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Fünftes Buch

Eine Träne drängte sich aus den Augen des Prinzen, als er das Tagebuch seiner Mutter aufschlug.

Tagebuch Agalvas, der Tochter Rosas,
Abkömmlings von Samora.

Ich hatte mein zehntes Jahr noch nicht erreicht, als mich die Prinzessin, meine Mutter, nach Romaran in das Institut brachte, das zu der Zeit gegen achthundert Schüler beiderlei Geschlechts zählte. Ohne viel Eitelkeit zu verraten, kann ich versichern, daß ich mich in allen körperlichen Übungen sehr auszeichnete und gewöhnlich die Erste meiner Klasse war. Drei meiner Ausarbeitungen erhielten den Preis und wurden öffentlich gelesen.

An meinem siebzehnten Geburtstag empfing ich aus den Händen meines Oheims, des Samorin, den grünen Gürtel. Ein glänzendes Fest verherrlichte diese Feierlichkeit, die Staaten von Kalekut wurden eingeladen, und die Gesandten verschiedener Fürsten des Reichs erschienen, um mir Glück zu wünschen. Ich kehrte nach Romaran zurück, und den folgenden Sommer empfand ich die Vorempfindungen des Glücks, Mutter zu werden. Aus Furcht einer möglichen Täuschung machte ich meine Mutter nicht eher damit bekannt, als ich meines Glücks gewiß war. Man holte mich nach Hause, und im darauffolgenden November gebar ich Firnos. Oh, mein teurer Sohn! der Himmel schütze dich während meiner Abwesenheit! Welch ein Trost für mich, dich unter der liebevollen Sorgfalt deiner Großmutter zu wissen, die dich um ihrer Tochter willen lieben wird. Nachdem ich mein Kind entwöhnt hatte, machte ich eine Reise durch das Reich und wurde an allen fürstlichen Höfen mit der Auszeichnung, die man meiner erhabenen Geburt schuldig war, empfangen.

Kurz darauf, als ich nach Kalekut zurückgekehrt war, wurde der Kapitän eines englischen Schiffes bei Hofe vorgestellt. Seine Beschreibung von den Sitten und Gebräuchen seines Landes war so seltsam und machte meine Neugier so rege, daß ich den Entschluß faßte, ihn nach England zu begleiten. Er gab mir die Versicherung, daß, obgleich mein Geschlecht noch nicht so frei wäre wie hier, doch meine persönliche Sicherheit keine Gefahr zu befürchten hätte, wie in der Türkei oder in China. Meine Mutter gab endlich die Einwilligung zur Reise, und der Baron Naldor, der Sohn Rolidas, ihrer ersten Hofdame, und Neffe des Oberkammerherrn wurde zu meiner Begleitung bestimmt.

Wir landeten nach einer sehr glücklichen Fahrt in Plymouth, und unmittelbar darauf trat ich mit dem Kapitän meine Reise nach London an. Das Wetter war zu schön, um mich in die Postkutsche einzukerkern, auch wünschte ich eine freiere Aussicht über die Gegend zu genießen, ich fragte deshalb in einem Gasthof nach Reitpferden. Man brachte mir eins mit einem Quersattel. Nie hatte ich eine so ungeschickte Maschine gesehen, und ob man sich gleich alle Mühe gab, mir den Zweck und die Vorteile derselben begreiflich zu machen, so konnte ich mich doch nicht entschließen, Gebrauch davon zu machen, sondern ich forderte einen gewöhnlichen Sattel. Die Wirtin widersetzte sich aber lebhaft dagegen und versicherte, daß sie solche Narrheiten niemals unterstützen würde, denn ihr Haus könnte dadurch in üblen Ruf kommen.

Bei unserer Ankunft in London fuhren wir nach des Kapitäns Haus. Der Bediente, welcher die Haustür öffnete, beantwortete kaum seines Herrn Fragen, und unter den übrigen entstand ein Geflüster und Zuwinken, das mir sonderbar vorkam. Der Kapitän eilte die Treppe hinauf, gleich darauf fiel ein Schuß, und ein Mann flog wie ein Blitz die Treppe herunter und entwischte durch die Vordertür. Der Kapitän kehrte zu mir in den Saal zurück, Gram und Wut wechselten auf seinem Gesicht, er hatte einen Liebhaber bei seiner Frau angetroffen.

Ein Strom von Flüchen und Verwünschungen floß nun über seine Lippen, kein Glied ihres Leibes blieb übrig, das er nicht in die Hölle wünschte. Tische und Stühle, die ihm im Wege standen, wurden umgeworfen, der Spiegel wurde zertrümmert, das Porträt seiner Frau von der Wand gerissen und mit Füßen getreten, und hätte ich ihn nicht zurückgehalten, so würde er wahrscheinlich sein armes Weib selbst seiner blinden Wut geopfert haben.

»Ist dies der Dank«, rief er aus, »für alle meine Güte, habe ich deswegen meine Gesundheit Afrikas brennender Sonne preisgegeben? Durst und Hitze ertrug ich, damit sie in Ruhe leben könnte! Nie habe ich ihr etwas versagt, meine Börse stand ihr beständig offen, und mein Bankier hatte von mir den Auftrag, ihren Befehlen Folge zu leisten. Habe ich ihr nicht den reichsten Schal mitgebracht, und einen Affen zu ihrer Belustigung, und einen Kakadu, den ich so sorgfältig pflegte?« Indessen lief er plötzlich zu dem Käfig, und ehe ich noch sein Vorhaben erraten konnte, hatte er schon dem Vogel den Kopf abgerissen.

»Schäme dich,« sprach ich zu ihm, »bist du ein Mann?« Er wurde ruhig und setzte sich gedankenvoll, ohne ein Wort zu sprechen, nieder. Ich hielt dieses für den Augenblick, ihn von seiner Ungerechtigkeit zu überzeugen.

Agalva: »Bist du gewiß, daß deine Frau dich nicht mehr liebt?«

Kapitän: »Mich – lieben? – Schwanger ist sie.«

Agalva: »Und wärest du ein Weib, so wärest du vielleicht auch schwanger geworden, oder bist du deinem ehelichen Gelübde etwa treuer geblieben, als sie es war?«

Kapitän: »Aber sie ist ein Weib und ich bin ein Mann.«

Agalva: »Wohl denn, ich will dir jetzt einmal nachgeben und dir euren Lieblingsgrundsatz, daß unser Geschlecht das schwächste ist, zugestehen; ist denn aber unsere Schwäche nicht auch zugleich Entschuldigung für uns, wenn wir unser Versprechen nicht halten? Aber weit entfernt, deine eigene Untreue strafbar zu finden oder sie bemänteln zu wollen, hast du dich immer der Gutmütigkeit unserer Frauen gerühmt, als ob dies deinen Ruhm vergrößere. Oder hast du vielleicht schon die Schönen am Hof der Samorina vergessen, und bist du wohl aufrichtig genug, mir zu gestehen, von wem die Haare sind, die du so zierlich geflochten auf deiner Brust trägst?«

Die Vernunft siegte endlich, wie es immer der Fall sein muß, wenn ihre Gegner nicht geradezu die Augen gegen ihre Strahlen verschließen. Er fürchtete das Gelächter seiner Bekannten: »Nein,« sagte ich, »fürchte du, selbst ungerecht zu sein!«

Die Trümmer des zerbrochenen Spiegels und des Porträts wurden beiseite geschafft, der Vogel der Vergessenheit übergeben, Tische und Stühle wieder in Ordnung gebracht und seine Frau recht höflich zum Mittagessen eingeladen, worüber sie sich nicht wenig wunderte.

Daß ein Weib nie aufmerksamer und verbindlicher ist, als wenn ihre Fehler vergeben werden sollen, bewies jetzt auch die Frau des Kapitäns. Sie fand das Muster des Schals so geschmackvoll, die Possen des Affen so belustigend und die Erzählung ihres Mannes von seiner Reise so unterhaltend, daß er bald mit gutmütiger Zärtlichkeit ausrief: »Sie mag ihre Schwächen haben, aber sie ist doch ein gutes Weib.« – Die Eintracht zwischen beiden war nun wiederhergestellt, die auch wahrscheinlich so lange dauern wird, bis er wieder zur See geht.

Der Kapitän stellte mir vor, es sei für ein Fräulein, welches ohne Vater, Bruder oder Mann reise, äußerst schwer, hier in gute Gesellschaft den Zutritt zu bekommen, und tat mir den Vorschlag, als Naldors Frau aufzutreten. Der Vorschlag empörte mich. »Nein,« sagte ich, »in diesem Gedanken liegt so viel Schauderhaftes für ein freigeborenes Weib, daß ich niemals einwilligen werde.« Da ich jedoch mein Mutterland nicht verlassen hatte, um mit den Vorurteilen Englands Krieg zu führen, so entschloß ich mich, mein Geschlecht unter Naldors Kleidern zu verbergen und mich bei Hofe nicht als Nichte, sondern als Neffe des Samorin von Kalekut vorstellen zu lassen. –

Ich wurde sehr gütig aufgenommen, nach meiner Vorstellung bei Lord Farrindon eingeführt und von ihm sehr höflich zum Mittagessen gebeten, mit der Einladung, während meines Aufenthaltes sein Haus für das meinige anzusehen.

Als ich der Lady vorgestellt wurde, maß mich diese immer lächelnde Dame von Kopf bis zu den Füßen mit außerordentlicher Anmaßung. Ich war nicht übel willens, sie zu fragen, wie ich ihr gefiele; aber noch ehe der Abend vorbei war, sagte sie mir von selbst, daß ich das Glück hätte, ihr zu gefallen. Als man uns zur Tafel rief, reichte sie mir ihre Hand und drückte die meinige, wie ich sie ins Zimmer führte. Ich saß neben ihr, und ihre Knie begegneten unter der Tafel sehr oft den meinigen.

Ich wurde aufgefordert, die Gesellschaft, welche ziemlich gemischt war, mit Schilderungen von Kalekut zu unterhalten, und ich ergötzte mich an den verschiedenen Wirkungen, die meine Erzählung hervorbrachte. – »Was! keine Ehe! Wie ist das möglich!« – Die Mädchen schlugen die Augen nieder, schielten einander seitwärts an und seufzten. Die Männer winkten ihren Nachbarn. »Wie,« rief ein naseweises Mädchen von siebzehn Jahren, »darf ein Fräulein lieben, wer ihr gefällt?« Die Frage war zu naiv; der männliche Teil der Gesellschaft brach in ein lautes Gelächter aus, und sie fing an, bitterlich zu weinen. »Seien Sie doch still, Miß Charlotte,« rief ihre Gouvernante, »Fräulein dürfen nicht in Gesellschaft sprechen; ich weiß besser, daß dies alles nur ein schönes Märchen ist.« – »Ich bitte Sie, sprechen Sie nicht mehr über einen so unschicklichen Gegenstand,« sagte eine alte Jungfer, die aber dessenungeachtet immer das Gespräch davon wieder erneuerte, sobald es im Begriff war, zu erlöschen. – »Sie machen mich erröten.« – »Erröten! warum nicht gar –« rief Lady Farrindon.

Abends war bei der Lady Gesellschaft, ich sollte spielen, allein ich lehnte es ab, indem ich meine Unwissenheit in jeder Art von Spiel bekannte. Lady Farrindon bestand aber darauf, daß ich ihre Karten mit übersehen sollte, um es zu lernen, doch ich entwischte ihr bald und hielt mich an die alte Jungfer, bei der ich einen großen Geschmack an Verleumdungen entdeckte, und obschon das liebe Alter sie von der Bühne der Galanterie weggetrieben hatte, so schien doch niemand besser mit den Akteurs bekannt zu sein, als sie.

»Ach! Jammerschade ist es,« sagte sie, »daß Sie nicht vor zwanzig Jahren hier waren, denn jetzt stehen die Dinge bei uns auf dem Punkt, daß Sie wohl tun, wenn Sie dieses Land so bald wie möglich wieder verlassen, obgleich nach Ihrer Erzählung die Frauen Ihres Landes auch nicht so sind, als sie sein sollten. Wollen Sie es aber glauben, daß in dieser ganzen Gesellschaft kaum eine ehrliche Frau ist?«

Ich griff geschwind nach meiner Uhr und Börse, ob sie noch vorhanden wären, weil ich das Wort ehrlich nicht verstand, aber noch ehe vierzehn Tage vergingen, lernte ich den eigentlichen Sinn des Wortes kennen. Ich fand, daß Tugend und Keuschheit in Europa von einerlei Bedeutung sind, und daß ehrlich so viel bedeutet als keusch. Ebenso lassen auch die Europäer Papierstückchen und Gold in einerlei Wert stehen, und ihre untergeschobenen Tugenden werden am Ende der Moralität ebenso nachteilig sein, als ihre Banknoten es dem Handel sind.

