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Vorwort

(1926 und 1931 In der um die Teile IV und VIII erweiterten Auflage von 1931 haben wir auch das Vorwort der ersten Auflage (erschienen 1926) entsprechend ergänzt und eine Reihe Anmerkungen hinzugefügt.)

Im Marxismus – der Theorie und Praxis des wissenschaftlichen Sozialismus oder Kommunismus; beide Worte sind hier gleichbedeutend. – ist der Atheismus, die Religionslosigkeit, die Bekämpfung der Religion, ein selbstverständlicher, unablösbarer Bestandteil. Marx und Engels haben sich nach ihrer philosophischen Grundeinstellung Zeit ihres Lebens Materialisten genannt. Was ist Materialismus? Engels antwortet: die Welt ohne vorgefaßte idealistische Schrullen auffassen Engels, »L. Feuerbach« (»Marxist. Bibl., Bd. 3, S. 50).. So war der Gegensatz zu aller mystischen, religiösen Glaubenswelt klar zum Ausdruck gebracht. Der dialektische Materialismus von Marx und Engels ist denn auch der stärkste Gegenpol gegen jede idealistische und metaphysische (d. h. übernatürliche und undialektische) Denkweise Vgl. Engels, »Die Entwicklung des Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft«, S. 23 ff. (»Elementarbücher des Kommunismus«, Bd. 7)..

Bereits 1844 hatte der junge Marx das Wort geprägt: »Die Kritik der Religion ist die Voraussetzung aller Kritik Marx-Engels, »Ueber historischen Materialismus«, Teil I, S. 16..« Im Sturm und Drang des Aufbaues ihrer Weltanschauung haben Marx und Engels sich zuerst noch wacker mit Gedankengebilden aus der religiösen Vorstellungswelt herumschlagen müssen. Diese Auseinandersetzung, die zum Teil auch eine Selbstverständigung war, erfolgte jedoch bei beiden so früh Die Briefe des 19jährigen Engels an seine Jugendfreunde, die Pastorensöhne F. und W. Gräber (Marx-Engels, »Gesamtausgabe«, I. Abt., Bd. 2) zeigen sehr anschaulich, in welch starken inneren Kämpfen aus dem pietistisch erzogenen Jüngling durch die Lektüre von Schleiermacher, Strauß, Hegel und – etwas später – Feuerbach ein Pantheist, Rationalist und dann sehr bald ein streitbarer Materialist wurde. In denselben »Deutsch-Französischen Jahrbüchern«, in denen Marx' oben zitierter Satz stand, schrieb auch der 24jährige Engels (1844): »Wir wollen das, was sich als übernatürlich und übermenschlich ankündigt, aus dem Wege schaffen, und dadurch die Unwahrhaftigkeit entfernen, denn die Prätension (Anmaßung) des Menschlichen und Natürlichen, übermenschlich, übernatürlich sein zu wollen, ist die Wurzel aller Unwahrheit und Lüge. Deswegen haben wir aber auch der Religion und den religiösen Vorstellungen ein für allemal den Krieg erklärt, und kümmern uns wenig darum, ob man uns Atheisten oder sonst irgendwie nennt.« (Marx-Engels, »Ueber historischen Materialismus«, Teil I, S. 37 f.) und mit solcher Vollständigkeit, daß ihnen der atheistische Grundcharakter ihrer ausgereiften Weltanschauung späterhin kaum noch besonderer Hervorhebung oder gar besonderer Begründung zu bedürfen schien. Dasselbe gilt für manchen Anhänger des Marxismus und nicht zum mindesten für den bedeutendsten Marxisten nach Marx, für Lenin. Es ist kein Zufall, daß wir aus der Feder unserer großen Meister, Marx, Engels, Lenin, keine breitere systematische Darstellung ihres proletarischen Freidenkertums, ihres Atheismus besitzen. Ueber Selbstverständlichkeiten pflegt man eben nicht viel zu sprechen. So konnten denn religiöse Sozialdemokraten, wie sie seit dem politischen Sündenfall der SPD dort so üppig in die Halme schießen, ihren Parteigenossen das Märchen erzählen: der Marxismus sei »freilich atheistisch, aber nicht areligiös« (Kranold in »Der lebendige Marxismus«, 1924, S. 509) und ähnliche Scherze mehr.

