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XII.
Der Holländische Karakter

 

Wenn man von Holland spricht, so ist hergebracht, daß man zugleich an das personifizirte Phlegma denkt. Eine so festgewurzelte Ideen-Verbindung muß natürlich auf gutem Grund liegen. Und in der That stammen so ziemlich alle Lichter und Schatten aus dieser verkörperten Passivität her. Was den Holländer im Geschäfte zu dem zuverlässigsten Menschen macht, muß ihn für das sociale Leben desto abstoßender machen. Man kann auf ihn bauen, weil er unverrückter wie ein Fels im Meere ist, aber diese Festigkeit in das gesellschaftliche Leben übergetragen, macht ihn zum steifsten Kumpan von der Welt. Aus Widerwillen gegen alle Bewegung hängt er an alten Gewohnheiten und sitzt lieber spazieren, als daß er sich umhertreibt. Aus Bequemlichkeit ist er grob, rauh und abgeschlossen, weil jede Aufopferung eigener Neigungen und jedes Anschmiegen und Entgegenkommen an fremde Individualitäten, ohne welches kein Umgang möglich ist, eine Anstrengung erfordert, die mit seinen Begriffen in Widerspruch steht. Diese Reduzirung auf sich macht ihn aber egoistisch, und wenn er dennoch zu patriotischen Aufopferungen geneigt ist, so rührt dies nicht von höherer Begeisterung oder instinktartiger Aufwallung her, sondern es treibt ihn mehr die Eitelkeit dazu, die eben die Folge jenes Egoismus ist. Er liebt nicht sowohl sein Vaterland, als daß er eitel auf dasselbe ist; und das Letztere nothgedrungen darum, weil er das ganze Vaterland in sich selbst sieht. Er wünscht dem Lande Glück, daß es einen solchen Beschützer hat, wie er, der Kaufmann von der Kalberstraat in Amsterdam ist, und weil er etwas auf sich hält, läßt er auch dem Lande etwas zukommen. Der Holländer ist der Protektor seines Landes, das er mitunter etwas kalt und stolz behandelt und nur in der Noth nicht stecken läßt. Was sich freilich erklären läßt, da Holland allerdings nur das Werk seiner Bewohner ist, da sie arbeiten müssen, es sich zu erhalten. Es ist ihr Meisterstück und wenn sie eitel darauf sind, so sind sie natürlich nur auf sich eitel. Dem Engländer ist England seine Frau, zu der er immer wieder zurückkehrt, die er liebt, ohne ihr Schmeicheleien zu sagen; dem Franzosen ist sein Vaterland eine Geliebte, die, wenn er gerade montirt ist, so himmlisch und engelhaft ist, daß er sich sogar für die Schönheit ihrer Leberflecken schlagen würde. Den Deutschen ist das Vaterland die Mutter, der sie selbst unter Thränen zulächeln, die sie mit beiden Armen umfangen und an ihr Herz drücken, selbst wenn sie sie züchtigt und von sich stößt. Dem Holländer ist Holland ein theures Lager, das er selbst nicht zärtlich behandelt, das ich aber niemanden rathen möchte, ihm unter den Rücken wegziehen zu wollen. Es wird interessant seyn, zu beobachten, wie auf diese phlegmatische Ruhe die Eisenbahnen wirken werden, wenn auch Holland, das sich bisher so isolirt gehalten, mit in den universellen Umschwung gerissen und unter die übrigen Nationen geworfen wird. Schwerlich wird es einer so gewaltsamen, socialen Aufrüttelung widerstehen können. Die Reisewuth, die schon seit den letzten Jahren halb Europa aus seinen vier Pfählen getrieben, hat bereits einen nicht unbedeutenden Einfluß auch auf Holland ausgeübt. Das Land wurde verhältnismäßig noch wenig besucht und der Holländer selbst fand es