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Sechstes Kapitel.

Aagot konnte Richard jetzt jeden Tag erwarten. Sie sehnte sich mit einer gewissen Unruhe und Ungeduld nach ihm, die ihr durchaus nicht glich. Der tägliche Anblick der beiden Verliebten, Serras einschmeichelnde Zärtlichkeit und Alies leidenschaftliche Benommenheit hatten in ihr ein Verlangen nach Liebe erweckt, das ihr bis dahin völlig fremd gewesen war.

Endlich traf denn Richard eines Morgens ein, ohne vorher geschrieben zu haben, und überraschte sie. Sie hatten gerade an dem Tage einen Ausflug geplant; Serra hatte sie überredet, mit ihm nach Spezia zu fahren. Er wollte den angekündigten Besuch bei der Marquise nicht unterlassen, vermochte sich aber nicht von Alie zu trennen, selbst wenn es sich nur um einen einzigen Tag handelte. Er versicherte sie, daß er diese Gelegenheit ergreifen wolle, um die Damen verstehen zu lassen, daß er jeden Gedanken an eine Ehe aufgegeben habe, und obwohl Alie es natürlicher gefunden haben würde, wenn er dies dadurch zu verstehen gegeben hätte, daß er sie überhaupt nicht mehr aufsuchte, so ging sie doch ohne Bedenken auf den Vorschlag ein.

Als Richard kam, wollte Aagot natürlich zu Hause bleiben, er aber erklärte, daß er ganz besondere Lust habe, den Ausflug zu machen; es sei ohnehin seine Absicht gewesen, den Hafen von Spezia zu besichtigen. Und so saßen sie denn kaum eine Stunde nach seiner Ankunft auf der Eisenbahn. Er hatte nur gerade Zeit gehabt, sich umzukleiden und zu frühstücken, aber Aagot hatte diese wenigen Minuten des Alleinseins benutzt, um ihm mitzuteilen, wie bekümmert sie Alies wegen sei, wie diese sich bloßstelle, ja sich geradezu lächerlich mache durch das offene Zurschautragen ihrer Verliebtheit in den Marquis, der seinerseits so wenig ernsthafte Absichten habe, daß er gleichzeitig ihr, Aagot, auf eine Weise den Hof mache, daß sie ganz verlegen dabei sei. Hier hielt sie inne in der Erwartung, daß Richard einige eingehendere Fragen über diesen Punkt an sie richten werde. Sie hätte ihn so gern ein wenig eifersüchtig gesehen, aber er schien ganz von dem erfüllt, was er soeben über Alie vernommen hatte. War es wirklich möglich! Konnte Alie so verliebt sein, daß sie jeglichen Takt außer acht ließ? Alie, die kalte, kritische, satirische Alie, konnte sich solchen Bemerkungen aussetzen? Das mußte er denn doch mit eignen Augen sehen, ehe er es glauben konnte.

Während sie in Spezia umherwanderten, war er deswegen ununterbrochen damit beschäftigt, Alie und den Marquis zu beobachten, und da er gleichzeitig die Gelegenheit benutzen wollte, den Ort, den sie besuchten, kennen zu lernen, so blieb ihm nicht viel Zeit für seine Gattin übrig, die ganz gegen ihre Gewohnheit ernsthaft und verstimmt neben ihm herging. Plötzlich verabschiedete er sich von ihr und ließ sich in einem Boot hinausrudern, um einige Kriegsschiffe zu besichtigen, die im Hafen lagen, und Aagot mußte sich darein finden, allein mit Serra und Alie in ein Restaurant zu gehen und ohne Richard mit dem Frühstück zu beginnen. Alle die kleinen Aufmerksamkeiten, die Serra Alie erwies, reizten Aagot heute mehr denn je. Richard dachte doch auch niemals an etwas andres als an das Besehen von Kriegsschiffen!

