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Sechzehntes Kapitel.
Signora Giovanna Ferruci.

Horace hatte es bei dem Marquis durchzusetzen gewußt, daß eine Fahrt nach Mailand unternommen wurde, von der man erst zurückkehren wollte, wenn Graf Artois wieder in Venedig war.

So finden wir denn etwa acht Tage später die drei Herren in einem der eleganten Hotels von Mailand wieder. Der Wirt hatte sie mit vieler Höflichkeit empfangen und versicherte seinen Gästen eben, daß sie gerade zur rechten Zeit gekommen seien, um heute Abend das große Konzert in der Scala mit anzuhören, das zum besten des niedergebrannten Dorfes Carcona gegeben würde. Signora Giovanna Ferruci, die bisher jede Aufforderung, öffentlich zu singen, entschieden ablehnte, habe diesmal eingewilligt zu singen, da es zu einem mildthätigen Zwecke sei. Dieser Name wirke wie ein Zauber, denn die Schönheit wie die herrliche Stimme und das stolze Zurückziehen der Signora mache sie zu einem Abgott der Mailänder, jung und alt, und man verspreche sich daher heute Außerordentliches von der Einnahme.

Der alte Marquis hatte nur zerstreut zugehört, aber die sonderbare Hast, mit der Horace ein Billet für sich forderte, die wechselnden Farben in seinem Gesichte fielen ihm auf. »Willst du uns diesen Genuß heute Abend nicht gönnen, mein Sohn, daß du nur für dich sorgst?« scherzte er.

»Ich bitte um Vergebung, ich hielt die Herren für zu ermüdet von der Reise,« entschuldigte sich der Jüngling, löste eilig die anderen Billets und zog sich dann in sichtlicher Erregung auf sein Zimmer zurück.

Das mächtige Theater della Scala, das man vor dreizehn Jahren nach dem Muster des Carlo Theater in Neapel erbaute, war am Abend glänzend erleuchtet, und die vielen Bogen, welche sich in sechs Reihen übereinander erhoben, auf das reichste gefüllt, alles harrte gespannt dem Anfange entgegen.

Die brausende Orchestermusik begann, aber mit südlicher Lebendigkeit und italienischer Ungezwungenheit unterhielt sich noch das Publikum, und kaum die Hälfte achtete auf die herrliche Musik, die sie umrauschte.

In einem der ersten Bogen, vorn an der Brüstung saß der alte Marquis mit Bertier, wider seinen Willen von einem älteren Herrn an seiner anderen Seite unterhalten. Es war der Direktor der italienischen Oper, der es sich zur Pflicht machte, den vornehmen Fremden auf alle Schönheiten der Scala aufmerksam zu machen. Jetzt nahm das Gespräch eine andere Richtung, die den Marquis mehr zu interessieren begann.

Der Direktor sprach von Signora Giovanna Ferruci, dem Stern des Abends, wie er sie nannte, deren Stimme voller und klangreicher sei, als die seiner ersten Primadonna, und deren Schönheit alle überstrahle.

»Begreifen Sie meine Verzweiflung,« rief der lebhafte Herr, indem er den Arm des Marquis erfaßte, »diese Perle kann ich nicht für meine Oper erwerben, sie widersteht hartnäckig meinen Bitten, den Versprechungen des höchsten Gehaltes, allem, allem. So sanft sie blicken kann, sie ist dennoch stolz und spröde, diese verwöhnte Schöne, denn vergebens ringen unsere jungen Männer um ihre Gunst, sie bleibt kalt wie Eis. Die ersten Familien haben ihr die Häuser geöffnet, und es gilt als Auszeichnung, von ihr Unterricht im Gesang zu erhalten. Um ihr erstes Auftreten in Italien als Lehrerin zu erleichtern, riet man ihr den Namen ihrer Mutter zu tragen, welche eine Italienerin war. Ihr Vater, der alte St. Pierre, mit dem sie lebt, ist Franzose und hat erst seit zwei Jahren Frankreich verlassen.«

Der Marquis wußte genug, wie Schuppen fiel es von seinen Augen, sein Blick hatte Horace gestreift, der im Hintergrund der Loge stand. Die Lippen des Sohnes waren fest geschlossen, als wollten sie keinen Laut entschlüpfen lassen, die Augen starrten auf die noch leere Bühne, und die Hand, die auf dem Sessel ruhte, zitterte merklich.

Da schwieg die Musik, noch einmal sprach alles bunt durcheinander, bis plötzlich wie auf einen Zauberschlag das Reden verstummte. Am Arm des Impresario erschien Giovanna; ein weißes Seidenkleid umfloß in glänzenden Falten die schlanke Gestalt, das reiche Haar trug als einzigen Schmuck eine rote Kamelie.

Brausendes Entzücken durchwogte den Saal, als das schöne Mädchen sich verneigte. » Eh viva Giovanna! Eh viva la bella!« scholl es durch die weiten Räume der Scala.

» Eh viva Giovanna,« wiederholte Horace unbewußt und beugte sich weit vor mit geröteten Wangen und leuchtenden Augen.

Durch den stürmischen Jubel der Menge hatte der Marquis die bewegte Stimme des Sohnes vernommen. Er blickte sich um, solche Seligkeit hatte er noch nie in Horaces Zügen gesehen.

