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Zehntes Kapitel.

Der Tod übt eine bindende Kraft auf die Ueberlebenden. Das Scheiden seiner Mutter fesselte Friedrich an seine Frau, an seine Heimath. Er mochte der Reise in diesem Augenblicke nicht gedenken, ja er schien ihrer kaum zu bedürfen, da er durch die Ankunft seines Stellvertreters seines Amtes enthoben war. Die Ruhe erquickte ihn, und aus freiem Antriebe erklärte er seinen Vorsatz, bis in den Herbst zu bleiben, und an der Feier Theil zu nehmen, mit der man den siebenzigsten Geburtstag des Barons begehen wollte. Indeß gegen ihr ganzes bisheriges Verhalten, wollte Auguste von diesem Aufschube nichts wissen, und wie sie bisher Alles aufgeboten hatte, ihren Mann zum Bleiben zu bewegen, so drängte sie ihn jetzt zur Reise.

War man nun Anfangs geneigt, darin eine Selbstverleugnung zu ehren, so mußte bald die Hast und Herbheit auffallen, mit der sie Friedrich zur Ausführung seines Planes antrieb. Es war, als könne sie den Zeitpunkt seiner Abreise kaum erwarten, als falle ihr seine größere Zuneigung zur Last. Sie war aufgeregt und gereizt, und bald war die frühere Verstimmung zwischen den Eheleuten wieder eingetreten, die Friedrich jetzt, nach jener kurzen liebevolleren Annäherung, noch drückender empfand. So kam es, daß er einst nach einer verdrießlichen Scene mit Augusten, seine Abreise, für die sie ohne sein Zuthun alle Vorkehrungen getroffen hatte, auf einen der nächsten Tage festsetzte, und kaum war Auguste derselben sicher, als ihre Zärtlichkeit für ihn plötzlich zurückzukehren schien.

Wie alle edlen Naturen auf Gleichmäßigkeit der Gefühle angelegt, fand sich Friedrich durch die wechselnde Neigung seiner Frau nur um so mehr verletzt und abgestoßen. Er konnte es nicht ertragen, seinen Werth für sie von ihren Stimmungen abhängig zu sehen, und erbittert gegen ihre Launenhaftigkeit, sehnsüchtig nach ungetrübter Ruhe, schied er von Auguste und von seiner Heimath.

So lange nun diese Reise auch beabsichtigt worden, so hatte ihre endliche Ausführung doch etwas Plötzliches. Auguste fühlte sich wie betäubt, als sie sich einsam in dem Hause fand. Ihre gewohnten Klagen, daß das Leben ihr keine Rast, keine Freude gönne, daß sie stets gezwungen worden sei, sich das Liebste zu versagen, fanden jetzt nicht Maß noch Ende, und mußten ihren Verwandten um so räthselhafter und unberechtigter dünken, als sie Zeugen des Eifers gewesen waren, mit dem sie ihren Mann zu entfernen gestrebt hatte.

Sidonie, welche wenig Nachsicht mit fremder Schwäche hatte, weil sie strenge gegen sich selbst war, stellte die Klagende endlich einmal darüber zur Rede.

»Ich glaube,« sagte sie, »Sie sind sich selbst über Ihr Empfinden nicht klar. Entweder Sie mißtrauten der Liebe, die Sie für Friedrich jetzt mehr als früher zu fühlen glauben, und scheuten sich vor einer Täuschung, die Ihnen Beiden gleich schmerzlich geworden wäre, oder Sie lieben ihn wirklich und fürchteten, diese volle Liebe einem Manne hinzugeben, mit dem Sie leider nicht auf demselben sittlichen und religiösen Boden stehen. Ich begreife dies letztere Bedenken eben so vollkommen, als ich Ihnen jene spröde Schamhaftigkeit der Frauennatur nachfühlen kann, aber das Bedenken gegen ihn und das Mißtrauen gegen sich selbst – –«

