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Erstes Kapitel.
Mr. Wrenn ist einsam

Der Billeteur des Nickelorion-Kinos in New York ist eine in der Vierzehnten Straße wohlbekannte Persönlichkeit. Die zahlreichen Messingknöpfe auf seinem leuchtend hellblauen Rock begrüßen die Stammkunden schon von weitem, und wenn sie näher kommen, wird ihnen das freundlichste Kopfnicken des ganzen Stadtviertels zuteil. Mr. Wrenn pflegte die Vierzehnte Straße entlang zu traben, an allen anderen Kinos vorbei, nur weil er dieses herzliche Kopfnicken nicht entbehren wollte; denn abends erwartete ihn ein einsames möbliertes Zimmer, und untertags hatte er eine langweilige Arbeit, von der ihm ganz dumm im Kopf wurde.

In der Korrespondenz der Kunstartikel und Nouveautés-Gesellschaft figuriert er als »Unser Herr Wrenn«, der umgehend schreiben und alles höchst befriedigend aufklären wird. Mr. Wrenn, der jetzt vierunddreißig Jahre zählte, war Buchhalter in der Verkaufsabteilung der Kunstartikel-Gesellschaft. Tag für Tag saß er, über Rechnungen und lange Zahlenreihen gebeugt, an seinem Pult hinter dem Lagerraum. Er war ein bescheidener kleiner Junggeselle – ein Irgendjemand mit unauffälligen, fertig gekauften blauen Anzügen und einem kümmerlichen, nicht gerade imposanten Schnurrbart.

Heute – Historiker haben festgestellt, daß es sich um den 9. April 1910 handelt – hatte es einigermaßen verworrene Aufträge von den Detaillisten in Wisconsin gegeben, und Mr. Wrenn war von dem Direktor, Mr. Mortimer R. Guilfogle, »heruntergeputzt« worden. Er brauchte also das freundliche Nicken des Billeteurs vom Nickelorion. Der Wind, der jetzt, nach der Bürozeit, durch die Vierzehnte Straße fegte, wirbelte große Staubwolken auf und trieb allerlei Unfug mit den Röcken zahlloser rundlicher Judenmädchen, in deren spitzen Blusenausschnitten die warme bräunliche Haut leuchtete. Unter der Hochbahnstation spielte Mr. Wrenn sich in aller Heimlichkeit vor, er sei in Paris; denn hier boten schöne Italienerknaben Veilchensträuße feil, ein Straßenhändler führte an silbernen Leitschnüren rote mechanische Kaninchen vor, die quieken konnten, und auf einem Zeitungsstand häuften sich orangerote, grüne und goldene Zeitschriftenumschläge.

»Ach!« sprach Mr. Wrenn bewundernd bei sich. »So viele Farben. Hoffentlich gibts im Kino wieder fremde Länder zu sehen.«

Vergnügt kam er zum Nickelorion, tastete in seinen Westentaschen nach einem Zehncent-Stück und suchte schon an der Kasse einen Blick von dem freundlichen Billeteur zu erhaschen. Aber der mußte darüber nachdenken, wo er die Hosen für seinen kleinen Johnny kaufen sollte. In dem Laden in der Vierzehnten Straße, oder drüben bei Siegel-Cooper, oder bei Aronson, ganz in der Nähe seiner Wohnung? In diese Gedanken vertieft, nahm er Mr. Wrenn gleichgültig die Eintrittskarte ab und ließ ihn achtlos passieren, ohne zu bemerken, daß dieser ihm zulächelte und eine Verbeugung machte. Mr. Wrenn kam zitternd in den Zuschauerraum des Nickelorion. Am liebsten hätte er kehrtgemacht und den Kerl zur Rede gestellt, aber seine Schüchternheit hielt ihn davon ab. Das gewohnte »Schöner Abend, Sir« – ob es nun regnete oder schön war – hatte ihm wirklich immer Freude gemacht, und eine derartige Ungezogenheit konnte er sich eigentlich nicht gefallen lassen. Verdiente er nicht neunzehn Dollar in der Woche, und der Billeteur nur zehn oder zwölf? Mit dem Trotz einer in die Ecke getriebenen Maus schüttelte er wild den Kopf, dann zupfte er an seinem Schnurrbart herum und sah sich verdrossen den Film an.

Das tat ihm wohl. Nach einer kurzen Groteske kam ein aufregender Wildwestfilm, in welchem mit großem Humor und noch größerem Getümmel geschildert wurde, wie ein chinesischer Koch auf einer Ranch revoltierte. In Wirklichkeit sah Mr. Wrenn keine Cowboys und keine Prärien, er sah sich selbst, wie er sich gegen den mürrischen Direktor auflehnte und die Unhöflichkeit des Billeteurs gebührend bestrafte. Jetzt war er so weit, daß er die geradezu überwältigenden Wonnen eines Reisefilms genießen konnte. Als der Titel, der auf der Leinwand erschien, Bilder aus Java versprach, brachte er es vor Entzücken kaum zuwege stillzusitzen.