bequemer, nach Westindien zu »varen,« als einen Sprung nach Deutschland zu machen, und sich dem »Ryden« im Postwagen und dem Mangel an Comfort in den Wirthshäusern auszusetzen. Die erste Folge, welche aus der Milderung dieser schroffen Ansichten hervorgegangen ist, ist die Zunahme der Gastlichkeit, die früher kein hervorstechender Zug in dem Karakter des Niederländers war. Wer sonst einen Empfehlungsbrief bei einem jener reichen Mynheers abzugeben hatte, konnte die Erfahrung machen, daß, wenn er bloß zum Vergnügen reiste und kein Geschäftsmann war, Mynheer ihn kurz an seinen Knecht verwies, der den Auftrag erhielt, den Fremden umherzuführen. Ein Bekannter von mir brachte noch kürzlich ein solches Schreiben von einem angesehenen Manne an einen Bankier, dessen Bildergallerie er zu sehen wünschte. Er traf den Holländer auf seinem Komptoir und übergab den Brief. Der Bankier las, legte den Brief fort, drehte den Kopf etwas herum und sagte: »Ich habe keine Zeit,« und steckte dabei die Nase wieder in sein Hauptbuch. Der Empfohlene konnte sehen, wie er den Weg wieder zur Thür hinaus fand. Man weiß nicht recht, rührt dieser Stolz, ohne eigentlichen Nationalsinn, von Phlegma her, oder umgekehrt. Wahrscheinlich das Erstere, weshalb sie sich auch weniger, als irgend ein Volk, selbst in manchem absolutistischen Staate, um Politik bekümmern, und weder darüber schreiben, noch sprechen, und sich mit einer Konstitution begnügt haben, die weniger Werth hat, als gar keine, da den falschen Schein zu erhalten immer etwas kostspieliger ist. Eine Zusammensetzung von Kammern, wie sie hier Statt findet, ist nichts als ein fast großer Staatsrath, der Intriguen und Kosten herausfordert und immer unter dem Einflusse der Regierung steht. Dieses Phlegma ist aber auch Schuld, daß der Nationalwohlstand, statt zuzunehmen, immer mehr im Sinken ist, und daß, nach einer neulichen Berechnung, über ein Fünftel der Bevölkerung ganz dem Pauperismus verfallen ist. Die Kanäle, aus denen ehedem das Gold in so reichen Strömen nach den Niederlanden floß, daß man sie mitunter künstlich zudämmte, um die Schätze nicht zu gemein und außer Werth zu bringen, sind jetzt so gut wie versiegt. Die Leichtigkeit des Reichwerdens ist dahin, und da der Holländer nur leicht zu Vermögen gelangen will, so entwinden Fremde ihm die Mittel des Erwerbes. Alle kleinen Geschäfte, bei denen es einiger Zeit und Ausdauer bedarf, um ein gemachter Mann zu werden, sind fast ausschließlich in Deutschen Händen, die sich mit ihrer Oekonomie und Regsamkeit hier bald sehr gut stehen und manche Gewerbe ganz einnehmen. Der Holländer hilft sich mit einer großartigen Geringschätzung, indem er auf diese Geschäftigen verächtlich herabsieht und mit Spottnamen an dem Deutschen vorübergeht. Karakteristisch für den Deutschen selbst aber ist es, daß dieser nicht selten gern als Holländer auftritt. So sah ich einen Fleischer, mit einem glühenden Gesichte, der das Holländische so radebrechte, daß der Westphale nicht an ihm zu verkennen war, einem lässigen Gesellen zurufen: »Fauler Junge, Gott verdamm, so langsam wie ein Deutscher Muff.« Flüche lernen sich die Nationen am schnellsten ab und nach dem Befreiungskriege war in diesem Punkte eine wahre Universal-Literatur eingetreten. Jetzt ist man wieder einseitiger geworden und bleibt bei den Flüchen seines eigenen Landes.

