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Viertes Kapitel.

Aagot und Alie hatten sich lange danach gesehnt, mit dem Baden beginnen zu können, die italienische Sitte gestattete es jedoch nicht, daß die Badehäuser vor Ende Juni hinausgesetzt wurden. Da Nervi keinen eigentlichen Badestrand besitzt, indem die Küste steil und felsig ist, gab es hier auch kein richtiges Badeleben. Nur einige italienische Familien aus der Umgegend, welche hier ihre Sommervillen hatten, badeten in ihren eignen, hier und dort zwischen den Klippen zerstreut liegenden Badehäusern, zu denen man auf langen, in den Fels gehauenen und dem Publikum unzugänglichen Treppen gelangte.

Das englische Hotel schlug nun seine Badehäuser unterhalb Marquis Gropallos Treppe auf, zu welcher es Zutritt hatte, und Aagot und Alie sowie die jungen Engländerinnen eilten am ersten Morgen hinab, ungeduldig die vielbesungenen blauen Wogen auszuprobieren.

Als sie an den kleinen Vorstrand hinabkamen, fanden sie bereits mehrere Herren und Damen dort versammelt. Einige waren im Wasser, andre lagen halbbekleidet am Strande und sonnten sich. Auch Serra war dort.

Er trug ein rot und gelb gestreiftes Badekostüm, das die jugendliche, knabenhafte Geschmeidigkeit seiner Gestalt, seine anmutige, fast weibliche Feinheit, die den Italiener auszeichnet, auf das vorteilhafteste hervorhob. Er stand über die schöne, schwarzhaarige Dame gebeugt, in deren Gesellschaft sie ihn früher gesehen hatten, und half ihr » frutti di mare« sammeln: Muscheln und Schnecken und andre Seetiere einheimsen, die in den Felsspalten verborgen sitzen. Sie trug ein weißes, wollenes, dunkelrot verbrämtes Gewand und einen großen Schutzhut mit dunkelroter Schleife. Hals, Arme und Beine waren nackt; die Figur, vom Korsett befreit, zeichnete unter der Bluse deutlich ihre reichlich üppigen Formen ab, und sie kam ihm so nahe, wenn sie sprach, und sah ihm mit ihrem strahlenden Lächeln und ihrem zärtlichen Blick so gerade in die Augen, daß Alie errötete, wenn sie die beiden betrachtete, und sich beeilte, in das Badehaus zu kommen.

Es war das erste Mal, daß sie Herren und Damen gemeinsam baden sah, und sie fand es anstößig. Und als sie nun ihr eignes, in Genua gekauftes Badekostüm anlegte und sich selber gleich den andern gekleidet erblickte, da ergriff sie eine solche Scham, daß sie am liebsten das ganze Bad aufgegeben haben würde. Aber die jungen Engländerinnen machten so viel Wesens von ihrer Verlegenheit, daß Alie anfing, es lächerlich und affektiert zu finden, weshalb sie schnell einen Entschluß faßte, die Thür aufstieß und vor den andern hinaussprang. Florence und Harriet folgten ihr nun, aber zusammengekrochen, mit kleinen, trippelnden Schritten und Gebärden, die an die allzu bewußt verschämte mediceische Venus erinnerten.

Hinter ihnen drein kam Aagot, sicher, natürlich überzeugt, daß sie sich gut ausnahm mit ihrer milchweißen Haut, ihrer hohen, schlanken Figur und korrekten Haltung, ohne zu ahnen, daß ihre ganze Erscheinung des Reliefs der Modetracht bedurfte, um zur Geltung zu gelangen, weil ihre Figur eine gewisse Trockenheit der Linien, einen Mangel an Harmonie in den Formen hatte. Sie stieg langsam, sich ruhig umblickend, auf einen rings von tiefem Wasser umgebenen Stein, sprang hinab und schwamm hinaus, von ihren beiden englischen Freundinnen gefolgt.

Alie, die nicht schwimmen konnte, mußte sich ganz nahe am Ufer halten. Als sie aber einmal ins Wasser gekommen war, vergaß sie alle Scheu und blickte mit Staunen und Entzücken in die ätherklare Tiefe hinab. Erst jetzt gingen ihr die Augen auf, wie wunderbar metallisch blau dies Wasser war. Und wie liebkosend weich und zärtlich und dabei doch kühlig umfing es sie!

Alies Schönheit war von ganz entgegengesetzter Art wie die Aagots, und sie nahm sich am besten aus, je weniger bekleidet sie war. Das Feine, Weiche, Duftige an ihrer Figur wurde durch eine moderne Toilette gleichsam zu Boden gedrückt. Die Launen des Modejournals erschienen platt und unedel auf dieser fein gemeißelten Gestalt, und der kleine, originelle Kopf machte gewissermaßen Anspruch, sich auf eigne Weise zur Geltung zu bringen. Deshalb war sie in ihrem elastischen Tricotanzuge, mit dem freien, edelgeformten Hals, den zarten Hand- und Fußgelenken, der weichen Anmut, die über ihre ganze Figur ausgegossen lag, mit der leicht ins Bräunliche gehenden, warmen Hautfarbe, so auffallend hübsch, daß sie Marquis Serras Blick sofort fesselte, als sie ins Wasser sprang und mit den Armen plätscherte, kleine, ungeschickte Schwimmversuche machend.

