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Erstes Buch

De Grey brannte vor Ungeduld, die Kaiserstadt zu erreichen. Die Schönheiten der Gegend machten keinen Eindruck auf ihn; nichts konnte seiner Eile Einhalt tun, bis sein Pferd, das er einen der steilsten Berge in Malabar hinan spornte, plötzlich stillstand, um Atem zu holen. Jetzt sah er sich zum ersten Male um, und mit Verwunderung bemerkte er, daß er sich von seinen Bedienten verloren hatte. Er stieg langsam vom Pferde und setzte sich auf einen Meilenstein. Er hoffte, wenigstens am folgenden Tage Kalekut zu erreichen.

Eine der schönsten Aussichten lohnte ihn für seinen Verzug. Das Land der Samorinen übertrifft ganz Hindostan an üppiger Verschiedenheit, hier ist das höchste Romantische mit der schönen Einfalt der Natur verbunden. Auf der einen Seite mächtige himmelhohe Berge, an deren Grundfelsen die Flüsse schäumend dahinrauschen – auf der anderen Prachtgebäude, Schlösser und Burgen, die Wohnsitze der alten Gastfreiheit, und friedliche Hütten, die hie und da aus pittoresker Einsamkeit hervorblicken. Hier gleicht die Landschaft einem Garten, wo kein Plätzchen von der Kunst vernachlässigt, keines von der Natur unfruchtbar gelassen worden; – die Felder, belebt von dem Gesange der Vögel, glänzen vom Überflusse des Getreides – die goldnen Ähren, bewegt von der kühlen Seeluft, wälzen sich wie die Wogen des Meeres, und Wälder und Wiesen geben mit ihrem dunklen und helleren Grün der Szene die seltenste Abwechslung. – Dort hängen freundliche Dörfer durch Straßen zusammen, die, von Fruchtbäumen beschattet, künstlichen Spaziergängen gleichen – hier umzingelt ein Fluß eine Pappelinsel – ein anderer stürzt aus einem dichten Zedernwalde hervor und scheint seinen glänzenden Strom über eine unendliche Ebene zu ergießen. Die Schiffe schwimmen majestätisch auf dem fließenden Spiegel; das Ohr ergötzt sich an dem fernen dumpfen Geschrei der Schiffer, die bald pfeilschnell verschwinden, bald langsam dahinsegeln, als ob sie gern zögerten, um die schönen Aussichten voll und ungestört zu genießen. Vergnügt beobachtet das Auge des Wanderers ihren Schlangenweg, bis er sie auf dem Ozean aus dem Gesichte verliert! – Und der Ozean selbst! Welch ein herrlicher Ausblick in das Unendliche, vorzüglich, wenn es aus der ruhigen Stille des Waldes betrachtet wird.

De Grey weiß nicht, wohin er blicken soll; er verliert sich in den Wundern der hier so wohltätig verschwenderischen Natur – bald denkt er sich in der Schweiz, bald in Frankreich – bald ruft ihm eine Gegend England zurück und nötigt ihm einen unwillkürlichen Seufzer ab. Hier bemerkt er wieder eine Aussicht, die den Paul Potter entzückt hätte – und Claude Lorrain hätte ihn um den herrlichen Anblick beneidet, als die Sonne in dem indischen Ozean unterging.

»Ach! daß Emma, meine teure Schwester, hier wäre!« – rief er aus – »ach, daß sie an diesem Anblick teilnehmen könnte – sie, die von den Reizen der Natur so entzückt war. – Armes Mädchen! unglückliches Geschöpf, das mein Stolz einem blinden Aberglauben schändlich opferte! Ach, wäre sie hier,« seufzte er noch einmal und blickte wie versteinert, ohne Teilnahme an den Gegenständen, die ihn einen Augenblick vorher so hinrissen, starr vor sich hin. Kleine Umstände können nicht nur die Wunden der Liebe aufreißen; nein, sie wecken auch die nagenden Schlangen des bösen Gewissens.

Eine Glocke, die eben in einem nahen Dorfe die Stunde schlug, riß ihn aus seiner Vergessenheit; er fuhr auf und sah sich wieder vergebens nach seinen Bedienten um, als er plötzlich das Traben einiger Pferde hörte. Eine Dame von edlem Ansehen näherte sich, sie ritt einen stolzen Zelter, den sie mit Leichtigkeit und Grazie zu führen wußte; – ein Jüngling von ungefähr sechzehn Jahren und ein schönes Mädchen etwa ein Jahr jünger begleiteten sie; drei Bediente in reichen Livreen folgten.

De Grey verneigte sich und fragte sie, ob sie vielleicht seinen Bedienten begegnet wäre. Bei seiner Überfahrt über den Indus hatte er sich in die Tracht der Naïren gekleidet, nachdem er die persischen Kleider mit der Freude eines Sklaven, der seine Ketten zerbricht, vom Leibe gerissen hatte; dessenungeachtet erkannte sie bald an der Sprache den Ausländer. Er sagte ihr, daß er nach Kalekut reiste. »Habt Ihr einige Empfehlungsschreiben?« fragte die Dame. »Nein,« antwortete De Grey; »ich bin jedem Muttersohne in diesem Reiche unbekannt (die Eigenheit dieses Ausdrucks, den er in Hindostan beständig so gehört hatte, machte einen solchen Eindruck auf ihn, daß er sich desselben bei jeder Gelegenheit bediente), doch«, fuhr er fort, »habe ich keine Furcht, bei einer so aufgeklärten Nation als Spion aufgehalten zu werden. Ich habe zwar einen Paß« – »Ihr habt einen Paß?« fragte die Dame mit einem Blick von Neugierde, die ihre gute Erziehung mit Worten auszudrücken ihr nicht erlaubte.

De Grey überreichte ihr den Paß, den ihm der Gouverneur in der ersten Grenzstadt am Indus gegeben hatte; er war an alle Fürsten des Reiches – an den Großmeister und die Ritter des Phönix-Ordens (der Schrecken der Mohammedaner und die geschworenen Beschützer der weiblichen Freiheit), an alle Naïren, die Schwestersöhne der Helden, und an jeden Muttersohn des besagten Reiches gerichtet; und empfahl den edlen Walter De Grey, einen Engländer, der nach Kalekut zu reisen gedächte, ihrem Schutz und ihrer guten Aufnahme mit dem Versprechen, jedem ihrer Muttersöhne, der in seine Gegend kommen würde, ein ähnliches zu erweisen.

Während die Dame den Paß durchlas, hatte De Grey Gelegenheit, sie genauer zu betrachten. In ihrem Wesen lag etwas Majestätisches, das einem jeden Ehrfurcht eingeflößt hätte, wäre es nicht durch natürliche Grazie zu einer angenehmen Würde gemildert worden. Ihre reichen Kleider zeugten von ihrem hohen Range, Geschmack und Schönheit derselben aber machten ihren Wert zum geringsten Verdienste. Ihre Züge waren schön und regelmäßig, ihr Auge schmachtend, ihr Betragen sanft und hold, doch zitterte der Boden unter ihrem Zelter, der stolz auf seine Bürde schien. In den Ritterzeiten würde jeder ehrbare Ritter von seinem Gaul abgesprungen sein, um ihren Steigbügel zu küssen – jeder schulgelehrte Pedant hätte sie mit den Worten des Äneas als eine Göttin gegrüßt; sie besaß mehr die ernste Schönheit der Juno, als die lächelnden Reize der Venus, doch gab sie den Paß mit einer Anmut zurück, die der Juno nicht mehr eigen war, nachdem ihr Charakter im Ehestand seinen natürlichen Frohsinn verloren hatte.

»Vergebt meine Freiheit!« sagte sie, »die nicht eine unschickliche Neugierde, sondern nur den Wunsch zum Grunde hat, einem Mann von Stande die Aufmerksamkeit erzeigen zu können, die man ihm in einem fremden Lande schuldig ist. – Eure Bedienten haben ohne Zweifel die Hauptstraße verlassen und auf das Anraten irgendeines Landmannes einen Nebenweg eingeschlagen; auch ist die nächste Stadt noch einige Meilen entfernt. Ich bin die Gräfin von Raldabar und Hofdame bei der Samorina, der Mutter unseres Kaisers. Seine Majestät ist gegenwärtig in Virnapor, um die schöne Jahreszeit der Jagd dort zuzubringen; wenn Ihr uns diese Nacht in diesem Schlosse mit Eurer Gegenwart beehren wollt, so hoffe ich, daß die Gastfreiheit unseres Souverains und der Eifer, mit dem sich jeder bemühen wird, Euren Verdiensten Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, Euch gewiß verleiten wird, Euren Aufenthalt zu verlängern.«

Nach einigen Entschuldigungen nahm De Grey die Einladung an. Sie gab ihm eine so schöne Gelegenheit, die Gebräuche des Landes genau kennen zu lernen. »Erlaubt mir nun,« sagte die Gräfin, »daß ich Euch hier Zaros, meinen Sohn, und meine älteste Tochter Ona vorstelle.«

»Sagt lieber, Eure jüngste Schwester,« erwiderte De Grey, aber die Gräfin von Raldabar verstand den Sinn dieses Komplimentes zu wenig, um ihm dafür zu danken, denn »Mutter« ist das höchste Kompliment, das einer Dame in Hindostan schmeicheln kann, und der größte und ehrenvollste Titel, auf den sie Anspruch macht.

