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VIII.

Den meisten Menschen unserer Zeit wird früh von Kind an ein Begriff der Romantik eingeprägt, aus dem die Liebe in ihnen vorzeitig erblüht, während sie sich ohne diese künstliche Vorbereitung später entfalten, dann aber freilich sich auch kräftiger und schöner darstellen würde. Nicht der ganze, entwickelte Mensch erzeugt die Liebe in sich als die Vollendung seines Wesens, sondern die Phantasie treibt sie hervor als künstliche Pflanze, und sie hat wie eine solche doch nicht ihr volles Gepräge, doch nicht den ganzen naturbestimmten Gehalt.

Vor diesem Loose war Anton durch den starren Realismus seiner Umgebung glücklich bewahrt worden. Niemand sprach von Liebe in dem Hause seines Vaters; denn sie hatte in dem Leben seiner Aeltern [113] keine Rolle gespielt, da die Ehe derselben, aus äußern Rücksichten geschlossen, dennoch eine friedliche war, so setzte der Geheimrath die Liebe mit in den Bereich der idealistischen Träumereien, an die ein Student glauben, die ein Dichter für müßige Leute besingen könne, die aber in dem Leben eines vernünftigen Geschäftsmannes unmöglich eine wichtige Stelle einnehmen dürfe oder könne. Man hatte mit Anton von seiner einstigen Verheirathung in gleicher Weise, wie von seinem einstigen Eintritt in das väterliche Geschäft gesprochen, und die Aussicht auf die erstere war ihm ebenso nüchtern dargestellt worden als das letztere. So ward ihm das in unserer Zeit so seltene Geschick zu Theil, daß nicht die Poesie in ihm die Liebe, sondern die Liebe des Jünglings zur Jungfrau ihm die Poesie der Liebe erzeugte.

Er war wie umgewandelt. Alles, was er sein zu nennen einst bestimmt war, erschien ihm werthlos gegen Mariens Besitz, und gewann doch wieder zum ersten Male wirklich für ihn Werth, wenn er sich vorstellte, wie er ihr das Alles zu eigen geben könne, und welch eine Welt voll ungekannter Wunder und Genüsse er ihr zu bereiten im Stande sein werde. Mährchenhaft glücklich erschien er sich, wie die Kö [114]nigssöhne einer fernen Zeit, wenn er bedachte, wie Marie staunen, wie sie froh und entzückt sein, wie schön ihr die Befangenheit und die Freude über die neue Welt stehen werde, in die er sie einzuführen gedachte. Für keinen Preis hätte er ihre Unkenntniß, ihre ländliche Einfalt vertauschen mögen gegen die Bildung einer Städterin. Der ganze Schöpferdrang der Seele wendete sich der Geliebten zu; sie sollte sein Werk sein, sie selbst und ihr Glück. Was ihn von diesem Ziele trennte, war von dem Augenblicke ab für ihn das Schlechte, das Verdammenswerthe; was ihn demselben näher brachte, die Wahrheit und das Recht.

So trat er bei seiner Rückkehr nach Berlin in den Kreis seiner frühern Umgangsgenossen ein. Er wollte sich bilden, um Marie einst bilden zu können; er wollte fortan aufhören, das Leben wie ein Spiel zu erfassen; denn er hatte an den Leiden der alten Margarethe gesehen, wohin das Spiel mit eignem und fremdem Leben führte; er wollte selbst prüfen und sehen, weil er gefunden hatte, daß mit dem Auge eines Andern sehen, die Gegenstände nie klar erscheinen läßt. Er glaubte auch den Aussprüchen seines Vaters nicht mehr unbedingt, und der Umgang mit den [115] Landleuten hatte ihm den Wunsch eigner Beobachtung und Erkenntniß eingeflößt. Denn wennschon er sich sagen mußte, daß Niemand weniger Sinn habe für den idealen Begriff der Freiheit als der Bauer, so mußte er sich doch eingestehen, daß ihm das männliche Selbstgefühl, daß Insichberuhen dieser Menschen Achtung eingeflößt habe, und daß in dieser Selbstzufriedenheit der Keim einer Fortentwicklung zu dem Wesen des Staatsbürgers viel sicherer verborgenliege, als in dem unersättlichen Vorwärtsstreben der meisten von Luxusbedürfnissen in Noth erhaltenen Stadtbewohner.