» Caspita!« rief er dem Marquis Gropallo zu. »Diese Schwedinnen! – Ihr redet so viel von der andern, – aber sie ist nichts gegen diese hier.«

Kurzsichtig, wie sie war, und in diesem Augenblick völlig gleichgültig gegen ihre Umgebung, bemerkte Alie die Aufmerksamkeit nicht, die sie erregte, sondern gab sich völlig den Freuden des Bades hin. Sie stellte sich aufrecht auf eine kleine Sandfläche, die sie zwischen den Klippen gefunden hatte, wo das Wasser ihr sehr flach zu sein schien, dann warf sie sich, beide Arme über dem Kopfe haltend, hinten über, um sich treiben zu lassen, als sie aber fühlte, daß ihr das Wasser bis über die Stirn stieg, wurde sie ängstlich und stieß einen schwachen Schrei aus. Im selben Augenblick fühlte sie sich von einem männlichen Arm um die Taille gefaßt, und eine einschmeichelnde Stimme sagte auf französisch:

»Fürchten Sie sich nicht, ich halte Sie!«

Aber sie war noch ganz verwirrt von der ausgestandenen Angst, sie hielt die Augen geschlossen und lehnte den Kopf gegen den Arm, der sie stützte.

»Schauen Sie auf,« erklang es lachend. »Was fehlt Ihnen nur? Es ist hier ja nicht einmal so tief, daß man eine junge Katze ersäufen könnte.«

»Ich sank,« sagte sie auf italienisch, verlegen und mit einem entschuldigenden Lächeln, das Haar zurückstreichend, das unter der Badekappe hervorgekrochen war und ihr in einer großen, nassen Locke in die Stirn fiel. »Ich kann nicht schwimmen, ich machte nur den Versuch, mich treiben zu lassen, aber mir wurde bange, als ich sah, wie tief es hier war.«

»Aber wie wollen Sie es denn anfangen, sich treiben zu lassen, wenn das Wasser nicht tief genug ist, um Sie tragen zu können? Gestatten Sie mir, Sie ein paar Schritte weiter hinauszuführen, da werden Sie sehen, daß es besser geht.«

Er reichte ihr die Hand, indem er seinen Blick langsam, beinahe liebkosend an ihrer ganzen Figur herabgleiten ließ, den Linien derselben im Wasser folgend.

Sie zog ihre Hand zurück.

»Haben Sie Dank,« sagte sie, »aber ich will mich lieber ein wenig üben.«

»Auf diese Weise werden Sie das Schwimmen niemals erlernen. Wenn Sie mir erlauben wollen, – aber vor allen Dingen muß ich mich wohl vorstellen, – Marquis Serra; gestatten Sie mir, Ihnen ein wenig Anleitung zu geben, da werden Sie sehen, wie schnell Sie die Kunst erlernen, und welch großes Vergnügen Ihnen das Bad gewähren wird.«

»Ich danke Ihnen – aber ich habe keine Anlage für dergleichen – und ich glaube, daß es zu spät ist, damit anzufangen, wenn man es nicht in der Kindheit erlernt hat.«

Er wiederholte sein Anerbieten nicht, wußte sich ihr dagegen während des Bades ganz allmählich nützlich zu machen, indem er ihr niemals seine Hilfe anbot, jedoch stets bei der Hand war, wenn sie einer Handreichung bedurfte, und auf diese Weise ward er in der That ihr Schwimmlehrer, ohne daß sie jemals ihre Einwilligung dazu gegeben hatte. Ihre Scheu, seine Hilfe anzunehmen, verlor sich mehr und mehr, als sie die Vertraulichkeit zwischen den beiden Geschlechtern sah, die das Bad veranlaßte und die rings um sie her so allgemein, so ungesucht und natürlich war, daß es affektiert geschienen hätte, wenn sie sich ihr hätte entziehen wollen. So gestattete sie ihm denn eines Tages, sie weiter hinaus zu führen als gewöhnlich und seine Hand unter ihren Nacken zu halten, indem sie die richtige Stellung einnahm, um sich, auf dem Rücken liegend, treiben zu lassen.

Sie stellte jedoch zur Bedingung, daß er sie nicht weiter hinausführe, als bis an eine kleine Felsklippe, die gerade vor ihnen über dem Wasser emporragte. Sie schloß die Augen und ließ sich ruhig treiben. Als sie aber aufblickte, entdeckte sie, daß sie eine ganze Strecke an der Klippe vorbeigeschwommen waren. Eine plötzliche Angst ergriff sie, sie schlang die Arme um seinen Hals, so daß er beinahe das Gleichgewicht verloren hätte. Erzürnt über seinen Verrat wie darüber, daß sie die Fassung verloren hatte, wollte sie in den folgenden Tagen nicht mit ihm schwimmen.

