immer steiler, die Pferde dampften und stießen ein ungeduldiges Wiehern aus. Horace suchte mit scharfem Auge die Dunkelheit zu durchdringen, aber die flackernden Wagenlichter zeigten ihm nur die dürren Äste der Bäume, die sich wie drohende Arme gespenstisch bewegten. Kein lebendes Wesen war zu erspähen, nur ein einsamer Nachtvogel flatterte erschreckt auf, und verließ mit krächzendem Geschrei seine Zufluchtsstätte.

Längst hatte der junge Offizier seine Fahrt verwünscht, da rollte endlich der Wagen knarrend über eine alte Brücke, unter deren Bogen der Waldstrom brauste.

»Das also ist unser Besitz,« seufzte Horace, »ein Eulennest mitten in einem undurchdringlichen Walde!«

So sehr er auch seine Augen anstrengte, er erblickte nur zerfallenes Gemäuer, umgestürzte Säulen und spitze Fensterbogen, durch die der graue Himmel starrte. Wahrhaftig das Schloß schien nur eine Wohnung der Raben zu sein, welche schreiend den Turm umkreisten. Ein großer Hund schlug knurrend an, und gleich darauf hielt der Wagen vor einem alten Portal des östlichen Flügels, der besser erhalten schien.

François harrte hier bereits seines Herrn, um den Schlag des Wagens zu öffnen. Der junge Offizier sprang heraus und warf einen schnellen Blick um sich. Zu beiden Seiten des Einganges erhob sich in Stein gehauen die mächtige Hünengestalt eines Ritters. In früheren Tagen mochte dies einen gar stattlichen Eindruck gemacht haben, jetzt aber, wo der Stein verwittert war, und die kolossalen Recken mit gebrochenem Schild und verstümmelten Gliedern dastanden, gaben sie nur ein trauriges Bild des alten Rittertums, dessen Macht gebrochen und dessen Glanz erloschen war.

Auf den breiten Granitstufen, welche zur Thür hinauf führten, stand St. Pierre, der Verwalter des Schlosses. Das Licht, das aus der geöffneten Halle heraus strömte, fiel voll auf seine kräftige Gestalt und auf die weißen Locken, die noch in reicher Fülle die offene Stirn umrahmten. Es lag eine schlichte Würde in der Art, wie der alte Mann dem jungen Gebieter den Willkommen bot und ihn dann durch die Halle in das einzige noch erhaltene Zimmer des Erdgeschosses geleitete.

Mit Freude blickte der Marquis auf das helle Kaminfeuer und den zierlich gedeckten Tisch, der ihm einladend entgegen winkte, und ein Gefühl innigsten Wohlbehagens durchströmte ihn, als er sich in dem Lehnstuhl am Feuer niedergelassen hatte.

»Ihr müßt das Mahl mit mir teilen, das Ihr mir so freundlich bereitet habt,« wandte er sich an St. Pierre und rückte dabei einen der hochlehnigen Stühle näher an den Tisch. »Es war eine schlimme Fahrt,« fuhr er heiter fort, »ich dachte ich würde das alte Rabennest nie erreichen, und als ich endlich die zerfallenen Mauern sah, war mir der Gedanke höchst fatal, hier die Nacht zubringen zu müssen. Es schien mir, als könnte der Sturm mit Leichtigkeit den Rest des Schlosses in die Tiefe hinunter fegen.«

St. Pierre zeigte auf die dicken Wände in der Fensternische. »Das Schloß Eurer Ahnen ist freilich arg verwittert,« sagte er, »aber diese Wände haben schon schlimmerem Sturm getrotzt als dem heutigen.«

»Eure herzliche Begrüßung, das lodernde Kaminfeuer und der gedeckte Tisch ließen mich schnell vergessen, wie unwirtlich es draußen ist,« versicherte Horace. »Aber kommt, wir haben noch mancherlei von Geschäften zu reden, und es plaudert sich am besten beim Glase Wein.«

Bald war ein lebhaftes Gespräch im Gange. Horace, für jeden Eindruck empfänglich, fühlte sich von der schlichten Weise St. Pierres auf das angenehmste berührt. Es lag eine offene Geradheit in dem Wesen des alten Mannes, verbunden mit den achtungsvollsten Formen eines Untergebenen seinem Gebieter gegenüber. Das Mahl war längst beendet, und noch immer hörte Horace voll Interesse auf die lebhaften Schilderungen, die St. Pierre ihm von den dortigen Verhältnissen gab, und blickte nicht ohne Verwunderung auf die dunklen Augen des alten Mannes, die so jugendlich und lebendig glänzen konnten und einen wunderbaren Gegensatz zu seinem schneeweißen Haar und seiner ruhigen Haltung bildeten. Es war, als hätte sich die ganze entschwundene Jugend des Mannes in diese Augen geflüchtet, welche von Geist und Leben funkelten.