Aber noch veränderter als er selbst war die Stimmung in Berlin. Von dem Princip der Vereinbarung, mit dem man die klaffende Wunde der Revolution zu heilen gehofft, konnte schon seit lange eigentlich nicht mehr die Rede sein, und die Elemente des Bürgerkriegs traten deutlicher als je einander gegenüber. Die Art, mit der das Ministerium die Angelegenheiten in Schleswig-Holstein Hierbei ging um die nationale Zugehörigkeit des Herzogtums Schleswig, in dem Deutsche und Dänen seit Jahrhunderten gemeinsam lebten. Dänemark hatte im März 1848 die Einverleibung Schleswigs verfügt; daraufhin proklamierten die Führer der schleswig-holsteinischen Bewegung eine »Provisorische Regierung« und forderten die Aufnahme Schleswigs in den Deutschen Bund. Nach wechselnden Siegen und Niederlagen auf preußischer und dänischer Seite hatte sich u.a. das Fehlen von Seestreitkräften auf deutsch-preußischer Seite bemerkbar gemacht. Die am 18. Mai 1848 zusammengetretene Frankfurter Nationalversammlung beschloss daher am 14. Juni, eine deutsche Reichsflotte aufzustellen und dafür 6 Millionen Reichsthaler bereitzustellen. Im Sommer 1848 wurde allerdings auf Druck der europäischen Großmächte ein Waffenstillstand geschlossen, so dass in der Folge die Provisorische Regierung allein einen aussichtslosen Kampf kämpfte, bis schließlich Preußen selbst gegen sie vorging. - Die Frage wurde erst 1864 im deutsch-dänischen Krieg abschließend zugunsten der Aufnahme Schleswigs in den Deutschen Bund geklärt. behandelt hatte, das Verhalten gegen Frankfurt Im April und Mai 1848 wurde die Frankfurter Nationalversammlung gewählt. Die gewählten Abgeordneten kamen am 18. Mai 1848 in der Frankfurter Paulskirche zur konstituierenden Sitzung zusammen. In Preußen tagte seit dem 22. Mai 1848 eine ›Preußische Nationalversammlung‹. Bereits früh begann in dieser eine Debatte zum Verhältnis zum Paulskirchenparlament. Auslöser für den Streit um das Verhältnis zur Frankfurter Nationalversammlung war die Einsetzung einer provisorischen Zentralgewalt und eines Reichsverwesers durch das deutsche Parlament, ohne Einvernehmen mit den Monarchen der deutschen Staaten. Daraufhin stellte Johann Jacoby am 7. Juli 1848 einen auf den ersten Blick widersprüchlichen Antrag. Dieser kritisierte einerseits die Frankfurter Entscheidung einen dem Parlament nicht verantwortlichen Reichsverweser zu ernennen, erklärte andererseits aber auch, dass die Paulskirchenversammlung dazu das Recht gehabt habe. Umgekehrt argumentierte die preußische Regierung unter Ministerpräsident Ludolf Camphausen. Sie begrüßte die Schaffung einer quasimonarchischen Spitze, sprach der Frankfurter Nationalversammlung aber das Recht zu deren Bestimmung ab. und endlich die Ereignisse in Schweidnitz General Friedrich Wilhelm Graf von Brandenburg, illegitimer Sohn Friedrich Wilhelms II., war als Kommandierender General in Schlesien dafür verantwortlich, daß am 31. Juli 1848 im kleinen Städtchen Schweidnitz Soldaten in eine bereits aufgelöste Demonstration geschossen und 14 Menschen getötet hatten. und deren Folgen hatten in Preußen das schroffe Scheiden der Parteien in preußische, absolutistische Royalisten und in deutsche De [116]mokraten schnell und scharf zu Wege gebracht. Fast die ganze Jugend neigte sich der letztern Richtung zu, die Beamtenwelt der erstern. So standen denn auch Anton und der Vater sich schon wenig Wochen nach ihrer Rückkehr von der Reise entschieden feindlich in ihren Ansichten gegenüber, was bei des Vaters kalter Energie, bei des Sohnes durch seine Liebe gesteigerter Erregbarkeit zu immer neuen Conflicten führen mußte.