Indessen war in seinem Wesen ein gewisses Etwas, das sie verwirrte; etwas gewinnend Weiches, etwas von jener feinen, halb schwärmerischen, halb sinnlichen Galanterie, die so oft das Benehmen der Italiener den Damen gegenüber auszeichnet, und zu gleicher Zeit eine gewisse spottende Ueberlegenheit, als lache er im stillen über ihre Anstrengungen, ihn zurückzuhalten, fest überzeugt, daß er sie gewinnen könne, sobald er es nur wolle. Wenn sie zu ihm gesagt hatte, daß sie nicht mehr mit ihm schwimmen wolle, konnte er sich zuweilen mehrere Tage lang entfernt halten, bis sie mit instinktmäßiger weiblicher Koketterie anfing, sich nach ihm umzusehen, und ihn wieder zu sich zu ziehen suchte. Und wenn er dann kam, so geschah es stets mit einem Lächeln, als wollte er sagen:

»Ich wußte es ja, daß ich mich nur ruhig zu verhalten und abzuwarten brauchte!«

Sie war sich selbst nicht klar darüber, ob sie ihn mochte oder nicht. Sie glaubte im Grunde, daß er ihr nicht gefiele, und dennoch beschäftigte er fast ausschließlich ihre Phantasie.

Aagot, die ihrer Gesundheit wegen nicht so regelmäßig badete wie die andern, obwohl sie jetzt vollständig gesund war, lag oft unter ihrem großen Sonnenschirm zwischen den Klippen und folgte mit ihren klaren, aufmerksamen Augen Alies und Serras Schwimmübungen. Sie bemerkte in Alies Wesen dem Marquis gegenüber etwas Gekünsteltes, Unsicheres, etwas bald übertrieben Abweisendes, bald zu Munteres, Ausgelassenes, und dann wieder ein Insichgekehrtsein, eine scheue Unbeweglichkeit, als befinde sie sich unter einem Zauberbann. Aagot fühlte sich eigentümlich beunruhigt durch die erotische Atmosphäre, welche sie umgab. Denn da war kaum eine einzige der badenden Damen, die nicht ihren aufwartenden Kavalier hatte; nur sie selber hatte keinen, obwohl sie wußte, daß man sie schön fand. Ihre Haltung war aber so ausgesprochen die der sittsamen Gattin, und sie sprach so viel von ihrem Mann, dessen Ankunft sie nun bald erwarte, daß niemand sich erkühnte, ihr direkt die Cour zu machen.

Serra war jedoch nicht so ausschließlich Alies Kavalier, daß er nicht auch für die andern Damen zärtliche Blicke und einen einschmeichelnden Tonfall der Stimme gehabt hätte, und die Bewunderung, die er auch Aagot zollte, verfehlte nicht, ihre Wirkung auf sie auszuüben. Man hatte ihr im Grunde niemals den Hof gemacht; sie hatte sich, sobald sie ins Leben hinausgekommen war, verlobt, und später hatte sie sich stets nur an der Seite ihres Gatten gezeigt. Jetzt meinte sie, ohne Gefahr diese Galanterie annehmen zu können, weil diese, wie sie sich selber sagte, nicht ihr persönlich galt, sondern nur eine Form war, welche die Italiener allen Damen gegenüber beobachteten. Sie hielt sich selbst für sehr klug und kritisch und bedauerte Alie, die offenbar verblendet war und sich mehr zueignete, als ihr zukam.

Und dann war ja auch die schöne Beatrice da, von der man sagte, daß sie seine zukünftige Gattin sei. Sie hielt sich mit ihrer Mutter, der Marquise von Rivalta, in Nervi auf und sollte eine brillante Partie sein.

Auch ihr widmete Serra seine Aufmerksamkeit, aber die Verliebtheit schien mehr von ihr als von ihm auszugehen. Ihre großen, schmelzenden, schwarzen Augen folgten ihm überall, ihre perlenweißen Zähne lächelten ihm entgegen, und sie kokettierte mit ihm auf eine Weise, welche die andre verletzte.

»Wie ein Mädchen in dem Grade ihre Würde vergessen kann, verstehe ich wirklich nicht,« sagte Alie. »Daß sie nicht sehen kann, daß er sie gerade deswegen verachtet!«

»Faß du dich nur an deine eigne Nase,« erwiderte Aagot.

»Ich! – Nun, ich werde es schon verstehen, ihn in den Grenzen zu halten, darüber kannst du dich völlig beruhigen.«

Nach Ablauf von vierzehn Tagen konnte Alie schwimmen, aber sie besaß noch nicht genügend Sicherheit, um sich weiter hinaus zu wagen, deshalb hielt sie sich stets in der Nähe des Ufers. Serra hatte mehrmals versucht, sie zu überreden, von der Klippe herabzuspringen, wo es sehr tief war, konnte sie jedoch nicht dazu bewegen. Er beschloß deswegen noch einmal, seine Zuflucht zu einer List zu nehmen, um sie diese Furcht überwinden zu lehren; deswegen überredete er sie eines Tages, mit ihm nach einer Grotte zu schwimmen, die seiner Aussage nach sehr schön war, sich aber nur von der Seeseite aus erreichen ließ. Diese Grotte lag dicht hinter einer sich ins Meer erstreckenden Felsspitze, an der sich Alie niemals vorbeigewagt hatte. Er versicherte sie aber, daß es dort nicht tief sei. Es ging auch alles gut, bis sie an die Felsspitze gelangten, dann aber ergriff sie plötzlich das Bewußtsein, daß sie keinen festen Grund unter den Füßen hatte, und überwältigt von der blinden Angst, die sich bei diesem Gedanken oft des unerfahrenen Schwimmers bemächtigt und ihn rettungslos in die Tiefe zieht, stieß sie einen verzweifelten Schrei aus und sank. Er hatte gerade noch Zeit, ihre Kleidung zu fassen, dann legte er einen Arm um ihre Taille und führte die halb Bewußtlose zu der Grotte. Sie waren beide sehr bleich, als sie einander hier gegenüberstanden, und ein Fieberschauer erfaßte sie in der feuchten Kühle der Grotte.