Wieder war tiefe Stille eingetreten, man lauschte atemlos, denn eben setzte Giovanna in leisen, weichen Tönen ein. Es war die Arie der Ariadne, die auf einsamer Insel erwachend, Theseus sucht und sich von ihm verlassen findet. Glockenrein schwollen die Töne an, aus der wunderbar ergreifenden Stimme sprach Angst und heißes Sehnen. Als Ariadne den Theseus wieder und wieder gerufen, als das bange Sorgen in Verzweiflung übergeht, da rang es sich wie ein Schmerzensschrei aus der jugendlichen Seele. Der bebende Klang der sonoren Stimme drang in aller Herz, und kein Auge blieb trocken.

Das war kein berechnetes Tonstück, das war eine volle, reiche Seele, die ihr innerstes Leben in das wogende Tönemeer hineinlegte.

Der letzte ersterbende Seufzer war verhallt, noch zitterte er in den bewegten Herzen nach. Lautlose Stille herrschte einen Moment, dann brach er los, der endlose Jubel, daß das Haus widerhallte von dem stürmischen Beifall.

Dem Marquis wurde es eigen zu Sinn.

Er suchte mit den Augen Horace, doch dieser hatte eben still seinen Platz verlassen und war hinaus geeilt. Das heiße Blut, das ihm zu Kopf und Herzen stieg, drohte ihn zu ersticken. Ruhelos ging er draußen auf und ab und wagte sich nicht wieder hinein.

Vor einer kleinen Seitenpforte hielt ihr Wagen; dort stellte er sich auf, um im Schatten eines Pfeilers, ihrer Abfahrt zu harren.

Das Konzert war zu Ende. Die Thore der Scala öffneten sich, und hinaus strömte die Menge, begeisterte Worte auf den Lippen, die gehörten Melodieen summend und entzückt wiederholend: » Eh viva Giovanna la bella

Um den Wagen bildete sich bald aus der Jugend Mailands eine dichte Gruppe. Horace stand mitten unter ihnen, er blickte auf diese beweglichen Menschen, deren Abgott Giovanna war und die sich nicht einen Augenblick besonnen hätten, die Schwerter zu kreuzen, um die Blume zu erringen, die heute Abend ihr Haar schmückte. »Und dieses Kleinod ist mein, wenig mein,« flüsterten seine Lippen.

Da rauschte ein seidenes Kleid, und am Arme St. Pierres trat Giovanna auf die Schwelle. Wie eine Königin so ehrfurchtsvoll wurde sie von den jungen Leuten begrüßt, sie verneigte sich freundlich dankend und schritt dem Wagen zu, ihre lange Schleppe streifte dabei Horace, den es wundersam durchrieselte.

Während sie mit ihrem Vater einstieg und der Impresario ihr die Blumen und Kränze hineinlegte, mit denen man sie überschüttet, hatten die jungen Leute die Pferde ausgespannt und schickten sich an, »Mailands Stern« im Triumph durch die Straßen zu ziehen.

Vergebens suchte Giovanna die jungen Feuerköpfe von ihrem Vorhaben abzulenken, begeisterte Rufe übertönten ihre sanfte Bitte, und unter stürmischem Jubel rollte der Wagen dahin.

Giovanna hatte die Hand auf den Wagenschlag gelegt und sich halb hinaus gebeugt, jetzt war sie Horace so nahe, daß der Nachtwind eine ihrer losen Locken über seine Stirn trieb. Nicht länger konnte er der Versuchung widerstehen, leise umschlossen seine Finger die zarte Hand. » Dolce carissima mia,« meine süße Geliebte, flüsterte er ihr zu.

Die Hand ward ihm hastig entzogen und das Licht der Laterne, das eben voll auf ihr Antlitz fiel, zeigte ihm die plötzliche Blässe, die sich darüber breitete, und den erschreckten Blick der Augen.

Schritt für Schritt folgte Horace dem Wagen. »Jetzt muß sie ganz mein werden in diesem sonnigen Italien,« murmelte er, »als mein geliebtes Weib soll sie mein Schutz und meine Freude sein in dieser stürmischen Zeit.«

Vor Giovannas Thür hielt der Wagen. Der Marquis hatte sie mit St. Pierre aussteigen sehen und hatte wohl bemerkt, wie ihre Augen, während sie den jungen Leuten in herzlicher Weise dankte, zugleich ängstlich suchend über die Menge schweiften.

Einen Moment nur zögerte der Jüngling ihr zu folgen, dann eilte er nach der Thür, die sich eben hinter der Geliebten geschlossen hatte.

Auf sein hastiges Pochen öffnete ihm eine Dienerin.

»Ich bringe Eurer Herrin Grüße aus Frankreich, führt mich zu ihr,« gebot der Marquis. Das Mädchen fügte sich der Weisung, die mehr wie ein kurzer Befehl lautete, ließ den Fremden ohne Widerrede ein und wies ihm das Zimmer der Signora.

Geräuschlos öffnete Horace die Thür und trat ein. Auf dem Sopha, in der Nische ihm gegenüber, halb sitzend, halb ruhend, sah er die Geliebte. Neben ihr lag die reiche Blumenspende, die Trophäen des Abends, welche sie achtlos beiseite geschoben hatte. Sie hielt den Kopf auf die Hand gestützt und blickte träumerisch auf den silbernen Lichtglanz, den ein voller Mondstrahl in das Zimmer warf.

» Giovanna, dolce carissima mia,« tönte es da jubelnd und flehend zugleich zu ihr hinüber. Sie sprang auf – das war derselbe Ton, derselbe Ruf wie jener, der sie vor kurzem hatte erbleichen machen. Banges Erwarten, seliges Hoffen sprach aus den dunklen Augen, die nach der Thüre starrten, wo im Schatten der Vorhänge eine hohe Gestalt stand.