Auguste hatte ihr nicht zugehört. Sie gab Nichts auf Erklärung der eigenen Zustände, denn sie meinte, Jeder wisse am besten, wie ihm zu Muthe sei, und mit allem Deuten und Ergründen würde man nicht zufriedener und nicht besser. So hatte sie sich lange gewöhnt, die Baronin in solchen Fällen ruhig sprechen zu lassen, die, der eigenen Ueberzeugung froh und sicher, fremder Zustimmung nicht weiter bedurfte. Indeß bei Sidoniens letzten Worten schien die Theilnahme der Pfarrerin plötzlich rege geworden zu sein, und heftig auffahrend rief sie: »Mir soll ich mißtrauen? mir? – Ich müßte ja kein Weib sein, wäre ich mir nicht klar über mein eigenes Herz! Nur die Männer kennen sich nicht! Nur die Männer belügen sich! Und weil ich das weiß, weil ich weiß, daß Keiner der Verlockung widersteht, weil ich dies erlebt habe, darum mißtraue ich ihm, ihm allein – und auch ihr!« setzte sie nach einer Pause hinzu, da Sidonie sie befremdet ansah.

»Sie mißtrauen Friedrich und auch ihr?« wiederholte sie.

»Ja ihr!« rief Auguste, und als sei sie nicht länger im Stande sich zu bemeistern, sprach sie mit jener scheuen Heftigkeit, welche alle überreizte Leidenschaft mit dem Wahnsinne gemein hat: »Einem muß ich es sagen, Einer muß es wissen, was mir das Herz abdrückt seit Wochen! Ich bin nicht launenhaft, ich bin nicht wahnsinnig, aber unglücklich bin ich, war ich, werde ich ewig sein! ewig!«

Sie hatte alles Maß verloren und weinte und schluchzte laut. Sidonie, der jede gewaltsame Gefühlsäußerung zuwider war, fand Auguste in diesem Augenblicke so abstoßend, daß es sie Ueberwindung kostete, es ihr nicht auszusprechen. Trotz ihrer Erregung bemerkte es dieselbe. »Ja!« rief sie, »zeigen Sie mir nur, daß Ihnen meine Trostlosigkeit verhaßt ist. Wer mag sich auch mit fremdem Elende befassen!«

»Sie sind ungerecht!« entgegnete die Baronin. »Das Unglück Ihrer Ehe hat mir stets Bedauern eingeflößt.«

»Bedauern?« wiederholte Auguste spöttisch. »Was war da zu bedauern, da ich ihn nicht liebte? – Aber jetzt! grade jetzt! Wissen Sie, Sidonie! was Eifersucht heißt?« fragte sie und faßte die Hand der Letztern mit solcher Gewalt, daß diese sie erschreckt und beleidigt zurückzog.

Die Pfarrerin beachtete es nicht. »Helene kommt!« sagte sie leise mit dem Ausdruck der höchsten Bitterkeit. »Jetzt, grade jetzt! da wir uns gefunden hatten. Und mir, mir vertraut sie die angenehme Ueberraschung. Von mir verlangt sie, es selbst Ihnen und Erich zu verbergen, daß sie zum Geburtstage des Vaters kommen will. Bei mir will sie absteigen – – denn natürlich muß Friedrich der Erste sein, der mit dem Zauber ihrer Gegenwart begnadigt wird!«

»Also Helene kommt!« sagte Sidonie, ohne weiter eine Bemerkung hinzuzufügen.

Auch die Pfarrerin schwieg, ihre Leidenschaftlichkeit hatte sich genug gethan, und mit größerer Ruhe fragte sie nach einer Pause: »Was denken Sie von dieser Ueberraschung?«

»Ich finde es sehr natürlich, daß sie den Vater sehen will!« antwortete Sidonie mit der abweisenden Ruhe, welche sie der Pfarrerin gegenüber immer annahm, sobald es sich um die Angelegenheiten der Heidenbruck'schen Familie handelte, zu der sie Auguste niemals rechnete. Aber sich selbst vergessend, fügte sie hinzu: »Die Sucht der Ueberraschungen ist diesen Koketten doch wie angeboren! Es ist so leicht, sich dabei vortrefflich in Scene zu setzen! Es sollte mich nur wundern, wenn nicht auch Cornelie käme, durch Ueberraschung sich bei ihrem Vater wieder einzuführen!«

