Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Fünfzehntes Kapitel.
Er studiert Fünfhundert und Lebenskunst

Mr. Wrenn saß kerzengerade auf einem Divan mit leuchtendrotem Leder, leuchtendschwarzen Knöpfen und steifen Fransen, die gleichfalls aus leuchtendrotem Leder waren, und unterhielt sich sehr angeregt mit Miss Nelly Croubel, die, den Rock sorgfältig über die Füße gezogen, inmitten der Atlaskissen kauerte. Er wohnte jetzt seit zwei Wochen bei Mrs. Arty. Er hatte eine neue hellblaue Krawatte um, und seine Hosen waren so gut gebügelt, daß sie aussahen, als wären sie aus Stahlblech.

»Ja, ich glaub ganz bestimmt, daß Sie verlobt sind, Miss Nelly, und daß Sie auf einmal weggehen und uns allein lassen werden – Sie werden nach diesem scheußlichen Upton's Grove oder sonst wohin gehen.«

»Ich bin nicht verlobt. Das hab ich Ihnen ja gesagt. Wer sollte mich denn heiraten wollen? Hören Sie doch auf, mich aufzuziehen – Sie sind ja ganz häßlich zu mir; ich werd Tom holen müssen, damit er mich beschützt!«

»Natürlich sind Sie verlobt.«

»Nein.«

»Ja.«

»Nein. Wer sollte mich armseliges Ding denn heiraten wollen?«

»Aber, jeder Mensch natürlich.«

»Hören Sie doch endlich auf, mich aufzuziehen … Außerdem sind Sie wahrscheinlich in zwanzig Mädels auf einmal verliebt.«

»Keine Spur. Ich hab in meinem ganzen Leben kaum mehr als zwei Mädels gekannt. Die eine, mit der bin ich ein oder zweimal ins Theater gegangen – das war die Tochter von der Wirtin, bei der ich gewohnt hab, bevor ich hierher gekommen bin.«

»Das Wirtstöchterlein mußt du hofieren,
Sonst kriegst von jedem Gang du nur einmal«,

zitierte Nelly aus dem Schatzkästlein der Literatur.

»Natürlich. Ja. Aber ich geh jede Wette ein, Sie – –«

»Wer war denn das andere Mädel?«

»Ach! Das … Das war eine – eine Künstlerin. Ich hab sie sehr – sehr gern gehabt. Aber sie war – ach, schrecklich klug und gebildet. Herrjeh! – wenn – – Aber – –«

Nach einem verstehenden Schweigen sagte Nelly:

»Ja, das sind schon komische Leute. Künstler … Heute haben Sie Ihre erste Lektion im Fünfhundert. Ist das Ihre allererste?«

»Doch. Sagen Sie, ist das so ähnlich wie dieses Bridge-Whist? Ach, sagen Sie doch, Miss Nelly, warum heißt es eigentlich Fünfhundert?«

»Sie müssen sich eben von Fünfhundert herunterspielen. Nein, ich glaub, es hat nicht viel Ähnlichkeit mit Bridge; obwohl ich gestehen muß, daß ich Bridge nie gespielt hab. Aber das muß ein sehr nettes Spiel sein.«

»Ach, und ich dachte, Sie könnens wahrscheinlich spielen. Sie können ja fast alles.«

»Jetzt hören Sie aber auf, Mr. Wrenn. Heute hat mir der erste Einkäufer sogar gesagt, daß ich nicht ganz bei Verstand bin.«

»Wenn ich ihn das sagen hören würde – –«

»Würden Sie ihn für mich verprügeln?« Sie streichelte ein Kissen und lächelte dankbar. In ihre großen Augen schien ein neues Licht zu kommen.