Aber wie ist es zu verstehen, daß in der politischen Arbeiterbewegung, so weit sie vom Marxismus beherrscht wird, dem Atheismus keineswegs der erste Platz in der Massenpropaganda eingeräumt wird? Einesteils erschien atheistische Propaganda hier fast überflüssig. Engels schrieb schon 1874: »Der Atheismus ist so ziemlich selbstverständlich bei den europäischen Arbeiterparteien »Der Atheismus bei ihnen hat sich schon überlebt; dies rein negative Wort hat auf sie keine Anwendung mehr, indem sie nicht mehr in einem theoretischen, sondern nur noch in einem praktischen Gegensatz zum Gottesglauben stehen: sie sind mit Gott einfach fertig, sie leben und denken in der wirklichen Welt und sind daher Materialisten«, – so schätzte Engels bereits 1874 die Mehrzahl der deutschen sozialdemokratischen Arbeiter ein (Engels, »Internationales aus dem Volksstaat«, 1871/75, S. 44). Leider erwies sich das als eine gewisse Ueberschätzung..« Und ähnlich spricht Lenin (1909) von »klassenbewußten Sozialdemokraten, die natürlich Atheisten sind«. Andererseits hatte man zu befürchten, daß eine die sozialen und politischen Umstände nicht berücksichtigende, einseitige Freidenkerpropaganda von Seiten einer sozialistischen Arbeiterpartei gerade die politische Erschließung der noch fernerstehenden proletarischen Massen verzögern und empfindlich schädigen könne. In den anarchistischen Kriegserklärungen an die Religion gibt es seit Bakunins Zeiten genug warnende Beispiele dafür.