Er war ein Kenner, was Reisefilme betraf, weil er schon sein ganzes Leben lang eine große Reise plante. Er kannte zwar Staten Island und hatte auch schon bei einem Ausflug zum Bound Brook den Führer gespielt. Aber seine Weltreise harrte noch der Verwirklichung. In Mr. Wrenn, der so aussah, als würde er niemals aus New York herauskommen, schlummerten alle Gaben des heroischen Globetrotters. Auch er wollte, wie der Mann, der diesen Film aufgenommen hatte, unter den dunkelhäutigen Eingeborenen Javas umherschlendern, in »Dörfern mit Ziegeldächern und Tempeln – und – und – ach, na ja – in solchen Gegenden!« Er glaubte, den Duft orientalischer Gewürze in der Nase zu haben, als er aus dem Nickelorion, ohne dem Billeteur auch nur einen Blick zu gönnen, stolz auf die Straße trat und »nach Hause« ging – zu seinem Zimmer in einer Mietskaserne der Sechzehnten Straße im Westen.

Er hatte vor, in seiner Sammlung illustrierter Prospekte der verschiedensten Schiffahrtslinien nach einer Schilderung Javas zu suchen. Aber wenn man mit einer Wirtin gesegnet ist, die sowohl an Ischias wie an chronischer Duldermiene leidet, sieht man selbstverständlich noch rasch ins Wohnzimmer, um zu hören, wie es ihr geht. Mrs. Zapp war eine dicke Zimmervermieterin. Wenn sie saß, ging eine gerade Linie vom Kinn zu den Knien. Für gewöhnlich saß sie auch. Bewegte sie sich aber, dann ächzte sie, und alles, was zu ihrer Kleidung gehörte, knarrte. Sie ächzte und knarrte vom Bett zum Frühstück und verzehrte langsam und verdrossen fünf Pfannkuchen, ein Ei, etwas Rumpsteak und drei Tassen Kaffee. Vom Frühstück knarrte und ächzte sie zum Schaukelstuhl, in dem sie dann sitzen blieb und darüber nachdachte, warum die Vorsehung ihr eine schlechte Verdauung beschert hatte. Mr. Wrenn half ihr mitfühlend bei ihrem Nachdenken, jedoch Mrs. Zapp genoß ihr Leiden viel zu bewußt, um sich von dem Mitgefühl eines Yankee trösten zu lassen, der ein Niggerfreund war und nicht die Fähigkeit hatte, den erlesenen Kummer einer den ersten Familien Virginiens Verwandten aus dem edlen Geschlecht der Zapp zu würdigen.

Mr. Wrenn wagte in dem schlecht gelüfteten Zimmer, das nach abgestandenem Essen und noch abgestandenerem Stolz auf ein Geschlecht roch, das niemals existiert hatte, nichts anderes zu tun, als still zu sitzen. Still vor allem deshalb, weil der Stuhl, auf dem er saß, zerbrochen war. Das war er nun schon seit vollen vier Jahren.

Zum hundertneunundzwanzigsten Male im Laufe dieser vier Jahre erklärte Mrs. Zapp: »Ich muß den Stuhl reparieren lassen, Mr. Wrenn.«

Er zeigte eine dankbare Miene und betrachtete die vergrößerten Photographien Lee Theresas, der älteren Tochter (die Vorarbeiterin in einer Fabrik war) und Godivas. Godiva Zapp wurde für gewöhnlich »Goaty« gerufen, und Mrs. Zapp rief sie recht oft, wenn der Tag lang war. Goaty war eine gut abgerichtete kleine Sklavin, die häufig an Mandelentzündung litt; Mrs. Zapp wollte sie schon seit langem operieren lassen, und bei diesem Wollen hatte es für alle Zeiten sein Bewenden.

»Ja, Mr. Wrenn, ich habe Goaty gesagt, sie soll sich darum kümmern, daß der Stuhl wieder in Ordnung gebracht wird, aber sie tut ja nie, was ich ihr sage.«

Aus der Küche waren die Geräusche zu hören, welche die jetzt achtjährige Goaty, das unfolgsame Kind, erzeugte, während sie, schluchzend und heulend, geradezu unglaubliche Geschirrmengen wenn auch nicht säuberte, so doch wusch. Allen weiteren Bemerkungen über die Unannehmlichkeiten der Ischias und windiger Abende entzog sich Mr. Wrenn, indem er aus der erhabenen Gegenwart Mrs. Zapps entwich und sich ins Paradies flüchtete – in sein möbliertes Zimmer.

Dieser Raum war von abstoßender Wohlanständigkeit: auf dem Bett lag eine Flickendecke, nicht zwei Möbelstücke paßten zueinander, und an die Wände waren Farbendrucke aus Zeitschriften genagelt. Aber auf dem Kaminsims wohnten seine Freunde, die Bücher aus dem Wanderland. Andere Freunde hatte das Zimmer selten gesehen. Es fiel Mr. Wrenn ohnedies schon schwer, Bekanntschaften zu machen, und dazu kam noch, daß Mrs. Zapp es nicht gern sah, wenn ihre »möblierten Herren« Besuch empfingen. Deshalb hatte Mr. Wrenn sogar darauf verzichtet, Charley Carpenter, den Hilfsbuchhalter der Kunstartikel-Gesellschaft, zu sich zu bitten. So blieben ihm nur die Bücher, die er jetzt eifervoll mit zärtlichen Fingerspitzen streichelte. Er wählte einen besonders schönen Prospekt aus und reiste unverzüglich ins Märchenreich ab.