Doch ehe sie wußte, wie ihr geschah, hielten starke Arme sie umschlungen, ihr Haupt ruhte an treuer Brust, und sie fühlte den heißen Kuß, den der Geliebte auf ihre Stirn preßte.

Was diese beiden jungen Herzen in der ersten Stunde seligen Wiedersehens empfunden, das vermag kein Dichter auszusingen und keine Hand auf Papier oder Pergament wieder zu geben. Es ist wie ein zauberhafter Traum, wie ein süßes Geheimnis, das nur die begreifen können, denen es vergönnt war, einmal einen Blick thun zu dürfen, in das Paradies einer reinen, geheiligten Liebe.

Durch das Fenster zog die Nachtluft kosend hinein und brachte vereinzelte Rufe der jungen Leute, die, am Fenster vorüberziehend, begeistert ihr » eh viva Giovanna,« riefen. Der zitternde Mondstrahl umzog die Häupter des jungen Paares und übergoß es mit einem Glorienschein. Leise nur kamen abgerissene Worte über ihre Lippen, und auch nur flüsternd fragte Giovanna jetzt: »Wie fandest du mich auf, Geliebter, was bringt dich zu mir?«

»Was mich zu dir bringt, meine Waldfee?« wiederholte er selig, »die alte Liebe und neues Hoffen. Denn du sollst mein Weib werden in diesem berauschenden, sonnigen Italien, wo die Herzen der Menschen schneller pochen und das Blut heißer durch die Adern rinnt.«

»Das Mädchen richtete sich aus seinen Armen auf und blickte ihn mit bangen Augen an. »O Horace,« seufzte sie beklommen, »in dem Augenblick, da ich dich wiedersah, vergaß ich alles, alles, nur unsere Liebe nicht. Ich darf ja nicht dein sein, dein Vater wird die Schwester des Rebellen zürnend von sich stoßen. Laß mich, Geliebter,« flehte sie rührend, »es war Glücks genug, daß ich dich wiedersah und wissen durfte, daß dein Herz unwandelbar mein geblieben ist.«

Doch Horace nahm ihre widerstrebende Hand fest in die seine. »Soll die fanatische Thorheit eines mißleiteten Jünglings unser Lebensglück zerreißen? Oder hast du Beweise, daß dein Bruder auf der schlimmen Bahn fortschreitet?«

Giovanna schüttelte den Kopf. »Er lebt jetzt ganz abgeschlossen, denn allmählich öffnen sich seine Augen, und er durchschaut mit Entsetzen Marats Pläne und Robespierres Ziel, das lese ich aus den kurzen, verbitterten Zeilen, die ich von ihm erhalte.«

»Daß dein Bruder sich von dem politischen Treiben mehr zurückzuziehen scheint, erleichtert für mich die Schritte, dich zu erlangen,« tröstete Horace. »Mein Vater ist hier, er hat dich heute Abend gesehen und gehört, er kann und wird mir seinen Segen nicht mehr vorenthalten.«

Freude und Erschrecken erfüllte Giovannas Herz: »Dein Vater hier, o Horace, glaubst du wirklich, er könnte mich als Tochter aufnehmen? Du darfst ihm nichts verschweigen von des Bruders Schuld, stände auch unser ganzes Glück auf dem Spiele.«

»Er soll alles erfahren,« beruhigte der Jüngling das erregte Mädchen. »Hier, fern von den Pariser Einflüssen, kann mein Vater dich besser kennen lernen. Er wird es begreifen, daß es für mich kein Glück ohne dich giebt.«

»Wenn deines Vaters Hand segnend aus meinem Haupte ruht, dann will ich dein sein, sonst nimmer.«

Horace zog die Geliebte fester an sich. »Komm,« drängte er, »führe mich zu deinem Vater, damit ich so schnell wie möglich mit ihm die nächsten Schritte besprechen kann.«

»Nicht jetzt,« bat sie, »der Vater ist traurig gealtert; unvorbereitet würde dein Anblick ihn übermannen, er mahnt ihn zu schmerzlich an Schloß Boncourt und an des Bruders Schuld. Erst wenn ich mit ihm gesprochen habe, dann suche ihn auf. Geh jetzt, Geliebter, der Vater kann jeden Augenblick kommen. Auf Wiedersehen morgen, seliges Morgen!«

Zögernd erhob sich der junge Marquis. »Ich weiß noch nichts von dir und deinem Leben,« zürnte er. Doch sie drängte den Widerstrebenden sanft zur Thür. »Weiß ich denn schon, wie du mich aufgefunden hast?« lächelte sie. »Das mußt du mir morgen erzählen.«

Er hielt sie innig umschlossen und küßte die Augen, die so strahlend zu ihm aufschauten. » Adio carissima mia,« flüsterte er ein über das andere Mal.

Als der junge Marquis das Hotel erreichte, erfuhr er dort von Bertier, das eben erhaltene Briefe den Vater bestimmt hätten, morgen um 11 Uhr nach dem Lago Maggiore aufzubrechen, um am 22. den Grafen Dubarry in Stresa zu treffen. Mit freudigem Blick und hoffnungsvollem Herzen bestieg Horace am anderen Tage den Reisewagen, er hatte von Giovanna die Briefe Guiseppes empfangen, die ihn, was die Gesinnungen des jungen Schwärmers betrafen, sehr beruhigten. Von ihr hatte er auch erfahren, wie sie nach Mutter Ilsens Rat nach Italien gegangen sei, um ihre Stimme auszubilden und dann dort Unterricht im Gesange zu erteilen. Die kluge alte Dame hatte richtig berechnet, daß es eine Wohlthat wäre, Giovannas Thätigkeit einen bestimmten Zweck zu geben. Auch St. Pierre hatte der junge Marquis begrüßt, ihn aber traurig gealtert gefunden.

