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XI.
Amsterdam

 

Von Utrecht führt ein Kanal und eine schöne Straße nach Amsterdam. In der Regel reist man schnell in Holland. Die Wagen gehören, wie in Belgien, Privatentrepreneurs an, doch scheint die Reiselust hier nicht zu groß zu seyn, denn die Wagen drängen sich hier so nicht, wie in dem bewegteren, unruhigeren Belgien. Aber die Wege sind sehr gut, obwohl größtentheils sehr schmal. Die Landschaft bleibt sich auch hier wieder gleich, nur daß stellenweise auf der Seite des Kanals sich oft die hübschesten Landhäuser mit artigen Parkanlagen zeigen. Auf der andern Seite erblickt man schon Jalons, welche die Richtung der Eisenbahn von Amsterdam nach Arnheim abstecken sollen, eine Bahn, zu deren Vollendung Aussicht ist. Ich sank ermüdet in die Ecke des Wagens zurück, in den der Staub dicht hineindrang. Aber ein Holländer, der bis jetzt kein Wort gesprochen, wollte das in seinem Patriotismus nicht leiden, sondern stieß mich bedeutungsvoll in die Seite, schaute mich an, zeigte mit der Cigarre hinaus und sagte dann: »Mooi!« Ich nickte mit dem Kopf. »Brillant mooi!« wiederholte er. Nach wenigen Stunden hatten wir Amsterdam vor uns und ich saß, zu weitern Ausflügen neue Kräfte sammelnd, im Granale Doele, einem der besten Hotels der großen Handelsstadt.

Und Kräfte bedarf es hier, wo man auf schlechtem Pflaster die gewaltigsten Strecken zu durchlaufen hat. Welche wunderbare Stadt, dieses Venedig des Nordens! Wie wenige haben sich so in ihrer steifen Alterthümlichkeit erhalten! Das sind noch immer die alten schmalen Häuser mit den roth und weiß gefärbten Ziegelsteinen, den von eisernen Stäben eingefaßten Kellern, den Bänken auf den Treppen vor den Thüren, mit den spitzen, bald so, bald so ausgezackten Giebeln, daß keines oben dem andern gleicht, nicht eines so hoch wie das andere ist, mit den vielen glatt anliegenden Fenstern, den Alleen auf der Seite der Kanäle, die des Nachts die einzigen Warnungszeichen des Wanderers sind, denn nur selten schützt ihn ein Geländer, daß er nicht in's Wasser stürzt. Alles ist noch ganz so, wie wir es auf den Bildern von van der Meer n. A. sehen. Sind doch die Menschen selbst fast noch dieselben geblieben, wenn sie auch die alte Tracht abgelegt haben. Amsterdam ist ein gewaltiges Schuppenthier, die Kanäle, die sich gebogen, über die Ringe des Armadil, von einem Ende bis an das andere herumziehen, sind der Panzer, der alles Leben in diesem Körper zusammenhält. Sie sind die Adern, in denen das warme Herzblut des Handels rollt, und wenn es, wie jetzt, nicht so heiß ist, daß sie in einen widrigen Schweißdunst gerathen, voll lebendiger Schönheit mit ihren Schiffen und ihren unzähligen Zugbrücken. Alle diese Kanäle werden von der Amstel und dem Y genährt, alle haben Wasser genug, ja es ist oft zu viel da, und einige Quartiere haben, trotz aller Schleusen, lange und viel von fürchterlichen Ueberschwemmungen gelitten, bis man jetzt diese Theile durch einen neuen, festen Deich geschützt hat. Und dennoch fehlt es an einem Haupterforderniß, am Trinkwasser, das für Viele unentbehrlich seyn soll. Der Holländer trinkt zwar viel Branntwein, wozu auch der Wein gehört, der, wie in England, nicht wenig Spiritus hier als Zugabe erhält, aber das hilft doch nicht immer aus. Und so muß er sparsam sich Regenwasser sammeln oder das Wasser kaufen, das von der Utrechter Marienpumpe täglich in Schiffen herbeigeführt wird und einen bedeutenden Handelsartikel bildet, der je nach der Hitze beträchtlich im Preise steigt.