 

Am Sonnabendmorgen strahlte der Aprilhimmel in besonderer Heiterkeit. Die Spatzen in der Mitte der Fünften Avenue schwatzten vergnügt durcheinander, und alles, was nur irgend glänzen konnte, funkelte und schimmerte im hellen Licht. Mr. Wrenn eilte mit wehenden Rockschößen über die Straße; er machte einen großen Umweg und war bereit, der Zeit und der Ewigkeit, ja, sogar dem Direktor Trotz zu bieten. Mit dem Trotz als Bettgenossen war er aufgewacht, und während er in der »Milchhalle und Schnellimbißstube« frühstückte, hatte der Sonnenschein ununterbrochen über den Mosaikboden gespielt.

Stolz kam er zum Ziegelgebäude der Kunstartikel-Gesellschaft in der Achtundzwanzigsten Straße, ganz nahe der Sechsten Avenue. Im Büro lächelte er seinem Tintenfaß und den makellosen Löschblättern auf dem wohlgeordneten Schreibtisch zu. Voll brennenden Eifers stürzte er sich in die Arbeit, und seine Laune war so gut, daß ihn das überlegene » Guten Morgen« der Einkäuferin nicht allzu sehr verdroß. Noch um halb elf war er damit beschäftigt, mit Papier und Linealen auf seinem Schreibtisch herumzufuhrwerken. Es sollte nur jemand versuchen, ihn zu behindern, ihn in seinen Vorbereitungen für die Arbeit zu stören: man sollte es nur versuchen, dann würde man schon sehen!

Mit einem Mal sprang er auf und schoß aus dem Zimmer; der Summer auf dem Tisch hatte mürrisch gebrummt. Mr. Mortimer R. Guilfogle, der Direktor, wünschte ihn zu sprechen. Er hastete über den Korridor und drückte sich bescheiden über die Schwelle in das von Sonnenlicht durchflutete, mit Teppichen und Kunstartikeln geschmückte Zimmer des Direktors. Sieben Nouveautés verzierten allein den Schreibtisch, darunter ein großes gläsernes Rokoko-Tintenfaß im Shakespeare-Stil, das Gewürznägelchen enthielt, und ein kleines eisernes im Pittsburg-Stil, in dem tatsächlich auch Tinte war. Mr. Wrenn blinzelte in der Helligkeit wie eine am hellichten Tag aufgescheuchte Eule. Der Direktor schlug mit der Faust auf den Tisch, setzte eine finstere Miene auf, zog seine Blumenwiese von Weste glatt und knurrte, während seine Backen vor Empörung zitterten: »Hören Sie mal, Wrenn, was ist mit Ihnen los? Der Bronx Bazar schreibt mir, daß seine Order auf Mai-Nouveautés zweimal ausgeführt worden ist.«

»Es sind zwei Aufträge eingegangen. Telephonisch«, lächelte Mr. Wrenn in hilfloser Höflichkeit.

»Einen Dreck sind zwei Aufträge eingegangen, Herr! Zweimal die gleiche Order?«

»Ja; der Einkäufer war wahrsch – –«

»Die Leute behaupten, sie haben genau nachgeprüft. Auf jeden Fall werden sie nicht zweimal bezahlen. Ich kenn die Brüder. Wir werden natürlich nachgeben und uns entschuldigen müssen, und alles weil Sie – – Ich möcht nur wissen, warum Sie nicht besser achtgeben!« Die Mitteilung, daß Mr. Wrenn zweimal den Hals verdrehte und einmal den Kopf schüttelte, könnte seinen Ingrimm auch nicht annähernd schildern. Endlich! Jetzt war er da – der Augenblick zur Revolte, der Augenblick des Kampfes. Er hatte achtgegeben; der alte Gallenvogel krächzte nur; aber warum sollte gerade er angekrächzt werden? Während sein Herz so klopfte, daß er ganz blaß wurde, erklärte er mit zitternder Stimme:

»Ich bin ganz sicher, bei der Order. Ich habe genau nachgesehen. Der Einkäufer vom Bronx war betrunken.«

Es war geschehen. Ob er jetzt wohl entlassen würde?

Der Direktor antwortete:

»Wahrscheinlich. Sie haben nachgesehen, ja? Hm! Schicken Sie mir die beiden Auftragsformulare herein. Aber auf jeden Fall wünsche ich, daß Sie nach der Sache da mehr achtgeben, Wrenn. Sie sind ziemlich nachlässig. Jetzt können Sie gehen. Glauben Sie, ich werde eine Firma für ein und dieselbe Order zweimal bezahlen lassen, bloß weil Sie nicht besser achtgeben?«

Mr. Wrenn stand im Korridor. Der Direktor schien von der Revolte nicht sehr erschüttert zu sein.

