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XIII.
Die Kirmeß in Amsterdam

 

Aber wenn der Holländer das ganze Jahr den Kopf unter sein Schildkrötengehäuse steckt, und sich schwer aus seiner langweiligen Ruhe bringen läßt, so kömmt doch eine Zeit, wo der Teufel in ihn fährt, und er mit Händen und Füßen um sich schlägt vor lauter Freude. Dann schwimmt er nicht bloß in Vergnügen, sondern plätschert darin herum, daß der Schaum aufspritzt. Wer ihn um die Kirmeß sieht, erkennt ihn nicht wieder, so verwandelt ist er. Das Phlegma hat, wie eine schwere Last, die geringe Heiterkeit so hinaufgeschraubt, daß sie, gleich komprimirtem Dampf, alle Deckel sprengt. Es geht toll zu, und es ist ein Glück, daß so etwas nur einmal im Jahre möglich ist, ein Glück für Börse und Gesundheit. In wenigen Tagen wird für zwölf Monate genossen. Aber der Genuß ist freilich, wie sich denken läßt, nur materieller Art, und man berücksichtigt mehr die Masse, als den Inhalt. Die Kirmeß in Amsterdam dauert nicht weniger als drei Wochen. Der Strudel, auf den sie beschränkt ist, nimmt nur einen kleinen Raum ein, aber er ist tief, denn er faßt die ganze Stadt auf, die sich hineinstürzt. Ihr Mittelpunkt ist der Buttermarkt, zu welchem auf der einen Seite eine der belebtesten Straßen, die Kalberstraße, die Rue Vivienne Amsterdams, führt. Du bist noch weit ab vom Markte, aber nimm Dich zusammen, daß Du nicht schon von der wogenden Menge herüber und hinübergeschleudert wirst, die Straße ist schmal, und das Volk eilig und nicht höflich. Wie das rennt und läuft und jubelt. Die buntesten Gestalten durcheinander. Matrosen in ihren kurzen Jacken, den überzogenen Hut, mit Bändern dran, queer auf dem Kopfe und nicht mehr ganz fest im Gleichgewichte. Mädchen aller Arten, der steife Spießbürger mit Frau und Kind am Arme, die er wie eine schwere Treckschuit nach sich ziehen muß, das bunteste Gewirre, das sich sehen läßt. Zum Glück ist die Straße hell beleuchtet und man weiß wenigstens, wohin man tritt. Denn es ist später Abend und der Tanz fängt um zehn Uhr oder noch später kaum an. Die Nacht ist zum Tage geworden und auf den Schlaf hat Alles resignirt. Jeder ist fest entschlossen, vor Anbruch des Morgens den Kampfplatz nicht zu verlassen. Dort wälzt sich ein ganzer Zug Dirnen her, die ganze Breite des Pflasters einnehmend. Singend und tanzend kommen sie übermüthig auf Dich zu, nehmen Dich in ihre Mitte und zwingen Dich, die Straße hinunter ihrem bachantischen Reihen zu folgen. Versuch es nur, ihre Kette zu durchbrechen, wenn Dir Dein Hut und Dein Gesicht lieb sind. Zum Glück erlaubt Dir dort eine Ecke, Dich ihrer Verschlingung zu entziehen. Aber hier ist eine Gasse gar versperrt. Kopf an Kopf und Leib an Leib ist zusammengepreßt. Du schiebst, aber wirst nur geschoben, denn hinter Dir hat sich schon ein neuer Knäuel zusammen gewunden, den es drängt, von dem eigentlichen Sabbath, der dort lustig aus der Ferne herüberschallt, seinen Antheil zu holen. Ein solches Gedränge ginge in Deutschland nicht ohne erkleckliche Prügeleien, in Paris und London nicht ohne zahllose Beute für die fingerfertigen Gentlemen ab. Es macht dem Karakter der Holländer Ehre, daß Beides hier verhältnißmäßig nur wenig vorkommt. Man will nur genießen, der Aermste, wie der Reichere, und jeder gönnt dem andern seinen Spaß.

