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Zwölftes Kapitel.

Mein Weib!« flüsterte Andrea. Er nannte sie jetzt so, und sie ließ es gerne geschehen, es klang ihr so traut. Aber im stillen sagte sie sich, daß sie jetzt weniger Aussicht denn je habe, es zu werden. Sie war zu ihm gekommen; hätte sie es nicht gethan, so würde sie ihn vielleicht niemals wiedergesehen haben, und sie freute sich, daß sie es gethan. Aber um keinen Preis wollte sie einen äußeren Vorteil dadurch erringen. Sich mit ihm verheiraten, ihn unauflöslich fürs ganze Leben an sich ketten, die Opfer annehmen, die dies für ihn mit sich führen würde, das konnte sie nur dann thun, wenn er sie einmal aufsuchte, wenn er zu ihr kam und sagte: »Ich habe mit allem gebrochen, um dich zu besitzen.«

Aber solange er nur sagte: »Ich bin bereit, alles für dich zu opfern, meine ganze Stellung, meine ganze Zukunft, falls du meine Gattin werden willst,« so lange wiederholte sie wieder und wieder ihr Nein.

Aber sie begann inzwischen sich wohl zu fühlen in ihrem neuen Heim. Die Marquise brachte ihr so viel Freundlichkeit und Vertrauen entgegen, daß sie oft der Gedanke bedrückte, diese alte Dame in Bezug auf ihr Verhältnis zu Andrea hinters Licht führen zu müssen. Er beschloß indessen bald, die Tante halbwegs in ihr Geheimnis einzuweihen, um häufiger Gelegenheit zu einem ungestörten Zusammensein mit der Geliebten zu haben. Er sagte ihr, daß sie verlobt seien und daran dächten, sich zu verheiraten, sobald er eine Stellung errungen habe, die ihn dazu in stand setze. Die Marquise schenkte ihnen ihre ganze Sympathie. Sie besaß keine aristokratischen Vorurteile, war selber die Tochter eines Selfmademan und meinte, für Andrea, den sie herzlich liebte, würde es ein Glück sein, wenn ihn die Verhältnisse in einen bestimmten Wirkungskreis zwängen. Sie gewährte den Liebenden all die Freiheit, die sie gehabt haben würden, falls sie ein amerikanisches Brautpaar gewesen wären, gestattete Andrea, täglich mehrere Stunden auf Alies Zimmer zuzubringen, und wußte darum, wenn sie sich verabredetermaßen vor der Stadt zu einem Spaziergang trafen. Da die obere Etage nichts von alledem ahnen durfte, führte sie es als Regel ein, daß Alie allein ausging, so oft sie wollte, nur mußte sie stets vor Sonnenuntergang zurück sein.

»Großer Gott, das Mädchen ist ja daran gewöhnt, sich zu bewegen,« erwiderte sie auf die Einwendungen der Prinzessin, »ich kann nicht von ihr verlangen, daß sie Schritt für Schritt mit Mrs. Howard geht; ihre Gesundheit fordert, daß sie sich Bewegung macht.«

Inzwischen gab sich das junge Paar den kleinen Freuden aller Verliebten hin.

Es war ein ewig neues Glück, zu wissen, daß sie einander ganz angehörten, und so ganz allmählich mehr und mehr Besitz voneinander zu ergreifen. Er hatte in seiner Verliebtheit so viele dieser kleinen Kindischheiten, welche stark erotischen Naturen eigen sind, und die die Leidenschaft durch Scherz und Munterkeit dämpfen. Er vergötterte jeden Zoll ihrer Person, den Duft ihrer Haut, ihren Atem, jede Bewegung, jeden Tonfall in ihrer Stimme, ihr Haar, ja selbst ihre kleinen Fehler, wie zum Beispiel eine Goldplombe in einem ihrer Zähne, ein kleines Muttermal auf der Wange, ihre Angewohnheit, zusammengesunken zu sitzen, ein leises Wiegen ihrer Hüften, wenn sie ging, alles beobachtete er und in alles war er verliebt. Er kannte den Duft, der ihr eigen war, an jedem Kleidungsstück, das sie benutzt hatte, er stahl ihr ihre Taschentücher, Handschuhe und andre Kleinigkeiten. Ein seidenes Tuch, das sie häufig im Laufe des Sommers getragen hatte, nahm er mit sich auf sein Zimmer und hüllte sich während der Nacht da hinein. Es war seine Wonne, ihr Haar aufzulösen, es zu kämmen, es um seine Finger zu wickeln und auf die verschiedenste Art wieder aufzustecken.

Kam dann unerwartet jemand und klopfte an die Thür, so befaß sie eine große Fertigkeit, es blitzschnell wieder aufzudrehen, so daß es hübscher saß denn je zuvor, mit kleinen, widerspenstigen Locken hier und da hinter den Ohren und an den Schläfen.

Saßen sie zusammen im Sofa, die Arme umeinandergeschlungen, und begann Alie dann zu sprechen, zu erzählen oder nach diesem oder jenem zu fragen, so bat er sie oft, zu schweigen; es störte ihn, zu sprechen, er wollte nur stillsitzen und genießen und sie dicht neben sich fühlen, dem Schlag ihres Herzens lauschen, ihren Atemzug einsaugen. Das war ihm eine ausreichende Beschäftigung für mehrere Stunden.

Aber Alie empfand bei alledem etwas andres als nur die rein persönliche Liebe zu ihm. Es lag auch etwas von jenem allgemeinen Kultus der Frau darin, von alledem, was speziell weiblich ist, von all dem sexuell Anziehenden bei dem andern Geschlecht. Es war eine sinnliche Wollust darin, daß sie erschreckte und ermattete, sie konnte es nicht ertragen, in dieser ewigen Aufregung zu leben, und versuchte daher, sich loszureißen, sich zu erheben, etwas anzufangen, sich zu zerstreuen, eine gemeinsame Beschäftigung auszudenken. Wenn sie aber den Vorschlag machte, auszugehen oder irgend etwas zu lesen, überhäufte er sie mit Vorwürfen, daß sie ihr Glück zerstören wolle.