Ich lief etwas durch die Straßen, aber unmöglich ist, sich zurecht zu finden trotz der beßten Pläne, bei dem Mangel an vielen Thürmen und dem Wasser, das stets irre führt. Große Plätze bietet Amsterdam nicht, da nirgends Raum und Boden für sie wäre; der einzige und auch der nur künstlich gewonnene ist vor dem Palais, dem ehemaligen Stadthause, das jetzt seit der Verwandlung der Republik in ein Königreich, die Rolle mit dem ehemaligen Prinzenschlosse, einem kleineren Hause, hat tauschen müssen. Das Palais, das jetzt der Königlichen Familie bei ihrer Anwesenheit in Amsterdam zur Residenz dient, ist ein beinahe drei hundert Fuß langes und fast eben so breites Gebäude mit einer auf Pflastern ruhenden Facade. In London würde unter so vielen Steinmassen eine, wie diese mehr, sich kaum bemerkbar machen, und selbst hier, wo es keinen Ueberfluß an dergleichen gibt, muß man doch, um etwas mehr Interesse dafür zu gewinnen, sich erst erinnern, daß dieses ganze Werk mit ungeheuren Kosten, man sagt über dreißig Millionen Gulden, auf Tausenden von Pfeilern errichtet ist, die als Grundlage eingerammt werden mußten. Wir haben heut zu Tage das Alles in Berlin freilich selbst unter unsern Augen nachahmen sehen, und das Museum dort, das auch nur auf Holz ruht, ist schöner. Das Fronton der Vorderseite ist mit einem guten Basrelief in Marmor verziert. Es stellt die Stadt Amsterdam vor, die Krone auf dem Haupte, die Füße auf Löwen ruhend, Najaden und Tritonen umher. Dahinter erhebt sich ein Thurm, auf dem Atlas die Weltkugel trägt. Die Hinterseite ist ganz wie die vordere, nur daß das Fronton dort Sinnbilder des Handels trägt und man hier nur Einen Eingang hat, während vorn die sieben Provinzen durch eben so viele sehr ärmliche Thore repräsentirt werden.

Das Innere des Palais bietet wenig Erfreuliches dar, außer höchstens durch den Kontrast seiner frühern Eintheilung gegen die jetzige. Die großen Gallerien sind der wohnlichen Bequemlichkeit willen in mehre kleinere Appartements zusammengeschrumpft, die den Königlichen Hof bei seiner jährlichen achttägigen Anwesenheit in Amsterdam aufnehmen. Die Verzierung der Wände ist noch die alte geblieben; größtentheils von Marmor, mit Basreliefs, oft die Letzteren kunstreich durch Malerei nachgeahmt. Von Bildern befindet sich nur wenig Gutes hier, da das Bessere nach dem Haag gewandert ist, meist von Witt, Boll und Vlink. Sie sind durch die verschiedenen Säle verstreut und ihre Vorwürfe beziehen sich auf den Zweck, zu welchem diese Räume bestimmt waren. In der ehemaligen »Kaufkammer« hängt Joseph, wie er Getreide vertheilt; in dem Bürgermeistereizimmer Fabricius, der dem Elephanten des Pyrrhus kühn in's Auge blickt, und Marius Curius, der die Geschenke abweist und sich mit seinen Rüben begnügt, woraus die Moral als Inschrift gezogen wird:

Op's Burgermesters Wacht magh Rome veilig slaapen;