»Man kann sich doch auch niemals auf Sie verlassen,« rief sie, ganz empört über seinen Betrug, aus.

»Im Gegenteil, man kann sich ganz und gar auf mich verlassen,« erwiderte er lachend und seine Ruhe wieder gewinnend. »Fühlten Sie etwa nicht, daß mein Arm sicher war? Seien Sie ohne Sorge, ich lasse Sie nicht ertrinken.«

»Wie gelangen wir nun aber zurück? Sie müssen mir ein Boot holen. Ich begebe mich nicht noch einmal mit Ihnen in diese Tiefe.«

»Ein Boot? Das findet sich nicht in der Nähe. Bis ich es herbeischaffte, würden Sie sich in dieser feuchten Höhle den Tod holen. Fassen Sie nur einen schnellen Entschluß! Es giebt keinen andern Ausweg, als aufs neue ins Wasser zu springen. Fürchten Sie sich nicht; ich stehe dafür ein, daß alles gut abläuft.«

Er streckte den Arm aus, um sie um die Taille zu fassen und mit ihr ins Meer zu springen, aber sie zog sich gewaltsam zurück.

»Sie sind ja nicht bei Sinn und Verstand, – wir ertrinken alle beide. Ich verliere das Bewußtsein und ziehe Sie mit mir in die Tiefe hinab.«

»Freilich bin ich nicht bei Sinn und Verstand, aber was macht das? Ich bin nun einmal so, – entweder muß man alles mit mir wagen oder auch ... Hohes Spiel, ein wenig Mut, per dio! Welchen Wert hätte das Leben sonst wohl!«

Er hatte trotz ihres Widerstandes den Arm um sie geschlungen und sah ihr in die Augen.

»Vertrauen Sie sich mir nur ganz ruhig an, ich stehe Ihnen für Ihr Leben und für das meine ein,« sagte er, und seine Stimme sank zu einem leisen, bebenden Flüstern.

Es war dies einer jener Augenblicke, wo eine verborgene, beiden unbewußte Leidenschaft plötzlich, unwiderstehlich wie ein Fieberwahn zwei Geschöpfe ergreifen kann, und wo die leiseste Berührung eine Liebkosung, der Blick ein Besitzergreifen, ein widerstandsloses Hingeben wird, wo die Worte verstummen oder leer und inhaltslos ersterben, wo die ganze Außenwelt, Vergangenheit, Zukunft, alles vor dem atemlosen Rausch der Gegenwart schwindet.

Alie erwachte erst aus diesem Taumel, als sie seine Lippen an ihrem Halse fühlte, als seine beiden Arme sie umschlossen hielten. Im nächsten Augenblick hatte er sie in die Höhe gehoben und sie auf den äußersten Stein getragen, dann stürzte er sich mit ihr in die Tiefe hinab. Sie stieß einen leisen Schrei aus, als sie aber den Kopf wieder über Wasser bekam, schwamm sie allein vorwärts, um die Klippe herum, dem Ufer zu, anfangs mit kleinen, atemlosen Stößen, als er ihr aber zurief: »Langsam! Lange Bewegungen!« da verminderte sie allmählich ihre Geschwindigkeit, und als sie sich dem Ufer näherte, schoß sie mit langen, sicheren, gleichmäßigen Stößen dahin wie eine geübte Schwimmerin.

»Welche Fortschritte du gemacht hast, Alie!« rief ihr Aagot zu, die sie am Strande erwartet hatte.

Als sie aber aus dem Wasser kam, war sie sehr bleich und zitterte heftig am ganzen Körper; sie lief schnell in das Badehans hinein und kleidete sich an.

Serra erwartete sie.

»Nun,« sagte er, als sie kam, »das war eine verwegene Tour. Aber sie gelang, und nun können Sie sich bei mir dafür bedanken, daß Sie schwimmen gelernt haben!«

»Aber auf die Weise will ich es nicht lernen,« rief sie aus, und ihre Stimme bebte vor Erregung. »Ich bin kein Kind, das man mit Gewalt ... Sie haben mir so bange gemacht, daß ich nie wieder in die See hinabspringen werde.«

Und sie brach in Thränen aus.

Aagot führte sie liebevoll nach Hause. »Du hast dich überangestrengt,« sagte sie mütterlich. »Komm jetzt und ruhe dich aus.«

Am Nachmittag erschien Serra im Hotel und fragte nach ihrem Befinden.

»Es ist völlig überstanden,« sagte Aagot. »Sie sitzt auf der kleinen Terrasse und liest ihren Dante.«

»Darf ich hinausgehen und sie begrüßen?« fragte er. »Ich möchte gern meine Entschuldigung wegen heute morgen sagen.«

»Freilich dürfen Sie das,« erwiderte Aagot und zeigte auf die Terrasse, wo Alie saß. Der Marquis stutzte ein wenig, daß Aagot ihn nicht begleitete, sondern sie allein ließ, wie er sich häufig über die Freiheit gewundert hatte, mit der Alie überall allein umherging, und die in so grellem Widerspruch zu den Sitten seines Landes stand, in welchem die Damen stets in Begleitung oder unter Aufsicht erschienen.