Das war er auch nicht. Er rief eine Stenotypistin und diktierte:

 

» Bronx-Bazar.

Sehr geehrte Herren,

Unser Herr Wrenn hat wiederholt (unterstreichen Sie das ›wiederholt‹, Miss Blaustein) wiederholt Ihre Order auf Mai-Nouveautés nachgesehen. Wie bereits mitgeteilt, ist erwähnte Order bestimmt telephonisch nochmals aufgegeben worden. Unser Herr Wrenn ist durchaus verläßlich und liegen uns die von ihm ausgefüllten Auftragsformulare über diese beiden Orders vor. Wir werden also beide Kollektionen – –«

 

Schließlich, so dachte Mr. Wrenn, hielt der schlaue Direktor mit seiner wahren Ansicht vielleicht bloß hinterm Berge. Es war gar nicht ausgeschlossen, daß er die Revolte verstanden hatte. Das tröstete Mr. Wrenn bis nach dem Mittagsessen. Aber um drei Uhr, als sein Kopf wieder von der Arbeit rauchte und er längst nichts mehr davon wußte, daß es draußen Frühling war, bekam er Angst vor den schrecklichen Dingen, die der Direktor ihm antun könnte. Wenn er seine Stellung verlöre. Die Stellung! Er arbeitete unnötig lange, weil er hoffte, daß der Direktor von seinem Fleiß hören würde. Als er, trunken von Müdigkeit, heimwärts wankte, war seine Angst davor, die Stellung zu verlieren, kaum größer als sein Wunsch, die Stellung aufzugeben.

 

Er hatte so lange gerechnet, daß ihm bei seinem Erwachen am Sonntag noch immer Zahlen im Kopf umherwirbelten. Als er zu seinem Frühstück aus Kaffee und Weizenflocken in die Schnellimbißstube ging, erinnerten ihn die Betonblöcke des Bürgersteigs, die im weißen Sonnenglast flimmerten, in höchst unerfreulicher Weise an die Rubriken der Auftragsformulare, und die schmalen Blöcke der Bordschwelle waren die unausgefüllten Rubrikenköpfe. Selbst die Linien auf der Decke der Imbißstube, die parallel verliefen, verhöhnten ihn als prosaisches Geschöpf, dessen Lebensweg ein Lineal sei.

Sofort nach dem Frühstück eilte er zur Postfiliale, um seine Sonntagsbriefe abzuholen, doch er wurde bitter enttäuscht. Er erwartete einen herrlichen reich illustrierten Führer in das Land der Mitternachtssonne, und statt dessen bekam er nur einen Brief von seinem ältesten Bekannten – von Vetter John aus Parthenon, dem Spielgefährten seiner Kindheit. Ohne den Brief zu öffnen, steckte er ihn in die Brusttasche. Dann warf er seinen Zahnstocher fort und begann seine Sonntagswanderung.

Die Dreiundzwanzigste Straße zur North River Fähre schlenderte er zu Fuß hinunter. Straßenbahnfahren kostet Geld, und selbstverständlich spart man jeden Pfennig für die große Reise. Die Aprilwolken über ihm waren freie Vagabunden, deren Fröhlichkeit ihn so erregte, daß er über eine Bordschwelle mit kühnem Sprung hinwegsetzte. Die Wolken wenigstens erzählten nichts von Auftragsformularen. Und mit ihnen segelte Mr. Wrenns Seele durch die Lüfte, während seine gedoppelten Sonntagsschuhe an Lagerhäusern vorüberschritten. Nur einmal ließ er sich dazu herab, wirklich in der Dreiundzwanzigsten Straße zu sein. Als er unter dem Hochbahnviadukt die Neunte Avenue überquerte, sah er einige Häuser weiter unten den gotischen Bau des Allgemeinen Theologischen Seminars und entdeckte im Spitzbogen eines Portals überraschende Schönheiten.

Sein Ziel war eine behagliche Fahrt mit der West- und Südbahn, nach einer gewaltigen Seereise im Gischt und Wogenbrausen des North River. Als er auf der Fähre war, blieb er nicht im Raucherabteil. Er rauchte nicht – das würde ja einen Teil des Reisegelds verschlingen. Sowie er sich einmal auf dem Oberdeck eingerichtet hatte, wußte er, daß er endlich auf einem Ozeandampfer in See stach. Rasch war die Bewegung allerdings nicht, doch Mr. Wrenn hatte nicht das geringste dagegen, was diese Einzelheit der Reise betraf, auf jeden Realismus zu verzichten. Wenigstens hingen unverkennbare Rettungsgürtel in den weißen Gestellen über ihm; und er sah auch recht gut, daß die ganze Welt um ihn anhob, auszufahren und auf großen Schiffen in ferne Länder aufzubrechen, als wäre wieder jener strahlende Morgen da, an dem Abenteuerfreude die Argonauten beseelte.