im Rathssaale Salomo, wie er zu Gott um die Weisheit betet, die nicht immer in diesem Zimmer zu Hause war; in einem andern ein großes Bild in der neuern Belgischen Manier, fast noch bunter, als gewöhnlich: Van Speyks Tod. Man sieht das Kanonenboot, das so eben von den Belgiern in Beschlag genommen wird, nebst ihrem Anführer, der den Holländischen Kommandanten auffordert, die Flagge zu streichen. Van Speyk wendet sich ab, ermahnt seine Leute, sich zu retten, und eilt mit brennender Lunte nach der Pulverkammer. Das Gesicht muß Porträt seyn, denn es ist nicht geschmeichelt und zeigt wenig Heroisches, ein langes Gesicht ohne Mark und Ton. Noch unbedeutender sind die Nebenfiguren, auf denen sich weder Entschlossenheit, noch Todesverachtung zeigt, sondern eher Apathie. Einige Gesichter sind rothgefleckt, als ob sie vom Trunk erhitzt wären. Aber von wem ist das Bild? Denn darin liegt eigentlich das Merkwürdigste von der Sache. Von Wappers und Eckhout, die Beide Belgier sind und von denen der Erstere die Belgische Revolution verherrlicht, ich glaube sogar selbst thätig mitgemacht hat. Das ist der Fluch der neuesten Zeit, daß ihr alle Ueberzeugung, alle Religiosität abgeht. Wie kann jemand ein ächter Künstler seyn, der keinen Glauben hat, der nichts anbetet, außer sich. Wer nicht an etwas außer ihm mit Aufopferung hängt, für Eins mit ganzer Seele schwärmt, gleichviel was es sey, Gott, Monarch, Vaterland, kann nimmermehr ein ganzer Künstler werden. Die Idee kommt nicht fertig aus seinem Herzen heraus, sondern der Kopf setzt sie stückweis zusammen und dann sieht man die Fugen, wenn sie auch noch so geschickt verwischt werden. – Was den Bau betrifft, so ist offenbar der große Tanzsaal, der früher zum öffentlichen Versammlungslokale für das Publikum diente, das Ausgezeichnetste im ganzen Pallaste. Ueber einem hundert zwanzig Fuß langen und sechszig Fuß breiten Raume wölbt sich hundert Fuß hoch die Kuppel frei, von keiner Säule gestützt, so daß das Ganze einen mächtigen Effekt macht. Da er früher nach dem Gerichtszimmer führte, so befindet sich über der einen Thür eine marmorne Gruppe, welche die Justiz vorstellt, die ein Gerippe neben sich hat. Aus Delikatesse für die Tänzer, die sich jetzt hier umhertummeln und deren Nerven diese Gestalt erschüttern möchte, hat man sie verhängt. Man will sich wohl todt tanzen, aber es nicht wissen. Ueber den Thüren zu beiden Seiten flattern Fahnen, welche die Holländische Tapferkeit geschlagenen Feinden abgenommen. Es sind meist vergelbte, farblose Banner, die einst die Spanischen Kerntruppen trotz ihrer langen siegesvollen Kriegszüge nicht gegen die Begeisterung eines ungeübten, aber verzweifelten Volkes behaupten konnten. An den Seiten hängen ein Paar Javanische Fahnen, die mit ihrer bunten Frische scharf gegen die düstern Spanier abstechen. Sie gehörten dem Nippo Negro an, der den Holländern so viel zu schaffen machte. Belgische Fahnen finden sich nicht vor, vermuthlich weil man die Belgier nicht als Feinde, sondern nur als verirrte Unterthanen betrachtet. Vor Allem aber versäume niemand, den Thurm zu ersteigen. Wie von der Paulskirche London, so überschaut man von hier aus am Besten das unten ausgebreitete Amsterdam. Dicht unter unsern Füßen stehen hier der gewaltige Atlas mit seiner ungeheuren Kugel, dort drei riesige Figuren, den Frieden, die Gerechtigkeit und die Klugheit vorstellend, die so nahe durch ihre Masse fast erschrecken. Aber ganz unten in weitem Halbmonde die Stadt mit ihren zahllosen Häusern, Straßen und Kanälen wie ein buntes Feld, durch das sich Kähne und Menschen in ewiger Bewegung hindrängen. Links liegt das Y vor uns, mit kleinen Schiffen besaet, deren weiße Segel wie Schwanenfittige die Wellen zu schlagen scheinen, gleich darüber das Harlemer Meer, das bald verschwinden soll, um urbarem Lande Platz zu machen; dort vor uns die Zuyder See, die den Horizont begrenzt und auf der einzelne große Schiffe auftauchen, welche Schätze von Indien bringen, hier, jenseits des Wassers, Saardam mit seinen vielen Windmühlen. Zur rechten Seite eine weite grüne Ebene und ganz im Hintergrunde die Thurmspitzen von Haarlem und Utrecht. Es ist ein großer und doch freundlicher Anblick: das Wasser schimmert im Glanze der Sonnenstrahlen, einzelne Wolken werfen ihre Streifschatten darüber hin, die wie ein dunkler Schleier sich hinziehen und gleich wieder dem hellen Lichte Platz machen. Fischerkähne schaukeln sich ruhig vor Anker, andere Barken fliegen über das Wasser nach dem und jenem Schiffe hin, ein Dampfboot steuert stolz im Bewußtseyn seiner Kraft, trotz Wind und Fluth, in gerader Richtung auf sein Ziel zu; am Hafen, in den Docks wimmelt es von unzähligen, beschäftigten Menschen, Alles ist Leben; man sieht nicht von hier oben die Last und die Sorgen, die den Einzelnen niederbeugen; man hört nicht die Drohungen und Flüche, die den Söldner zur verhaßten Arbeit treiben, alles scheint hier oben in der freien Luft voll Einer Lust, Eines frohen, rührigen Treibens und dazu klingt dicht über uns das heitere Glockenspiel, die Hämmer schlagen gegen das Metall und schmieden eine lustige Melodie zu dem Tanze da unten, daß es schwer wird, wieder hinabgestiegen zu der Welt, über der wir jetzt stehen, und zu ihren Häusern und ihren Sümpfen

