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IV.

Demüthige Naturen vermögen es, einen Tadel, und wenn es ein ungerechter wäre, schweigend hinzunehmen, eiteln Menschen ist dies unerträglich, sogar wenn ihr Hochmuth dem Tadler die Fähigkeit abspricht, überhaupt ein richtiges Urtheil zu fällen. So hoch sie sich stellen, werden sie in ihrem Innern von jedem Pfeile getroffen, den der Niedrigststehende gegen sie schleudert, und so wenig sie geneigt sind, der fremden Meinung zu folgen, so eifrig streben sie darnach, sie für sich zu gewinnen. Das giebt ihnen eine Rastlosigkeit und zugleich den Wunsch, zu gefallen, durch den die sonst unvermeidliche Starrheit des Hochmuths gebrochen, ja bis zur schmeichelndsten Zuvorkommenheit verwandelt werden kann.

Die Angriffe; welche das Ministerium, dem er [32] angehörte, und er selbst fast täglich durch die Presse erlitten, wies der Geheimrath mit kalter Geringschätzung ihrer Urheber von sich zurück und hielt sie keiner Beachtung werth. Daß aber ein Bauer, daß der reiche Schmidt, den sie scherzend den Bauernkönig von Westphalen nannten, ihm harte Vorwürfe in das Gesicht zu sagen wagte, ließ ihm keine Ruhe.

Fast neidisch bemerkte der Geheimrath die an Ehrfurcht grenzende Weise, in welcher das ganze anwesende Landvolk sich gegen Schmidt verhielt, der in zutraulicher Herablassung Jedem freundlich Rede stand und immer einen Kreis von Landleuten um sich hatte, von denen seine Ansprüche wie Orakel verehrt wurden. Eine gleiche Auszeichnung schien sich auf seine ganze Familie zu erstrecken und auch seiner hochbejahrten Schwester, der lahmen Margarethe, zu Theil zu werden, obschon die Art, in welcher diese sich kleidete, fast ärmlich aussah neben dem stattlichen Auftreten der übrigen Familie.

Vergebens hatte der Geheimrath gehofft, Schmidt werde im Laufe des nächsten Tages wieder an ihn herantreten, ihm die versprochenen Erklärungen abzufordern, aber weder das vertrauliche Grüßen, noch das freundlich hingeworfene »Guten Tag, mein Herr [33] Wähler!« bewogen diesen, einen neuen Schritt dem Geheimrath entgegen zu thun.

»Er weiß jetzt, was ich von Denen in Berlin denke,« sagte er sich, »und kann er sich rechtfertigen, so wird er schon von selbst anfangen, wo nicht, weiß ich, was ich davon zu halten habe, und will's an mich herankommen lassen. Ich brauche ihn nicht, aber er kann mich brauchen, und er ist keiner von Denen, die ihren Vortheil aus dem Auge lassen.«

Aehnliche Bemerkungen mochte der Geheimrath sich selbst gemacht haben, als er am Morgen des dritten Tages Anton in eine Unterhaltung mit Schmidt verwickelt sah.

Nach den beantworteten Fragen nach dem Woher und Wohin, nach Alter und Beruf, war Anton bereits zur Erzählung der Berliner Vorfälle übergegangen, denen sowohl die Tochter des Landmanns als die alte Margarethe aufmerksam zuhörten, während der junge Bauer, den wir am ersten Tage unter dem Namen Friedrich kennen gelernt, abseiten stehend und anscheinend mit Frau Schmidt und ihren Knaben beschäftigt, kein Wort von Demjenigen verlor, was in der Hauptgruppe gesprochen wurde.

Diesen Augenblick benutzte der Geheimrath, eben [34]falls hervorzutreten und sich in die Unterhaltung zu mischen. »Nun, Margarethe, wie geht's?« sagte er, während er ihr die Hand reichte, »noch immer in Iserlohn?«

»Kennst Du die Margarethe?« fragte Anton verwundert seinen Vater.