Die tadelsüchtige Dame hatte jedoch, sogar in ihrem eigenen Sinn des Wortes, die Gesellschaft auf das abscheulichste beschimpft; denn ungeachtet ihrer großen Talente zur Verleumdung konnte sie doch nur drei der gegenwärtigen Damen mit Gewißheit beschuldigen. – »Sehen Sie«, sagte sie, »jene Dame mit den Straußenfedern, wie prächtig sie gekleidet ist. Sie ist eine Apanagierte aus einer vornehmen Familie, und ihr jährliches Einkommen reicht kaum hin, ihre Sänftenträger zu bezahlen. Wer bezahlt denn aber die Rechnung der Modehändler? – Und dort die junge Gräfin von C… hat eben zehn Guineen von ihrem Nachbarn geborgt, morgen wird sie gewiß der junge Stutzer daran erinnern, und es ist sehr wohl bekannt, mit welcher Münze sie ihre Ehrenschulden zu bezahlen pflegt.«

»Ich bin erstaunt,« sagte ich, »daß der Lady Farrindon Haus Leuten von so schlechtem Charakter offen steht.«

»Ach, in der Tat,« antwortete sie, »Lady Farrindon hat sehr nötig, die Aufführung ihrer Nachbarn mit dem Mantel der christlichen Liebe zu bedecken, denn die christliche Liebe fängt bei ihr selbst an. Sollten Sie noch nichts von Lady Farrindon wissen? Ein alter Oheim hinterläßt ihr eine Sammlung verschiedener Seltenheiten, und Mylord, der sich einbildet, ein großer Antiquarius zu sein, heiratet sie des Kabinetts wegen. Lord Farrindon ist ein erwünschter Ehemann für eine Frau von ihrem Temperament; denn so gut er auch den Weg um die Stadt Peking zu finden weiß, so verirrt er sich sehr oft in der Zerstreuung in den Straßen von London. Ebenso ist er von allem, was auf den Südseeinseln vorgeht, aufs beste unterrichtet, doch von dem, was in seinem eigenen Hause geschieht, weiß er nichts. Gewöhnliche Natursachen finden bei ihm keinen Beifall, nur das Außerordentliche kann ihn reizen. Seine Schecken sind die Bewunderung des ganzen Hydepark. Sie haben den kleinen häßlichen Zwerg gesehen, der ihn bedient, indes hinter dem Stuhl der gnädigen Frau ein kräftig gebauter Kerl steht. Mylord sprach so oft von dem irländischen Riesen, daß vielleicht Mylady von ihm geträumt hat, wenigstens finden böse Leute eine auffallende Ähnlichkeit zwischen ihm und jenem plumpen Mädchen dort, ihrer zweiten Tochter. Es soll mich gar nicht wundern, wenn das folgende Kind mit einem ungeheuren Kropf Es war damals zu London ein wilder Mann mit einem ungeheuren Kropf für Geld zu sehen. auf die Welt kommt.«

Indem kam Lady Farrindon mit ihrer zweiten Tochter an der Hand. »Welch ein schönes Mädchen!« schrie die Alte ganz laut. »Können Sie es wohl glauben, daß Lady Sophia erst zehn Jahre alt ist?«

Lady Farrindon fürchtete, daß ich Langeweile hätte. »Kommen Sie,« sagte sie, indem sie mich beiseite zog, »wir wollen diese alte zänkische Klätscherin verlassen, sie kann unmöglich einigen Reiz für einen jungen Mann, wie Sie sind, haben.«

Ich folgte ihr in ihr Kabinett.

Lady: »Jetzt, da wir allein sind, hoffe ich, daß Sie die Güte haben werden, mir noch etwas von den Frauen Ihres Heimatlandes zu erzählen. Welch ein reizendes Leben müssen sie führen, wenn eine Frau so viele Liebhaber annehmen darf, als sich ihr darbieten: das ist entzückend. Der Gedanke hat meinen vollen Beifall, es ist eine Großmut darin, welche dem Lande viel Ehre macht. – Aber gesetzt nun, es fände sich kein Liebhaber, oder die Frau zöge einen allen anderen vor?«

Agalva: »So muß sie ihre Neigung ihm erklären.«

Lady: »Wird er aber auch ihr Verlangen erfüllen?«

Agalva: »Vielleicht – vielleicht auch nicht.«

Lady: »Kann er aber auch diese Bitte einer Frau abschlagen?«

Agalva: »Ohne Anstand, denn vielleicht ist er schon in eine andere verliebt, oder er kann ihre Neigung nicht erwidern.«

Lady: »Aber welche Beleidigung für eine Dame von Stande!«

Agalva: »Wieso? er würde ihr auf das verbindlichste für ihre gute Meinung danken und sich entschuldigen.«

Lady: »Gesetzt nun, eine artige Dame machte Ihnen jetzt einen ähnlichen Antrag, würde sie wohl die Kränkung von Ihnen erfahren müssen, daß Ihr Herz schon an einen anderen Gegenstand versagt wäre?«

Agalva: »Ich kann Ihnen mit Gewißheit versichern, daß bis jetzt noch kein Weib einen Eindruck auf mein Herz gemacht hat.«

Lady: »Die Kälte Ihres Betragens verleitet mich fast, es zu glauben. – Was würden Sie aber wohl zu einer Frau von meiner Gestalt und meinen Talenten sagen?«

Agalva: »Nichts anderes, als daß solch eine Frau jede Eigenschaften besitzt, die nur ein Liebhaber wünschen kann.«

Lady: »Würden Sie dieses aber mit so einer kalten Miene sagen, wenn es Ihr Ernst wäre? Sie müssen, Sie sollen (mich bei der Hand nehmend) das Feuer mit mir teilen, das mich verzehrt. Stolzer junger Mann, wollen Sie also, daß ich Ihrer Eitelkeit die Vorurteile meines Geschlechts opfere und Ihnen selbst meine Liebe anbiete?«

Sie schlang ihre Arme um mich, zog mich an sich, und ihre Lippen hingen an den meinigen.

Lady Farrindon hatte erwartet, mit den ersten Funken ihrer Liebe das leichtempfängliche Herz eines Anbeters in Flammen zu setzen, aber ein unglückliches Weib konnte ihre Schmerzen nur fühlen, nicht sie lindern. Die Entdeckung meines Geschlechts wurde nun durchaus notwendig, obschon ich sie aufs äußerste dadurch beschämte und mich manchen Unannehmlichkeiten aussetzte.

Sie geriet in Wut und Verwirrung bei meinem Geständnis, und ich in keine geringe Verlegenheit.

Als ihre Hitze sich etwas gelegt hatte, entdeckte ich ihr die Gründe, warum ich mein Geschlecht bisher verleugnet hatte, und bat sie, mich nicht zu verraten. Lord Farrindon kam in dem Augenblick die Treppe herauf, um zu Bett zu gehen, und sie schob mich geschwind in das Zimmer ihrer Kammerjungfer.

Lady: »Jenny, du mußt diesen jungen Kavalier bei dir schlafen lassen.«

Jenny: »Wie, gnädige Frau, einen jungen Herrn bei mir schlafen lassen, Sie müssen eine sonderbare Meinung von einem armen ehrlichen Mädchen haben.«

Lady: »Sei unbesorgt, mein Kind, du kannst ganz ruhig schlafen, ich bin gut für deine Tugend.«

Jenny: »Nun, wenn es Eure Gnaden so befehlen.«

Jenny hatte kaum ihre Gebieterin zu Bette gebracht, als sie zu mir zurückkehrte und mir sagte, daß ich mich zu Bett legen könnte, wenn es mir beliebe, sie würde aber anderswo ihr Nachtlager halten. »Ich weiß zwar,« fuhr sie fort, »daß ich nichts zu befürchten habe, was würden aber die anderen Bedienten sagen, da ich nicht sagen darf, wer Sie sind? Meinen guten Namen will ich Ihretwegen nicht auf das Spiel setzen. Sobald der Pförtner die Tür öffnet, werde ich Sie hinauslassen, und somit gute Nacht, Madame.« – Sie lief fort und schlug die Tür zu.

Ich brachte jedoch die Nacht angenehmer zu, als ich erwartet hatte, denn kaum hatte ich meine Kleider abgelegt, als ein junger Mann hinter den Vorhängen hervorkam. »Erschrecken Sie nicht, schöne Frau,« sagte er, »ich bin in diesem Hause so gut Gefangener, wie Sie. Sonst hatte ich die Ehre, der gehorsame Diener der gnädigen Frau zu sein, aber heute bemerkte ich nicht ohne Ärger, welche Mühe sie sich gab, Ihnen zu gefallen. Als Sie sich beide von der Gesellschaft entfernt hatten, nahm ich mir die Freiheit, Ihnen zu folgen und Ihr Gespräch zu behorchen. Es war mir sehr angenehm, sie so getäuscht zu sehen, und ich würde nun zufrieden mit dieser Genugtuung nach Hause gegangen sein, wären nicht die Türen verschlossen gewesen. Glücklicherweise fand ich dies Zimmer offen. Nun kommen Sie«, sagte er, indem er das Licht in die Hand nahm, »und untersuchen Sie mich vom Kopf bis zum Fuß; Ihre Landmänninnen sind sehr gutwillige Wesen, und ich glaube, daß Sie es auch nicht abschlagen werden, mir meine Gefangenschaft angenehm zu machen.«

Wie erstaunte Lady Farrindon, als sie mich am anderen Morgen in den Armen des Liebhabers fand, den sie am vorigen Tage meinetwegen so kalt behandelt hatte. Sie beehrte uns mit einigen von den ausdrucksvollen Beinamen, welche eine Dame von Stande nur von einem irländischen Riesen konnte gelernt haben. Als er sie endlich daran erinnerte, daß ihr Mann vielleicht etwas von der angenehmen Unterhaltung hören könnte, warf sie sich in einen Stuhl und fing an, aufs heftigste zu weinen; doch kurze Zeit darauf verließ sie hastig das Zimmer, ohne uns eines einzigen Blickes zu würdigen. Das Kammermädchen erschien bald darauf und ließ uns mit einem bedeutsamen Lächeln auf mich zur Tür hinaus.

»Was für eine erbärmliche Figur spielt doch ein verabschiedeter Liebhaber,« rief Sir Clifford Gayton (dies war der Name meines Gefährten). »Sie, schöne Fremde, werde ich beim Gerichtshof der Liebe auf Schadenersatz verklagen, und die Strafe, welche Ihnen zuerkannt wird, soll sein, daß Sie wenigstens einige Wochen auf meinem Landsitz zubringen.«

Sir Clifford besaß den Ton der großen Welt, er war mehr angenehm als schön, und besaß mehr Weltkenntnis als Büchergelehrsamkeit. Sein Hofmeister zu Oxford hatte ihm zwar mehrere Male den Vorwurf gemacht, daß Baco Zu Oxford ist ein altes Bild des Mönchs Baco, welches nach einer Universitätssage zittern und umfallen wird, wenn sich ihm ein Student, der diesem englischen Faust an Gelehrsamkeit überlegen wäre, nähern sollte. Um einen faulen und unwissenden Studenten zu bezeichnen, sagt man daher: »Bacos Bild hat bei seiner Annäherung nie gezittert.« niemals bei seiner Annäherung für seinen ehernen Kopf zittern würde, doch die schönen Frauen des festen Landes setzten ihn nie unter die Reihe derjenigen, von denen man sagt, daß sie das Pulver nicht erfunden hätten. Ich nahm seine Einladung an.

Um der Neugierde, die meine Kleidung als Naïr erregte, auszuweichen und den unaufhörlichen Fragen nach mir ein Ende zu machen, entschloß ich mich, mein Geschlecht ferner zu verleugnen, aber europäische Männerkleidung anzulegen.

Sir Clifford riet mir, mich für einen italienischen Edelmann auszugeben, mit welchem er in Florenz Bekanntschaft gemacht hätte. So kamen wir denn auf Cliffords Landsitz an, ich als der Marchese Roverbella, und Naldor als Cavaliere Pellerini …

Meine Meinung ist nicht, dieses Tagebuch mit Beschreibungen der Häuser und Equipagen von Großbritannien auszufüllen. Paläste und Schlösser, lange Galerien und prächtige Hallen, Parks und Lustwälder, Ställe und Koppelhunde sind auch in unserem Lande nicht fremd. Und der Troß von Bedienten, Kutschern und Jägern, Stallknechten und Postillionen möchte jeden anderen Fremden mehr in Verwunderung setzen als einen Naïr. Alle Gegenstände der Art werde ich nicht berühren, sondern bloß Begebenheiten hier anführen, welche mir aufgefallen sind und mein Erstaunen erregt haben.

Schon war das Haus mit Freunden unseres Wirts angefüllt, als seine Schwester mit ihrem Gemahl ankam, ihm einen Besuch abzustatten. Sir Clifford hatte seine Schwester seit etlichen Jahren nicht gesehen, denn die Ehe in diesem Lande reißt ein armes Weib aus dem Schoß ihrer Familie und nötigt sie, einem Manne zu folgen, den sie kaum kennt, und seinen Willen oder seinen Eigensinn von nun an als ihr Gesetz anzusehen.

Der Graf Roderich O'Neil, der sich mit Marie Gayton verheiratet hatte, war in kaiserlichen Dienst gegangen, weil kein Papist in England die Erlaubnis hat, sein Blut für sein Vaterland zu vergießen. In seinen religiösen Grundsätzen war er indessen nichts weniger als fest, denn wenn er zuweilen den Feldprediger seines Regiments, der mit ihm als Spaßmacher und Speichellecker gereist war, außer Fassung bringen wollte, so nannte er den Papst die Hure von Babylon. »Und warum«, sagte alsdann der Abbé Mac Dermot, »haben Sie denn seinetwegen Ihr Vaterland verlassen?« –

»Seinetwegen, meinet Ihr also; ich versichere Euch, mein lieber Abbé, ich habe nur einen ehrlichen Priester in meinem Leben gekannt, und dieser wurde aus dem Jesuitenkollegium zu St. Omer gestoßen, weil ein Mädchen von ihm schwanger war.« – Der Abbé schwieg nun ganz still, denn das oben Erzählte war seine eigene Geschichte. Der Graf fuhr fort. »Ich bin Katholik, weil die O'Neils von jeher katholisch waren und es auch immer bleiben werden, und weil noch obendrein St. Patrick mit einem jüngeren Zweige meiner Familie verwandt war.«

Dessenungeachtet war derselbe Mann zu einer anderen Zeit und vorzüglich, wenn er halb betrunken war, bereit, mit dem ersten Protestanten anzubinden, der die Unfehlbarkeit des Papstes leugnete.

Das letztemal, als er in England war, gewann ihm sein martialischer Blick, seine schöne Figur und seine glänzende Uniform das Herz der jungen Marie Gayton, und er nahm sie mit nach Deutschland. Sie liebte ihren Gemahl herzlich, aber welcher Mann von Ton wird für seine Frau allein leben? In Prag besuchte er die Hälfte der Damen von Stande bei ihren Toiletten; und wie viel gewannen die ersten Zirkel durch die junge Gräfin O'Neil! alle jungen Stutzer schwärmten um sie herum: Wer wird wohl den Sieg über diese neue Schönheit davontragen? Welche Lorbeeren blühen für den liebenswürdigen Eroberer? Alle Lorgnetten in der Oper waren auf sie gerichtet; welches Drängen, mit ihr zu tanzen; sie wird sicher in der skandalösen Chronik Epoche machen.

Die Eitelkeit des Grafen wurde durch das Aufsehen, welches sie machte, geschmeichelt. – »Wie das närrische Geschöpf unter diesen schönen Herrchen unschlüssig bleibt. Einige von ihnen mag sie ja noch einmal prüfen, ehe sie wählt; doch hat sie einmal die Wahl getroffen, so wird sie ihrem Mann weniger lästig fallen.« Auf diese Art zog er seine Frau gewöhnlich scherzhaft auf.

