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VII.

Während an jenem Abende Anton durch die Gegend streifte und Marie mit der Mutter und den kleinen Brüdern der Musik beiwohnte, saß ihr Vater auf der Bank vor dem Hause, in dem er sich eingemiethet hatte, indeß die alte Margarethe die Teller und Suppennäpfe von der Abendmahlzeit wegräumte. Als sie das Geschäft beendet hatte, kam sie heraus und ließ sich neben dem Bruder nieder.

»Es ist gut, daß Du kommst, Margarethe,« sagte er, »und daß die Andern weg sind. Ich habe Dich etwas zu fragen. Warum will das Mädchen den Friedrich nicht nehmen, warum sagt sie nein, wo jede Andere mit allen zehn Fingern zugreifen würde?«

»Hat Dir der Narr, der Friedrich, in den Kopf gesetzt, was er selbst sich einbildet?«

[85] »Was weißt Du davon, Margarethe?«

»Bin ich denn von heute in der Welt?« gegenfragte sie. »Meinst Du, ich merkt' es nicht, daß der Friedrich sich einbildet, Geld im Sacke macht das Antlitz schön? Und muß sie denn einen Andern im Sinne haben, wenn sie den Einen nicht mag? Die Frau hat's Dir ja gesagt gestern, und ich sag's Dir heute, daß Nichts dahinter ist, als der blankste Neid des Freienfelders, den sie einmal nicht mag. Und, Gott verzeih mir's, ich möcht ihn auch nicht haben, wenn ich an ihrer Stelle wäre!«

Kunz schien etwas erwidern zu wollen, schluckte das Wort aber herunter und sagte nur:

»Jung ist sie freilich, und ein eigensinniges Ding ist sie auch. Mit Heulen und Thränen ins Ehebett zu gehen, das braucht sie nicht – aber es wurmt mich doch; denn sie sitzen im Vollen in Freifelde, und ein guter Wirth ist er!«

Damit hatte die Unterhaltung ein Ende; es war auch nachher nicht mehr die Rede davon, als die Frau und die Kinder heimkehrten, sondern sie trennten sich und gingen gleich zur Ruhe, die Eltern und die Knaben unten in der Stube, Margarethe und Marie nach der Bodenkammer, die sie inne hatten.

[86] Aber die Alte lag schon lange in dem großen, zweischläfrigen Bette und Marie an ihrer Seite, ohne daß das Mädchen den Schlaf finden konnte, der sich sonst gleich auf ihre Augenlider senkte. Bald nahm sie das bunte Nachtkäppchen ab, bald knöpfte sie den Halsgurt und die Aermel des Hemdes auf, endlich richtete sie sich in die Höhe, tief aufathmend, als drücke eine schwere Last ihr das Herz zusammen, und schickte sich an, das Lager zu verlassen.

»Was fehlt Dir?« fragte Margarethe besorgt, die bei der Schlaflosigkeit des Alters sonst stets Mariens ruhigen Schlummer mit Freude betrachtet hatte.

»Mir ist angst zum Sterben, Muhme! Mir ist so, als müsse ich in die Luft, in den Garten, wenn ich nicht umkommen soll.«

Die Alte meinte, es werde ein Alpdruck gewesen sein; sie rieth Marie, sich wieder niederzulegen und noch ein Vaterunser zu beten, dann werde der Schlaf schon kommen. Das Mädchen gehorchte; indeß schon nach kurzer Zeit richtete es sich wieder empor und sprach:

»Muhme, weißt Du, wie mir ist? So angst wie Deinem Sprosser, der immer mit dem Kopfe gegen das Bauer flog, wie's Frühling wurde, daß wir [87] meinten, er werde sich das Hirn zerstoßen, und ihn steigen lassen mußten. Ich kann nicht liegen bleiben, laß mich aufstehen!«

Damit schlüpfte sie in die Schuhe, streifte einen Rock um die Hüften und setzte sich auf einen Schemel, der an dem Dachfenster stand. Sie hatte das Haupt auf den Arm gestützt und blickte nachdenklich zu den Wolken empor, die, über den Mond ziehend, bald Licht, bald Dunkel in dem Kämmerchen verbreiteten.