Nichts desto weniger hat Niederland, wenn es auch nur sein Vermögen erhält – nicht vermehrt – einen solchen Fond an Reichthum, daß es, im Ganzen genommen, mit den meisten Staaten konkurriren kann. Ein Grund, warum es die furchtbare Last ertragen kann, die ihm seitdem Abfall Belgiens aufgebürdet worden ist. Obwohl nicht der Einzige. Die Seeleute haben durch die Verödung Antwerpens so wesentlich gewonnen, daß sie sich gern Vieles gefallen lassen. Ueberdies sind die Steuern so vertheilt, daß der Arme sie nicht zu schwer empfindet, also ein unmittelbarer Ausbruch des Volksunwillens nicht zu fürchten ist. Die Opposition geht von den nicht seegrenzenden Provinzen aus, die allerdings das ganze Gewicht tragen müssen, da sie, durch die Trennung Belgiens, keinen Ersatz bekommen haben. Die Erhaltung der Armee und das Aufbringen des Schuldenantheils von beinah neun Millionen Gulden liegt auf ihren Schultern und reibt sie wund. Auch ist ihre Stimme laut genug.

Der Holländer steht am Vorabend einer großen socialen Veränderung. In kurzer Zeit wird sein Vaterland durch die Eisenbahnen in den Touristenkreis gezogen und von Schaaren von Reisenden überfluthet werden. Er wird Anfangs etwas trotzig und ärgerlich über die Störung auffahren, aber zuletzt wird der Schwindel ihn doch aus seinem Versteck hervorlocken und ihn in den Wirbel ziehen, der bei seinen raschen Schwingungen ihn mehr abreiben wird. Auf die Länge wiedersteht niemand und die alten Stereotypenformen werden langsam verschwinden, wenn gleich viel Aeußerliches, durch das Klima bedingt, sich erhalten wird. Das materielle Leben, wie das geistige wird eine andere Richtung nehmen, und beides an Poesie und Grazie gewinnen. An beiden fehlt es bis jetzt gar sehr, im äußeren, wie im innern Leben, und man vermißt sie selber von den Frauen, die, dem Stoffe nach, sonst so schön gebildet sind. Der Mangel an Rührigkeit steht überall der Kultur entgegen, weil das weibliche Element mehr als anderwärts in den Schatten tritt. Der Holländer, der mit der Pfeife im Munde zur Welt kommt, zieht diesen Genuß jeder andern Unterhaltung vor. Seine Phantasie geht nicht über die Wolken hinaus, die er vor sich hinbläst. Das eiserne Gefäß mit der glühenden Torfasche darin auf der einen, das Spucknäpfchen auf der andern Seite des Tisches, sitzt er stundenlang, ohne sich zu bewegen. Er schenkt sich nicht einmal selbst zu Trinken ein, sondern ruft den Aufwärter, der ihm das leergewordene Glas wieder füllen, ihm das Licht putzen muß. »Jan, inschenken! Jan, snuiten!« Der Holländer hält so viel auf die Kommodität, daß er den Unglücklichen, der sich gezwungen sieht, die seinige aufzuopfern, um ihm aufzuwarten, gar nicht mehr als einen Menschen, sondern nur noch als eine Maschine betrachtet. Daher wirft er auch das ganze Geschlecht der Kellner in eine Kathegorie und gibt ihm den Kollektivnamen: Jan. Die Dienerschaft hat deshalb kein gutes Loos dort und den Vorwurf, den man den Holländern gemacht hat, daß sie in ihren Kolonien gegen Eingeborne und Sklaven härter verführen, als irgend eine andere Nation, hat eben darin, nicht in angestammter Grausamkeit, seinen Grund. Der allgemeine Mangel an Raffinement im bessern Sinne geht vom Gesellschaftszimmer bis zur Küche, die überhaupt nirgends als etwas Unwesentliches zu betrachten, sondern vielmehr ein Barometer ist, aus dem sich sicherer, wie auf das Wetter, auf die Höhe oder Tiefe der Kultur schließen läßt. Die Küche ist in Holland eine materielle; ehrlich, solid, geradezu, wie der ganze Niederländische Karakter, aber eben so wieder aller Kunst und Poesie entbehrend. Sie verschmäht jede Täuschung und Atrappe, und versteckt sich nicht hinter falschem Schein. Sie tritt massiv auf, wie ein Riese, der im Gefühl seiner Kraft es verschmäht, das Fechten wissenschaftlich zu treiben. Aber wenn man auch an einem Riesen eine tüchtige Stütze hat, kann man es doch nicht schön finden. Und im Leben soll man Beides zu verbinden suchen, das Schöne mit dem Zweckmäßigen. Der Wilde ißt nur, um satt zu werden, gleichviel wie; der Gesittete sucht in der Zeit, die er nothgedrungen dem Magen zuwenden muß, auch seinen ästhetischen Begriffen zu genügen. Kein Volk hat mehr für die Grundstoffe gethan, als das Niederländische, aber darüber hinaus ist es nicht gegangen. Es hat in seinem angebornen praktischen Sinne die Hauptbedürfnisse zur Vollkommenheit gebracht, aber diesen nun einen poetischen Schmuck zu verleihen, ist niemanden eingefallen. Das Meer liefert ihm die köstlichsten Fische, die Viehzucht wird mit Zärtlichkeit getrieben, das Holländische Kalb ist das Ideal seiner Gattung, aber bei diesen Elementen bleibt man auch stehen, und geht nicht über in die höheren Klassen. Von dem phantasiereichen Wechsel eines Pariser Kochs hat man keine Ahnung, und die ganz kunstreiche Behandlung der Entremets ist ein noch unentdecktes Land: Das Fleisch erscheint immer in seinem ursprünglichen Zustande, ohne daß eine bildende Hand eine Umgestaltung daran versucht hätte, und die Gemüse treten im reinsten Naturzustande auf. Es herrscht durchweg eine paradiesische Unschuld, die noch von keinem Baum der Erkenntniß gekostet hat. Diese Unschuld ist sehr rührend, es gehört aber ein guter Magen dazu, sie zu verdauen; und die Fürsprache eines Glas Genever, den man freilich schon in den Weinen als eingeschlichenes Hülfskorps vorfindet, ist nicht immer vom Uebel.



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