»Wenn Euer Vater Guiseppes Schwester als Tochter aufnehmen will, so habe ich nichts anderes zu thun, als Gott zu danken, daß ein so lichter Sonnenstrahl noch in mein trübes Alter fällt. Er selbst. Euer edler Vater, soll einzig und allein Richter darüber sein, ich beuge mich seinem Willen, wie Giovanna es thun wird, und wie ich es in gleicher Weise von Euch erwarte,« so hatte der alte Herr erklärt, und mit einander waren sie dann übereingekommen, daß das erste Begegnen auf der Isola bella stattfinden solle.

St. Pierres Wunsch war es gewesen, vorläufig den Marquis noch nicht zu sehen, und man hatte verabredet, daß Mutter Ilse, die jetzt in Bellagio wohnte, Giovanna nach der Isola bella begleiten würde, wohin Horace mit seinem Vater kommen wollte.

So war alles geordnet, und mit bangem Erwarten sah der junge Marquis dem Tage entgegen, der über sein Lebensglück entscheiden sollte.

*

Die Sonne stand schon tief im Westen, als wenige Tage später in Stresa ein Kahn vom Lande stieß und über die klaren Fluten des Lago Maggiore glitt. Der Marquis St. Herbert mit seinem Sohne saß darin; Bertier war zurück geblieben.

»Am Sonntag, wenn das Ave Maria eingeläutet wird, bin ich auf der Isola bella,« hatte Giovanna gesagt. Eine viertel Stunde fehlte noch daran, und in dieser Frist konnten sie die Insel erreichen.

Der alte Marquis schaute auf die lieblichen Ufer des Sees, doch seine Gedanken waren bei seinem König. Voll Spannung erwartete er Dubarrys Eintreffen, der ihm Nachricht geben sollte, wie es um die Sache seines Monarchen im Auslande stände.

Immer näher kam man der Insel, sie hob sich wie ein paradiesisches Eiland, umkrönt von Orangen und Myrten aus den Fluten. Oben auf der höchsten Terrasse stand, an das Marmorgeländer gelehnt, eine weibliche Gestalt; Horace erkannte die Geliebte.

Da tönten von der Insel herüber die Glocken zum Ave Maria. Der Schiffer zog die Ruder ein, nahm den breitkrempigen Strohhut ab und betete still sein Abendgebet. Golden tauchte westwärts die Sonne in die Fluten, und warf einen rot-violetten Schimmer über die ferne Bergkette. Tiefe Ruhe lag über dem See und den Ufern, nur die Glocken klangen, und flüsternde Gebete stiegen empor.

Als der Kahn landete, schritten die beiden Herren durch die Laubgänge von dunklen Cypressen und blühenden Myrten langsam hinauf.

»Was beschäftigt dich so sehr?« fragte der Marquis den schweigenden Sohn.

»Horace schrak aus seinem Sinnen aus. »Meine Gedanken waren bei der Gondelfahrt in Venedig, ich gedachte des Dogen Ziani, dessen Herz vereinsamt blieb, weil man ihm sein höchstes Gut, seine Liebe entrissen hatte. Ich begreife das,« fuhr er in steigender Erregung fort, »wie jenes Heldenmädchen von Venedig sich selbst opferte, um den Verlobten dem Vaterlande zu erhalten, so opferte sich die Geliebte meines Herzens bereitwillig, als sie glaubte, zwischen meiner Pflicht und meiner Liebe zu stehen. Um mir den Kampf zu ersparen, verließ sie Boncourt und ging nach Italien, ohne daß ich wußte, wo sie zu suchen sei. Vater, jetzt weißt du, welch hoher Sinn dies Mädchen beseelt, dessen Liebe mich zu allem Guten anfeuerte, das ich je vollbringen durfte, dessen Gebet mich in den Versuchungen schützte und dem ich Treue halten werde bis in den Tod. Laß dein mildes, großes Herz sprechen, wenn jetzt der gefürchtete und ersehnte Augenblick kommen wird, wo St. Pierres Tochter vor dir stehen wird.«

Der Marquis hielt seine Schritte an. »Ist St. Pierre dort oben?«

»Nein, nicht er,« entgegnete Horace, »aber Signora Giovanna Ferruci, die erste und einzige, tiefe und heiße Liebe deines Sohnes.«

Eine Pause entstand, der alte Marquis atmete schwer. »Was war es, das St. Pierre und seine Tochter von Schloß Boncourt forttrieb?« forschte er endlich. »Gilbert machte mir nur dunkele Andeutungen darüber.«

Horace fühlte die Augen des Vaters fest auf sich gerichtet, als wolle er bis auf den Grund seiner Seele lesen. »Giovanna hat einen Bruder,« hob er an, »die gleißnerischen Reden der Freiheitsschwindler haben den fanatischen Jüngling bethört. Er stürmte die Bastille und stand in den Oktobertagen in Versailles deinem Sohne gegenüber!«

Flammende Röte überzog das Gesicht des Marquis, er fuhr mit der Hand nach der Seite, wo er seinen Degen zu tragen pflegte, aber er schwieg.

Horace fuhr fort: »Diese Thaten des Sohnes haben des Vaters graues Haupt gebeugt, haben Giovanna fortgetrieben, deren hoher Sinn davor zurückschrak, als Schwester des Rebellen dem Royalisten die Hand zu reichen. Nur meinen Pflichten, meinem Könige sollte ich leben, und ihr Bild mir in der Erinnerung tragen, so wollte sie es. Aber Gott hatte Mitleid mit unserem Schmerz, er wandte das Herz des Bruders, daß er still stand auf der schlüpfrigen Bahn und jetzt, verzweifelnd an den Männern, denen er vertraute, mit dumpfer Reue auf sein Werk sieht.