Der Sohn verneigte sich gegen De Grey, aber Ona interessierte ihn weit mehr; sie war noch Kind – ihre Züge noch nicht ausgebildet; aber sie hatte ein Paar Augen, die in einem Lande, wo die Ehe herrscht, einen trojanischen Krieg verursachen könnten, die sie aber bald – wie die Sonne, die jeden entzückt, der sie sehen kann, – zum ersten Stern am kalekutischen Hofe zu machen versprachen.

»Welch ein glückliches Land!« rief De Grey aus. »Jeder Erdstrich wird in den Augen eines Reisenden gut und erträglich scheinen, der eben jenen Teil der Welt durchwandert hat, den mohammedanischer Despotismus und Vielweiberei entvölkern; lieber wollte ich der geringste Landmann in Malabar als der erste Mirza am Hofe von Ispahan sein.«

»Ja,« versetzte die Gräfin, »alle Untertanen des Samorin sind glücklich. In Kalekut werdet Ihr Augenzeuge von dem Wohlbehagen unserer Bürger sein, deren Mut und Treue zu ihren Fürsten sich bei jeder Gelegenheit so rühmlich zeigte, deren Fleiß unermüdet ist, weil der sichere Genuß der Früchte ihrer Arbeit sie antreibt, ihre Tage nützlich zu verwenden. – Seht Euch hier um, – seht die Hütten, die Weinberge, die Gärten unseres Landmannes – er arbeitet, er genießt – er bezahlt seine geringen Abgaben ohne Verzug, und würde sich schämen, wenn sie von ihm eingefordert werden müßten. Über so ein Land und so ein Volk verdient auch nur ein solcher Fürst zu regieren, als der Samorin ist. Unmöglich hätten sie sich selbst ihn besser wählen können, wenn nicht schon die gütige Vorsicht für sie gewählt hätte. Durch die Sorgfalt, die er auf die Erziehung seines Schwestersohnes verwendet, hofft er seinem Mutterlande ein getreues Ebenbild seiner eigenen Tugenden zu hinterlassen. Ein unschätzbares Vermächtnis! obgleich ein anderer Gedanke jedem dankbaren Auge eine Träne entreißen muß; denn ach! es lebt kein Weib mehr, den kaiserlichen Stamm fortzupflanzen, und nach dem Tod des Erbprinzen, der sich jetzt auf der Universität aufhält, ist kein Erbe des Zepters mehr übrig, der seit so vielen Jahrhunderten so ruhmwürdig von Mutterbruder auf Schwestersohn überging.«

Bei diesen Worten verließen sie die Hauptstraße und lenkten in einen Seitenweg ein, der durch den kaiserlichen Park führte. Ein Fluß, worüber man in einer Fähre gesetzt wurde, ergoß sich schlängelnd durch dieses irdische Paradies, dieses unvergängliche Monument, das von dem erhabenen Geschmack der ruhmvollen Voroheime des Samorin zeugte. – Die Gesellschaft stieg von ihren Pferden, welche die Bedienten in das Boot führten – die Bootleute ergriffen ihre Ruder; alles bestieg die Fähre, als plötzlich die junge Gräfin ihre Kleider abwarf und sich in den Strom stürzte.

Man sehe nun dieses holde liebenswürdige Mädchen! bald schwimmt sie dahin mit der Ruhe eines Schwans, sanft und regelmäßig bewegt sie ihre Arme, und die stolzen Wellen scheinen sich höher zu heben, um ihren Busen zu küssen; bald wendet sie sich auf den Rücken, ihre Hände liegen untätig an ihrer Seite, und ohne Bewegung schwebt sie auf der Oberfläche des Wassers hinter dem Boot her. Jetzt reißt sie der Strom mit sich fort, und nur selten bewegt sie einen ihrer Füße, die ihr zum Steuerruder dienen. Jetzt scheinen plötzlich ihre Kräfte erschöpft, sie sinkt, sie geht unter; ein leichter Wirbel zeigt sich auf der Stelle, wo sie untertauchte; aber bald kommt sie auf der anderen Seite des Bootes in die Höhe – ihr Körper weiß wie Alabaster erscheint in dem stillen Wasser wie in einem Spiegel. – Jetzt schlägt sie mit beiden Händen auf die ruhige Kristallfläche, und das Element schäumt wie von den Bewegungen eines Delphins. Endlich landet sie auf dem entgegengesetzten Ufer. – Ein Bedienter überreicht ihr ihre Kleider, sie kleidet sich in einem Nu an, schwingt sich auf ihr Pferd und befindet sich, ehe man es vermuten konnte, an der Seite ihrer Mutter.

Das Erstaunen eines Persers, der bei seiner Ankunft in London zum ersten Male das schöne Geschlecht ohne einen siebenfachen Schleier erblickt, – die Verwunderung eines Engländers, der zum erstenmal in Rom von einer Gentildonna im Bett empfangen wird, – das Entsetzen des Paschas über die Gemütsruhe des Baron von Tott, während die Baronin mit einem anderen ein Menuett tanzte, die Verwunderung des guten, empfindsamen Yoricks, als ihn die Marquise ersuchte, den Kutscher halten zu lassen, seulement pour p … – konnte unmöglich größer sein, als De Greys Verwunderung über das Betragen der jungen Gräfin. Indessen, so sonderbar es auch einem Europäer scheinen mochte, so war es doch den Damen von Kalekut so natürlich und gewöhnlich, daß weder Mutter noch Tochter sein Erstaunen gewahr wurden.

Unterdessen ging der Mond auf und beleuchtete in einiger Entfernung das prächtige Schloß Virnapor. Die prangenden Türme syrischer Baukunst erschienen bald einzeln, bald in einer Gruppe von sechs oder sieben durch die ausgehauenen Bäume, bald verloren sie sich wieder bei einer Krümmung des Weges gänzlich aus den Augen. Nachdem sie sie durch eine ganze Reihe von brennenden Lampen, die ein weniger gereister als De Grey vielleicht für eine ihm zu Ehren veranstaltete Beleuchtung gehalten hätte, durchgeritten waren, langten sie auf dem Schloßhof an.

Der Samorin war von den Damen des Hofs umgeben, man sprach von den Vorfällen der letzten Jagd, als die Gräfin mit ihrem Gast in den Saal trat.

Der Kaiser empfing ihn mit zuvorkommender Herablassung, oder hieß ihn vielmehr mit der Gastfreundschaft der alten Zeiten in der mütterlichen Halle willkommen und hoffte, er würde seine Abreise nicht eher festsetzen, bis er nicht alle die Vergnügungen und Ergötzungen des Orts versucht hätte.

Die Gräfin stellte ihm hierauf den ganzen Zirkel vor. De Grey empfing die Komplimente, die ihm von allen Seiten gemacht wurden, ohne sie jedoch gehörig zu erwidern. – Er verneigte sich zwar gegen die Hofkavaliere und dankte ihnen mit seiner gewöhnlichen Leichtigkeit; allein, so sehr er auch wünschte, sich die Gunst der Damen zu erwerben, so war er doch verlegen und stotterte, so oft er sich an sie wendete; das einfache ländliche Negligé, das sie bei der Zurückkunft von der Jagd über sich geworfen hatten, war ihnen so günstig, daß er voll Bewunderung über ihre Reize beinahe bezaubert war. Sie erschienen in einem weißen Musselinkleide, das unter der Brust mit einem Gürtel zusammengezogen war, ihre Haare hingen ungekünstelt in natürlichen Locken auf die wallenden Busen herab.

Eine Trompete verkündigte bald darauf, daß das Souper serviert war; denn nichts ist den Naïren so heilig, als die Sitten und Gebräuche ihrer Voroheime in den Ritterzeiten. Bei der Tafel wurde dem neuen Gast ein Platz dem Samorin gegenüber angewiesen. Er hatte während seines Aufenthaltes in Deutschland die Höfe der ersten Fürsten besucht, deren Pracht und angeerbte Gastfreiheit bewundert, doch niemals hatte er ein so köstliches und lebhaftes Bankett wie das gegenwärtige gesehen. Pagen, stolz auf ihre stiftsfähigen Ahnenmütter, bedienten in glänzenden Livreen die Höchste Person des Kaisers, während Läufer und Heiducken der übrigen Gesellschaft aufwarteten. Die Tafel bog sich unter der Menge der dampfenden Gerichte und glänzte von dem Überfluß des prächtigen Gold- und Silbergeschirrs, doch war die Ungezwungenheit und fröhliche Laune das höchste Verdienst dieses Nachtmahls; die Gegenwart Seiner Kaiserlichen Majestät, weit entfernt, dem Frohsinn den geringsten Einhalt zu tun, schien vielmehr die Ausfälle des Witzes aufzufordern.