Zur Seite des Schlosses liegt die neue Kirche, ein altes Gebäude, über dessen Bauart aber sich eben so wenig, als über die aller anderen in Holland sagen läßt, verkleistert und eingeschnürt, wie sie von hölzernen Wänden sind. Sie enthält zwei Denkmäler von Seemännern. Das eine, rohgearbeitet, gehört dem ruhmgekrönten Admiral de Ruyter, der seinem Vaterland in unzähligen Schlachten und eben so viel Siegen über Spanien, England und Frankreich die Herrschaft zur See erfochten, bis er endlich bei Messina den Tod der Ehre starb. Er liegt in Marmor, geharnischt wie zum Kampf, und um ihn her die Trophäen seiner Siege. Ihm gegenüber befindet sich das andere, ein in die Wand gefügter Obelisk; die Inschrift sagt, das Monument sey zu Ehren van Speyk's errichtet. Der junge Mann, dessen Tod ihn der Gesellschaft des größten Seehelden würdig gemacht. Fast zwei hundert Jahre sind verflossen und Holland scheint niemand sonst gefunden zu haben, dem es den Kranz kriegerischen Ruhmes hätte reichen können. Wohin man sieht, nirgend ein Stein, der die letzte Zeit ins Gedächtniß ruft. Die Provinzen hatten sich zu Tode gesiegt und ein Nachbar nach dem andern erhob das Haupt und verdrängte ihre Flagge von dem einst allein beherrschten Meere. Der Heldenmuth, mit dem das Vaterland gegen Fanatismus und Unterjochung vertheidigt worden, war erloschen. Nur der Handel war geblieben, die Frucht der ehemaligen Macht, aber nur in der Blüthe, im Wachsthum ist die Poesie und der Ruhm. Es war aus mit dem Siege; fremde Heere zertraten die Erde, fremde Reiter sprengten über das starre Meer und eroberten mit dem Säbel in der Faust die eingefrorenen Schiffsbatterien, Belgische Blousen hatten, um dem Stolze der Nation den letzten Todesstoß zu geben, eine ganze Armee wohlgerüsteter Krieger aus dem Lande geschlagen; der Brandmark der Feigheit schien auf einem ganzen Volke zu lasten, das vom Spotte der Welt sich gegeißelt sah, der Welt, auf die es früher selbst mit Hochmut herabgesehen hatte, da warf der junge van Speyk die Lunte in die Pulverkammer seines Schiffes und mit der Flamme, die aus allen Fugen drang, brannte auch das Feuer der Begeisterung in seinen Mitbürgern hoch auf, wie das in die Luft gesprengte Fahrzeug stieg auch der Muth und die Hingebung der Nation. Nicht die That selbst, deren die Französische Revolution zu hunderten darbietet, von Männern geübt, die keine Geschichte mehr kennt, aber ihre moralische Gewalt war groß. Man that gern ein Uebriges an van Speyk, weil man sich selbst damit wohl that. Er war der Matador, mit dem man alle Trümpfe, die die Lacher ausspielten, stechen konnte, die Legitimationskarte, welche die Nation wieder ehrenhaft machte. Die Gebeugten erhoben das Haupt wieder und sie trugen es hoch genug, und Deutschland hat nicht Ursache, mit dem Nachbar sonderlich zufrieden zu seyn. Ich denke später auf diese Karakterzüge zurück zu kommen. – Sonst hat die Kirche nichts Bemerkenswerthes, als etwa noch eine unbedeutende, von einem Kranze umwundene Urne, die in einer der Nischen angebracht ist, aber den Namen Vondels trägt, den bedeutendsten der Holländischen Literatur, Vondels, des Vaters der Holländischen Poesie, dessen Gysbrecht von Amstel noch immer mit patriotischer Pietät vom Publikum verlangt und aufgenommen wird.