Diese Haltung des Marxismus, die bei oberflächlicher Betrachtung Theorie und Praxis voneinander zu trennen scheint, in Wirklichkeit aber nur die Dinge in ihrem dialektischen Flusse wertet, hat in den Köpfen der Nachläufer einige Verwirrung angerichtet. Der Opportunismus machte in der Behandlung des religiösen Problems einen seiner ersten Vorstöße. Während das erste Programm der deutschen Sozialdemokratie (das Eisenacher Programm von 1869) noch klar und richtig formuliert hatte: »Trennung der Kirche vom Staat und Trennung der Schule von der Kirche«, tauchte schon im Gothaer Programm der Sozialistischen Arbeiterpartei (1875) jene überschlaue und der opportunistischen Auslegung Tür und Tor öffnende Formel auf: » Erklärung der Religion zur Privatsache«. Marx stellte in seinen Randglossen zu diesem Programm die Gegenforderung auf, daß die Arbeiterpartei vielmehr danach zu streben hat, »die Gewissen vom religiösen Spuk zu befreien«, und ingrimmig setzte er hinzu: »Man beliebt aber das ›bürgerliche‹ Niveau nicht zu überschreiten Siehe Marx-Engels, »Programmkritiken« (Elementarbücher des Kommunismus«, Bd. 12, 1930, S. 41). Dort auch S. 68 die Engelsche Kritik am Erfurter Programmentwurf..« Die SPD hielt jedoch auch im Erfurter Programm (1891) an dieser Fassung fest. Im Punkt 6 des Erfurter Programms hieß es dann weiter: »Die kirchlichen und religiösen Gemeinschaften sind als private Vereinigungen zu betrachten.« Engels hat in seiner Kritik des sozialdemokratischen Programmentwurfes – (der von ihm kritisierte Vorentwurf enthielt neben dem angezogenen Satze die ausdrückliche Erklärung der Religion zur Privatsache noch nicht wieder!) – folgende Korrektur vorgeschlagen: »Alle religiösen Gemeinschaften ohne Ausnahme werden vom Staate als Privatgenossenschaften behandelt. Sie verlieren jede Unterstützung aus öffentlichen Mitteln und jeden Einfluß auf die öffentlichen Schulen.« Durch diese Fassung wäre eine Auslegung unmöglich geworden, nach der es für jeden Parteigenossen »Privatsache« sei, wie er sich zur Religion verhalten will. Leider hat sich die Sozialdemokratische Partei um die Engelssche Kritik und Korrektur nicht gekümmert. Sie wurde ja auch der Parteiöffentlichkeit bis Oktober 1901 vom Parteivorstand vorenthalten. In der Praxis verböserte man sogar den Punkt 6 zu dem Satz: Religion ist Privatsache So hieß es im Görlitzer Programm der SPD (1921): »Religion ist Privatsache, Sache innerer Ueberzeugung, nicht Parteisache, nicht Staatssache.«! Und wenn das Heidelberger Programm (1925) diese Formel auch fallen ließ, so wurde dabei doch ausdrücklich verkündet, daß sich in der Stellung der Partei zur Religion nichts geändert habe. Was fragt also die Sozialdemokratische Partei danach, ob ihr Parteigenosse Schulze zur Beichte geht, ob ihr Parteigenosse Michel sich zum Kirchenvorsteher wählen läßt oder sich mit seinesgleichen zu einem Bund »religiöser Sozialisten« zusammenschließt! Seit 1914, seit der katastrophalen Rechtsschwenkung der Sozialdemokratie, seit ihrem Bruch mit dem Marxismus, ist auch der Atheismus dort nicht mehr im Parteigewissen verankert. Die Bekämpfung jeder staatskirchlichen Praxis ist eingestellt worden, die Schule hat man dem Zentrum ausgeliefert, hat für den Zentrums-Marx als Reichspräsidenten agitiert; man gewährt Staatsgelder für kirchliche Zwecke, schützt die kirchlichen Institutionen durch den »Kirchenlästerungsparagraphen« des neuen Strafgesetzentwurfs und billigt Konkordate mit der katholischen Kirche. Und in den sozialdemokratischen Presseorganen und Revuen (z. B. Sozialistische Monatshefte!) erscheinen Artikel, »daß sich die Arbeiter ihre religiösen Gefühle nicht verderben lassen sollten«, daß »der Sozialismus mit den letzten ewigen Kräften der Frömmigkeit durchströmt werden müsse«. Mit Freude konstatiert man, daß eine »neue Religiosität in der Arbeiterklasse im Entstehen« sei. »Ungemein zahlreiche unserer Parteimitglieder beteiligen sich aktiv am religiösen Gemeinschaftsleben und wollen weder auf die äußeren Formen noch auf ihr innerliches Verhältnis zur Kirche und Religion verzichten« usw. usw. Vgl. »Unter dem Banner des Marxismus«, Jahrgang I, Nr. 1, S. 64 ff.. Sollmann aber belehrt den sozialdemokratischen Parteitag in Magdeburg (1929): »Der Atheismus ist genau so unwissenschaftlich wie der Gottesbeweis« (Protokoll, S. 76). Alles das bedeutet, daß in der Sozialdemokratischen Partei auch in der Stellung zu Kirche und Religion ein ungeheuerlicher Umschwung eingetreten ist, ein Rückfall in rückständigste christlich-soziale Ideologie.