Er ertappte sich bei dem Wunsch, ihre weiche Schulter zu küssen, begnügte sich aber damit, zu sagen: »Na, ich bin zwar kein großer Held, aber ich würd schon dafür sorgen, daß die Sache ganz interessant für ihn wird.«

»Erzählen Sie doch, haben Sie schon mal eine Keilerei gehabt? Als Junge? Waren Sie ein sehr schlimmer Junge?«

»Als Junge hab ich mich nie gebalgt, aber – also – wie ich auf dem Viehdampfer und dann in England war, da hab ich ein paar Raufereien gehabt. Aber das war weiter nichts Besonderes. Ich hab ne Heidenangst gehabt!«

»Das glaub ich nicht!«

»Aber sicher.«

»Ich glaub nicht, daß Sie überhaupt Angst haben können. Dazu sind Sie viel zu gesetzt.«

»Ich, Miss Nelly? Ich bin doch n richtiger Aufschneider.«

»Machen Sie sich nicht immer über sich selber lustig. Mir gefällt es, wenn Sie ernst sind – so wie gestern, wie Sie mich auf den schönen Schnee aufmerksam gemacht haben … Du lieber Gott, es ist doch eigentlich schlimm, daß man hier in der Stadt auf so viele schöne Sachen verzichten muß – nur die Parks sind da, und auch dort gibts keine Vögel, keine richtigen wilden Vögel, wie wir sie in Pennsylvanien gehabt haben.«

»Ja, wirklich wahr! Das ist schlimm!« Mr. Wrenn rückte näher und war ganz Mitgefühl.

»Ich fürchte, ich werd sentimental. Miss Hartenstein – sie arbeitet in derselben Abteilung wie ich – würde mich auslachen … Aber ich hab wirklich Vögel und Eichhörnchen und Weidenbäume und alle die Sachen so gern. Im Sommer geh ich immer gern zu Picknicks auf Staten Island oder im Van Cortlandt Park spazieren.«

»Wollen Sie im nächsten Frühling mal mit mir zu nem Picknick kommen?« Hastig fügte er hinzu: »Ich meine, mit Miss Proudfoot und Mrs. Arty und mir?«

»Das wär sehr nett. Ach, hören Sie, Mr. Wrenn; sind Sie mal auf den Palissaden bis nach Englewood gegangen? Dort ist es so hübsch – die Wälder und der Fluß und alle die komischen kleinen Schleppdampfer, ganz, ganz weit unten – ach, dort könnt ich stundenlang auf einem Felsen liegen und bloß unaufhörlich träumen. Wenn ich an einem Sonntag dort oben gewesen bin« – jetzt träumte sie, sah er, und sein Herz barst vor zärtlichen Gefühlen für sie – »dann mach ich mir eigentlich gar nichts draus, wenn ich am Montag früh wieder ins Geschäft gehen muß … Sie waren noch nicht da oben, nicht wahr?«

»Ich? Ja, ich bin doch überhaupt der Mensch, der die Palissaden entdeckt hat! … Ja, wunderbar ist es dort.«

»So, Sie sind der Entdecker? Richtig, davon hab ich ja auch in der amerikanischen Geschichte gelesen! … Aber Spaß beiseite, Mr. Wrenn, ich glaub wirklich, daß Sie sich was aus Spazierengehen und so etwas machen – nicht wie der Teddem und Mr. Duncan – die wollen immer bloß in der Stadt bleiben – und sogar Tom auch, obwohl er ein lieber Kerl ist.«

Mr. Wrenn setzte eine wütend eifersüchtige Miene auf. Darauf sagte sie rasch: »Natürlich mein ich bloß, daß er wie ein großer Bruder ist. Für uns alle.«

Das war so schön für sie beide – für sie, es zu erklären, und für ihn, es zu hören – daß weder Tom noch irgend ein Anderer ihr Herz besaß. Ihre schüchternen Blicke waren wie ein zärtliches Händestreicheln, als sie zutraulich weiter erzählte: »Mrs. Arty und er machen Picknicks, und wenn wir dann draußen auf den Palissaden sind, sagt er zu mir – wissen Sie, manchmal glaub ich ihm fast wirklich, daß er schläfrig ist, aber ich denke, er setzt sich dann irgendwo anders unter einen Baum und spricht mit Mrs. Arty oder liest was – aber was ich sagen wollte: er sagt immer zu mir: ›Na, Schwesterchen, jetzt werden Sie wohl ganz allein n bißchen rumspazieren und träumen wollen – Sie werden keine Lust haben, sich mit so nem alten Brummbären wie mir zu unterhalten. Na, mir kanns nur recht sein. Ich möcht schlafen. Ich hab gar keine Lust, mich über Sie und Ihr unaufhörliches Schwatzen zu ärgern. Gehen Sie schon!‹ Ich glaub, das sagt er bloß, weil er weiß, daß ich nicht gern allein weggehen würde, wenn die anderen es nicht für recht halten würden.«

