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Neuntes Kapitel.

In Florenz hielt dieser träumende Zustand vor. Sie verbrachte den größten Teil ihrer Zeit in Galerien und suchte stets so viel wie möglich allein zu sein. Die Schönheitswelt, die sie hier umgab, übte eine beruhigende Wirkung auf sie aus. Ihr angeborenes Schönheitsgefühl setzte sie in stand, sich alles, was sie sah, auf eine vertraulichere Art anzueignen, denn als bloßen Kunstgenuß. Diese Bilder hatten ihr persönlich etwas zu sagen, sie wurden ein Teil ihres eignen bewegten Gedanken- und Gefühlslebens, diese Bilder, in denen die Schönheit der Farben und der Linien sich mit der Tiefe und der Innigkeit des Gefühls verschmolzen. Wenn sie des Abends einschlief, und wenn sie des Morgens erwachte, so fühlte sie Sinn und Auge so gesättigt von diesen Eindrücken, daß sie gleichsam einen Lichtglanz über ihr eignes Lebensschicksal verbreiteten. Die Galerien erzählten ihr die Saga der ganzen Menschheit in einem verschönernden, idealisierten Licht, das sehr gut mit der romantischen Richtung zusammenstimmte, die ihr eignes Leben genommen hatte. Und alle Zweifel über die Berechtigung des Verhältnisses, auf das sie sich eingelassen hatte, schwanden gegenüber der großen Lebensauffassung, von der diese Säle erzählten.

Der stolze Ritter dort, der einen der hervorragendsten historischen Namen trug, und dessen Bild von Salvador Rosa gemalt worden war, – dieser echt italienische Typus mit den leidenschaftlichen und dabei doch so milden schwarzen Augen, die elegante, geschmeidige Figur, die Indolenz und die Energie, die gleichzeitig in seinem Ausdruck lagen, – und diese blonde Frau, in deren Bild Tizian den Schönheitstypus einer fremden Rasse konzentriert hatte, sie waren natürlich ein Liebespaar gewesen, aber niemand fragte: Waren sie verheiratet? Wer war sie? Welche Titel, welchen Namen, welchen Stammbaum hatte ihr Vater aufzuweisen? Er stand im Katalog mit all seinen Titeln, sie war namenlos. Was aber hatte dies alles in einer Welt zu bedeuten, wo Schönheit, Jugend und Liebe allmächtig herrschen?

Und diese Bilder der »Santa Famiglia«, auf denen das Mutterglück und die Mutterliebe den schönsten Ausdruck gefunden hat, den die Phantasie nur hervorzaubern kann, wie schwelgte sie in ihnen!

Sie konnte stundenlang vor Peruginos und Botticellis frommen Madonnen, die in stummer Glückseligkeit das neugeborene Kind betrachten, sitzen und träumen.

Hin und wieder wurde freilich diese Stimmung durch andre, beunruhigendere Bilder unterbrochen. Mitten in diese Welt idealer Schönheit klang auch ein andrer Ton, mehr sinnlicher Art, hinein. Rubens' derbe Fleischlichkeit stand in grellem Widerspruch zu dem Idealismus der Italiener. Hier war es kein Engel mehr, der mit ehrerbietiger Haltung und tiefer Verbeugung der verschämten, überraschten Jungfrau die Botschaft brachte, daß sie Mutter werden sollte. Hier war es ein kräftiger, vorwärtsstürmender Mann, der mit glühender Leidenschaft ein Weib begehrte, das ihrerseits ihn nur floh, um ihn zu locken und zu reizen. Von solchen Bildern wandte sich Alie mit einer unbestimmten Unruhe ab. Wenn aber auch Rubens ein Bild »Santa Famiglia« taufte, so fand sie dies so kühn, daß sie lächelnd davor stehen bleiben mußte. Das himmlische Kind, das sehr häufig aussieht, als litte es an der englischen Krankheit, weil der Maler in seinem Bestreben, es recht seelenvoll erscheinen zu lassen, den viel zu großen Kopf mit bleichen Wangen begabt hat, war hier in einen dicken, rotwangigen Knaben verwandelt, der den Kopf hintenüberhält und so herzlich und ansteckend lacht, während der ein paar Jahre ältere Johannes ihn mit lächelnder Bewunderung anschaut wie ein älterer Bruder, der den kleinen so entzückend und amüsant findet. Die Mutter, voll und rundlich, gleicht einer prächtigen Amme, und Joseph ist nicht mehr der einsame Greis, der sich in passendem Abstande hält und nichts mit dem Ganzen zu thun hat, sondern ein jugendlicher, heiter lächelnder Familienvater.