Sie hatte eine große Ausgabe der Divina Commedia mit erklärenden Noten auf dem Schoß, aber sie las nicht, sondern träumte, die Füße auf einem Schemel, die Ellbogen auf die Kniee gestützt, die Stirn in den Händen bergend.

Sie war noch in nervöser Aufregung infolge der Scene in der Grotte; alles an ihr bebte. Was hatte das Vorgefallene nur zu bedeuten? Welch ein Wahn hatte sie ergriffen? Sie liebte ihn nicht – nein, jedenfalls war das keine Liebe, so wie sie sich dieselbe stets vorgestellt hatte. In ihrer Phantasie war die Liebe vor allen Dingen eine Geistesverwandtschaft gewesen, ein tiefes gegenseitiges Verständnis, eine Bewunderung für etwas Ueberlegenes. Diese Liebe mußte etwas Großes sein, sie mußte die ganze Persönlichkeit durchdringen, gleichzeitig die Ansprüche des Kopfes, des Herzens und des Charakters erfüllen. Sie hatte bereits seit langer Zeit die Hoffnung aufgegeben, der Liebe in einer ihren Erwartungen entsprechenden Form zu begegnen. Und hier hatte sie sich plötzlich ganz unüberlegt auf diese Weise von einem Fremden berauschen lassen, den sie kaum kannte, mit dem sie noch kein ernstes Wort gesprochen hatte, von dem sie nicht einmal wußte, ob er sie liebte oder ob das nur ein kühner Versuch gewesen war, weil er sie für eine leichte Beute ansah. Ach, dieser Gedanke brachte sie völlig außer sich!

Sie sprang empor und begann auf und nieder zu gehen. Was sollte sie nur thun, um ihm zu zeigen, daß er sich in ihr geirrt hatte? Im selben Augenblick hörte sie ihn kommen, sie erkannte sofort den leichten, schnellen Gang; so pflegte er sich stets zu nähern, schnell, gleichsam laufend, mit einem eignen Siegesbewußtsein, und sie wandte sich mit flammend roten Wangen, mit bebenden Lippen und einem drohenden, warnenden Ausdruck nach ihm um.

»Sie zürnen noch immer?« fragte er halb spottend, halb zärtlich.

»Ja.«

»Aber worüber? Es würde mich sehr interessieren, das zu erfahren.«

Sie stand an die Balustrade gelehnt da und schaute über das Meer hinaus. Er beugte sich leicht über sie und fragte:

»Wegen des einen oder wegen des andern?«

»Um beider Teile willen,« erwiderte sie, immer mit abgewandtem Antlitz, die Ellbogen auf die Mauer gestützt, die Augen auf das Meer hinaus gerichtet. »Weil Sie so – mit Gewalt –«

»Ich hätte also erst um Erlaubnis bitten sollen! Ich hätte sagen sollen: ›Gestatten Sie, Signorina, daß ich Ihnen einen Kuß gebe?‹ Als ob man auf diese Weise jemals etwas bei den Frauen erreichte! Sie hätten natürlich nein gesagt. Das thun die Frauen stets, instinktmäßig, und wenn ich dann sittsam meiner Wege gegangen wäre, würden Sie mich ausgelacht und mich verachtet haben. Die Frau wünscht und verlangt es, daß man sie erörtert, das liegt in ihrer Natur. Oder haben Sie darin in Schweden etwa eine Veränderung eingeführt? Man hat dort ja so viel für die Frauenemanzipation gethan!«

Ihre Hand spielte nervös mit einem kleinen Zweig, der sich um die Mauer schlang, und den sie um den Finger wickelte, indem sie mit dem Daumen und dem Zeigefinger die jungen Schößlinge abbrach.

»Ich glaube, Sie irren sich,« sagte sie. »Selbst wenn uns auch ein zufälliger ...« sie suchte nach einem andern Wort, fand aber kein entsprechendes dafür und fuhr deswegen mit sehr leiser Stimme fort: »Selbst wenn uns auch ein zufälliger Rausch ergreifen sollte, so beweist das nichts; eine wirklich voll entwickelte Frau ergiebt sich nicht leicht und nicht ohne harten Kampf, aber ist sie sich erst einmal klar darüber geworden, daß sie will, so braucht sie nicht, wie Sie es meinen, erobert zu werden, dann giebt sie sich freiwillig, unaufgefordert hin. Und ich finde, es würde weit edler von einem Mann sein, das abzuwarten – statt so –«

Er lachte ihr gerade ins Gesicht, aber auf so liebenswürdige, zärtliche, heitere Weise, daß sie sich nicht beleidigt fühlen konnte.

»Es ist also eine Verabredung,« sagte er. »Ich warte, bis Sie eines Tages zu mir kommen und sagen: ›Nimm mich! Ich bin dein!‹ Und bis dahin keine Annäherung, keinen Händedruck! Ist das nach Ihrem Sinn?«

Sie konnte ein Lächeln nicht unterdrücken, als sie »Ja« antwortete.

