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Achtes Kapitel.

Sidonie war durch Erich schon am Abende von dem Entschlusse seines Freundes unterrichtet worden. Augustens verweinte Augen verkündeten ihr was vorgegangen war, dennoch ließ sie sie ruhig erzählen, der Leidenden den Trost des Aussprechens zu gewähren.

Als sie geendet hatte, sagte die Baronin: »Erich hatte mit mir schon von der schweren Prüfung gesprochen, beste Auguste! die Ihnen bevorzustehen scheint. Ich habe lange mit ihm überlegt, und heute den ganzen Morgen darüber nachgedacht, was man thun solle, was Sie für Friedrich thun können; denn dies ist einer der vielen Fälle, in denen die Frau die treue Hand ausstrecken und den schwankenden Mann über dem Abgrund erhalten muß!«

»Gott!« rief Auguste, »wie kann ich das? wie soll ich ihn hindern, seine Entlassung zu fordern? Und doch ist mir der Gedanke daran bitterer als der Tod!«

»Erklären Sie ihm ruhig, aber fest, daß Sie seinen Entschluß als ein Unrecht gegen Sie ansehe« –«

»Und ist es das nicht?« fiel ihr die Pfarrerin in's Wort. »Ist es nicht unverantwortlich, das Schicksal einer Frau auf sich zu nehmen, so lange man mit sich selbst nicht fertig ist? – Ich bin nicht Schuld an seinen Seelenkämpfen, und ich allein werde sie zu büßen, ich allein davon zu leiden haben!«

»Nein!« wendete die Baronin ein, »lassen Sie uns keine Ungerechtigkeit begehen. Auch Friedrich leidet und hat gelitten, das ist keine Frage, und Sie haben ihm gelobt, in guten und bösen Tagen mit ihm auszuhalten. Mich dünkt jedoch, dies Gelöbniß reicht nicht aus. Nicht nur theilen sollen wir das Leid des Mannes, wir sollen es lindern, wenn es da ist, wo möglich aber ihm vorbeugen, wenn es droht. Noch ist nichts Unwiederbringliches geschehen, lassen Sie es nicht zu einem solchen kommen!«

»Ich verstehe Sie nicht, was soll ich thun?« rief Auguste, »mir ist ja Nichts zu schwer, kann ich ihn hindern, sich und mich in das Unglück zu stürzen!«

Die Baronin hielt einen Augenblick inne, dann sprach sie: »Sie haben ganz Recht, auch Friedrich würde sehr zu beklagen sein, ließe man ihn handeln, wie er's vor hat. Ich habe es mit Erich reiflich durchgesprochen, eine so idealistische Seele wie Ihr Mann, kann in dem nackten Materialismus auf die Dauer seine Befriedigung nicht finden. Er ist ursprünglich eine religiöse Natur gewesen, er muß, er wird zu seinem besseren Selbst, zu seiner Pflicht zurückkehren, wenn Sie ihm dazu helfen, wenn Sie, Liebste! nur recht standhaft bleiben.«

»Ich?« rief Auguste, »zweifeln Sie an mir?«

»Nein! im Gegentheil, ich baue auf Sie! Eine Frau kann so viel in solchem Falle. Auch mein Mann war einst schwankend in seinen religiösen, in seinen sittlichen Begriffen, und wie anders ist das jetzt geworden. Aber hüten Sie sich, Friedrich durch directen Widerspruch zu reizen, das ertragen die Männer nicht. Wollen Sie ihm Nichts beweisen, als was Sie ihm durch Ihr eigenes Leben darthun. Verlangen Sie Nichts von ihm, was nicht sein eigenes Beste ist, und mit Entsagung und Geduld werden Sie sicherlich zum Ziele gelangen.«

Auguste hörte ihr nachdenklich und mit wachsendem Muthe zu. Daß man von ihr die Rettung ihres Gatten erwartete, hob sie in ihren eigenen Augen. Mit freudigem Eifer gelobte sie Alles für ihn zu thun, was in ihren Kräften stehe, denn die Absichten der Freunde fielen mit Augustens eigenen Wünschen eng zusammen.