Die Ozeandampfer, an denen sein Boot vorüberkam, regten ihn nicht auf. Da er vom Reisen außer dem Reisen selbst alles wußte, erfreute er sich stiller, interessierter Kenntnisse. Er erkannte die Campagnia drei Docks weiter unten und erklärte einem Gemüsehändler aus Harlem ihre Schönheiten, wobei er höchst ernsthaft von Top und Takel, Bruttoregistertonnen und Knoten sprach.

Aufgeregt war er nicht, aber – wohin überall könnte er nicht gelangen, wenn er auf der Campagnia nach Arkadien ausführe! Du lieber Gott! Was waren denn selbst die großmächtigen Türme des Metropolitan- und des Singer-Gebäudes im Vergleich mit einem schönen alten Altar in einem Jahrhunderte alten ehrwürdigen Dom!

All dies träumte und sang er sich vor, wenn auch nicht in Worten. Er hatte niemals etwas von Arkadien gehört, obgleich er schon seit vielen Jahren Bürger dieses Reiches war.

Selbstverständlich, so erzählte er sich, saß er jetzt im Promenadendeck des Ozeanriesen, er glitt den schmutzigen Mersey nach Liverpool hinauf (die Quelle seiner Visionen war eine Reisebroschüre der White Star Line), er war unterwegs zu einem Orgelkonzert auf dem St. George's Square (siehe den englischen Baedeker); dann wieder reiste er in einem Expreßzug nach London und – Herrjeh!

Das Boot fuhr in seine Landungsschlippe ein. Mr. Wrenn trabte zum Heck vor, um sich daran zu ergötzen, wie die Nase des Fahrzeugs gegen die leicht schwankenden Pfeiler stieß und die kleinen braunen Wellen vor ihm aufhüpften. Die Masse der Ausflügler trug ihn mit sich zum Bahnhof.

In seiner Begeisterung sah er nichts von den Menschen um sich, als er das gewaltige Lied der Eisenbahn hörte. Das weit gewölbte Dach dröhnte, während die eisernen Rennpferde ungeduldig über den kleinen Aufenthalt mit ihren titanischen Hufen stampften.

Das ist ein schwaches Echo der Worte, mit denen ein Dichter vielleicht Mr. Wrenns Eindrücke schildern würde. Er selbst sagte nicht mehr als: »Herrjeh!«

Er kam an den Tafeln mit den Bestimmungsstationen vorüber, die an den Bahnsteigsperren hingen. Chicago (die Ebenen! die Rockies! Sonnenuntergang über den Lagern der Schürfer!) Washington, der magische Süden – dorthin werden die eisernen Pferde mit den schwärzlichen, im brausenden Wind flatternden Rauchmähnen galoppieren, mit starken Hufen neunzig Kilometer in der Stunde zurücklegend. Auch für ihn wird einmal die Zeit kommen, da er nach Chicago und nach dem Süden eilen wird.

Jetzt reiste er zur Cortlandt Street; nach North Island City; schließlich zur Marinewerft. Er kam an den Docks der Frachtdampfer vorüber; auf einem dieser Schiffe könnte er sich in der alles verheißenden Zukunft vielleicht als Steward verdingen. So weit, daß er sich tatsächlich bei einem Schiffer nach Möglichkeiten erkundigt hätte, war er allerdings nicht gegangen, aber einmal hatte er im Heuer-Kontor einer Missionsgesellschaft in West Street angefragt und zur Antwort bekommen: »Sind Sie Seemann? Nein? Dann kann ich nichts für Sie tun, mein Lieber. Sind Sie gerettet?« Einem derartigen Schrecken wollte er sich nicht ein zweites Mal aussetzen, aber wenn der Goldene Morgen der Zukunft dämmerte, würde er sicherlich die Fahrt zu den palmenumkränzten Lagunen antreten.

Während er durch Long Island City spazierte, erfand er sich mit Seeleuten, denen er begegnete, allerlei Gespräche. Es würde den blonden norwegischen Bootsmannsmaat sehr überrascht haben zu hören, daß er Geschützmeister sei und dem Mann, der in aller Bescheidenheit an ihm vorüberging, eben jetzt ein großmächtiges Garn von Piratenkämpfen vorspinne.

Mr. Wrenn beneidete die Matrosen auf dem Übungsschiff, stach als Gast des Präsidenten auf der Admiralsbarkasse gleichmütig in See, erschrak unter den Blicken eines bummelnden Ladenmädchens und kam, zu Mrs. Zapps Billigung, noch vor Einbruch des Abends nach Hause.