»Wohlan,« sagte er, wandte sich um und nahm die Divina Commedia auf, die zur Erde gefallen war.

»Verstehen Sie wirklich genügend italienisch, um Dante lesen zu können?« fragte er, als sei nichts vorgefallen.

Ihre Selbstbeherrschung konnte sich mit der seinen nicht messen, dieser Uebergang war zu plötzlich, und sie konnte nicht sofort antworten, sondern blieb, über die Balustrade gelehnt, stehen.

»Soll ich Ihnen ein wenig vorlesen?«

»Ja, wenn Sie mögen!«

Sie kehrte zu der Bank zurück und that sich Gewalt an, um ihre Gedanken in eine andre Richtung zu zwingen.

»Ich kann den Dante noch nicht so recht als Poeten genießen,« sagte sie. »Ich lese ihn mehr als Studium mit Anmerkungen.«

»Nein, allein können Sie ihn nicht lesen, das ist unmöglich. Aber Sie sollen sehen, wenn ich Ihnen vorlese, verstehen Sie ihn weit besser. Ich nehme den berühmten Gesang von Francesca da Rimini. Haben Sie den gelesen?«

»Nein, so weit bin ich noch nicht gekommen!«

»Dann hören Sie. Francesca spricht. Sie kennen ihre Geschichte?«

»Ja, so einigermaßen.«

»Also: Dante sieht sie und ihren Liebhaber sich in der Luft inmitten derjenigen nähern, die verurteilt sind, in einem ewigen Sturm zu schweben.«

»Für welches Verbrechen werden sie so gestraft?«

»Auch Dante fragte danach. Und er erfuhr, daß zu solcher Pein alle Sünder verdammt sind, deren Vernunft der Fleischeslust unterlag.

»Eigentlich ist ihnen doch die mildeste Strafe von allen, die in die Hölle verdammt sind, zuerteilt. Dante hatte wohl seine Gründe, weshalb er nicht so strenge gegen sie zu sein wagte. Also, Francesca nähert sich auf Dantes Rufen und redet ihn folgendermaßen an:

›O animal graciosa e benigno
Che visitando vai per l'aer perso.‹

Verstehen Sie das?«

»Nicht so recht.«

Alie war in der That so zerstreut, daß sie nicht ein einziges Wort aufgefaßt hatte.

»Sie können nichts verstehen, wenn Sie nicht mit in das Buch hineinsehen,« sagte er und näherte sich ihr. Mit einer Handbewegung erbat er sich ihre Zustimmung und setzte sich neben sie auf die Bank, indem er sie die halbe Last des schweren Buches tragen ließ. Sie zwang sich, aufmerksam zu sein, während er nun Zeile für Zeile die berühmten Strophen erklärte, die in Italien in dem Grad jedermanns Eigentum sind und so häufig bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit citiert werden, daß sie beinahe banal geworden sind. Auf den aber, der sie zum ersten, zum zweiten oder zum dritten Male liest, üben sie stets denselben milden, wehmütigen Zauber aus.

»Wir beide lasen von dem Liebesbangen
Des Lanzelot einmal zum Zeitvertreib;
Wir waren ganz allein und unbefangen.«

Er war näher an sie herangerückt, während er las, und seine Hand hatte, gleichsam unbewußt, als sei es eine zu dem Vorlesen gehörige Bewegung, die ihre ergriffen. Er fuhr fort, indem er die Stimme ein wenig senkte:

»Wir lasen, wie er schwelgte an dem Munde,
Der ihm verlangend lächelte Gewähr,
Und er, der von mir wich zu keiner Stunde,
Erbebend küßte meinen Mund auch er.
Ein Kuppler war das Buch und der's geschrieben.«

Jetzt schlang er seinen Arm um ihre Taille, machte eine kleine Pause und sah sie an. Ihre Wangen glühten, und er fühlte das Pochen ihres Herzens. Er sagte die letzten Worte von Francescas Erzählung langsam und bedeutungsvoll:

»An jenem Tage lasen wir nicht mehr.«

Dann schlug er das Buch zu, und ihr tief in die Augen schauend, fragte er lächelnd:

»Was meinen Sie wohl, weshalb lasen sie an jenem Tag nicht weiter?«

Seine Stimme erstarb bei dem letzten Wort, und ihre Lippen begegneten sich unwiderstehlich.

»Sehen Sie,« rief er aus, indem er aufsprang, »stolzes Mädchen?«

Sie konnte nicht länger ihrem Wunsche widerstehen, ihm eine Art Erklärung abzuzwingen.

»Sie lieben mich nicht,« sagte sie.

Er antwortete schelmisch, aber doch mit zärtlichem Tonfall:

»Ebensosehr, wie Sie mich lieben.«

Das frappierte sie. Er hatte recht. Das war noch keine echte Liebe, weder von ihrer noch von seiner Seite. Aber was war es denn? Dann mußte es doch um jeden Preis ein Ende haben. Wie konnte sie nur so verächtlich schwach sein? Aber dies sollte das letzte Mal gewesen sein. Auf welch einer gefährlichen Bahn befand sie sich doch! – Hastig, in heftiger Gemütsbewegung verließ sie ihn.

