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Achtes Kapitel.

Am folgenden Tage fragte Richard Alie, ob sie jetzt bereit sei, zu reisen, oder ob sie es vorzöge, noch in Nervi zu verweilen. Sie antwortete ihm, daß er und Aagot es so einrichten sollten, wie es ihnen am besten passe, sie sei jederzeit bereit, zu reisen. Es war nämlich zwischen ihr und Serra verabredet worden, daß sie sich jetzt trennen wollten, weil es notwendig war; Alie sollte die Ihren auf der Rundreise durch Italien begleiten; später wollte Serra wieder mit ihnen zusammentreffen, dann wollten sie Näheres über ihre Zukunft bestimmen.

Die Familie Gray-Johnston gab am letzten Abend ihnen zu Ehren eine Theegesellschaft. Alie war in erregter, froher Gemütsstimmung. Sie hatte ein Gefühl, als ob diese Trennung niemals zur Ausführung gelangen werde, als müsse im letzten Augenblick etwas Unerwartetes eintreffen, das alles über den Haufen stürzte.

Sie machte sorgfältig Toilette und zog ihr elegantes neues Foulardkleid an. Die kleine Theegesellschaft bei der englischen Familie war in ihrer erregten Phantasie ein Fest, ein Verlobungs- oder Hochzeitsfest, das ihr eine Zukunft ungekannten, nur dunkel geahnten Glücks eröffnet, und als sie in das Zimmer trat, lag auf ihren Zügen etwas von dem verschämten und doch strahlenden Ausdruck einer Braut. Die grünlichblaue Farbe ihres Kleides stand ihr vorzüglich. Im Haar trug sie zwei große, verschiedenfarbige Rosen, und um den Hals hatte sie einen Perlenschmuck geschlungen, den ihr Richard zur Erinnerung an die Reise geschenkt hatte. Mit ihren langen schwedischen Handschuhen, ihrem eleganten Schuhzeug und dem großen Fächer aus Straußenfedern sah sie so distinguiert aus, daß Florence halb ärgerlich ausrief:

»Wie stilvoll diese Alie aussehen kann, wenn sie nur will! Heute ist sie eine richtige Prinzessin!«

»Prinzessin Palmi!« fügte Harriet hinzu.

»Wenn ich nur wollte, ja!« sagte Alie und sah sie mit ihren großen Augen gerade an.

»Hör nur!« flüsterte Florence Aagot zu, »sie bildet es sich wirklich ein; als ob er nicht andern ebensosehr die Cour gemacht hätte als ihr!«

»Ja, so ist er gegen alle,« sagte Aagot. »Er hat eine Art und Weise, Damen anzusehen, ihnen die Hand zu drücken und sie in der seinen zu behalten – hat er das auch bei dir gethan?«

Florence lächelte bedeutungsvoll und errötete. Sie war eine Schönheit in englischem Stil, bleich, durchsichtig, mit schlanker Taille und ohne Formen, Harriet hatte rotes Haar, eine kleine Stülpnase, einen sehr feinen Teint und einige Sommersprossen, aber sie war lebhaft und galt als pikant.

»Florence erwartet, daß er heute abend um ihre Hand anhalten wird,« flüsterte sie Aagot zu.

Mr. Gray-Johnston litt an Hypochondrie, und da seine Frau kränklich war und alle Geselligkeit mied, waren die jungen Mädchen in noch höherem Grade sich selbst überlassen, als es junge Engländerinnen sonst zu sein pflegen. Sie benützten ihre Freiheit, um sich Zerstreuungen zu verschaffen und mit allen Männern zu kokettieren, die sie an sich ziehen konnten, das heißt auf englische Weise kokettieren, blutlos, kalt, denn sie hatten keine Spur von Leidenschaft und fanden Alie deswegen närrisch, sie lachten sie aus, wenn sie sie in heftiger Gemütsbewegung, das Herz auf den Lippen, sahen.

Der Theetisch war draußen auf der Terrasse gedeckt, die Lampen brannten unter offenem Himmel. Florence ordnete die Tassen mit ihren wachsweißen Händen, die Mutter saß in einem Lehnstuhl da, und Mr. Gray-Johnston kam und ging, aß ein wenig von dem Theegebäck und sagte kein Wort.

Richard bemühte sich gerade, eine Unterhaltung über Crispis deutsch-freundliche Politik in Gang zu bringen, als Harriet, von Serra gefolgt, die drei Stufen, die aus dem Garten auf die Terrasse führten, hinangesprungen kam und sich lachend Aagot um den Hals warf.