Andrea schrieb mehrmals, und seine Briefe strömten über von zärtlichen Ausdrücken. Alie schloß sich stets ein, um diese Briefe zu lesen, die sie in große Gemütsbewegung versetzten, die sie erröten machten oder ihr Thränen in die Augen trieben oder sie ernst und nachdenklich stimmten. Sie las sie unaufhörlich wieder und wieder, jeden Abend, im Bett, bevor sie einschlief, und auch am Tage unzählige Male, sobald sie allein war; zuweilen konnte sie des Nachts erwachen und über irgend einen Ausdruck in den Briefen grübeln, dann fand sie keine Ruhe, ehe sie Licht angezündet und das Briefbündel hervorgeholt hatte, das sie stets unter dem Kopfkissen aufzubewahren pflegte. Sie prüfte und wog jedes Wort, um zu sehen, ob es wirklich empfunden, ob es ein Ausdruck war, der mit seiner persönlichen Art und Weise zu fühlen übereinstimmte, oder ob es nur eine gewöhnliche Phrase war. Und wenn sie das letztere zu bemerken glaubte, empfand sie oft große Qualen.

Es war stets dieselbe Furcht, die sich jetzt bis zur Angst steigerte, die Furcht, einer Liebe nachgegeben zu haben, die von seiner Seite nur eine Leidenschaft, nicht aber die volle Hingebung der ganzen Persönlichkeit gewesen war. Und während sie über alles nachgrübelte, was sich zwischen ihnen zugetragen hatte, ganz besonders aber über ihr letztes Beisammensein, verfiel sie ins Phantasieren und dichtete schließlich ihr Verhältnis so häufig und ans so viel verschiedene Weisen um, daß sie schließlich selbst nicht mehr wußte, was Wirklichkeit und was Einbildung war. Und diese Unsicherheit in Bezug auf sich selbst und auf ihn ließ nun ihre Ungeduld, ihn wiederzusehen, zu einer verzehrenden Sehnsucht anwachsen. Es erschien ihr, als wenn ihr ganzes Leben, ihre Selbstachtung, das Gleichgewicht ihres Gemüts von diesem Wiedersehen abhängen würden. Es mußte sich zeigen, ob ein tieferes, dauerndes Verhältnis aus dem Rausch der Sinne und der Phantasie erwachen konnte, der unter der glühenden Sonne, in dem lauen Bade, in den duftenden Sommertagen sie beide so unwiderstehlich zu einander geführt hatte.

Deswegen war es ein harter Schlag für sie, als ein Brief eintraf, der ihr meldete, daß er nicht, wie er beabsichtigt hatte, nach Florenz kommen könne. Es waren Schwierigkeiten auf dem Gut entstanden, es hatte sich herausgestellt, daß der Verwalter schlecht gewirtschaftet hatte, so daß die ganze Administration in andre Hände gelegt werden mußte. Sein Bruder sei krank, weswegen er ihn unter diesen Umständen unmöglich allein lassen könne.