Bei weitem interessanter ist die alte Kirche, die groß und in gutem Style gebaut ist, und herrlich gemalte Fenster besitzt. Farben und Komposition sind zum Theil vortrefflich, namentlich bei dem einen, das Philipp II. vorstellt, wie er die Selbstständigkeit der von ihm abgefallenen Provinzen anerkennt, ein Akt, der durch die nicht eben sehr poetischen Verse Vondels deutlich gemacht wird:

Philip tekent met syne Handen
Het vry Verband van seven Landen
En staat syn Recht en Titel af
Dat tuigt het segel dat by gav (1648).

Die andern Scheiben enthalten Heiligengeschichten mit sehr gut perspektivisch gezeichnetem Bauwerk. Eine Tafel, dem Admiral Hemskerk zu Ehren, zieht nicht an, obgleich eine Marmorplatte darunter hängt, die in erhabener Arbeit, freilich schon sehr verwischt und undeutlich, eine Seescene darstellt. Die Orgel ist schön. Merkwürdig ist, daß noch jetzt reiche Katholiken, deren Vorfahren sich hier eine Ruhestätte angelegt hatten, obgleich den Nachkommen schon fast beinah drei Jahrhunderte dieser Tempel genommen worden, sich in den Gruben dieses Domes begraben lassen. Sie scheuen es nicht, daß jetzt hier eine andere Lehre gepredigt wird, und die Protestanten gönnen gern den Todten den Platz, aus dem sie die Lebenden verdrängt haben. Von allen übrigen Kirchen ist je weniger gesagt, je besser. Vier derselben, die nach den vier Hauptrichtungen des Kompasses getauft sind, weil sie an den vier Enden der Stadt stehen, bieten dem Auge nichts Erfreuliches dar, gerade so viel, als der ganze Rest, deren Zahl nicht gering ist; denn man ist fromm hier und betet Morgens und Abends, und die Theologie spielt, wie schon gesagt, eine große Rolle, wobei es denn an Zänkereien und Deuteleien in der Fakultät nicht fehlt. Trotzdem herrscht viel Toleranz bei der herrschenden Kirche gegen alle andern Religionsparteien, und man bemüht sich nirgends weniger um Bekehrungen, als hier. Der Jude genießt aller bürgerlichen und politischen Rechte, und die neueste Zeit erst hat einen Meyer die jetzige Konstitution des Landes redigiren, so wie einen Ascher an der Spitze des Justizdepartements gesehen. Allerdings gehörten Beide zu den ausgezeichnetsten Köpfen der Nation, besonders der Erstere, der eine Regsamkeit des Geistes, verbunden mit tiefem Wissen, besaß, daß er überall sich bemerkbar gemacht hätte. Nur an ihm, an seiner Lebensweise und an seinem Mangel an Ehrgeiz lag es, daß nicht auch er, statt Advokat zu bleiben, die höchsten Stufen im Staate erstieg. Obgleich er durch seine Thätigkeit im bürgerlichen Leben nach jeder Richtung hin Anlaß zu tüchtigen Bestrebungen gab, hätte er doch noch mehr wirken können, als er wirklich gethan hat.

Wenn auch die Juden durch die ganze Stadt zerstreut sind, ist doch bei weitem der größte Theil in ein einziges Quartier zusammengedrängt, das sie, mehre Straßen durch, fast allein ausfüllen. Auch sie haben mehre Synagogen, unter denen sich besonders die sogenannte Portugiesische durch ihre Größe und einfache, aber gute Bauart auszeichnet. Es war Freitag Abend, der Gottesdienst eben beendet, und massenweise strömten sie heraus die dunklen Gestalten und jeder wünschte dem Andern, der Freund dem Freunde, der Arme dem Reichen einen fröhlichen Feiertag, und Alle trugen ihr Rüstzeug zum Beten unter dem Arme, der gern die leichte Last trägt, nachdem er die harten Wochentage durch von der schwererern ermüdet worden und nach allen Seiten hin wallten sie in ihre geputzten Wohnungen, wo die Lichter brannten und die ersehnte Ruhe ihrer wartete. Und obgleich sie sich frei fühlen, ruht doch noch immer der Druck vergangener Jahrhunderte auf ihren Schultern und die Erinnerung überstandener Leiden beugt noch immer ihr Haupt, und in die Morgenröthe ihrer Selbstständigkeit spielen noch immer die düstern Farben einer langen Nacht voll Blut und Grauen und Elend. Wo es galt, haben sie sich ihrer Freiheit werth gezeigt, aber es bedurfte immer erst des zündenden Funkens, um sie aus der sklavischen Gleichgültigkeit zu erwecken, in die eine gewaltsame Gewöhnung sie erpreßt hatte, und sie zu mahnen, daß sie gleiche Rechte, gleiche Pflichten und gleiche Kräfte besäßen. Aber die warme Sonne, die vor ihnen jetzt aufgegangen, wird sie aus ihrem Todesschlafe zu neuem Leben rufen, und nachdem die Schranken einer besseren Laufbahn gefallen, ihnen auch den Muth und die Lust geben, sie zu durchlaufen. Das Streben zu fühlen, das Bewußtseyn des Höheren zu besitzen und sehnsüchtig über die Schranken hinauszublicken, ohne sie überschreiten zu dürfen, das ist das Unglück.