Margarethe wendete kein Auge von ihr. Als endlich Marie das kleine Crucifix in die Hände nahm, das sie seit der Firmelung am Halse trug, und eifrig zu beten anfing, that Margarethe Dasselbe, ohne zu wissen, was das Mädchen erflehe, geleitet von dem Wunsche, Theil zu haben an des Kindes Angst, wie an ihrem Ringen um Befreiung von derselben. Nach geendetem Gebet, nachdem Marie sich nochmals bekreuzigt hatte, fragte Margarethe sie:

»Macht's Dir Gewissensbisse, daß Du den Freienfelder nicht genommen und des Vaters Willen nicht vollzogen hast?«

»Das soll mir Gewissensbisse machen? Ich hab's ja von jeher gesagt, daß ich ihn sonst habe leiden können, nicht gerade zum Heirathen, sondern sowie [88] man sich leiden mag, wenn man zusammen groß geworden ist und es eben gewohnt ist. Seit er aber vom Militair zurück ist und immer vom Heirathen und immer nur vom Heirathen spricht, ist er mir zuwider geworden wie ein Zuchtmeister, der hinter mir herginge, und ich mag ihn eben nicht. Er ist stolz auf sein Geld und hat doch keine Freude davon; er singt und betet in der Kirche, und giebt dem Armen nichts draußen an der Thüre; er trinkt gern und ißt gern gut, aber an Andere mag er nicht denken; er ist gerade so, wie die Alten in Freienfelde. Es ist geiziges Volk, das Keinem den Bissen gönnt; Knecht und Magd sieht nicht froh aus dorten; selbst das liebe Vieh, so groß und fett es ist, kommt mir nicht so zufrieden vor wie bei uns. Ich möchte nicht todt sein in Freienfelde, geschweige leben mit dem langen Friedrich unter den Menschen! Gott bewahre mich davor!«

Margarethe schwieg; Marie erhob sich von ihrem Schemel und sah zum Fenster hinab in den Garten.

Es war Alles still; der Holzwurm pickte in der Wand; das sehnsüchtige Flöten der Nachtigall tönte in das Kämmerchen hinauf. Mit einem Male wendete sich Marie zur alten Margarethe zurück und sagte:

[89] »Einem Menschen muß ich's aber sagen, und wenn's mein Tod sein sollte; denn es drückt mir das Herz ab. Wenn – –«

Sie stockte und konnte nicht weiter sprechen, das Klopfen des Herzens nahm ihr das Wort und machte ihre hervorquellenden Thränen versiegen.

Margarethe richtete sich erschrocken im Bette empor, ergriff ihre Hand und hielt die Zitternde fest. Es war ein wundersames Bild. Die Alte, bleich und farblos auf dem Lager, mit ihren gefurchten, versteinten Zügen, wie sie da lag, halb aufgerichtet gleich einer Statue auf einem alten Grabdenkmal, und vor ihr das lebende Mädchen, dessen Busen sich hob in unruhigen Schlägen, während die verschiedenartigsten, in ihr kämpfenden Empfindungen in ihrem Antlitz sichtbar wurden.

»Was hast Du gethan, Marie?«

Das Mädchen antwortete nicht: die Angst der Alten schien zu wachsen, sie bog sich vor, zog Marie zu sich nieder auf das Bett und ward immer dringender in ihren Fragen, bis Jene, den Kopf in das Kissen bergend, daß man ihr Gesicht nicht sah, schluchzend die Worte hervorstieß:

»Ich werde mein Lebtage nicht wieder froh, wenn [90] wir hier fort sein werden und ich ihn nimmermehr wiedersehe!«

»Aber wen denn?« fragte Margarethe.

»Den jungen Herrn Werder! – Ach, Du weißt's ja, Muhme!«

Wie ein Blitzstrahl zuckte es durch das Gebein der Alten, und das »Jesus Maria« das sie ausrief, machte mit seinem schreckenvollen Tone ihre Nichte erbeben. Indeß das währte nicht lange, Margarethe faßte sich schnell, sie fing zu fragen an, Marie berichtete die einfachen Vorgänge; aber jemehr ihr Antlitz sich erheiterte, während sie von Anton sprechend, sich das Herz befreite, um so düsterer war der Ernst, der sich über die Stirn der Greisin lagerte. Als Marie geendet hatte, sagte Jene: »Schlag Dir das aus dem Sinn, wenn Du nicht elend werden willst für ewige Zeit. Sie meinen es nicht ernst, die Städter, mit uns, und meinte er es ernst, so gäbe sein Vater es nicht zu. Schlag's Dir aus dem Sinn, noch ist's Zeit, und ich will stumm sein wie das Grab, daß kein Mensch etwas davon erfährt! Es wäre Dein Unglück, käme es aus!«