»Wie kam es,« fragte der Marquis endlich, »daß Ihr ein so abgeschlossenes Leben wähltet? Ihr müßt Euch hier einsam fühlen und die geistige Anregung schmerzlich entbehren.«

»Ich bin nicht so allein wie Ihr denkt,« gab St. Pierre lächelnd zurück, »auch stehe ich noch in enger Verbindung mit meinen Pariser Freunden, die mich von allem unterrichten, was dort die Gemüter bewegt. Wollte Gott, es wären bessere Dinge, die ich hörte!«

»Wenn Ihr so warm für das Wohl und Wehe des Volks fühlt, warum sucht Ihr keine Anstellung in Paris?« forschte Horace. »Paris ist der Mittelpunkt, ist das Herz von Frankreich, dort pulsiert das Leben, dahin müßt Ihr gehen.«

»Nein, nicht nach Paris,« unterbrach ihn St. Pierre fast hastig. Seine Stimme klang düster, als er fortfuhr: »Paris wurde das Grab meines Glückes und meiner Liebe. Ich sehe die stolze Stadt, außen Glanz und Schimmer, rauschende Lust und zauberhafter Pomp, aber die Balken, die diesen Prachtbau tragen, sind morsch, und innen gähnt mir ein dunkler Schlund entgegen. Da starrt das Elend heraus, da gähren die Leidenschaften des Volkes und werden zur züngelnden Flamme, die überall Brennstoff findet und schon mit gieriger Zunge an den Pfeilern des trügerischen Baues leckt. Blendender Funkenregen sprüht umher und bethört Hunderte von Jünglingen, die sich an dem schillernden Farbenspiel erfreuen und taub für alle Warnungen, dies höllische Blendwerk für Strahlen geistiger Freiheit halten. Immer weiter öffnet sich der Schlund, immer heißer flammen die Leidenschaften, bis die Bethörten mit ergriffen werden und hinab sinken, tiefer und tiefer, rettungslos ins Verderben!«

Der alte Mann schien Horace völlig vergessen zu haben, das Schreckbild seiner Phantasie, das lebendig vor seiner Seele stand, erfüllte ihn ganz. Er seufzte schwer und bedeckte die Augen mit der Hand.

Im Zimmer war es still geworden, so still, daß man nur das Knistern des Feuers hörte, und draußen das Heulen des Windes. Endlich ließ der Alte die Hand sinken, und richtete sich wieder auf. »Ich bitte um Vergebung,« wandte er sich an den Marquis, »meine Erinnerung und meine bangen Zukunftssorgen überwältigten mich.«

»Ihr seht zu schwarz,« beruhigte Horace, »die Gemüter werden durch die Einberufung der Reichsstände und durch Neckers Rückkehr besänftigt werden. Sollte es aber dennoch geschehen, daß einzelne Tollköpfe unser Volk durch ihre Reden verführten, dann, bei Gott, werden sie es schmählich büßen. Noch lebt der alte Adel und wacht ob der heiligen Majestät des Königs und der Ehre Frankreichs. In fester Königstreue wird er sich zusammen scharen und unerschütterlich dastehen wie ein Fels, um den die brausenden Wogen machtlos toben.«

Der junge Offizier hatte in heißer Erregung gesprochen, Beistimmung erwartend blickte er auf St. Pierre.

Dieser aber schüttelte traurig den Kopf. »Ja, wenn es so wäre, es stände besser um Frankreich,« sprach er ernst, »doch die Blüte des Landes krankt und kann keine kräftige Frucht bringen.«

»Gilt das dem Adel?« fuhr Horace auf, während helle Zornesröte sich über seine Stirn breitete. »Die Heldenthaten unserer Ahnen stehen mit blutiger Schrift in der glorreichen Vergangenheit unseres Volkes verzeichnet. Ist das alles vergessen? Oder meint Ihr, der Geist unserer Ahnen sei von uns gewichen, und habe uns als wesenlose Schatten zurückgelassen? Ich sage Euch, so ist es nicht, so darf es nicht sein! Die ruhmvolle Zeit und der schwelgerische Pomp am Hofe Ludwig des XIV. mag uns eingeschläfert haben, aber wenn die Gefahr heran rückt, so wird sie uns wach und bereit finden, unser Gut wie unser Leben für unseren König und für Frankreichs Ehre einzusetzen!«

St. Pierre war mit sichtlichem Wohlgefallen der leidenschaftlichen Rede des Jünglings gefolgt.