Beide Frauen schwiegen, als fürchteten sie einander die Tiefe der Abneigung zu verrathen, die sie gegen die Gräfin und gegen Cornelie hegten. Indeß sie verstanden sich wortlos, und plötzlich aufbrechend, sagte die Baronin: »Vergeben Sie mir, liebe Auguste! wenn ich Ihnen mit meinem Urtheil Unrecht that. Wir sind so kurzsichtig gerade für unsere nächste Umgebung! Sie hatten vollkommen Recht, die Entfernung Ihres Mannes zu verlangen, und ihm, dessen Ansichten über die Heiligkeit der Ehe so locker sind, die Begegnung mit einer Frau von den üblen Lebenserfahrungen der Gräfin zu ersparen. Sie hatten vollkommen Recht! ich hätte dasselbe gethan!«

Das war das höchste Lob, welches die Baronin einer Frau zu spenden vermochte, und mit erhobenem Bewußtsein rief Auguste: »Es kommt auch noch der Tag, an dem er es mir danken wird!«

»Danken?« wiederholte die Andere lächelnd. »Sie sind älter, sind mehr mit Männern in Berührung gekommen als ich, die stets unter dem Schutze meiner Mutter lebte, und Sie erwarten Dank von einem Manne, den Sie zu leiten gezwungen worden sind? – Hüten Sie sich, daß er es nie erfahre, denn das verzeiht kein Mann!«

Damit wickelte sie sich in ihre Mantille und verließ das Pfarrhaus, mißmuthig gemacht durch die Nachricht von dem bevorstehenden Besuche ihrer Schwägerin, gegen deren oft gerühmte unwiderstehliche Anmuth und Güte sie instinctmäßig die tiefste Abneigung empfand.

Sie schwankte, ob sie Augusten das Geheimniß bewahren, ob sie Erich die Ankunft seiner Schwester melden und von ihm verlangen solle, seine Mitwissenschaft zu verschweigen. Bald hielt sie Helenens Kommen für ein übles, bald für ein gleichgültiges Ereigniß, immer aber war sie, gegen ihren eigenen Willen, damit beschäftigt. Sie fühlte sich dadurch in allen Vorbereitungen für das Fest gehemmt. Ueberall sah sie im Geiste den Platz, der ihr gebührte, durch Helene, durch des alten Barons Lieblingstochter eingenommen. Wie es zu geschehen pflegt, wuchs in ihr der Widerwille gegen das bevorstehende Ereigniß, je länger sie sich damit beschäftigte, bis sie endlich Erich in das Vertrauen zog, um wenigstens ihren Mann, wie sie es nannte, vor den, Unbehagen einer solchen Ueberrumpelung durch Helene zu bewahren.

Erich aber nahm die Nachricht mit sichtlicher Freude auf. »Ich hatte sie fast mit Zuversicht erwartet!« sagte er. »Georg kann bis zu dem Geburtstage in keinem Falle in Europa sein, und Cornelie – Cornelie kann nicht kommen!« sprach er seufzend. »So rechnete ich auf Helene, in deren Natur es liegt, niemals zu fehlen, wo es Liebe zu bethätigen gilt!«

Als hätte die Aussicht sie zu sehen, ihm Helenens Bild erst wieder lebendig gemacht, so ausschließlich blieb er von dem Tage ab, mit den Erinnerungen an sie, mit ihrer Ankunft beschäftigt. Das ganze Fest bekam eine neue Bedeutung für ihn, denn Helene war seit Jahren nicht im Vaterhause, und seit ihrer Verheirathung nicht mehr auf dem Gute gewesen. Nicht ohne Grund beschwerte Sidonie sich darüber, daß er aus der Geburtstagsfeier des Vaters eine Apotheose für Helene machen werde. Nicht ohne Grund behauptete sie, daß schon der Gedanke an die Gräfin seiner Stimmung und seinen Ansichten eine andere Richtung, seinen Ansprüchen und Wünschen einen anderen Charakter gebe.