Die Dämmerung verzauberte sein möbliertes Zimmer. Mr. Wrenn spürte in seinen nicht gerade kräftigen Beinchen eine angenehme Müdigkeit von den Spaziergängen, setzte sich in den Schaukelstuhl am Fenster, streichelte seinen kleinen blonden Schnurrbart und stellte Betrachtungen über seine Sonntagswanderungen an. Als die Gaslampe angezündet wurde, verbrachte er eine glückliche Stunde über den Abbildungen in einer geographischen Zeitschrift, und dann gähnte er sich zu: »Na–a–a, Willichen, wird wohl Zeit sein, in die Baba zu kriechen.« Er zog sich aus und legte seinen Anzug sorgfältig über der Lehne des Schaukelstuhls zusammen. Als er auf der Bettkante saß, in seinem wollenen Nachthemd aussehend wie ein kleines Vögelchen mit farblosem Gefieder, rieb er sich schläfrig die Augen. M–m–m! Wie müde er war! Er ging zum Fenster und öffnete es. Dann begann sein zahmes Herzchen einen Walzer zu tanzen, er vergaß sein möbliertes Zimmer und seine Schläfrigkeit.

Durch das Fenster klang der Chor der Nebelhörner auf dem North River herein. »Buum–m–m–m!« Das mußte ein gewaltiger Ozeanriese sein, der sich durch den Nebel durchkämpfte. (Es war ein Fährboot.) »Tut! Tut!« Das war ein Schlepper. »W–w–w–w!« Noch ein Ozeandampfer. In dem lärmenden Chor erlebte er zum zweiten Male alle Abenteuer des Tages.

Er ließ sich wieder auf das Bett fallen und starrte geistesabwesend seine Kleider an. Aus der Brusttasche des Rocks sah der ungeöffnete Brief von Vetter John hervor. Er las den ersten Absatz, dann sprang er auf und tanzte eine Tarantella, hüpfte in seinem Nachthemdchen umher wie ein betrunkener Yaqui-Indianer. Der Brief brachte ihm die Nachricht, daß die steinige Farm in Parthenon, die Mr. Wrenn von seinem Vater geerbt hatte, verkauft worden war. Ihre Lage im felsigen Gebiet am Flußufer hatte sie für die Parthenon Chautauqua-Gesellschaft wertvoll gemacht. Auf der Nationalbank lagen jetzt neunhundertvierzig Dollar für ihn!

Er war also wohlhabend. Er besaß genug, um viele abenteuerreiche (aber sparsame) Monate hindurch auf der ganzen Erde umherzuwandern, bis er das Geheimnis des Reisens und des Lebens ohne Stellung und ohne Gehalt gelernt hätte.

Er bohrte den Kopf ins Kissen und schluchzte vor Aufregung, ein Frost schüttelte ihn, und im Magen hatte er ein sonderbares Druckgefühl. Dann lachte er auf und dachte einen Augenblick daran, in das Zimmer nebenan zu laufen und dem Fremden, der dort wohnte, von der welterschütternden Nachricht zu erzählen. Er lauschte im Flur, um zu hören, ob die Zapps noch auf wären, vernahm aber nichts; er ging also in sein Zimmer zurück und lief darin, immer wieder verzückt die Weltkarte betrachtend, ruhelos auf und ab.

»Herrjeh! Jetzt ist es passiert. Ich werd wohl nicht – sehr große – Angst vor Schiffbrüchen und so haben … Vor solchen Sachen … Na! Wenn ich jetzt nicht schlafen geh, werd ich morgen zu spät ins Büro kommen!« Bis drei Uhr morgens lag Mr. Wrenn wach. Am Montag schämte er sich, etwas so Verrücktes getan zu haben. Aber er traf rechtzeitig im Büro ein. Die Sorgen des Reichtums drückten ihn. Er mußte sich ja entschließen, wann die große Wanderschaft beginnen sollte. Aber gleichzeitig war ihm sehr wohl bewußt, daß Direktoren recht unangenehm werden können, wenn man sich verspätet. Den ganzen Vormittag beschäftigte er sich damit, sein neues Vermögen und seine Ersparnisse zusammenzuzählen und auf einem halben Bogen Papier auszurechnen, wie viele Schiffsreisen sich aus dieser Summe bestreiten ließen.

Die Mittagsstunde gehörte nicht der Stellung, sondern ihm, und damit der Erforschung der romantischen Abenteuerreiche, die hart an die Achtundzwanzigste Straße und die Sechste Avenue grenzen. Aber vor allem hatte er mit dem Hilfsbuchhalter Charley Carpenter zum Mittagessen zu gehen, denn er mußte ihm von der großartigen Neuigkeit berichten; und Charley für seine Person brauchte häufig einen Vertrauten, der aus eigener Erfahrung die tyrannischen Methoden des Direktors kannte.