Als Mr. Wrenn ihre Bemühungen, Toms Baßstimme zu imitieren, hörte, lachte er, schlug sich auf den Schenkel und erklärte: »Ja, Tom ist ein schrecklich netter Kerl, nicht! … Ich geh auch sehr gern ganz allein irgendwohin. Ich wander gern rum und erfind mir dann die blödsinnigsten kleinen Geschichten über die ganze Gegend; ganz so wien kleines Kind.«

»Und Sie lesen so furchtbar viel, Mr. Wrenn! Ach, sagen Sie mir doch, haben Sie schon mal was von Harold Bell Wright oder von Myrtle Reed gelesen, Mr. Wrenn? Die schreiben so reizende Geschichten.«

Er hatte es zwar nicht getan, versicherte aber augenblicklich mit der größten Entschlossenheit, daß er es nachholen würde. Sie fuhr fort:

»Mrs. Arty hat mir erzählt, daß Sie eine regelrechte große Bibliothek haben – beinah hundert Bücher und – – Sind Sie bös? Ich bin in Ihr Zimmer gegangen und hab drin rumgeschnüffelt.«

»Aber woher denn! Wenn Sie sich mal irgendwas ausborgen wollen, Miss Nelly, ich würd mich schrecklich freuen, wenn ichs Ihnen leihen darf … Aber das ist doch Unsinn! Ich hab doch überhaupt keine Bücher.«

»Deshalb haben Sie wohl auch keine Zeit darauf verschwendet, Fünfhundert und solche Sachen zu lernen, nicht wahr? Weil Sie so viel mit Ihrem Lesen zu tun gehabt haben?«

»Ja, man könnt so sagen.« Mr. Wrenn machte ein höchst bescheidenes Gesicht.

»Haben Sie nicht immer sehr viel – ach, haben Sie nicht immer von vielen Sachen geträumt?«

Sie schien sich wirklich für ihn zu interessieren.

Mr. Wrenn war sehr aufgeregt, als ihm das bewußt wurde, und gestand ihr: »Ja, ich glaub schon … Und ich hab auch immer viele Reisen machen wollen.«

»Ich auch! Ist es nicht einfach wunderbar, rumzureisen und immer was Neues zu sehen?«

»Ja, nicht wahr!« rief er atemlos. »S war wirklich großartig in England – obwohl die Menschen dort son bißchen unfreundlich sind. Sogar wenn ich hier in New York auf den Kais bin, kann ich mir denken, daß ich weit weg in China oder so wo bin. China würd ich gern sehen. Und Indien … Herrjeh! wenn ich draußen auf Coney Island oder sonstwo die Wellen hör – Sie wissen ja, wie die Wellen klingen, wenn sie so reinkommen. Also, dann hab ich fast son Gefühl, als ob ich mit jemand reden würde – wissen Sie – so über Schiffe. Und, ach ja, Sie kennen doch die Brecher – ist das nicht ganz so, als ob die Wellen dann auf einen zulaufen – und als ob sie wollen, daß man mit ihnen mitkommt – rüber nach China und in alle möglichen Länder.«

»Aber, Mr. Wrenn, Sie sind ja n richtiger Dichter!«

Er sah sehr unsicher aus.