Dem Meere hat Holland seinen Boden, seinen Reichthum abgerungen. Das Wasser ist das Herzblut des Landes, weshalb auch das Blut seiner Bewohner so kalt und wässrig ist. Was es ist, verdankt es dem Handel, der freilich nicht mehr in so reichen Strömen zufließt, wie sonst. Das Monopol ist verschwunden, und die Bequemlichkeit, Schätze zu sammeln, geschmälert. Zu der mühsamen Anstrengung, mit kleinen Anfängen sich nach und nach zu Höherem hinaufzuarbeiten, fehlt es dem Holländer an Elasticität, und er sieht lieber zu, wie das ganze Detailgeschäft ihm entrissen wird oder an Fremde übergeht, die sich in seiner Heimath niedergelassen haben. Namentlich spielen auch hier wieder Deutsche die Hauptrolle, die durch ihre Thätigkeit und ihre eiserne Ausdauer sich leicht in einiger Zeit ein Vermögen erwerben. Amsterdam besonders wimmelt von ihnen, und es ist oft weniger Geringschätzung als Neid, der die Holländer mit Widerwillen gegen sie erfüllt, und sie den Spottnamen der Muffen, der ursprünglich nur den armen Schnittern zukam, die von der Gränze herüber kamen, um den pragmatischen Niederländern das Getreide zu mähen, auf die ganze Nation ausdehnen läßt. Holland ist nur noch sein Schatten, seine Marine nur der Abglanz einer längst verschwundenen Epoche voll Ruhm und Macht, aber selbst dieser Schatten, selbst dieser Abglanz ist noch voll Interesse und Bedeutung, noch immer der Ausspruch der Börse zu Amsterdam von Gewicht für den Europäischen Geldmarkt. Ihre Stimme ist freilich laut genug. Dem Palais gegenüber ist ein großer viereckiger offner Platz, auf allen Seiten von bedeckten Gallerien eingeschlossen, zu dem zwei Eingänge führen. Hier ist »des Plutos goldenes Reich.« Doch nur interimistisch. Die alte Börse, die fast in denselben Verhältnissen, nur massiv gebaut war, wird niedergerissen und die Geschäfte werden einstweilen hier gemacht, bis der neue Pallast errichtet ist, den man auf einem noch zuzudämmenden Kanale erbauen will. Dem Hause wird das Wasser weichen, aber wie manches Vermögen wird dort drinnen wieder zu Wasser werden. Um drei Uhr läutet es, und die spekulirende Menge strömt durch die enge Pforte, schreiend und gestikulirend. Es ist ein Lärm, wie in einer Schlacht. Die Massen theilen sich schnell und nehmen ihre verschiedenen Positionen ein. Die Papiermänner in einem Winkel, die Schiffer in einem andern, jedes Geschäft an einer besondern Stelle. Der offene Platz ist mit Leuten angefüllt, die auf- und abwogen und ihre Spekulationen vorbereiten. Am lautesten sind die Papiernen. Dort steht auf einer Stufe ein Abgesandter des Hopeschen Hauses und bietet Ardoins aus. Ein dichter Knäuel umlagert ihn. Achtzehn siebenachtel! Mit Schreibtafeln in der Hand winden sich Mäkler hier und dort hin durch, rufen dazwischen und notiren Bestellungen. Zieh Deine Brieftasche nicht daraus. Auf der Stelle drängt sich sonst ein Trupp um Dich und verlangt zu kaufen und zu verkaufen. Es wird von Summen gesprochen, die freilich nach mehr klingen, als daran ist. Ueberdies hat die Solidität des Besitzes hier zu großen Reiz, als daß die Spekulationen zu sehr in's Blaue getrieben würden. Die Erschütterungen einer Krisis wirken daher auch hier nie so nachtheilig ein, wie an den Orten, wo man, um nur schnell sich auf Gold zu rollen, Alles, Zukunft und Ehre, auf Einen Wurf setzt, der, beim Fehlschlagen, in Schande und Grab führt. Es ist karakteristisch für die Pariser, daß sie auch darin am leichtsinnigsten wagen, und die sichere Mäßigkeit aufs Spiel setzen, um nur schnell zu unmäßigem Glanze zu gelangen. Darum gebührte es sich, daß sie dem Gotte des Zufalls statt der Börse einen Tempel bauten, in dem sie täglich anbetend opfern könnten. Die Börse von Amsterdam aber ist mehr das Komptoir des Hafens.