Als er einst während des Frisierens, um sich die Zeit zu vertreiben, ein Buch in die Hand nahm, welches doch äußerst selten geschah, ergriff er zufälligerweise Plutarchs Lebensbeschreibung des Julius Cäsar, dessen übertriebene Zartheit für den guten Ruf seiner Frau so weit ging, daß er verlangte, ihr guter Name sollte nicht allein rein, sondern auch glänzend sein. »Wenn dieses ein Julius Cäsar fordert,« rief er aus, »mit wie viel mehr Recht kann ich es fordern, ich Roderich O'Neil, Abkömmling der Könige von Irland!« Kaum konnte er erwarten, daß sein erschrockener Bedienter mit seiner Frisur fertig war, augenblicklich lief er zur Toilette seiner Frau, wo er einen jungen Stutzer antraf, mit dem er sogleich einen Zank anfing, ihn auf den anderen Tag herausforderte und ihm den Degen durch den Leib rannte. Nachdem noch einige andere ihrer Bewunderer gleiches Schicksal mit diesem gehabt hatten, fand die arme Gräfin kaum noch einen Kavalier, der kühn genug war, sie an den Wagen zu führen.

So dachte und handelte Graf Roderich O'Neil, ein Held, sechs Fuß hoch, der seine Gemahlin in das Zimmer begleitete und die Gesellschaft mehr mit der Steifheit eines Offiziers auf der Parade, als mit der Artigkeit eines Hofmanns grüßte. Sir Clifford flog in die Arme seiner Schwester und drückte sie brüderlich an seine Brust. Der Graf machte eine Verbeugung nach der anderen, aber Sir Clifford hatte nur Augen für seine Marie. Dies verdroß endlich den Grafen, und mit der ihm eigenen Majestät eines Ossianischen Helden ging er im Zimmer auf und ab, daß bei jedem Tritt der Boden des Zimmers von seinen deutschen Stiefeln ertönte. Endlich kam er zurück, und mit einem feierlichen Ton sagte er zu Sir Clifford: »Roderich O'Neil grüßt Sir Clifford Gayton.« – Sir Clifford bewillkommnete ihn nun mit aller der Ehrfurcht, die er seiner altköniglichen Abkunft schuldig war.

Der Graf war noch nicht acht Tage im Hause, als er schon der Hälfte der gegenwärtigen Damen seine Liebe erklärt hatte, obschon er es durchaus nicht leiden konnte, wenn ein Mann seine Frau nur ansah. Bei guter Laune war er ein sehr angenehmer Gesellschafter, und wir wünschten uns anfangs Glück, ihn in unserer Mitte zu haben, doch bald bemerkten wir seinen Hang zu Zänkereien, und daß er die Bewunderung von allen als Schuldigkeit ansah, daß er nur allein die Unterhaltung an sich reißen wollte und sich beleidigt fand, wenn niemand seine elenden Späße belachte. Hatte er aber wirklich etwas Lächerliches oder Ungereimtes gesagt, so war er bereit, seinem Nachbarn, wenn er den Ausbruch seines Gelächters nicht mäßigen konnte, die Nase aus dem Gesicht zu schlagen.

Unglückliches Weib, durch den Zufall an einen Mann gefesselt, der so hart, so fühllos, so selbstsüchtig und so veränderlich ist.

Einst kam die Gräfin unvermutet in das Zimmer ihres Bruders und entdeckte mein Geschlecht. Obschon ihr Charakter sehr von dem meinigen verschieden war, so schloß sie sich doch an mich an, und ich erstaunte nicht wenig, als ich bei näherer Bekanntschaft in ihr auf der einen Seite ebensoviel Schwäche und Nachgiebigkeit, als auf der anderen natürlichen und ausgebildeten Verstand fand.

Bei der Reinheit ihres Herzens vergaß sie, daß mein Geschlecht den übrigen Gästen ein Geheimnis war, und betrug sich einst in Gesellschaft sehr zuvorkommend gegen mich. Ihr Mann, welcher es bemerkte, und dessen Eifersucht dadurch angefacht wurde, erteilte dem Abbé Mac Dermot den Auftrag, uns zu beobachten.

Eines Tages ließ die Gräfin, als die einzige Dame zu Clifford, die Männer nach dem Mittagessen bei ihren Gläsern, und ich folgte ihr bald nach, obschon meine männliche Kleidung mich berechtigt hätte, dazubleiben. Allein die Erzählung des Grafen von dem Siebenjährigen Krieg und seinen glänzenden Heldentaten machten mir solche Langeweile, daß ich lieber das Freie suchte. Unglücklicherweise aber war mein Weggehen den Argusaugen des Abbés nicht entgangen.

Ich fand die Gräfin bei ihren Blumen, welche sie begoß. Es war ein sehr heißer Tag, wir setzten uns in eine Laube von Myrten und Geißblatt. Die Gräfin hatte ihre Arbeit, einen Geldbeutel, den sie für ihren Gemahl strickte, mitgebracht, und ich nahm einen Teil von Shakespeares Werken aus meiner Tasche.

Mac Dermot hatte uns indessen, bis wir in die Laube gingen, beobachtet und war nun zu dem Grafen geeilt, um ihm seine Entdeckung zuzuflüstern; der Graf suchte sich vom Tisch wegzustehlen, doch dies geschah mit einer Art, welche Sir Clifford auffiel.

Während dieser Zeit war die Sonne so weit heraufgestiegen, daß sie fast die ganze Laube beschien, und wir waren genötigt, uns auf eine andere Bank, die einzige, die noch einigen Schatten gewährte, zu setzen. Diese Bank war aber so schmal, daß die Gräfin fast ganz auf meinem Schoß saß. »Welches Stück lesen Sie?« – »Othello.« – »Sind denn die Männer in Italien so blutdürstig? Der Himmel bewahre uns vor einem eifersüchtigen Mann.« – In diesem Augenblick fiel ein Schuß, sie fuhr auf und stürzte mit Blut bedeckt in meine Arme. Pulverdampf drang in die Laube, und mit gezogenem Degen stürzte der Graf O'Neil herein. »Verteidige dich, Schurke,« rief er mir zu, »oder du bist des Todes.« Ohne auf ihn zu achten, eilte ich der Gräfin zu Hilfe.

»Marchese, wenn Sie eine ehrenvolle Behandlung verlangen, so ziehen Sie, oder ich reiße Ihnen das feige Herz aus dem Leibe.« Da das Blut der Gräfin immer noch wie ein Strom floß, so bückte ich mich nieder, um es mit meinem Schnupftuch zu stillen. Aber in dem Augenblick fühlte ich des Grafen Füße auf meinen Schultern, der Unmensch genug war, bei diesem Auftritt fühllos zu bleiben, und mich in Staub zusammentreten wollte. Ich sprang auf und stellte mich zur Verteidigung. Wie ein Rasender drang er auf mich ein, und was mich jetzt noch wundert, ich war glücklich genug, seine Stöße zu parieren. »Meuchelmörder!« schrie Sir Clifford, welcher jetzt zwischen uns sprang, »willst du auch das zweite Weib ermorden?« Nie wird diese Schreckensszene meinem Gedächtnis entfliehen, die Wirkung, die sie auf mich machte, kann ich unmöglich auf diese Blätter schreiben. In mein Innerstes will ich sie verschließen, bis ich wieder nach Kalekut komme. Dann, wenn ich im Kreis meiner Kinder sitze, werde ich ihren zarten Seelen ein Gemälde des Elends entwerfen, wovon ihr Mutterland befreit ist; schaudern werden sie und sich glücklich fühlen, Naïren zu sein.

Der Degen fiel dem Grafen aus der Hand, gedankenlos stand er da, ein Bild der Verzweiflung, mit starrem fürchterlichem Blick und emporgesträubten Haaren. Unsere ganze Aufmerksamkeit war jetzt auf die Gräfin gerichtet. Man hob sie auf eine Bank, dies weckte ihn aus seinem peinlichen Nachdenken. Auf der Seite, wo ihr Blut geflossen war, kniete er nieder, faßte ihre Hand und drückte sie an die Lippen; mit wütenden Verwünschungen gegen sich selbst flehte er um ihre Verzeihung, die er nach seinem eigenen Geständnis nicht verdiente. Sie hatte die Sprache verloren, doch mit einem Blick, der ihm Verzeihung versicherte, starb sie.

Der Körper der Gräfin wurde nun in das Haus geschafft, und der Graf, der sich wie ein Unsinniger betrug, folgte ihr. Er begegnete dem Abbé, der sich, zitternd über die Folgen des Mißverständnisses, in einem der Gänge versteckt hatte. Der Graf packte ihn sogleich, und hätte er nicht glücklicherweise seinen Degen fallen lassen, so wäre es sehr wahrscheinlich um den armen Abbé geschehen gewesen; doch mit Riesenkraft faßte er ihn jetzt an der Gurgel, und drei Bediente waren kaum vermögend, sie auseinanderzubringen.

Sein Schmerz war aber viel zu heftig, um von langer Dauer sein zu können, und kaum war die Gräfin beerdigt, so war er wieder derselbe eitle Prahler wie vorher. Zu unserem Glück ging er bald darauf wieder zu seinem Regiment nach Deutschland ab.

Sir Clifford ertrug seinen Schmerz mit männlicher Standhaftigkeit. Tief fühlte er, welch einen großen Verlust er erlitten hatte, doch mit anscheinender Ruhe folgte er dem Sarge zur Gruft; aber bei seiner Zurückkunft flossen heiße Tränen aus seinen Augen, und ein melancholischer Nebel schien sich auf seinem Gesicht zu verbreiten. Er wollte mich ansehen, doch unwillkürlich mußte er sich wegwenden, um seine Bewegung zu verbergen, welche sich durch meinen Anblick zu vermehren schien. Ich sah, wie seine Gerechtigkeit mit seinem Gefühl kämpfte; denn ach! ich war ja die unschuldige Ursache von seiner geliebten Schwester traurigem Schicksal, und um ihn von meiner Gegenwart zu befreien, entschloß ich mich, nach London zurückzukehren. Wir trennten uns nicht ohne Tränen, und fest drückte er meine Hand, als er mir in den Wagen half. Kurze Zeit darauf machte er eine Reise nach Westmoreland, um sich etwas aufzuheitern und zu zerstreuen.

Aber auch ich hatte Zerstreuung nötig, denn das Bild der sterbenden Gräfin schwebte unaufhörlich vor meinen Augen. Voll Ungeduld wünschte ich ein Land zu verlassen, wo die Befriedigung der Bedürfnisse der Natur von so traurigen Folgen begleitet wird.

Ich kam bei des Kapitäns Hause an, fand aber, daß er seine Wohnung verändert hatte. Ein Seemann auf dem Lande gleicht einem Fisch außer Wasser. Die Zeit war ihm zu lang geworden, bis er wieder in See gehen konnte, und deswegen hatte er die Nachbarschaft der Themse, den angenehmsten Teil der Stadt, vorgezogen und sich ein Haus an den Ufern des Flusses, nahe bei der Londoner Brücke gemietet. Ich mietete mich in seiner alten Wohnung ein und stattete ihm abends einen Besuch in seiner neuen ab.

Kaum, daß er mich in meinem neuen Anzuge erkannte, und wirklich, ich hätte jetzt den ganzen kalekutischen Hof und alle meine Mitschüler von Romaran auffordern können, und gewiß hätte keiner Rofas Tochter in der Marchesa Roverbella erkannt (denn Clifford hatte mich gebeten, um den guten Ruf seiner Schwester zu retten, wieder weibliche Kleidung anzulegen). Ich verschwieg jedoch noch immer meine Nation und erschien nun statt als Marchese als eine Marchesa, und der Baron Naldor als Cavaliere Pellerini erhielt die Erlaubnis, sich für meinen Bruder auszugeben, denn dazu konnte ich mich nicht verstehen, auch nur unter der Maske mich von einem Ehemann begleiten zu lassen, da es in Europa nun einmal Sitte ist, daß die Weiber am Strickchen geführt werden. Nichts wurde mir schwerer, als in den Schuhen mit hohen Absätzen und mit der turmhohen Frisur auf dem Kopfe das Gleichgewicht zu erhalten, oder mit einem sechs Fuß breiten Reifrock (denn schmäler durfte ihn keine Frau von Stande tragen) durch eine Tür zu defilieren. Wie manche Schnur zerriß, ehe meine arme Figur in eine Schnürbrust eingepreßt war. Gewiß, die europäischen Weiber kleiden sich sehr närrisch, der freie Gebrauch ihrer Glieder wird ganz und gar dadurch gehindert, oder soll vielleicht ihr Anzug ihre Sklaverei vollkommen machen? Wenn ich in meine Heimat zurückkehre, werde ich der kaiserlichen Akademie zu Kalekut ein paar Schuhe mit hohen Absätzen, eine Schnürbrust und einen Reifrock, oder vielleicht auch eine Puppe nach der neusten Mode angezogen, zum Geschenk machen.

Da der Kapitän seine Wohnung geändert hatte, so schmeichelte ich mir, daß er bald abreisen würde, aber zu meinem großen Leidwesen konnte er seine Abreise noch gar nicht bestimmen. Wir brachten jedoch einen sehr vergnügten Abend miteinander zu, und da es eine sehr schöne, mondhelle Nacht war, so nahm ich sein Anerbieten, mich in seinem Boote nach Westminster zurückfahren zu lassen, an. Welch eine prächtige Ansicht gewährte mir da der Wald von Masten, die verschiedenen Segel, die Wachtfeuer auf den Schiffen und die Reihen von Lampen an jedem Ufer. Der Silbermond spiegelte sich in dem Wasser, indessen die Wellen des Stroms sanft an die Seiten des Boots anschlugen. Die grauenvolle und doch so angenehme Stille wurde bloß durch das Rufen der Schiffsleute oder durch das Rasseln der Wagen in den entfernten Straßen unterbrochen.

Wir näherten uns der Westminsterbrücke, deren prächtige Bauart meine ganze Aufmerksamkeit beschäftigte, fast waren wir schon unter dem Bogen, als ein Paket von oben herab in meinen Schoß niederfiel. Wie groß war mein Erstaunen, als ich es öffnete und ein Kind darinnen fand. Mein ungeheurer Reifrock, welcher fast die ganze Weite des Bootes einnahm, hatte seinen Fall gemildert und dadurch wunderbar sein Leben gerettet. Ich eilte augenblicklich auf die Brücke, um die Angst der unglücklichen Person zu lindern, durch deren Sorglosigkeit, wie ich mir einbildete, es heruntergefallen war. Allein alle meine Mühe war vergebens, umsonst erzählte ich das Vorgefallene, kein Mensch wollte sich zu dem Kinde verstehen, und ich mußte es mit in meine Wohnung nehmen, wo die Wirtin des Hauses sich erbot, es zu säugen.