Während die funkelnden Becher an der Tafel herumgereicht wurden, ließ sich der Samorin seinen goldnen Pokal bis an den Rand füllen und trank, indem er sich zu seinem Gast wandte, auf die Gesundheit der Schwester seines Königs, und: daß ihre Söhne glücklich den Thron ihrer Voroheime besteigen möchten.

De Grey dankte Seiner Majestät für das wohlgemeinte Kompliment, erwähnte aber, daß in seinem Vaterlande die fürstlichen Schwestersöhne nie so glücklich wären, den Mutterbrüdern auf dem Throne zu folgen.

»Wer«, fragte der Samorin mit Verwunderung, »ist denn der rechtmäßige Thronerbe?«

»Des Königs eigene Kinder,« antwortete De Grey.

Zufällig war diesen Abend Furosto, Baron von Istapatam, der der Jagd beigewohnt hatte, an die kaiserliche Tafel gebeten; der Landkavalier glaubte, der Fremde wollte Seiner Majestät spotten – ergriff hastig eine Terrine und würde sie ohne Zweifel an des Engländers Kopf geworfen haben, wenn er sich nicht zur rechten Zeit noch an die Gegenwart des Kaisers erinnert hätte. – »Wie!« rief er aus –, »können Könige Kinder zur Welt bringen? – Legen etwa in Euren Ländern die Hähne Eier?«

»Wieso?« versetzte De Grey lächelnd, »bei uns so wie überall, glaube ich, ist das Eierlegen der Hühner Sache.«

»Gut,« sagte Furosto, »und ebenso bringt auch nur die Kronprinzessin den Thronerben zur Welt, der nach dem Tod seines Oheims den Thron besteigt.«

»Mitnichten,« versetzte De Grey, »in Europa ist jeder nur der Erbe seines Vaters.«

»Des Vaters?« rief der Baron mit weit aufgesperrtem Munde, – »des Vaters?« wiederholte die ganze Gesellschaft; »seid ihr denn Mohammedaner?«

»Ich bitte,« sagte De Grey, »verachtet uns nicht, wie ihr die Mohammedaner verachtet; unsere Behandlung des weiblichen Geschlechts ist weit weniger sträflich als die ihrige. Habt vielmehr Mitleid mit uns, daß wir die Opfer unserer Vorurteile sind. Unsere Religion, die zwar ebenso grausam, aber nur weniger parteiisch in ihrer Grausamkeit ist als die Religion des Mohammed, tyrannisiert beide Geschlechter mit gleicher Strenge. Sie will zwar nicht, daß wir die Gegenstände unserer Liebe in die Schreckensmauern eines Harems einschließen, doch schränkt sie das ganze Menschengeschlecht in der natürlichen Befriedigung jener Leidenschaft ein, in deren Genuß die anderen Geschöpfe unumschränkte Freiheit genießen. Die Vögel der Luft und die Tiere der Erde wählen und wechseln nach Gefallen ihre Gesellin; nur dem Menschen, dem Herrn der Schöpfung allein ist diese Freiheit versagt. Der Mann muß sich ein Weib wählen, mit dem er allein seine Tage bis an sein Ende verleben soll, und ebensowenig darf sich das Weib, wenn es einmal in die Ehe getreten ist, erlauben, für einen anderen Mann Neigung zu fühlen – der Tod allein kann diese Bande lösen, und ach! wie oft wünscht nicht einer des anderen Tod. Da also ein Mann immer und nur allein mit demselben Weibe lebt, so setzt man auch voraus, daß die Kinder die seinigen sein müssen; daher muß er für sie sorgen – sie führen seinen Namen und Titel – und werden nach seinem Tode die rechtmäßigen Erben seiner Besitzungen und Würden.«

Furosto, obgleich kein Gelehrter, war einer der ersten Heraldiker in der ganzen Provinz; er wußte nicht nur die Erbfolge seiner Vormütter auf einige Jahrhunderte an den Fingern herzusagen, sondern hatte auch die Stammbäume und Geschlechtsregister eines jeden Muttersohnes in der ganzen Nachbarschaft vollkommen im Kopfe; allein, so begierig er auch war, wenigstens eine Idee von dem europäischen System der Genealogie zu erlangen, so hatte er doch nicht Fassungskraft genug, sich den kleinsten Begriff davon zu machen, bis ihm De Grey auf einem Stückchen Papier mit einer Bleifeder eine Art von Stammbaum entworfen hatte.

Eine Dame, die die ganze Zeit sehr aufmerksam zuhörte, sagte endlich zu dem Engländer: »Erlaubt mir eine Einwendung gegen dies System. Ist und bleibt nicht die Verwandtschaft zwischen dem, was Ihr Vater nennt, und dem Kinde sehr zweifelhaft, da es doch immer in der Macht des Weibes steht, den Mann zu hintergehen? Der Sohn eines Edelmannes kann in der Tat leicht der Abkömmling eines aus dem Pöbel sein, so wie mancher Eurer europäischen Prinzen den Thron seines sogenannten Vaters besteigen kann, der sein Dasein einem Kammerherrn oder Pagen, wo nicht gar einem Heiducken oder Läufer zu verdanken hat.«

Der Heraldiker lobte die Einwendung der Dame und war außer sich vor Freude über seinen Sieg. Er spottete kühn über die Geburt seines Gegners und lachte dann wieder über seine eignen Einfälle. Der Samorin, aus Furcht, daß De Grey die derben Scherze des Landjunkers übelnehmen möchte, gab dem Harfner einen Wink.

Allgemeines Stillschweigen erfolgte; der Barde sang das Lob und die Taten des Anandor, Sohn der Larida, jenes unbezwungenen Kriegers, der der ganzen Macht Persiens Trotz bot – der in den Harem eines unnatürlichen Polygamisten eindrang – fünfzig seiner Weiber befreite, und durch ihre Ansiedelung auf seiner Mutter Gute die Bevölkerung seiner Untertanen beförderte. Er sang, wie dann der Friede zurückkehrte – wie die jungen Helden, da ihr Mutterland ihres Mutes nicht mehr bedurfte, haufenweis nach Raldabar zurückkamen – wie die schönen Perserinnen ihre großmütigen Retter und Beschützer mit Dank und Bewunderung anstaunten – wie Liebe den Heldenmut und die Schönheit vereinigt – wie die Nachkömmlinge dieser geretteten Sultaninnen noch jetzt das Andenken an Anandor segneten – und wie endlich der damals regierende Samorin, stolz auf die Lorbeeren seines Vasallen, den ruhmvollen Anandor in den Grafenstand erhoben und alle Nachkommen seiner Mutter Larida damit beschenkt habe.

Das war der Inhalt des erhabenen Liedes, das der Minnesänger zu Ehren der Gräfin von Raldabar, die von Larida abstammte, wählte; die Gräfin, um die vielen Komplimente, die ihr von allen Seiten der Gesellschaft über das Alter ihres Stammes gemacht wurden, abzulehnen, ersuchte den Barden, die ruhmvollen Taten der Samora und den Ursprung des indischen Reiches zu singen. Er gehorchte und sang.

»Samora nahte sich dem Tempel – wie prächtig war der Altar mit den kostbarsten Gemmen und Edelsteinen geziert! Aber Glanz und Herrlichkeit verschwand, wie die Sterne vor der aufgehenden Sonne, als Samora erschien. Der hohe Priester des Ammons begrüßte die Stifterin Babylons – weiß war sein Bart gleich dem Schaum des Ozeans, und Tränen rollten über den weißen Bart, als er die Worte sagte: ›Größte der Frauen! Groß war der Ruhm und die Ehre des Ninus! Über Persien und Ägypten reichte sein Zepter – der Tigris benetzte seines Thrones erhabene Stufen, und der Nil erhob sich aus seinem Bette, seine Majestät zu bewundern. Er baute eine Stadt, die noch seinen Namen führt – welche Pracht herrscht in Ninive! Ach wie groß war der Ruhm und die Ehre Ninus'.‹

»Und der Zorn erhob sich in Samoras Seele. Sie war es, die den erlegte, dessen Ruhm so groß war, und ein Diener des Tempels sollte sich erdreisten, ihr seinen Tod vorzuwerfen. Stolz auf ihre vorigen Taten runzelte sie die königliche Stirne. Zornig ergrimmten die Edlen ihres Gefolges – ihre Seelen, entzündet von vorigen Siegen, fühlen für ihre beleidigte Fürstin, sie entblößen die Hälfte ihrer blinkenden Klingen. –

»Und doch, Ninus,« fuhr der Sänger fort, »Ninus fiel in der Größe seines Ruhms – und du Königin größer als Ninus, wie Babylon größer als Ninive – obgleich ganz Asien seine Millionen schickte, um deinem Ruhm dies Denkmal zu errichten, obgleich seine Mauern die Wolken durchschneiden, seine hängenden Gärten die Wunder der Welt sind, und seine Kunst-See dem Weltmeere gleicht, so kannst du – wie Ninus fiel – auch du fallen, o Samora!