»Haben sie Dir das nicht gesagt?« entgegnete der Geheimrath. »Wir sind alte Bekannte und unsere Familien schon lange Jahre im Lande.«

»Die Schmidts wohl, Herr Geheimrath; denn ich bin, wie sich im Kirchenbuche nachweisen läßt, der Achte unseres Namens, der den Birkenhof besitzt, indeß, wie Ihr Herr Vater zuerst in unsere Gegend gekommen ist, das können sich viele Leute bei uns erinnern, es ist noch keine fünfzig Jahre her.«

»Der junge Herr sieht aus wie er,« bemerkte Margarethe; »er war nicht viel älter, als er zuerst mit seinen Rothgarnproben auf den Birkenhof kam.«

Weder der Bauer noch der Geheimrath schienen dieses Gespräch fortsetzen zu wollen, und der Letztere fragte, wieviel Kinder Schmidt habe. Er antwortete, daß er fünf Kinder gehabt, drei Söhne und zwei Töchter; daß die älteste Tochter verheirathet und der älteste Sohn gestorben sei. »So habe ich,« fuhr er fort, [35] »nur noch die Marie im Hause und die beiden Buben. Den Aeltesten werde ich studiren lassen, der Jüngste bekommt den Birkenhof, wie sich's gebührt!«

»Schmidt,« fiel ihm da plötzlich der Geheimrath ins Wort, »Ihr schreit ja so um Gesetze zu Eurem Vortheil; Ihr könnt's ja auch gar nicht abwarten, daß die Privilegien aufgehoben werden, wie möcht's Euch gefallen, wenn wir nun ein Gesetz erließen, das mit der verdammten ritterlichen Fideikommißwirthschaft auch Euer eben so himmelschreiendes Erbrecht aufhöbe, bei dem die ganze Familie leer ausgeht dem jüngsten Sohn zu Liebe?«

»Das Gesetz würde kein rechtschaffener Wirth, kein rechtschaffener Vater beachten, Herr Geheimrath. Ueber sein Hab und Gut hat Jeder selbst zu bestimmen; das Recht werden wir uns auch nicht nehmen lassen in Westphalen, der Bauer so wenig als die Ritterschaft.«

»Ihr habt gut sprechen,« bemerkte Jener, »da Ihr der Jüngste seid, aber fragt einmal Eure ältern Geschwister, ob die damit zufrieden waren? Die Margarethe hätte wohl auch einen Mann gefunden, hätte sie Haus und Hof gehabt wie Ihr.«

»Ich hätte ihn auch ohne das gefunden, aber ich [36] habe ledig bleiben gewollt. Und wenn der Jüngste Hof und Land erhält, so gebührt sich das von Rechtswegen. Die Großen können sich helfen, wenn die Aeltern sie erst groß gezogen haben, für den Jüngsten aber muß gesorgt werden. Unser Aeltester war Vicar-Adjunct, wie Vater und Mutter starben, der Kunz war ein Kind. Was hätte werden sollen aus dem, hätte er nicht den Hof gehabt, und wäre ich nicht dageblieben bei ihm, bis er selbst wirthschaften konnte und sich die Frau nahm?«

»Und,« fuhr Schmidt fort, »glaubt Ihr, daß wir Westphalen auch Hof und Land wollen zertheilen lassen, wie das bei Euch am Rheine geschieht, wo Niemand sich ernähren kann auf der ererbten Ruthe, und dann Gott danken muß, wenn die Fremden aus den andern Provinzen kommen, die parcellirten Stücke zusammenzukaufen und die Besitzer in Instleute und Häusler zu verwandeln?«

Der Geheimrath lachte. »Ihr sprecht ja ganz wie Euere Standesherrn, die auch fest an dem Alten hangen.«