»Kannst du dir vorstellen, wie er ist!« rief sie. »Wir wollten um die Wette den großen Steig hinablaufen, und da fiel ich, und was glaubst du wohl, daß er sich herausnahm, als er mich aufhob? Pfui, pfui!« sagte sie, ihm mit dem Finger drohend.

»Was haben Sie gethan?« fragte Alie lächelnd.

»Ich küßte sie auf die Wange. Und wenn ich es nicht gethan hätte, würde sie mich sicher verachtet und für einen Narren gehalten haben; wenn uns eine junge Dame zu Füßen fällt, wäre man ja ein Tölpel, wenn man –«

»Wollen Sie mit mir wetten, daß ich auf das Dach dort klettern kann?« rief Harriet aus, die nun einmal in ganz ausgelassener Stimmung war. Und leicht und geschmeidig flog sie auf die Mauer zu, und es gelang ihr wirklich, auf eine höhere Terrasse oben auf das Dach hinaufzukommen.

»Signorina Alie!« rief Serra. »Können Sie auch da hinaufklettern, wollen wir einmal um die Wette da hinauflaufen?«

»Sie sind wohl von Sinn und Verstand! Um die Wette dort hinauslaufen! Da ist ja kein Geländer.«

»Das macht nichts! Kommen Sie nur!«

Er zog sie mit Gewalt mit sich und hob sie in die Höhe, während Harriet sie von oben zu sich hinaufzog. Der Garten schien von hier aus tief unter ihnen zu liegen, und es schauderte Alie, als Serra sie um die Taille faßte und eine Bewegung machte, als wolle er sie in den Abgrund hinabstürzen.

»Was ist Ihnen heute abend nur?«

»Ich möchte gern irgend etwas Tolles ausüben. Denken Sie sich etwas aus, Miß Harriet. Je toller, desto besser!«

Alie sah ihn verwundert an. Es lag heute abend eine wilde Grausamkeit in seinem Wesen.

»Wollen wir in einem dieser Zimmer einen Einbruch verüben? Wessen Fenster ist das? Wohnt dort nicht die Französin? Wollen wir ihr ihre Schmucksachen stehlen?«

»Kommt und trinkt Thee!« erschallte Florences Stimme von unten.

»Gleich! Aber wie sollen wir hinunterkommen? Soll ich Sie hinabwerfen – eine nach der andern?«

»Nein, wir schleichen uns hier durch eins der Fenster,« sagte Harriet, »dann kommen wir auf den großen Korridor.«

»Und wenn sie alle da drinnen sind?« wandte Alie ein.

»Das macht nichts. Wir können ja um Verzeihung bitten.«

»Nein, nein,« sagte Serra. »Folgen Sie mir nur und lassen Sie mich nicht los.«

Er nahm die beiden jungen Mädchen an die Hand, und sie näherten sich, leise spähend, der offenen Balkonthür, die zu einem der Zimmer führte, das nach der Loggia hinausging, auf der sie sich befanden. Sie sahen eine ältere Dame in dem Zimmer umhergehen, und ohne ein Wort zu sagen, zog Serra seine Gefährtinnen mit sich, und wie ein Wirbelwind stürzten sie alle drei durch das Zimmer, aus der entgegengesetzten Thür hinaus.

»Er ist heute abend ganz toll,« sagte Harriet zu den andern, als sie wieder unten am Theetisch anlangten.

»Ja, das ist ein wahres Wort! Ilo la mente piena di ragi e di follia!« deklamierte er, zu Alie gewendet.

»Was bedeutet das?« fragte Florence.

»Ich habe den Sinn voller Strahlen und Tollheit!« übersetzte Aagot wortgetreu.

Serra nahm neben Alie, ein Stück von den andern entfernt, auf der Mauer Platz, ergriff ihre Hand, beugte sich über sie und deklamierte, ihr fest in die Augen schauend, ein leidenschaftliches Liebeslied.

Ihre Hand blieb in der seinen liegen, und sie saß so unbeweglich da, daß sie kaum zu atmen schien. Vielleicht fühlte sie etwas von der willenlosen Hingebung, von der das Lied erzählte, durch ihre Adern strömen.

Es war dunkel auf dem Teil der Terrasse, wo sie saßen; man konnte sie kaum erkennen, aber das Pathos der weichen, biegsamen, männlichen Stimme und die eigentümlich zitternde Leidenschaft erreichte den Theetisch, an dem die andern saßen.

Die Stimme wurde durch Florence unterbrochen, die nichts verstanden hatte.