Als er endlich gegen Ende des Frühstücks kam, fand er Aagot zum erstenmal seit ihrer Verheiratung in schlechter Laune. Sie erklärte, daß sie müde sei, daß sie nicht weiter gehen könne und nicht an dem Ausflug nach dem eigentümlichen, antiken Porto Venerze, das so besonders interessant sein sollte, teilzunehmen gedenke. Man solle sich ihretwegen nicht beeinträchtigen lassen, sie würde sich indes ein wenig im Hotel ausruhen.

Im stillen hoffte sie, daß Richard auf die Fahrt verzichten und bei ihr bleiben werde. Statt dessen machte aber Serra den Vorschlag, den Plan aufzugeben, wenn sie nicht mit dabei sein könne, während Richard hervorhob, wie schade es sein würde, diesen interessanten Ausflug zu unterlassen. Er bat Aagot eindringlich, doch den Versuch zu machen, ihre Müdigkeit zu überwinden und mitzukommen. Aber sie ließ sich nicht überreden. Sie war fest entschlossen, ihren Gatten auf diese Probe zu stellen. Sie waren den ganzen Sommer getrennt gewesen, – wenn er es jetzt vorzog, einige alte, baufällige Häuser zu besichtigen, statt bei ihr zu bleiben, so –

Richard hatte keine Ahnung von dem, was in der sonst so ruhigen Seele seiner Gattin vor sich ging. Er ging hinab, um sich zu erkundigen, wann das kleine Dampfboot abging. Alie und Serra begleiteten Aagot indessen auf ihr Zimmer, wo der letztere ihr einige Kissen auf dem Sofa zurechtlegte und die Jalousien herabließ.

»Jetzt müssen Sie einige Stunden schlafen, damit Sie wieder ganz munter sind, wenn wir zurückkommen,« sagte er mit seiner gewinnenden, weichen Stimme.

Als sie gegangen waren, lag Aagot auf dem Sofa und weinte.

*

Richard war bei seiner Rückkunft ganz erfüllt von dem, was er gesehen hatte, und erzählte Aagot, wie eigentümlich elend, armselig und baufällig dies kleine Nest unter der Felsklippe sei, und in wie grellem Kontrast die Pracht und Herrlichkeit in der Natur zu der Armut stehe, die in diesen dunkeln Gassen herrsche. Er bemerkte nicht einmal den Unwillen und die Kälte, die sie ihm entgegenbrachte, sondern hielt ihre Verstimmung nur für die Folge der Angegriffenheit, von der sie gesprochen hatte.

Serra speiste bei der Marquise Monsoprano, und Alie begab sich gleich nach der Table d'hote in den Garten hinaus, während Aagot und Richard im Lesesalon blieben, wo sie schweigend und zerstreut ihren Kaffee tranken und Zeitungen lasen. Als Serra zurückkehrte und Alie nicht bei ihnen traf, ging er in den Garten hinaus, um sie zu suchen. Er fand sie auf einer niedrigen Mauer unter dem Weinlaubdach der Pergola sitzen; ihr Antlitz war in tiefen Schatten gehüllt, während ein paar helle Mondstrahlen, die hie und da durch das Laub drangen, ein starkes Licht auf ihr Kleid warfen und ihm sofort verrieten, wo sie sich befand.

»Nun,« fragte sie, als er vor ihr stand, »was sagte Beatrice?«

»Die arme Kleine! Sie weinte und machte eine Eifersuchtsscene. Und die Mutter bat mich, ganz offen zu sagen, ob ich jeden Gedanken an eine Ehe aufgegeben habe; in dem Falle wolle sie ihrer Tochter einen andern Mann wählen.«

»Und was erwiderten Sie?«

»Ach, es gelang mir, sie vollkommen zu beruhigen. Es kostete mich freilich ein Opfer!«

»Und welches?«

»Mein stolzes schwedisches Mädchen wird doch nicht gar eifersüchtig?« sagte er, sich neben sie setzend, indem er ihre Hand in die seine nahm und ihren Arm streichelte. »Ich mußte ihnen versprechen, morgen hier zu bleiben und den ganzen Tag bei ihnen zu verbringen.«

Alie machte eine kleine Bewegung, um ihm ihren Arm zu entziehen, aber er hielt ihn fest.