Aber Marie wollte davon nichts hören. Sie wußte Geschichten zu erzählen, die sie gehört oder im [91] Volkskalender gelesen hatte, in denen viel größere Wunder geschehen waren, wenn zwei Herzen nur recht fest zusammengehalten hatten. Sie berief sich, als Margarethe immer neue Einwendungen machte, sogar auf ihren Vater, wie der selbst oft genug erklärt habe, daß nun nach der Revolution der Bauer gerade so viel sei als jeder Andere, gerade so viel als der Edelmann, und ein Edelmann sei doch der Geheimrath nicht, sondern nur ein Kaufmann, den obenein ihr Vater erst mit zum Deputirten gemacht habe, und der Vater habe es oft gesagt, wenn er nur gewollt hätte, so hätte er selber Deputirter werden können an Jenes Stelle. Und wenn der Anton nur recht treu zu ihr hielte, und treu wäre der gewiß, so könnte es ja gar nicht fehlen, daß sie zuletzt ihren Willen durchsetzen würden und Alles ein glückliches Ende nehmen müßte. Als sie aber erst bis zu diesem Punkte gekommen war, fing sie an, der Muhme auszumalen, wie ihre Bekannten staunen würden, wenn sie das Mieder und den Faltenrock gegen ein Stadtkleid vertauschte, und wie dann aus den Brüdern erst recht was Tüchtiges werden könnte, wenn sie in eine Stadtfamilie heirathete, und wie das dem Vater gewiß lieb sein würde.

[92] Marie verlor sich in Plänen, in Hoffnungen, in Aussichten, fortbauend an ihren Lustschlössern, bis sie müde und fröstelnd das Lager suchte und unter den heitersten Bildern und Träumen einschlief, während die alte Margarethe an ihrer Seite wachte.

Ernst und still sah sie auf die schöne Bruderstochter herab. »Stehen denn die Todten aus?« fragte sie sich, »fängt das Leben von Neuem an, und muß all das Kreuz und Elend noch einmal getragen werden, das mir auferlegt worden ist vom himmlischen Vaters?« – Sie hätte viel darum gegeben, hätte der Vicarius noch gelebt, hätte sie ihn um Rath fragen können; denn sie selbst wußte sich nicht zu helfen. Wenn sie zum Bruder ging und dem Alles erzählte, so würde er in seinem Zorn keine Grenzen kennen, würde mit ihr, mit Frau und Tochter zanken, es würde Lärm geben, die Nachbarsleute in den andern Stuben würden das hören, fragen, was vorgegangen sei, und Alles käme aus. Sollte sie schweigen? Aber wie konnte sie das vor Gott, vor dem Bruder und vor sich selbst verantworten, wenn nachher ein Unglück daraus entstände? Sie überlegte sich Alles, was Marie ihr gesagt hatte; auch was sie von des Vaters Reden gesprochen hatte, legte sie sich zurecht, [93] und mußte sich sagen, daß das Mädchen nichts dabei übertrieben, daß sie nur des Vaters Worte treulich wiederholt habe. Unmöglich war es nicht, daß ein Städter ein Landmädchen heirathete, die ihm obenein eine hübsche Mitgift brachte, wie manche vornehme Städterin, die in seidenen Kleidern einherstolzirt, sie nicht hatte. Es konnte ja Gottes Wille sein, daß der Enkel an Marien gut machte, was der Großvater an ihr selbst einst verbrochen

Wenn sie so mit dem Vicar im Winterabend dagesessen und er von heiligen Dingen gesprochen hatte, wie er gern pflegte, hatte er ihr oft gesagt, daß Lohn und Strafe für Gutes und Böses nicht blos im Himmel vertheilt würden, sondern daß fast immer die Vergeltung schon auf der Erde vor sich gehe, und daß jede That auf Erden schon ihren Lohn erhalte.

Er hatte ihr erzählt, wie die Leute in frühern Jahrhunderten, wo der Glaube an Gottes Gerechtigkeit verdüstert gewesen, gerade hier in Westphalen heimliche Gerichte eingesetzt hätten, und wie dieses heimliche Vehmgericht im Stillen das Verbrechen ausgesucht und bestraft habe, was ein anderes großes Verbrechen gewesen sei; denn der Herr habe gesagt: Die Rache ist mein, und ich will vergel [94]ten! und der Herr vergelte auch wirklich schon in dieser Welt.

Das Alles zog in wechselnden Vorstellungen durch Margarethens Sinn, bis aus der angstvollen Sorge, die sich ihrer bemächtigt hatte, wie ein heller Sonnenstrahl der Gedanke auftauchte, daß es ihr, die einst so schuldlos Unehre und Kummer über den Birkenhof gebracht habe, vielleicht bestimmt sein könnte Ehre und Freude in das Haus zu bringen, und geehrt zu werden von dem Enkel des Mannes, um dessentwillen sie Schimpf und Schande geduldet hatte in den Tagen ihrer Jugend, wenn sie Anton und Marie auf den rechten Weg zu leiten im Stande wäre. Sie überlegte hin und her; endlich fing sie zu beten an, daß ihr verstorbener Bruder ihr Fürsprecher werden möchte bei der heiligen Mutter Gottes, damit diese ihr eingebe, was sie zu thun habe, um Alles zum Guten und Besten zu kehren, und mit sich einig, wie sie sich zu verhalten habe, schlief auch sie ein.