Meiner Phantasie stellte sich in den Träumen dieser Nacht immer die unglückliche wahnsinnige Mutter dar, wie sie mit aufgelöstem Haar und wildem Blick von jedem Vorübergehenden ihren zarten Liebling forderte und ihre Tränen in den verschlingenden Strom fließen ließ. Ich wachte auf und dachte an dich, Firnos. Oh! daß ich dich doch niemals verlassen hätte. Wann werde ich doch wieder so glücklich sein, mich an deinem Wachstum zu weiden.

Aber was für ein Volk ist dies! Alle meine Bekannten behaupteten, das arme Kind sei die Frucht einer sogenannten verbotenen Liebe und (meine Hand zitterte bei diesem Gedanken) ein Opfer für die Ehre seiner leiblichen Mutter. – Wehe dem Lande, wo das Vorurteil sogar in dem Busen der Mutter die Stimme der Natur erstickt.

Die Mutmaßungen meiner Freunde über diesen Vorfall waren aber leider mehr als gegründet. Um die Zeit, welche ich noch in England verleben mußte, so vorteilhaft als möglich anzuwenden, besuchte ich unter anderen auch sehr fleißig die Gerichtshöfe. Hier ereignete sich einst ein sonderbarer Fall. Eine Totenstille herrschte im ganzen Saal, und man hätte eine Stecknadel können fallen hören, als auf einmal ein dumpfes Gemurmel entstand und ein junges Frauenzimmer sich durch die Menge drängte. Eine melancholische Miene, welche die Schönheit ihrer Gesichtszüge gleichsam zu verschleiern schien, machte sie wohl noch anziehender. Ihre Kleidung war nett und reinlich, ohne eben prächtig oder nach der neuesten Mode zu sein, als sie aber anfing zu sprechen, zeigte jeder ihrer Ausdrücke, daß sie eine höhere Erziehung genossen hatte.

»Ihr guten Leute,« sagte sie zu einigen der Umstehenden, die sie aufhalten wollten, »ihr irrt euch, ich bin nicht wahnsinnig, oh, daß ich immer wahnsinnig gewesen wäre, daß mein Gewissen so unbefleckt wäre, wie mein Verstand! Ach, ich kann keine Entschuldigung finden, um die Angst eines bösen Gewissens zu unterdrücken.

»Mylord,« fuhr sie fort, indem sie sich zum Richter wendete, »habt Mitleid mit mir. Entschuldigt die Unregelmäßigkeit meiner Anklage, erbarmt euch meiner. Der Gang der Gesetze ist mir unbekannt, aber wie kann ich um Mitleid flehen, ich Unglückliche, die ich selbst keines gegen mein eigenes Kind hatte. Ich sah sein Lächeln, drückte es an meine Brust, küßte es, und – mit noch weniger Gefühl als eine Tigerin in den Wäldern, opferte ich es einer falschen Scham auf. Ach, warum ließ ich mich von diesem Gefühl so hinreißen, ich, die Schande meiner Familie, eine Verworfene.

»Wisset denn, am vergangenen Montag in der Nacht trieb mich meine kranke Phantasie nach der Westminsterbrücke, und ich, ich, die Mutter, warf mein kleines Jeannettchen in den Fluß. Oh, ich sehe es, wie ihr zusammenschaudert, warum hatte ich nicht Entschlossenheit genug, ihr zu folgen und meinem unglücklichen Dasein ein Ende zu machen. Doch nein, der Himmel hat mich aufbewahrt, sie ist jetzt ein Engel und bittet für ihre Mutter. – Seit jenem Augenblicke habe ich keine Ruhe genossen, diese Augen, aus denen keine Träne mehr fließen kann, kennen keinen Schlaf, Fieberhitze brennt in mir, und mein Kopf möchte zerspringen. – Hier stehe ich jetzt, um mich selbst der Gerechtigkeit zu überliefern und Gott und Menschen mit mir auszusöhnen. Seid barmherzig und laßt mich die Strenge des Gesetzes treffen, ehe Wahnsinn den Wert meiner Reue vermindert. Ich bat Gott, mir meinen Verstand noch so lange zu erhalten, bis ich dieses Geständnis abgelegt hätte, es war die einzige Gnade, um die ich ihn bitten konnte, und seine unendliche Barmherzigkeit hat mich erhört.«

Sie schwieg nun und stützte sich an einen Stuhl, um sich aufrecht zu erhalten. Ihr Geständnis machte einen außerordentlichen Eindruck auf die Richter und alle Anwesenden, man vergaß ihr großes Verbrechen, und man bemitleidete sie. Richter und Rechtsgelehrte wußten nicht, was sie tun sollten. Einige waren so menschlich und behaupteten, daß das Gesetz keinen Vorteil von dem eigenen Geständnis eines Verbrechers ziehen dürfe; andere erklärten sie für wahnsinnig, und endlich kam man dahin überein, sie ins Gefängnis zu bringen, bis man die Sache reiflicher überlegt habe. Was ich in dem Augenblick fühlte, weiß ich nicht, aber das weiß ich, daß mich meine Gefühle fortrissen. Wie begeistert wendete ich mich an die zahlreiche Versammlung und redete sie ohne die geringste Verlegenheit in einer fremden Sprache an. Ich betrachtete mich in dem Augenblick als ein Werkzeug in der Hand der Vorsehung, zwei arme Geschöpfe zu retten, und erzählte die wunderbare Rettung des Kindes. Aller Aufmerksamkeit richtete sich jetzt auf die Mutter, welche ohnmächtig dalag. Unvergeßlich wird es mir bleiben, wie jeder der Zuschauer bewegt und von Mitleiden hingerissen wurde; dies söhnte mich fast mit der ganzen Nation aus.

Ein vornehmer Engländer, der zugegen war und mich irgend einmal gesprochen hatte, sagte dem Richter, ich sei eine Italienerin von vornehmer Abkunft, und Naldor, den ich weggeschickt hatte, um das Kind zu holen, kam mit dem Kapitän, welchen er eben in meiner Wohnung getroffen hatte, zurück, und dieser bestätigte auch meine Aussage.

Die Mutter erholte sich bald von ihrer Ohnmacht, öffnete ihre Augen und sah ihr Kind – doch wie ist es möglich, solche Szene zu beschreiben. Der Engländer und Naldor brachten die Mutter in meinen Wagen. Das Volk spannte die Pferde aus, und, welche merkwürdige Begebenheit! eine Prinzessin von Kalekut wurde im Triumph von dem englischen Pöbel nach ihrer Wohnung gefahren.

Ich dankte unseren Begleitern, als sie uns verließen, für diese ausgezeichnete Aufmerksamkeit, und als wir allein waren, fragte ich meine neue Freundin nach ihrer Wohnung. »Ach, Madame,« rief sie schmerzlich aus, »ich habe weder Haus noch Heimat, weder Familie noch Bekannte, ich habe keinen Freund auf der Welt, wenn auch Sie mir Ihre Freundschaft entziehen. – Ich bitte Sie, seien Sie nicht allein menschlich, sondern auch großmütig. Sie haben mein Leben von dem Schafott gerettet, aber welch ein elendes Geschenk ist dieses, ohne einzige Aussicht in der Welt, ohne selbst einen Strahl von Hoffnung für die Zukunft. Stoßen Sie mich nicht ganz von sich, gewähren Sie mir die Hoffnung, einen Zufluchtsort bei Ihnen gefunden zu haben. Doch was fordere ich? – Nein, unwürdig bin ich Ihres Schutzes, entehrt bin ich; meine eigene Familie stößt mich von sich, was kann ich von Fremden fordern?« – Ich gab Befehl, daß man ein Zimmer für sie zurechtmachte.

Am anderen Morgen, als ich sie besuchte, sagte sie zu mir: »Sie werden wahrscheinlich wünschen, die Geschichte meines Unglücks zu erfahren, ich will Ihr Verlangen befriedigen, und sollte ich auch Ihre Freundschaft und Ihren Schutz dadurch verlieren, und Sie das mir gegebene Versprechen wieder zurücknehmen. Mörderin bin ich nicht, aber ich beging ein Verbrechen, das vielleicht dem Mord in seiner ganzen Abscheulichkeit gleicht; mein Gewissen spricht mich frei davon, denn ich sündigte unwissend und ohne Vorsatz. Doch weniger trüglich ist meine Religion als mein Gewissen, und Gott straft die, die ihn hassen, und suchet heim die Sünde der Väter an den Kindern.

»Schottland war mein Vaterland, ach! jetzt hab' ich keines mehr, und mein Vater einer der angesehensten Lairds Die Lairds sind die Landedelleute von Schottland. des Landes … Ein Landedelmann, namens Forbes, war unser nächster Nachbar, und die beiden Familien lebten in der größten Vertraulichkeit miteinander. Die Kinder von beiden wuchsen zusammen auf; James, ein Jahr jünger als ich, war der erste Gefährte meiner Kinderspiele, und meine Mutter lächelte, wenn er mich seine kleine Schwester nannte.

»In meinem zwölften Jahr kam ich nach London in eine Kostschule, um dort eine höhere Bildung zu erhalten. ›Lauf, James,‹ rief sein Vater, als ich eben abreisen wollte, ›gib Margareten den Abschiedskuß, wer weiß, ob aus euch nicht einst ein Paar wird.‹ Mit finsterer Stirn unterbrach ihn meine Mutter: ›Gott im Himmel verhüte dieses.‹

»Nach einer sechsjährigen Abwesenheit kehrte ich nach Schottland zurück, alle meine Freunde und Verwandten schienen vollkommen mit meinen erlangten Fähigkeiten zufrieden zu sein. Meine Mutter drückte mich an ihren Busen, und mein Vater stellte mich mit einer triumphierenden Miene der Gesellschaft des Hauses vor. Um meine Zurückkunft zu feiern, wurde ein Fest gegeben, zu welchem die ganze adelige Nachbarschaft eingeladen worden. Ein ganzer gebratener Ochse wurde unter die Armen verteilt, und die Pächter und die Bedienten tranken die Gesundheit ihrer künftigen Herrschaft. Ach! wer hätte wohl zu jener Zeit mir mein jetziges Unglück voraussagen können?

»James war in Militärdienste getreten, und da sein Regiment fern von uns in Quartier lag, so war sein Erscheinen bei dem Feste sehr unerwartet. Wir waren zwar keine Kinder mehr, aber er nahm sich keine Zeit, lange zu überlegen, er flog in meine Arme, und der Kuß der Wiederkehr war ebenso herzlich als der Abschiedskuß. Wir hatten uns beide in sechs Jahren sehr geändert, er war der schönste junge Mann geworden, den man nur sehen konnte, und wenn er mich ansah, schien es mir, als wenn sein Auge vor Freude glänzte. Beim Mittagsmahl setzte er sich neben mich, und er würde es wohl auch beim Abendessen getan haben, aber meine Mutter befahl mir, mich an das andere Ende der Tafel zu setzen.

»Den anderen Tag fragte ich meine Mutter, wie lang James schon bei der Armee wäre, sie sah mich fest an und fragte mich, was ich von ihm hielte. Ich sprach nur mit Entzücken von ihm, mein Mund strömte über in Loberhebungen aller seiner vortrefflichen Eigenschaften, so wie sie es auch verdienten. Ihr Auge füllte sich mit Tränen, und mit einem Seufzer wandte sie ihr Gesicht von mir.

»Unseren Vätern war unsere gegenseitige Neigung nicht entgangen, und sehr bald kamen sie miteinander überein, uns durch das Band der Ehe zu verbinden. Ich war die älteste von zwei Töchtern und die Erbin des Gutes, und James war der älteste Sohn, beide Güter lagen überdem sehr bequem beieinander, folglich waren die Heiratspunkte sehr bald abgeschlossen. James wurde mir durch meinen Vater als Bräutigam vorgestellt, und ich sah mich nun auf dem Gipfel meiner Wünsche.

»Sie können sich leicht denken, welch Erstaunen und welcher Verdruß mich ergriff, als meine Mutter sich schlechterdings gegen die Verbindung erklärte, und zwar in einem Ton, der ihrem eigentümlichen Charakter gar nicht angemessen war. über diesen Entschluß und ihre jetzige Beharrlichkeit erstaunte, so wie ich, die ganze Familie.

»Mein Vater bestand darauf, ihre Gründe zu wissen, da doch in so mancherlei Rücksicht kein besserer Schwiegersohn gewählt werden könnte, denn der Erbe von fünftausend Pfund jährlicher Einkünfte und, wie ich sorgfältig hinzusetze, Besitzer von zehntausend guten Eigenschaften war doch nicht so leicht abzuweisen. Doch alle diese Vorstellungen blieben ohne Wirkung, sie schwieg still und beharrte auf ihrer Weigerung. Mein Vater beschuldigte sie des Eigensinns und der Widerspenstigkeit, bis endlich ihre Tränen (denn er liebte sie wirklich) so viel über ihn vermochten, daß er die Hochzeit bis auf folgende Weihnachten aufschob.

»Jedermann bemühte sich nun, die Beweggründe zu erraten, warum meine Mutter so gehandelt hatte, denn James war ein rechtschaffener junger Mann, und nicht allein in meinen Augen liebenswürdig, sondern er besaß auch die Liebe aller derer, die ihn kannten. Überdem schätzte auch meine Mutter seinen Vater sehr hoch, sie liebte seine Gesellschaft und suchte bei manchen Vorfällen seinen guten Rat. Zu unser aller Verwunderung wurden aber jetzt ihre Zusammenkünfte häufiger und länger als sonst. Ich beobachtete sie einmal in der Ferne im Garten, sie schienen uneinig miteinander zu sein. Er sprach laut und, wie mich dünkte, sehr hart gegen sie, auch bemerkte ich bei Tische, daß ihre Augen rot waren. Ihre Melancholie nahm von Tag zu Tag zu, sie war zerstreut, wenn sie in Gesellschaft war, sprach wenig und aß noch weniger.

»Endlich nahte der Hochzeitstag. Ich will nichts von den Zubereitungen und Einladungen sagen. Genug, unser Haus war voller Gesellschaft.