»Ich bin der Meinung, und Erich stimmt mir vollkommen bei,« erklärte die Baronin, »daß man Friedrich hindern müsse, seine Entlassung zu nehmen. Ein solcher Schritt macht so viel übles Aufsehen. Was sollen der Gemeinde die Bekenntnisse, mit denen er diesen Entschluß nothwendig rechtfertigen müßte? Die Leute denken ohnehin mehr als sie sollten, glauben weniger als ihnen unerläßlich wäre. Mein Schwiegervater, der jetzt in diesen Dingen so reizbar ist, würde unerbittlich sich von Ihrem Manne abwenden und sich jedem Wiedereintritte desselben in sein Amt entschieden widersetzen, selbst wenn Friedrich einst dazu die Neigung fühlte. Das Alles müssen, können Sie für ihn und uns vermeiden.«

»Und wie das?« fragte Auguste gespannt.

»Verlangen Sie von ihm, und das dürfen Sie verlangen, daß er nicht seinen Abschied, sondern vorläufig nur einen Urlaub auf ein Jahr begehren solle. Erklären Sie ihm, Sie wollten die Pfarre nicht verlassen, bis er ganz mit sich im Klaren, ganz über seine Plane für die Zukunft mit sich einig sein würde. Erich wird ihm auch in diesem Sinne rathen. Es ist für alle Fälle der beste Ausweg. Er läßt Ihnen wenigstens äußerliche Ruhe, verhindert die schlimmen, öffentlichen Erörterungen, und erspart auch Geld, denn ein Mann allein reist billig!«

Auguste war betroffen. So wenig sie innerlich mit ihm zusammenhing, erschrak sie doch vor dem Gedanken einer so langen Trennung von ihrem Manne, aber grade der Schmerz, den sie dabei empfand, machte sie geneigter, dem Vorschlage Gehör zu geben, dessen praktische Vortheile nicht zu verkennen waren. Sie wollte Sidonien beweisen, daß sie sich nicht in ihr geirrt habe. Sie wollte darthun, daß sie gleicher Kraft und gleicher Selbstverleugnung fähig sei, als Jene. Mit innerer Erhebung versprach sie diesem Rath zu folgen, und ging getröstet von der Freundin nach dem Pfarrhause zurück.

Am Mittage fand Friedrich sie über sein Erwarten ruhig. Gegen ihre Art nahm sie selbst die Unterredung über seine Plane auf. Mit mehr Sammlung, als er an ihr gewohnt war, setzte sie ihm ihre Meinung und ihre Wünsche auseinander.

Angeregt durch die Hoffnung, Friedrich werde den Vorschlag dieser Trennung vielleicht nicht annehmen, er werde sich von ihr und Erich zum Bleiben überreden lassen, und fortgerissen von ihrer Heftigkeit, hatte sie zuletzt schnell und laut gesprochen, so daß ihre Erklärung, nicht mit ihm reisen zu wollen, hart und rauh erklang, und statt ihn zu rühren, ihren Mann beleidigte.

»Du willst hier bleiben? Du willst also nicht mit mir gehen?« fragte er verletzt.

»Nein!« antwortete Auguste fest, einer nachgiebigen Antwort gewärtig. Aber Friedrich schwieg.

Das verwirrte sie, und nochmals nahm sie das Thema aus, indeß er ging nicht darauf ein. »Wozu sprechen,« rief er, »wo Alles jetzt gesagt ist. Du hast mich von Dir gewiesen, da ich mich bittend an Dich wendete. Ich werde Dich nicht zwingen, mir ein Opfer zu bringen, das Dir zu schwer ist. Du sollst zurückbleiben und Dir wählen, wo Du leben magst!«

Auguste erstarrte, aber aus ihrem Schrecken rang sich der Zorn empor über die Leichtigkeit, mit der er ihrem Willen nachgab. So kampflos zu siegen, fühlte sie als Schmach. Ihr Stolz, ihre Neigung waren gekränkt. Mit einer Härte, die ihr zur anderen Natur geworden war, sagte sie: »Wie kindisch, daß ich mich hergab, eine Erlaubniß zu erbitten, die Deinen Wünschen so entgegenkommt!«

»Glaubst Du, es könne mir lieb sein, eine sich opfernde, eine verzweifelnde Frau neben mir zu haben?« entgegnete ihr Mann. »Meinst Du, ich werde mir jede Arbeit, jeden Aufschwung unmöglich machen durch den Gedanken, da sitzt ein Weib, das Alles entbehrt, was ihm Werth hat, und dem Kunst und Natur, dem alte und neue Zeit, dem Welt und Menschen nicht Ersatz zu bieten vermögen, für die gewohnte Lebensweise, für ein Paar Tische und Stühle! – Was sind daneben auch die Pflicht, die Ruhe, die Ueberzeugung Deines Mannes!«