Dadurch wurde das Zusammenleben von Vater und Sohn mit jedem Tage schwerer, und die Mutter, welche für Beide davon litt, brachte es endlich zuwege, daß Anton Berlin verlassen sollte. Dies aber rief neue Zerwürfnisse hervor. Der Geheimrath wünschte Anton nach seinen Fabriken zu schicken, um ihm dort die für ihre einstige Uebernahme unerlaßliche Vorbereitung zu verschaffen; Anton aber erklärte auf das Bestimmteste, niemals Fabrikant, sondern Landwirth werden zu wollen. Für diesen Beruf mit Wärme eingenommen, wußte er der Mutter alle Vorzüge desselben in schönem Lichte darzustellen. Er malte ihr die Ruhe, die friedliche, der Natur entsprechende Wirksamkeit eines solchen Lebens, den langsamen, aber sichern Einfluß auf die Fortbildung des [117] Volks in so lebhaften Farben aus, daß die sanfte Frau, gemartert von dem Parteikampf um sie her, mehr noch von dem wachsenden Zwiespalt zwischen Vater und Sohn, sehnsüchtig nach einem ruhigen Dasein, welches die neuen Verhältnisse ihres Mannes ihr in weite Ferne gerückt hatten, wenigstens dem Sohne ein Glück zu sichern wünschte, das sie selbst vergebens erhoffte.

Die Geheimräthin ward Antons wärmste Vertreterin, aber der Sommer verging, der Herbst war herangekommen, die Nationalversammlung aufgelöst Nämlich die sog. Preußische Nationalversammlung (siehe Anm. 3); diese wurde am 5. Dezember 1848 durch königliche Order aufgelöst. und noch immer verharrten Anton und der Vater in der Spannung gegen einander, welche der Mutter das Herz zerriß; noch immer hatte der Vater nicht seine Einwilligung dazu gegeben, daß der Sohn Landwirth werden und auf das Gut nach Westphalen gehen sollte, wohin er verlangte.

So kam der Weihnachtstag heran. Mit einer zerstreuten Gleichgültigkeit hatte der Geheimrath die Zurüstungen seiner Frau für denselben betrachtet; als aber am Abend der Weihnachtsbaum aufgeputzt dastand, als Anton, das einzige Kind der Aeltern, hereingerufen wurde, seine Bescheerung zu empfangen, und als statt des frohen, aufjauchzenden Knaben jetzt [118] der ernste, auch heute, auch in dieser Stunde nicht heiter blickende Sohn in das Zimmer trat, da stürzten die Thränen der Mutter aus den Augen, und sich dem Vater an die Brust werfend, rief sie:

»Ist denn auch heute, auch vor dieser Erinnerung an ein langes, glückliches Familienleben der Dämon der Zwietracht nicht zu bannen? Soll ich unser Kind unglücklich sehen im eignen Vaterhause, und den Vater erbittert gegen das einzige Kind, das der Himmel uns gelassen hat?«

Der Geheimrath nahm sie an seine Brust: »Weine nicht, Mutter!« Das war Alles, was die Rührung ihm zu sprechen erlaubte, aber er reichte Anton die andere Hand hin, und dieser beugte sich nieder, sie zu küssen. Voll tiefer Bewegung erhob sich die Mutter von des Vaters Brust, den Sohn in seine Arme zu legen. Sie weinten Alle, es war still im Zimmer einige Augenblicke lang; und wenn es wahr ist, wie der Volksglaube behauptet, daß in solchem Schweigen ein Geist durch das Gemach ziehe, so war es sicher ein guter Engel der Liebe und Versöhnung.

Der Geheimrath richtete sich bald empor. »Du sollst Deinen Willen haben, Anton!« sagte er, während er die Thränen aus seinen Augen trocknete. [119] »Es wird mir wohl thun, Dich zufrieden zu stellen, und es ist vielleicht auch gut, wenn wir uns für eine Weile trennen. Die täglichen Reibungen erbittern uns; Du bist in eine Opposition gerathen, in der Du mit sehenden Augen nicht sehen willst. Es ist Starrsinn darin, aber der Starrsinn der Jugend kann Charakterstärke werden, wenn die Vernunft ihn mit ihrer Erfahrung erleuchtet. Gehe auf das Land, lerne die Menschen kennen, lerne einsehen, wie wenig sie im Stande sind, sich selbst zu rathen, wie viel weniger als Berather des Staats zu nützen. Wenn Du dann in Jahr und Tag zu uns zurückkommst, wirst Du mir beistimmen, und wir werden uns besser verständigen als bisher. Darauf hoffe ich, und darum sollst Du nach Griesbach. Gleich nach dem Neujahr kannst Du dorthin gehen.«