»Als die Männer eines Tages von der Jagd zurückgekehrt waren, sprengte kurze Zeit darauf Forbes' Stallmeister im vollen Jagen ins Schloß und fragte nach seinem Herrn, weil sein Pferd lahm und ohne Reiter nach Haus gekommen war. Die Nachricht brachte das ganze Haus in Aufruhr, Gäste und Bediente liefen, da es schon spät war, mit Fackeln und Lampen fort, um zu suchen. Zum Glück hatte es etwas geschneit, und so fand man leicht des Pferdes Hufspur, die man verfolgte. In der Dunkelheit war es über einen eichenen Stock gestolpert und hatte unseren armen Freund in dem erbärmlichsten Zustand liegen lassen; denn sein Bein war gebrochen und sein ganzer Körper vor Kälte erstarrt.

»Man brachte ihn nach Hause, sein unruhiger Sinn verzögerte seine Heilung, ein heftiges Fieber überfiel ihn, und man war lange um sein Leben besorgt. Währenddem erhielt mein Vater einen Brief von ihm, den er seinem Haushofmeister diktiert hatte und worin er in den bestimmtesten Ausdrücken die Heiratssache abbrach; da mein Vater aber gehört hatte, daß sein Freund manchmal phantasierte, so entschloß er sich, die Aufklärung zu verschieben und den Inhalt des Briefes der Familie nicht mitzuteilen.

»Wie sehr verwunderten wir uns aber, als wir bald nach seiner Genesung hörten, daß unser Nachbar sehr oft ausfuhr, ohne uns nur einmal zu besuchen, sein Betragen war uns allen ein Rätsel. Mein Vater wurde finster und ließ sich sein Pferd satteln. Forbes war anfangs sehr verlegen, als er ihn erblickte, doch bald erholte er sich wieder, nahm ihn bei der Hand und beschwor ihn bei allem, was heilig sei, bei ihrer langgenährten Freundschaft, bei der Wohlfahrt ihrer Kinder, weder seinen Entschluß zu bestreiten, noch nach seinen Beweggründen zu fragen, die er nie entdecken würde. Meines Vaters Stolz wurde durch diese Erklärung auf das äußerste beleidigt, es betraf die Ehre seiner Familie und den guten Namen seiner Tochter, ein Wort gab das andere, und die beiden Freunde trafen sich den Tag darauf in einem Wäldchen, wo Forbes tödlich verwundet wurde. Nie werde ich die Tränen vergessen, die seinetwegen flossen. Mein Vater kehrte düster und still zurück, meine Mutter fiel in Ohnmacht, und James stand wie ein Bild der Verzweiflung bewegungslos da.

»Den nächsten Morgen ließ der sterbende Mann um eine Unterredung mit mir bitten. ›Geh‹, sagte mein Vater, ›und tröste ihn in seinen letzten Stunden. Armer Mann, ich kann dein unerklärliches Betragen nicht begreifen, aber ich liebe dich noch immer.‹ – Ich kam an und trat vor sein Bett, blaß und eingefallen war sein Gesicht, und der Tod saß ihm schon in den Augen. Oben an seinem Haupte stand James; er sah mich an, und sein Blick ging mir durch das Herz.

»Mit zitternder Hand ergriff der Sterbende die meinige und mit stotternder Stimme – Oh! daß ich das Folgende noch einmal wiederholen muß und mich dadurch vielleicht Ihres Schutzes verlustig mache! Die Entdeckung meiner Geburt wird mich in Ihren Augen so sehr erniedrigen, als in den meinigen. – Forbes hatte meine Mutter geliebt, noch ehe sie verheiratet war; auch hatten beider Eltern, die ihre gegenseitige Neigung sahen, in die Verbindung gewilligt, als ein politischer Streit die beiden Familien entzweite und die Heirat vernichtete. Meine Mutter wurde nun gezwungen, ihre Hand dem Herrn Montgomery zu geben, allein Forbes liebte sie noch immer, wurde Montgomerys Freund und blieb der Geliebte meiner Mutter; und ich – ich bin die Frucht dieser verbrecherischen Liebe. – Das war der Grund, warum meine Mutter sich unserer Verbindung so ernstlich widersetzte. Blutschande! Unvermeidliches Verderben! Forbes war ein Mann von dieser Welt, der seinen Sohn außerordentlich liebte und sein Interesse den Bedenklichkeiten meiner Mutter nicht aufopfern wollte. Ihre Zunge war gebunden, sie konnte uns nicht retten. Doch war die Rache des Himmels offenbar. Denn – ach, muß ich das Betragen meiner Eltern entschleiern – gerade unter der Eiche, wo sein Pferd gestürzt war, hatte er meiner Mutter den Tag vor ihrer Trauung die Unschuld geraubt. Dieser Gedanke, durch die Einsamkeit, worin ihn seine schmerzhafte und gefahrvolle Lage hielt, genährt, weckte sein schlummerndes Gewissen und brachte ihn zu dem Entschluß, sich seinen eigenen Plänen zu widersetzen. – Dies war das Geheimnis, das mir nachher entdeckt wurde; kaum aber hatte ich noch so viel Kraft, um die unglückseligen Worte zu hören: ›Du bist meine Tochter,‹ als ich sinnlos zu Boden stürzte, um nur zu bald die schreckliche Geschichte davon zu erfahren.

»Während meiner Ohnmacht hatte man mich in ein anderes Zimmer gebracht, und kaum hatte ich mich wieder etwas erholt, so kam der Wundarzt, führte mich zum Kranken und entfernte sich. Der unglückliche Mann, der in seinen letzten Zügen lag, nahm seinen Sohn und mich bei der Hand und sprach mit schwacher Stimme: ›Die Barmherzigkeit Gottes ist unendlich, ich hoffe, sie wird es auch gegen mich sein, aber ihr lieben Kinder, könnt ihr mir wohl diese gottlose Schwachheit verzeihen, die in dieser Welt den Grund zu eurem ewigen Verderben hätte legen können? Ich wünschte, daß ich euch noch meinen väterlichen Rat mit meinem Segen geben könnte, doch meine Kräfte verlassen mich. Ihr seid beide in den erhabenen Grundsätzen unserer Religion erzogen worden und kennt eure Pflichten so gut als ich, Gott gebe, daß ihr sie besser erfüllt. Du, James, betrachte Margarete als deine Schwester; bei der Stimme der Natur, wenn keine andere dir noch zuruft, sei ihr Beschützer. – Und du, liebe Tochter, ehre deine Mutter und liebe Montgomery, wie du ihn immer geliebt hast. Ich bin nur dein Vater, mir verdankst du nichts als dein Dasein. Er ist dein Wohltäter und wird es bleiben, denn ich brauche dich wohl nicht erst erinnern, daß der gute Name deiner Mutter und die Ehre ihres Mannes dir es zur Pflicht machen, das Geheimnis in deinem Busen zu verschließen. Ich wiederhole es noch einmal, liebe und ehre deine Mutter, und wenn du dich bisher auch in deinem Vater getäuscht hast, so gedenke, daß du dich nicht in deiner Mutter täuschen kannst. Lebet wohl, Kinder, mein Geist umschwebe euch. James, küsse Margarete, küsse sie als deine Schwester, vor dem Bette des sterbenden Vaters besiegle das Versprechen brüderlicher Liebe.‹ – James kniete vor dem Bette, er stand auf, um sich mir zu nähern, der Gedanke unserer Verwandtschaft erfüllte mich mit Entsetzen, ich sank in Ohnmacht. Ehe ich noch wieder selbst zu mir kam, war mein Vater schon entschlafen. – Wie oft schaudere ich vor dem Gedanken, daß um meinetwillen mein vermeinter Vater meinen richtigen Vater vernichtet hat.

»Von jetzt an war nun nicht mehr die Rede von unserer Heirat; James' Ehre erforderte es, sich nicht mehr um die Tochter dessen zu bewerben, durch den sein Vater fiel. Meine Mutter beweinte den Tod des Mannes, den sie so zärtlich geliebt hatte, doch kehrte die Ruhe nach und nach in ihr Herz zurück, der Gedanke, daß ihre Tochter von einer Todsünde gerettet sei, tröstete sie über seinen Verlust; sie hoffte, daß alles gut gehen würde.

»Aber ach! wie schrecklich täuschte sie sich, ihre Glückseligkeit war eine Blume, die ein warmer Apriltag hervorgelockt hatte, und welche meine schlechte Aufführung wie ein Nachtfrost in der Knospe tötete. Keine Milderung meines Verbrechens ist möglich, keine Aussöhnung, keine Verzeihung mehr zu erwarten. Ich – die so tugendhaft war erzogen worden, wurde in einem unbewachten Augenblick – oh! könnte ich mein Gesicht verbergen und mit ihm meine Scham und Schuld, könnte ich in die Erde hinabsinken! – Ich teilte das Verbrechen meines Bruders und fühlte mich jetzt als Mutter.« – Miß Montgomery verbarg ihr Gesicht und fing so heftig an zu weinen, daß ich für ihre Gesundheit fürchtete, doch endlich nahm sie sich zusammen, um ihre Erzählung zu endigen.

»Gewiß wird mich Ihre Gerechtigkeit von einer entsetzlichen Blutschuld freisprechen. Von dem Augenblick an, da ich unsere Verwandtschaft erfuhr, konnte ich James nicht ohne Entsetzen ansehen, Fieberfrost überfiel mich, wenn er sich mir näherte, und mein Blut starrte in den Adern, wenn ich an unser Verbrechen dachte – Seit jener Entdeckung sah ich ihn nie wieder, und drei Tage hatte ich seinen Abschiedsbrief, ohne ihn zu öffnen. Meine Schande konnte durch meine zunehmende Gestalt nicht mehr verborgen bleiben. Denken Sie sich nur die Bestürzung meines Vaters, der auf die Ehre seiner Familie so eifersüchtig war, sowie die einer zärtlichen Mutter, die wahrscheinlich den ganzen Umfang meines Verbrechens ahnte. Hätte ich meinen Bruder angeklagt, welch ein Donnerschlag wäre das für sie gewesen; nein, lieber gab ich meinen Namen noch mehr der öffentlichen Schande preis, als daß ich ihre Ruhe vergiftete und ein Nagel zu ihrem Sarge ward. Kurz vorher war mein Musikmeister gestorben, diesen erklärte ich für den Täter. Umsonst flossen die Tränen meiner Mutter, mein Vater bestand darauf, daß ich sein Haus verlassen müßte.

»Oh! daß mich das Los getroffen hätte, allein zu leiden. Der Gedanke, daß mein Unglück wenigstens das Glück meiner Mutter nicht gestört habe, war ein Trost, den ich leider nicht lange genoß. James hatte Schottland verlassen, aber die Vorwürfe seines Gewissens begleiteten ihn überall. Er floh von Land zu Land, als flöhe er vor sich selbst. Sein Leben war ihm eine Last, und da seine Religion ihm verbot, sie abzuwerfen, so suchte er jede Gefahr. Als er einst eines Abends düster und verzweifelnd das Schauspielhaus zu Neapel verließ, sah er einen Offizier von der Garde eines von jenen hilflosen weiblichen Geschöpfen mißhandeln, zu deren Gebrauch jeder Schurke sich berechtigt glaubt. Er eilte ihr zu Hilfe. Bloß mit dem Stock in der Hand bot er dem Degen seines Gegners Trotz. Allein die Waffen waren zu ungleich, der großmütige Jüngling fiel.

»Sein Bedienter fand unglücklicherweise einige Briefe, die wir in Schottland miteinander gewechselt hatten, und besonders meine letzte feierliche Antwort auf seinen Abschiedsbrief. Dieser Mensch kam nach Schottland zurück; nun ging nicht allein die Geschichte unserer Liebe, sondern auch die meiner Mutter von Mund zu Mund. Die Erzählung vom Musikmeister galt nun nicht mehr, sondern jeder Bauer wußte nicht allein, wer der Vater meines Kindes, sondern auch, wer mein Vater war. Meiner armen Mutter machte ihr Gemahl die bittersten Vorwürfe, nicht nur wegen ihrer Untreue, sondern auch wegen unseres erschrecklichen, scheußlichen Verbrechens! Ach! welcher Schmerz mag sie gefoltert haben! Nie verzog sich ihr Mund wieder zum Lächeln, seitdem ich sie verlassen mußte. Tief schmerzte sie die Schande meiner niedrigen Neigung, aber der Gedanke von Blutschande verrückte ihr den Kopf, sie bekam öfters Anfälle von Wahnsinn; aber, Gott sei gedankt, in den letzten Augenblicken, wo sie ihrer Vernunft wieder mächtig wurde, segnete sie mich. Dies ist der einzige Gedanke, der mich tröstet.

»Um meine Schande unter Fremden zu verbergen, flüchtete ich nach London. Meine Mutter hatte mir eine Börse mit dem, was sie erspart hatte, in die Hand gedrückt, und als Montgomerys Wut sich gelegt hatte, schickte er mir auch noch einige Guineen nach. Doch in einer großen Stadt wie London schmolz dies Geld bald zusammen, und ob ich gleich nur ein elendes Dachstübchen gemietet und manchen Tag kein Fleisch gegessen hatte, so war ich doch bald bis auf die letzten fünf Guineen heruntergebracht. Keinen Freund hatte ich, der mich unterstützte, keinen Freund, der mich aufgenommen hätte.

»Und wer würde sich auch eines entehrten Mädchens annehmen? Zwar verstand ich alle weiblichen Arbeiten, aber kein Mensch würde bei einem gefallenen Mädchen eine Manschette haben waschen oder eine Elle Kammertuch säumen lassen.

»An einem schönen Tage saß ich im Greenpark und dachte meinem Schicksal nach, als eine ältliche Frau, die mehrmals auf und ab gegangen war, sich zu mir setzte. ›Junge Frau,‹ sagte sie, ›ich glaube, ich sehe eine Träne in Eurem Auge.‹

»Das Ehrwürdige ihrer Gestalt und die Gutmütigkeit ihres Blickes flößten mir Achtung und Zutrauen gegen sie ein. Nach einiger Zögerung erzählte ich ihr von meiner Geschichte so viel, als ich glaubte, daß ich ihr mitteilen könne. Ich sagte ihr nämlich, daß ich ein Fräulein sei, die aus ihres Vaters Hause wäre gestoßen worden, weil sie sich in dem Zustande befände, worin sie mich jetzt sähe (denn meine Schwangerschaft war zu sichtbar). Sie bat mich, ihr zu folgen, und wir kamen in einem ansehnlichen Hause an. Sie ließ mich, ohne ein Wort zu sagen, in dem Vorzimmer und ging in ein anderes Zimmer.