Der Marquis sprach kein Wort, sein Antlitz war noch immer gerötet, während er anfing weiter zu schreiten. Als eine Biegung des Weges ihnen am Ausgange der Allee Giovanna neben einer älteren Dame zeigte, legte Horace die Hand auf seinen Arm. »Sei gütig, mein Vater,« bat er, »dort ist Giovanna!«

Es war eine zeremonielle Vorstellung, ein gemessenes Begrüßen, als die Herren die Signora mit ihrer Begleiterin erreichten. Diesmal war es die schlichte Art der freundlichen Matrone und der feine weltmännische Takt des alten Marquis, der über den peinlichen Moment der Begegnung hinfort half und ein ruhiges Gespräch ermöglichte.

Aus Giovannas lieblichem Gesicht war für den Augenblick jede Spur von Farbe gewichen, auch Horace war bleicher geworden, und nur abgebrochen kamen die Worte über seine Lippen, als er der alten Dame die Hand küßte, und seine Freude über das Wiedersehen aussprach.

Die Matrone schritt mit dem alten Marquis voran, während die beiden anderen folgten.

Nachdem St. Herbert sich eine Weile mit der alten Dame unterhalten hatte, wandte er sich an Giovanna. »Signora, wenn ich mich nicht getäuscht habe, sah ich Sie vorhin auf der obersten Terrasse stehen; von dort aus muß man eine herrliche Aussicht haben. Wollen Sie mich noch einmal dorthin begleiten, damit auch ich den Blick genießen kann?« bat er.

»Mut, mein teures Mädchen,« flüsterte Horace der Geliebten zu, als sie an ihm vorbeischlüpfte, um zu seinem Vater zu treten.

»Signora,« sprach dieser ernst, »uns beiden liegt eine gewichtige Sache am Herzen, wir wollen klar und ohne Umschweif daran gehen. Wie ein Paar ehrliche Kämpfer wollen wir es mit einander ausmachen und ohne Groll uns dann trennen, wenn auch einer oder der andere von uns eine Wunde aus dem Gespräch heimtragen sollte. Habt Ihr Vertrauen zu mir?«

»Volles und unbegrenztes,« antwortete sie leise, aber in zuversichtlichem Ton, ihr Herz wurde stille, sie wußte, daß sie vor der Entscheidung ihres Lebens stand, aber sie fühlte auch, daß ein Paar milde Augen auf sie schauten, und daß das Urteil, welches diese feingeschlossenen Lippen aussprechen würden, nur ein mildes sein konnte.

»Ich begreife die Liebe meines Sohnes und würdige sie,« begann der alte Herr mit freundlicher Stimme. »Stände es um Frankreich noch wie vor 10 Jahren, ich würde mit Freuden den »Stern Mailands« als meine Tochter begrüßen. Aber die düstere Zeit, die uns umgiebt, fordert eine andere Sprache von mir. Gott und der König voran und dann erst meine Liebe, mein Glück, so gelobten es die Ahnen. Euer hohes Pflichtgefühl ließ Euch den rechten Weg wählen, als Ihr Boncourt verließet, die Schwester des Bastillenstürmers konnte der Royalist nicht als Tochter aufnehmen.«

Aus des Mädchens Augen rollten schwere Thränen und fielen auf ihre gefalteten Hände. Der Marquis sah sie nicht an, es entstand eine peinliche Pause, endlich fragte er: »Wie steht es jetzt um Euren Bruder?«

»Seit jenem Verbrüderungsfeste, da er mit dem Könige denselben Eid schwur, bewegte ihn nur das eine Streben, diesen Schwur zu halten. Damals hoffte er zuversichtlich, aus dem morschen Bau würde sich ein neues Frankreich erheben, jetzt aber ist sein Blick geschärft, er erkennt seine Täuschung und zieht sich verzweifelnd in sich selbst zurück; von allen Ausschreitungen hält er sich fern und eifert weder mit Wort noch That gegen die Königstreuen. Was seine Seele für Hoffnung hegt, ich weiß es nicht, aus seinen Zeilen an mich spricht nur tiefe Niedergeschlagenheit.«

»Die Jugend träumt noch immer davon, daß bald wieder die Friedenssonne dem armen Frankreich lächeln könne, aber das Alter denkt anders,« seufzte der Marquis. »Vor meinem Geiste steht furchtbar eine Schreckenszeit, und in meinem Ohre klingen die Weissagungen des edlen Cazotte, der vor Jahren, als Paris noch jubelte und schwelgte, seine düsteren Prophezeiungen in einen fröhlichen Festkreis hinein warf. Er sah, wie sich ein blutig roter Streifen um den Hals vieler legte, die dort scherzten. Die Festmusik verwandelte sich für ihn in gedämpften Trommelwirbel, er erblickte sich selbst zum Schafotte schreitend. Er sah – ... o Gott, es war ja nur ein Schreckbild ... er sah den König und die Königin denselben Weg gehen.«

Wie Stöhnen hatten die letzten Worte geklungen, und in unsäglicher Angst legte der Marquis die Hände über das Angesicht.