Er bestand darauf, mancherlei Aenderungen in der Einrichtung der Zimmer vorzunehmen, die er nicht im Einklange mit dem Geschmack der Schwester glaubte. Er fing selbst an, die Toilette seiner Frau zu tadeln, deren frauenhafte Einfachheit er sonst stets gerühmt hatte, und während er ihr aussprach, wie sehr er wünsche, daß sie und Helene einander näher treten möchten, während er seiner Frau einräumte, daß er glaube, ihr ganzes Wesen und der Anblick ihrer Ehe werde einen wohlthuenden Einfluß auf die Schwester machen, erbitterte er Sidonie mehr und mehr gegen die Gräfin, mit der verglichen zu werden, sie als eine ihr zugefügte Kränkung empfand. Gewohnt, seit Jahren von ihrem Manne und ihrem Schwiegervater ganz ausschließlich beachtet, verehrt und gelobt zu werden, sah sie jeden als ihren Feind an, der von Erich und von dem Baron Aufmerksamkeit und Liebe zu fordern und zu erlangen im Stande war. Ihr Mißmuth wuchs mit der Nähe des Festes, und so lange sie auch auf das Ereigniß vorbereitet gewesen war, schwand alle Farbe aus ihren Wangen, als sie am Abend vor dem Feste die Nachricht von der Ankunft der Gräfin erhielt.

»Helene ist da!« schrieb Auguste. »Ich habe sie auf ihr Zimmer geführt, die Kammerjungfer ist bereits in voller Arbeit, der ganze Bezauberungsapparat wird ausgekramt. Meinen Mann nicht zu Hause zu finden, schien sie zu überraschen! Ich hatte mich also nicht geirrt!«

Der Ton dieses Billetes beschämte Sidonie. Sie zerriß das Blatt und warf die Stücke in das Kaminfeuer, damit Erich es nicht sehe. Dann ging sie ihm die Ankunft der Schwester zu melden, und erbot sich, da er sich augenblicklich anschickte in das Pfarrhaus zu eilen, ihn dorthin zu begleiten. Wenige Minuten später lagen die Geschwister sich in den Armen.

Helene weinte und lachte durcheinander. Sie umarmte Erich, umarmte die Baronin und dankte ihr mit Herzlichkeit für das Glück, das sie dem Bruder bereite. Sie nannte es gescheut von Auguste, daß sie ihr Geheimniß nicht bewahrt habe, und lobte die große Vorsorge, mit der sie für ihre Bequemlichkeit bedacht gewesen sei. Für Jeden hatte sie Dank, durch Jeden schien sie Freude zu fühlen, aber schon nach wenig Augenblicken verlangte sie, Erich solle den Vater auf ihre Anwesenheit vorbereiten, weil es sie dränge, ihn wiederzusehen.

Erich war anderer Meinung. Er hatte es sich ausgedacht, daß Helene, nachdem die Familie und die Ortsangehörigen dem Baron ihre Glückwünsche dargebracht haben würden, zuletzt erscheinen, und daß Weidewut durch ein Paar Verse, welche er ihm für den Zweck gemacht hatte, dem Großvater die Nähe der Tochter verkünden sollte. Indeß Helene wollte davon gar Nichts wissen.

»Macht mich doch nicht zur Hauptperson,« sagte sie, »wo ich jetzt nur noch ein armer Eindringling sein kann. Soll ich denn, da ich eben erst aufathme von dem Paradewesen unseres Hofes, gleich wieder Etwas darstellen, statt einmal recht in Liebe bei Euch auszuruhen?«

Sidonie und Auguste sahen einander flüchtig an, betroffen durch die Weigerung der Gräfin. Hatten sie früher gefürchtet, daß Helene sich zur Hauptperson des Tages machen werde, so verargten sie ihr jetzt, daß sie die überlegten Anordnungen verwerfen, allein die Freude des Barons erregen und genießen wolle. Als aber Erich dem Wunsche der Schwester augenblicklich nachgab, lächelte die Baronin bitter, denn sie sah darin einen Beleg für ihren Glauben, daß Helene einen unberechtigten Einfluß auf den Bruder auszuüben strebe, und daß sie eine von den Frauen sei, welche auch in Kleinigkeiten ihren Willen auf Kosten Anderer durchzusetzen verlangen.


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