Mr. Wrenn und Charley wählten (das heißt Charley wählte) einen Tisch in Drübels Speisehaus. Mr. Wrenn begann schüchtern: »Ich hab dir eine ganz große Neuigkeit zu erzählen.«

Doch Charley ließ ihn nicht zu Ende sprechen. »Sag mal, hast du gehört, wie der alte Gallenvogel heut vormittag auf mich losgefahren ist? Ich werd mir das nicht gefallen lassen. Hast du ihn gehört – den alten –«

»Was war denn, Charley?«

»War? Nichts war. Nur mit dem alten Gallenvogel war was. Ich hab einen kleinen Rechenfehler gemacht. Ich kann dir bloß sagen, wenn der alte Vogel siebenundsiebzig Konten im Kopf haben und einem blöden Mädel, das nicht einmal die Addiermaschine bedienen kann, ununterbrochen auf die Finger sehen müßte, also, ich kann dir bloß sagen, er würde grün und blau anlaufen. Er würde überhaupt nur Fehler machen! Der Kerl muß heute zu ausgiebig gefrühstückt haben. Er hat Bewegung gebraucht, um alles verdauen zu können, und ich, ich war die Bewegung – ich war der Sündenbock. Er läßt mich holen, und er macht mir Krach, und ich – also, ich sag dir bloß, ich fall ihm nicht drauf rein!«

Charley Carpenter unterbrach sich und führte mit ruckhaften Bewegungen seine Zigarette zum Mund. Sofort aber überwältigte ihn wieder die Erinnerung an das ihm angetane Unrecht. Er schlug mit der Faust auf den Tisch, warf den Kopf zurück, fuhr mit beiden Händen wild in der Luft herum und knurrte dazu:

»Klar! Du kannst deinen letzten Dollar wetten, daß er an der Art, wie ich ihn angesehen hab, ganz deutlich gemerkt hat, daß ich mir keine Dummheiten mehr gefallen laß. Klare Sache! … Dem werd ich schon zeigen. Paß nur auf. Ich werd ihm noch mal so Bescheid blasen, daß er – – Ja, das werd ich. Du wirst schon sehen. Wenn ich meine Frau nicht hätte – – Die sollt ich sowieso sitzen lassen, und das werd ich auch mal tun – –«

»Hm.« Einen Augenblick wartete Mr. Wrenn … »Ich weiß, wies ist, Charley. Aber s wird schon gehen. Ganz sicher. Hör mal, ich muß dir was erzählen. Das bißchen Land, das ich von meinem Vater geerbt hab, ist für fast tausend Dollar verkauft worden. Übrigens, das Mittagessen ist meine Sache. Laß mich zahlen.«

Damit erklärte Charley sich ohne weiteres einverstanden.

Dann rief er:

»Großartig, Wrenn! Großartig! Meine herzlichsten Glückwünsche! Ich wüßte niemanden, dem ich so was mehr gönnen würde. Du bist ein sanftes Bäh-Schaf, aber in dir steckt was, alter Wrennski! Übrigens, sag mal, kannst du mir bis Sonnabend fünfzig Cent pumpen? Danke. Kriegst es sicher zurück. Herrgott! Du bist der einzige Mensch im Büro, der weiß, was für ein ekelhaftes altes Aas der alte Gallenvogel ist, der alte – –«

»Ach, du, Charley, du sollst nicht so über den Guilfogle losziehen. Mich hat er immer ganz anständig behandelt.«

»Der – anständig? Ja, von wegen anständig. Du weißt doch Bescheid. Jetzt, wo du genug Pinke hast, daß du dir keine Sorgen wegen der Stellung machen brauchst, wirst dus erst recht begreifen und ihm mal ordentlich Bescheid sagen wollen. So wie ich. Hör mal!«

Der famose Einfall, den er hatte, ließ ihn großartig mit der Faust herumfuchteln. »Hör mal, warum sagst du ihm nicht tatsächlich Bescheid? Die brauchen dich im Büro. Du hast ja keine Ahnung, wie sie dich brauchen. Du machst doch außer deiner eignen Arbeit noch die halbe Arbeit vom Lagerhalter. Ich werd dir sagen, was du machen mußt. Du gehst zum alten Gallenvogel und sagst ihm, du willst auf fünfundzwanzig erhöht werden, und zwar sofort. Was, fünfundzwanzig, auf dreißig! Das bist du auch wert, oder wenigstens beinah, aber so viel wird dir der Gallenvogel natürlich nie geben. Er wird dir damit drohen, daß er dich an die Luft setzt, wenn du noch ein Wort sagst. Und du antwortest ihm dann, er soll dich nur an die Luft setzen. Bitte. Und was kann er dann anfangen? Dann wird er endlich sehen, wie viels geschlagen hat!«

»Ja, aber, Charley, wenn Guilfogle meint, daß er mir nicht so viel zahlen kann – er ist doch dem Aufsichtsrat verantwortlich; er kann nicht einfach tun, was er will – ja, wenn ich so mit ihm geredet hab, bleibt ihm ja nichts andres übrig, als mich an die Luft zu setzen, ob er will oder nicht. Und dann wären wir – dann wäre die Firma – ohne Verkaufsbuchhalter, grade in der Hochsaison.«

»Ja, natürlich, Wrenn, das wollen wir ja grade erreichen. Wenn du gehst, fehlen der Firma eigentlich zwei. Das würde ihnen gehörig zu schaffen geben. Und die größten Scherereien hätte der alte Gallenvogel. Er müßte dann mitten in der Hochsaison einen Neuen einarbeiten. Das ist deine Gelegenheit. Laß sie nicht weglaufen.«

»Nein, Charley, das kann ich nicht. Du wirst doch nicht von mir verlangen, daß ich der Firma solchen Ärger mach, wo ich schon – wart mal, sieben Jahre bin ich schon da.«

