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III.
Brüssel

 

Brüssel, wissen Sie, ist mir von lange her zuwider. Ich mag eine Stadt nicht, die keinen Karakter hat, die aus den heterogensten Mischungen besteht, in der der Kopf, wie beim Pfau, verächtlich auf die Füße herabblickt. Brüssel hat nur zwei Sachen, die in immer gleicher Thätigkeit sind und dem Fremden, wenn er die Stadt schon zur Genüge kennt, stets etwas Neues darbieten: das eine ist das traurige Geschäft des Nachdrucks, das andere die Tafel im Hôtel de Flandre. Das eine sorgt eben so wohlthätig für den Geschmack, als das andere verderblich darauf einwirkt. Es ist merkwürdig, wie in dieser Hauptstadt des Belgischen Reiches so vortrefflich für den Körper, so schmählich für den Geist gesorgt ist. Man braucht nur auf den Straßen die feisten, strotzenden Gestalten sich vorüber bewegen zu sehen, um sogleich zu wissen, daß hier nur die Materie herrschen kann. Alle Hotels sind ausgezeichnet, ihre Tische auf das Reichste besetzt, alle Buchhandlungen kahl und leer. Selten, daß man ein Werk erhalten kann, was man gerade gebraucht und wäre es auch eben in Paris erschienen. Ein wissenschaftliches natürlich, denn für die Romane sorgt der Diebstahl des Nachdrucks, der sich bitter genug rächt, dessen Abschaffung aber an dem allgemeinen Krämergeiste scheitert. Weil einige hundert Setzer und Drucker davon leben, kann kein Gesetz dagegen aufkommen, und die nothwendige Folge ist, daß in Belgien selbst an keine nationale Literatur zu denken ist. Kein Verleger wird ein Originalwerk kaufen, da er das fremde sich umsonst zu eigen machen kann, und so gehen sogar gute Kräfte unter, wenn sie sich nicht mit Paris in Verbindung setzen können. Die Kammer begreift freilich nicht, daß eine Nationalität des Volkes und des Landes, von der sie so gerne träumt, nicht haltbar ist, wenn sie von dem Geiste eines Nachbarn zehren, sich mit dessen Ideen nähren muß. Amerika, das gewiß nichts mehr von England zu fürchten hat, empfindet die Folgen desselben Systems und will endlich dagegen arbeiten; in Belgien, das sich noch täglich Französisches Erbgut nennen hören muß, ist man noch nicht so weit in der Erkenntniß. Von seinen Staatsmännern ist allerdings wenig literarischer Sinn zu erwarten, da, mit Ausnahme des Königs, sich schwerlich jemand um dergleichen bekümmert. Selbst um die Journalistik, diese Scheidemünze der Literatur, ist es kläglich bestellt, und in den geachtetsten Blättern herrscht oft eine Rohheit des Tones, die auf geringe Humanität in der Bildung der Redaktoren schließen läßt. Wo eine feinere Sprache geführt wird, kann man fast immer annehmen, daß ein Franzose die Feder führt. Ich suchte nach Notizen über die Belgischen Staatsmänner, über die neueren Verhältnisse des Landes. Es war nirgends etwas zu haben. An Biographien nicht zu denken, außer dem Werke von Rothomb nichts über die Revolution zu bekommen. Man schreibt nicht, weil nicht gesehen wird. On arrange celà autrement chez nous. Schreiben wir auch zuviel, finden sich doch unter der Masse gute Körner genug, die Früchte tragen können, und die Verbildung ist leichter zu tragen und zu bekämpfen, als der Mangel an alter Bildung.

Ich besuchte gestern White, der, glaube ich, nur nach Brüssel gezogen ist, damit diese Stadt doch wenigstens Einen Schriftsteller von Namen besäße. Er ist noch immer so geistig thätig, als sonst und freute sich sehr, als er hörte, daß sein letztes Werk »die heimliche Ehe« auch in Deutschland so viel Glück mache. Er arbeitet jetzt an einem neuen Romane, von dem bereits die beiden ersten Theile beendigt sind. Es heißt Tale of a Cachemir Shawl und ist phantastisch-satyrisch gehalten. In Indischem Gewande karrikirt es Europäische Zustände und verspricht sehr interessant zu werden. White führt ein sehr angenehmes Leben, ein Mittelding zwischen schriftstellerischer Täthigkeit und fein-aristokratischer Geselligkeit, in der er freilich mehr auf Fremde, als Einheimische beschränkt ist.

