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XI.

Der Kampf war kurz, aber blutig gewesen. Aus den Häusern, von den Dächern herab hatte man auf die siegreich einrückenden Truppen geschossen, deren wild aufgestachelter Zorn nach dem Tode ihres in der Stadt durch einen Schuß gefallenen Obristen keine Grenzen kannte. Wehrlose Männer, Frauen und Greise wurden in den Straßen und Häusern getödtet. Wohin man blickte, sah man Blut und alle Gräuel des Bürgerkriegs. Zwar wurde der Kommandeur des Füsilierbataillons Oberstleutnant Schrötter getötet, die Verluste waren ansonsten aber gering (ein Toter, vier Verwundete). Auf Seiten der Aufständischen und Zivilisten gab es mehr als 100 Tote, wohl überwiegend durch ein Massaker: Soldaten des Regiments, erbost durch den Tod ihres aus dem Hinterhalt erschossenen Bataillonskommandeurs, durchsuchten die Häuser und exekutierten beim Fund von Waffen oder Munition deren Bewohner wie auch Fliehende. Zahlreiche Personen wurden verhaftet, etwa 80 von ihnen angeklagt. Die Mehrheit allerdings wurde in den nachfolgenden Gerichtsverfahren freigesprochen.

Die Nachricht von dem Einzuge der Truppen in Iserlohn erregte in Berlin bei der jetzt und überall siegreichen Reaktion die lebhafteste Freude. Im Hause des Geheimraths war am folgenden Tage eine Gesellschaft versammelt, in der man mit großer Genugthuung von der Niederlage der Demokratie und mit [164] gleichgültiger Härte über das Elend sprach, welches der Kampf in Iserlohn über viele der dortigen unschuldigen Familien gebracht hatte.

»Sie haben es ja nicht anders haben wollen,« sagte der Geheimrath; »sie haben es ja selbst heraufbeschworen mit ihren wahnsinnigen anarchischen Gelüsten. Nun mögen sie schmecken, wie die Anarchie thut. Wie tolle Hunde sollte man all das Gesindel vor die Kartätschen bringen, das sich gegen den König und seine Regierung empört.«

Noch während er diese Worte sprach, überreichte ihm ein Diener auf silbernem Präsentirteller einen Brief. Der Geheimrath trat auf die Seite, ihn zu erbrechen. Aber kaum hatte er die ersten Worte gelesen, als er erbleichend das Zimmer verließ.

Wenig Stunden darauf befand er sich mit seiner Frau auf der Reise nach Westphalen, und so schnell die Dampfmaschine die Wagons auch über die Eisenschienen führte, es war zu langsam für die Angst der Aeltern, die zu ihrem schwer verwundeten Sohne eilten, ungewiß, ob sie ihn noch am Leben finden und welches Schicksal ihm dann bevorstehen werde.

Es war tief in der Nacht, als sie in Iserlohn an [165] Margarethens Wohnung klopften. Der Hofbauer öffnete die Thür.

»Er wird davon kommen,« sagte er, sobald er den Geheimrath erkannte, und führte die Eltern in das Haus.

In der Kammer, auf Mariens Lager ruhte Anton bleich, von Blutverlust und Wundfieber erschöpft.

Margarethe war zu Füßen des Bettes in dem Lehnstuhle eingeschlummert, den man ihr neben dem Kranken hingesetzt hatte. Marie, selbst durch eine Streifkugel an der Stirne verwundet, als sie mit dem Vater den für todt daliegenden Anton in ihr Haus geflüchtet hatte, war unbesorgt um den eignen Schmerz, nur mit der Pflege des Geliebten beschäftigt.

Antons Mutter, sobald sie aus den Berichten der beiden Frauen die Gewißheit geschöpft hatte, daß ihr Sohn ihr erhalten bleiben werde, wendete sich mit Dank und Liebe dem Mädchen und ihren Verwandten zu, welche ihr Leben und ihre Sicherheit daran gesetzt hatten, den Jüngling zu retten. Anders verhielt sich der Geheimrath selbst. Kaum verlassen von der Sorge um Antons Leben, tauchte das Bewußtsein der peinlichen Verhältnisse vor ihm auf, in welche Antons Betheiligung an diesem Kampfe ihn bei sei [166]ner amtlichen Stellung verwickeln mußte. Er blickte mit zornigem Schmerze auf die Kluft, die ihn von seinem einzigen Sohne trennte, mit zornigem Schmerze auf die Nothwendigkeit, ihn vielleicht für lange Jahre von sich zu entfernen. So oft und bestimmt er es behauptet hatte, daß man der strengsten Gerechtigkeit ihren Lauf lassen müsse in der Bestrafung der Rebellen, war er dennoch eben so bestimmt entschlossen, seinen Sohn, sein Fleisch und Blut, dem strafenden Arme dieser Gerechtigkeit wo möglich zu entziehen. Aber noch ehe er zu einem Resultate gekommen war, sah er, daß das Auge des Bauern, der ihm gegenüber in der Stube an dem großen Tische Platz genommen hatte, so fest auf ihn gerichtet war, als wolle er in seinem tiefsten Innern lesen, und plötzlich sagte derselbe: »Wohin soll Euer Sohn gebracht werden, Herr! Denn Ihr könnt doch nicht Lust haben, ihn todtschießen oder einsperren zu lassen, weil Ihr abgefallen seid von unserer Reichsverfassung?«

»Ich meinte,« entgegnete der Geheimrath, den Nachsatz absichtlich überhörend, »daß er bei Eurer Schwester bleiben sollte, werther Herr Schmidt, bis die Heilung seiner Wunde eine Reise zulässig macht.«

[167] »Das ist unmöglich, Herr, er ist nicht sicher hier. Der Freienfelder Friedrich, derselbe, der ihm den Bayonnetstich in die Brust gegeben hat, kann es in jedem Augenblick erfahren, daß er im Hause ist. Er haßt ihn um des Mädchens willen. Wo also soll er hin?«

»Sollte es nicht möglich sein, ihn dennoch zu verbergen,« sagte der Geheimrath, der den Sinn der Rede ahnte, ohne ihn doch ganz verstehen zu können, »bis ich von Berlin aus, wohin ich mit dem nächsten Eisenbahnzuge abgehen muß, bestimmen kann, was mit meinem Sohne werden soll.«

Der Bauer sah ihn mit kaltem, spöttischen Lächeln an.