Als Marie aufgestanden war und beide Frauen sich angekleidet hatten, sagte die Alte: »Ich nehme eine schwere Verantwortung auf mich, weil ich Dir helfen will, gegen des Vaters Wunsch an Dein Ziel zu gehen, sobald ich sehe, daß der junge Herr es [95] ernstlich mit Dir meint. Mir ist aber, als wär's das Rechte, und als müßte ich es thun, damit die Wiedervergeltung Gottes ihren Weg gehen kann und dem Birkenhof sein Recht und seine Ehre geschieht. Warum das so ist, das sage ich Dir, wenn Alles erfüllt sein wird; bis dahin aber glaube mir, und schwöre mir einen heiligen Eid, daß Du nichts thun willst, nicht das Kleinste, nicht das Größte, nie ihn wiedersehen, auch nicht ihm schreiben hinter meinem Rücken. Wenn Du das thust, kann ich es vor Deinem Vater und vor Gott verantworten, daß ich Dir helfen will, und dann will ich mit dem jungen Herrn sprechen und sehen, wie es werden kann!«

Marie war wie in einem Traume. Verlegen lachend und doch weinend zugleich, versprach sie Alles und fing eben wieder an, ihre rosigen Zukunftsbilder zu weben, als Margarethe in feierlichem Ernst vor sie hintrat, ihr das Crucifix reichte, das der Vicar in der Sterbestunde gebraucht hatte und Marien befahl, niederzuknien und ihr auf das Crucifix zu schwören, daß sie ihr gehorsam sein und nicht das Geringste ohne ihr Wissen thun wolle, so wahr ihr Gott helfen möge und sein Sohn und der heilige Geist in der Stunde der letzten Noth.

[96] Es war feierlich wie in der Kirche, und als in dem Augenblicke die Musikanten am Brunnen den Choral spielten, mit dem sie an jedem Morgen beginnen, kniete auch Margarethe nieder, zu beten. Dann erhoben sich Beide bleich und ernst, und Margarethe sagte: »Ist mir doch gerade, als ständen wir vor Gottes Tisch, und als hätte ich Dich Deinem Zukünftigen angetraut. So gebe denn Gott seinen Segen, und daß ich es zu Ende führe zu unser aller Heil und Freude!«

Marie schwieg, aber wer in ihrem Herzen hätte lesen können, hätte in ihr die Empfindungen noch viel stärker ausgeprägt gefunden, welche Margarethe bekannte. Es war ihr, als sei sie nun nicht mehr ihr eigen, auch nicht mehr ihres Vaters Eigenthum, als sei der Birkenhof und der ganze Kreis ihres Wirkens in eine weite, weite Ferne gerückt, ihre ganze Vergangenheit versunken und ein unerhörtes Wunder in ihrer Seele geschehen, für das sie kein Wort, keinen Namen hatte, während es doch mit heller Freude ihr Herz erfüllte.

So still in sich versunken war ihr zu Muthe, daß ihr die Sprache von Vater und Mutter wie fremd erklang, als sie neben ihnen einherging am Brunnen; daß [97] ihr es schien, als sähe sie heute Alles ganz anders, als wären die Bäume und die Luft und das Gras und der Vogelsang viel schöner geworden als bisher, und doch war Alles beim Alten geblieben. Sie wußte nicht, wie ihr denn eigentlich war, bis plötzlich aus einer der Alleen Anton hervortrat, der mit einer alten Dame und deren hübscher Tochter zum Brunnen ging. Da fuhr es Marien wie ein scharfer Stich durchs Herz, und die Augen, die ihn bisher sehnlich gesucht hatten, senkten sich so erschrocken herab über die eigne große Liebe, über die Unmöglichkeit, ihm zu nahen, daß Anton sie nicht einmal grüßen konnte, und Marie es nur an ihrem Herzklopfen fühlte, er habe sie doch wohl angesehen. Aber weil sie ihm gern so viel gesagt hätte und es doch nicht konnte; weil sie ihm gern das Alles von der Muhme erzählt hätte, ohne je den Muth dazu zu finden, wurde ihr angst und bange, und sie machte, daß sie aus Antons Nähe fortkam, indem sie sich den Landleuten anschloß, die nach der Salzquelle zum Baden hinuntergingen.