Menschen, die sich an Streit gewöhnt haben, verlieren Maß und Ziel, sobald das erste Wort des Zwistes ausgesprochen ist. Nicht der gegenwärtige geringe Anlaß ist es, der sie dann erfaßt; die ganze Vergangenheit tritt vor sie, alle frühere Uneinigkeit wird lebendig, und bei dem gleichgültigsten Anlaß haben sie unter schwerem Leiden das ganze Unglück ihres Lebens durchzukämpfen.

Mit einer Erbitterung, wie sie sie niemals noch empfunden hatten, mit dem festen Vorsatze von beiden Seiten, das eigene Recht, den eigenen Willen zu behaupten, erhoben sie sich von dem Mahle; Auguste, um Sidonien mitzutheilen, daß sie, und um welchen Preis sie Friedrich nicht begleite, Friedrich, um das Entlassungsgesuch an das Ministerium aufzusetzen.

Indeß noch hatte er es nicht beendet, als Erich bei ihm eintrat. Er bekannte offen, daß er in Folge einer Unterredung mit Auguste komme, und während er diese mit Wärme vertheidigte und beklagte, versuchte er es nochmals, den Freund zum Ueberlegen seines Entschlusses, ja zum Bleiben in seinem Amte zu bestimmen.

»Ich habe Dir gestern zugegeben,« sagte er, »daß Du gehen, daß Du Deiner Ueberzeugung folgen müssest. Es ist aber bei lebhaften Menschen eine eigene Sache um die Ueberzeugungen. Ich selbst, weniger erregbar als Du, habe große Sinnesänderungen an mir erfahren, habe an Dir, mein Freund, solch vollständigen Wechsel des Glaubens und der Ueberzeugungen erlebt, daß ich mißtrauisch geworden bin gegen die Beständigkeit des Menschen überhaupt. Laß mich also nochmals die Bitte wiederholen, Du mögest nicht in augenblicklicher Erregung einen letzten Entschluß fassen, der Dich gereuen könnte.«

»Es handelt sich hier nicht um eine Glaubensfrage, um eine Gemüthsauffassung, lieber Erich!« entgegnete der Pfarrer. »Eine Verstandeseinsicht wird nicht wankend wie ein Glaube, und soll ich die Wahrheit zurückhalten, wenn ich eigens berufen worden bin, sie zu lehren?«

»Sind wir nicht im Leben fast immer gezwungen, uns mit halben Wahrheiten, wie überhaupt mit Unvollkommenheiten durchzuhelfen?«

»Was willst Du damit sagen, Erich?«

»Ich will Dich nur erinnern, daß Du selbst nicht überall die volle Wahrheit förderlich erachtet hast. Bist Du es nicht gewesen, der darauf gedrungen hat, den Kindern in den Schulen nicht die Bibel zu übergeben, und ihnen die biblische Geschichte nur in Auszügen mitzutheilen, ohne ihre junge Phantasie mit den Gräueln zu erfüllen, von denen die Annalen der jüdischen Geschichte wimmeln? Was aber ist der geistig nicht vollständig entwickelte Mensch anders, als ein Kind?«

»Zugegeben!« bemerkte Friedrich. »Vergiß indessen nicht, daß ich für die Kindheit, die von selbst in das reifere Alter übergeht, Maßregeln treffen durfte, die ich dem Erwachsenen gegenüber nicht aufrecht erhalten kann, ohne ihn zu ewiger Kindheit zu verdammen!«

»Das ist wahr!« antwortete der Baron, geneigt, Zugeständnisse zu machen, um wo möglich eine Ausgleichung ihrer Meinungen herbeizuführen. »Du gehst aber in der Aufklärung des Kindes allmählich zu Werk. Du selbst hast es oftmals gegen mich ausgesprochen, daß der dauernde Fortschritt nur ein langsamer sei, und Du willst Dein Amt niederlegen, Deine Wirksamkeit gewaltsam unterbrechen, weil Du nicht hintreten und Deine persönliche Ueberzeugung nicht plötzlich einem unvorbereiteten Menschenkreise aussprechen kannst – eine Ueberzeugung, eine Lehre, vor der Deine eigene Frau, mein Vater, Sidonie und ich, ich selbst ein tiefes Widerstreben fühlen. Wir Alle tragen Scheu vor der entgötterten Welt, weil wir Alle uns zu schwach empfinden, uns als letztgültige Instanz, als Herren unseres Schicksals, als Richter über uns selbst zu denken.«