»Lesen, ausgehen, das kannst du mit jedem Beliebigen thun; leben kannst du nur mit mir. Und wenn man liebt, lebt man nur, indem man einander so fest umschlossen hält, daß man gleichsam mit denselben Lungen atmet, daß die Herzen beider mit demselben Pulsschlag schlagen. Das ist in meinen Augen die Liebe!«

Sie gab ihm nach und saß still, aber sie war nicht im stande, sich auf diese Weise dem Augenblick hinzugeben; sie konnte ihr Gehirn nicht hindern, zu arbeiten, und sie grübelte unablässig über ein Mittel nach, ihn auf eine mehr persönliche Weise fest an sich zu knüpfen, seine Interessen anzuregen, ihn zur Entwicklung seiner reichen Anlagen, zur Verwertung derselben fürs Leben anzuspornen. In demselben Maße, wie sie sich mehr und mehr dieser Liebe hingab, fühlte sie das Bedürfnis, sie zum Mittel und nicht allein zum Ziel zu machen, zu einem Mittel, das sie beide einer reicheren menschlichen Entwicklung entgegenführte. Sie fühlte, daß die Liebe nur auf diese Weise von Dauer sein könne; solange seine Liebe nur ein wollüstiges Genießen war, besaß sie nicht die Lebenskraft, welche die Menschen über die Periode der Leidenschaft mit ihrem Reizen und Locken hinweg in den sicheren Hafen der Lebensgemeinschaft führt. Ihr unablässiges Streben ging deswegen darauf hinaus, in seine Gedanken einzudringen, jede Stimmung, die ihn durchzuckte, zu ahnen und im Fluge zu ergreifen, alles, was Lebenskraft in sich trug, zu ermuntern, selbst mit dem zu sympathisieren, was ihr eigentlich nicht sympathisch war. Auf diese Weise wollte sie den verliebten Namen, den er ihr gegeben: anima dell' anima mia – Seele meiner Seele, zur Wirklichkeit machen.

»Woran denkst du?« fragte sie ihn oft, wenn sie schweigend in zärtlicher Umarmung nebeneinander saßen.

»Ich denke an nichts,« pflegte er dann zu antworten. »Ich fühle dich, das genügt mir. Und woran denkst du?«

»Ich denke dafür um so mehr,« erwiderte sie.

»Ich denke daran, daß du ein wirklich großer Dichter werden sollst, in Gedanken arbeite ich an deinem großen historischen Epos. Es ist lange her, seit du zuletzt daran geschrieben hast.«

»Ich brauche jetzt nicht mehr zu dichten. Ich lebe. Und wenn ich nicht bei dir bin, phantasiere ich nur von dir, von uns beiden, das ist weit besser, als Verse zu machen. Das mag gut genug sein, solange man kein persönliches Glück hat –«

»Der Ansicht bin ich nicht. Ich finde, daß das Glück, die Liebe, die ganze Lebensthätigkeit anregen, alle Fähigkeiten entwickeln muß, ich wenigstens empfinde jetzt einen weit größeren Schaffensdrang als früher.«

»Welche Wirksamkeit wünschest du dir denn?«

»Ich weiß nicht recht, vor allen Dingen möchte ich dich gern in Tritt bringen, dich etwas leisten sehen!«

»Und weißt du, was ich mir wünsche? Ich möchte sehr reich sein, ich möchte zum Beispiel gern das große Los gewinnen, sechs Millionen, dann würde ich eine Menge schöner Dinge ausführen, die weit mehr wert sind als ein ganzer Band Gedichte.«

»Und was zum Beispiel wäre das?«

»Zuerst würde ich eine wissenschaftliche Expedition ausrüsten, die auf Entdeckungsreisen in fremde Länder gehen sollte, um ein in Bezug auf die Naturverhältnisse wirklich begünstigtes, bisher noch unbewohntes Land –«

»Und dort wolltest du einen Idealstaat gründen?«

»Nein, nein, glaubst du, daß ich mich auf solche Utopien einlassen wollte? Ich weiß nur zu gut, daß die Menschen, sobald sich ihrer nur drei an einem Ort finden, stets Zank und Streit erheben und dumme Gesetze stiften müssen. Nur zu zweien kann man glücklich leben. Und deswegen wollte ich das ganze Land kaufen, nur um dort mit dir allein zu leben. Denk nur, dort den ganzen Tag am Strande, in der Sonne, ohne Kleider zu liegen, wenn wir essen wollen, brauchen wir nur die Hand nach Früchten auszustrecken, keine Sorgen, niemand, der uns stört, nur für unsre Liebe zu leben!«

»Und wie schnell würden wir einander wohl überdrüssig werden?« fragte sie lachend.

»Schneller oder langsam, das hat nichts zu sagen. Die Liebe kennt keine Zeitrechnung. Hauptsächlich kommt es darauf an, daß sie ganz ist, alles verschlingend, solange sie währt. Gefällt dir das nicht?«

»Nein, ich bin ein besserer Haushalter als du; falls du der liebe Gott wärest, würdest du alles vorhandene Feuer für Blitze und Eruptionen verschwenden, ich dagegen würde sparsamer sein, ich würde es das ganze Jahr hindurch mit einer gleichmäßigen, wärmenden Flamme brennen lassen.«

»So hast du früher nicht gedacht. Einstmals gefiel dir meine Idee von dem Liebesspiel der Schmetterlinge.«

»Ja, ehe ich dich liebte! Es ist sehr leicht, verschwenderisch mit dem umzugehen, dessen Wert man nicht kennt. Jetzt dagegen zittere ich vor dem Gedanken, daß es eines Tages aus sein kann, jetzt denke ich nur daran, für die Zukunft zu sparen.«

»Es wird jedenfalls eines Tages ein Ende haben.«

Sie empfand einen Stich durch das Herz, als er das sagte. Sie konnte sich die Möglichkeit nicht mehr denken.