»Wirklich; ich zieh Sie nicht auf; Sie sind ein Dichter. Und ich find es auch so schön, daß – – Mr. Teddem hat gesagt, daß kein Mensch ein Dichter sein kann, wenn er nicht schrecklich viel trinkt und – äh – ach, wenn er nicht anständig ist oder nichts Richtiges arbeitet. Aber Sie sind gar nicht so. Nicht wahr?«

Er blickte verlegen vor sich hin und murmelte höchst ernsthaft: »Also, ich geb mir Mühe.«

»Aber ich werd Sie auch noch dazu bringen, daß Sie in die Kirche gehen. Sie werden noch Sozialist oder so was, wenn Sie zu viel Dichter sind und nicht –«

»Miss Nelly, bitte, darf ich mit Ihnen in die Kirche gehen.«

»Aber – –«

»Am nächsten Sonntag?«

»Aber ja, ich würd mich sehr freuen. Sind Sie denn Presbyterianer?«

»Also – äh – ich bin wohl so was wie Kongregationalist; aber die Unterschiede sind ja wirklich nicht groß.«

»Ja, das stimmt. Und außerdem ist doch die Hauptsache, daß wir alle dasselbe glauben und uns bemühen, das Rechte zu tun; und wenn man arm ist, ist das manchmal schwer, und es sieht fast aus, wie – wie – –«

»Wie was?« fragte Mr. Wrenn.

»Ach – nichts … Aber Sie werden schrecklich früh aufstehen müssen, am Sonntagmorgen, wenn Sie mit mir gehen wollen. Der Gottesdienst in meiner Kirche fängt um halbelf an.«

»Ach, ich würd auch um fünf aufstehen, um mit Ihnen zu gehen.«

»Reden Sie doch keine Dummheiten! Sie wollen mir ja nur schmeicheln; natürlich; ihr Männer geht ja gar nicht so gern in die Kirche, das weiß ich recht gut. Am Sonntagvormittag seid ihr ordentlich faul und wollt bloß rumsitzen und Zeitung lesen und den armen Frauen – – Aber erzählen Sie mir doch noch was von Ihrem Lesen und so weiter.«

»Also, ich werd um halbzehn fertig zum Weggehen sein … Ich weiß nicht, ich hab doch eigentlich nicht viel gelesen. Aber ich würde gern reisen und – – Wissen Sie, es war doch großartig – ich bin da wohl recht kindisch; selbstverständlich muß man sich ordentlich ans Geschäft halten, aber es war doch großartig – – Wissen Sie, in Europa war einer mit einer – mit – einem Freund, und die beiden haben sehr viel Geschichte gewußt, sie haben fast alles über Guy Fawkes gewußt (das war der Mensch, der das englische Parlament in die Luft sprengen wollte) und wie die beiden in London waren, da haben sie fast gemeint, daß sie ihn richtig sehen, und sie haben miteinander rumgehen können und sich das Fenster von Shelley ansehen – das war ein Dichter in Oxford – – Ach, es war herrlich mit einer – mit einem Freund.«

»Ja, nicht wahr? … Ich wollte übrigens mal in der Buchabteilung arbeiten. Es ist so nett, daß Sie – –«

»Na, was ist mit Fünfhundert?« rief Tom Poppins von der Diele unten herauf. »Fertig, Wrenn?«

Tom sollte Mr. Wrenn in die großen Mysterien einführen und mit ihm gegen Mrs. Arty und Miss Mary Proudfoot spielen.

Mrs. Arty bereitete es kein geringes Vergnügen, schon an der Tür das alte Sprüchlein zu wiederholen: »Also, die Damen gegen die Männer, ja?«

Darauf folgte ein allgemeines zustimmendes Brummen, das etwa so wiedergegeben werden könnte: »Hmmmmhm.«

»Ich bin eine gute Suffragette«, sagte sie dann noch. »Passen Sie nur auf, wie wir die Männer schlagen werden, Mary.«

»Sie möchten gern Fenster einhauen? Na, wollen mal sehen – –« bemerkte Tom, während er alles für das Spiel herrichtete.

»Ja, das würd ich recht gern machen! Ich werd immer ganz rasend«, versicherte Mrs. Arty, »wenn ich an die alten Ziegenböcke denk, die die Männer als Kandidaten aufstellen, obwohl sie ganz genau wissen, daß sie nichts weiter als feierliche alte Esel sind! Dann würd ich wirklich wie verrückt mit abstimmen.«

»Meiner Ansicht nach gehört die Frau ins Haus«, erklärte Miss Proudfoot mit aller Entschiedenheit, ein Serviettchen, an dem sie gerade arbeitete, aus der Hand legend und ihre Locken zurecht zupfend.