Da traf sie der Freienfelder Friedrich, und der sagte: »Gelt, Marie! Du kannst es wohl nicht ansehen, daß der Schwarzkopf mit den gelben Hand [98]schuhen jetzt immer mit dem kleinen Fräulein herumspaziert? Aber hab' nur Geduld, wirst es nicht lange mehr zu sehen brauchen, er reist morgen fort!«

»Wer?« fragte das Mädchen und entfärbte sich so sichtlich, daß der Freienfelder laut auflachte.

»Da liegt der Fuchs?« rief er. »Und Dein Alter will mir einbilden, daß es nichts sei zwischen Dir und dem Geheimrathssohne? Es steckt Euch wohl im Blut der Hochmuth, der zu Fall bringt, im Birkenhof.«

Marie wußte nicht, was er sprach, nicht, was sie hörte, der starre Blick ihres Erschreckens aber schien dem Freienfelder der Ausdruck des Zornes, der Entrüstung zu sein; und einlenkend sagte er: »Nun, nun, nimm's nur nicht gleich so krumm! Ich bin nicht wie die Andern, die nicht hinter dem Pfluge hervorgekommen sind; ich weiß, wie sie mir nachgelaufen sind und haben's sich nachher doch aus dem Sinn schlagen müssen; und wenn man erst Gottestisch und das Ehebett vor Augen hat, da vergehen die andern Grillen. Es macht mir auch weiter kein böses Blut; denn ich sehe ja, wie Du erschrocken bist, daß ich im Ernste Unrechtes von Dir denken könnte.«

[99] »Denke was Du willst, nur laß mich gehen!« entgegnete Marie.

Friedrich aber ließ sich nicht abschrecken dadurch, sondern fuhr fort, von der Abreise der Stadtherren und von den hochmüthigen Mädchen zu schwatzen, die nachher am Leichtesten klein beigeben. Er sagte, wenn ein Mann nur seinen Vortheil recht verstehe, so fahre er mit solchen hochmüthigen Weibern am allerbesten, und er werde es erleben, daß Marie sich bald besinnen und noch vor dem Winter Hausfrau in Freienfelde sein werde; denn so klug sei Jeder, daß er sich ein warm Nest baue, ehe es kalt wird, wenn's ihm so gut geboten werde, wie nicht leicht zum zweiten Male.

Das Mädchen ließ ihn ruhig zu Ende sprechen, dann sagte sie: »Was Du Alles in der Stadt gelernt hast, das weiß ich nicht, besser aber bist Du nicht geworden, das merke ich. Wenn Du glaubst, daß ich einen Stadtherrn im Herzen habe, wie kannst Du denn denken, daß ich Dich heirathen werde; denn zwei zugleich kann man ja nicht wollen; und wenn Du glaubst, daß ich mich besinnen und Deine Frau werden möchte, warum sprichst Du denn von einem Andern, da es Dir und mir ein Schimpf wäre? Geh' [100] zu Denen, die Dir nachgelaufen sind und von Dir gelassen haben. Ich hab's Dir schon gestern und ehegestern gesagt, daß ich Dich nicht mag, daß ich nicht heirathen will, und ich werde mich auch nicht anders besinnen; denn wir sitzen auch warm im Birkenhof im Sommer und Winter. Wenn ich aber einmal Einen im Herzen trage, von dem werde ich nicht lassen, und Keinen heirathen als Einen, von dem ich nicht lassen kann.« Damit wendete sie sich von ihm und ließ ihn stehen.

Friedrich biß sich in die Lippen und sagte: »Ich kann hundert für Eine haben und Bessere noch! Aber es ärgert mich, weil ich Allen versprochen habe, daß sie noch im Herbste nach der Ernte tanzen sollten auf meiner Hochzeit mit ihr.« Und als er ihr nachsah, wie sie so frisch einherging, meinte er: »Verteufelt hübsch ist sie auch, und Jedermann weiß es, daß ich sie haben will.«

Während er dann langsam dem Badehause zuschritt, überlegte er, was ihm wohl den Sinn des Mädchens abspenstig gemacht haben müsse, aber so viel er auch überlegte, er konnte nichts finden und blieb immer wieder dabei stehen, daß der Geheimrathssohn ihr etwas in den Kopf gesetzt haben müsse, [101] und daß es ihm schon gelingen werde, ihn auszustechen, wäre er nur erst abgereist und dem Mädchen aus den Augen.