»Naja, wenns dir Spaß macht, dich ausnützen zu lassen! Dir wärs wohl das liebste, dein ganzes Leben lang auf deinen Neunzehn in der Woche sitzen zu bleiben.«

»Ach, Charley, reg dich nicht auf, bitte! Ich möcht mich ja selber freimachen, ich möcht reisen und so. Aber ich kann doch nicht, grade in der Hochsaison – –«

»Aber begreifst du denn nicht, du armseliger Schafskopf, daß du sie nicht im Stich läßt. Entweder zahlen sie dir, was dir zukommt, oder sie verlieren dich.«

»Ach, ich weiß nicht, Charley.«

»Na schön«, brummte Charley, »wenn dus selber willst … Ach, du wirst schon recht haben, Wrennski. Du wirst wohl bleiben müssen, wenn du meinst, daß es nicht anders geht … Also, dann auf Wiedersehen. Ich muß noch mal schnell rüberspringen und mir ein Paar Socken kaufen, bevor ich zurückgeh.«

Höchst niedergeschlagen kroch Mr. Wrenn hinter ihm auf die Straße. Selbst Charley gab also zu, daß er wohl bleiben müßte. Was für Aussichten konnte er dann haben, dem furchtbaren Mr. Mortimer R. Guilfogle beizubringen, daß er von seinem Posten zurückzutreten wünschte? Dann mußte er wohl vorläufig auf seine Weltreise verzichten; monatelang mußte er vielleicht noch in der Tretmühle bleiben, und noch heute früh hatte er gehofft – – Eine schlimme Stunde mit Mr. Guilfogle, und er konnte frei sein! Er mußte selbst grinsen, als er sich klar machte, daß das ungefähr ebenso war, wie wenn er, um nach Europa zu kommen, mitten im Winter den Atlantik durchschwimmen müßte.

Nun, seine Zweidollar-Uhr zeigte ihm, daß er noch neun Minuten hatte, neun Minuten, die ihm gehörten. Er betrachtete die griechischen Buchstaben auf dem Schild eines griechischen Restaurants, Buchstaben, bei denen er von Ruinen in Athen träumte. Zum hundertsten Mal, seit er diesen Weg ging, sah er ein chinesisches Gasthaus mit einem rot und gelb gestrichenen Holzdrachen und drinnen einen dicken Chinesen, der vielleicht einen Kris bei sich hatte, »oder wie diese Chink-Messer heißen«. Eine Rôtisserie, in deren Fenster ganze Enten sich über einem Kohlenfeuer lieblich bräunten. Bei einem Kürschner waren sibirische Füchse zu sehen (Sibirien! »schrecklich brave Sträflinge« in Holzhütten; das stahlgraue nordische Meer; Wachtposten in blauen Blusen) und ein Eisbär (Nordlichter; die lange Winternacht; Iglus). Und die Blumenhandlungen! Da gab es Orchideen, die ihm vom Dschungel erzählten, wo Pythonschlangen in der Mittagsglut schlummerten – –

Er mußte schleunigst ins Büro zurück. Einmal blieb er jedoch stehen, um einem Pferd, das ihn sehnsüchtig ansah, den Hals zu klopfen. »Armer alter Kerl. Woran denkst du? Willst du ein Zirkuspferd sein und wandern? Gehn wir zusammen los! Kannst du nicht, nein? Armer alter Kerl!«

Um halb vier, um die Zeit also, da es Büroangestellten scheint, als würde die Arbeit des Tages nie mehr ein Ende finden, war Mr. Wrenn nicht mehr so ganz sicher, was seine Pflichten gegen die Firma betraf. Noch unsicherer wurde er nach einer ärgerlichen Unterredung mit dem Direktor, der etliche freie Minuten damit verbrachte, Mr. Wrenn immer wieder »ich möchte bloß wissen!« zuzubrüllen. Es gab gar nichts Besonderes, was er wissen wollte. Ihm handelte es sich lediglich darum, »die Leistungsfähigkeit der Angestellten zu erhöhen« – diese Phrase hatte Mr. Guilfogle aus einer Branchenzeitschrift, welche Direktoren, die selbst nicht leistungsfähig sind, Theorien über Leistungsfähigkeit liefert.

Zwanzig Minuten nach fünf ließ der Direktor ihn zu sich kommen, machte ihm grundlos Komplimente und schlug vor, er solle mit Charley Carpenter und dem Lagerhalter über die Bürozeit dableiben und den Bestand eines Postens Schreibtischuhren aufnehmen, der in den Ausverkauf kam.

Auf dem Rückweg zu seinem Pult blieb Mr. Wrenn an einem Fenster im Flur stehen und bewunderte den schönen Spätnachmittag draußen. Er sehnte sich danach, bei den vielen zu sein, die jetzt über die Straße gingen und ihre Einkäufe machten. Der alte Gallenvogel nahm keine Rücksicht auf ihn; warum sollte er Rücksicht auf die Firma nehmen?


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