Die Dienstmädchen haben vertragsmäßig zwei Tage oder vielmehr Nächte in der Kirmeß zu ihrer Verfügung, und selbst für die unglücklichen Geschöpfe, denen es im Laufe des Jahres nicht gelungen ist, ein zärtliches Liebesband zu knüpfen, ist menschlich gesorgt, und ein Bureau verschafft ihnen, gegen ein Geringes, für die Dauer der Kirmeß einen Chapeau, der ihnen in der Noth beisteht, sie umherführt und dafür natürlich von ihnen frei gehalten wird. Herren mit Regenschirmen kosten das Doppelte. Ein Artikel der Preiscourant besagt das ausdrücklich. Aber wer fragt an diesen Tagen nach Geld? Man spart nur so lange, um Alles in dieser Jubelwoche durch zu bringen. Man entzieht sich Alles, um nur in diesem Kampf nicht rechnen zu dürfen. Es ist unglaublich, welche Summen hier mit einemmale in Vergnügungen aufgehen und mancher Verkäufer lebt umgekehrt wieder das ganze Jahr von dem Verdienste dieser wenigen Wochen.

Der Knäuel entwirrt sich, Du schöpfest Luft. Wie aus einer Bombe geschossen, wirst Du von den Nachdrängenden auf den Markt, diesen Thron- und Festsaal der Kirmeß, geschleudert. Du bist mitten drin und faßt Dich verwirrt an, ob Du noch ganz bist, ob Du nicht einige Gliedmaßen in der Presserei verloren hast, der Du eben entronnen bist. Aber der Lärm, der Dir in den Ohren schallt, weckt Dich aus Deinem Schädel, um Dich sogleich wieder auf andere Weise zu betäuben. Der ganze große Platz ist bedeckt mit vielfachen Reihen von Buden, aus denen die tollste, lärmendste Musik erschallt, in der nur Trompeten und Pauken zu unterscheiden sind, während aus den Kneipen rings umher die wüsten Chöre rauher Matrosengurgeln darin schmettern. Es muß ein eigenes Vergnügen für die Bewohner dieses Theils der Stadt seyn, drei Wochen lang sich Nacht für Nacht von diesem Höllenspektakel belagert zu sehen. Es ist unbezweiflich, wie Nerven diesen immer wiederkehrenden Angriffen widerstehen können.

Denn bis zum Morgen werden diese Buden nicht leer, immer neue Zuschauer rufen die Fanfaren herbei. Wo wäre auch Raum für die Menge, wenn nicht ein Theil immer von diesen Receptakeln verschlungen würde? Aber es ist auch gesorgt für jedermanns Geschmack und er hat die Wahl, wem er den Vorzug geben will, wenn er nicht Lust hat, in unersättlicher Hast auf einmal Alles zu kosten. Hier ist Kunst und Natur im schönsten Bunde: Wachsfiguren, Schattenspiele, Chinesische und Japanische Kabinette, Hasen und Elephanten, die Kunststücke machen, ganze Menagerien, Englische Reiter, Polichinelle. Alles in freundlicher Berührung mit einander, keins den andern beneidend, denn alles hat vollauf zu thun. Den meisten Zufluß hatte der Hanswurst, denn immer war ein ganzer Schwarm von Neugierigen vor seiner Bude versammelt, die nicht mehr hineinkonnten und vom Militair zurückgehalten werden mußten. Das war aber auch die einzige polizeiliche Gewalt, die sich blicken ließ, wenigstens sah man nichts von Gensdarmerie und ihre Hülfe schien auch nirgends nöthig zu seyn. Es war aber außerhalb dieser Buden schöner, als drinnen, und die verschiedenen Weisen, in denen man das Publikum zum Eintritt anlockte, lustiger, als die Vorstellungen selbst. Am heitersten war das Gewimmel in den hölzernen Gassen, in denen für das leibliche Wohl gesorgt wurde.