Diese Abreise aber stand nahe vor der Thüre. Friedrich hatte es gehört, wie der Geheimrath es selbst heute dem Kunz gesagt, daß er morgen fortgehe, und Margarethe hatte dabei gestanden und gefragt, wohin er reise, worauf der alte Herr erwiederte, er gehe auf sein Gut bei Iserlohn. Nachher hatte der Geheimrath den Kunz appart genommen und sich mit ihm unter die drei großen Bäume in den Anlagen hingesetzt, wo sie lange zusammen gesprochen hatten, und das Ende war gewesen, daß der Hofbauer nachher gesagt hatte, wenn man dem Herrn Geheimrath und den Stadtleuten überhaupt nur trauen könnte, so wäre Alles ganz gut. Der Herr Rath wisse recht wohl, wo der Hase im Pfeffer liege, aber er gehe um die Bauern herum, wie die Katze um den heißen Brei, von dem sie was abhaben möchte, ohne sich die Pfoten zu verbrennen. Er für sein Theil wäre jedoch nicht von denen, die sich mit schönen Redensarten abspeisen ließen, und er habe es dem Geheimrath auch grad heraus gesagt, er wolle erst sehen, daß was Rechtes geworden sei, ehe er sich für dasselbe [102] bedanke. Wenn Andere sich vorher bedanken wollten, so wäre das ihre Sache, sie möchten aber dann zusehen, wie sie nach dem Bedanken zu dem Ihrigen kämen.

Das Alles hatte der Hofbauer nachher erzählt. Gesehen hatte Friedrich, daß der Geheimrath ihm sehr die Hand geschüttelt und daß sie dann so zu sagen als gute Freunde von einander gegangen waren, nachdem sich die alte Margarethe mit dem jungen Herrn lange vorher entfernt hatte.

Die Beiden waren aber nicht weit weg gegangen, sondern nur hin bis zum kleinen Bethause der Brüdergemeinde, das in einem Wäldchen von ernsten Tannen, mitten im Parke gelegen ist, da, wo der Weg zum Bohmberge in gerader Linie hinanführt.

Wenn zwei Menschen etwas für einander auf dem Herzen haben, finden sie sich bald zusammen, und man weiß dann nicht, wer eigentlich den Andern gerufen und wer zu sprechen angefangen hat, weil in solchen Fällen die Seele spricht, lange bevor der Gedanke, der Lippe entströmend, zum körperlich wahrnehmbaren Worte sich gestaltet hat. Ehe Margarethe etwas von alledem gesagt hatte, was sie zu sagen und zu fragen hatte, wußte es Anton im Voraus und beschwor sie, es möglich zu machen, daß er Marien [103] nur einmal, nur eine Viertelstunde allein sprechen könne, ehe er morgen abreiste.

Die Alte schüttelte aber verneinend das Haupt. »Meint Ihr, daß ich mich dazu hergeben werde? Da irrt Ihr Euch!« sagte sie. »Ihr kennt die Marie, und Ihr sagt, daß Ihr sie liebt, und sie hat mir zugeschworen, daß sie mir gehorchen und Euch nicht heimlich sehen will. Das sollt Ihr auch thun; denn thut Ihr es nicht, so gehe ich zu meinem Bruder, und was dann daraus entsteht, das habt Ihr zu verantworten, weil Ihr es nicht ehrlich meint.«

»Aber, Margarethe, was soll denn werden, wenn ich sie nicht wiedersehe, da ich morgen reisen muß?«

»Ihr sollt still sein und warten und Alles so herrichten, daß Ihr je eher je lieber zu Eurem Vater gehen könnt und sagen, ich will des Kunz Schmidt Marie zum Weibe haben; gehe hin und wirb um sie, daß er sie mir giebt.«

»Das ist unmöglich, Margarethe! Darüber kann unser Haar weiß werden, ehe das geschieht.«

»Dann geht Eures Weges, und schlimm genug, daß noch einer von Euch in unsern Weg gekommen ist.«

»Margarethe, glaubst Du, ich könnte an Marie handeln, wie an Dir gehandelt worden ist?«

[104] »Ich habe es nicht geglaubt, jetzt glaube ich es, weil Ihr mich so fragt.«

Anton blickte sie ernsthaft an. »Nein,« rief er, »Du glaubst es auch jetzt nicht; denn ich müßte kein Mensch sein, hätte ich vergessen, was Du mir neulich in den Kampen erzählt hast; und wäre ich im Stande, über ein Mädchen, das ich liebe, solch Elend zu bringen, da ich doch weiß, wie es drückt. Ich habe kein Mädchen geliebt, bis auf diesen Tag, und ich werde treu sein. Ich will auch Marien nicht wiedersehen, aber versprich Du mir, daß sie kein Anderer haben soll als ich, daß Du sie beschützen willst, wenn ihr Vater sie zwingen will, einen Andern zu heirathen als mich, und sollte es noch so lange währen!«