»Ihr Thee wird kalt,« sagte sie, »können Sie nicht nachher deklamieren?«

Aber Aagot, die den Hauptinhalt der Verse aufgefaßt und sich durch gewisse Ausdrücke, wie auch durch eine gewisse allzu beredte Betonung verletzt gefühlt hatte, trat jetzt an Alie heran, berührte leise ihren Arm und flüsterte ihr zu:

»Komm zu uns an den Theetisch. Sitz hier nicht allein mit ihm im Dunkeln! Du vergißt dich ja!«

Alie zuckte zusammen: sie erhob sich. Als sie den Lichtkreis des Theetisches betrat, hatte sie einen aufgescheuchten, geistesabwesenden Ausdruck in den Augen.

Serra gab sich wieder seiner früheren, ausgelassenen Heiterkeit hin. Er setzte sich rittlings über einen Stuhl und galoppierte um den Tisch herum, er drapierte sich mit Tischtuch und Servietten wie ein Araber und nahm mit gekreuzten Beinen auf dem Fußboden Platz; gleich darauf war er ein sizilianischer Bandit, der mit bis in die Augen hineinhängendem Haar und einem unter dem Mantel verborgenen Dolch im Schatten der Mauer auf der Lauer stand und mit einem plötzlichen, katzenähnlichen Sprung über Richard herstürzte, als dieser in seine Nähe kam, ihm Brieftasche und Uhr mit so drohendem Mienenspiel und so fürchterlicher Stimme abfordernd, daß die jungen Mädchen laut aufschrien.

»Was haben Sie nur einmal?« fragte Alie, die mit den andern lachte, die aber eine dunkle Ahnung hatte, daß etwas hinter dieser Ausgelassenheit stecken müsse.

»Es kommt daher, weil Sie morgen reisen,«

»Wie, freuen Sie sich darüber?«

»Nein, es ist nicht, weil ich mich freue, aber der letzte Akt in einer Komödie kann niemals lustig genug sein. Nun habe ich Ihnen allen zwei ganze Monate lang Komödie vorgespielt, jetzt will ich mit einer Glanznummer schließen.«

Alle jungen Mädchen wollten wissen, was er mit dem Komödienspiel meine.

»Habe ich nicht etwa Ihnen allen die Cour gemacht?« fragte er. »Und ich wette, Sie haben es alle für bare Münze genommen. Mit alleiniger Ausnahme von Signorina Aagot, sie ist die einzige, die es niemals hat glauben wollen, daß ich verliebt in sie sei.«

»Sie bilden sich zu viel auf Ihr Schauspielertalent ein,« unterbrach ihn Alie mit übertriebener Munterkeit. »Wer von uns, meinen Sie, hat die Sache ernsthaft genommen? Nicht eine einzige – vielleicht hat es uns aber Vergnügen gemacht, Sie mit ihrer eignen Münze zu bezahlen – und wer weiß, ob Sie nicht im Grunde der Genarrte sind!«

»Vielleicht,« erwiderte er und sah sie halb schelmisch, halb prüfend an. »Das muß die Zukunft lehren.«

Nach diesem Scherz wurden sie beide schweigsam. Serra begann abermals Verse zu deklamieren. Er kannte alle klassischen Dichter Italiens auswendig, und wenn er nicht direkt seine eignen, persönlichen Gefühle aussprechen wollte, pflegte er durch Umschreibung seiner Stimmung Luft zu machen, mit andern Worten, ohne lange zu wählen, auf gut Glück nach dem zu greifen, was er am meisten bewunderte und liebte.

»Weshalb deklamieren Sie niemals Ihre eignen Dichtungen?« fragte ihn Florence.

»Weil ich mir das aufsagen mag, was ich bewundere. Glauben Sie nur ja nicht, daß ich das aus Bescheidenheit sage,« fügte er schnell hinzu. »Es ist eine Phrase, die ich gelernt habe und die meiner Ansicht nach gut klingt. Hören Sie einmal,« wandte er sich an Alie. »Ich habe Ihnen doch erzählt, daß ich Leopardi vergötterte, als ich jung und schwärmerisch war. Ich will Ihnen zum Schluß noch ein kleines Stück von ihm aufsagen, und dann soll es genug sein.«

Er stellte sich vor sie hin und deklamierte:

» Sempre caro mi fu quest'ermo colle ...«

Sie saßen alle schweigend da, als er geendet hatte. Die milde Schwärmerei des Gedichts und der weiche Tonfall hatten auch auf diejenigen Zuhörer, die nicht alles verstanden, einen gewissen Einfluß ausgeübt. Die vollendete Kunst des Vortrags wie der Worte hatte sie alle ergriffen und sie gleichsam unter einem Zauberbann gehalten.