»Auf dem Tisch lag eine große Bibel, worin viele Zeichen lagen, um Stellen zu bemerken. Ein Bedienter holte sie in das andere Zimmer, und ich hörte, daß die alte Dame ein Kapitel mit vieler Erbauung und Wärme las. Endlich kam sie zurück und sagte zu mir: ›Ich habe zu Gott gebetet, und so wie Salomo, der weiseste unter den Königen, die Hure mit ihrem Kinde zu retten würdigte, so will auch ich, indem ich dich und die Frucht deines Leibes rette, Gnade vor dem Herrn finden.‹ Sie befahl mir nun, mein Bündelchen zu holen, und wies mir ein kleines Zimmerchen nahe bei dem ihrigen an.

»Den nämlichen Abend rief sie einen alten Herrn in ihr Zimmer, der die Bewohner des ersten Stocks besucht hatte. Nachdem sie lange heimlich miteinander gesprochen hatten, empfahl sie mich seinem Schutz. Er bat mich, ihn in Zukunft als meinen Vater anzusehen, küßte mich und versprach, das Kostgeld für mich zu bezahlen. Meine Wirtin rühmte mir seine Menschenliebe und seine Gottesfurcht, und ich brachte einige Wochen ziemlich erträglich zu, so gut als ein beunruhigtes Gewissen es erlaubte.

»Eines Tages las ich, wie gewöhnlich, meiner Wirtin die Zeitungen vor und fand darin zu meinem Entsetzen den Tod meiner Mutter und meines Bruders mit allen fürchterlichen Nebenumständen auseinandergesetzt. Ich fiel in Ohnmacht, wurde zu Bett gebracht, plötzlich überfielen mich heftige Schmerzen und ich brachte dies unglückliche Kind zur Welt.

»Kaum waren einige Wochen vorüber, so nahm der alte Herr die Maske ab und machte mir die abscheulichsten Anträge. Ich beklagte mich darüber bei meiner Wirtin, die geschwind die Bibel zur Hand nahm und mir daraus bewies: da es den heiligen gottesfürchtigen Erzvätern erlaubt gewesen sei, Kebsweiber zu halten, so könnte der allbarmherzige Gott von sündlichen Menschen noch weniger Enthaltsamkeit fordern, als von jenen, die besser imstande wären, des Fleisches Lust zu widerstehen. Endlich gab sie mir auch zu verstehen, daß der alte Herr die Hebamme und noch einige andere Unkosten bezahlt habe, und daß er mich könnte ins Gefängnis werfen lassen, wenn ich seinen Anträgen nicht Gehör gäbe. Unbeschreiblich wüteten Schmerz und Unwille in mir, um so mehr, da meine Wirtin, anstatt mich vor ihm zu schützen, bei jeder Gelegenheit mich seinen niederträchtigsten Verfolgungen aussetzte.

»Jetzt war mein Elend namenlos, meine künftigen Aussichten vernichtet, mein Gewissen unaussöhnlich und meine Gedanken verwirrt; sinnlos lief ich auf die Brücke und warf mein hilfloses Kind über das Geländer, mit dem festen Vorsatz, ihm zu folgen. Aber meine Entschlossenheit wankte; ach! der Mensch ist ein schwaches Geschöpf, groß ist die Liebe zum Leben in ihm; weislich hat sie die Vorsehung in seine Brust gepflanzt. Zweimal ging ich wieder an das Geländer, aber nur meine Tränen rollten in den Strom. Besinnungslos lief ich an dem Ufer des Stromes auf und nieder; ich nahm einen ganzen Tag nicht die geringste Nahrung zu mir und befand mich den folgenden Morgen in meinem Bette, wo meine Wirtin mir zur Seite saß und mich bewachte.

»Zu welchem Grad von Schlechtigkeit kann doch der Mensch heruntersinken! Können Sie es wohl glauben, Madame, daß diese Erzheuchlerin mein Verbrechen ahnte und es als einen Gegenstand des Spottes behandelte? Ihr Gedächtnis war immer mit einer solchen Menge Stellen aus der Schrift vollgepfropft; wenn sie witzig sein wollte, so wurde sie gotteslästerlich. ›Kind, höre auf mit Winseln und Weinen,‹ sagte sie zur mir, ›du verdirbst dir die schönen Augen, die mehr wert sind als alle Bälge in der Christenheit. Du mußt denken, du hättest einen zweiten Moses in das Schilf gesetzt.‹ – Doch ich will meine mitleidenswürdige Geschichte kurz machen.

»Immer hielten prächtige Wagen vor unserer Tür, und der Besuch von Herren war sehr häufig; allein statt meinen Verdacht zu erregen, hatte ihn dies alles nur mehr eingeschläfert. Nur jetzt erst sah ich, daß ich in einem öffentlichen Bordell war, daß die Bewohnerinnen des ersten Stockes die elenden Geschöpfe waren, die wahrscheinlich ebensogut wie ich durch die Betrügereien ihrer Prinzipalin bestrickt worden waren, und daß ich Unglückliche dazu bestimmt war, die Begierde jenes grauköpfigen Wüstlings zu befriedigen, um dann ihre Zahl zu vermehren.

»Dieses schändliche Weib glaubte, mich nun ganz in ihrer Gewalt zu haben, und drohte mir, mich als Kindsmörderin anzugeben, wenn ich gegen meinen Liebhaber nicht gefälliger wäre. Ich hatte die unruhigste Nacht, meine Tränen flossen häufig, und wenn die Müdigkeit meine Augen schloß, so stand mein armes ermordetes Kind vor mir. Gestern wachte ich auf, kalter Angstschweiß rann über meine Stirn, alle meine Glieder zitterten, das Leben war mir eine Last, und doch war die einzige Hoffnung, die mir blieb, daß mein Tod mich mit dem Himmel aussöhnen würde. Der Entschluß reifte in mir, mich selbst den Gerichten zu überliefern, ich fand die Vordertür offen, schlich mich unbemerkt hinaus, und von dem, was weiter erfolgte, waren Sie selbst Zeuge.«

Ich stellte ihr nun vor, daß ein Vergehen ohne Vorsatz bloß ein Zufall sei, aber kein Verbrechen, und daß verschiedene Nationen auch verschieden über die Blutschande dächten. Ich führte zum Beweis die alten Perser und die neueren Gebern an, die ihre leiblichen Schwestern heiraten, und bei denen ein sterbender Vater nie ruhiger seine Augen schließt, als wenn zwei seiner Kinder, die die Natur miteinander verband, auch aus Liebe sich vereinigen und so ein doppeltes Band um sich schlingen. »Und gesetzt auch,« fuhr ich fort, »es wäre ein Verbrechen, so folgt doch daraus noch nicht, daß Sie es wirklich begangen haben; denn wären Sie auch Forbes' Tochter, so ist doch nicht erwiesen, daß James Ihr Bruder ist. Forbes konnte sich ebensogut täuschen, wenn er James für seinen Sohn, als Montgomery, da er Sie für seine Tochter hielt.«

»Oh! wie glücklich wäre ich,« sagte sie, »wenn dieses nur einen Schein von Wirklichkeit hätte.«

»Ich dächte,« antwortete ich ihr, »es könnte Ihnen sehr gleichgültig sein; Sie sind jetzt Mutter, und es ist Ihre Schuldigkeit, Ihr Kind zu erziehen; wird dieses ein nützliches Glied der menschlichen Gesellschaft, so ist es gleichviel, ob dieser oder jener sein Vater ist, und Sie haben sich um Ihr Vaterland verdient gemacht.«

Ganz unerwartet war ihr diese Sprache aus meinem Munde, denn nicht Trost, sondern Vorwürfe hatte sie von mir erwartet; bald kehrte nun ihre Laune zurück, und mit ihr schwand auch jene düstere Melancholie aus ihren so schönen Gesichtszügen. Ich fand sie meiner Freundschaft würdig, und wir schlossen uns unzertrennlich aneinander. Indessen kamen doch bisweilen Augenblicke, wo sie nachdenklich wurde. Um sie also zu zerstreuen, entdeckte ich ihr das Geheimnis meiner Verkleidung und schilderte ihr die Sitten und Gebräuche meines Mutterlandes in so lebhaften Farben, daß ich das Vergnügen hatte, sie zur Proselytin unserer Meinungen zu machen. Die Vorurteile ihrer Landsmänninnen wurden abgelegt, und sie verwendete alle Sorgfalt auf die Erziehung ihres Kindes.

Nach einiger Zeit begleiteten mich Naldor und Miß Montgomery zu Vauxhall. Ich bemerkte, daß uns eine Dame in jedes Zimmer folgte, in welches wir gingen, doch hielt ich dieses für Zufall, bis sie uns auch in den Garten nachkam, schnell auf Miß Montgomery zuging und sie mit der größten Vertraulichkeit anredete: »Liebe Margarete, wie glücklich bin ich, dich wiederzusehen. Wie lange bist du in England? Deine beste Freundin so zu vergessen! Wir sind ja alte Bekannte! Oder hast du unsere Schulstunden im W… Institut vergessen, und die Leckerbissen, die wir an einem gewissen Ort – miteinander verzehrten?« – Miß Montgomery antwortete ihr sehr kalt, allein sie ließ sich nicht stören. »Erlaube mir, meine Liebe,« fuhr sie fort, »bei der Gesellschaft zu bleiben; ich wünsche ihre Bekanntschaft zu machen, denn deine Freunde sind auch die meinigen.« – Wir wurden nun sämtlich ihr vorgestellt; Mistreß Fitz Allan – die Marchesa Roverbella – der Cavaliere Pellerini. – Sie wendete sich hierauf ganz vertraulich an Naldor: »Es ist sehr gut, daß Sie Englisch sprechen,« sagte sie, »denn Italienisch ist für mich unverständlich. In der Kostschule wollte ich einmal Französisch lernen, aber der Sprachmeister war ein Dummkopf, und in vier Jahren lernte ich nichts.« – Sie hing sich nun an Naldors Arm und blieb die ganze Nacht bei uns.

Als wir am folgenden Morgen frühstückten, fragte Miß Montgomery, was wir von unserer neuen Freundin dächten. »Mistreß Fitz Allan«, sagte sie, »war in W… Kostschule meine Freundin, obgleich unsere Freundschaft mehr durch den zufälligen Umstand, daß wir zusammen schliefen, als durch Sympathie geknüpft wurde. Sie ist zwar das seltsamste unerklärbarste Geschöpf, hat aber doch im Grunde ein gutes Herz. Da ihre Eltern in London wohnten, so aß sie alle Sonntage zu Hause und hatte die Erlaubnis, jedesmal eine ihrer Freundinnen mitzubringen. Einst, als ich sie begleitete, brachte uns ihre Mutter wieder zurück und erwähnte gegen unsere Aufseherin, sie habe gehört, daß die Zahl der Schülerinnen sich vermehrt hätte. Die Mutter war kaum weg, so bekam ich von der Aufseherin einen derben Verweis, daß ich die Zahl der Schülerinnen ausgeplaudert hätte. Umsonst war meine Einwendung, daß ich nur auf einfache Fragen Antwort gegeben hätte, genug, ich wurde doch gestraft. Sie werden fragen, was mein Vergehen gewesen sei? – In jeder Kostschule herrschte die Politik, die Zahl der Schülerinnen zu verschweigen, denn wächst die Anzahl zu sehr, so könnte man glauben, durch das Gedränge leide die Gesundheit; vermindert sich die Zahl aber, so könnte man denken, die Schule käme in Verfall. – So richteten die Gouvernanten die Kinder zur Falschheit ab und lehrten sie die Eltern vorsätzlich belügen. Ich wurde also bestraft, obgleich eigentlich Mistreß Fitz Allan die Schuldige war, aber ich wollte meine Freundin nicht verraten und litt die Strafe für sie.

»Kurz darauf fand man ein Buch unter unserem Kopfkissen. Gewöhnlich mußten wir, nämlich auch selbst in den schönsten Sommertagen, um acht Uhr zu Bett gehen. Es war mir nicht möglich, zu schlafen, wenn die Sonne noch so schön zu unseren Fenstern hereinschien, ich las daher noch eine Stunde, und hätte oft noch gern ein Stündchen Sonnenschein bezahlt, um, unbemerkt vor den Argusaugen unserer Gouvernante, ein Buch zu genießen, das sie ganz gewiß für ihren eigenen Gebrauch konfisziert hätte. Meine edle Freundin war bereit, es auf sich zu nehmen, und erklärte, das Buch gehöre ihr zu; seit der Zeit verband uns gegenseitige Hochachtung.«

Agalva: »Auf diese Art müssen in solchen Schulen eher Sultaninnen für einen türkischen Harem dressiert, als Mütter und Gesellschafterinnen freier Männer gebildet werden. Kein Wunder, daß Mistreß Fitz Allan sich so glücklich fühlte, als sie Ihnen begegnete, denn es muß sehr angenehm sein, wenn sich zwei, die zusammen, im Gefängnis saßen, wieder in der Freiheit treffen.«

Miß Montgomery: »Und doch konnte ich sie nicht anders als kalt aufnehmen, denn können Sie es wohl glauben, daß die Frau, die einst so edel handelte, jetzt, da ich verlassen und unglücklich in London ankam, die Tür vor mir verschloß, anstatt mich mit offenen Armen aufzunehmen? Vielleicht wundern Sie sich über die Keckheit, womit sie mir wegen meiner Vernachlässigung gegen sie Vorwürfe machte – mich wunderte noch mehr, daß sie mich kannte.«

Naldor: »Ich glaube imstande zu sein, Ihnen das Geheimnis zu enthüllen. Vergangene Woche saß die Dame im Schauspiel neben mir, sie war außerordentlich zuvorkommend gegen mich und näherte sich mir auf jede nur mögliche Art. Nach Beendigung des Stückes reichte sie mir die Hand, sie an den Wagen zu führen, und erbot sich sogleich, mich nach Hause zu bringen. Ich hielt sie für ein Freudenmädchen und entschuldigte mich; aber ohne mir zu schmeicheln, glaube ich behaupten zu können, daß ihre Gesellschaft vergangene Nacht nicht Ihnen, sondern mir galt.«

Er hatte kaum ausgeredet, als die Tür aufging und Mistreß Fitz Allan sich melden ließ.