Kein Wunder, daß sich demgegenüber in dem fortgeschritteneren Teil des deutschen Proletariats, vor allem in der kommunistischen Arbeiterschaft, wieder ein energischer Wille zu streitbarer proletarischer Freidenkerarbeit geltend macht Uebrigens schrieb auch Marx in einem Brief an Engels (vom 25. September 1869): »Bei dieser Tour durch Belgien, Aufenthalt in Aachen und Fahrt den Rhein herauf habe ich mich überzeugt, daß energisch, speziell in den katholischen Gegenden, gegen die Pfaffen losgegangen werden muß. Ich werde in diesem Sinne durch die Internationale wirken« (Marx-Engels Briefwechsel, Dietzausgabe, Bd. IV, S. 194). Wir empfehlen diesen Satz dem »Roten Blatt der katholischen Sozialisten«, an dem Severing, Braun und Hermann Müller treue Mitarbeiter sind.. Angesichts der unleugbaren Schwierigkeiten bei dieser Propaganda ist es sicherlich von größtem Interesse, sich zu vergegenwärtigen, wie Lenin, den Freund und Feind als einen der größten und erfolgreichsten Marxisten anerkennen müssen, über die Stellung zur Religion gedacht hat.

In dem vorliegenden Sammelbändchen sind die wichtigsten, die religiöse Frage berührenden Artikel und Briefe von Lenin aus den Jahren 1902 bis 1922 zusammengetragen worden. Es sei übrigens noch bemerkt, daß sich Lenin in einer umfangreichen, 1908 geschriebenen Kampfschrift »Materialismus und Empiriokritizismus Verlag für Literatur und Politik, Wien-Berlin (1927). Wir verweisen auch noch auf die kurz gedrängte Darstellung des philosophischen Marxismus durch Lenin. (Lenin, »Karl Marx«, Kleine Lenin-Bibliothek, Bd. 1, 1931, S. 10 ff., 57 f.)« mit dieser Spielart der idealistischen, die religiöse Denkungsart unterstützenden Philosophie auseinandergesetzt und dabei eine grundlegende Behandlung des dialektischen Materialismus gegeben hat.

Die beiden ersten hier abgedruckten Artikel Lenins (von 1905 und 1909) sind die eingehendste Darstellung des Verhältnisses der modernen Arbeiterbewegung zur Religion, die wir von führenden Marxisten besitzen. Der zweite Artikel wurde geschrieben anläßlich einer Rede des Parteigenossen Surkow in der russischen Duma. Man sieht, wie eifrig Lenin das Auftreten der Duma-Fraktion verfolgte, und wie er sie zur richtigen Stellungnahme zu erziehen wußte. Auch der dritte Artikel beschäftigt sich noch mit der Religionsdebatte in der zaristischen Duma (1909). Vor allem wird hier die schwächliche und reaktionäre Haltung der linken Bourgeoisie gegenüber der konservativ-klerikalen Geistlichkeit gebrandmarkt. An vierter Stelle haben wir zurückgegriffen auf einen Artikel Lenins aus dem Jahre 1902, der anläßlich einer Auseinandersetzung zwischen Religiös-Orthodoxen und einem »liberaler« gestimmten Adligen ein wertvolles Eingeständnis der Kirchentreuen: »Wofür Religion gut ist« niedriger hängt. Die Notwendigkeit eines unermüdlichen Kampfes für den Atheismus innerhalb der Partei und darüber hinaus unterstreicht Lenin in dem Artikel, den er zur Einführung des wissenschaftlichen bolschewistischen Kampforgans: »Unter dem Banner des Marxismus« (1922) Deutsche Ausgabe »Unter dem Banner des Marxismus« Nr. 1, S. 1 ff. (Verlag für Literatur und Politik, Wien-Berlin 1925). geschrieben hat, und der in unserer Folge an fünfter Stelle abgedruckt ist. Bemerkenswert ist hier die Forderung einer geistigen Einheitsfront aller konsequenten Atheisten und Materialisten. Der Aufsatz über Tolstoi Vgl. Lenin-Plechanow, »L. N. Tolstoi im Spiegel des Marxismus«. Eine Sammlung von Aufsätzen (»Marxistische Bibliothek«, Bd. 18, 1928). (1908) muß den mit Büchern über Tolstoi gefütterten westeuropäischen Intellektuellen wie eine Offenbarung erscheinen. Hier wird in wenigen Sätzen gesagt, was die anderen in dicken Wälzern nicht sagen. Lenin erklärt geschichtsmaterialistisch die Wurzeln der religiösen Grundidee des Tolstoianertums und legt gleichzeitig die revolutionäre Bedeutung des Bauerntums dar. Nebenbei sei bemerkt, daß dieser Artikel eine glänzende Widerlegung jener in antibolschewistischen Kreisen kolportierten Behauptung ist, daß die Bolschewisten der Person und dem Schrifttum Tolstois völlig verständnislos gegenüberständen.