»Glaubt Ihr, ich sei so einfältig, daß ich nicht merken sollte, wo Ihr hinauswollt, Herr? Ihr möchtet Euer Amt und Euren Credit am Hofe erhalten, und denkt, die Mutter und wir, die wir noch Menschenherzen haben, soll Euch das Leben und die Freiheit des Sohnes retten! Das wird geschehen, Herr, verlaßt Euch darauf, aber dann wird er unser sein und nicht mehr Euer!«

»Was soll das heißen?» rief der Geheimrath beleidigt und mißtrauisch zugleich.

[168] Da trat Margarethe dazwischen. »Wollt Ihr den Kranken erwecken mit Euren lauten Worten?« fragte sie. Und als die Andern schwiegen, fuhr sie fort: »Wißt Ihr es, Herr Geheimrath, daß Euer Sohn sich der Tochter meines Bruders zum Manne verlobt hat? Und daß mein Bruder sie ihm zum Weibe versprochen hat, als er fortging zum Kampfe?«

»Dazu hat er kein Recht, wenn ich es ihm verbiete!« fuhr der Geheimrath auf; »das aber werde und muß ich thun!«

»Kein Recht?« fragte Margarethe. »Und das sagt Ihr in der Stunde, da Euch Euer einzig Kind kaum erst wiedergeschenkt ist vom Himmel? Das sagt Ihr vor den Menschen, die sein Leben gerettet haben, und von denen Ihr fordert, daß sie auch weiter für ihn sorgen mit eigner Gefahr? Glaubt Ihr, der Anton, der nicht gelassen hat vom deutschen Reich, dem er sich anverlobt, der werde lassen von der Braut, der er Treue geschworen hat, und die ihr Leben lang die Narbe auf der Stirne behalten wird, ihn zu erinnern an die Stunde, wo sie sich dem Tode ausgesetzt hat aus Liebe zu ihm? Der Anton handelt nicht, wie Euer Vater gehandelt hat an mir. Ihr kennt Euer eigen Kind nicht, wenn Ihr so von ihm denkt!«

[169] Aber schon bei Margarethens letzten Worten hatte die Geheimräthin ihren Mann an das Bett des Sohnes gerufen. Anton war erwacht. Er hatte die Mutter erkannt, nach dem Vater gefragt. Als dieser vor ihn hintrat, als er den Sohn erblickte, der mühsam aufgerichtet von Mariens Armen gestützt, den Kopf an ihre Brust gelehnt, ihm die Hand entgegenreichte, erbebte der Geheimrath. Tiefe Rührung und die auftauchende Ahnung, daß er sich dem Willen seines Sohnes werde fügen müssen, erschütterten ihn gleich mächtig.

»Segnet uns!« Das war Alles, was die bleichen Lippen des Jünglings zu sprechen vermochten, und fortgezogen von der Zärtlichkeit der Mutter, legte der Geheimrath mit ihr die Hände auf die Häupter seines Sohnes und Mariens, deren Freudenthränen über den Ruhenden herabflossen.

Eine tiefe Stille herrschte in dem Zimmer; Anton schlummerte wieder ein. Der Geheimrath und der Hofbauer hielten sich fern von einander. Die Mutter hatte Mariens Hand erfaßt, die sie liebevoll in der ihren drückte. Margarethe stand fest und hoch aufgerichtet vor dem Bette, als ob die Schwäche der [170] Krankheit und die Last der Jahre von ihr genommen wären.

Endlich sagte der Bauer: »Es wird am Besten sein, wenn wir den Anton sobald als möglich nach dem Birkenhofe schaffen, wo er doch sicherer ist als hier. In ein Paar Tagen wird er's wohl vertragen können. Willst Du ihn zu mir bringen, Margarethe?«

»Ja Bruder, das will ich, und ich will bei Dir bleiben, wenn er fortgehen wird mit seinem jungen Weibe in die Fremde, und wir wollen zusammen leben im Vaterhause in Frieden und Eintracht, bis Du mir die Augen zudrückst. Der Name, den Deine Tochter künftig führen wird, wird keine schlimme Erinnerung mehr wachrufen im Birkenhof, und Alle werden ihn im Herzen tragen wie ich.«

Sie trocknete mit der Schürze ihre überströmenden Augen und ging davon, aber im Gehen reichte sie dem Bruder die Hand, und ein fester Druck besiegelte die Versöhnung ihrer Herzen.


Jetzt, während der Erzähler diese letzten Zeilen schreibt, ist Marie schon seit einem Jahre Antons [171] Weib. Sie schafft rüstig auf der Farm am Mississippi, welche ihr Mann gekauft hat, und ist seine Lehrerin in der Landwirthschaft, wie er der ihre in allen anderen Gegenständen.

Margarethe lebt im Birkenhof bei ihrem Bruder, der Geheimrath ist im Parlament zu Erfurt, und seine Frau hofft auf die einstige friedliche Lösung des Parteikampfes in Deutschland, die ihr den Sohn und die Schwiegertochter in das Vaterland zurückführen soll.


[172]

Druck von Breitkopf und Härtel in Leipzig.


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