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I.

Nachdem man einen ganzen Tag hindurch auf der Eisenbahn gefahren ist, welche von Berlin nach dem Rheine führt, gelangt man Abends in das Residenzstädtchen Bückeburg und erblickt plötzlich eine waldige Hügelkette, welche gegen die öden Sandflächen von Hannover und von der Mark Brandenburg auf das Wohlthuendste absticht.

Das Reich des Maschinenwesens, der städtischen Beengung, der schwarzgeräucherten Dampfschornsteine, der kränklich und ärmlich aussehenden Bevölkerung ist zu Ende, wenn man die Thore der kleinen Residenz verläßt und sich hier mitten auf der rothen Erde Westphalens, in einer kräftigen, lebenstrotzenden, echt deutschen Natur befindet. Prächtige Laub [4]wälder auf sanft ansteigenden Höhen, fette Weide, üppige Getreidefelder und fruchtbeladene Obstbäume, wohin das Auge sich wendet, von der Tiefe der breiten Thäler bis hinan zu dem Rücken der Hügel; und das Alles so frisch, die Blätter der Bäume so saftgrün, so staublos glänzend, wie am ersten Schöpfungstage

Bald steigend, bald fallend zieht sich die Straße die Weser entlang, bis zu der alterthümlichen Stadt Hameln hin, deren graue Häuser mit hochstämmigen Rosen umpflanzt, niedersehen auf das silbern sprudelnde Wehr des breiten, hier abgedämmten Flusses. Eine stattliche Kettenbrücke führt hinüber, ihr zur Seite liegen die Dampfböte, welche die Verbindung mit dem reichen Bremen besorgen. Jenseits der Brücke aber steigen die Hügel wieder prächtig empor, um bei dem Städtchen Aerzen abermals zu sinken und das Thal zu bilden, in dessen Mitte Pyrmont gelegen ist.

Pyrmont war im vorigen Jahrhundert, und noch in den ersten Jahrzehnten des jetzigen, einer der besuchtesten Badeorte Deutschlands, ein Zusammenkunftsplatz der Aristokratie, wie Aachen und Spaa. Nicht allein die Sorge um eine herzustellende Gesund [5]heit, sondern die Macht der Mode führte die Gesellschaft dorthin. Die Bäder waren Vergnügungsorte, und die Spazierpartien, die Bälle, die nie fehlende und stark besuchte Pharobank, wirkten eben so anziehend auf die Gesunden, als die Stahlquellen auf die Kranken.

Daß Friedrich der Große, Friedrich Wilhelm II., Louise, die schöne Königin von Preußen, und andere fürstliche Herrschaften das Bad zu wiederholten Malen besuchten, mochte noch dazu beigetragen haben, es in Aufnahme zu bringen. Sobald der Juni gekommen war, strömte man hinzu von allen Seiten, und der Andrang der Fremden war in jener Zeit so stark, daß man oft in Pyrmont ein Goldstück dafür zahlte, Nachts in seinem Wagen unter dem Dache einer Remise zu schlafen, bis man für große Summen ein freigewordenes Zimmer in einem der Häuser erhalten konnte. Bei solchem Zusammenflusse von Fremden konnte es natürlich auch an Glücksrittern, an Abenteuerern aller Art nicht fehlen. Die Romanschreiber und Novellendichter jener Tage benutzten daher Pyrmont gar häufig als Hintergrund für ihre Dichtungen, ließen dort Liebeshändel unter dem Schutze der Badefreiheit sich bilden, und Entfüh [6]rungen unter der gleichen Begünstigung zu Stande kommen, da Entführungen damals eben so sehr Sache der Mode waren als Pyrmont selbst.