»Nun? Bist du eifersüchtig?«

»Nein, keine Spur!«

»Bewahre,« entgegnete er lachend. »Aber es gefällt dir nicht, es verletzt dich! Es ist ja nur eine Formsache, um den Schein zu wahren!«

»Und was für ein Schein ist es denn, den Sie zu wahren bemüht sind?« fragte sie, Zornesröte auf den Wangen. »Denken Sie daran, sich mit Beatrice zu verheiraten oder nicht? Die einfachste Art und Weise, diesen Schein zu wahren, würde es jedenfalls sein, wenn Sie sich mit ihr verlobten. Weshalb thun Sie das nicht sofort?«

Sie war aufgesprungen und stand jetzt gegen einen der steinernen Pfeiler gelehnt, welche das Weinlaubdach trugen; sie hielt die Hände auf dem Rücken und den Kopf vorübergebeugt, das Gesicht aber aufwärts gewandt, so daß ihre Stellung an die der Märtyrer erinnerte, die man so oft auf den Bildern der alten Meister sieht, und deren Arme an einen Pfahl gebunden sind, während sie den Blick gen Himmel richten. Sie bewegte den geschmeidigen Körper mit einer wiegenden Biegung hin und her und sprach gedämpft, erregt, mit nervöser Stimme:

»Ich will Ihnen jedenfalls nicht mehr im Wege stehen. Ich will Richard bitten, aufzubrechen, am liebsten schon morgen; Sie sollen nicht weiter von der kleinen Schwedin hören, die –«

Sie war so schön in ihrer eigentümlichen Stellung, daß er kaum hörte, was sie sagte, sondern ganz in den Anblick der weichen Linien versunken war; unwillkürlich stahl sich sein Arm um ihre Taille. »Wenn du es wünschst,« sagte er gedämpft, »so sende ich Beatrice sofort einen Absagebrief und reise morgen mit euch zurück.«

Aber der Sinnenrausch, den sie, wie sie fühlen konnte, in diesem Augenblick in ihm weckte, erschien ihr wie eine Beleidigung. Hastig riß sie sich von ihm los und sagte heftig: »Sie geben Versprechungen und nehmen sie zurück wie nichts. Aber ich verlange nicht, daß Sie um meinetwillen treulos gegen eine andre sein sollen. Bleiben Sie nur bei Beatrice!«

»Ist das Ihr Ernst?«

»Es ist mein Ernst. Und nun ist es wohl ebensogut, daß ich Ihnen gleich Lebewohl sage. Wenn Sie nach Nervi zurückkehren, werden wir wahrscheinlich bereits abgereist sein!«

»Alie! Ist das deine Liebe zu mir?« Er faßte sie um die beiden Schultern und zog sie an sich, indem er mit funkelnden Augen und zusammengekniffenen Lippen sein Antlitz über sie beugte. Es war ein so gewaltsamer Uebergang, daß Alie atemlos dastand dieser kochenden Leidenschaft gegenüber, die sie plötzlich in dem sonst so beherrschten Gesicht las.

»Lassen Sie mich los, Sie thun mir weh!« war alles, was sie hervorbringen konnte.

»Um so besser! Ich will dir wehthun! Es würde mir ein wahrer Genuß sein, wenn du dich vor mir im Schmerze wändest und mich um Gnade anflehtest!«

Er stieß sie von sich, so daß sie halb auf die Mauer niedersank, auf der sie soeben gesessen hatte; dann wandte er sich zum Gehen.

Sie aber sprang auf, ergriff seinen Arm und versuchte, ihn zu sich herumzuwenden.