Von da jagte ich, meiner Gesellschaft zu Liebe, noch einige Kunstschätze ab, das Palais des Prinzen von Oranien, in dem man noch immer so behutsam auf übergezogenen Wollschuhen auftreten muß, wie aus Furcht, daß man einen rächenden Geist heraufbeschwören möchte, und das Schloß des eben abwesenden Königs, in dem man ganz revolutionair, mit schmutzigen Stiefeln zugelassen wird und dessen Gallerie eine kleine Uebersicht über die Fortschritte der neuern Kunst in Belgien gewährt. Im Ganzen ist die Sammlung, was den inneren Werth betrifft, nicht sehr ergiebig. Ein Paar Portraits von Französischen Malern zeugten mehr von Geschick, als von Genie. Recht schön war eine Heerde Pferde, die von Wölfen angefallen wird, von Verboeckhoven gemalt, aber nicht das Beste, was er gemacht hat. Viele Genrestücke, wenig Großes. Die Belgische Schule hat unstreitig ihre großen Verdienste, in denen sie die Düsseldorfer übertrifft, wie sie ihr in andern Stücken wieder nachsteht. In der erstern scheint noch ein Abglanz der alten Meister zu leben, der sich bis auf die Enkel herunter erhalten hat. In der ganzen Technik, in der Behandlung der Farben, in der Vorbereitung des Effektes – worin freilich oft über das richtige Maaß hinausgegangen wird, aber mehr bei den Franzosen, als bei den Belgiern – scheinen mir die Niederländischen Maler, Belgier wie Holländer, bei weitem die Düsseldorfer zu übertreffen, die sich nicht so an beständiger Anschauung vortrefflicher Meister erfrischen können. Dazu kömmt, daß die Belgier unabhängiger sind und nicht von einer stereotypen Idee nach einseitiger Richtung hingedrängt werden. Sie geben mehr die Aeußerung ihres eigenen Gefühls, den Ausdruck ihrer Leidenschaft, der sich demnach nach den verschiedenen Individualitäten eben so oft modifizirt, während in Düsseldorf ein jeder sich mehr einer gewissen hergebrachten Form anzunähern sucht. Da diesen Individualitäten aber oft die Poesie abgeht, so werden auch ihre Gestalten materieller, ihre Kompositionen unedler. Weil sie aber auf sich selbst allein angewiesen sind, so müssen sie auch ihre schöpferische Kraft mehr anspornen und ihre Bilder erhalten Leben, Bewegung, Handlung.