Ein wertvolles Stück des Sammelbändchens bilden zwei Briefe Lenins an Gorki aus dem Jahre 1913 Eine Ausgabe der Briefe Lenins an Gorki ist 1924 im Verlag für Literatur und Politik erschienen.. Die Briefe richteten sich gegen das Wiederaufleben eines Gefühlssozialismus mit religiöser Verbrämung, wie er damals in der Zeit nach der Niederlage der Revolution von 1905 in dem Kreise der sogenannten »Gott-Sucher« um Lunatscharski und Gorki gepredigt wurde. Daß sich diese Richtung gerade unter den näheren Freunden und Gesinnungsgenossen Lenins entwickelt hatte, machte Lenins Polemik dagegen um so erbitterter. Wie vor den ultralinken Otsowisten Eine Fraktion innerhalb der bolschewistischen Partei, die sich gegen die Ausnutzung gewisser legaler Propagandamöglichkeiten (Beteiligung an der Reichsduma) gewandt hatte. mußte Lenin die Bolschewisten nun auch vor solchen rechtsideologischen Abweichungstendenzen behüten. An den Schluß haben wir noch jene Ausführungen gesetzt, die Lenin 1920 in seiner großen Rede vor der kommunistischen Jugend über den Gegensatz der kommunistischen und religiösen Moral gemacht hat.

Man muß bei der Lektüre der verschiedenen Artikel noch beachten, daß vor 1914 der Ausdruck Sozialdemokrat keineswegs opportunistischen Nebenklang hatte. Wenngleich Lenin schon seit 1903 gegen menschewistische Sozialdemokraten in Rußland focht, sah er bis 1914 in der deutschen Sozialdemokratie die Bruderpartei, die bei all ihren Schwächen doch eine marxistische Partei und eine maßgebende Partei in der Internationale war.

Aus den Darlegungen Lenins lassen sich vor allem folgende vier Grundsätze herausheben:

  1. Der Atheismus ist im Marxismus inbegriffen. Daher muß eine klassenbewußte marxistische Arbeiterpartei auch eine entschiedene atheistische Propaganda führen.
  2. Dem bürgerlichen Staat gegenüber ist völlige Trennung von Staat und Kirche, Kirche und Schule zu fordern.
  3. Die Gewinnung des Proletariats muß sich in erster Linie unter Anknüpfung an seine ökonomischen und politischen Gegenwartsinteressen vollziehen.
  4. Die endgültige Loslösung der Masse von der Religion kann erst nach der proletarischen Revolution, auf dem Boden einer kommunistischen Gesellschaftsordnung erfolgen.

Im übrigen ist Lenins Stellung zur Religion wohl am prägnantesten in der Fassung des Programms der Kommunistischen Partei Rußlands vom März 1919 zu ersehen. Dort lesen wir unter den Forderungen »Auf allgemein-politischem Gebiet«, Ziffer 13:

 

»In bezug auf die Religion begnügt sich die KPR nicht mit der bereits dekretierten Trennung der Kirche vom Staat und der Schule von der Kirche, d. h. mit Maßnahmen, die von der bürgerlichen Demokratie in ihren Programmen aufgestellt, aber infolge der mannigfaltigen Bande, die in Wirklichkeit das Kapital mit der religiösen Propaganda verknüpfen, nirgends in der Welt von ihr zu Ende geführt worden sind.