Sie setzten sich um den prächtigen, leuchtenden Tisch in der Mitte des Zimmers.

Miss Proudfoot scharrte streng. Mr. Wrenn saß still und erschrocken da, wie ein schiffbrüchiger Professor, der auf einem Floß mit zwei gewerbsmäßigen Spielern und einem Reporter zusammengeraten ist. Aber auf dem Sofa saß Nelly mit ihrer Stickerei – einem großen Lampendeckchen für die Frau des Presbytianerpastors in Upton's Grove – und lächelte ihm ermutigend zu.

»Fehlt Ihnen nicht Ihr kleiner Freund Horatio Hood Teddem beim Spielen?« fragte Tom.

»Nein, darauf können Sie sich verlassen«, erklärte Mrs. Arty. »Aber eins war an Horatio angenehm. Ich hab mir nie sein Konto ansehen müssen, wenn ich wissen wollte, wieviel er mir schuldig ist. Wenn er mir zehn Dollar schuldig war, hat er aufgehört, mir ›kleine Butterblume‹ zu sagen, und wenn er die Haustür nicht mehr zugeknallt hat, dann war er mir schon zwanzig schuldig. Ach, Mr. Wrenn, hab ich Ihnen schon mal davon erzählt, wie ich ihn gefragt hab, ob ihm Annie nicht das – –«

»Gerty!« protestierte Miss Proudfoot, während Nelly auf ihrem Sofa mechanisch ausrief: »Die Geschichte!« Aber Mrs. Arty lachte vergnügt und sprach weiter:

»Ich hab ihn gefragt, ob ihm Annie, wenn sie sein Zimmer ausfegt, nicht auch das Nachthemd ausfegen soll. Am nächsten Tag hat er sich dann ein frisches genommen.«

»Sie sind Vorhand, Mr. Poppins«, sagte Miss Proudfoot mahnend.

»Vor allem muß ich Wrenn erklären, wie gespielt wird. Sehen Sie, Wrenn, das hier ist die Tabelle. Wir spielen Avondale-Tabelle, wissen Sie.«

»Aha«, meinte Mr. Wrenn schüchtern. Er hatte einmal etwas von Carbondale gehört – in New Jersey oder in Pennsylvanien oder sonstwo – aber das schien ihm nicht viel zu helfen.

»Also wissen Sie, Sie können entweder abschreiben oder mehr machen«, fuhr Tom fort. »Minus und Plus, verstehen Sie. Joker ist das Höchste, dann kommt Trumpfbube, dann je nachdem roter oder schwarzer Bube und Aß. Weiter – äh – warten Sie mal; höchste Ansage nimmt den Talon und spielt an. Zehn Stiche. Farbe bekennen wie bei Whist natürlich. Das wird wohl alles sein – jedenfalls muß Ihnen das einen Begriff davon geben. Ich sage sechs ohne Trumpf.«

Als Tom Poppins mit diesen Instruktionen, die in der raschen Stell-mir-keine-dummen-Fragen-mehr-Art der Kartenspieler gegeben wurden, fertig war, hatte Mr. Wrenn das Gefühl, zu ersticken. Er drehte den Hals hin und her und suchte sich von dem Druck seines steifen Kragens zu befreien. Er versagte also. Er war schon aus der Gesellschaft verbannt.

Er konnte also nicht Fünfhundert lernen! Und er war so stolz darauf gewesen, daß er die Karten voneinander unterscheiden konnte, weil er auf dem Viehdampfer mit Tim einige Male Poker zu zweit gespielt hatte. Aber was zum Kuckuck sollte das denn alles heißen: »je nachdem rot oder schwarz – Talon – bekennen«?

Und unter Nellys Augen zu versagen! Er zerrte noch einmal an seinem Kragen.

Mit diesen Gedanken beschäftigte er sich, während Mrs. Arty und Tom den folgenden wunderbaren, aber höchst rätselhaften Gesellschaftsdialog führten:

Mrs. Arty: Also, ich weiß nicht.

Tom: Kein Fehler, aber Ansage drücken ist ein kleines Verbrechen.

Mrs. Arty: Mary, soll ich – –

Tom: Halt! Nicht über den Tisch reden!