»Und wenn du sparen willst, so kommt das Ende nur um so früher; ich hasse alles Halbe, nur das, was mich ganz erfüllt, hat Bedeutung für mich. Und nur solange du mir alles bist, mein ganzes Leben, mein einziges, absolut mein einziges Interesse, und solange du nur für mich lebst und atmest, nur so lange werde ich dich lieben können. Versuche nicht, mich zu etwas anderm zu überreden, wenn ich zum Beispiel wieder anfange zu dichten, so liebe ich dich nicht mehr, dann gehe ich ganz darin auf. Laß mich nur dir leben, so lange ich kann!«

Diese Gewaltsamkeit seiner Leidenschaft machte sie zittern. Sie wußte ja, daß es so nicht immer bleiben konnte, und daß, falls es ihr nicht gelang, ihre Liebe mit festeren Mauern zu umschließen, das ganze Gebäude eines schönen Tages zusammenstürzen würde.

»Deswegen kann auch unsre Liebe nur im geheimen leben,« fuhr er fort. »Deswegen hast du vielleicht weit klüger gehandelt als du ahnst, wenn du nicht wolltest, daß wir uns verheirateten. Ich kann nur eine Geliebte lieben, nicht aber eine Gattin. Weiß ich erst, daß es ein Verhältnis ist, welches das ganze Leben lang währen soll und muß, ja dann kühlt die Glut gar bald ab. Jetzt ist ja doch die Möglichkeit vorhanden, daß meine Liebe von Dauer ist, und das ist um so besser. Wir haben doch wenigstens nicht gleich von Anfang unser Glück zerstört, indem wir dachten: Wir haben das ganze Leben vor uns, wir können uns Zeit lassen. Es ist genau so, als wenn man in eine Stadt mit vielen Kunstsammlungen kommt; weiß man, daß man vielleicht in wenigen Wochen weiter muß, so macht man sich mit einem solchen Eifer darüber her, daß man förmlich in Kunst schwelgt, man feiert wahre Orgien in Kunstgenüssen, lernt alle Bilder auswendig, liebt sie, dringt derartig in die Seele des Künstlers ein, daß man die Erinnerung daran fürs ganze Leben bewahrt; weiß man dagegen, daß man für immer an dem Ort leben wird, ja, dann kann es vorkommen, daß man am Lebensende genau so unberührt von der Kunst ist wie zu der Zeit, als man zuerst in die Stadt kam. Habe ich recht?«

Sie billigte seine Ansichten unbedingt. Sie war fest überzeugt, daß sie ihn, indem sie ihm seine Freiheit ließ, enger an sich fesselte als durch Zwang.

Und doch gab es Augenblicke, in denen es sie schmerzte, so außerhalb der alltäglichen Verhältnisse seines Lebens zu stehen; es verletzte sie, daß er sie seinen nächsten Angehörigen gegenüber verleugnen mußte, daß er, wenn sie im Familienkreise zusammen waren, thun mußte, als sei sie eine ihm völlig gleichgültige Persönlichkeit, während er seiner Schwägerin eine ehrfurchtsvolle, warme Huldigung darbrachte. Und es ward ihr nicht leicht, sich in die untergeordnete Stellung zu finden, die sie hier einnahm. Daheim war sie daran gewöhnt, der Mittelpunkt zu sein, um den sich alle in ihrem Umgangskreise scharten. Damals glaubte sie, daß sie nicht den geringsten Wert darauf lege. Jetzt aber fühlte sie sich doch oft scheu und beklommen bei dem Gedanken, wie klein sie in diesen Umgebungen war.

Und besonders der Prinzessin gegenüber! Sie sah zu ihr auf, wie oft ein junges Mädchen zu einer etwas älteren, ihr überlegenen, verheirateten Frau aufschaut, die sie zu ihrem Ideal macht, der sie nachzustreben sucht. Alie wählte kein Band, keine Spitze mehr, steckte ihr Haar nicht mehr auf, ohne daran zu denken, wie die Prinzessin dies oder jenes trug, sie hielt sich besser, gewöhnte sich, auf italienische Art und Weise zu grüßen, in ein Zimmer zu treten, indem sie sie zum Muster nahm. Es war das erste Mal in ihrem Leben, daß sie sich bemüht hatte, jemand nachzuahmen.

Ein großer Wunsch erfüllte sie, wurde fast zur fixen Idee bei ihr: sie wollte, daß die Prinzessin wissen sollte, daß sie, falls sie es wünschte, ihre Schwägerin werden könne.

Trotz ihres ernstlichen Bestrebens, Andrea gegenüber mit ihrer Stellung stets zufrieden zu erscheinen, trotz ihrer wiederholten Versicherung, daß sie ihre jetzige Stellung der seiner Gattin bei weitem vorziehe, gab es doch schwache Stunden für sie, besonders wenn sie den Abend bei der Prinzessin verbracht hatte, und die Demütigungen hatte erdulden müssen, die stets für sie hiermit verbunden waren. Dann konnte sie oft in Thränen ausbrechen, ohne daß es ihm gelang, den Grund ihres Kummers von ihr zu erfahren.

»Ich habe es dir ja unzähligemal gesagt, daß du diese Stellung auf die Dauer nicht wirst ertragen können,« pflegte er dann zu sagen. »Laß uns doch lieber die gewöhnliche, banale Landstraße wählen und Hochzeit halten!«

Nein, das war nicht der Grund! Und schließlich kam sie dann zögernd damit heraus, und beichtete ihm, was ihr das Herz bedrückte. Wenn er nur mit der Prinzessin über sie sprechen, ihr sagen wollte, daß er sie liebe, daß er sie gebeten habe, seine Gattin zu werden, daß sie sich aber geweigert habe. Er sprang auf.

»Wozu sollte das führen, das würde ja das Unvernünftigste sein, was er thun könne! Entweder muß unser Verhältnis ein heimliches sein, oder auch müssen wir uns verheiraten, sonst wird deine Stellung hier im Hause unhaltbar. Es war ja notwendig, die Tante einzuweihen; aber selbst sie, wenn sie ahnte, daß es nicht unsre ernste Absicht ist, uns zu verheiraten, wenn sie alles wüßte, glaubst du, daß selbst sie, die dich doch so lieb hat, dann noch auf unsrer Seite sein würde? Und jetzt willst du es von den Dächern schreien –«

»Nur der Prinzessin –«

»Ihr am wenigsten von allen!« erwiderte er heftig.

