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XIV.
Saardam und Broek

 

Die armen Kinder thun mir nur leid. Wenn ich an die Freude denke, die wir hatten, wenn der Sonntag herankam, ein ganzer langer Tag, an dem keine Schule war und wir spielen durften von Morgen bis Abend, wenn auch etwas Scheltworte dazwischen fielen, daß wir unsern Staat nicht gehörig schonten, und wenn ich dagegen hier den Sonntag sehe! An den Alten liegt nichts, denn sie vertauschen nur die thätige Langweile mit einer müßigen, aber die Kleinen! Wie in England, müssen sie auch hier mit unter der puritanischen Sonntagsstrenge leiden. Sie haben auch hier den Wahn, daß man an diesem Tage Gott am besten diene, wenn man sein Herz jedem Vergnügen verschließe, als ob die unschuldige Freude nicht dem Himmel wohlgefälliger wäre, als trauriger Müßiggang. Die Theater sind geschlossen, alle Lustbarkeiten verpönt und nur die Branntweinschenken sind offen, wie in London auch, in denen der gemeine Mann die lästige Zeit tödtet. Sich betrinken, ist erlaubt, aber tanzen nicht. Alle Läden sind geschlossen, die Schiffe in den Kanälen lassen die Flügel hängen und scheinen auf dem stockenden Wasser eingeschlummert, die Häuser gähnen einen mit langen, steifen Gesichtern an, auf den Straßen gehen Prozessionen von Waisenkindern nach den Kirchen, die scheckig gekleidet sind wie Galeerensklaven und den tristen Anblick noch trister machen.

Es trieb mich hinaus nach der See, die sich wenigstens nicht um menschliche Gesetze kümmert und auf- und abrauscht zu jeglicher Zeit nach höherer Bestimmung. Ein Dampfschiff lag am Quai und läutete eben zur Abfahrt. Es ist das Fahrzeug, das stündlich das Y herüber und hinüber fährt nach dem Waterlande. Ich sprang noch schnell hinein, obgleich der einzige Passagier. Das Wasser ist hier, glaube ich, kaum eine Meile breit, und das Schiff durchschnitt lustig die Wellen, die von dem heftigen Winde aufgetrieben wurden. Von drüben kamen uns kleine Segelboote entgegen, die mit ihrem Schnabel sich oft so tief in das Wasser einbohrten, daß der Schaum hoch über das Verdeck hinaufspritzte. Eine Lustjacht, die auch von Amsterdam kam, ärgerte uns sehr. Es war ein zierliches, kleines Boot mit einem schneeweißen Segel und auf dem Decke lagen ein Paar lustige Gesellen, in ihre Mäntel gehüllt. Das unverschämte Ding kam uns immer näher und wußte ein bischen Leinwand so gut zu brauchen, daß es uns, trotz unserm Dampfe, in wenigen Minuten überholte. Unsere Räder stampften immer eifriger drauf los, aber es half nichts, die Jacht schaukelte ruhig weiter und die Leute darauf schwenkten höhnisch ihre Hüte. Sie gehörte einem der reichsten Kaufleute Amsterdams an. Wir hatten nicht lange Zeit, unserm Verdrusse Luft zu machen, denn bald darauf fuhren wir in eine kleine schilfbewachsene Bucht ein, die mit zerstreuten Häusern bekränzt war, von denen man wenig mehr, als die Dächer, wie gewaltige rothe Nasen aus einer dunklen Kravatte, herüberblicken sah. Roth ist hier die Lieblingsfarbe, die nur mit Grün abwechselt. Die Mauern, sogar der Thurm ist grün angestrichen, was sich ländlich genug ausnimmt. Das ist Saardam, ein freundliches, lebendiges Dorf, das durch die häufigen Besuche der Amsterdamer, die ihre Lustpartien hieher machen, einen behäbigen Anstrich angenommen hat, und dessen Brücke und Schleusen schön und massiv gearbeitet sind, wie in wenigen Städten Deutschlands, geschweige auf dem Lande. Die Kirche ist einfach, ohne Chor und Orgel. Es war gerade Gottesdienst und die ganze Gemeinde versammelt, die stämmigen Fischerburschen und die Frauen mit großen schwarzen, Filzhüten, unter denen recht hübsche, blühende Gesichter hervorschauten. Als die Predigt anfing, machte sich Alles bequem und die Männer setzten die Hüte auf, wie das in ganz Holland gäng und gäbe ist. Nur wenn gesungen oder der Segen gesprochen wird, entblößt man das Haupt; die Predigt scheint ein der heiligen Handlung nicht integrirender Theil zu seyn, während deß man sich nicht zu geniren braucht. Herrschte nicht wirklich hier zu Lande so viel Frömmigkeit, so sollte man fast daraus schließen, sie betrachteten das Kirchengehen auch nur wie das Geschäft, in dem man kein Prozent zu viel thun müsse. Außer in Holland gibt es wohl keine christliche Kirche, in der man noch dazu während der religiösen Feier, den Hut aufbehält wie in einem Kaffeehause.