»Versuche, so lange wie möglich in Italien zu bleiben,« schrieb er. »Dann kann ich euch immer erreichen, entweder in Rom oder in Venedig auf der Rückreise. Wenn Du aber reisen mußt, ohne daß wir uns wiedergesehen haben,« – das Herz stand ihr still bei diesen Worten, wie konnte er mir an eine solche Möglichkeit denken! – »dann will ich dich einmal in Schweden aufsuchen, wenn meine Stellung unabhängiger geworden ist. Aber wirst Du auf mich warten? Ich wage es kaum zu hoffen, ich habe immer gewußt, daß ich nicht glücklich werden sollte, und es wundert mich nicht, daß das Schicksal uns gerade in einem Augenblick scheiden zu wollen scheint, in dem wir einander erst so recht gefunden haben.«

Sie las den Brief mehrmals, und es legte sich eine eisige Kälte um ihr Herz. So leicht konnte er sie aufgeben, tiefer war ihm die Sache nicht gegangen! Sie saß erst wie gelähmt von diesem Schlage da, dann aber stieg ganz allmählich ein Blutstrom in ihr Antlitz, sie empfand eine brennende, unerträgliche Scham bei dem Gedanken, daß sie sich einem Manne völlig hingegeben hatte, der ihr in Zukunft ein Fremder sein würde, für den sie nur eine unter vielen war. Sollten sie so enden, alle ihre Träume von einer Liebe, die so viel größer, tiefer und zusammenhängender war als alles, was sie bei andern gesehen hatte! Nur ein kurzer Rausch, und dann vorbei!

Außer sich vor Gemütsbewegung, aufs innerste empört, ging sie aus, sie ging und ging nur, ohne daran zu denken, wohin ihre Füße sie trugen. Ihr Herz pochte, und vor den Ohren sauste es ihr wie siedendes Wasser.

Sie ging den schönen Viale bei Colli hinauf, der sich zwischen weißen Villen und blühenden Gärten hinschlängelt, die still und kühl im Schatten von Lorbeer- und Zitronenbäumen daliegen, nach Rosen und Orangenbäumen duften, mit Oleander und Kamelien prahlen, deren farbenprächtige Blumen sich von dem dunkeln, blaugrünen Laub der Bäume abheben. Dann gelangte sie an die große Einsamkeit des Piazzale Michelangelos, wo der junge David den Horizont beherrscht und seine kräftigen Linien gegen den von der Abendröte purpurgefärbten Himmel und die violetten Konturen der Hügel abhebt. Sie blieb stehen und betrachtete die geheimnisvolle Nacht auf dem Sockel der Statue, die vom ersten Augenblick an, wo sie sie gesehen, ihre Phantasie in Anspruch genommen hatte. Was hatte der gewaltige Meister mit dieser unausgeführten Figur ausdrücken wollen, die noch nicht voll aus dem Marmorblock, aus dem sie geschaffen war, hervortrat, die aber doch so mystisch lockend wirkte, so inhaltsreich, so voll von Märchen, Sagen und Träumen, daß man in ihr sozusagen jede Stimmung wiederfinden konnte, die man selbst durchlebt hatte.

Es war gleichzeitig die schlaflose Nacht, wenn man sich unter qualvoller Angst auf dem heißen Lager hin und her wälzt und dem unaufhörlichen Glockengeläute lauscht, das sich mit dem Schlagen der Turmuhren vermischt, so daß man schließlich ganz verwirrt wird und nicht mehr weiß, ob es Abend oder Morgen ist – und die schlafende Nacht, voll von dem Leben des Tages, voll von lichten Träumen – und die wachende Nacht, wenn das Herz stillsteht in zitternder Erwartung, wenn die Augen erschreckt und berauscht dem großen Mysterium des Lebens und des Herzens entgegenstarren, wenn das Herz gleichsam aufhört zu pochen, wenn die Pulse stillzustehen scheinen, und ein Nebel alle Gefühle und Gedanken einhüllt – aber es war auch die drohende, dunkle Nacht, die finstere Nacht der Einsamkeit und der Verzweiflung, aus der es keinen Ausweg giebt.