»Glaubt Ihr, der Kunz hat kein Herz im Leibe für sein eigen Fleisch und Blut?« fragte Margarethe vorwurfsvoll, »und denkt Ihr, die Marie sei nicht meines Bruders rechtes Kind, daß sie sich zwingen läßt? Das mag so sein bei Euch, bei uns ist das nicht Mode, wo die Leute Brot haben, daß sie ihre Kinder ernähren können im eignen Hause – und an Brot hat's noch nie gefehlt, Gott sei Dank! so lange rüstige Arme waren im Birkenhof.«

[105] »Also Marie bleibt mein, mein unwandelbar, und sollte es zehn Jahre dauern, bis ich sie mir hole?«

»Ja,« antwortete Margarethe und gab ihm die Hand.

Anton ergriff sie, hielt, sie fest und sprach: »So sage ihr, daß ich ihr treu bleiben werde, und nun lebe wohl!«

Noch ehe Margarethe etwas entgegnen konnte, war er mit einem letzten Händedrucke geschieden und ging raschen Schrittes davon.

Am Nachmittage, als er von einem Feste kam, das man ihnen zum Abschiede gegeben hatte, sah er, als er die Allee entlang ging, eine Menge Bauern um die Bude eines Juden stehen, der allerlei werthlose Dinge im Würfelspiele feil hielt. Schon oftmals hatten die Scenen vor dieser Bude ihn belustigt. Der Jude, den sein Aeußeres sowohl als sein Dialect wesentlich von den Landleuten unterschied, strebte dennoch, sich ihnen zu nähern, ihre Gunst, ihr Zutrauen zu erwerben, ihre Ausdrucksweise nachzuahmen, was bei dem Dialecte seines Volkes sehr komisch ausfiel, während er ihnen die schlechten Gewinne als große Herrlichkeiten anpries.

Die Bauern lieben das Spiel, und da der Ein [106]satz nur ein geringer war, so ruhte der zinnerne Becher selten. Von früh bis spät klapperten die Würfel in den Händen spiellustiger Landleute, welche zugleich eine Art von Eitelkeit dabei befriedigten, wenn sie zeigen konnten, daß sie auch für dergleichen Dinge noch Geld übrig hatten. Denn so genau der Bauer ist, so sehr er seinen Vortheil im Kleinsten wie im Großen wahrzunehmen weiß, so sehr liebt er es, mit seinem Reichthum vor seinen Standesgenossen zu glänzen, und Niemand war weniger von dieser Eitelkeit frei, als Kunz Schmidt. Das konnte man nicht nur an den Würfelbuden sehen, sondern man konnte es bemerken, wenn man nur die Anzüge von seiner Frau und seiner Tochter betrachtete, an denen Alles vom besten Zeuge und Alles von Silber und echtem Gestein war.

Schon oftmals hatte Anton den Kunz mit Frau und Kindern am Würfeltische gefunden, auch heute sah er gleich von Weitem Mariens schlanke, ansehnliche Gestalt die andern Frauen überragen. Wie sie so dastand in dem rothen gefältelten Tuchrock mit grüner Borde, die schwarze knappe Tuchjacke an den engen halblangen Aermeln mit Sammet verbrämt, und mit blanken Silberknöpfen über das Fürtuch von [107] rothem Wollenzeug zusammengehalten, konnte sich Anton kein schöneres Mädchen und keine schönere Tracht denken als diese. Das schwarze Käppchen auf dem Kopfnest, von dem die breiten, schwarzen Bänder über den schlanken Rücken hinabflatterten, das gestickte Bindchen, welches mit seiner Schnäppe das Haar von der Stirne zurückließ, hoben die Schönheit des Haares und die Reinheit der Stirn noch leuchtender hervor; und wie die dunkle Schürze mit dem großen Silberschloß die schlanke Taille fest bezeichnete, so trug von dem steifen weißen Halskragen und den großen Bernsteinperlen mit dem echten Granatschloß bis hinab zu den straffen blauen Strümpfen und den Lederschuhen Alles dazu bei, die feine und doch kräftige Schönheit Mariens in das rechte Licht zu stellen.