Der Weg nach dem Letztern ist weit. Dicht um die Stadt laufen auf dieser Seite Quais und Dämme, die erst in neuester Zeit erhöhet worden sind, weil bisher dieser Theil immer gefährlichen Ueberschwemmungen ausgesetzt war. Wie anders das Leben und Treiben hier, als in den niedrigen Hallen jenes Gebäudes, wo List und Trug so oft den bösen Kampf aufführen! Die rege Geschäftigkeit, die hier herrscht, fördert langsam, aber sicher. Es ist ein wahrhaft großer Anblick, links die Entrepots und drinnen Schiff an Schiff gedrängt, vor uns das Y, dort in weiterer Ferne das niedrige Ufer des Waterlandes mit seinen zahllosen Mühlen. Auf diese Schönheit geben die Holländer am wenigsten, und doch ist dies das wahre, einzige »Moiie Gesicht,« das sie besitzen. Die Bewegung, die an einem besuchten Hafen herrscht, hat wenigstens für den Landbewohner einen eigenthümlichen Reiz, gegen den selbst schönere Aussichten nicht aufkommen. Die ununterbrochene, fremdartige Abwechslung gibt der Phantasie immer neue Beschäftigung, so daß man kaum zur Ruhe gelangen mag. Das Kommen und Gehen der Schiffe, das Rollen der Wellen wiegt in die buntesten Träume ein, man freut sich mit den Heimkehrenden der Rückkehr in das ersehnte Vaterland und blickt voll Erwartung mit den Abfahrenden den üppigen Gestaden Indiens entgegen. Ich hatte einen lieben Freund, einen ächten Rheinländer voll kecken, muntern Sinnes, nebst seinem jungen Neffen bei mir. Wir gingen zusammen die lange Jettée hinauf, die nicht so elegant, wie die von Ostende ist, aber von der man eines ganz andern großartigen Anblicks genießt. Am äußersten Ende derselben lag ein kleines Lustboot mit einem Paar Segeln, das von einem alten verwitterten Matrosen, der lange Jahre in der Königlichen Marine gedient hatte, geführt wurde. Wir legten Beschlag darauf und Freund L., der auf dem Wasser zu Hause ist, wie auf dem Lande, ergriff das Steuerruder.

Es war ein schöner Tag. Der unbewölkte Himmel spiegelte sich in dem grünen Wasser, das von einem flüchtigen Landwinde leicht bewegt wurde. Mir, uns allen war so wohl, die Stadt mit ihrem schmutzigen Wasser im Rücken zu haben und die frische, reine Luft zu athmen. Es gibt kein wonnigeres Gefühl, als über den Meeresspiegel hinzufliegen, so lange der Anblick des Landes noch den Ausbruch einer Rebellion in unserm Innern verhindert. Ich liebe es nicht, wenn sich das Unterste zu Oberst kehret, und ziehe es vor, wenn Alles in Ordnung und in gehörigem Gleichgewicht bleibt.