Anton wollte danken, aber die Motive seines Vaters und ein Blick auf das bleiche Antlitz seiner Mutter nahmen ihm die rechte Freudigkeit. »Du wirst mich besuchen im Frühjahr, liebe Mutter?« tröstete er, da er sah, wie schmerzlich ihr der Gedanke dieser Trennung zu sein schien.

Die Mutter schüttelte das Haupt. »Glaubst Du,« sagte sie, »daß ich noch den Muth habe, so lange [120] hinaus im Voraus bestimmen zu wollen? Der Vater ist angeschmiedet an das Staatsschiff. Wer will voraussagen, wohin wir verschlagen werden, wohin der Sturm dieser wachsenden Revolution uns schleudert, und ob wir jemals in Ruhe landen in dem stillen Griesbach, wohin auch ich mehr und mehr zu verlangen beginne; denn mich foltert eine unablässige Angst in diesen Mauern.«

Der Vater, Anton versuchten sie zu beruhigen, aber ohne Erfolg. Sie hatte sich nie heimisch gefühlt in der Residenz, in den neuen Verhältnissen ihres Mannes. Die ersten Stunden des Abends vergingen in jener wehmüthigen Freude, wie das Aufhören eines Schmerzes, einer heftigen Spannung sie erzeugt. Man nahm das Abendbrot ein, dann entfernte sich der Geheimrath, um an den Arbeitstisch zu gehen, und Mutter und Sohn blieben allein.

Da nahm Jene die Hand Antons und sagte: »Du siehst es, das einzig mildernde Element in dem Parteikampf, in dem Gott uns zu leben auferlegt hat, ist die Familienliebe. Mir ist auch immer, als könnte nur aus dem Innern der Familien heraus wieder Ruhe und Glück in die Welt kommen, als würdest Du dem Vater nicht so schroff entgegentreten [121] und Dich nicht von den gewiß übertriebenen Forderungen der Demokratie hinreißen lassen, wenn Du nicht so unabhängig da ständest. Ich habe oft gedacht, daß Deine Idee, nach Amerika zu gehen und uns und Alles hier für lange im Stich zu lassen, Dir nie gekommen wäre, wenn Du durch Weib und Kind an das Vaterland gebunden wärest. So jung Du bist, ich sähe es gern, wenn Du Dich verheirathetest, es würde Dich dem Vater sehr viel näher bringen, Ihr würdet Euch bald leichter verständigen lernen.«

Ein Gefühl von Beängstigung und Freude zugleich durchzuckte Antons Brust. »Und wie denkt der Vater darüber?« fragte er.

»Ich glaube, er stimmt mir bei. Er hat Annäherndes neulich einmal geäußert. So sehr er sonst dagegen war, Dich früh heirathen zu lassen, scheint diese Zeit seine Ansichten geändert zu haben. Was er früher als hemmende Fessel betrachtet, sieht er jetzt als ein heilsames Gegengewicht an, und Du würdest von seiner Seite keinen Widerstand finden. Selbst daß er Dich nach Griesbach gehen läßt und seine Reiseplane für Dich aufgiebt, scheint mir dafür zu sprechen.«

Anton hatte den ganzen Abend an Marie gedacht. [122] Zum zweiten Male, seit er Pyrmont verlassen, hatte er der alten Margarethe vor einigen Wochen nach Iserlohn geschrieben und sie um Nachricht von Marien gebeten. Dabei hatte er ein kleines Kreuz von rothen Korallen mitgesendet und den Wunsch ausgesprochen, Margarethe möge es so einrichten, daß ihre Nichte dies Kreuz zum Weihnachtsabend als ein Geschenk von ihm erhalte. Heute in der Frühe war ihm die erste Antwort der Alten zu Theil geworden und hatte mit den fast unleserlichen Buchstaben ihrer wenigen Zeilen die tiefste, sehnsüchtige Liebe in seinem Herzen wach gerufen. Sie schrieb ihm, daß sie krank sei und anfange, die Last der Jahre zu fühlen, daß aber im Birkenhofe Alles gesund sei, daß der Freienfelder Friedrich in kurzer Zeit in die Landwehr werde eintreten müssen, und daß sie Marien jenes Korallenkreuz nicht geben dürfe und könne. Er möge jedoch nur guten Muth behalten; wenn er treu sei, das Mädchen werde ihn sicherlich nicht vergessen.