In Düsseldorf herrscht eine Idee vor und diese ist zum Glück eine poetische, ideale; und da Alles sich nach ihr modelt, so kann auch der Schlechtere nicht zur Gemeinheit herabsinken, wie aber auch dem Besten immer eine gewisse Befangenheit anklebt, die aus dem Mangel an Unabhängigkeit nothwendig hervorgehen muß. Der Geist sinkt zur passiven Empfänglichkeit herab, statt selbst schaffend aufzutreten. In der Düsseldorfer Schule herrscht das weibliche Prinzip vor: das Plastisch-Schöne, das jede rasche Strömung des Gefühls scheut und höchstens mit den Augenwimpern sich verräth, die Ruhe, die in jeder Bewegung manierirt zu werden fürchtet. Es ist schon viel darüber gesagt worden; ich glaube aber, daß das akademische Leben an dieser schroffen Richtung die meiste Schuld hat. Schadow ist ein ausgezeichneter Mann und das ist eben das Unglück. Darum eben reißt sein Beispiel so Viele zur Nachahmung hin. Sonst ging der Malerjünger zu einem der tüchtigsten Meister, sah ihm gehörig auf die Finger und auf die Farben, hörte auf seine Lehren und wenn ihm die Schwingen gewachsen waren, so zog er seines Weges und schlug sich in einer andern Stadt sein Atelier auf. Lag etwas in ihm, so kam es zu Tage. In einem solchen akademischen Gynocäum aber hocken sie zusammen wie die Weiber, jeder hilft dem andern, mäkelt an dem andern und damit geht am Ende der ächte, frische Lebensgeist zu Grunde und es wird eitel blasses, markloses Werk, das immer recht hübsch seyn kann, aber das Herz nicht schlagen macht, höchstens zu einer schwächlichen Sentimalität anregt. Daß Herr van Brée in Antwerpen ein so kleines Licht ist, halte ich für einen Gewinn. Die jungen Leute übersehen ihn, sobald sie die ersten Elemente weg haben und verlassen sich dann auf ihre eigenen Füße. Wenn sie auch oft stolpern, zuletzt lernen sie doch gehen. »Ich will lieber mit Männern fallen, als mit Kindern stehen,« sagt der Tempelherr. Die Düsseldorfer sind freilich keine Kinder, aber Männer auch nicht; schöne, blöde Jünglinge, denen nur die Courage fehlt. Was für Poesie liegt in diesem Lessing, Bendemann! Was könnten sie werden, wenn sie mehr aus sich herausträten! Man sage nicht, diese Richtung sey eben ächt Deutsch, in der Malerei, wie in der Poesie auch. Die Zeiten sind vorbei und der Ausspruch gilt nicht mehr. Nur Frauenzimmer sehen in Schiller blos die zarten, lieben Sentenzen; unter diesen weichen Gliedern liegen auch derbe, tüchtige Knochen und gesundes Mark. Muß man denn bloß Max und Thekla und dergleichen malen; immer bloße Entsagung und kraftlosen erliegenden Schmerz? Den Moment einer großen Handlung festzuhalten, ist eine schönere Aufgabe, denn das weckt große Handlungen. Andere leiden sehen, macht uns nicht besser, nur melancholischer, als wir ohnedies so gern sind. Es ist ärgerlich, eben weil man gern möchte, daß die Deutschen auch darin alles Fremde überragten, und weil man sieht, daß sie das Zeug dazu haben und nur recht zu wollen brauchten. Ich denke, ich komme noch einmal darauf zurück, wenn ich der Ausstellung habhaft werden kann, die jetzt durch Belgien wandert. In Antwerpen ist sie nicht mehr. Vielleicht finde ich sie in Brügge. Es sollen gute Sachen darauf seyn, von Wappers, Verboeckhoven und Keyser, einem Kleeblatte, auf das die Belgier mit Recht stolz sind. Eins ist mir aufgefallen: trotz den herrlichen Köpfen von Van Dyck und andern Alten, deren es hier so viele gibt, habe ich unter den neueren keinen einzigen gefunden, der mit denen von Hildebrandt einen Vergleich aushalten könnte. Woran das liegen mag? Vielleicht eben daran, daß sie hier nicht im Stande sind, den ruhigen Moment von seiner poetischen Seite aufzufassen.

Um mich selbst zu bestrafen, sah ich am Abend ein Paar Akte von Mozart. Ich schlug mich auf die Brust und sagte: peccavi! In Aachen geben sie es noch besser. Selbst die Scenerie und Ausstattung haben wir schon besser bei uns gesehen, mit Ausnahme des Tanzes, dessen Mangel für mich immer ein Gewinn ist. Bertram war viel schlechter, als bei uns, und Robert hatte keine Idee von Bildung in der Stimme und sah aus und gebärdete sich wie ein verrückter Schusterjunge, dem man statt der ledernen eine blauseidene Schürze angezogen hat. Das Orchester war freilich besser, obgleich ein neben mir sitzender Engländer behauptete, er hätte sich erquickt an dem unserigen, da hier Alles durcheinander ginge, während bei uns die Violinen wie Ein Mann spielten. Ich glaub's. Sie studiren hier jetzt die Hugenotten ein, denn auch hier, wie in Paris, lebt die Direktion von Giacomo Meyerbeer, und Mozart gehört schon seit Jahren zu den verschollenen Namen. Einen Cellisten, hinter dem ich im Sperrsitze saß, frug ich, ob man denn niemals Mozart spiele. »Dans les être-actes,« antwortete er, »on joue quelquefois de ses contre-danses.« Er meinte nämlich Musard, der einen Magen wie unser Strauß hat, mit dem er die schwersten Opern verdaut und als Tanzmusik wieder von sich gibt. Und dieses Dalai Lama Dienstes schämt sich die Welt nicht.

Den andern Tag wurde das Museum, dessen Armuth durch das blendende Revolutionsbild von Wappers nur um ein Stück Armuth reicher geworden ist, und die vortreffliche Gallerie des Prinzen Aremberg abgelaufen und dann fort nach Antwerpen.



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