*

Am nächsten Tag, als er an den Strand kam, fragte er sie, ob sie noch einmal mit ihm hinunterspringen wolle. »Natürlich freiwillig. Ich will Sie in keiner Weise zwingen. Aber vielleicht wollen Sie lieber allein hinabspringen? Das ist auch vielleicht das beste.«

»Ja, ich springe am liebsten allein. Es ist stets am besten, wenn man sich nur auf sich selber verläßt.«

Sie stieg auf einen Stein, von dem die andern hinabzuspringen pflegten; als sie aber in die Tiefe hinabschaute, überkam die Angst sie aufs neue. Das Herz schlug ihr bis an den Hals, und sie blieb stehen, ohne einen Entschluß fassen zu können. Serra beobachtete sie lächelnd aus der Entfernung.

Sie wünschte, daß er seine Hilfe nochmals anbieten möge, und suchte ihn unbewußt mit einem flüchtigen Blick. Er kam sofort.

»Wollen Sie?« fragte er.

Sie reichte ihm die Hand, er legte seinen Arm um sie, und sie sprangen hinab.

Dies wiederholte sich nun täglich und wurde stets der Vorwand zu einer kurzen Umarmung. Alie hatte jedesmal ein schauderndes Gefühl und schwamm niemals weit, ehe sie umkehrte. Aber sie unterzog sich dieser kurzen Unannehmlichkeit, um den Genuß dieser Umarmung in freier Luft, im Sonnenschein, vor aller Blicken zu haben, einer Umarmung, die in den Augen der andern, die sie sahen, wie auch vor ihrem eignen grübelnden Bewußtsein nichts bedeutete, die aber doch einen gewissen geheimnisvollen Rausch mit sich führte.

Aber sie gab doch immer acht auf sich selbst, damit sie sich nicht hinreißen ließ, und sie fuhr unablässig fort, ihn zu studieren, mißtrauisch ihre eignen Gefühle wie auch die seinen bewachend. Und sobald sie allein war, durchlebte sie in Gedanken alles wieder, was zwischen ihnen vorgefallen war, wiederholte in der Erinnerung jedes seiner Worte, jeden Tonfall, darüber grübelnd, lauschend, ob der Klang auch echt sei.

Eines Tages hatte er ihr und den jungen Engländerinnen einige Gedichte von Leopardi vorgelesen und, wie stets beim Lesen, so viel persönliches Gefühl hineingelegt, daß die Worte des Dichters als unmittelbarer Ausdruck seiner eignen Stimmung erschienen. Florence, die Anlage zur Sentimentalität hatte, wurde von dem weichen, gefühlvollen Vortrag ergriffen, und ohne viel von dem Inhalt verstanden zu haben, rief sie aus:

»Wie schön das ist! Und welch Mitgefühl ich mit dem armen, unglücklichen Dichter habe! Ich wollte, ich hätte ihn gekannt.«

»Würden Sie ihn dann getröstet haben?« fragte er mit seinem etwas zweideutigen Lächeln. »Sie wissen doch, daß er so häßlich war, daß ihn keine Frau jemals liebte. Das war ihm ein großer Kummer; er war naiv genug, nicht zu begreifen, daß es im Grunde nur ein Glück für ihn war.«

»Weswegen sollte es ein Glück für ihn sein?«

»Weil es ihm dadurch möglich wurde, seine Illusionen zu bewahren, jene Illusionen, die wir andern verlieren, ehe wir zwanzig Jahre alt sind. Er glaubte beständig, daß die Liebe etwas Mystisches, Seliges, Ueberirdisches sei.«

Alie sah ihn aufmerksam an.

»Glauben Sie das etwa nicht?« fragte Florence.

»Was soll ich glauben?«

»Daß die Liebe – daß es etwas Großes – Mystisches ist –«

»Ja mystisch, solange man es nicht ausprobiert hat.«

»Wer kann aus Ihnen klug werden!« rief Florence. »Zuweilen sprechen Sie gefühlvoll, poetisch, wie Leopardi selbst, und dann wieder können Sie so verletzend höhnisch sein –«

»Ist denn das so sonderbar? Haben Sie etwa jemals einen Menschen gekannt, der einen ganzen Charakter besaß? Haben wir nicht alle nur Bruchstücke und Splitter von Charakteren? Und wissen Sie denn nicht, woher das kommt?«

»Nein, das weiß ich wirklich nicht.«

»Sie glauben vielleicht, daß nur der gute Gott die Menschen nach seinem Bilde erschaffen hat. Wissen Sie denn nicht, daß es von Anfang an zwei Geschlechter auf der Welt gab: die Kinder Gottes und die Kinder des Teufels, die weißen und die schwarzen? Und da diese sich später unaufhörlich miteinander verheiratet haben, so ist eine solche Rassenmischung entstanden, daß man jetzt nicht einen einzigen Menschen mehr treffen kann, der nicht ein kleines Erbe von beiden Seiten hat. Einige haben mehr von der schwarzen, andre mehr von der weißen Rasse in sich.«

»Und welches Erbe ist hauptsächlich auf Sie übergegangen?«

»Das schwarze, natürlich. Und darauf bin ich stolz. Die schwarze Rasse hat stets am meisten Widerstandsfähigkeit besessen. Denn um hier auf Erden glücklich leben zu können, muß man ganz einfach mit einer tüchtigen Portion Gleichgültigkeit und Egoismus ausgerüstet sein. Habe ich nicht recht, Signorina Alie?«