Aber jene Tage der Herrlichkeit sind für Pyrmont seit lange vorüber. Die Eisenbahnen, welche der menschlichen Sehnsucht nach dem Fernen, nach dem sonst Schwererreichbaren so hülfreich und gefährlich entgegenkommen, haben die Lust an dem Besuche heimischer Badeorte verringert. Man findet keine Freude mehr an einer Gegend, die man für wenig Thaler in wenig Stunden erreichen kann. Man geht nach Italien, nach Frankreich, um sich zu vergnügen, und die deutschen Badeorte sind gewöhnlich nur der Aufenthalt der Leidenden, die hier in stiller Zurückgezogenheit Erleichterung, wenn nicht Heilung ihrer Schmerzen zu finden begehren. Auch Pyrmont ist einsam geworden wie die Mehrzahl der deutschen Bäder; nur eine Eigenthümlichkeit ist ihm geblieben, durch die es sich fast von allen anderen Brunnenplätzen unterscheidet. Es wird sehr viel von den westphälischen und hessischen Landleuten besucht, die in Pyrmont jetzt fast die Hälfte der Badegäste bilden.

Alltäglich sieht man zu Anfang des Juni ganze Bauernfamilien auf langen Leiterwagen ankommen, [7] auf denen die mitgebrachten Betten die Sitze bilden.

Alle Lebensmittel für die Zeit des Aufenthaltes führen sie bei sich, Wohnungen sind am Ende der Stadt für geringe Miethe zu haben, der Gebrauch des Brunnens ist gratis, die Benutzung der Bäder wird ihnen billiger gestellt, und so sind es nicht nur Kranke, sondern auch viel gesunde Landleute, die sich eine oder mehrere Wochen von der Heimat losreißen, um sich in dem Badeorte zu belustigen. Die wohlhabenden Bäuerinnen fordern diese Vergnügungsfahrt so eifrig, wie die Damen der kleinen Städte eine Reise in die Residenz, und der Bauer, der das Jahr hindurch gearbeitet hat, geht nach Pyrmont, weil es gut ist, vor der beginnenden Anstrengung der Ernte »den Leib ordentlich ruhen zu lassen und die Knochen durch den Gebrauch des Bades geschmeidig zu machen.«

Während einzelne Landleute langsam auf- und niedergingen, saß eines Tages im Juli des Jahres 1848 ein junger, elegant nach der neuesten Mode gekleideter Mann in der Allee zu Pyrmont und rauchte seine Cigarre. Es war gegen zwölf Uhr Mittags, die Allee ziemlich einsam; denn die Mehrzahl der Fremden ist um diese Zeit entweder mit dem Bade oder mit einer nach demselben vorgeschriebenen Pro [8]menade beschäftigt, zu der man die sonnigern Theile des Parkes der kühlen Hauptallee vorzuziehen pflegt. Die Verkäufer in den Magazinen und Buden saßen müßig vor ihren Thüren. Man hörte nur das Zwitschern der Vögel und das Plätschern des Springbrunnens am Ende der Allee, indem aus dem Schnabel eines schwarzen Schwanes der helle Wasserstrahl hoch in die Luft emporstieg. Durch die leise zitternden Blätter der Bäume fiel das Sonnenlicht spielend auf die angenehmen, kräftigen Gesichtszüge des Jünglings, dem eine vollblütige Farbe, schwarzes Haar und große, heiterblickende Augen einen lebensfrischen Ausdruck gaben. Er sah, halb hingestreckt auf der Bank, unverwandt einen ebenfalls jungen, aber bleichen Bauer an, der sich auf die Lehne derselben Bank gestützt hatte und mit einer kurzen Pfeife im Munde den ruhenden Städter betrachtete.

Eine Zeitlang schwiegen Beide, dann wendete sich der Städter zu dem Herangetretenen mit den Worten: »Wenn es Euch recht ist, möchte ich Euch eine Cigarre geben; denn Euer Tabak ist schlecht!«

Der Bauer, welche offenbar die Absicht gehabt hatte, eine Unterhaltung mit Jenem anzuknüpfen, schien durch diese unerwartete Anrede ebenso außer [9] Fassung gebracht als beleidigt worden zu sein, und doch nicht recht zu wissen, wie er sich ihr gegenüber zu verhalten habe.

»Hier ist nicht Berlin,« sagte er endlich, »hier darf Jeder rauchen, wo es ihm gefällt, junger Herr!« nahm aber trotzdem seine Pfeife aus dem Munde, steckte sie in die Tasche und schickte sich an fortzugehen.

Der Andere, welcher fühlte, daß er Unrecht gehabt habe, wollte es gut machen. »Wart ihr in Berlin?« fragte er.