Tief erschüttert blickte das Mädchen auf ihn. Bleich stand sie da und nur schüchtern wagte sie die Hand auf seinen Arm zu legen. »Ich begreife alles,« flüsterte sie. »Wenn Ihr so furchtbare Zeiten ahnt, muß Euer Sohn an Eurer Seite zu seinem Könige stehen. Aber die Schwester Guiseppe St. Pierres darf nicht neben ihm sein, die Thaten des Bruders stehen noch in zu frischem Andenken in Paris.«

Der Marquis hatte die Hände sinken lassen. »Signora Giovanna,« sagte er, und seine Stimme klang eigentümlich scharf an des Mädchens Ohr und Herz, »wenn solche Schreckenszeit ausbricht, könnt Ihr einstehen für Euren Bruder? Könnt Ihr mir sagen, auf welche Seite er sich stellen wird?«

Des Mädchens Hände falteten sich krampfhaft, leise, fast widerstrebend kam ihre Antwort. »Ich hoffe es zuversichtlich, daß er nie den Arm gegen den König und seine Getreuen erheben wird, er schwur es mir. Ob er aber den Mut und den Willen hat, mit seiner Partei, die weiter ging als er ahnte, offen zu brechen und sich auf die Seite derer zu stellen, die er einst bekämpfte, das weiß ich nicht – das glaube ich nicht.«

Bebend hatte sie das Letzte gesprochen und blickte flehend auf den Marquis, während sie fortfuhr: »Ich will Eurem Sohne nicht angehören, wie wir während der letzten Tage hofften, nur für ihn beten will ich und ihn aus der Ferne lieben. Ich nehme Euch, ich nehme seinem Könige nichts, wenn ich ihn bitte, die süße Erinnerung an ein vergangenes Glück still in der Seele zu bewahren. Und ihr werdet von St. Pierre und seiner Tochter nicht niedriger denken, weil ein Flecken auf unserem Namen klebt. Sprecht gütig von uns zu Eurem Sohne.«

Die Stimme des Mädchens versagte ihr, und auch die Augen des Marquis wurden feucht. »Bei Gott, das will ich,« gelobte er und küßte ihre Hand. »Wenn Frankreichs König Horace nicht mehr braucht, dann rufe ich die Tochter St. Pierres, daß sie die Marquise St. Herbert werde, die Wonne meines Sohnes, das Weib seiner Liebe.«

Wie von einem seligen Traum umfangen, blickten die dunkelen Augen zu ihm auf. »So gebt Ihr uns Hoffnungen?« flüsterte Giovanna. »Ihr wollt mir Eure Arme öffnen, wenn ...«

»Nicht ich,« unterbrach sie der Marquis sanft, »meine Zeit ist dann um, so furchtbare Stürme brechen einen morschen Stamm, bald wird man mein müdes Haupt zur Ruhe betten. Aber Ihr sollt wissen, daß ich dann aus den Himmelshöhen den Segen erbitte für Herzen, welche die Treue zu halten wissen in der Liebe wie in der Pflicht.«

Das Mädchen umfaßte bittend die Hand des alten Herrn. »Werft nicht so dunkelen Schatten auf die süße Hoffnung, die Ihr in uns erweckt,« flehte sie. »Laßt es Eure Hand sein, welche segnend auf unserem Haupte ruht, wenn Gott uns den wonnevollen Tag beschert, wo wir durch des Priesters Spruch vereinigt werden.«

Der Marquis betrachtete voll tiefer Rührung das schöne Mädchen. »Wären die Zeiten anders,« seufzte er, »der Abend meines Lebens könnte noch freudevoll werden. Glaubt mir, Signora Giovanna, die Liebe zu einem solchen Mädchen hätte ich nimmer aus Horaces Herzen reißen wollen noch können. Ich weiß, wer einmal geliebt hat, wahrhaft geliebt, dem erscheint alles andere irdische Glück daneben schal und inhaltlos. Den Jüngling, dem man unbedacht eine so heilige Liebe entreißt, den stößt man hart in des Lebens Not und Schmerz, und erst nach bitteren Kämpfen erlangt solch ein armes Herz Ruhe, aber die Sehnsucht nach dem verlorenen Paradiese der ersten Liebe vergißt es nimmer.«

Hinter den beiden rauschten die Büsche, Horace trat auf sie zu. Ein schneller Blick auf des Vaters bewegte Züge, auf Giovannas feuchte und doch wunderbar leuchtende Augen, beruhigten ihn. »Bertier kommt soeben,« berichtete er, »um dir mitzuteilen, daß Graf Dubarry angelangt ist und deiner in Stresa wartet.«

»So laßt uns aufbrechen,« mahnte der Marquis. »Signora, darf ich um ihren Arm bitten, die Damen begleiten uns vielleicht auf der Rückfahrt, da sie auch in Stresa wohnen.«

Er führte Giovanna die Terrasse herab, während Horace mit der Matrone folgte, deren sanftes Gesicht eine stille Freude zeigte. Unten angelangt, stellte der Marquis den Damen Bertier vor und übernahm es dann selbst mit ritterlicher Artigkeit, ihnen in den Kahn zu helfen.

Die Ruder des Schiffers tauchten in den Silberstreifen, den das Mondlicht auf den See warf, und wie Tauperlen glitzerten die Tropfen an den Rudern, wenn sie sich plätschernd aus dem Wasser hoben.

Der Marquis beugte sich zu Giovanna, die an Horaces Seite ihm gegenüber saß. »Zürnt ihr dem alten Manne,« fragte er, »daß er das Glück seiner Kinder in unbestimmte Ferne hinausschiebt, weil er die Pflichten gegen seinen Monarchen jetzt jedem anderen Gefühle vorausschickt?«

»In meiner Seele wird nur der Dank für die Güte leben, mit der Ihr zu der Fremden spracht, und Verehrung für den edlen Royalisten, der seinem Könige alles opfern will!« gab das Mädchen sanft zurück.