»Nur sagen, daß du mich liebst –«

»Nein, niemals sage ich ihr das, niemals! Was denkst du nur? Zu ihr, gerade zu ihr sollte ich hingehen und sagen, ach, du ahnst ja nichts von allem, du weißt ja nicht, was den tiefsten Kontrast in meinem Leben bildet, wenn das nicht wäre, würde ich nicht so unschlüssig sein, wie du mich gefunden hast.«

»Andrea, du liebst die Prinzessin!«

»Verdirb nur nicht die ganze Sache durch solche Ausdrücke. Ich liebe dich, das weißt du, dich und keine andre, aber das Gefühlsleben kann oft so wunderbar zusammengesetzt sein, kurz, komme mir nie wieder mit so etwas!«

»Andrea, willst du mir nicht dein Vertrauen schenken?«

»Aber ich glaube wirklich, daß du von Sinnen bist, ich habe dir nichts anzuvertrauen. Was bildest du dir nur ein? Kann ich den Duft einer Blume nehmen und ihn dir in die Hand legen, oder kann ich dir den Klang einer Stimme mitbringen, die ich gehört? – Ebensowenig kann ich dir von etwas erzählen, dessen Klang und Duft sich nicht fassen läßt, sich nur in der Luft verflüchtigt. Verstehst du mich? – Ich liebe dich, dich und nur dich allein!«

*

Des Sonntags war Alie frei, denn die Marquise verbrachte diesen Tag bei einer ebenfalls in Genua verheirateten Schwester. Andrea und sie trafen sich dann an einer Pferdebahnstation und machten Ausflüge miteinander in der Umgegend.

Zuweilen besuchten sie eine der Villen, die alle offen standen, und lustwandelten stundenlang in den Orangen-, Zitronen- und Lorbeerhainen. Oder sie streiften auf den Landstraßen umher zwischen den von Mauern begrenzten Wein- und Olivenplantagen; sahen sie einen Gärtner mit dem Abnehmen der Früchte beschäftigt, so ließen sie sich wohl eine saftige Fico d'India geben, um ihren Durst damit zu löschen. Zuweilen kamen sie an Kastanienwälder, und dann war es Alies größtes Entzücken, von dem breiten Wege abzulenken und die kleinen, wilden Waldpfade aufzusuchen, welche die Erinnerungen an die Waldwanderungen daheim zwischen Birken und Tannen in ihr wachriefen. Sie sammelten Kastanien, die in Unmengen am Boden lagen, und fanden auch zuweilen die herabgefallene Frucht einer Pinie. Dann trugen sie Zweige und dürres Laub zusammen und zündeten ein großes Feuer an, in dem sie die Kastanien und die kleinen mandelartigen Bohnen der Pinienfrucht rösteten. Unter Scherz und Lachen wurden diese wohlschmeckenden Gerichte verzehrt, worauf sie sich nach der ersten besten ländlichen Osteria begaben, um mit einem Glase Wein die trockene Mahlzeit hinabzuspülen. Kam dann ein Waldhüter und machte Aufhebens davon, daß sie ein Feuer im Walde angezündet hatten, so wurde er aufgefordert, an ihrem Frühstück teilzunehmen und sie nach der Osteria zu begleiten, nachdem er ihnen beim Löschen des Feuers behilflich gewesen war.

Alie liebte nichts so sehr wie diese Streifzüge in der freien Natur. Sie knüpften sie auf diese Weise an ihr früheres Leben und hatten dabei den neuen Reiz, daß sie an der Seite des Mannes, den sie liebte, eine neue, reichere Natur durchschritt. Dazu kam das eigentümlich bezaubernde Gefühl, mitten im Winter die Natur auf diese Weise genießen zu können.

Auf den einsamen Pfaden zwischen den Mauern hielten sie sich fest umschlungen, und ihre Lippen fanden sich häufig. Wenn sie dann wieder auf die breite Landstraße hinauskamen, ging jedes für sich, und oft versanken sie in tiefe Träumereien, während sie langsam in der Glut der Mittagssonne dahinwanderten.

Einer von Alies Lieblingsträumen während dieser Wanderungen war es, sich zu denken, wie sie eines Sommers heimreisen würden, nach Schweden, natürlich als Ehepaar, denn wenn sie träumte, daß sie in Schweden waren, so dachte sie sich stets als seine Gattin. Und wieder und wieder durchlebte sie in der Phantasie die Freuden des Wiedersehens, die Wonne, Andrea ihr Land zeigen zu können, die Natur, in der sie aufgewachsen war, und die sie noch immer mit schwärmerischer Zärtlichkeit liebte. Richard und die Mutter pflegten während des Sommers ein Landhaus draußen zwischen den Scheren zu bewohnen, in derselben Gegend, in der auch sie als Kind gelebt hatte. Sie konnte es sich so lebhaft ausmalen, welchen Eindruck diese Natur auf Andrea machen würde, wie eigentümlich er alles finden würde! Sie sah sich an seiner Seite auf dem Schiff stehen, das durch enge Sunde, an Inseln und Landzungen vorüber auf Dalaröen zudampft, und dann ein kleines Ruderboot besteigen, in dem sie an dem Ufer landeten, das sich mit seinen säuselnden Birken weit ins Meer hinausschob. Sie ziehen den Hügel hinan, ein kleines, barfüßiges, weißhaariges Mädchen öffnet die Pforte und macht einen niedlichen, echt schwedischen Knicks für die kleine Münze, die sie erhält; dort oben liegt das rote Haus mit der großen Glasveranda, – wie verschieden von Serras Marmorvilla in Nervi! Da kommt der Kleine den Hügel herab, so daß er nahe daran ist, auf die Nase zu fallen, Aagot in ihrer kleidsamen norwegischen Bauerntracht mit den weißen Hemdärmeln, das Kleid mit roter Verbrämung, die Flechte in den Nacken hinabhängend, kommt ihnen entgegen, freundlich, liebenswürdig wie immer. Richard in seinem weißen, leinenen Anzüge und Strohhut, und auf der Veranda die alte Frau mit feuchten Augen und ausgebreiteten Armen, halb lachend, halb weinend.