»›Samora ist die Liebe ihrer Untertanen,‹ riefen die Edlen ihres Gefolges; ›Samora ist ihrer Feinde Schrecken – Asien und Afrika ertönen von ihrem mächtigen Ruhme – sie hat nicht ihresgleichen, und die Welt nur eine Samora.‹

»›Und wen sollte ich fürchten?‹ sagte die Königin. – ›Ich habe tiefe Täler bis an die Wolken erhöht, und himmelhohe Berge geebnet – unzählig wie die Blätter des Waldes sind die Sterblichen, die sich vor meinem Angesicht beugen.‹

»›Du hast himmelhohe Berge geebnet,‹ sagte der Priester des Jupiter, ›kannst du auch den Stolz deines Sohnes von seiner Höhe herabbringen? Ninias brennt, den Thron seines Vaters zu besteigen.‹

»In Tiefsinn und Schwermut, traurig und düster ging Samora von Jupiters Orakel. Das schuldige Gewissen des Sohnes zitterte im Angesicht der zürnenden Mutter – seine Gesichtsfarbe schwand – stotternd war seine Zunge – bebend seine Lippen. Die erste der Frauen klagte ihn an – seine Scham überführte ihn.

»›Was sind deine Ansprüche an den Thron!‹ fragte die erste der Frauen. –

»›Es war der Thron meines Vaters,‹ erwiderte Ninias, und rot rollten seine Augen mit Wut.

»›Und wer war dein Vater?‹ rief sie im Zorn. ›Ninus war Samoras Gemahl. Aber wer war der Vater des Ninias? Meine Mutter war die Nymphe des Sees, wer mein Vater war, erfuhr ich nie, und wie sollte ich es erfahren? Ich vermählte mich mit einem unbedeutenden Kenturio, seine Dummheit eignete ihn zum Gemahl; aber ich begeisterte ihn, unterstützte ihn mit meinem Rat, flößte ihm meinen Mut ein, und er stieg bis zum Feldherrn; er siegte, wo er sich zeigte. Die Waffen der Syrier waren unüberwindlich, als er es wagte, mir, der Schöpferin seines Glückes, zu befehlen. Verwundet war der edle Stolz meiner Seele – ich übergab ihn seinem bösen Genius – verließ ihn in seiner Ohnmacht – und jede seiner Handlungen war eine neue Torheit, seine Größe wankte; – Selbstmord allein konnte ihn von Schande retten.

»›Ich gab Ninus meine Hand und bestieg den Kaiserthron; aus meinem ersten Gemahl schuf ich einen Helden, aus meinem zweiten einen Halbgott. Ninive stieg aus einem Nichts hervor, und sein Name ward verewigt. Die Welt erstaunte, keine Stadt konnte Ninive gleichkommen, kein König mit Ninus sich messen; aber Ninus war tief unter seinem Ruhm. Schwindelnd auf der Höhe, auf die ich ihn hob, entehrte er mich mit einem Befehl, als wäre ich zum Gehorchen geschaffen; dieser Befehl war sein Todesurteil, ich streckte meine Hand aus, und der Halbgott lag im Staub; aber die Völker mußten meinen Wert anerkennen, – eingestehen, daß Ninus gleich dem Monde nur mit erborgtem Licht glänzte, daß Samora seine Sonne war, die ihn beleuchtete; Babylon entstand, und das kleinere Ninive fiel in sein voriges Nichts.

»›Und jetzt wolltest du, verwegener Knabe, den Thron mir bestreiten? könnte die Mutter grausam sein, müßtest du nicht zittern vor ihrem Zorn? ich öffne meinen Mund und dein Ruhm ist dahin, wenn etwas Ruhmloses sein könnte, das von Samora ausgeht; kannst du stolz sein auf deine Abkunft von Ninus – du Sohn der Samora? Wohlan! die Welt urteile über deine Verwandtschaft mit Ninus.

»›Die Waffen Syriens bekriegten die Perser; der Pfeil eines Parthers verwundete Ninus; das Blut rauschte aus seiner schwellenden Seite, drei Monate lag er, die Wunde heilen zu lassen. Ich trat an die Spitze der Truppen; er ward in einer Sänfte nach Ninive gebracht. – Wir zerstreuten die Feinde und verfolgten die Fliehenden; drei Tage lang waren unsere Schritte mit Blut bezeichnet. An einem Sommerabend lag ich in meinem Gezelte – die Riemen der Rüstung gelöst, um meinen Busen der Kühlung des Abends zu öffnen. Ein junger Gefangener wurde zu mir gebracht; er war gerade und schlank wie die Pappel des Waldes; Feuer strahlte aus des Jünglings glänzenden Augen – er schien mir Trotz zu bieten, und doch gefiel mir sein Blick. Ich winkte der Wache, wir blieben allein. ›Fremdling,‹ sagte ich, ›schaffe mir einen Sohn, wie du selbst bist.‹ Er stand entrüstet und schwieg, und düster zeigte er auf seine rasselnden Ketten. Mit einem Streiche hieb ich die Fesseln entzwei, sein Auge ward heiter, und dankvoll, nicht aus Gehorsam, fügte er sich meinen Wünschen. Neun Monate darauf gebar ich dich. Versammle nun die Völker der Erde, verkündige dein Recht an den Thron des Ninus.‹

»Und Ninias stand beschämt vor der Mutter.

»›Nein,‹ sagte sie, ›ich will dir dein Erbteil nicht rauben, ich entsage Babylon und Ninive und übergebe sie deinen Torheiten; dein Name werde zum Sprichwort unter den Königen der Erde; ein anderes Reich blühe unter dem Schutze meiner Mutterflügel, wer mich schätzt und liebt, folge mir jenseits des Indus!‹

»Unzählig, wie die Sterne des Himmels und der Sand am Meere oder die Wellen des Ozeans – versammelten sich die Völker um das Panier der Samora. (Es war die Standarte des Phönix.) Sie zogen durch Persien; die Menge wuchs gleich einem Fluß, der von dem schmelzenden Bergschnee anschwillt, – sie häuften sich wie die auftürmenden Meereswogen, die der Sturm aus der Tiefe herauftreibt und schäumend über die Gestade wirft.

»Am Ufer des Indus versammelte Samora die Verheirateten und hieß sie die Ringe der Trauung in die Tiefe des Flusses werfen. ›Wir ziehen in ein neues Land,‹ sagte sie, ›wir wollen es ohne die Zeichen der Sklaven betreten; beide Geschlechter sollen frei sein im Reiche der Samora, der Mann, der hiermit unzufrieden, kehre zurück und werde der betrogene Tyrann seiner Weiber.‹ Und so viele waren der Ringe, die sie in den Indus geworfen, daß er seitdem über glänzenden Goldsand dahinfließt.

»Eine Schiffbrücke vereinigte die beiden Ufer – die erste der Frauen wandelt zuerst in der Majestät ihrer Seele hinüber; Hindostan steigt über die blauen Wogen empor, und seine grünen Haine winken freundlich den Winden entgegen; Kanus und Boote ohne Zahl stießen pfeilschnell über den wogenden Spiegel, der Brücke sich nähernd, und Millionen der Einwohner klammern sich fest an die Seite; sie sind fröhlich und lebhaft wie der Frühling – ihre Schönheit ist das Meisterwerk der Natur; sie sind nackt, aber Reinheit der Seele ist ihr Kleid; sie sind ohne Waffen; denn ohne Furcht sind die, denen Verbrechen und Laster unbekannt sind. Eine weiße Fahne und grüne Zweige sind die Zeichen der friedlichen Freundschaft.

»Groß war die Freude der Fürstin beim Anblick der Unschuld – Samora, sonst der Donner des Sturmes, glich jetzt dem sanften Tau des Abends. Die Krieger steckten die Schwerter in die Scheide, grüne Zweige schmückten die Helme.

»Freudetrunken tanzten die Eingeborenen um ihre neuen Gäste und führten sie in ihren Geburtsort. Er lag am Fuß eines Berges, ein Bach fiel einen Felsen herab und befeuchtete dies irdische Paradies; selbst die Elemente begünstigten diesen glücklichen Erdstrich, und Fleiß und Emsigkeit, mehr Zeitvertreib als Notwendigkeit, verherrlichten die Reize der schönen Natur.

»Am Abend versammelten sich die Indier unter einer Palme; die Königin selbst war zu dem Freudenfeste gebeten.

»Junge Mädchen, anmutig wie die Grazien und nackt wie diese, brachten Körbe mit Früchten und breiteten sie auf dem Rasenteppich um die Königin hin – weder ihre Netze noch Angeln waren müßig – ihre Pfeile hatten den Flug der wilden Taube gelähmt – ihre Lanzen sich in dem Blut der Berghirsche gefärbt; sie schlürfen die Gabe der wohltätigen Biene und verschmähen nicht das klare Wasser der Quelle.