»So segne dich Gott, meine Tochter,« sprach der alte Herr in tiefer Rührung, »möchte der Tag einst anbrechen, wo ich dies liebe Haupt mit der bräutlichen Krone schmücken darf.«

Giovannas Augen gaben ihm eine bessere Antwort auf seine Worte, als ihre zitternden Lippen es vermocht hätten. Horace stürmischen Ausruf wies er lächelnd zur Ruh. »Still, still,« bedeutete er ihm wehmütig, »wir sind noch nicht so weit.«

Leise zog der Kahn seine Spur durch die Flut, in der sich Milliarden Sterne spiegelten. Bertier that, als sähe und hörte er nichts, und sprach angelegentlich mit der alten Dame, aber von den dreien, die an der anderen Seite des Kahns saßen, sprach keiner mehr ein Wort. Horace hielt die Hand der Geliebten, er schaute in ihr Antlitz, um sich die teuren Züge immer fester einzuprägen, und sie lächelte ihm selig zu. Der alte Marquis aber blickte mit umflorten Augen in die unbestimmte Ferne und nickte dabei leise mit dem weißen Haupte, als wollte er ein geliebtes Traumbild grüßen.

Mit einem harten Stoß lief der Kahn am Ufer auf, zerriß den Faden von Bertiers Erzählung und weckte die anderen aus ihren Träumen. Ein Bote des Grafen Dubarry überbrachte die Nachricht, daß sein Herr den Marquis erst in einer Stunde aufsuchen könne.

»So werden wir die Damen nach Hause geleiten,« entschied der Marquis, und nachdem Bertier sich, Geschäfte vorschützend, verabschiedet hatte, schickte mau sich zum Heimwege an. In den Laubgängen herrschte fast völlige Dunkelheit, nur von der Lampe, die vor dem Madonnenbilde brannte, fiel ein matter Schein auf den Weg.

Der Marquis war erst wenige Schritte gegangen, als er bemerkte, wie eine hohe Gestalt sich vor ihnen von der Bank erhob und ihnen entgegen kam.

Jetzt fiel der Lampenschein voll auf die kummervollen Züge St. Pierres, der sich vor dem Marquis verbeugte. Gegenüber dem Vater von Horace fühlte er die Schuld des Sohnes doppelt tief und nur leicht berührte er die ihm dargebotene Hand.

»Verzeiht, Marquis, wenn ich ungerufen komme,« sprach er, »ich harrte hier Eurer Rückkehr, da mir bekannt ist, daß Graf Dubarry mit Euch eine Unterredung sucht, und daß bereits die Postpferde bestellt sind, die ihn weiter bringen sollten. Meine Eile ist entschuldigt, wenn ich sage, daß es des Königs Sache ist, die mich zu Euch treibt, vielleicht haben meine Nachrichten noch Einfluß auf Eure Unterredung mit dem Grafen.«

»Von dem Monarchen habt Ihr Nachricht, und durch wen?« forschte der Marquis.

»Von einem Freunde, dem Bruder der Kammerfrau Ihrer Majestät,« antwortete St. Pierre und zog ein Schreiben aus der Tasche, das er dem Marquis reichte.

Mit zitternder Hand nahm er es und näherte sich dem Lichte. »Ich kann es jetzt nicht lesen, es schwirrt mir vor den Augen, mein altes Herz klopft noch zu stürmisch, wenn der teure Königsname genannt wird. Wollt Ihr es mir lesen. St. Pierre?« bat er.

Der Angeredete nahm das Blatt und begann:

»So ist nun die konstitutionelle Verfassung eingeführt. Paris jubelt, denn das Volk, das früher die phantastischen Freiheitsreden mit so wahnsinnigem Jubel begrüßte, fühlt nun das Bedrückende der Anarchie und leidet bereits unter der Tyrannei eines Danton und Robespierre. Es sieht den König als Wiederhersteller der französischen Freiheit an und umarmt sich in trunkener Freude. Das ist das Gesicht, welches die Hauptstadt zeigt, aber in den Tuilerien steht es anders. Als man am 4. September dem Könige die Verfassung überreichte, bat er sich Bedenkzeit aus. Marie Antoinette, die hohe Frau, zeigte wie immer Heldenmut und Stärke, sie beschwor den Monarchen dem Auslande zuvorzukommen, sich an die Spitze der Schweizer Truppen zu stellen, den Adel wie alle Treuen im Lande zusammenzurufen und das Schwert zur Wiedereroberung des Königstumes zu ziehen. Aber Ludwig wollte keinen Bürgerkrieg und blieb taub für die Bitten der Königin. Mit bitterem Schmerz entschloß er sich endlich, da auch Kaiser Leopold zur Annahme drängte, den schweren Schritt zu thun.

Als der König in die Versammlung ging, that er es, wie man einen Gang zum Gericht thut, in tiefer Seelenerschütterung Unter Thränen verließ er das Schloß und kehrte später völlig gebrochen zurück, als er den Eid geleistet hatte. Draußen jubelte man, › vive le roi,‹ und in den Tuilerien lag Ludwig mit verhülltem Antlitz auf dem Sopha, vor dem Maria Antoinette kniete und dem Verzagten Trostworte zuflüsterte.«

»Armer, armer König,« stöhnte der Marquis und legte die heiße Stirn gegen das Madonnenbild.