Da Friedrich schwieg, wie es seine Art war, wenn er lebhaft nachdachte, rief Erich: »Und was wird damit gewonnen sein, wenn Du dem Kinde, dem unfertigen Menschen den Glauben an einen persönlichen Gott zerstörst?«

»Fühlst Du denn nicht, fühlt Ihr Alle nicht,« sagte Friedrich, »wie undenkbar ein Gott ist, den Ihr in Eurer Endlichkeit, mit Euren endlich beschränkten Eigenschaften ausgestattet habt? Fühlt Ihr denn nicht, wie schwer Ihr Euch versündigt an dem unerfaßbaren Principe, das Alles schafft und hält, wenn Ihr diesem Allwaltenden menschliche Eigenschaften beilegt? Ihr sprecht von einem liebenden, von einem rächenden, von einem lohnenden und strafenden Gotte in ganz persönlichem Verhältniß zu Euch selbst. Und über und in uns Allen lebt die Kraft, die unbegreifbare Werdekraft, die Nichts gemein hat mit Liebe und mit Haß, mit Lohn und Strafe, und die Ihr profanirt, indem Ihr sie verkörpert!«

»Aber glaubst Du,« fiel ihm der Baron in's Wort, »glaubst Du, der Du selbst Dich zu klein nennst, die Werdekraft zu begreifen, daß das Kind und der Ungebildete diese kalte Abstraction erfassen, sich zu eigen machen können? Die Phantasie des Kindes, des Naturmenschen ist plastisch. Nimm ihm das Bild, unter der er das Allmächtige verehrt, nimm ihm die schöne Vorstellung eines allliebenden Vaters, die das Christenthum uns gegeben hat, und seine Phantasie wird sich leicht ein ungeheuerliches Phantom erschaffen aus dem Wesen, dem er sich hülflos gegenüber sieht. Es ist für den reifsten Menschen schwer, sich verständnißlos vor den Endfragen unseres Werdens und Vergehens zu bescheiden. Und Du hättest den Muth, eine solche Entsagung dem Volke aufzuerlegen? Du hättest den Muth, dem Volke, von dem Du täglich gezwungen bist, die nothwendige Unterwerfung unter eine Autorität zu fordern, soll es nicht wüster Verwahrlosung und anarchischer Zerstörung anheim fallen, Du hättest den Muth, einem solchen Volke den Glauben an die höchste Autorität zu nehmen, den Glauben an den Allmächtigen? – Bedenke das, Friedrich!«

»Ich habe Alles bedacht! Alles erwogen!« antwortete Friedrich ruhig. »Grade weil ich fühle, daß es Frevel wäre, an den Glauben des Volkes, bei seinem jetzigen Bildungsgrade, zerstörend Hand zu legen, darum muß ich gehen. Ich habe versucht, mich mit mir selbst abzufinden, ich habe vermitteln wollen. Ich wollte die Kinder, das Volk nicht in Disharmonie setzen mit der Welt, in der sie leben. Ich sprach ihnen von einem höchsten Wesen, aber ich gab ihm weder menschliche Eigenschaften wie Liebe und Rache, noch konnte ich ihn als einen Belohner oder Strafer darstellen. Ich sprach von dem Allgeiste, der parteilos und ruhig wirkend über dem All schwebt, der dem Menschen die volle Freiheit, die alleinige Verantwortlichkeit für seine Handlungen gelassen hat, aus denen Glück und Unglück, Lohn und Strafe für ihn erwachsen –«

»Nun, und was war die Folge davon?« fragte der Baron eifrig.