»Ich verstehe dich nicht,« sagte sie.

Er stieß sie abermals von sich und entfernte sich von ihr. Noch einmal eilte sie ihm nach, erfaßte seine beiden Hände und sagte:

»Geh nicht!«

»Liebst du mich?« fragte er sie.

»Ja.«

»Du liebst mich!«

Und in einem Anfall wilder, ausgelassener Freude hob er sie auf seine Arme und trug sie, beinahe laufend, den Kiesweg unter der Pergola entlang.

»Ich verstehe dich nicht!« wiederholte sie, als sie sich wieder nebeneinander hingesetzt hatten.

»Verstehst du nicht, daß deine Liebe mir eine Lebensbedingung geworben ist? Ich spiele damit, ich stelle sie auf alle möglichen Proben, und wenn ich glaube, daß sie nicht Stich hält, so gerate ich außer mir. Ich zweifle an mir selber, du aber darfst nicht zweifeln, denn dann ist alles verloren. Du mußt mich Zoll für Zoll mir selber abringen. Du bist die Stärkere von uns, denn du bist ganz und klar, deswegen sollst du den Mut haben, mich zurückzuhalten, selbst gegen meinen eignen Willen. Hättest du mich jetzt gehen lassen, so wäre ich nie zurückgekehrt; als du aber dann zuletzt das kleine, erlösende Wort: ›Geh nicht!‹ sprachst, da fühlte ich, daß du mich so völlig erobertest, daß ich mich nicht mehr würde losreißen können, selbst wenn ich es gewollt hätte.«

»Und doch, ich weiß nicht, ob ich dir so voll und ganz glauben kann,« sagte sie mit zärtlicher Stimme und lehnte den Kopf gegen seine Schulter – »du bist trotzdem –«

»Was bin ich?«

»Ich weiß nicht, ob ich es sagen darf: du bist ein sehr guter Schauspieler. Trotz aller Erregung vorhin wußtest du doch sehr wohl, was du thatest! Du stießest mich mit einer gewissen Vorsicht von dir, so daß ich in einer ganz bequemen Stellung auf die Mauer zu sitzen kam.«

»Natürlich,« erwiderte er lachend. »So sind wir Italiener: leidenschaftlich und beherrscht, heftig und berechnend auf einmal. Ich liebe dich, weil du diese ungeteilte Stimmung besitzst, die mir abgeht.«

Er zog sie auf sein Knie und preßte sie fest an sich. Im selben Augenblick kam Richard den Kiesgang hinab. Sie sprangen beide auf, aber es war zu spät; er hatte sie gesehen, und er wandte sich so hastig um, als sei er mit der Stirn gegen eine Mauer gerannt und habe sich gestoßen.

Alie fühlte sich verlegen, nach dem Vorgefallenen mit Richard zusammenzutreffen; deshalb ging sie auf ihr Zimmer hinauf. Erst gegen zehn Uhr kam sie wieder in den Salon zurück, wo sie Serra in eine Partie Schach mit Aagot vertieft fand.

Als sie ihm die Hand zur Gutenacht reichte, sagte er: »Wir sehen uns also nicht vor übermorgen. Oder wünschen Sie, daß ich morgen früh an den Zug kommen soll?«

Er hatte sich also doch entschlossen zu bleiben, – gerade jetzt, wo sie glaubte, daß er so ganz und gar der ihre sei!