Indessen phantasierte Andrea weiter, wie er in einem lenkbaren Luftballon mit Alie dahinschwebte, hoch über den Köpfen aller hinweg, bald einen Blick in die Städte hinabwerfend, die sie passierten, und die schwarzen Futterkrippen glichen, bald nur den unendlichen Himmelsraum erblickend, gleichgültig gegen die ganze Welt dort unten, gegen Freunde und Verwandte, gegen Krieg und Ministerwechsel, Cholera und Dynamitattentate, Tag und Nacht in einem einzigen Liebesrausch lebend, bis sie daran starben, erschöpft, glückselig.

Es war stets derselbe Abstand zwischen dem Unbegrenzten in seinen Träumen und dem Praktischen, leicht ins Werk zu Setzenden der ihren. Obwohl sie stets die Freiheit ihres Verhältnisses so stark betonte, hatte sie doch die allen Frauen eigne Sehnsucht danach, ihre Liebe und ihr Glück unter den Schutz des Staates und ihrer nächsten Angehörigen zu stellen, die kleinen Freuden und Sorgen des täglichen Lebens mit denen zu teilen, die sie liebte. Ihr ganzer bürgerlicher, nordischer Charakter trieb sie, sich nach dem stillen Glück des gemeinsamen Heims zu sehnen.

Er dagegen, obwohl er keinen Augenblick gezögert haben würde, sein ganzes Leben für sie zum Opfer zu bringen, wenn er sie außerhalb der ganzen Welt hätte besitzen können, er ließ sich stets von dem Gedanken zurückstoßen, hier in seinem eignen Land unter seinen gewöhnlichen Umgebungen aus seiner bevorzugten Stellung herabzusteigen, zu der er geboren war, seinen schönen Palast mit einer bürgerlichen Wohnung von wenigen Zimmern zu vertauschen und sich mit hundert andern auf den Kampf um das tägliche Leben einzulassen. Mit dem sonderbaren Doppelblick, der sein sanguinisches und dabei doch skeptisches Temperament auszeichnete, konnte er nicht umhin, gleichsam das Ende der Leidenschaft zu sehen, die ihn jetzt beherrschte. Aber er wollte lieber, daß dieser Abschluß stark und heftig über sie hereinbrechen sollte, als daß er allmählich bei einem prosaischen Alltagsleben kam.

Eine Biegung des Weges oder ein Esel, der ihnen mit seiner aus Reisig bestehenden Last oder mit seinen schaukelnden Körben voller Apfelsinen und Mandarinen entgegenkam, erweckte sie aus ihren so verschiedenartigen Träumen. Sie lächelten einander zu, glückselig über ihre Nähe, trotz der oft störenden Gedanken, und wenn der Eseltreiber ihnen den Rücken gewandt hatte, begegneten sich ihre Lippen in einem langen Kuß, als seien sie durch eine Reise getrennt und hätten einander jetzt wiedergefunden.

*

Der Winter war auf diese Weise unbeschreiblich schnell vergangen, nach Alies Ansicht war es überhaupt kein Winter gewesen. Sie ging gleichsam bis zum Februar in der Erwartung, daß er nun kommen müsse, da aber wurde die Luft so lenzeslau, und ringsumher an den Abhängen standen alle Mandelbäume wie große, riesenhafte Brautbouquets da und erinnerten Alie an die Hochsommerzeit daheim, wenn die Kirschbäume endlich mühselig ihre Blüten treiben nach dem langen Kampf mit Schnee und Frost.

Im April begann die Marquise davon zu reden, daß sie im Sommer ein deutsches Bad zu besuchen gedenke; sie fragte Alie, ob sie sie dorthin begleiten wolle, oder ob sie es vorzöge, zu den Ihren nach Schweden zurückzukehren.

»Wenn ich Ihnen einen guten Rat geben soll, so reisen Sie nach Hause, und Andrea kommt später nach, wenn er im stande ist, sich zu verheiraten. Aufrichtig gesagt, glaube ich nicht, daß euer Zusammenleben hier länger in derselben Weise fortgesetzt werden kann.«

Die sonst stets so freundliche Marquise äußerte diese Worte in einem trockenen Ton, der Alies Herz erbeben machte. War sie unzufrieden mit ihr, und wollte sie ihr zu verstehen geben, daß es jetzt aus sei, daß sie nicht wieder zurückkommen solle? Und wenn sie jetzt nach Schweden zurückreiste, würde das nicht gleichbedeutend mit einer völligen Trennung von ihm sein?

»Ich werde mit Andrea sprechen,« sagte sie mit gesenktem Blick und verlegenem Ton.

»Ja, thun Sie das, mein Kind! Glauben Sie mir, es wird Zeit, daß Ihre Stellung sich klärt. Es haben nicht alle dasselbe Zutrauen zu euch wie ich, man muß allerlei Anspielungen hören, kurz, ein junges Mädchen wie Sie ist zu gut, einem solchen Gerede ausgesetzt zu werden. Ich will es Andrea selber sagen, wenn Sie es wünschen.«

»Nein, nein! Ich bitte – ich will lieber –«

Sie fürchtete nichts so sehr, als daß er sich durch einen äußeren Zwang veranlaßt glauben sollte, sich mit ihr zu verheiraten.

Sie teilte ihm nur den Vorschlag der Marquise mit, sie entweder nach Deutschland zu begleiten oder nach Schweden zurückzukehren, und sah seiner Antwort mit der größten Spannung entgegen.

»Das ist ja vorzüglich,« rief er aus. »Siehst du nicht, welch eine vortreffliche Gelegenheit sich uns da bietet, das zu verwirklichen, wovon ich immer geträumt habe, daß wir beide uns ganz allein an irgend einem entlegenen Ort aufhalten, wo wir niemand über unser Thun und Lassen Rechenschaft zu geben brauchen?«

»Wo aber? Etwa im Mond?« fragte sie lächelnd, auf einen neuen phantastischen Vorschlag gefaßt.