Das Bild dieser glaubensvollen Treue, wie sie sich in Marien und der alten Margarethe in schlichtester Einfachheit kundgab, rührte ihn tief. Es war ihm, als müsse auch seine Mutter dies empfinden, als müsse auch ihr der Zauber klar sein, der für ihn darin [123] lag, Marien als Lohn für ihre Liebe die Welt des Wissens und der Bildung mit ihren verfeinernden Genüssen zu erschließen, und er war bereit, sein Herz der Mutter in kindlichem Vertrauen hinzugeben. Aber schon die Andeutung, daß er ein Wesen gefunden habe, mit dem zu leben ihm süß sein würde, veränderte den Ausdruck der Geheimräthin. Mit sichtlichem Schreck fragte sie, welches von den Mädchen ihrer Bekanntschaft die Erwählte sei? Es schien sie zu beunruhigen, daß nicht sie die Wahl getroffen; zu verletzen, daß sie nicht von Anfang an das Vertrauen des Sohnes besessen habe. Die Familienliebe, wie sie in der bisher organisirten Familie bestand und besteht, ist ein Despot, wenn schon ein zärtlicher, und die Ketten, welche sie dem Einzelnen anzulegen für ihr Recht und ihre Pflicht hält, sind schwer, weil sie zu leicht sind, um leicht zerrissen werden zu können.

Die Mittheilung, daß er keines der Mädchen aus der Gesellschaft liebe, in der seine Mutter sich bewegte, daß die Erwählte den untern Ständen angehörte, machte sie erbleichen, und die eben noch so freundliche, zärtliche Mutter erklärte sich, ohne den Gegenstand seiner Wahl zu kennen, mit solch bitterer Härte gegen derartige unerlaubte, unlautere Verhält [124]nisse, daß Anton zurückgestoßen es gegen sein Gefühl empfand, der Mutter zu beweisen, wie wenig hier von einem unerlaubten, unlautern Verhältnisse die Rede sei.

Es liegt in den Frauen der höhern Stände der hochmüthige Glaube verborgen, ein Mann könne nur für sie eine reine Liebe hegen, für ein Weib aus den Volksklassen aber nichts fühlen, als das Aufwallen einer sinnlichen Gluth, die schnell befriedigt, schnell auch wieder stirbt. Weil sie die Einheit des Wesens nicht begreifen, die bei schlichten Naturen durch das Nichtwissen erhalten wird, begreifen sie die Gewalt nicht, welche die ursprüngliche Einfalt und Unschuld des Weibes ausüben auf das Gemüth eines unverdorbenen Mannes.

Mit Heftigkeit äußerte sich die Geheimräthin gegen Antons demokratische Richtung und tadelte seine demokratischen Bekanntschaften und Verbindungen als die Quelle solcher Gedanken und Wünsche. Anton machte hier die Erfahrung, daß auf vorurtheilsvolle Menschen immer nur so lange zu rechnen ist, als man mit ihren Vorurtheilen im Einklange handelt, daß aber über diese Grenze hinaus der Zusammenhang mit ihnen unmöglich wird; denn Vorur [125]theile sind stärker als die Liebe, in Menschen mit engem Horizonte stärker als das allmächtige Licht der Vernunft.

Fest überzeugt, daß Antons Neigung einem Mädchen in Berlin zugewendet sei, drang die Mutter auf seine schleunige Entfernung aus der Stadt. Sie fand gegen ihr Erwarten die größte Bereitwilligkeit dazu in ihrem Sohne.

Sobald das Weihnachtsfest vorüber war, betrieb man die Vorkehrungen zu seiner Uebersiedelung nach Griesbach, und gleich nach dem Neujahr verließ Anton die Residenz mit frohem Herzen; denn Griesbach lag nur wenige Stunden von Iserlohn, und sein erster Weg sollte ihn zur alten Margarethe führen.


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