Alie sah und sah, wie diese plastischen Figuren sich gegen die durchsichtige Klarheit des Septemberabends abhoben, wie die Stadt der Blumen dort unten in einem Rosenschimmer lag, und wie der Arno sich durch dieselbe hindurchschlängelte gleich einem silbernen Band – jetzt ertönte das Angelusläuten aus zahlreichen Kirchen durch die Stille des Abends – die Gefühle überwältigten sie, sie brach in Thränen aus, übermannt von der Stimmung, welche die Offenbarung des Schönen in uns durch den Widerspruch zu unsrer inneren, zerrissenen Welt erzeugt. Einige Reisende näherten sich und blieben auf der Piazza stehen, den Bädeker in der Hand. Verwundert sahen sie das einsame, weinende Mädchen an. Alie eilte von dannen, ging auf den Friedhof San Miniato, um ungestört weinen zu können. Hier, zwischen den weißen Monumenten mit ihren trauernden Frauengestalten am Fußende oder mit den glänzenden Engeln, die mit ausgebreiteten Flügeln die Pforte des Grabes bewachen, konnte sie sich ihrer Gemütsbewegung hingeben, ohne Aufsehen zu erregen; es war nur allzu natürlich, hier zu weinen, und sie kniete lange an einem unbekannten Grabe, so gewaltsam, so unaufhörlich schluchzend, wie der dort schlummernde Tote vielleicht niemals beweint worden war.

Aus der Verzweiflung erwuchs ihr ein Entschluß. Sie wollte nicht reisen, sie wollte einen beliebigen Vorwand benutzen, um in Italien bleiben zu können, bis sie ihn wieder gesehen hatte. Heimzureisen mit diesem tödlichen Zweifel im Herzen, das war eine Unmöglichkeit.

Weswegen hatte sie den Platz bei der Marquise Serra abgelehnt? Es war ja der reine Hochmut gewesen, der sie verhindert hatte, die Stellung anzunehmen. Ja, damals mochte dieser Stolz am rechten Platz gewesen sein, jetzt hatte sich aber die Sachlage verändert. Das wichtigste für sie war jetzt, ihn wiederzusehen, um Klarheit über ihre Zweifel zu erlangen. Und sie beschloß, ihm sofort zu schreiben, daß sie gewillt sei, den Platz anzunehmen, falls er ihr noch offenstehe. Sie beeilte sich, diesen Brief abzusenden, um eine bestimmte Handlung zwischen sich und ihr Schwanken zu legen; dagegen sprach sie noch nicht mit Richard und Aagot darüber, sondern ging schweigend und still neben ihnen her, unzugänglich, völlig in ihren Grübeleien aufgehend, in der Angst, die sich von Tag zu Tag steigerte.

In dieser Zeit reisten sie nach Rom, und hier erwartete sie seine Antwort. Eine jubelnde, dankbare Antwort mußte es werden, er würde entzückt sein über diesen Beweis ihrer Liebe, aus dem er ersehen konnte, daß sie sich seiner Bitte, ihn an der Zerstörung seines Glücks zu hindern, erinnerte, daß sie seinetwegen ihren Stolz überwinden konnte.

Aber, was war das? Sie wurde leichenblaß, als sie den Brief las. Er schlug es ihr ab. Sie hatte sich so weit gedemütigt, daß sie sich erbot, zu ihm zu kommen, und er lehnte diesen Vorschlag ab!