Endlich erhob sich Aagot und sah Richard fragend an.

»Es ist zwölf Uhr. Wollen wir jetzt nicht Abschied nehmen? Morgen müssen wir früh munter sein.«

Bei der allgemeinen Bewegung, die nun eintrat, fand Serra Gelegenheit, Alie zuzuflüstern:

»Ich komme noch und nehme Abschied von dir auf deinem Zimmer, wenn die andern zu Bett gegangen sind. Willst du?«

Alie antwortete nicht, ein Fieberschauer schüttelte sie, sie wurde plötzlich ganz bleich.

»Wer weckt euch morgen früh?« fragte Harriet Aagot.

»Ach, Richard wacht immer so früh auf.«

»Ich wache auch stets auf, wenn jemand abreisen soll,« sagte Harriet. »Ich will kommen und Alie in die Nase kneifen, wenn ihr alle schlaft. Du schließt doch deine Thür nicht ab?«

Serra sah Alie bei dieser Frage an. Sie antwortete nicht.

Als sie in ihr Zimmer gekommen war, das durch einen Korridor von Richard und Aagots getrennt war, sehnte sie sich sehr danach, allein zu sein, aber Aagot kam unaufhörlich zu ihr herein, bald um einige von ihren Sachen zu holen, die sich bei Alie befanden, bald um ihr Platz in ihrem Koffer anzubieten. Es war Aagots Gewohnheit, vor der Abreise die halbe Nacht mit dem Einpacken zu verbringen. Schließlich wurde Alie ungeduldig; beinahe unfreundlich antwortete sie ihr:

»Laß es jetzt gut sein, Aagot, ich sterbe vor Müdigkeit. Wenn wir irgend etwas vergessen haben, so können wir es ja morgen einpacken.«

»Ziehe wenigstens das Kleid aus, damit ich es vorsichtig in meinem großen Koffer aufbewahren kann. Du ruinierst es, wenn du es in deinem eignen zusammenrollst.«

Alie zögerte. Was konnte sie nur vorschützen? Die Uhr hatte bereits eins geschlagen, er konnte jeden Augenblick kommen, und sie konnte ihn doch nicht unangekleidet empfangen.

Aber Aagot ließ ihr keine Ruhe. Es schien fast, als habe sie Verdacht geschöpft, denn es war Alie nicht möglich, sie los zu werden.

»Hast du wohl daran gedacht, daß dein Reisekleid zerrissen ist? Nein? – Ja, dann leg du dich nur, ich will den Volant wohl aufnähen, während du dich ausziehst.«

Sie mußte ihr das Kleid geben und hatte infolgedessen jetzt nur noch das rosa Morgenkleid, das sie überwerfen konnte. Sie setzte sich vor den Spiegel und begann ihr Haar aufzulösen, um Aagot vorzuspiegeln, daß sie wirklich im Begriff sei, zu Bette zu gehen. Gleichzeitig lauschte sie gespannt nach dem Korridor hinaus und glaubte unaufhörlich, Schritte zu vernehmen. Wenn er nun käme und anklopfte, während Aagot hier saß! Um dies zu verhindern, fing sie an, laut zu sprechen, damit er hören sollte, daß sie nicht allein war.

»Ist Richard zu Bett gegangen? Der Aermste! Er kann gewiß nicht einschlafen, solange du hier umhergehst und kramst. Laß es jetzt gut sein, liebste Aagot! Es ist wirklich genügend so! Wir sitzen ja doch den ganzen Tag über im Eisenbahncoupé.«

»Wie ungeduldig du bist! Ja, dann nehme ich das Kleid mit und nähe es in meinem Zimmer fertig. Es ist ja ganz entsetzlich, wie lange Zeit du heute abend zum Kämmen deines Haares gebrauchst, weshalb legst du dich denn nicht?«

Alie küßte sie schnell auf die Wange und schob sie fast zur Thür hinaus. Sobald sie gegangen war, ordnete sie ihre Kleidung in fliegender Eile. Ihr Herz wollte fast zerspringen vor Angst, daß er kommen und sie halb entkleidet finden könne. Sie steckte ihr Haar wieder auf, knöpfte sorgfältig alle Knöpfe des langen Morgenkleides zu und band die seidene Schleife, welche den Gürtel bildete, fest zu, um nicht zu nachlässig gekleidet zu erscheinen. Sie schämte sich dermaßen darüber, daß er sie in einem andern Kleide finden sollte, als in dem er sie verlassen hatte, daß sie fast wünschte, er möge nicht kommen. Und als sie dann wirklich seinen Schritt vernahm und erkannte, gewann das Schamgefühl derartig die Oberhand, daß sie blitzschnell, ohne sich zu besinnen, auf die Thür zusprang und den Schlüssel umdrehte.