»Wie neu war den Kriegern die schöne Einfalt der Natur, wie reizend die Kinder der Unschuld – die Indier hatten ihnen ihre Hütten geräumt, aber die Neuheit der Szene verscheuchte den Schlaf, und die Töne des Jubels lockten sie von ihrem Lager; sie fanden die Indier im Tanze auf dem Rasenteppich.

»Sie wurden zum Tanze geladen, zum Tanze der Liebe, mit dem sich die muntere Jugend ergötzte; jeder tanzte mit der Geliebten des Herzens. Weniger fröhlich waren Babylons Feste, wo der Jugend freudiger Chor zu Ehren der Venus tanzte. Hier herrschte Natur, ohne Kunst, und zierdelos sind die Töchter frisch aus ihrer Hand, die Mutter der Liebe hat sie mit jedem Reize begabt. Wie schwebend und leicht sind ihre Bewegungen! – Vom Hauche der Freude beseelt sehnen sie sich heiß nach Vergnügen. Welche Üppigkeit in ihrem Lächeln! Wie bedeutend, wie verlangend sind ihre Blicke, wenn sie die Hände, weiß wie der Schnee der Gebirge, den Gästen zum Tanze dahingeben. Die Herzen der Syrier schwimmen in Wonne – Entzücken ergreift sie – ein lieblich stürmender Wahnwitz bemeistert sich ihrer. – Sie lagern sich auf dem Rasenteppich, ihre Tänzerinnen umwinden sie mit Kränzen von Rosen und frohlocken ihrer Liebe, während der Silbermond durch Himmel im Triumphe fährt und Nacht sie mit tausend Augen bewundert. Liebe folgt dem fröhlichen Tanz, und erquickender Schlaf den Freuden der Liebe.

»Es stieg der strahlende Morgen herauf; die Syrier deckten die Felder; gleich einem Tannenwalde standen sie da, die Sonne beschien die schimmernden Waffen.

»In kriegerischen Übungen musterte Samora die Truppen ihrer Macht. Als sie sich nahte, erhob sich dreimal das Jauchzen des Heeres, und der Glanz ihrer Schwerter blitzte über ihren Häuptern.

»Kein Laut wird jetzt unter dem mächtigen Heere gehört, bis die Tuba zum Angriff blies. – Eine Schlacht zur Lust und zum Scheine erfolgt – sie greifen an – schlagen zurück – fliehen – verfolgen. Sie wälzen sich wie Reihen der Wogen im Sturme – sie mengen ihre schallenden Streiche – die Erde zittert unter den Füßen der schäumenden Rosse. In den Bergen ertönte das Schallen der Schilde – Staubwolken steigen himmelhoch auf – und die Sonne verdunkelt der Regen der zischenden Pfeile.

»Die harmlosen Indier flohen gegen die Berge und zitterten über das Kämpfen der Helden.

»Groß war Samoras Macht, aber groß der Königin Güte. Ihr Ruf ertönte bis an die fernen Ufer des Ganges, ganz Hindostan huldigte Samora – seine Söhne kamen und baten sie, auch ihre Königin zu sein.

»›Größte der Frauen,‹ sagten sie, ›du bist mächtig im Kriege und fürchtest nicht den König vom Osten Wahrscheinlich wird der Kaiser von China hier gemeint.. Seine Horden kommen mit Feuer und Schwert; – einen Tribut von hundert weißbusigen Jungfrauen verlangt er von uns, sie werden aus den Armen der Mutter gerissen, um in den Kerkern seiner Lüste zu schmachten. Sie heben umsonst die rotgeweinten Augen gen Himmel – vergebens zerschlagen sie ihren trauernd wallenden Busen. Sie müssen fort, oder unser Land schwimmt im Blute.‹

»›Aber sie sollen nicht fort,‹ antwortete Samora und schwang ihren blitzenden Speer. Der Stolz ihres Busens erhob sich – sie versammelte die Edlen ihres Gefolges.

»›Syriens Helden,‹ sagte sie, die erste der Frauen, ›seht das gelobte Land. Ich habe euch hierher geführt, um euch die Ordnung der Natur zu zeigen; laßt den gebildeten Babylonier von den rohen Wilden lernen. Was frommt dem, der Sklave in seinem Hause ist, Ruf und Ehre von außen? was ist öffentliche Freiheit – wenn eine Hälfte der anderen gehorchen soll; aber die Kinder der Natur sind keine Tyrannen der Schönheit, denn Schönheit fesselt nicht und trägt keine Ketten, – sie beengt nicht die Freiheit anderer; sie opfert nicht ihre eigene. – Sie ist eine anziehende Kraft, kein unauflösliches Band – frei zu wählen und zu wechseln, zu vereinigen und zu trennen, sie duldet eine Weigerung ohne beleidigt zu sein, und verweigert ohne zu beleidigen. – Sie gibt so vielen und hat genug für alle. – Grenzenlos ist ihre Gunst. – Wie die Sonne kann sie dem ganzen Menschengeschlechte scheinen. Die Dauer der Liebe hängt von den Liebenden ab – Launen und Eigensinn trennen, was Neigung und Liebe vereinigt. – Ohne Erröten hören sie auf zu lieben, ohne Klagen hören sie auf zu gefallen, überzeugt, jede Stunde ein Herz voll Sympathie und tausend neue Reize zu finden, beweint der verlassene Liebhaber seinen Verlust ebensowenig, als er gegen den Neugeliebten Groll hat. Wenn alle Männer Nebenbuhler wären, blieben sie doch alle Freunde – und die Schwestern beneiden nicht die Schwester um den Geliebten – zürnen nicht mit dem, den eine andere zu beglücken wünscht – daher ist das Recht der Mutter allein geheiligt – der Name des Vaters ist unbekannt.

»›Das ist das Volk, das ich euch zeigen, das System, das ich euch lehren wollte; mit diesen Grundsätzen könnte unsere Kolonie ein unbewohntes Land beziehen. Zwar könnten wir hier die Wilden besiegen, Samora fürchtete nie die Waffen der Feinde, aber scheute immer das Unrecht – der Himmel begünstigt uns mehr als wir wünschen – die Indier sind gekommen, ihre Krone mir anzubieten.

»›Sie waren vor kurzem noch so glücklich, aber dieser Naturstand kann ohne Schutz nicht immer bestehen. Der König vom Osten kommt mit Feuer und Schwert. – Einen Tribut von hundert weißbusigen Jungfrauen fordert er von ihnen; sie werden aus den Armen der Mutter gerissen, um in dem Kerker seiner Lüste zu schmachten, umsonst heben sie die rotgeweinten Augen gen Himmel und zerschlagen vergebens ihren trauernd wallenden Busen, sie müssen fort, oder ihr Land schwimmt im Blut?

»›Sie sollen nicht fort,‹ riefen die Obersten der Syrier, ›wir werden die Untertanen der Samora schützen.‹

»Und Samora wurde ihre Kaiserin; sie verteilte Hindostan unter ihre Obersten. Von dem Gewässer des Indus bis an die Grenzen von China unterwarfen sie sich freiwillig ihrem mächtigen Zepter; sie liebten sie, – verehrten sie wie eine vom Himmel gesandte, um sie die Künste des Friedens zu lehren und sie vor dem verheerenden Kriege zu schützen. Städte wurde in den Provinzen gebaut, Städte ohne Mauern und Wall. Ihre Untertanen waren glücklich, von ihnen hatte sie nichts zu fürchten; nur um die Grenzen des Reiches vor Einfall der äußeren Feinde zu schützen, stiftete sie den Phönix-Orden, die ruhmvollen Beschützer der weiblichen Freiheit. Malabar behielt sie für ihre eigenen Erben und baute die Kaiserstadt Kalekut.

»Ewig mögen ihre Abkömmlinge blühen, und Helden von den Töchtern ihrer Töchter entsprießen! Der Himmel wende jeden Donnerschlag von dieser kaiserlichen Eiche. Viertausend Jahre hat sie gestanden und die Muttersöhne überschattet. Kleine Menschen wurden groß unter ihren fruchtbringenden Ästen. Aber ach! jetzt sehen sie eine Unglück drohende Wolke – doch nein! die Wolke wird vergehen, und die Sonne im majestätischen Glanze wieder erscheinen.

»Die Indier lernten die Künste und blieben nicht minder treu der Natur. Samora stiftete ein Fest: die Vereinigung der Kunst mit der Natur; denn die gesellschaftliche Ordnung und die höchste Bildung blühen im Reiche, und doch genießen sie wie die Vögel der Luft und die Tiere der Erde unbeschränkt die Freuden der Liebe.«

So endigte der Barde.