Wir fuhren zuerst in die Docks ein, um uns die zahllosen Schiffe in der Nähe zu betrachten. Die Flaggen aller Nationen wehten von den Masten herab. In den Tauen hingen Matrosen und arbeiteten an dem Segelwerk, andere lagen unten im tieferen Raum und man hörte nur ihren rauhen, aber in dieser Umgebung nicht unangenehmen Gesang. Hin und her schossen die kleinen Nachen und holten und brachten. Dicht vor uns lag die Landswerf, lange Gebäude, eine Art steinerner Schuppen, mit gewaltigen offenen Bogen, in denen, gegen das Wetter geschützt, kaum angefangene und schon halb vollendete Schiffsrümpfe lagen, an denen fleißig gearbeitet wurde, weit- und schmalbauchige Kolosse, deren nackte riesige Leiber bald Schmuck und Kleider bekommen sollen, um dann kokett und zierlich sich unter die übrige Gesellschaft draußen mischen zu dürfen. Und um ihrem immer zunehmenden Gedränge mehr Platz zu schaffen, soll jetzt die große prächtige Kaserne, die Napoleon noch erbauen ließ und nach seinem Sturze sich eine Umtaufe gefallen lassen mußte, die Kaserne Nassau eingerissen und der Platz, den sie einnimmt, dem Wasser überlassen werden. Es soll ein ungesundes Wohnen in dieser Steinmasse seyn, aber wäre es auch nicht, die Armee müßte doch der Marine weichen. Nicht weit von der Werfte liegen einige zum Theil abgetakelte Kriegsbriggs und Fregatten, theils als Wacht-, theils als Lehrschiffe gebraucht. Wir bestiegen eines der Letztern, in dessen Mastkorbe ein Dutzend Jungen steckten, die hier zu tüchtigen Matrosen ausgebildet werden. Die Fregatte war, obwohl jetzt nicht mehr zum Seedienst bestimmt, in schönster Ordnung, überall herrschte die höchste Sauberkeit und mit der größten Bereitwilligkeit wurde uns gestattet, Alles in genauen Augenschein zu nehmen. Einer von den Knaben, ein frisches, munteres Gesicht, sprang schnell die Strickleiter herunter und führte uns überall herum, und zeigte uns mit einer Liebe und einem Stolze, die ihm ganz gut standen, die langen Kanonen, die Kugeln, mit den Waffen aller Art, Dolche, Schlösser und Aexte, die an den Wänden in symetrischen Figuren befestigt waren, die Schlafstellen der Matrosen und alle die andern verschiedenen Räume. Das Lob, das wir der Einrichtung spendeten, von der im Grunde niemand von uns etwas Rechtes verstand, machte doch dem kleinen Manne die herzlichste Freude und er scharrte hinten und vorn aus, als L. ihm beim Abschiede sagte, er werde gewiß einmal ein »knapper Matroos« werden. Durch eine mächtige und schön gebaute Schleuse, zu der, wie ein Denkstein bezeugt, einer der Prinzen den Grundstein gelegt, fuhren wir endlich in das offene Y hinaus.

Wie der Vogel durch die Luft, schossen wir über die breite Fläche. Immer tiefer treten die Umrisse zurück und weiter breitet sich die Wassermasse aus. Die hohen Maste, die dort aus der Ferne herüberschimmern, gehören schweren Ostindienfahrern an, die noch in der Zuydersee sind. Auf allen Seiten tauchen kleinere Segel auf. Fahrzeuge, die nach Saardam gehen und von dort herkommen. Dort rauscht ein Dampfboot, sie alle überholend, und hier rasselt ein anderes, ohne Segel und doch ohne Dampf. Pferde, die im Bauche des Schiffes in ein mühsames Joch gespannt sind, treten die Schaufelräder und schieben das Boot langsamer, aber wohlfeiler dahin.

Keiner hatte Muth, Lust zum Sprechen. Wir ließen uns hintreiben, die Augen auf das Spiel der kleinen Wellen gerichtet oder den Flug der Möven verfolgend, die über das Wasser schossen – jeder dachte sich dabei sein Theil. »Es wird spät,« meinte der Schiffer. – Und kühl obenein. Aus unsern Träumen geweckt, spürten wir erst, wie empfindlich der Wind geworden war. Wir ließen wenden, wieder nach der Stadt zu, die wir ganz aus den Augen verloren hatten. Im Fahren sah niemand von uns, daß wir gegen ein Seil trieben, das zwei Schiffe an ihren Masten zusammenhielt. Erst der Ruck, den wir erhielten, machte uns auf unsere Unvorsichtigkeit aufmerksam. Unser Matrose drehte schnell sein Segel; aber die Stange, an die es befestigt war, schlug im Wenden dem Freunde, der sich eben etwas erhoben hatte, zum Glück nicht gegen den Kopf, sondern nur gegen den Hut, der weithin in's Meer fiel. Der unglückliche Filz, der hüpfend über die Wellen setzte, gab zu einer lustigen Jagd Anlaß, bis er endlich glücklich geentert und an Bord gebracht wurde. Freilich nicht in tragbarem Zustande und L. mußte es sich schon gefallen lassen, Chapeaubas nach Hause zu wandern.



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