»Ihr seid eures edlen Vaters echter Sohn,« meinte er bewegt. »Wollte Gott, mehr Männer wie Ihr ständen um den Thron von Frankreich, dann würde ich beruhigt in die Zukunft sehen. Die Natur hat Eurem Wesen den ritterlichen Stempel aufgedrückt, den jeder anerkennen wird. Nicht in demütigender Herablassung seid Ihr mir entgegen gekommen, sondern Ihr habt in mir den freien Mann geachtet, der wohl Euer Untergebener, aber nicht ein blindes Werkzeug Eures Willens ist. Darum erkenne ich gern Eure Vorrechte an und freue mich der Begeisterung, mit welcher Ihr der Thaten Eurer Ahnen gedenkt, denn auch Euer Wappenschild, das weiß ich, stammt aus der Zeit Ludwigs des Heiligen. Es thut wohl, seinen Mut an den edlen Thaten der Vorfahren zu beleben, aber schlimm ist es, wenn solch alter Ruhm zum Deckmantel nichtigen Stolzes gebraucht wird. Für solche Überhebung habe ich nur einen geraden Rücken. Wahrlich, die ehrwürdigen Traditionen der alten Geschlechter sollen den Nachkommen nicht zum faulen Ruhekissen dienen, sondern zu einem heiligen Sporn, ihnen nachzueifern. Seht,« fuhr er ruhiger fort, »nie wäre es mit unserem Volke so weit gekommen, wenn jeder Stand sich Zeit gelassen hätte in sorgender Liebe des anderen zu gedenken und ihm die helfende Bruderhand zu reichen. Nur da, wo der Bauer mit dem Edelmanne geht, hat die Revolution keine Aussicht, wo aber der Adel des Bauern vergißt und mißachtend über ihn fortschreitet, dort keimt die Unglückssaat. Wenn die Hauptstadt sich von dem Freiheitsschwindel fortreißen läßt, und der Adel dort zu spät erkennt, was er versäumt hat, dann muß das Land einen Halt für den wankenden Thron bieten. Je fester die Land-Edelleute das Band schlingen, das sie mit ihren Untergebenen verbindet, desto besser ist es für sie und für das Volk, denn ihre Interessen gehen zusammen. Vereint werden sie groß sein und ein starkes Bollwerk bilden.«

Horace blickte sinnend vor sich nieder. Er erkannte, wie recht St. Pierre hatte, und mit einem Gefühl innerlicher Beschämung wurde er sich bewußt, daß auch ihn das verführerische Genußleben der Hauptstadt umstrickt und ihm Zeit und Lust zu ernsten Gedanken genommen hatte.

St. Pierre erhob sich. »Es thut mir leid, daß notwendige Geschäfte mich wohl noch ein bis zwei Stunden fern halten werden,« sagte er. »Vielleicht interessiert es Euch unterdessen, einen Blick in die Familienpapiere zu thun, die ich in meinem Arbeitskabinett aufbewahrt habe. Ihr gestattet mir wohl. Euch hinauf zu geleiten?«

Horace lehnte es dankend ab. Er wollte noch die Eingangshalle einer genauen Musterung unterwerfen, bat aber St. Pierre, ihm den Weg nach seinem Zimmer zu beschreiben, welches er dann später aufsuchen wollte. Dieser willfahrte seinem Wunsche und zog sich dann grüßend zurück.

Der junge Offizier blickte nachdenklich in die verlöschende Glut des Kamins.

Es wurde kälter und düsterer in dem hohen Gemach, ihn fröstelte. Wohl warf er neue Holzscheite in das Feuer und fachte die Flamme wieder an, aber zugleich fuhr ein Windstoß heulend durch den Kamin, und jagte eine dichte Rauchwolke in das Zimmer.

Horace hatte noch mehr Kerzen angezündet und warf einen prüfenden Blick um sich.

Die golddurchwirkte Ledertapete hing an mehreren Stellen lose herab. Oberhalb der Thüren waren Hoch-Reliefs auf lichtbraunem Grunde angebracht, aber alles sah traurig zerfallen aus.

Unheimlich schauten von der Wand die Ahnen herab, die einen in schwarzer Rüstung mit wallendem Helmbusch, die anderen in eleganter Hoftracht, aber alle schienen mit denselben starren Augen zu fragen: »Was thatest du, um den alten Ruhm des Hauses zu erhalten, den wir begründeten?«

Das Blut des jungen Offiziers war in Wallung, seine Phantasie aufgestachelt, er ergriff das Licht und öffnete hastig die Thür zur Halle.

Schlanke Säulen trugen hier das Gewölbe. An den Wänden hingen verblichene Fahnen, verstaubte Rüstungen und verrostete Schwerter.

Es war Horace, als träte er in eine versunkene Welt hinein, als stiegen die Ahnen aus ihrer Gruft, zürnend über das neue Geschlecht. Sein Fuß stieß an den Schild, der in der Ecke lehnte, es gab einen hellen Klang, der in den Gewölben wiederhallte. Dem jungen erregten Manne schien es, als ginge ein Klingen und Tönen durch die Waffen, und als jetzt der Luftzug, der durch die geöffnete Thüre drang, das zerrissene Fahnentuch leise bewegte, als wolle es ihm winken, da griff er nach dem Schild und Schwert, das ihm zunächst stand. Auf dem Kreuzgriff desselben stand der Wahlspruch seiner Väter, » Fidèle à Dieu, au roi, à mon amour,« Treu meinem Gott, meinem Könige und meiner Liebe, las er.

Lange hatte er nicht an das Wort gedacht, es war ihm in dem lachenden Leben der Hauptstadt fast aus dem Sinn gekommen, aber heute trieb ihn eine unwiderstehliche Sehnsucht, die alte Familiensage zu erfahren, welche sich gewiß oben in den Papieren aufbewahrt fand. Er nahm Schwert und Schild mit sich, um die Zeichen darauf mit den Urkunden zu vergleichen.


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