»Ich darf dein Anerbieten nicht annehmen,« schrieb er. »Als ich dir anfänglich diesen Vorschlag machte, liebte ich dich noch nicht so innig, so bewußt, wie ich es jetzt thue. Ich dachte damals mehr an meine eigne Befriedigung. Jetzt liebe ich dich genügend, um die Kraft zu besitzen, dich lieber zu verlieren, als dich aufzuopfern. Wie lange glaubst du wohl, daß sich unser Verhältnis, falls wir täglich zusammen wären, vor meiner Tante und Schwägerin verbergen ließe? Und welcher Art würde deine Stellung sein, falls sie es entdeckten? Glaube mir, es ist besser, daß wir einander nicht wiedersehen und die Erinnerung an das schönste Glück bewahren, das das Leben zu spenden vermag, und das seinen Wiederschein auf unser ganzes Leben werfen wird. Es ist besser, so voneinander zu scheiden, als diese Liebe in die Prosa des Alltagslebens herabzuziehen und sie zu zertreten, was der Fall sein würde, wenn wir uns verheirateten, oder uns den Kränkungen und Unannehmlichkeiten, den Mißverständnissen und Reibungen auszusetzen, welche die unabänderliche Folge eines heimlichen Liebesverhältnisses sein würden.«

Dann folgten die gewöhnlichen zärtlichen Ausdrücke: » Colomba mia, anima mia, mio dolcissimo amore,« und so weiter, die sie jetzt fast mit Erbitterung übersprang. Denn jetzt konnte sie nicht mehr an ihre Aufrichtigkeit glauben, ein herzzerreißender Verdacht erwachte in ihr. Sie hatte ihn ruhig reifen lassen, ohne sich über das tägliche, ländliche Zusammenleben mit der Schwägerin zu beunruhigen, und sie hatte niemals, seit sie zum erstenmal darüber gesprochen hatten, auch nur den geringsten Verdacht in Bezug auf seine Bewunderung für sie geäußert. Eine solche Eifersucht erschien ihr unwürdig; sie wollte ihm volles Zutrauen erzeigen. Aber jetzt! Wer weiß, ob sie nicht doch diejenige war, die ihn zurückhielt, die ihn nicht hatte zu ihr lassen wollen?

Dieser Verdacht brannte sie jetzt mit einem Gefühl unüberwindlicher Scham, sie, die stets so fest überzeugt gewesen war, daß sie niemals jemand würde lieben können, der ihr nicht die unzweideutigsten Beweise einer Liebe ohne Maß und Ziel gegeben, sie war dahin gekommen, daß sie sich an einen Mann weggeworfen hatte, der sie nach der ersten Umarmung verließ. Was für ein Leben stand ihr hiernach bevor? Das, was er die schönste Erinnerung seines Lebens nannte, war ihr jetzt für immer besudelt, war zu einem Fleck geworden, der sich niemals vertilgen ließ!

Es gab nur einen Ausweg: zu sterben. Ja, der Tod, und nur er allein konnte sie wieder aufrichten, konnte ihr ihre Selbstachtung wiedergeben. Auf eine solche Liebe konnte nichts mehr folgen, nach dem Geschehenen mußte alles flach und schal sein, nur der Tod besaß eine genügende Größe, um ein solches Schicksal auf würdige Weise zu beschließen.

Aagot hatte warme Bäder für sich und Alie bestellt und rief ihr jetzt zu, daß sie sich beeilen möge.

Das Bad! Ein Gedanke durchzuckte sie und entflammte ihr Gehirn. Sie betrachtete ihre Hände. Da lagen ja die Pulsadern! Man sagte, daß es so leicht sei. Sie schaute sich verwirrt im Zimmer nach einem scharfen Gegenstand um und griff nach dem genuesischen Spadetta, den er ihr geschenkt hatte, jenem silbernen Pfeil, den die Frauen im Haar zu tragen pflegen, und dessen sie sich häufig bei ihren Eifersuchtskämpfen bedienen, um einander totzustechen.

Sie hatte keine Zeit, weiter darüber nachzudenken, ob er sich auch für ihren Zweck eigne, sie steckte ihn nur ins Haar und eilte hinter Aagot her die Treppe hinab in die Droschke hinein, die vor der Hausthür auf sie wartete.