Miß Montgomery empfing sie sehr kalt, und da Mistreß Fitz Allan um eine Erklärung bat, so sagte ich ihr, daß Miß Montgomery sie beschuldigte, sie habe sie in ihrem Unglück verlassen. »Liebe Margarete,« sagte sie, »du weißt wohl, daß übertriebene Delikatesse nicht eben mein Fehler ist, aber bedenke selbst, ob ich des Anstands wegen ein Fräulein in guter Hoffnung in mein Haus aufnehmen konnte. Aus dem nämlichen Grunde ging ich dir auch vorigen Abend so lange nach, bis du im Garten warst; auch kann ich dir nicht eher den Zutritt in meinem Hause verstatten, als bis du mit allen deinen Oheimen, Tanten und Cousinen ausgesöhnt bist. Es wird mich daher freuen, wenn die Marchesa mir die Erlaubnis gibt, dich in ihrem Hause zu sprechen. Mit dem, was ich für dich getan habe, will ich nicht prahlen, ich bin nicht besser als andere Leute, aber es tut mir sehr wehe, daß du glauben kannst, ich hätte dich in deinem Unglück verlassen.«

»Also warst du es, von der ich die Banknote erhielt?« rief Miß Montgomery und schloß die Freundin in die Arme.

»Aber wie in aller Welt, liebe Margarete, konntest du dich nur in ein Verhältnis einlassen, ehe du verheiratet warst?«

Endlich empfahl sich Mistreß Fitz Allan, Naldor als Kavalier wollte sie an ihren Wagen führen, allein es war kein Wagen zu sehen; der Kutscher hatte es für besser gefunden, und dies wahrscheinlich auf Befehl seiner Frau, nach Hause zu fahren. Der Kavalier erbot sich also, sie nach Hause zu führen, welches Anerbieten auch sogleich angenommen wurde. Kurz, der Cavaliere Pellegrini wurde, nach der Sprache der europäischen Galanterie, Mistreß Fitz Allans Verehrer.

Ich für meinen Teil war fest entschlossen, der Liebe ganz zu entsagen, solange ich noch unter Christen lebte. Zwar war ich stets in den vornehmsten Zirkeln: da einer von Sir Cliffords Freunden, den ich auf seinem Landsitz kennen gelernt hatte, mich mit seinen Freunden bekannt machte, und diese wieder mit den ihrigen, so war meine Bekanntschaft sehr ausgebreitet; doch je mehr ich von den Sitten und Meinungen Großbritanniens sah und hörte, je fester wurde mein Entschluß, für den törichten Einfall, in dieses Land zu reisen, zu büßen und als Einsiedlerin zu leben. Aber ein unvorhergesehener Zufall machte meinen Entschluß wanken und verflocht mich wieder in eine neue Liebe.

»Ach, Prinzessin,« sagte Naldor eines Morgens zu mir, »wäre ich doch so klug gewesen, deinen Warnungen zu folgen. Fitz Allan hat mich gestern in den Armen seiner Frau ertappt. Zwar fiel er nicht, wie mancher Ehemann, wie ein Mörder über mich her, aber mit kalter Höflichkeit und festem Tone, der seine anderen glänzenden Eigenschaften noch mehr erhöhte, forderte er mich auf, morgen einen Gang mit ihm zu tun. In einer Stunde, glaube ich, wird er da sein.«

Die Sache setzte uns beide in keine geringe Verlegenheit, da uns überdem auch keine Zeit zum Nachdenken übrig blieb. »Naldor,« sagte ich, »nach den Grundsätzen deiner Religion darfst du seine Herausforderung nicht annehmen, denn erfüllst du Fitz Allans Forderungen, so gestehst du ihm stillschweigend die Herrschaft über seine Frau zu.«

»Aber meine Ehre?«

»Ein Naïr darf sein Gewissen nicht europäischen Vorurteilen opfern. Du, der du als Freiwilliger, mit den Rittern des Phönix, vier Sultaninnen aus dem persischen Harem befreitest und so viele Turbane zum Zeichen deines Sieges mit nach Hause brachtest, du darfst wohl, nach Samoras Gesetzen, gegen einen aufgebrachten Ehemann, wie gegen einen tollen Hund, dich verteidigen, wenn er dich angreift, aber als einen Mann von Ehre kannst du den nicht behandeln, der unser Geschlecht unterjochen will. Doch überlaß mir die Sache, ich denke sie zur Zufriedenheit aller Teile beizulegen und der Religion unserer Mütter einen Proselyten zu machen. Geh und überrede Mistreß Fitz Allan, mit dir zurückzukommen, und sollte ich bei deiner Zurückkunft schon mit ihrem Mann beschäftigt sein, so führe sie in das hintere Zimmer.«

Ich war kaum mit meiner Toilette fertig, so ließ Fitz Allan sich melden. Ein Mann von schöner Figur und einnehmender Miene trat herein. Mit innigem Wohlgefallen maßen ihn meine Augen, ohne einen Fehler an ihm zu finden. Er hatte sich überdem auch noch so geschmackvoll gekleidet, daß man an nichts weniger dachte, als daß er bereit sei, seine Person auf das Spiel zu setzen, die er mit so vieler Aufmerksamkeit geputzt hatte.

Ich entschuldigte die Abwesenheit des Cavaliere mit der Versicherung, daß er mir aufgetragen habe, ihn bis zu seiner Rückkunft zu unterhalten. Ein sehr artiges Kompliment war die Antwort.

Fitz Allan: »Mir war unbekannt, daß der Cavaliere verheiratet sei, ganz London würde ihn glücklich preisen.«

Agalva: »Der Cavaliere hat zuviel Lebensart, um in Gesellschaft seine Frau zu erwähnen.«

Fitz Allan: »Nein, er ist zu klug, um ein solches Kleinod zur Schau zu stellen und uns bei besten Anblick in Versuchung zu führen.«

Agalva: »So ein Ehemann würde uns sehr lästig sein.«

Fitz Allan: »Und wer sollte auch auf einen solchen Schatz nicht eifersüchtig sein?«

Agalva: »Schatz!« (sagte ich, mich selbst vergessend, denn bei der kleinsten Erinnerung an die Unterdrückung meines Geschlechts geht mein Herz mit meinem Kopf davon). »Ja, in England ist eine Ehefrau ein Schatz und eine galante Frau eine peruvianische Mine. Mit ernstem Blick setzen die zwölf Geschworenen einen Preis auf ihre Reize, der sogar ihre Eitelkeit oder den Geiz ihres Herrn und Gebieters übertrifft. Der Hahnrei drückt die Augen zu, und indem er die hervorbrechenden Hörner fühlt, träumt er auch schon von der goldenen Ernte, die der Liebhaber gesät hat.«

Fitz Allan: »Der Wink, den Sie mir hier gaben, ist sehr edel, doch dies kann weder mein Feuer dämpfen, noch mich abhalten, zu Ihren Füßen zu schwören und Ihnen die reinste Liebe, die tiefste Bewunderung und die unerschütterlichste Beständigkeit zu versichern.«

Agalva: »Ich leugne es nicht, ich erkenne Ihre Verdienste, und ich werde so aufrichtig gegen Sie handeln, als ich hoffe, daß es Ihr Betragen verdient; aber gesetzt nun, Sie fänden einen Liebhaber zu den Füßen Ihrer Frau?«

Fitz Allan: »So sollte er mein Freund sein, danken würde ich ihm für die Gefälligkeit gegen Sie, weil sie mich in den Stand setzte, Ihnen jeden Augenblick meines Lebens zu weihen.«

»So kommt denn,« sprach ich und stand auf. Entzückt sprang auch er auf und wähnte sich schon auf dem höchsten Gipfel des Glücks. Ich öffnete die Tür, und wir sahen den Cavaliere, der uns behorcht und den Zweck meines Plans geahnt hatte, zu den Füßen der Mistreß Fitz Allan.

Die Szene war zu lächerlich, um sie zu beschreiben. Mistreß Fitz Allan war die erste, welche in ein lautes Gelächter ausbrach, und wir alle folgten ihrem Beispiel. Endlich rief Fitz Allan: »Lieber Cavaliere, soeben habe ich von dieser Dame gelernt, daß ein Mann von Welt in Gesellschaft nie von seiner Frau reden soll, ebenso unschicklich würde es auch sein, ihr öffentlich zur Seite zu gehen. Da aber keine Dame von Stande ohne Begleitung ausgehen kann, so ersuche ich Sie, mir die Gefälligkeit zu erzeigen und Mistreß Fitz Allan nach Hause zu bringen.«

Als wir allein waren, fragte ich ihn: »Sind alle Ehemänner in England so wie Sie? Sie kamen mit dem festen Vorsatz hierher, das Blut eines Mannes zu vergießen, weil er Ihrer Frau die Aufwartung machte, und Sie selbst machen sich kein Gewissen daraus, in demselben Augenblick seiner Frau Ihre Liebe zu erklären. Doch ich muß Ihnen gestehen, daß ich nicht des Cavalieres Frau, sondern seine Schwester bin. Ich werde diesen kleinen Betrug nicht bereuen, wenn ich so glücklich bin, Sie dadurch von Ihrer Ungerechtigkeit zu überzeugen.«

Fitz Allan gestand seinen Fehler ein und versprach, sich zu bessern. Er beschwor es bei der Macht meiner Schönheit, den Strahlen meiner Augen und dem Feuer seiner Leidenschaft; und um sein Gelübde desto bindender zu machen, brachten wir unser Opfer auf dem Altar der Liebe.

»Ach!« sagte Fitz Allan, »wie glücklich macht mich Ihre Freundschaft! doch um sie zu befestigen, muß ich Ihre Achtung verdienen; ich muß mich von dem Vorwurf reinigen, daß ich die Freiheit meiner Frau einzuschränken suchte. In keinem Lande, auch Ihr Vaterland Italien nicht ausgenommen, war gewiß je eine Frau mehr Herr über ihre Person, als sie es war. Allein ein Mann von Ehre brachte mich wider meinen Willen dahin, ihr Aufseher zu werden. Ich bin ein Freund der Preßfreiheit, sie ist eine Schutzwehr der britischen Freiheit, nur sollten öffentliche Blätter sich auch bloß mit öffentlichen Angelegenheiten beschäftigen und sich nicht mit Privatskandalen abgeben. Die Neigung meiner Frau für den Cavaliere ging keine dritte Person etwas an. Ich hatte nur das Recht, dagegen zu protestieren und, wenn ich ungerecht handeln wollte, auch den Schutz der Gesetze für mich zu gebrauchen. Wie sehr erstaunte ich daher, als vergangene Woche ein öffentliches Blatt diese Liebschaft mit den grellsten Farben schilderte und auf eine sehr grobe Art den Vorhang von meinen häuslichen Angelegenheiten wegriß. Mr. Whitgrave, der meine älteste Schwester zur Frau hat, war über dieses Gerücht, da ihm die Ehre ihrer Familie nicht gleichgültig sein konnte, äußerst aufgebracht und bestand fest darauf, meine Frau zu zwingen, ihre Aufführung zu ändern, und ihren Liebhaber zur Verantwortung zu ziehen. Ich lachte über seine Ängstlichkeit, stellte mich, als ob ich das Ganze für eine niedrige Verleumdung hielte, und vermied so viel als möglich, mich darein zu mischen. Ganz unerwartet aber rief er mich vergangene Nacht und versicherte mir, meine Frau läge in den Armen ihres Liebhabers; zugleich bestand er darauf, mich zu ihr hinaufzubegleiten, um mich von der Wahrheit zu überzeugen. Welche Entschuldigung war nun wohl hinreichend, ihn zu befriedigen? – Genug, ich mußte folgen. Mr. Whitgrave riet mir, einen Prozeß anzufangen, allein ich zog einen Zweikampf als die ehrenvollste Art, den Zwist zweier Kavaliere beizulegen, vor.«

Den folgenden Morgen kam Fitz Allan wieder, aber tiefe Melancholie lag in seinem Gesicht und seine Miene war sehr feierlich. »Ich habe die abscheulichste Bosheit entdeckt,« rief er aus, »alle Freundschaft ist Verstellung, alles Zutrauen eine liebenswürdige, aber gefährliche Schwäche. Als ich gestern nach Hause kam, fand ich einen Brief von Mr. Whitgrave; als ich ihn öffnete, fiel dies Papier heraus, ich hob es auf und las folgendes:

»›Seid Ihr denn ganz toll, daß Ihr ihm zum Prozeß ratet und vom Zweikampf abzubringen sucht? Doch macht keine Bedenklichkeit weiter, bezahlt mir, was Ihr mir schuldig seid, und seid dann meinetwegen so gewissenhaft, als Ihr wollt. Euer Betragen vergangene Nacht ging an, und Ihr könnt dereinst eine Rolle spielen. Aber nun fahret fort, Fitz Allan aufzuhetzen, und es wird ein Meisterstreich sein, wenn er fällt und uns schneller, als wir hofften, den Besitz überläßt. Aber Ihr müßt auch alles nur Mögliche tun, um jeden Liebhaber abzuschrecken, denn wenn seine Frau schwanger würde, so verliere ich meine Schuld, und Ihr wandert ins Gefängnis. Sollte sich etwa bei Fitz Allan die Hitze gelegt haben und aus dem Zweikampf nichts werden, so schreibt inliegende Zeilen ab und schickt sie ihm: – ›Lieber Bruder, Dein Mißgeschick tut mir weh, welchen Trost kann ich Dir geben, Dir, der Du von einem so alten Hause herstammst. Gewiß nicht Du allein, sondern auch Deine Vorfahren vieler Jahrhunderte sind erniedrigt durch eine Schändliche – ich habe keine Worte dafür; – und wie groß ist sein Verbrechen, was für eine Strafe verdient er für diese Verführung? – Sein Verbrechen und unsere Entehrung muß mit Blut abgewaschen werden. Bruder, laß Dich von Deiner Hitze nicht hinreißen, überlaß die Sache meiner Geschicklichkeit, ich bin ein guter Fechter, ich oder Pellerini muß fallen. Der, welcher Deine Familie beschimpft hat, darf nie einerlei Luft einatmen mit Robert Whitgrave.