»Woran sie wohl thun!« fiel ihm Schmidt in das Wort. »Hätten wir Alle das immer gethan, so wäre es anders im Lande, so wäre es, wie es unsere Alt [37]vordern gehabt haben; der Bauer säße frei und ungeschoren auf seinem Hofe, die Fürsten mietheten sich Soldaten unter den Leuten, die nichts zu thun haben, als Soldaten zu werden, die Kirche und unsere angestammte Ritterschaft hätten das Ihre, und es wäre nicht so weit gekommen, daß man jetzt selbst daran denken muß, sich mit den Seinen bewaffnen zu lassen, um sich Recht zu schaffen gegen die ganze Beamtenschinderei, die uns mit ihren Paragraphen und Gesetzen am Liebsten von Haus und Hof vertriebe, um lauter loses Volk zu haben, das nach jeder Pfeife tanzte. So weit ist's aber noch nicht in Westphalen und soll wohl auch nicht so weit kommen!«

»Fahrt nur so fort, Schmidt,« sagte der Geheimrath, »macht nur durch Eure Reden recht viel Unzufriedene im Lande, die der Regierung widerstehen, und dann seht zu, wer Euch gegen das Communistengesindel schützen wird, das von Frankreich und Belgien hereinbricht ins Land!«

»Sind noch nicht da, Herr Geheimrath! – Vor dem, was einmal kommen kann, sperr ich mein Thor nicht zu. Unsere schlimmsten Communisten, die wir im Lande haben, das sind alle Diejenigen, die reich werden auf unsere Kosten, die fett werden von un [38]serm Schweiß, und die von oben auf uns herabsehen, weil wir sie da oben unterhalten mit unserer Hände Arbeit. Vor denen haben wir uns zu schützen, die haben wir weg haben wollen, als wir hier gewählt haben für Frankfurt und Berlin – und nicht, um uns neuen Sand in die Augen streuen zu lassen!«

Allmählig waren noch mehrere Landleute hinzugetreten; sie waren aus denselben Kreisen, sie waren ebenfalls unter den Wählern des Geheimrathes gewesen, und dieser sah sich in der peinlichen Lage, entweder diese Leute mit ihren Anfragen und Forderungen auf das Bestimmteste abzuweisen und sich dadurch eben so unpopulair zu machen als das Gouvernement, dem er angehörte, oder eine Rechenschaft abzulegen, für die in diesem Augenblicke weder der Ort noch die Zeit schicklich waren. Schnell entschlossen wählte er einen Ausweg.

»Es freut mich,« sagte er, »daß wir gerade hier einmal in Ruhe längere Zeit zusammenbleiben und uns über das, was noth thut, gründlich besprechen können. Dazu ist aber weder die Promenade, noch die Brunnenstunde gemacht, und ich möchte Euch vorschlagen, daß Ihr morgen gegen Abend zu mir kommt, so viel Ihr hier von meinen Wählern beisammen seid. [39] Da kann man denn Alles reiflich überlegen. Sobald ich dann in Berlin bin, wollen wir zuschauen, was sich thun läßt, und daß das Nöthigste bald geschieht. Nur im Umsehen müßt Ihr's nicht verlangen!«

Damit ging er von dannen, gab den Nächststehenden die Hand und ließ bei den Meisten den Eindruck eines zutraulichen, gar nicht stolzen Mannes zurück, mit dem man doch ein vernünftiges Wort reden könne.

Die Besprechung des nächsten Tages war zur Zufriedenheit beider Theile ausgefallen. Der Geheimrath hatte viel von der in allen Staatsformen nothwendigen Gliederung der Stände gesprochen, in denen dem ansässigen Bauernstande, als einer der Hauptstützen des materiellen staatlichen Gedeihens, die höchste Berücksichtigung zu Theil werden müsse. Er hatte die Einwendungen und Beschwerden jedes Einzelnen gehört, gewürdigt und zu vertreten versprochen, er hatte seine ganze Thätigkeit ihrer Sache gelobt und dafür nichts weiter verlangt, als etwas Geduld, und daß man ihn während der paar Wochen, die er seiner Cur wegen in Pyrmont zu bleiben habe, ruhen lassen möge, damit er nachher um so eifriger ans Werk gehen könne. Das Alles hatte [40] man eingesehen, zugestanden und war im besten Vernehmen von einander geschieden.