Sie antwortete in einem eisigen Ton: »Nein, das wünsche ich keineswegs; machen Sie sich meinetwegen keine Umstände.«

»Gut, dann kann ich bis neun Uhr schlafen.«

Am nächsten Morgen bei der Abreise befand sich Alie in großer Spannung. Sie hoffte, daß er doch noch an die Station kommen würde. Aber als der Zug abging, ohne daß er sich zeigte, bereute sie bitter, daß sie am vorhergehenden Abend so abweisend gewesen war. Er hatte sie ja noch kurz vorher so herzlich gebeten, über ihrer Liebe zu wachen und ihm nicht zu erlauben, gegen seinen Willen ihr Glück zu zerstören. Weshalb hatte sie ihm da nicht ganz offen und natürlich geantwortet: »Ich wünsche nicht nur, daß Sie uns an die Station begleiten, sondern auch, daß Sie mit uns nach Nervi zurückkehren.« Statt dessen hatte sie noch einmal durch ihren empfindlichen Stolz alles aufs Spiel gesetzt, hatte ihn zurückgestoßen und es zugegeben, daß er diesen Tag an der Seite jener Beatrice verbrachte, die ihn so heiß liebte, daß sie ihrerseits sicher vor keinem Mittel zurückschrecken würde, um ihn an sich zu fesseln.

Aber, auf der andern Seite, wenn seine Liebe nicht fester war, als daß sie beständig auf dem Posten sein mußte, um sie zu bewahren, hatte sie da eigentlich Wert für sie? War es da nicht besser, sich loszureißen und eine Leidenschaft zu bekämpfen, die sie zu erniedrigen drohte? Ein Gefühl unsagbar bedrückender Leere ergriff sie bei dieser Selbstprüfung. Ja, das würde besser sein, aber welchen Reiz hatte das Leben dann noch für sie?

Alie sah Aagot und Richard an, die ihr im Coupé gegenübersaßen. Sie hatte sehr wohl alles verstanden, was in Aagot vorging; sie wußte, daß sie dort saß und sich nach ein wenig Aufmerksamkeit sehnte, nach einem kleinen Liebesbeweis von seiten ihres Mannes, daß sie sich mit demselben schmerzlichen Verlangen sehnte, das jetzt Alie selbst verzehrte. Aber auch in ihrem Wesen lag dieselbe Zurückhaltung. Es war das alte ewige Warten aus den ersten Schritt, mit dem das weibliche Geschlecht zu allen Zeiten sich selbst und den Mann gequält hat.

Richard empfand ein gewisses instinktives Mißbehagen bei Aagots Kälte, aber er war zu sehr in Anspruch genommen von der Veränderung, die er in Alies ganzem Wesen gefunden hatte, um sonst irgend etwas Aufmerksamkeit zu schenken.

»Wann dürfen wir denn zu deiner Verlobung gratulieren?« fragte er sie plötzlich.

Die Worte durchzuckten Alie; sie antwortete verlegen und ausweichend, daß sie nicht wisse, was er meine.

»Ich glaube, du thust gut daran, wenn du dich uns anvertraust,« fuhr Richard fort. »Du stellst dich sonst nicht nur in den Augen der Welt, sondern auch ihm gegenüber bloß. Du weißt doch, daß ein junges Mädchen in Italien nicht die Bewerbungen eines Mannes heimlich hinnehmen darf, ohne sich den kränkendsten Auslegungen auszusetzen. Das einzige, was der Herr Marquis Serra als Mann von Ehre thun kann, ist, daß er unverzüglich zu mir kommt und deine Hand von mir erbittet. Thut er das nicht, so reisen wir augenblicklich von hier ab.«

»Wer hat dich zu meinem Vormund ernannt?« entgegnete Alie aufbrausend.

»Du bist unter meinem Schutz hierher gekommen, ich habe die Verantwortung für dich. – Es ist am besten, wenn du daran denkst, deine Koffer zu packen, Aagot.«

Aber er hatte einen sehr ungünstigen Augenblick gewählt, um über diese Sache mit Alie zu reden, denn sie war so empfindlich, daß sie bei der mindesten Berührung dieses Punktes in Feuer und Flammen geriet.