Er zog sie neben sich auf das Sofa nieder und lehnte ihren Kopf gegen seine Schulter, so daß ihr Gesicht gegen seinen Hals gepreßt wurde.

»Nein, rühre dich nicht, ich kann nicht sprechen, wenn ich dich nicht so nahe fühle.«

»Aber ich ersticke.«

»Weshalb hältst du deinen Atem zurück? Ich will gerade, daß du gegen meinen Hals atmen sollst – ja, so. Höre nun meinen Vorschlag. Du sagst der Tante, daß du nach Hause reisen willst, packst deinen Koffer und fährst ganz ruhig mit dem Zuge gen Norden. Aber wenn du über die italienische Grenze hinübergekommen bist, bleibst du in irgend einem kleinen Ort in Tirol, über den wir uns vorher einigen, und dort treffe ich einige Tage später mit dir zusammen, und dann lassen wir uns in einer kleinen Pension in den Bergen nieder, wo wir ganz unbemerkt und ungestört leben können, frei von allen Rücksichten und Zusammenstößen, die uns jetzt fast das Leben vergällen. Ach, mir ist's, als atmete ich förmlich auf, wenn ich nur daran denke, daß ich mehrere Monate lang ganz allein mit dir sein soll, ohne daß sich jemand in unser Verhältnis einmischt. Dann werde ich dich mehr lieben denn je.«

Alie zögerte ein wenig, dann sagte sie, daß es ein Hintergehen seiner Tante sein würde, die so gut gegen sie gewesen sei. Wenn ihre Bekannten in Schweden davon erführen, würde sie für ewige Zeiten gebrandmarkt und als Abenteurerin gestempelt sein. Aber der Wunsch, doch einmal vollkommen glücklich zu sein, ehe die große, unvermeidliche Trennung kam, war doch stärker als alle Bedenken. Was kehrte sie sich daran, ob sie sich kompromittierte oder nicht, sagte sie zu sich selbst. Wem schuldete sie Rücksicht? Und was hatte sie sonst noch vom Leben zu hoffen – nichts. In Ehren oder in Unehren, geachtet oder verachtet, welche Bedeutung konnte das für sie haben, wenn einst die große Finsternis ihr Dasein unvermeidlich umhüllte.

Einige Wochen nach dieser Unterredung ruderten sie eines Sonntags in einem kleinen Boot draußen auf dem Meere.

Es war einer jener wunderbaren, unbeschreiblich schönen Tage auf dem Mittelmeer, wo das Wasser so metallisch blau ist, so hart und blank, daß es fast aussieht, als könne man darauf gehen, wo der Himmel so saphirblau und sammetweich und dabei doch so voller Licht ist, daß man es nicht aushalten kann, ihn anzusehen, wo die weinroten Berge gleichsam eine eigne Lichtquelle zu besitzen scheinen. Und Genua! wie schimmernd weiß baute es sich nicht zwischen diesem Himmel und diesem Wasser amphitheatralisch am Ufer auf. Nur die grauen Blätter der Oliven und die blaugrünen, blanken der Zitronenbäume und die goldroten Früchte brachten hie und da eine farbige Abwechslung zwischen die weißen Paläste.

Alie war ganz ergriffen von dem Gefühl des Glücks, das diese Schönheit unwiderstehlich erweckt. Es ist unmöglich, traurig zu sein unter dieser Sonnenglut, unmöglich, sich gegen eine Lebenslust zu verschließen, die so stark ist, daß sie fast an Schmerz grenzt. Sie hatte ein Gefühl, als müsse sie ersticken, als müsse sie ihre Kleider aufreißen, um so recht in vollen Zügen atmen zu können. Und alles, was sie im Innersten ihres Herzens wünschte und hoffte, schien ihr in diesem Augenblick in Erfüllung zu gehen.

»Woran denkst du?« fragte sie Andrea, der ebenfalls in Träumereien versunken war. Sie hoffte aus seiner Antwort zu vernehmen, daß sich ihre Gedanken in diesem Augenblick begegneten.

»Ich dachte darüber nach, wie wir eine schöne Art und Weise, uns zu trennen, finden könnten,« erwiderte er.

»Uns zu trennen?«

»Ja, gerade jetzt, wo wir am allerglücklichsten sind, sollte es geschehen, plötzlich, mit einem Schlage, ehe es bergab geht. Aber wie das anzufangen ist, das ist die Frage, nur einen Tag bestimmen, an dem wir einander Lebewohl sagen, das geht nicht. Es giebt einen Ausweg, daß du, wie du zuweilen vorgeschlagen hast, ganz einfach aus meiner Bahn verschwindest – ich komme eines Morgens – du bist fort. Aber du hast wohl schwerlich den Mut dazu, und deshalb werde ich die Rolle wohl übernehmen müssen. Wir reisen nach Tirol, leben dort einige Wochen in ungetrübtestem Glück miteinander, und dann eines Morgens, nachdem wir uns länger umarmt haben als sonst, wenn wir so recht fühlen, daß unsre Liebe einen solchen Höhepunkt erreicht hat, daß man nicht weiter kommen kann, daß aber das Sinken bald beginnen muß, dann gehe ich ganz leise aus dem Zimmer, sage vielleicht zu dir, daß ich, während du dich ankleidest, den Kaffee bestellen will. Wenn du dann in den Speisesaal hinabkommst, bin ich nicht da. Du suchst mich, du fragst die Wirtin, wo ich bin, und sie antwortet ganz erstaunt: ›Aber, Madame, es ist ja eine halbe Stunde her, seit er nach dem Bahnhof ging. Jetzt ist der Zug bereits über alle Berge.‹«

Alie stieß fast einen Angstschrei aus und legte ihm die Hand auf den Mund.

»Du würdest mich ganz einfach töten, wenn du das thun wolltest!« rief sie aus. Sie war bleich geworden, und ihre Augen füllten sich mit Thränen.

Ihm war es ein unwiderstehliches Bedürfnis, sich selbst und sie auf diese Weise zu peinigen; als er jetzt aber sah, welchen Eindruck es auf sie gemacht hatte, erschrak er über seine Worte und preßte sie zärtlich an sich.