Die Harfe wurde entfernt; aber das Stillschweigen, das auf ihre traurigen Töne folgte, wurde bald durch den Klang der Geige unterbrochen, und die sanfte Flöte ertönte zwischen dem Schall des kriegerischen Horns, das in der hohen Decke widerhallte. Die Augen der Damen glänzten vor Freude, die Männer zogen ihre weißen Handschuhe an und wählten ihre Anmut hauchenden Tänzerinnen.

Der Ball wurde mit einem Menuett eröffnet, das aber mit mehr Grazie getanzt wurde, als es De Grey noch je gesehen hatte. Männer und Frauen waren im freien Gebrauch ihrer Glieder – Zwang war weder in den Zeugen und Stoffen, noch in dem Schnitt ihrer Kleider zu finden. Der Geist der Freiheit, der ihre Gesetze und Sitten belebte, schien auch über die Nationaltracht der Naïren zu wachen; kein unnatürliches Band, keine Schnalle war der Gewandtheit der Männer nachteilig; keine Fischbeine, kein Reifrock hinderte den Wuchs und die Bewegung der Weiber; keine Stelzenschuhe gaben ihnen einen schwankenden Gang. Sie bewegten sich, wie es die Natur sie lehrte, und übertrafen weit die künstlichen Tänzer im Westen. Albos, Sohn der Alsa, tanzte mit Oda Farnina – ihre Mutter Farna reichte ihre Hand dem schlanken Rafos, Sohn der Daliva – und andere Paare mengten sich in den stattlichen Tanz. Freude schwellte den Busen der bejahrten Anora, als sie Tochter und Großtochter zugleich tanzen sah; aber De Grey hatte keine Augen als für die Gräfin von Raldabar. Er beneidete ihren glücklichen Tänzer und war von der besonderen Grazie ihrer Reize bezaubert.

Dem feierlichen Menuett folgten dann Tänze von munterer Gattung, deren verwickelte Labyrinthe und Krümmungen Lebhaftigkeit und Geschicklichkeit forderten.

Zu Ende dieser Tänze wurden Erfrischungen herumgegeben. Das hohe Alter verließ mit der zarten Jugend den Saal, die Damen mit den grünen Gürteln blieben mit ihren Tänzern zusammen.

Ein Nationaltanz fing dann mit einem langsamen feierlichen Marsch an, die Musik war traurig und sanft, und wurde erst nach und nach lebhafter; das Drehen, das erst mehr anmutig als belebt war, wurde immer schneller und schneller, bis die ganze Gesellschaft in Bewegung war. Freude strahlte jetzt aus jedem Auge, Freude belebte jede Seele: wie sich der Mond um die Erde, und Mond und Erde um die Sonne drehen, so drehte sich jeder Kavalier, sich sanft anschmiegend, erst um seine Tänzerin herum, und dann mit ihr Brust an Brust, Gesicht an Gesicht um De Grey, der in der Mitte des Saales stand, in einem weiten Zirkel fort. In England hatte er nie einen solchen Tanz gesehen, aber er erinnerte sich der Walzer, die er ehedem in der Schweiz und in Deutschland mit so vielem Vergnügen getanzt hatte. Von den Walzern führte ihn die Erinnerung auf andere Begebenheiten, die ihm in jenen Ländern begegnet waren; denn nichts ist so schnell als die Gedanken eines Gereiften; eine Idee verdrängt so lange die andere, bis er sich selbst in dem Labyrinthe derselben verliert.

Das Schweigen der Musik weckte ihn endlich plötzlich aus seiner Vergessenheit auf, die Gesellschaft hatte den Saal verlassen, er sah sich allein unter den Hofbedienten. Der Hoffurier merkte seine Verlegenheit. »Edler Fremdling,« sagte er, »einer unserer Gebräuche wird Euch unbekannt sein; ein Paar Tänzer, die miteinander gewalzt haben, trennen sich selten dieselbe Nacht; wenn Ihr einst besser mit unseren Schönen bekannt seid, wird Euch, denke ich, diese Gewohnheit wohl schwerlich mißfallen; und glaubt mir,« fuhr er mit einem tiefen Bücklinge fort, »unsere Damen sahen Eure Ankunft mit sehr günstigen Augen.« Hierauf winkte er einem Bedienten, der De Grey nach seinem Zimmer führte.

Es war spät, ehe er einschlief, und heller Tag, als er erwachte. Die Wunder, die er gesehen und gehört hatte, beschäftigten seine Gedanken und seine Träume. Ungeduldig, das Schloß zu sehen, war er bald angekleidet, in einigen Minuten hatte er gefrühstückt.

Er ging durch die langen Galerien, wo die Familiengemälde der Prinzen und Prinzessinnen des Kaiserhauses, die Vormütter und Voroheime des Samorin hingen. Unter dem Namen einer jeden Mutter waren die Namen und die Anzahl ihrer Kinder geschrieben, unter jenen der Fürsten ihre Taten und Siege, und ein kurzer Auszug ihrer Regierung. Welch ein Fest für einen Reisenden von De Greys romantischem Charakter! Mit Erstaunen besah er die Gemälde der Krieger, die ihre mit Feindesblut bespritzten Schwerter schwingen oder die Turbane der Erschlagenen an ihre Speere reihen. – Jetzt öffnete sich ihm eine Reihe von Zimmern, deren Wände mit den merkwürdigsten Begebenheiten des Reiches ausgeziert waren – die Schlachten zu Cressy und Agincourt, die die Säle von Windsor schmücken, können die Seele eines Engländers nicht mehr erheben, als die Darstellung dieser edlen Taten den Enthusiasmus der Naïren aneifern muß. Dies Gemälde zeigt die Zerstreuung eines persischen Heeres; jenes einen Sieg, in China erfochten – hier bekämpft ein Ritter des Phönix-Ordens ein Heer von Polygamisten, und die zitternden Sultaninnen bringen dem Himmel Gelübde dar, ihren Verteidiger zu erhalten. Dort wird ein ganzer Harem in Freiheit gesetzt, Schlösser und Riegel werden erbrochen, ihre Schleier, die niedrigen Zeichen der Sklaverei, zerrissen, die Geretteten sehen zum erstenmal das Gesicht eines Fremden, während ein Emir, der Abkömmling von Mohammed, auf der Seite mit den Zähnen knirscht, seinen Bart ausrauft und aus Wut, seine Weiber in den Armen ihrer Befreier zu sehen, den grünen Turban mit Füßen tritt. De Grey stand einen Augenblick wie angeheftet vor jedem Bilde, aber die Neugierde zog ihn bald unwillkürlich von einem zu dem anderen, bis er endlich in den großen Saal der Samora gelangte.

Es war der größte und höchste, den er je gesehen hatte; eine Musikgalerie ruhte auf den Schultern vier gigantischer Neger von schwarzem Marmor – unter einem prächtigen Staatshimmel, zu dem man auf vier Stufen von Granit hinaufstieg, hing das Bildnis der verewigten Samora, der erhabenen Stifterin des Kaiserhauses. Sie ritt einen prächtigen Zelter und durchbohrte mit ihrem Speer einen wütenden Leoparden S. Diodor von Sizilien.. Unzählige Paniere, die Trophäen voriger Kriege, zierten die Pfeiler; an der obersten Decke waren Schilde und Wappen gemalt, und auf den vier Wänden war die Genealogie der Familie seit viertausend Jahren mit goldenen Buchstaben geschrieben.

Genealogie war sonst ein Lieblingsstudium von De Grey, aber seit seiner Ankunft in Hindostan bezweifelte er alle Stammbäume in Europa. Einst war er stolz, von einem Oheim Wilhelms des Eroberers abzustammen (denn Wilhelms Mutter war Harlotte De Grey), aber jetzt hatte er ein gänzliches Mißtrauen auf seine Verwandtschaft mit seinem Vater, und selbst vor jedem gemeinen Muttersohn hätte er beschämt dagestanden, wäre von Geburt und Abkunft die Rede gewesen. Er war noch mit Betrachtung dieses seltsamen Stammbuches beschäftigt, als der junge Graf von Raldabar in den Saal trat und ihn nach den gewöhnlichen Komplimenten einlud, seine Mutter in dem Garten zu besuchen.

Er fand die Gräfin mit ihrer Tochter in einer Laube, sie war wie gewöhnlich mit der Erziehung ihrer Kinder beschäftigt – eben hatten sie ihre Morgenstudien geendet und der Bediente die Bücher aufgeräumt, als De Grey eintrat. Das Gespräch fiel auf den Stammbaum; »ja,« sagte die Gräfin, »unser Kaiser stammt von dem größten Weibe ab, das jemals geboren war, aber ach! dieses durchlauchtige Haus stirbt mit dem Schwestersohn des Samorins aus – denn die Samorina ist zu alt, um Kinder zu zeugen, und des jungen Prinzen Mutter Agalva, die einzige Schwester des Kaisers – verließ vor achtzehn Jahren, bloß aus Neugierde England zu sehen, das Reich, und seit dieser Zeit wurde nie wieder von ihr gehört.«

Die Gräfin erzählte die Umstände von der Prinzessin Abreise, De Grey bot seine Dienste zu allen Nachforschungen, sowohl in England als Europa an, als diese Unterredung plötzlich abgebrochen wurde. Es wurde zur Tafel geblasen.