St. Pierre betrachtete ihn mit einem wehmütigen Blick, dann fuhr er fort:

»Die konstitutionelle Verfassung, welche der König angenommen hat, vernichtet nach ihrem Wortlaut sämtliche Ehrenämter und hebt die sich daran knüpfendem Vorrechte auf. Infolgedessen haben die Palastdamen und Edelfräulein der Königin ihre Entlassung eingereicht, ebenso die meisten Herren, welche bis jetzt noch einen dürftigen Hofstaat bildeten. Die aus den Hofämtern Entlassenen treten in die konstitutionelle Garde, mit deren Organisation man sich beschäftigt.«

»So wollen wir fort, gleich fort,« rief der Marquis mit jugendlichem Eifer. »Ich bin ein armer Edelmann, die Revolution hat meine Güter zum großen Teil eingezogen, aber mein Letztes will ich mit dem Könige teilen, von dem man stückweise allen fürstlichen Glanz reißt, und wohnt in meinem Arm auch nur noch wenig Kraft, dennoch ist er stark genug, um den Degen für meinen König zu führen.«

In steigender Erregung hatte Horace den Worten des Vaters zugehört. »Wir dürfen nicht säumen, nach Paris zu eilen,« trieb er, »ich werde um eine Stelle in der konstitutionellen Garde bitten, und obgleich ich nicht konstitutionell gesinnt bin, habe ich es doch gelernt, meinem Könige unter jeder Form zu dienen.«

Der Kies knirschte neben dem Sprechenden, Graf Dubarry trat aus dem Schatten. »Ich wollte nicht stören,« entschuldigte er sich, »ich kam als St. Pierre, unser treuer Berichterstatter, den Brief vorlas. Armes Frankreich, armer König! Jetzt gilt für uns Emigranten kein Zögern mehr, vorwärts müssen wir, und vorwärts müssen die zaudernden Fürsten, wenn unserem Herrscher noch geholfen werden kann.«

Seit der Zusammenkunft der Monarchen in Pillnitz hoffen wir wieder das Beste. Dort haben die Herrscher dem Grafen Artois die Erklärung gegeben, daß sie die Lage des Königs von Frankreich als einen Gegenstand des allgemeinen Interesses aller Souveräne betrachten wollen. Zugleich beschlossen sie, für Mobilmachung ihrer Truppen die nötigen Maßregeln zu treffen.

Wenn Ihr nach Paris zurückkehrt, Marquis, so sagt unserem teuren Monarchen, daß auch in der Ferne rastlos für ihn gewirkt wird; sagt der Königin, daß meine geliebte Viktorine keinen anderen Gedanken hat, als für das Herrscherpaar Herzen und Arme zu gewinnen. Wir werden mit dem Schwerte kommen, um unserem Könige die Bahn zu brechen zu dem alten, glorreichen Thron von Frankreich.«

»Das gebe Gott,« schloß der Marquis.

»Mein alter Kopf kann nicht so zuversichtlich vorwärts sehen. Wenn es Kaiser Leopold Ernst gewesen wäre mit seinen Pillnitzer Versprechungen, warum riet er wenige Wochen darauf dem Könige so dringend, den demütigenden Eid zu leisten und die konstitutionelle Verfassung anzunehmen? Warum rückt kein Heer heran zur Bekräftigung der Versprechungen? Ich fürchte, sobald das Volk diese Drohungen erfährt, wird es in fanatischem Stolz nur wilder aufschäumen, wenn es nicht zu gleicher Zeit die feste Hand sieht, welche die Macht und den Willen hat, die Thoren in Zaum zu halten.«

Das schmetternde Horn des Postillons klang durch die stille Nacht.

»Ein Mahnruf für mich,« erinnerte Dubarry, »ich habe noch so viele Sachen mit Euch zu besprechen, Marquis, vielleicht schenkt Ihr mir Eure Begleitung während der ersten Reiseroute. Da Ihr nach Frankreich zurück wollt, so gehen unsere Wege zuerst zusammen. Bertier, den ich vorhin traf, ist ebenfalls bereit uns zu begleiten.«

»So lassen Sie uns zusammen fahren.«

Die bittere Abschiedsstunde schlug für Horace und Giovanna.

»Die, welche sich lieben, trennt weder Raum noch Zeit,« sprach sie unter Thränen lächelnd zu Horace. Der Marquis hatte ihre Hand geküßt. »Es hat mir wohl gethan, durch so klare Augen in eine Seele zu schauen, die treu und opfermutig ist, wie wenige auf dieser armen Erde. Betet für uns, Signora, und für unsere heilige Sache.«

Dann hatte er sich an St. Pierre gewandt: »Glaubt mir, mein heißer Wunsch ist es, daß die Zeit bald kommen möchte, wo es mir vergönnt wäre, Eure Giovanna als meines Sohnes Gattin zu begrüßen,« versicherte er voll Herzlichkeit dem bewegten Vater.

Horace hatte die widerstrebende Geliebte umarmt, » Fidèle à Dieu, au Roi, à mon amour,« flüsterte er ihr zu.

Der Marquis ließ es schweigend geschehen. Jetzt legte er die Hand auf des Sohnes Schulter. »Die Pflicht ruft,« mahnte er, »sie soll uns nicht säumig finden. Auf denn nach Paris, dem Könige die Treue zu halten!«

Im Tuilerienschloß saß Ludwig in bitterem Unmut und wähnte sich verlassen von seinen Getreuen.

»Es ist alles verloren,« klagte er, und unter dem blauen Himmel Italiens an dem einsamen Madonnenbilde hatten soeben starke, königstreue Herzen gestanden und gelobt, ihr Alles einzusetzen für diesen teuren, gedemütigten Herrscher.


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