»Das ist recht, laß mich nicht los, laß mich nicht!« bat er. »Ich will alles thun, um unser Glück zu zerstören, ich bin sozusagen dazu prädestiniert, aber du mußt mich daran verhindern, halte du mich nur!«

»Ja, wenn ich nur sicher wäre, daß mein Glück auch das deine ist, dann könntest du dich darauf verlassen, daß ich dich schon halten wollte. Aber dieser Zweifel lähmt mich. Wenn du hier an meiner Seite, inmitten dieser unsagbaren Schönheit, die uns umgiebt, in dieser Frühlingsluft, die mich fast um Sinn und Verstand bringt, auf solche Gedanken verfallen kannst, wie kann ich da anders glauben, als daß das, wovon du sprichst – unsre Scheidung – etwas Unvermeidliches ist, das eines Tages kommen muß

»Du verstehst mich nicht so recht. Du verstehst nicht, daß gerade der Eindruck, den die stimmungsvolle Natur um uns her auf mich machte, die Veranlassung war, daß ich mich so aussprach. Gerade, wenn ich so recht fühle, wie eng verbunden wir miteinander sind, überkommt mich eine solche Angst davor, daß unser Verhältnis in Alltäglichkeit und Banalität ausarten möge, daß du eine Nuance gleichgültiger werden könntest, daß ich selber nicht mehr so ausschließlich von dir erfüllt bleibe!«

»Sei deswegen ohne Sorge, sobald ich dergleichen bei dir bemerke, werde ich keinen Augenblick zögern, sondern mich sofort zurückziehen.«

»Nein, nein, wenn du das thust, so zerstörst du alles. Gerade das müssen wir vermeiden, wir dürfen uns nicht in Bitterkeit und Mißmut trennen. Das könnte ich nicht ertragen! Wenn du bemerkst oder zu bemerken glaubst, daß meine Liebe im Erkalten ist, so mußt du im Gegenteil deine Zärtlichkeit verdoppeln, die ganze Energie deiner Seele darauf einsetzen, mich zurückzugewinnen, du mußt tausend neue Reizmittel erfinden, ja, glaube mir, ich weiß, daß du es kannst, deine Weiblichkeit soll alle ihre Zauberkünste entfalten, du mußt neue Zärtlichkeitsbeweise, neue Kosenamen erdenken, ja, wenn nichts helfen will, sollst du dich mir zu Füßen werfen und um meine Liebe betteln! Was meinst du mit dem Achselzucken? Du findest es verächtlich, feige? Das macht nichts, du mußt es trotzdem thun, ich liebe dich ja so innig, weil ich weiß, daß du eher alles wagen wirst, ehe du von mir läßt.«

Sie fühlte ein inneres Zittern bei seinen Worten, eine Ahnung überkam sie, daß sie auf diese Probe gestellt werden würde, daß sie lernen sollte, welch eine furchtbare Macht die Leidenschaft über sie hatte.

*

Es hieß, daß Alie Anfang Juni nach Schweden zurückreisen würde. Gleichzeitig begann Andrea mit seinem Bruder und seiner Schwägerin davon zu reden, daß er im Sommer eine kleine Reise zu machen gedenke, er sehne sich danach, eine neue Luft einzuatmen, und würde vielleicht eine Fußtour in die Alpen machen. Dies erregte den Verdacht der Prinzessin, und eines Tages kam sie zu Alies größter Verwunderung, denn sie pflegte sonst nur die gewöhnlichsten Höflichkeitsphrasen mit ihr zu wechseln, in das Boudoir, wo Alie allein saß und lag, und ließ sich neben ihr auf das Sofa nieder.

»Sie reisen nach Schweden, Signorina?« begann sie.

»Ja, Signora Prinzipessa.«

Alie konnte jedoch ein Erröten bei dieser Unwahrheit nicht unterdrücken; nervös blätterte sie in ihrem Buch.

»Und Sie gedenken nicht, nach Italien zurückzukehren?«

»Ich weiß es nicht, ich hoffe es –«

»Ich weiß, daß meine Tante Sie nicht aufgefordert hat, zu ihr zurückzukehren. Aber dies ist keineswegs eine Unfreundlichkeit von ihrer Seite, sie hält große Stücke auf Sie, doch glaubt sie, daß es zu Ihrem eignen Besten ist –«

»Signora Prinzipessa!«

Alie wurde dunkelrot und schaute mit dem Ausdruck eines gehetzten Wildes auf, das in seiner Todesangst fest entschlossen ist, sich zu verteidigen.

»Verzeihen Sie, daß ich diesen Punkt berühre. Aber ich finde doch, daß Sie es wissen müssen. Alle hier im Hause sind allmählich hinter das wirkliche Verhältnis gekommen. Wie geschickt Sie auch beide geschauspielert haben, auf die Länge geht so etwas doch niemals. Vor allen Dingen die Dienstboten, und dann tausenderlei Umstände. Ich finde, es wäre unrecht, wenn ich es Ihnen nicht sagen wollte. Sie sind ja noch so jung, Sie sind hübsch, Sie können in Ihrer Heimat vielleicht noch eine gute Partie machen, wenn Sie jetzt zu Ihrer Familie zurückkehren.«

Alie erhob sich, zitternd vor Gemütsbewegung.

»Verzeihen Sie mir, Prinzipessa, aber ich bin daran gewöhnt, selbst für meine Handlungen einzustehen, ich habe niemand, dem ich Rechenschaft für mein Thun zu geben brauche.«

»Das ist nicht wahr, Sie haben auch die Verantwortung für das Glück des Mannes, den Sie lieben. Und – lassen Sie es mich sagen, da wir nun doch einmal auf diesen Punkt gekommen sind, es wird die höchste Zeit für meinen Schwager, an seine Verheiratung zu denken, er hat sich um Ihrentwillen eine glänzende Partie so gut wie entgehen lassen, aber noch ist nicht alles verloren; die betreffende Dame liebt ihn und wartet auf ihn, fest überzeugt, daß er eines Tages zu ihr zurückkehren wird. Wenn Sie ihn wirklich lieben, was ich glaube, so dürfen Sie seiner Zukunft nicht länger im Wege stehen. Es ist ganz unerläßlich für ihn, eine solche Partie zu machen, die Rücksichten auf die Familientraditionen erfordern es, aber solange Sie ihn nicht freigeben, kann er ja nicht –«

Jetzt war der Augenblick gekommen. Tiefer konnte diese Frau, die sie bewunderte, sie nicht demütigen; jetzt war es Zeit, sich zur Gegenwehr zu setzen.