Sie hörte, wie er an den Drücker faßte, hörte ein leises Flüstern: »Mach auf, amor mio!« Einen Augenblick wartete er, dann ging er, kehrte nochmals zurück und faßte abermals an die Thür, um sich dann mit einem verächtlichen, verbitterten »Bah!« schnell zu entfernen.

Als sie seine Schritte im Korridor verhallen hörte, sank ihr das Herz, und nach der eben durchgemachten Spannung überfiel sie eine plötzliche Mattigkeit. Sie entkleidete sich schnell, legte sich ins Bett und blies das Licht aus.

»Ja, nun war alles aus! Morgen früh würde sie reisen, und sie hatte ihm die Gelegenheit verweigert, Abschied von ihr zu nehmen, um die er sie gebeten und zu der sie doch eine Art von stummer Einwilligung gegeben hatte. Würde er sie in Zukunft je wieder aufsuchen? Durch falsche Scham hatte sie alles wieder zerstört, vielleicht für immer! Sie wand sich vor Schmerz in ihrem Bett und dachte nicht an Schlafen.

Die Nacht war drückend schwül, wie sie es nur im Süden sein kann, ohne einen Windhauch, so geschwängert mit Duft, daß man fast ersticken zu müssen glaubt, und bei der geringsten Bewegung, wenn man nur die Hand ausstreckt oder die Kissen glättet, in Schweiß ausbricht.

Sie lag schließlich ganz unbeweglich da, den Arm unter dem Nacken, durch die geöffnete Balkonthür zu dem Sternenhimmel hinaufstarrend, der leuchtend und blitzend zwischen den weißen Säulen der Loggia zum Vorschein kam.

So lag sie da, als plötzlich eine dunkle Gestalt die Aussicht verdeckte, welche die Thüröffnung ausfüllte. Ihre Augen starrten steif und unbeweglich auf diese Erscheinung, die ihr ein Phantasiegebilde zu sein schien, das ihre wachen Träume heraufbeschworen hatten. Sie war fast bewußtlos, als ein Paar Arme sie umschlangen und ein Paar glühende Lippen ihre Starrheit in eine Hingebung ohne Ziel und Grenzen verwandelten.

*

Am folgenden Morgen herrschte das gewöhnliche geschäftige Treiben, das alle Eisenbahnreisen im Gefolge haben, besonders wenn sie zu so früher Tageszeit angetreten werden. Alie war ganz gegen ihre Gewohnheit nicht rechtzeitig fertig, so daß Aagot ihr beim Packen behilflich sein mußte und sie schließlich fortkam, ohne Kaffee getrunken zu haben.

Sie langten im letzten Augenblick auf der Station an, Richard und Aagot liefen nach verschiedenen Seiten, um die Billette zu nehmen und das Gepäck zu befördern. Die jungen Engländerinnen erschienen mit Blumensträußen und Küssen, doch gelang es Alie, sich einen Augenblick zu entfernen und vor den andern auf den Bahnsteig hinauszuschlüpfen, wodurch Serra Gelegenheit hatte, sich ihr zu nähern.

»In wenigen Wochen komme ich dir nach und suche dich auf,« war alles, was er ihr zuflüstern konnte. »Glaube an mich, warte auf mich, behalte mich lieb.«

Sie antwortete nur mit einem kurzen, energischen »Ja!«

Alle die andern kamen jetzt heraus, der Zug hielt, Thüren wurden aufgerissen, allgemeine Verwirrung, ohrenbetäubender Lärm.

Unwillkürlich, ohne an die Umgebung zu denken, küßte er sie auf den Mund, indem er ihr in das Coupé hineinhalf. Aagot hatte gerade noch Zeit genug, um zu stutzen, dann schlug der Schaffner die Thür zu, und dahin brauste der Zug.

Alie war der Gegenwart völlig entrückt. Sie saß unbeweglich, gleichsam gelähmt, zusammengekauert in einer Ecke, starr vor sich hinsehend. Eine feine Röte bedeckte ihre Wangen, und auf ihren Zügen lag ein gewisser eigentümlicher, geheimnisvoller Ausdruck, als lausche sie unsichtbaren Stimmen, als schaue sie in eine den Blicken andrer verborgene Welt.


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