Die Badeanstalt war ein alter Palast mit einem schönen, von Säulen getragenen Hofe, in dessen Mitte ein Zitronenbaum grünte und ein Springbrunnen plätscherte. Die Badezellen waren in pompejanischem Stil ausgestattet, ungefähr so, wie sie zur Zeit der alten Römer gewesen waren.

Es war nicht das erste Mal, daß ein solches Bad eine Unglückliche über die Schwelle treten sah, um den schmerzlosen Abschluß eines Lebens zu suchen, das seinen Inhalt und seinen Zweck verloren hatte.

Sie erhielten zwei nebeneinanderliegende Zimmer, die jedoch durch keine Thür verbunden waren.

»Wenn die Signorina der Hilfe bedarf, so brauchen Sie nur dort an dem Glockenzug zu ziehen,« sagte der Bademeister, der das Bad fertig machte.

»Es ist gut,« erwiderte Alie kurz.

Sie wünschte so schnell wie möglich allein zu sein. Sollte sie die Thür auflassen? Nein, es war besser, sie abzuschließen, sonst konnte irgend jemand kommen und sie in ihrem Vorhaben stören, so mußte man doch wenigstens erst die Thür erbrechen.

Es war kühl in der Badezelle, ein Frostschauer überfiel sie, während sie sich entkleidete. Sie drehte an dem Warmwasserhahn und ließ so viel in die Wanne laufen, daß sie sich fast verbrannte, als sie hineinsprang. Sie hatte den Spadetta neben sich auf den Rand der Badewanne gelegt und schloß nun die Augen, sich ihren Träumen überlassend, den Träumen von den Bädern in dem metallblauen Meere, in der Sonnenglut, wo der Rausch zuerst Macht über sie gewonnen hatte, jener Rausch, der nun mit einem Gefühl brennender Scham enden sollte. Nur ihren Körper hatte er geliebt, es war alles nur ein Sinnenrausch gewesen, jetzt wußte sie es! Und diese Erniedrigung wollte sie nicht überleben.

Im selben Augenblick stieß sie einen gellenden Schrei aus und fuhr aus ihrer ruhenden Stellung auf. Es war nur ein ganz kleines Klopfen an ihrer Thür, aber es hatte die große Stille ihrer Träume wie ein ganz entsetzlicher, unbegreiflicher Lärm unterbrochen.

Draußen ertönte Aagots Stimme!

»Bist du fertig?«

»Fertig? Ich liege noch im Bade.«

»Aber dann hast du ja fast eine Stunde gelegen. Du wirst ganz entkräftet auf diese Weise! Steh doch endlich auf!«

Alie warf einen verwirrten Blick auf den Spadetta und sah erst jetzt, wie schlecht er zu dem Zweck geeignet war, für den sie ihn mitgenommen. Und als sie ihr Zeug betrachtete, das auf dem Stuhl lag, kam ihr ein lächerlich prosaischer Gedanke, der ihre ganze Stimmung zerstörte. Ihre Wäsche war alt und ein wenig vertragen, fremde Menschen würden kommen und jedes Kleidungsstück untersuchen; wenn sie so etwas zu thun beabsichtigte, wollte sie wie eine Braut gekleidet sein! Ein Gefühl der Scham über ihren unreifen Einfall jagte ihr das Blut in die Wangen, ließ die heftige Spannung der Seele sich in ein nüchternes Wirklichkeitsgefühl auflösen.

Sie hatte sich selbst überschätzt, hatte sich mehr zugetraut, als sie in Wirklichkeit war. Sie hatte also doch nicht die ganze Seele darauf eingesetzt, sie würde sich trotz alledem darein finden, mit herabgesetzten Ansprüchen an das Leben und an sich selbst weiterleben zu können.

Sie kleidete sich mit einem Gefühl des Abscheus vor sich selbst und vor allem, was sie umgab, wieder an.


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