In wenigen Tagen war De Grey im kaiserlichen Schlosse wie zu Hause. Der Kaiser fand Vergnügen an seiner Unterhaltung und brachte viele Stunden mit ihm zu, wo vorzüglich über die Möglichkeit, die Prinzessin, seine Schwester, wiederzufinden, beratschlagt wurde. Die Gräfin blieb seine Freundin, und da die Sitten und Gebräuche dieses merkwürdigen Reiches so sehr von den europäischen abweichen, so bat er sie, wenn er in Gefahr wäre, dawider zu irren, ihm einen freundschaftlichen Wink zu geben.

Sein Hang zur Politik flößte ihm den Wunsch ein, die Geschichte und Konstitution des Reiches zu kennen, und es schmeichelte der Gräfin nicht wenig, als er sie bat, den politischen Vorlesungen beiwohnen zu dürfen, die sie selbst ihren Kindern zu halten pflegte. Sohn und Tochter folgten einerlei Studien. – Er, um zu einem tätigen Politiker gebildet zu werden – sie, um in der Folge imstande zu sein, selbst die Erziehung ihrer Kinder zu leiten – denn in Hindostan gehört jeder Mann dem Staate, der auf seine Dienste und Fähigkeiten den ausschließenden Anspruch hat. Jeder Mann ist eine öffentliche Person und Mitglied einer großen Republik – jedes Weib aber ist, wie die Königin eines Bienenstocks, die Gebieterin ihrer kleinen Monarchie.

Übrigens fand De Grey, daß die indische Konstitution mit der des deutschen Reiches viel Ähnlichkeit hatte; nur war es kein Wahlreich, denn der Kaiserthron war in der Familie der Semiramis erblich. Der Kaiser wurde Samorin, und die älteste Prinzessin des Reiches, entweder seine Mutter oder seiner Mutter Schwester, zum Andenken ihrer göttlichen Vorfahrin, Samorina genannt. Jedes Kind pflegte den Namen seiner Mutter seinem eigenen beizufügen – zum Beispiel: Anandor Rofin war der Sohn, Cona Rofina war die Tochter der Rofa. Das Reich war in Provinzen geteilt, die von ihren eigenen Fürsten, als dem höchsten Adel des Reichs, beherrscht wurden; jede Provinz war wieder in kleine Ritterlehen verteilt, die den Grafen und Baronen angehörten; diese machten den kleinen Adel aus. – Jeder, vom Kaiser bis zum niedrigsten Untertan, wurde bei seinem Tode von seinem Schwestersohn beerbt – zwei verschiedene Familien konnten nie miteinander verwandt und alliiert werden – und wenn eine Familie ausstarb, so fielen ihre Besitzungen dem Lehnsherrn anheim, der wieder andere damit belehnte. – Auf diese Art konnte keine Familie, in Rücksicht ihres politischen Ranges, zu mächtig werden. – Wenn irgend jemand ein Adelsdiplom erteilt wurde, lautete solches nicht, wie in Europa, auf ihn und seine Kinder (die doch oft nur seiner Gemahlin Kinder sind), sondern es wurde seiner Mutter, die das Verdienst seiner Geburt und Erziehung hatte, und seinen von der nämlichen Mutter geborenen Geschwistern mit verliehen.

De Grey war kein Feind des Vergnügens – besonders in einem Lande, wo die Liebe seiner Hauptleidenschaft, dem Ehrgeize, nicht hinderlich war. Er würde sich glücklich geschätzt haben, wenn er in der reizenden Gräfin etwas mehr als eine Freundin, mehr als eine Lehrerin gefunden hätte. Zwar machte nur der Zufall ihre erste Bekanntschaft, wenn er sich aber unter den Schönen des Hofes eine Geliebte hätte wählen können, so wäre seine Wahl gewiß nur auf sie gefallen. Für ein geziertes Mädchen – mit den negativen Reizen von Gesundheit und guter Laune, fühlte er nie. Majestät und Grazie allein konnten auf ihn Eindruck machen, und in der Gräfin fand er jede Vollkommenheit, die ein Dichter einer Göttin beilegen konnte. Wieland würde sie zum Vorbild einer Danae oder Theoklea gewählt haben – von einer solchen Aspasia könnte ein Alkibiades gebildet werden; aber leider liebte die Gräfin schon einen der vorzüglichsten Phönix-Ritter; doch brachte De Grey gewöhnlich den Morgen in ihrer Gesellschaft zu. – Stundenlang saß er, seine Augen nur auf sie geheftet, wenn sie ihre Kinder lehrte; er tanzte nie mit Vergnügen, als wenn er mit ihr tanzte, welches in Menuetten und Kontertänzen fast immer der Fall war – nur wenn es an den Walzer kam, da war zu seiner Qual ihre Hand immer dem Ritter schon versprochen; mißvergnügt ging er dann langsam auf sein Zimmer, blieb schlaflos in seinen Kleidern sitzen und seufzte laut, wenn er den glücklichen Ritter die Gräfin durch die lange Galerie nach ihrem Schlafzimmer begleiten hörte.

Endlich wurde er doch dieser Schwermut überdrüssig, und da er doch alle Hoffnung verlor, das Weib zu besitzen, das er gewählt haben würde, so beschloß er das zu wählen, das er zu besitzen hoffen könnte, und der ersten, deren Herz frei wäre, seine Liebe zu erklären. Er hatte irgendwo gehört oder in Rochefaucault oder einem anderen Sentenzenkrämer gelesen, daß Liebe das beste Heilmittel wider die Liebe sei, so wie ein verbrannter Finger am besten am Feuer geheilt würde, und hoffte also, daß die Symptome der Liebe nach der Inokulation folgen würden.

Es bot sich auch bald eine Gelegenheit dar – der junge Graf von Fizabad, Kammerherr des Samorins und der größte Geck am kaiserlichen Hofe, war der Liebhaber der Baronin von Madura, die zwei Jahre vorher den grünen Gürtel erhalten hatte – sie liebten sich beide so viel, als es ihre verschiedene Sinnesart zuließ. Er war ein eitler Egoist – sie ein leichtsinniges Geschöpf, das nie geliebt hätte, wenn sie nicht von anderen über die Liebe hätte reden hören.

Der Samorin gab einigen fremden Fürsten eine große Jagd. Jeder Edelmann, der seine vier adeligen Mütterahnen beweisen konnte, wurde eingeladen; der Graf hatte in Kalekut zu diesem Feste ein neues Jagdkleid bestellt – es war rosenrot, und nichts kam dem Schnitt desselben an Geschmack und Eleganz gleich. Der Graf lief gleich morgens zur Baronin, um sich zu zeigen; zu seinem Unglück traf er sie eben im Bade. Die mutwillige Baronin konnte der Versuchung nicht widerstehen: sie bespritzte den jungen Grafen von oben bis unten; das geschmackvolle rosa Jagdkleid war gänzlich verdorben, er verließ sie auf der Stelle in Wut und reiste bald darauf vom Hofe ab. Er fürchtete die Scherze der übrigen Damen. Die Gräfin nannte ihn ein unbedeutendes Püppchen; auch war er nicht der erste Liebhaber, den sie durch einen ähnlichen Scherz verloren hatte.

In Europa hätte ihre Liebe vielleicht sehr ernsthaft enden können, sie würden sich verliebt geglaubt – geheiratet – und ihren unverbesserlichen Irrtum zu spät eingesehen haben. – Sie würden vielleicht unter einem Dache gelebt, vielleicht an einem Tisch, jedoch ohne ein freundliches Wort zu wechseln, gespeist haben; der schwache Sonnenblick der Liebe würde sich bald hinter die düstere Ruhe der Gleichgültigkeit verhüllt haben oder in das mürrische Stillschweigen übergegangen sein, das so oft in fürchterlichen Sturm ausbricht; vielleicht hätten sie jedes Mittel ergriffen, mit hämischem Mutwillen einander zu quälen und zu martern, oder wer weiß, ob nicht gar ein Duell oder die Schande einer öffentlichen Anklage wegen Ehebruchs diese närrische Liebe zu einem Trauerspiel gemacht hätte, die in Kalekut wie eine Posse endete.