»Die nächste Kirchenvisitation, Du hast es ja mit mir erlebt,« antwortete Friedrich, »die Kirchenvisitation ermittelte schnell, daß den Kindern der Begriff einer Vorsehung, die Vorstellungen von Lohn und Strafe im Jenseits, vom Teufel und von der Hölle, von der Erbsünde und von allen anderen Dogmen fehlten, und ich erntete die mündliche Zurechtweisung des Superintendenten, den schriftlichen Tadel des Consistoriums dafür. Es giebt keine Vermittlung zwischen Glauben und Unglauben, keine, Erich! – Und ich gehe, weil ich erkenne, daß der Einzelne nicht vorschnell zerstören soll, was für Millionen seiner Mitlebenden noch das Heiligste und Höchste ist!«

Es entstand eine lange Pause. Endlich sagte der Baron: »Ja! Du kannst nicht bleiben, Du mußt fort! Aber bringe mir ein Opfer, das mit Deiner eben ausgesprochenen Ueberzeugung leicht vereinbar ist. Es kann einem Manne von Deiner Einsicht nicht darauf ankommen, durch ein öffentliches Bekenntniß Aufsehen und Proselyten im Volke zu machen, denn auch das wäre eine Gewaltsamkeit. Die religiösen Fragen zittern in der Luft, Ronge und Wislicenus haben die Gemüther aufgeregt. Mache Dein Fortgehen zu keiner Demonstration. Verweile noch unter uns, laß die Leute sich an den Gedanken Deiner Reise gewöhnen. Du nützest mir damit. Es ist ein Freundschaftsdienst, den ich von Dir begehre.«

»Und was erwartest Du von meinem Bleiben?« fragte Friedrich.

»Beruhigung des Mißmuths, der im Dorfe herrscht!« antwortete der Baron. »Nimmst Du augenblicklich Deinen Abschied, so muß ein neuer Geistlicher gewählt werden, und –«

»Der wird leicht gefunden sein!« meinte Friedrich.

»Ja!« erwiederte der Andere, »aber Sidonie und mein Vater werden darauf bestehen, einen Mann nach ihrem Sinne zu wählen. Das mannigfache Gute, das Du, das wir nach Deinen Ansichten hier gemeinsam in praktischen Dingen gefördert, wird für die Gemeinde verloren gehen. Der Zwiespalt zwischen uns und den Dorfbewohnern wird wachsen, und ich werde die Last dieser Mißverhältnisse zu tragen haben, ich ganz allein. Dein öffentlicher Austritt aus der Kirche wäre für Niemand eine Wohlthat, ein Unrecht gegen ehrwürdige Verhältnisse, ein Schmerz für Deine Frau, ein Todesstoß für Deine Mutter, und auch ein Unrecht gegen mich, gegen Deinen Freund!«

Friedrich war sehr bewegt, der Baron ebenfalls. »Laß mich nicht denken,« sagte er, »daß Dein Unglaube Dich bis zur Selbstsucht treiben könne, daß er Dich kalt gemacht für mich. Du bist mir nöthig in diesem Augenblicke, Du wirst mir fehlen, immer fehlen, mehr als Du es weißt!«

Erich hatte Thränen in den Augen, der Pfarrer kämpfte sichtlich mit seiner Erschütterung. »Ich weiß,« sprach er, »was ich Dir war und bin, ich weiß, was Dir fehlen wird in mir. Ich war derjenige, der Dich aufrecht erhielt mit der Kraft des Idealismus, wenn Dein Herz Dich schwach machte gegen die Einflüsterungen Deiner Umgebung. Ich diente Dir zum Aufruf, wenn Du mich vor Dir im Selbstkampfe gewahrtest – und auch Du bist mir viel gewesen, denn Du hast mich vor dem Versinken in einseitige Unduldsamkeit bewahrt. Das danke ich Dir und –«

»Verweile noch!« rief der Baron mit der leidenschaftlichen Wärme seiner ersten Jugend, »prüfe, bedenke Alles. Nimm einen Urlaub für's Erste, gehe nach Italien – aber laß mir die Hoffnung, daß eine Sinnesänderung für Dich möglich ist, und daß Du uns erhalten bleiben kannst!«

»Guter, treuer Freund!« sagte Friedrich, »täuschen wir uns nicht –«

»So gönne mir Zeit,« fiel ihm der Baron in's Wort, »mich an den Gedanken zu gewöhnen, Friedrich! – und gehe unbekümmert. Die Sorge für Deinen Stellvertreter und für Auguste bleiben mein, bis Du zurückkehrst!«

Friedrich hatte keine Worte. Stumm drückte er dem Freunde die Hand, dann trennten sie sich für den Tag.


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