Zu beiden Seiten war Bude an Bude gedrängt, und in jeder brannte ein lustiges Kohlenfeuer, über welchem in spiegelblank gescheuerten Tiegeln unaufhörlich von einer dicken Frau mit hoch aufgeschürzten Armen ein Pfannkuchen nach dem andern gebacken wurde. Aber keine Berliner, sondern lange, höchst einfache Fladen, nur gerade gut genug für den Hunger, Futter, den Magen auszufüllen, wie der ehrliche Jack ungefähr von seinem Lumpengesindel sagt. Das Feuer, das durch die Nacht schimmerte und sich blutroth, besonders auf dem Gesichte der geschäftigen Köchinnen spiegelte, und das Zischen und Sprudeln der Butter war artig genug, wenn nur nicht der Fettgeruch sich so dick über das ganze Quartier gelagert hätte, daß man ein ausgewetterter Seemann seyn muß, um nicht schon beim Eintritt in diese dicken Opferwolken übersatt zu seyn. Aber es gibt Leute, denen in dem branstigen Dampf gar wohl wird, und das funkelnde Auge der Meeisje verheißt ihrem »Jungen« noch einmal so schnell Erhörung seiner Liebesflamme, wenn er ihr sein Herz auf solchen weichen Teigtellern präsentirt. Eine andere Reihe ist ganz voll mit Pfefferkuchenbuden, und vor jeder derselben steht ein schwerer Klotz, gleich denen, auf welchen man das Fleisch zertheilt. Hier wimmelt es von Knaben, denn es ist auf ein Spiel, auf eine Lotterie abgesehen. Sie nehmen einen der Kuchen, ergreifen ein schweres Hackmesser und versprechen nun mit so und so viel Querhieben im Zickzack den Kuchen zu zerschneiden. Brauchen sie mehr oder wenig Hiebe, so zahlen sie einige Cents Strafe, treffen sie es, so ist der Kuchen ihre Beute. Die ganze Reihe herunter hört man das Messer unaufhörlich auf das Holz fallen, ein Gehack wie in einer Stampfmühle. Auch kannst Du nicht vorübergehen, ohne daß eine Heerde dieser Jungen Dich anfällt und Dich bittet, Du möchtest sie einmal für Dich hacken lassen. Sie wissen wohl, daß Du ihnen den Gewinn nicht abnehmen würdest und ohne ein Paar Stüber kömmst Du schon nicht los. Schon sauberer sieht es in den Waffelbuden aus, die sich isolirt an den Ecken aufgebaut haben. Es sind vorgeschobene Posten, und die Mädchen, die dort ihre Waaren rühmen, auch allesammt Enfants perdues. Größtentheils sind es schmucke Friesinnen, schlank und hoch gebaut, mit weißem Teint, die mit vielsagenden Augen und ihrem seltsamen, aber gar hübschen Kopfputz – um die Stirn den goldenen Reif aus Goldblech, der sich zu beiden Seiten zu zwei breiten Schildern herumbiegt, welche die Ohren verdecken – zündende Blitze unter die Menge werfen. Die Waffelmädchen haben ihre Schicksale, so gut wie Pariser Grisetten, und man hat Beispiele, daß sie aus ihrem Bretterhause als vornehme Frauen in glänzende Palläste entführt worden sind.