»Ja, Herr! Ich war Soldat zwei Jahre lang bei den Garden im Kaiser Franz Regimente,« entgegnete der Bauer mit solchem Nachdruck, als wollte er beweisen, gegen wen der Städter sich vergangen habe.

Der schien es aber nicht im Geringsten zu beachten, sondern fragte mit ruhiger Gleichgültigkeit:

»Da hat's Euch wohl auch besser gefallen, als auf Eurem Dorfe?«

»Jetzt soll es doch aber sehr schlimm dort zugehen,« entgegnete der Bauer, ohne die Frage des Andern zu beantworten; gleichsam, um seine Kenntniß der Weltvorgänge zu zeigen. »Ist es denn wahr, daß sie in voriger Woche haben dem König ans Leben gewollt, wie sie das Zeughaus geplündert haben?«

[10] »Dem König ans Leben hat Niemand gehen wollen,« erwiederte der junge Mann, indem er ruhig den Rauch seiner Havannacigarre in die Höhe blies. »Indeß, eine tolle Wirthschaft ist's freilich gewesen; aber nehmt Euch nur erst eine Cigarre, da Ihr doch Eure Pfeife weggesteckt habt.«

Mit den Worten reichte er dem ehemaligen Soldaten die Cigarrentasche hin, der ablehnend das Haupt schüttelte. »Ich danke, junger Herr!« sagte er; »mir ist mein Tabak gut genug, wollte ich andern haben, so könnte ich ihn mir selbst kaufen!« – und ehe noch der Städter auf die unerwartete Antwort etwas entgegnen konnte, hatte der Andere, durch das Rollen eines Wagens aufmerksam gemacht, sich schnell nach der Landstraße gewendet. Dann rückte er die Mütze und ging mit der Bemerkung: »Da kommt meine Freundschaft!« von dannen.

»Sind das die Aeltern des Menschen« fragte der Zurückgebliebene einen bejahrten Landmann, der unweit von ihnen gestanden und die Worte des Soldaten mit sichtlicher Mißbilligung gehört hatte.

»Nein, Herr!« antwortete dieser, »es ist der Wirth vom Birkenhof, der Kunz Schmidt aus dem Iserlohnschen. Der kommt beinahe alle Jahre her [11] und immer mit Kind und Kegel. Sie sind Gefreundete von dem Freienfelder Friedrich, mit dem Ihr hier gesprochen habt, und der ein braver Bursche ist, nur etwas barsch, wie die Soldaten pflegen,« fügte er entschuldigend hinzu.

Während dessen war der Leiterwagen herangekommen, der von vier tüchtigen braunen Pferden gezogen wurde. Zwei ältere Frauen, ein junges Mädchen und zwei ganz kleine Buben saßen darauf; der stattliche Mann, der die Pferde lenkte, ging, da die Straße bergan führt, nebenher. Ein buntbemalter, mit Messingschlössern verzierter Kasten bildete die Rückwand des Wagens; ein blankgescheuerter Kessel, einige eiserne Tiegel und Pfannen waren an den Sprossen der Leitern befestigt, und die Masse der mitgebrachten Vorrathssäcke, die Kleidung aller Personen, welche sich auf dem Wagen befanden, bezeugten deutlich, daß die Ankommenden wohlhabende Leute waren, welche sich keinen ihnen erwünschten Lebensgenuß zu versagen brauchten.

Der junge Städter, so wie der alte Bauer blickten nach dem Wagen hin. »Diesmal hat er sogar die alte Margarethe mitgebracht!« sagte der Letztere, wie mit sich selbst sprechend, während der Andere mit [12] dem Ausrufe: »Teufel! ist das Mädchen schön!« von seinem Sitze emporsprang. Der Bauer sah ihn mit großen Augen ernsthaft an und bemerkte dann im Tone der Warnung: »Es ist rechtschaffener Leute Kind!«

Der Jüngling mochte nicht darauf geachtet haben, er antwortete nichts und ging, nachdem er dem Wagen eine Weile nachgesehen hatte, in seine Wohnung, sich für den Mittag im Curhause umzukleiden.


[13]


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