»Signora Prinzipessa,« sagte sie mit bebender Stimme und thränenfeuchten Augen, »Sie sprechen mit Ihrer künftigen Schwägerin.«

Die Prinzessin zuckte zusammen, sie wich zurück, und ihre Hände ballten sich krampfhaft.

»Das ist unmöglich!« sagte sie mit erstickter Stimme.

»Es hängt nur von mir ab, ob ich will,« fuhr Alie fort, indem sie ihre Stimme erhob. »Wenn ich es gewollt hätte, so wäre ich seine Gattin gewesen schon lange, bevor ich dies Haus betrat. Und wenn ich es bis dahin nicht wollte, so geschah es, weil ich ihn so liebte, daß ich mehr an sein Bestes als an das meine dachte. Ich habe ihn nicht binden wollen, ehe ich nicht die Ueberzeugung gewonnen hatte, daß ich ihm so unentbehrlich geworden, daß er ohne mich nicht mehr leben kann. Ich habe freilich eine demütigende Stellung gewählt.«

Abermals machte die Gemütsbewegung ihre Stimme unsicher, ihre Wangen glühten, und in ihren Augen standen helle Thränen.

»Und Sie dürfen nicht glauben, daß mir das so leicht geworden ist. Ich bin nicht an Geringschätzung gewöhnt; daheim in meinem Kreise trug ich den Kopf ziemlich hoch und beugte mich nur ungern; freiwillig leistete ich andern gern Dienste, man fühlte dabei aber doch stets, daß ich herrschte, und es würde niemals jemand eingefallen sein, mir etwas andres als die größte Hochachtung zu erweisen. So war ich, Signora Prinzipessa, so war mein Charakter, meine Stellung, und ich versichere Sie, daß es mir nicht schwer geworden sein würde, meinen Platz als Herrscherin auch in einem Palast wie dieser zu behaupten, falls das mein Ehrgeiz gewesen wäre. Freilich besaß ich Ehrgeiz, einen großen Ehrgeiz, aber der hatte ein andres Ziel: Ich wollte geliebt sein, so geliebt, daß kein Opfer zu groß für diese Liebe gewesen wäre, und doch wollte ich keine Opfer annehmen, sondern sie alle zurückweisen und sagen: Ich wollte nur sehen, ob du im stande seiest, Opfer zu bringen, – jetzt aber will ich sie bringen, denn das ist mein größtes Glück!«

Bei diesen Worten brachen die Thränen unwiderstehlich hervor, sie lief im Zimmer auf und ab, die Hände vor das Gesicht gepreßt, sich in die Lippen beißend, um das Weinen zu unterdrücken, das sie in diesem Augenblick, wo sie hatte stark, klar und imponierend sein wollen, unangebracht fand.

Aber sie hatte die Gemütsbewegung nicht beachtet, die sie auch bei ihrer Zuhörerin hervorgerufen hatte, bis jetzt diese reiche Altstimme an ihr Ohr drang, deren Klang sie so sehr bewunderte, und der ihr jetzt so unnatürlich tief und dumpf vorkam, bis sie die Worte vernahm: »Und glauben Sie nicht, daß jede Frau, die liebt, Opfer zu bringen weiß? Für Sie, die Sie ihm frei und offen Ihre Liebe zeigen können, kann es doch nicht schwer sein, aber es giebt vielleicht andre, die gezwungen sind, ihre Liebe ihr ganzes Leben lang zu unterdrücken und zu verbergen, um seine Ruhe nicht zu stören, um ihn nicht in eine falsche Stellung zu bringen. Eine solche Frau hat das Recht, von einem Opfer zu sprechen, nicht aber Sie, die Sie ihn besitzen, Sie, die alles haben, – ach, ich will Sie nicht anhören!«

Sie hatte sich in das Sofa zurückgeworfen und faltete die Hände über dem Kopf, indem sie die großen, müden, jetzt thränenerfüllten Augen auf die Decke des Zimmers richtete.

Alie sah zum erstenmal, daß dies harmonisch gebildete Gesicht Spuren von Leiden und inneren Kämpfen trug, sie hatte etwas von einer Mater dolorosa in ihrem Gesicht und in ihrer Stellung, sie erschien Alie so schön, daß sie, ihrer Eingebung unwiderstehlich folgend, sich neben dem Sofa auf die Kniee warf, unter Strömen von Thränen ihre Hände küßte und flüsterte: »Ja, Sie haben recht – Sie haben recht – ich danke Ihnen!«

Lätitia beugte sich herab, Alie fühlte die kräftigen Arme um ihren Hals, den üppigen, bebenden Busen an dem ihren. Sie küßten einander.

In diesem Augenblick trat Andrea ins Zimmer und begriff alles.

»Lätitia!« rief er mit bewegter Stimme aus. Und zum erstenmal umfingen diese beiden einander in einer langen, innigen Umarmung. Sein Empfinden war dankbare Rührung, das ihre schmerzliches Entsagen.

»Alie!« sagte Andrea dann, ihre Hand ergreifend, »wisse, daß die Ehrerbietung und Neigung, die ich für sie hege, so groß ist, daß dein wie mein Schicksal von ihr abhängen. Ich will lieber das Liebste auf Erden verlieren, als ihr zuwiderhandeln.«

»Thue alles, was sie will!« sagte Lätitia, auf Alie zeigend. »Ich habe Zutrauen zu ihr, wir verstehen uns. Was sie beschließt, billige auch ich, denn ich bin überzeugt, daß es das Beste für dich ist.«

Sie hatte ihre Selbstbeherrschung völlig wiedergewonnen und lächelte ihm mit dem ruhigen Wohlwollen einer älteren Schwester zu.


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