Wie in vielen andern Kirchen Hollands fallen auch noch mehre silberne Schiffchen auf, die von der Decke herabhängen, Erinnerungen an glorreiche Seesiege. Auch befindet sich ein Bild, das mehr seines Gegenstandes, als seiner Behandlung wegen die Aufmerksamkeit in Anspruch nimmt. Es stellt das Innere der Kirche selbst vor, angefüllt mit händeringenden Frauen und Männern und vielem Rindvieh, was sich Alles bei der großen Ueberschwemmung von 1825, die das ganze Dorf unter Wasser setzte, hieher geflüchtet hatte. Für den Fremden hat jedoch Saardam nur Einen Hauptanziehungspunkt, und er kennte den Namen gar nicht, wäre nicht der des großen Czars daran geknüpft, der hier Nachen zimmern lernte, um später in seinem eigenen Reiche große Schiffe ausrüsten zu können. In dem Häuschen, das Peter Michaeloff sieben Wochen lang bewohnte, besitzt Saardam eine Reliquie, die seit hundert Jahren die Wallfahrer anzieht, die verwundert davor stehen, wie ein mächtiger Kaiser sich aus eigenem Willen so ärmlich habe behelfen können. Spätere Zeiten werden es freilich, wenn man auf Rußlands Gewalt blickt, noch wunderbarer finden. In dieser vor Altersschwäche schief geneigten Bretterhütte hauste der größte Mann seiner Zeit und arbeitete, wenn er sich müde gezimmert hatte, die Befehle aus, welche die Grundlage zur Macht seines ungeheuren Reiches bilden sollten, von hier aus korrespondirte er mit den Regenten, die er während seiner Abwesenheit eingesetzt, und brütete über den Plänen, die Richtung seines Zepters von Asien nach Europa zu kehren. Das Häuschen ist von einer steinernen Mauer eingeschlossen, die es vor dem Umsinken bewahrt und inwendig in zwei Kammern eingetheilt, die mit allerlei Flaggen verziert sind. In der einen befindet sich ein enger Verschlag, der kaum geräumig genug scheint, die riesigen Glieder des Kaisers aufzunehmen, in der andern befindet sich eine Tafel, mit der Inschrift: »Geschenk des Königs an den Prinzen Alexander bei dessen Geburt,« mehre andere mit den Namen der Siege des Prinzen von Oranien, Kupferstiche von Peter und eine Russische und Holländische Inschrift des Inhalts, daß nichts dem großen Manne zu klein sey. Einen Stein mit den Worten: »Petro Magno Alexander,« hat Letzterer selbst eingesetzt. Das ganze Ameublement besteht aus dreieckigen, altmodischen hölzernen Stühlen und einer Bank. Auf einem Tische liegen eine Menge Bücher, in welche die Reisenden sich eingeschrieben haben. Mehre Blätter, welche interessante Namen enthielten, sind herausgerissen worden. Die Engländer sind darüber gewesen. Wo sie eine Kuriosität erwischen können, ist nichts heilig; geht es nicht durch Kauf, so ist ein anderes Mittel eben gut.

Wenn sich ein Deutscher oder Franzose nach langer Arbeit im Herbste seines Lebens von den Geschäften zurückziehen will, so kauft er sich in einer malerischen Gegend an und sucht eine lachende Flur, etwas Wald, ein Stückchen Fluß, wo möglich einen kleinen Berg, an dessen Abhang er Reben pflanzt, und eine malerische Aussicht. Der Holländer sucht sich einen Wasserpfuhl, dem er so viel Land abtrotzt, daß er sein Haus darauf bauen kann, und das ihm die schöne Hoffnung einer jährlichen Ueberschwemmung läßt. Ein solches Paradies hat er in Broek im Waterlande gefunden, in dem platten tiefliegenden Schilflande, das nur mit genauer Noth dem Eindringen des Meeres Widerstand leistet.