»Nein, das will ich nicht behaupten. Meine Ansichten sind völlig entgegengesetzter Art.«

»Das waren die meinigen auch, als ich zwanzig Jahre alt war. Lieben, sich mit ganzer Seele hingeben, sich aufopfern, – wenn es darauf ankam, sogar sein Leben in die Schanze schlagen –«

»Wirklich?« sagte Alie mit einem lebhaft interessierten Blick. »Sind Sie jemals so gewesen? Erzählen Sie mir doch davon!«

»Ja, wenn Sie ein paarmal mit mir auf und nieder gehen wollen.« – Sie gingen langsam die Terrasse entlang, indem sie sich genügend von den andern entfernten, um nicht gehört zu werden.

»Wollen Sie von meiner ersten Liebe hören? Ja, ich zählte damals zwanzig Jahre, und sie hatte die dreißig bereits überschritten; natürlich verführte sie mich und nicht ich sie; aber ich betete sie an, sie konnte mit mir machen, was sie wollte; sie hätte mich schlagen können, und ich würde ihre Hand geküßt haben, sie hätte mir ihren Fuß auf den Nacken setzen und mich treten können, ich würde mich nicht gewehrt haben, kurz, es war eine jener wahnsinnigen Verliebtheiten, die einen fast um Sinn und Verstand bringen.«

»Ich gestehe, daß ich Sie unendlich gern in diesem Stadium gekannt hätte. Ich habe eine kleine Schwäche für alles, was das Wahnsinnige streift.«

»Ja, um die Freude zu genießen, dasselbe mit mir thun zu können, was sie that.«

»Was that sie denn?«

»Sie quälte und hetzte mich armen, unerfahrenen Jüngling von Verzweiflung zur Glückseligkeit, sie stieß mich von sich, machte mich eifersüchtig auf andre, und wenn sie mich dann rasen, vor Wahnsinn und Schmerz weinen sah, zog sie mich wieder mit solchen Liebkosungen zu sich, daß – kurz und gut, sie erhielt eines Tages einen vorteilhaften Heiratsantrag – sie war nämlich Witwe – und dann schrieb sie mir, ich solle schwören, niemals zu verraten, was zwischen uns beiden vorgegangen sei, und ich solle ihr alle ihre Briefe zurücksenden.«

»Und wie faßten Sie die Sache auf?«

»Wie ein Rasender, natürlich. Anfänglich konnte ich nur Ruhe bei dem Gedanken finden, daß ich erst sie und dann mich erschießen wollte. Aber dann hatte ich einen vernünftigeren Einfall. Ich beschloß, an ihrem Geschlecht zu rächen, was sie mir angethan. Und seither wiederholte ich andern Frauen gegenüber alle die zärtlichen Scenen, die sich zwischen ihr und mir abgespielt hatten, nur mit dem Unterschied, daß ich ihr gegenüber wirklich von dem erfüllt gewesen war, was ich sagte, und daß ich keinen Erfolg gehabt hatte. Den andern gegenüber bin ich ganz einfach Komödiant gewesen, und fortan war mir das Glück hold. Denn je gleichgültiger man selbst ist, um so mehr Macht besitzt man über die Frauen.«

»Aber ein guter Spieler läßt nicht andre in seine Karten sehen, so, wie Sie es gethan haben,« rief sie aus. »Ich habe die ganze Zeit darüber nachgedacht, ob Sie eigentlich Komödie spielten oder aufrichtig wären; ich freue mich, daß ich jetzt den Zusammenhang kenne.«

»Und was hat das mit unserm Verhältnis zu schaffen? Sie wissen, daß ich Sie allen Ernstes lieben könnte, wenn Sie nur selbst wollten.«

»Ja, und zu wie vielen haben Sie dieselben Worte schon gesagt?«

»Nein, das pflege ich nicht zu sagen; im Gegenteil, ich habe stets gesagt, daß die Liebe für mich nur ein Spiel ist.«

»Dann begreife ich nicht, daß auch nur eine einzige Frau Sie hat lieben wollen.«

»Und weshalb nicht? Es giebt sogar viele, denen ein solches Spiel gefällt; aber die wirkliche, große, das ganze Leben beeinflussende Liebe, wie viele können die überhaupt empfinden, und wie viele können sie erwecken?«

»Sie glauben also doch an eine solche Liebe?«

»Ja, das ist das einzige auf der ganzen Welt, woran ich glaube. Und wenn ich jemals dieser Liebe begegnete, so wüßte ich, daß sich mein ganzes Leben verändern würde.«

Sie sah ihn fragend an. Nein, das war kein Scherz; in seinem Ton, in seinem Blick lag etwas Echtes, Inniges. Und in ihr erwachte der glühende Wunsch, ihn ganz zu gewinnen, ihn sich so völlig zu eigen zu machen, daß jeder Pulsschlag seines Herzens nur für sie schlüge. Und dann, wenn kein Zweifel mehr möglich wäre, daß sie, und nur sie allein, ihm das zu geben vermöchte, was für ihn das einzige Glück des Lebens war, da würde auch sie sich vielleicht ganz einem Gefühl hingeben können, vor dem sie sich fürchtete und nach dem sie sich sehnte.


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