Mrs. Arty: Hm – da will – ich doch – mal sehen.

Tom: Höher, höher! Wie wärs denn mit ner kleinen Sieben in Herz?

Mrs. Arty: Und jetzt werd ich grade sieben Herz sagen, mein Lieber!

Tom: Ach, wir werden Sie schon erledigen! … Was sagen Sie, Wrenn?

Nelly Croubel flüsterte Mr. Wrenn von hinten ins Ohr: »Sagen Sie sieben ohne Farbenzwang. Sie haben den Joker.« Ihr reizender Zeigefinger mit dem polierten Nagel zeigte auf eine sonderbare Karte in seinem Blatt.

»Sieben ohne Zwang«, murmelte er.

»Acht Herz«, rief Miss Proudfoot.

Nelly zog sich einen Stuhl hinter Mr. Wrenn. Er lauschte ihren leisen Erklärungen voll Respekt und Zärtlichkeit.

Tom und er gewannen das Spiel. Er sah Nelly ehrfürchtig an und nahm dann sein neues Blatt, angstvoll, unsicher, und starrte es an, als könnte es ihm eine jener irreführenden Karten zeigen, vor denen Nelly ihn eben gewarnt hatte – einen Buben von der falschen Farbe.

»Gut! Pik – sehen Sie«, sagte Nelly.

Fünfzehn Minuten später hatte Mr. Wrenn das Gefühl, Tom hoffe, daß er ein Treff ausspielen werde. Er tat es auch, und der ganze Tisch rief: »Richtig. Ausgezeichnet!«

Er spürte eine leichte Hand auf seiner Schulter und sah sich errötend nach Nelly um.

Mr. Wrenn, die Leuchte der Gesellschaft, war aber ununterbrochen auch Unser Herr Wrenn von der Kunstartikel-Gesellschaft. Ja, jetzt hatte er die Absicht, die Arbeit unermüdlich bis zu jener nebelhaft entfernten Zeit ernst zu nehmen, auf die wir alle warten, die Zeit, »in der es endlich passiert«. Seine Methode, die Kaufleute im Süden zu bearbeiten, hatte solche Resultate gezeitigt, daß aus seinem Interesse für die Papiere auf seinem Schreibtisch ein unerschütterlicher Glaube an die gottgewollte Notwendigkeit der Arbeit als solcher geworden war. Jetzt hob er seine Privatbriefe nicht mehr zusammengebündelt in einer Schublade auf, um jederzeit zu einem plötzlichen Aufbruch nach Wien oder Kamtschatka bereit zu sein. Er hatte auch den Wunsch, viel mehr Geld für sein neues schönes Leben zu verdienen. Mr. Guilfogle hatte ihm versichert, daß gewisse Chancen da wären – das Geschäft hatte sich gehoben, zwei neue Landbezirk- und ein Stadtvertreter waren dem Personal hinzugefügt worden, und die Firma, die früher nur als Makler gearbeitet hatte, ließ sich jetzt selbst ihre Büroartikel herstellen, die im Handel glänzend einschlugen.

Durch seinen Freund Rabin, den Reisevertreter, war Mr. Wrenn in nähere Berührung mit zwei großen Männern gekommen – mit Mr. L. J. Glover, dem Einkäufer der Kunstartikel-Gesellschaft, und John Henson, dem neu engagierten Chef der Herstellungsabteilung. Er wollte »alle verschiedenen Zweige des Geschäfts kennen lernen, um nötigenfalls überall mitarbeiten zu können«; und von diesen Männern wurde er in die wertvollen Geheimnisse des Handels eingeweiht, mit deren Hilfe die Götter des Geschäftslebens für uns alle die Prosperität schaffen: wie man einen Verkäufer gegen das Fenster setzt, damit man »sein Gesicht besser sehen kann, als er unseres«. Um wieviel früher man dem Drucker telephonieren muß, daß »wir die Probeabzüge unbedingt noch heute nachmittag haben müssen; was ist denn da bei euch los? Braucht ihr unsere Aufträge nicht mehr?« Er lernte auch etwas über die verschiedenen Arten von Pappe und Tintenfaßglas, obgleich das selbstverständlich lediglich Dinge des Wissens waren, nicht Angelegenheiten hervorragender Geschäftstaktik, und viel weniger Bedeutung hatten als das, was Tom Poppins und Rabin »den anderen mit Worten richtig einwickeln« nannten.