Die KPR läßt sich von der Ueberzeugung leiten, daß nur die Verwirklichung planmäßiger und zielbewußter Ordnung auf dem Gebiete der gesamten allgemein-wirtschaftlichen Tätigkeit der Massen das völlige Absterben der religiösen Vorurteile nach sich ziehen wird. Die Partei ist bestrebt, das Band zwischen den Ausbeuterklassen und den Organisationen religiöser Propaganda vollständig zu zerstören, indem sie durch eine umfassend organisierte wissenschaftlich-aufklärende und anti-religiöse Propaganda zur talsächlichen Befreiung der werktätigen Massen von religiösen Vorurteilen beiträgt. Dabei ist jede Verletzung der Gefühle der Gläubigen sorgfältig zu vermeiden, da das nur zur Festigung des religiösen Fanatismus führt Aber das Zentralorgan der SPD begrüßte am 14. Februar und 7. März 1930 frohlockend den Kreuzzug des Papstes gegen die Sowjetunion, oder – wie der »Vorwärts« sagt – »gegen die Auferstehung des Mittelalters«, »gegen das bolschewistische System einer neuen Inquisition«. Das Zentrumsorgan, die »Germania« (vom 14. März 1930), konnte denn auch freundnachbarlich seinen Dank abstatten: »Der ›Vorwärts‹-Artikel hat seinen Wert … Was da gesagt wird, kann wörtlich von uns unterstrichen werden.«

 

In entsprechender Weise heißt es im Programm der Kommunistischen Internationale (angenommen vom VI. Weltkongreß der KI 1928):

 

»Eine besondere Stellung hat unter den Aufgaben der die breiten Massen erfassenden Kulturrevolution der Kampf gegen das »Opium des Volkes«, die Religion. Dieser Kampf muß hartnäckig und systematisch geführt werden. Die proletarische Macht muß jede staatliche Unterstützung der Kirche, die eine Agentur der einst herrschenden Klassen ist, aufheben, jede Einmengung der Kirche in das staatlich organisierte Erziehungs- und Bildungswesen unterbinden und die konterrevolutionäre Tätigkeit kirchlicher Organisationen schonungslos unterdrücken. Die proletarische Macht läßt die Freiheit des Bekenntnisses zu, führt aber gleichzeitig mit allen ihr zugänglichen Mitteln eine antireligiöse Propaganda, vernichtet die Vorzugsstellung der früheren Staatsreligion und gestaltet das ganze Erziehungs- und Bildungswesen auf der Grundlage der wissenschaftlich-materialistischen Weltanschauung um Programm der Kommunistischen Internationale (Verlag Carl Hoym, 1929, S. 56). Im Abschnitt: Die allgemeinen Bewegungsgesetze des Kapitalismus und die »Epoche des Industriekapitals« kennzeichnet das Programm »die Unfähigkeit der Bourgeoisie, trotz der gewaltigen Fortschritte der Naturwissenschaften zur Synthese einer wissenschaftlichen Weltanschauung zu gelangen; das Wachsen des idealistischen, mystischen und religiösen Aberglaubens …« (S. 10.) Und in dem Einführungsabschnitt des Programms heißt es ausdrücklich: »Die Kommunistische Internationale verficht und propagiert den dialektischen Materialismus von Marx und Engels und wendet ihn als revolutionäre Methode der Erkenntnis der Wirklichkeit, zu ihrer revolutionären Umgestaltung an; sie kämpft aktiv gegen alle Spielarten der bürgerlichen Weltanschauung …« (S. 6 f.)

 

Sagten wir einleitend: Marxismus ohne Atheismus ist nicht denkbar, so wollen wir zum Schlusse noch betonen: Atheismus ohne Marxismus ist geistige Halbheit und traurige Inkonsequenz. Der Zerfall der bürgerlichen monistischen Bewegung ist dafür ein lehrreiches Beispiel. Wo sich der naturwissenschaftliche Materialismus nicht zum historischen Materialismus durchringt – d. h. eben zum Marxismus – endet er in Idealismus und Pfaffentum.

Hermann Duncker.


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