»›Ihr lauft keine Gefahr, wenn Ihr dieses schreibt, denn Stolz und Eitelkeit, die Hauptzüge seines Charakters, werden ihm nie gestatten, Euer Anerbieten anzunehmen. Wenn Ihr es abgeschrieben habt, so schickt mir es wieder zurück, denn man kann nie vorsichtig genug in einer so delikaten Sache zu Werke gehen. Zehntausend Pfund Einkünfte des Jahres zu teilen, ist keine Kleinigkeit, wenn vielleicht auch erst nach einiger Zeit, doch je eher, desto besser.

»›I. Armstrong.‹

»Ich hatte den Brief ganz mechanisch überlesen, ohne ihn zu verstehen, und nun las ich den Brief, worin jener gelegen hatte.

»›Ungeheuer, Teufel! – Doch ein Mensch Eures Gelichters nimmt diese Benennungen vielleicht noch für Komplimente, – an welchen Abgrund habt Ihr mich gebracht! Vielleicht triumphiert Ihr über meine Angst, doch Ihr sollt nichts von den inneren Vorwürfen hören, die mich foltern, nichts davon, daß Ihr mich zwangt, eine Leidenschaft gegen eine Frau zu heucheln, für die ich damals nichts fühlte, die aber durch ihre Liebenswürdigkeit mein ganzes Herz erobert hat. Ich soll den schändlichen Plan ausführen, den Ihr ausgeheckt habt, – soll eine Familie ausrotten, von der ich mit Wohltaten überhäuft wurde. Zu meiner Schande muß ich gestehen, daß ich der Popanz für Fitz Allans Bett geworden bin, der seiner Frau Liebhaber erschreckt, und daß ich durch jeden Kunstgriff seine beiden Brüder vom Heiraten abgehalten habe, damit sein Vermögen meiner Frau einst sicher zufalle. Nun sehe ich Euch aber in Eurer ganzen Häßlichkeit, Ihr habt die Maske fallen lassen, indem Ihr mir das abscheulichste Verbrechen zumutet und mich zum undankbarsten und schlechtesten Werkzeuge von Fitz Allans Tode machen wollt. Nein, er soll sich nicht schlagen, ich selbst will es mit dem Cavaliere aufnehmen, und wenn ich falle, so sei mein Tod die Büßung für meine Nachgiebigkeit gegen Eure niederträchtigen Anschläge. Für die Zukunft breche ich hiermit gänzlich mit Euch, schicke Euch Euren Brief zurück und werde keinen wieder von Euch annehmen.

»›Robert Whitgrave.‹

»Meine Wut wie meinen Schmerz bei Durchlesung dieses Briefes können Sie sich leicht denken. Ich stand noch ganz betäubt, als ein heftiges Klingeln mich wieder zu mir selbst brachte. Ein Bedienter kam ganz außer Atem und brachte mir die schreckliche Nachricht, daß Whitgrave sich erschossen habe und meine Schwester in einer Ohnmacht liege. Ich eilte nach Hause und fand ihn tot in seinem Blute. Der arme Mann verdiente wegen seiner Schwäche mehr Mitleid als Verachtung. Er hatte noch an mich geschrieben und bat mich inständigst, ja nicht eher mit dem Cavaliere zusammenzutreffen, bis er, nach einer Sache, die er noch abzumachen hätte und die ihn vielleicht einige Stunden aufhalten dürfte, zu mir kommen werde, um mich als Sekundant zu begleiten; wahrscheinlich wollte er während der Zeit sich anstatt meiner mit dem Cavaliere schlagen.«

»Wahrscheinlich«, unterbrach ich Fitz Allan, »war das Ihr unglücklicher Schwager, der gestern noch vor Ihrem Besuch hierherkam und mit so vieler Ungeduld nach dem Cavaliere fragte; dieser war aber gerade weggegangen, um Ihre Frau zu holen.«

»Ich glaube wohl, daß er es gewesen ist, und da er ihn nicht hier angetroffen hatte, ging er wieder nach Hause, wo gerade der Bediente des Obrist Armstrong dieses Billett brachte, welches wir am Boden mit seinem Blut benetzt fanden.

»›An Robert Whitgrave Esq.

»›Ich schicke Euch inliegend den Brief zurück, welcher, obgleich an mich adressiert, wahrscheinlich für Fitz Allan bestimmt war. Wenn Ihr den Brief, der für mich bestimmt war, an Fitz Allan adressiert habt, so wünsche ich, daß Ihr je eher, je lieber hängen möget.

»›J. A.‹

»Leider brachte er diesen Wunsch nur zu bald in Erfüllung, denn kaum hatte der unglückliche Mann das Versehen, welches er begangen hatte, entdeckt, so entschloß er sich, seine Ehre nicht zu überleben und seiner unglücklichen Existenz ein Ende zu machen.

»Aus einem Paket Briefe, das wir in seinem Schreibpulte gefunden haben, erhellt, daß Armstrong ihn überredet hat, meine Schwester zu heiraten, um dadurch instand gesetzt zu werden, ihm eine Ehrenschuld zu bezahlen, und da nach seiner Heirat Whitgraves Leidenschaft für das Spiel sich immer mehr vergrößerte, so streckte er ihm immer neue Summen Geldes vor, wodurch er denn jene schreckliche Gewalt über ihn erhielt. Meine arme Schwester, die von allen diesen Umständen nichts weiß, ist noch jetzt über den Verlust ihres Mannes untröstlich. Der Schurke Armstrong ist diesen Morgen ganz früh nach Spaa gereist, wo er öfters eine Pharaobank hält.«

»Whitgrave«, sagte ich, »ist sehr zu bedauern, da bloß verbrecherische Schwäche ihn zu seinem Vergehen veranlaßt hat. Lebte er aber jetzt noch, so könnten vielleicht Eure sonderbaren Ideen von Ehre Sie nötigen, eine Ungerechtigkeit zu begehen, indem Sie die natürliche Freiheit Ihrer Frau verkürzten. – Lasset ihn in Frieden ruhen.«

Aber welch ein Geschlecht von Menschen, dachte ich bei mir selbst, sind doch diese Europäer. Einer heiratet um eines Kabinetts von Seltenheiten willen, der andere, um eine Spielschuld bezahlen zu können. Doch das unglaublichste von allem ist dies: wenn der Zufall eine von jenen abscheulichen Ursachen oder ein so schändliches Komplott an den Tag brächte, so würde das Gesetz nicht einmal die Auflösung des Bandes erlauben, sondern alles tun, um die Ketten des betrogenen Schlachtopfers noch mehr zusammenzuschmieden.

Jedes Hindernis, welches der Neigung der Mistreß Fitz Allan zu dem Cavaliere im Wege gestanden hatte, war nun entfernt, und ich selbst fand so viele liebenswürdige Eigenschaften in ihrem Manne vereinigt, daß ich mich durch die Aufmerksamkeit, die er mir schenkte, sehr glücklich fühlte.

Die Gesundheit der Witwe Whitgraves hatte durch Kummer viel gelitten. Man hielt eine Veränderung der Umgebung, und vorzüglich einen Landaufenthalt sehr dienlich für sie. Fitz Allan, der seine Schwester sehr liebte, überredete sie, einige Wochen auf seinem Landsitz zuzubringen. Wir alle reisten daher nach Allans Castle.

Während der ersten Monate meines Aufenthaltes in diesem erhabenen gotischen Gebäude fiel nicht viel Merkwürdiges vor. Wir waren alle so fröhlich, als es nur immer eine Gesellschaft sein kann, die Liebe und Eintracht vereinigt hat und der alle Verfeinerungen und Bequemlichkeiten des Lebens zu Gebote stehen. Unter Fitz Allans Gästen waren einige der vorzüglichsten und aufgeklärtesten Köpfe der ganzen Insel. Außer den Reizen dieses Aufenthaltes erhielt ich noch eine Belohnung für alle die Unannehmlichkeiten, die ich in diesem Lande erduldet hatte; denn ich brachte eine Tochter zur Welt, die ich Osva nannte.

Bald darauf reiste Miß Montgomery nach London. Der alte Montgomery hatte sie nach der Entdeckung von seines Weibes Untreue niemals als seine Tochter angesehen, sondern öffentlich erklärt, daß er sein ganzes Vermögen ihrer jüngeren Schwester hinterlassen wollte. Einer so reichen Erbin konnte es wohl nicht an Anbetern fehlen, ihr Vater bewilligte die Bewerbung des einen (denn in Europa wird der Töchter Einwilligung nicht sehr in Betracht gezogen). Schon war das Nadelgeld und die Mitgift bestimmt, als den Tag vor der Trauung, wo beide Familien beieinander waren, der alte Montgomery sich einen so derben Rausch trank, daß bald darauf ein Fieber erfolgte, welches ihn in der Zeit von einer Woche in die andere Welt führte. Zum Glück für Margareten hatte er sein Testament noch nicht unterschrieben, und sie erbte nun als Miterbin die Hälfte seines Vermögens.

Seit ihrer Abreise beschäftigte ich mich damit, mein Tagebuch zu schreiben. Die Klugheit befiehlt mir diesen Schritt; denn ich habe die europäischen Sitten und Meinungen so verschieden und abweichend von den hindostanischen gefunden und bin Zeuge von so mancher seltsamen Szene gewesen, und wenn ich meinem Gedächtnis nicht einen solchen Führer gebe, so könnte ich bei meiner Zurückkunft nach Kalekut nicht nur von anderen keinen Glauben an diese Erzählungen fordern, sondern es auch am Ende selbst wahrscheinlich finden, daß das Vergangene bloß ein Traum gewesen sei.

* * *

Guter Himmel! was ist aus mir geworden? Unglückselige Neugierde, die mich antrieb, meine mütterliche Halle zu verlassen und dies verworfene Land zu besuchen? Oh, mein Kind, wo bist du? Ach! ich habe dich für immer verloren, alle Nachforschungen sind vergeblich, keine Hoffnung bleibt mir mehr übrig. Lebe wohl, Kalekut! ich bin eine unglücklich Verstoßene. Eine Woche nach der anderen bejammere ich mein Schicksal, meine Seufzer stehen mit mir des Morgens auf, meine Tränen fließen bis in die Nacht; sogar diese Europäer bemitleiden mich. Ich habe weder Heimat, weder Bruder, noch eine Mutter mehr. Kann ich die finstere Stirn meines Oheims oder den leidenden Kummer meiner Mutter ertragen? ich, die ich selbst des Namens Mutter unwürdig bin?

* * *

Ja! dort habe ich noch einen Sohn, er ist unter seiner Familie, seinen Freunden, aber keiner ist seine Mutter. Auf nach Kalekut zu meinem Kinde, ach! meinem einzigen Kinde! Morgen noch will ich dieses Land verlassen.

* * *

Ich werde Naldor hierlassen, damit er mit seinen Nachforschungen fortfährt, vielleicht entdeckt er noch die kleine teure Osva. Dieses Tagebuch will ich schließen und es seiner Sorgfalt anvertrauen, denn der Himmel weiß, was noch endlich mein Schicksal sein wird, und ob ich je mein Mutterland wiedersehe.

Einige Wochen nach meiner Niederkunft, als ich eines Nachts mich in mein Schlafzimmer begeben, meine Kammerfrau schon weggeschickt hatte und eben im Begriff war, das Licht auszulöschen, erblickte ich unter meinem Bette den Schuh eines Mannes. Ich hatte Geistesgegenwart genug, mein Erstaunen nicht zu verraten, sondern stellte mich, als ob ich in meinen Gedanken bloß mit meiner Toilette für das nächste Fest beschäftigt wäre. »Ich habe meine Diamanten noch nicht zurechtgelegt und morgen ist schon der Ball,« sagte ich zu mir selber und ging darauf in mein inneres Kabinett, wo ich mich einige Zeit aufhielt, mich dann zu Bett legte und tat, als ob ich fest eingeschlafen wäre. Der Räuber kam jetzt aus seinem Hinterhalt hervor und eilte in Hoffnung des Raubes in das Kabinett, ich schlüpfte geschwind aus dem Bett, verschloß die Tür des Kabinetts und lief nun, um die Leute im Hause zu wecken.

Ich kehrte bald darauf mit der ganzen Familie, den Gästen und Bedienten zurück, wir bemächtigten uns des Räubers und führten ihn in einen Saal, um ihn zu verhören. Aber ach! als ich wieder zurückkam, suchte ich mein Kind umsonst, die kleine Osva war fort, vielleicht mir auf immer entrissen.

Jede Nachforschung, Erkundigung und Belohnung ist umsonst gewesen; auch nicht die geringste Auskunft wegen des Kindes haben sie bewirkt. Der Räuber ist hingerichtet worden; aber der hartherzige Bösewicht starb, ohne etwas zu bekennen, noch auch seine Kenntnis von dem Schicksal der Kleinen zu leugnen.

Ich kehrte nach London zurück. Ich fand Miß Montgomery, die jetzt in einem prächtigen Hause und auf einem Fuß lebte, der ihrer Geburt würdig war. Sie empfing mich mit offenen Armen und gab mir jeden Beweis eines dankbaren Herzens, allein die Stimme des Vergnügens findet in mir keinen Widerhall mehr, ich bin für alles tot, sogar die Glückseligkeit meiner Freundin hat nichts Anziehendes mehr für mich. Meine Wunde blutet, wenn ich ihr Kind sehe, das ich gerettet habe.

(Unterzeichnet)
Agalva, Rofina, Samorina.

Viele Tage hindurch kam dieses Tagebuch nicht aus des Prinzen Händen, und er war unaufhörlich beschäftigt, über das Schicksal seiner Mutter nachzudenken. Das Schiff, auf welchem sie England verlassen hatte, war verloren gegangen. Bald sah er sie nun auf ein wüstes Land geworfen, bald mit den Wellen kämpfend, bis sie ermattet untersank. Wie oft las er jene Stellen, wo Agalva seiner mit so vieler Zärtlichkeit gedacht hatte, und eine Träne entfiel seinen Augen. Sein Kummer wurde endlich durch die Möglichkeit, daß sie vielleicht während seiner Abwesenheit nach Kalekut zurückgekehrt sein könnte, etwas gemäßigt, und Ruhe stärkte wieder seine ermatteten Lebensgeister, obschon wenig Wahrscheinlichkeit seinen Wünschen schmeichelte. Auf jeden Fall erwartete er keinen weiteren Vorteil von der Verlängerung seines Aufenthaltes in England. Er entschloß sich deshalb, seine Abreise so viel als möglich zu beschleunigen.


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