»Hören Sie mal, Sie reden ja in der letzten Zeit wien Buch – Sie sind jan ordentlicher Gesellschaftslöwe«, erklärte ihm Rabin.

Mr. Wrenns Antwort selbst bewies, wie richtig Rabins Bemerkung war:

»Klar – ich will mir von euch was pumpen. Da muß ich doch Eindruck schinden, was?«

Wenige Stunden nach diesem Lob kam Istras zweiter Brief:

 

»Liebes Mäuschen, es freut mich sehr, daß Sie mir von der netten und sympathischen Pension schreiben. Natürlich würde ich über die Leute dort gern etwas hören. Und Sie lesen Geschichtswerke? Das ist schön. Ich bekomme allmählich genug von Paris und werde wohl eines Tages einen Absinth auf der Straße anhalten und ins Gesicht schlagen, um zu beweisen, daß ich eine unerschrockene Filmamerikanerin aus dem Wilden Westen bin, und dann werde ich in den Sattel springen und den Banditen verfolgen. Ich arbeite wie der Teufel, aber was hat das für einen Sinn? Das heißt natürlich, daß es sehr viel Sinn hat, wenn man seine Arbeit richtig tut, so wie Sie. Bleiben Sie aber auch dabei. Sie wissen, ich will, Sie sollen etwas Wirkliches sein, was immer Sie auch sind. Ich wollte nicht predigen, aber Sie wissen doch, wie sehr ich Menschen hasse, die nicht wirklich sind – deshalb habe ich auch kein allzu großes Flair für mich selbst.

Au récrire,
I. N.«

 

Als er ihren Brief zum dritten Mal gelesen hatte, war er ganz entsetzt und hielt sich für einen Verräter, weil er merkte, daß er sich nur eingeredet hatte, froh und aufgeregt zu sein … Das alles schien ihm so fern. »Flair« – »au récrire«. Was sollte das denn heißen? Und Istra war immer so unzufrieden. »Was würde sie tun, wenn sie so arbeiten müßte wie Nelly? … Ach, Istra ist doch wunderbar. Aber – herrjeh! – ich weiß nicht – –«

Und wenn jemand, der einmal geliebt hat, sagt: »Aber – herrjeh! – ich weiß nicht – –« flieht die Liebe voll Entsetzen.

Nachdenklich ging er nach Hause.

Nach dem Essen sagte er unvermittelt zu Nelly: »Ich hab heut einen Brief aus Paris bekommen.«

»Wirklich? Wer ist sie?«

»G–g–g–g – –«

»Ach, es ist immer eine Sie.«

»Also – äh – er ist wirklich von einem Mädel. Ich hab Ihnen schon einmal n bißchen von ihr erzählt. Sie ist Künstlerin, und einmal haben wir einen großen Ausflug zusammen gemacht. Kennen gelernt hab ich sie – sie hat im selben Haus in London gewohnt wie ich. Aber – ach, herrjeh! Ich weiß nicht; sie ist so blödsinnig literarisch. Sie ist wirklich ne prächtige Person – – glauben Sie, Sie würden ein solches Mädel gern haben?«

»Vielleicht.«

»Wenn sie ein Mann wäre?«

»O ja! Künstler sind so romantisch.«

»Aber meistens sind sie nicht richtig bei der Arbeit«, sagte er voll Eifersucht.

»Ja, das stimmt auch.«

Seine Hand stahl sich in aller Heimlichkeit, zunächst listig mit einem Kissen spielend, vor, um ihre zu berühren, die sie lachend zurückzog.

»Halt da! Sie können die Hand von Ihrer Künstlerin halten!«

»Oh, Miss Nelly! Wo ich Ihnen doch selber von ihr erzählt hab!«

»Ach ja, natürlich.«

Sie war sehr zerknirscht, und den ganzen Abend spielten sie angeregt Fünfhundert.


 << zurück weiter >>