»Ihr könnt natürlich thun, was ihr wollt,« sagte sie in herausforderndem Tone, »ich bleibe jedenfalls hier.«

»Du willst hier bleiben – allein in einem italienischen Badeort?«

»Ja, wenn ihr es für passend haltet, mich hier allein zu lassen, wenn euer Verantwortlichkeitsgefühl nicht weitergeht –«

»Siehst du aber denn nicht ein, daß ich die Fortsetzung dieser Courmacherei nicht dulden kann?«

»Was geht das dich an? Ich schulde nur mir selber Verantwortung.«

»Du stürzt dich ins Unglück, Alie!«

»Und wenn ich mich nun ins Unglück stürzen will, habe ich denn nicht das Recht dazu? Was hast du mir zu bieten, da du mir das einzige Glück rauben willst, das ich im Leben kennen gelernt habe? Glaubst du nicht, daß ich es endlich auch einmal satt habe, beständig ein Spielball eurer Launen zu sein, zwischen euch allen hin und her geworfen zu werden, stets zu euern Diensten zu stehen und in die Ecke geschoben zu werden, wenn ihr meiner nicht mehr bedürft?«

»Was in aller Welt meinst du damit?« fragten Aagot und Richard ganz verwundert wie aus einem Munde.

»Hast du mich nicht etwa damals um Aagots willen verlassen? Und selbst deine Mutter – verstieß sie mich nicht aus ihrem Herzen, solange das erste Entzücken über Aagot anhielt? Später, als sie allein blieb, nahm sie mich wieder zu Gnaden an. Und so geht es immer, ich soll stets für alle da sein, sobald man meiner bedarf, aber niemand will etwas für mich sein, denn ich bin niemandem die erste, so recht lieb hat mich niemand. Liebt mich etwa deine Mutter, der ich doch die Tochter zu ersetzen bestrebt bin, wie sie eine Tochter lieben würde? Nein, ich war ihr ja nicht einmal gut genug für ihren Sohn! Und sie würde keinen Augenblick zögern, mich für dich, für deine Kinder oder für Aagot zu opfern, die doch lange nicht so viel für sie ist als ich, nur weil sie deine Gattin ist.«

»Aber, beste Alie, so besinne dich doch! Was soll dies alles nur heißen?«

»Es soll heißen, daß ich noch keine alte Tante bin, die sich damit begnügt, nur für andre zu leben. Weshalb sollte ich nicht zur Abwechslung auch einmal geliebt werden? Weshalb sollte ich nicht jemand treffen, der nur für mich lebt, den ich glücklich machen könnte, und zwar nur ich und sonst niemand auf der Welt.«

Dieser Gefühlsausbruch versetzte Richard in die heftigste Gemütsbewegung; es lag für ihn eine Art Offenbarung darin.

Das also war der Grund zu dem Kühlen, Zugeknöpften in ihrem Wesen, das ihn einmal so zurückgestoßen hatte! Er hatte sie niemals verstanden, hatte niemals die richtigen Saiten anzuschlagen gewußt. Eine Ahnung beschlich ihn, was sie möglicherweise für ihn hätte werden können, falls er es verstanden hätte, diese Glut zu entfachen, und ein schmerzliches Gefühl, als habe er das Glück seines Lebens verscherzt, überkam ihn. Welch eine Maskerade war nicht das ganze Leben! Er war blind gewesen für die feurige Seele, die sich unter der kalten Maske der einen verbarg, und hatte sich von dem weiblichen Aeußern der andern, das nur ein leeres Inneres umschloß, anlocken lassen. Und Alie! Sie hatte verschmäht, was sich zu einer großen, starken, männlichen Liebe hätte entfalten können, um sich einem oberflächlichen, leichtsinnigen Courmacher an den Hals zu werfen, für den sie nur ein Weib war wie so viele andre, eine schöne Form. Denn was kannte er von, was verstand er von ihrem tieferen Wesen? – Maskerade! Maskerade!

Er ahnte nicht, daß noch eine Maske mit im Spiel war, daß das unzufriedene, übelgelaunte kleine Kindergesicht dort an seiner Seite eine andre Phase von der großen Maskerade des Lebens barg.


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