Ein schmaler Damm führt längs dem Y von Saardam aus in etwas mehr als einer Stunde nach diesem Asyle pensionirter Crösusse. In Belgien würde zwischen zwei so besuchten und begüterten Orten durch Omnibus eine regelmäßige und billige Verbindung erhalten werden, hier muß man sich in Saardam für sehr theures Geld einen Wagen miethen, wenn man nach Broek will. In den Schilderungen, welche von diesem Dorfe gemacht werden, hat die Phantasie bedeutend herhalten müssen. Es scheint fast, als ob die Reisenden, aus Aerger, sich getäuscht zu sehen, den Mund immer voller nehmen, damit wenigstens nach ihnen noch andere ihr Schicksal theilen möchten. Broek ist ein sauberes Dorf, dessen Sauberkeit aber weniger auffällt in einem Lande, wo Alles sich so sehr der Reinlichkeit befleißigt. Daß sehr reiche Leute etwas mehr thun können, als bloß begüterte, ist natürlich. Der größte Theil der Häuser besteht ebenfalls aus grün angestrichenem Holze, doch sind einzelne darunter, die von Stein und selbst mit wahrem Geschmack gebaut sind; kleine Villen mit allerlei Stuckaturarbeit. Die Straßen sind mit gebrannten, mosaikartig eingesetzten Steinen gepflastert, aber schmal und winklig. Einzelne Stellen am Wasser machen sich hübsch. Die Gärten sind nicht besser erhalten, nicht zierlicher als wo anders auch; nur daß sie von Spielereien wimmeln, die eine gewaltige Trägheit des Geistes erfordern, wenn sie Vergnügen machen sollen. Ueber ein Quellchen führt ein Brückchen, und in dem Bächelchen sitzt ein großer Schwan, der mit den beiden Flügeln fast die beiden Ufer berührt, aber nicht vom Flecke geht, denn er ist von Holz, und in einem Grottchen sitzt ein Einsiedler von Wachs, und Blumen wachsen aus Figürchen heraus, und in einer Hütte sitzt eine junge Frau und spinnt, und ein Hund bellt dazu, wenn man auf eine Feder drückt, die die Maschinerie in Bewegung setzt.

In den Häusern herrscht viel gediegene Eleganz, und selbst in der Wohnung eines Gärtners waren die Dielen mit Matten belegt, die Gesimse mit blauen Vasen verziert und Alles so blank und hell geputzt, daß es ganz behaglich gewesen wäre, wenn man nicht immer Angst hätte, etwas zu beschmutzen. In Broek sollen nur Millionaire das Bürgerrecht haben, was auch zu jenen großartigen Hyperbeln gehört. Es wohnen hier Sorgen und zwar Brodsorgen so gut, wie an andern Orten.

Etwas Apparteres, wie die Wohnungen der Menschen, haben hier die des Viehes, das in den Regeln des strengsten Anstandes groß gezogen wird. Für alle seine Funktionen hat es seinen bestimmt angewiesenen Platz, wogegen es auch gepflegt wird, wie das Kind vom Hause. Der lange Stall, wenn dieses übelriechende Wort von einem schön gepflasterten Raum anzuwenden ist, der nur der Vorplatz der Stuben des Pächters ist und mit diesen an Reinlichkeit wetteifert, der Stall oder vielmehr das Kuhzimmer ist in mehre Abtheilungen geschieden, davon jede für seine Bewohnerin eingerichtet ist. Queer durch läuft eine tiefe Rinne zum Abfluß alles dessen, was man gern los seyn will. An der Ecke steht ein Ofen, der im Winter eine behagliche Wärme verbreitet; an den Wänden sind die glänzenden Geschirre aufgestellt, in denen die Milch die verschiedenen Grade der Kultur durchzumachen hat, bis sie sich als ausgebildeter Käse produziren darf, wonach er auf Reisen geschickt wird, um noch an Geschmack zuzunehmen. Es ist wirklich das Interessanteste, was Broek aufzuweisen hat, aber zu lange darf man sich freilich auch nicht in der Gesellschaft aufhalten.

Ich fuhr daher bald auf einem andern Wege nach dem Zollhause, von wo man in einer Viertelstunde in einem Kahne nach Amsterdam fährt. Es war Sonntag Abend und Alles todt und öde auf den Straßen.



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