Du bist müde, Dich länger umherzutreiben und willst zu Bette. Es in schon spät, sagst Du zu dem Holländer, der Dich begleitet. »Spät?« antwortet er, und sieht Dich groß an. »Es ist erst ein Uhr.« Und in der That scheint die ganze Welt das noch für früh zu halten, denn das Gedränge lichtet sich nicht, die Buden sind noch immer voll, unermüdlich wird noch dabei gepaukt und trompetet. Im Cirkus ist noch Alles im besten Gange, aber ich mochte heut nicht hinein und folgte meinem Achates, der mir die Kirmeß von einer andern Seite, die Kirmeß in Häusern, den gesetzten Spaß zeigen wollte. Er meinte die Nachthäuser, große Salons nämlich, die keine Fenster haben, und daher nur Nachts, beim Schimmer der Lichter, gebraucht werden. Auch deren gibt es eine Menge in den verschiedensten Abstufungen, vom beßten Anstande bis zur tiefsten Sittenlosigkeit herab. Aber auch diese Anstalten sind eben nur ein Vergnügen für Holländer. Der größte dieser Salons heißt Frascati, von einem Umfang, der allerdings beim ersten Anblick imponirt, obgleich er durch Reihen von Balken, Tischen und Stühlen, an denen sich mehr als fünf hundert Personen in größter Bequemlichkeit niederlassen können, enger erscheint. Als wir die Treppe hinaufstiegen, die zu demselben führte, wollte ich schon wieder umkehren, denn ich glaubte es ganz leer zu finden, so wenig Geräusch vernahm man. Aber als wir eintraten, war kein Platz zu finden. Die Anwesenden amüsirten sich stillschweigend. Es war voll Herren und Damen, aber zehn Franzosen hätten mehr Lärm gemacht, als diese Hunderte. »Ein Pijpche, myn Heer,« sagte der Aufwärter, uns, wie überall, mit der irdenen Pfeife entgegenkommend, und das und der ewig wiederholte Ruf: »Jan, en Flammetje!« waren die einzigen Worte, welche die Stille unterbrachen. Die Frauen schwatzten nur mit den Augen und die Herren saßen an ihre Pfeifen geleimt und feierten mit hausväterlicher Gravität die Kirmeß, indem sie ihre Langweile zusammenthaten und sie in Gesellschaft genossen. Doch war für Ein Vergnügen gesorgt. Es war ein Orchester angebracht, auf welchem sich eine Sängerin hören ließ. Eine junge Person, die schon ihre Stimme auf manchem Schlachtfelde in Stich gelassen hatte, und mit zitterndem Athem eine Bravourarie nach der andern herausbebberte und stöhnte. Aber die Zuhörer hatten, vermuthlich aus dankbarer Anerkennung ihrer Anstrengung, Wohlgefallen an ihr gefunden und gingen ihr zu Liebe sogar aus ihrer Ruhe hinaus und belohnten sie jedesmal mit donnerndem Beifall. Es wird viel Musik in Holland getrieben und man gibt sich Mühe, größere Leistungen zu Stande zu bringen, aber mit der Bildung will es noch nicht gehen. Darin, wie in manchem Andern, sind sie ein Stück Engländer. Nur daß die Vornehmeren dort durch Reisen, und besonders durch ihre Italienische Oper Gelegenheit haben, Ohr und Geschmack zu bilden. Was in Holland nicht der Fall ist, denn die Französische Oper daselbst ist nicht geschickt zur Lehrmeisterin. Das gemeine Volk in Niederlande hat keinen Sinn für Musik; außer dem einfachen Rythmus der Matrosen hört man keinen Ton im Freien, und die Bänkelsänger selbst bewegen sich um etliche wenige Volksmelodien, unter denen eine die auffallendste Aehnlichkeit mit dem ersten Chore Robert des Teufels hat. Was Frascati ist, sind mit geringer Veränderung auch die Mille Colonnes, das Toontje und Andere. Tiefer herab hört die Schicklichkeit auf, und es öffnen sich Räume zu andern, aber gefährlicheren Unterhaltungen. Auch dort haben sie Musik. In langen, in die Mauer hineingewölbten Löchern sitzen vielleicht drei Musikanten, liederlich zerlumpt, ein Paar Violinen, die anmuthig von einer schwindsüchtigen Flöte accompagnirt werden. Die Violinen haben den Hut schief auf dem Kopfe, eine Pfeife im Munde und sehen seelenvergnügt in den Spektakel hinein, während die Flöte betrübte Gesichter schneidet über die Entbehrung des Tabaks und sich die Lunge auspfeift: ein prächtiges Bild für Ostade.

Aber die Augen fallen Dir zu. Länger ist dem Vergnügen nicht zu widerstehen. Betäubt und mit schwerem Kopfe suchst Du Deine Wohnung, während es hinter Dir noch immer tobt und lärmt. Je weiter Du gehst, wird das Geräusch immer schwächer. Aber noch im Bette summt es Dir in den Ohren, und Du träumst von nichts, als von wilden Bestien und brennenden Pfeifen.



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