Antons Herz klopfte hoch auf bei ihrem Anblicke, aber Marie wendete erröthend den Kopf ab, als er sich unter die Spielenden drängte, um in ihre Nähe zu kommen. Der Vater, der neben ihr stand, rief ihm freundlich entgegen:

»Nun wollt Ihr Euer Glück auch noch wagen, junger Herr, ehe Ihr morgen fortgeht?«

Es war im Grunde das erste Mal, daß er ihm [108] recht von Herzen freundlich zusprach, und Marie und Anton dachten gleichzeitig, das käme daher, weil er nun gewiß sei, daß die Abreise vor der Thür stehe.

»Nur heran, junger Herr,« sagte der Jude, »sehen Sie, was die Leute gewinnen für ihr geringes Geld. Es ist ein Spott und eine Schande; aber was soll man thun, wenn man doch leben will, und wenn der Landmann das Geld hat und unser einer die Noth? Sehen Sie, was die junge Frau gewonnen hat, für einen Groschen den Suppenlöffel von reinem Zinn, mit dem schöngedrechselten Stiel obenein. Nur heran, Jüngferchen, auf Nummer vierundzwanzig setz' ich einen zweiten Löffel; da der Bräutigam gewiß nicht lange ausbleibt, muß man sein Glück probiren. Erst der Löffel, dann die Suppe, erst der Schatz, dann das Haus – ist das nicht wahr, junger Herr?« fragte er, gegen Friedrich gewendet, der Anton und Marie nicht aus den Augen verlor.

»Ich brauche Deinen zinnernen Löffel nicht für meinen Schatz, ich kann ihr einen silbernen kaufen, denke ich!« antwortete der Bauer, »aber die Jungfer soll's einmal probiren, ob sie Glück hat.« Dabei bezahlte er den Einsatz und reichte Marie den Würfelbecher dar; indeß Anton war ihm zuvorgekommen [109] und Marie schüttelte bereits einen Becher, den Anton ihr gegeben, ohne daß sie gewagt hätte, diesen auch nur anzusehen. Die Würfel fielen auf den Tisch: »Nummer achtzehn!« sagte der Jude. »Ei! ist das ein schönes Ringelchen. Freilich nicht so schön und echt, wie die reiche Jungfer Alles am Leibe trägt, aber es ist eine Vorbedeutung! Nu, es wird auch längst Alles fertig liegen in Kisten und Kasten, die silbernen Löffel und alles Andere dazu. Steckt nur den Ring an, schöne Jungfer; es ist keine Unehre, bis nachher der Rechte kommt.«

»Ja, steckt ihn an!« bat Anton so leise, daß nur Mariens Ohr es hörte, die voll Liebe zum ersten Male zu ihm aufsehend, zitternd den Ring an ihren Finger steckte und dann mit ängstlicher Hast die Hand in die Falten ihrer Schürze barg, als fürchte sie, man könne ihr den Ring abziehen oder ihm mit Blicken ein Leid anthun.

Trotz der eignen Bewegung aber entging Anton das lauernde Auge des Freienfelder Friedrichs nicht. Um die Aufmerksamkeit desselben von Mariens Befangenheit abzulenken, setzte er für sich selbst ein und würfelte. Er gewann eine kleine Pfeife. Kunzens Knaben lachten hell auf. Der Eine, mit dem Anton [110] sich bisweilen zu schaffen gemacht hatte, weil es ein munterer Bube war, streckte die Hand nach der Pfeife aus und sagte: »Gieb mirs!«

Der Freienfelder aber meinte: »Nein! laß dem Herrn die Lockpfeife. Jedem, was ihm zukommt!« Dabei stieß er seinen Nachbar, und während die Beiden noch über den Witz lachten, der Antons Blut aufsieden machte, würfelte der Friedrich und gewann eine Peitsche.

»Jedem, was ihm zukommt!« wiederholte nun Anton, und die jungen Männer sahen sich mit solchen Blicken des Hasses an, daß es Jedem ausfallen mußte, der nicht wie die Mehrzahl der Bauern ausschließlich mit dem Spiele und dem Betrachten der gewonnenen Sachen beschäftigt war. Kein Wort ward zwischen Anton und Friedrich gesprochen, und doch wußten Beide, daß sie sich wieder treffen und früh oder spät im Leben hart an einander gerathen würden. Die Trennung, welche der verschiedene Stand zwischen sie zu stellen schien, war hier verschwunden; denn der Haß hebt die Unterschiede auf wie die Liebe.

In dem Gedränge um die Würfelbude trat Anton noch einmal so nahe an Marien heran, daß er [111] ungesehen ihre Hand ergreifen und fest drücken konnte, wie sie den Druck erwiederte. Dann trennten sie sich, und am andern Morgen hatte er mit seinem Vater Pyrmont verlassen, ohne Marie oder Margarethe wiedergesehen zu haben.


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