Da nun außerdem der Geheimrath gewordene Kaufherr, so oft sich eine Gelegenheit dafür bot, freundlich mit den Landleuten verkehrte, was ihm in den Augen seiner hanseatischen Standesgenossen, deren eine große Anzahl mit ihren Familien im Bade war, einen guten Anschein gab, so wuchs er in der Gunst seiner Wähler von Tag zu Tag, und diese wie die ganze Gesellschaft wendeten ihm Achtung und Ehrenbezeigungen zu. Nur Kunz Schmidt blieb unbestechlich, mit ihm Friedrich, der eine Abneigung zu haben schien gegen Vater und Sohn.

Im Gegensatz dazu verrieth die alte Margarethe eine lebhafte Theilnahme für Beide, welche sich jedoch besonders dem Sohne zuwendete. Sie unterließ es niemals, ihm wenigstens »Guten Tag« zuzurufen, wenn er mit den Damen seines Umgangskreises einherging, oder mit irgend einer Frage an ihn heranzutreten, wenn sie ihn allein fand; und Anton seinerseits begann bald fast ein eben so großes Gefallen an Margarethen zu hegen, als er für Mariens Schönheit empfand. Es lag etwas Eigenthümliches in dem Wesen und in der ganzen Erscheinung der [41] alten Bäuerin. Ihr schwarzer Rock, die gleichfalls schwarze Jacke und Schneppenhaube, der es an allen üblichen buntfarbigen Verzierungen fehlte, machten ihr bleiches Gesicht, in dem die starken Pockennarben die ursprüngliche Schönheit der Form nicht zerstört hatten, noch blässer erscheinen. Die Augen, obschon von matter Farbe und nicht groß, der festgeschlossene Mund, hatte dennoch viel Ausdruck, und selbst das Hinken konnte trotz ihrer sechzig Jahre es nicht verhindern, daß sie sich gerade und aufrecht hielt, wie die Allerjüngsten. Immer mit dem Strickstrumpf beschäftigt, wendete sie wenig Rücksicht auf die kränkliche Schwägerin, während der Bruder, die kleinen Bruderssöhne und vor Allem Marie offenbar ihre ganze Liebe besaßen und ihr Glück ausmachten.

Wie der Bruder hielt sie darauf und wußte es überall geltend zu machen, daß sie einer der ältesten Familien des Landes angehöre, aber ihr fehlte die daraus erwachsende selbstzufriedene Abgeschlossenheit des Erstern. Was in dem Manne Stolz war, das gab sich in dem Weibe als eine Art von Eitelkeit kund. Der Bruder zwang den Leuten, mit denen er zu thun hatte, den Respect auf, den er sich zu fordern berechtigt hielt; Margarethe strebte nach Anerkennung, um sich durch die Unterordnung ih [42]rer Standesgenossen gehoben zu fühlen. Es freute sie, wenn Städter sie beachteten, sie als ihres Gleichen zu behandeln, und ihr Streben, sich diesen in ihrer Sprache und Ausdrucksweise zu nähern, ging offenbar nicht allein von ihrem langen Aufenthalte in Iserlohn hervor, wo sie die Wirthin ihres geistlichen Bruders gemacht hatte.

Der Geheimrath selbst, so gern er Kunz vermied, der an seinem selbstgewählten Deputirten nur den Miethling sah, welcher seine persönlichen Zwecke zu fördern hatte, der Geheimrath selbst hatte Margarethen gern. Er nannte sie ein wunderliches Frauenzimmer und ließ Anton ruhig gewähren, wenn er sich viel mit den Bauern und ihren Frauen zu schaffen machte, weil es diesen schmeichelte und die Popularität von Vater und Sohn noch steigern konnte. »Nebenher,« sagte er zu Anton, »werden sich Deine Begriffe über die allgemeine Gleichheit wesentlich berichtigen, von der man Dich in den Klubs unterhalten hat, und Du wirst einsehen lernen, wie wenig diese Bauern mit der allgemeinen Gleichheit zufrieden wären, wenn sie nun plötzlich ihre Knechte als ihres Gleichen behandeln sollten. Die Welt ist überall dieselbe und der Liberalismus im Grunde bei Niemand mehr als Selbstsucht, die nach Freiheit strebt für sich!«



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