Den nächsten Abend war De Grey so glücklich, daß die junge Baronin beim Walzer keinen Tänzer hatte; er bot ihr seine Hand, wagte es sogar, die ihrige während dem Tanze zu drücken, und glaubte, für den ersten Angriff unternehmend genug gewesen zu sein. Der Gräfin war seine Aufmerksamkeit sehr willkommen; es entzückte sie schon der Gedanke, wie sehr der Graf gedemütigt und gekränkt sein müßte, wenn er hörte, daß seine Stelle noch am Abend seiner Abreise wieder besetzt worden sei. Aber leider, die gute Baronin täuschte sich: De Grey hatte Galanterie in Europa studiert, wo das Herz einer Dame nicht im Sturm, sondern nur mit regelmäßigen Annäherungsmanövern eingenommen wird. Das Herz einer Naïrin hingegen ergibt sich entweder bei dem ersten Angriff oder gar nicht – kurz: der Walzer war zu Ende – sie reichte ihm ihre Hand und erwartete, daß er sie auf ihr Schlafzimmer führen würde, aber der bescheidene De Grey verbeugte sich tief und – ging auf sein eigenes.

Den nächsten Abend von beiden Seiten dieselben Wünsche – dieselbe Schüchternheit, dieselbe Täuschung! Die Baronin war mit seiner Blödigkeit äußerst unzufrieden, während er sich über seine Kühnheit wunderte, denn diesen Abend drückte er nicht nur, er küßte sogar ihre Hand.

Den dritten Abend war sie willens, ihn auf ihr Zimmer zu bitten; allein bei der Abendtafel beschrieb er seine Landsleute als eine so wunderliche Rasse von Sterblichen, die, voll von Vorurteilen, jede Sache in einem falschen Lichte betrachten, daß sie, wahrscheinlich zum erstenmal in ihrem Leben, nicht wagte, ihm ihre Liebe zu erklären.

Eine Art Instinkt, oder vielmehr Eitelkeit – denn Instinkt irrt sich nie – sagte ihr, daß sie geliebt würde, obschon De Grey bloß nach ihr verlangte – welches wohl in neun Fällen unter zehn der gehörige Ausdruck wäre; sein Auge erklärte, was seine Zunge zu gestehen gestottert hätte; seine Aufmerksamkeit war, obgleich unbemerkt oder mißverstanden, unermüdet. Am Spieltische konnte er stundenlang an ihrer Seite in ihre Karten sehen, obgleich er weder Karten noch Spiel kannte. Er flog durch den Saal, einen Handschuh, den sie fallen ließ, zu holen; Abend für Abend, oft schon vor der Tafel engagierte er sich mit ihr zum Walzer, und doch überließ er sie dann der ärgerlichen Empfindung der Täuschung.

Die Baronin gab ihm eine Rose; er trug sie, bis sie in Staub zerfiel. Sie verlor ihren Fächer, man fand ihn in seinem Schreibpult, und würde ihn für einen Dieb gehalten haben, wenn er ihr nicht einen weit kostbareren verehrt hätte. Sie verlor ein Band; er befestigte es an seinem Gürtel, und wurde für einen Narren gehalten.

Und doch – De Grey war nicht verliebt; sein Herz blieb ruhig, ob er gleich aus der Tiefe seines Herzens seufzte; er verlor weder Heiterkeit noch Appetit. Bedachtsam ging er zu Werke; jeden Augenblick wog er ab; jeder Seufzer war an seinem Platz, als er die Seligkeit zweier Herzen beschrieb, die in gegenseitiger Liebe glücklich wären. Er nahm sich vor, bei der nächsten Zusammenkunft seine eigenen Ansprüche auf dieses Glück auseinanderzusetzen.

Zufällig hörte er, daß ein anderer Kavalier seiner Dame eine Nachtmusik gegeben hätte, er beschloß sogleich, nicht weniger galant gegen die Seinige zu sein; allein die Nachtmusik jenes Kavaliers war dem Charakter seiner Landsleute angemessen – er hatte die Schöne bereits nach Hause begleitet; die Musik, die er vorher schon bestellt hatte, weckte ihn aus einem süßen Schlummer an ihrem Busen, und ihre lebhafte Dankbarkeit drückte ihn noch näher an ihr Herz; De Grey hingegen stand schaudernd im Schloßhofe unter ihrem Fenster wie Romeo, der seine Sonne bat, den neidischen Mond zu töten.

Die Baronin konnte zwar an seiner Liebe nicht zweifeln; aber sie hatte alle Geduld verloren und wollte das Eis selbst brechen; sie schickte einen Pagen, um ihn zu ihr zu bitten – aber der schlaue Schelm, vielleicht in Hoffnung die Abwesenheit des Geliebten zu benutzen, konnte oder wollte ihn nicht finden.

Der Hang zur Einsamkeit, die für Helden, unglückliche Verliebte und allerlei Schwärmer von jeher so vielen Reiz hatte, war auch ein auszeichnender Zug in De Greys Charakter; er war nie glücklicher, als wenn er im Hofgarten Luftschlösser von Ruhm und Größe baute; stundenlang wandelte er einsam in diesem irdischen Paradiese herum, das an allem Überfluß besaß, was die Natur hervorzubringen vermochte, um das Auge oder die Einbildung zu bezaubern, Bäume von tausend Farben und Pflanzen, von jeder nützlichen Eigenschaft wuchsen untereinander und gaben dem Ganzen eine nie ermüdende Verschiedenheit, und Blumen, die reizenden Geburten eines immerwährenden Frühlings, standen prunklos an dem Rande der Spaziergänge, oder blühten im Schatten einer Palme oder Zypresse, die sich zwischen duftenden, mit goldner Frucht prangenden Orangenbäumen majestätisch emporhoben. Welch ein Schauspiel für den Botaniker und den Blumenfreund – De Grey war keines von beiden, und doch entzückte ihn der herrliche Anblick; nur wurden heute seine Vergnügen bald unterbrochen. – Er erinnerte sich an seine Schwester Emma, für die die Schönheiten der Natur so vielen Reiz hatten; ihr unglückliches Schicksal stand lebhaft vor seinen Augen. Langsam setzte er sich in eine Laube von Jasmin und Geißblatt unter dem zitternden Schatten einer Trauerweide, die ihre Äste in einen glänzenden See tauchte; Tausende von Goldfischen, die nie ein Netz oder eine Angel beunruhigte, zeigten sich bei des Wanderers Ankunft auf der spiegelnden Oberfläche, um gefüttert zu werden; die spielenden Wellen am Ufer erhoben sich, als ob sie seine Füße küssen wollten. De Grey bemerkte sie nicht, seine Stimmung raubte ihm alle Gefühle für die Reize der Kunst und Natur, die hier Hand in Hand gingen und wie Schwestern ihre Kräfte vereinigt hatten. Wild fährt er auf, seine Hast verscheucht die zutraulichen Vögel.

Um den traurigen Gedanken an die unglückliche Emma loszuwerden, zwang er sich an die Baronin zu denken und machte eben einen Plan zu einer förmlichen Liebeserklärung, als ihn der Gegenstand seiner Gedanken unterbrach. Welch herrliche Gelegenheit einen Versuch seiner Beredsamkeit zu machen. Er beschloß auf der Stelle die Zeit zu benutzen und redete sie nach einer kleinen Pause an.

»Sagt! muß ich meinen günstigen Sternen danken, oder ist es Eure Güte, die Euch hierher führt. Unvergleichliches Ideal meiner Seele, dem meine Augen schon längst eine Wahrheit gestanden haben, die die Schüchternheit einer bescheidenen Liebe nicht den Mut hatte, mit Worten zu erklären. Ich liebe Euch, zürnet nicht, schöne Dame, meiner verwegenen Liebe; vernichtet mich nicht mit Eurer Verachtung – ach gewiß – in einer Gestalt wie die Eurige – in einem solchen Meisterwerk der Natur kann kein hartes fühlloses Herz wohnen – ach nein! Ihr lächelt, und dieses holde Lächeln läßt mich hoffen, daß ich die Stunde nicht zu verfluchen habe, in der ich das Tageslicht erblickte, daß ich den Augenblick segnen darf, in dem ich Euch zum erstenmal sah. Wo die Reize der Schönheit so unwiderstehlich sind, wie die Eurigen, ist die Liebe ein unwillkürliches Vergehen, und – Ihr selbst seid strafbar, daß Ihr so liebenswürdig seid. Ich wag' es nicht bei Euren überirdischen Verdiensten, der Gerechtigkeit zu erwähnen, laßt mich Mitleid hoffen! Oh, ich beschwöre euch bei den Leiden der Liebe – bei allen den Grazien, die Eure Person schmücken – bei diesen schönen Augen, deren Glanz den Glanz der Sterne verdunkelt – bei diesen Rosenlippen, gegen die die Rubinen verblüffen – bei dieser weißen Hand, die den Bergschnee beschämt. Der niedrigste Eurer Sklaven steht um Mitleid, und bewußt seines geringen, nichtsbedeutenden Wertes, erwartet er kniend in der demütigen Stellung des Bittenden und Mitleidflehenden sein Urteil – Leben oder Tod.«

Anfangs wußte die Baronin nicht, ob er scherzte oder im Ernst sprach – sie glaubte lange, er spotte ihrer; als er aber auf seine Kniee fiel, stieg plötzlich der Gedanke in ihr auf, daß er von Sinnen wäre, und pfeilschnell lief sie davon.

Bei Tische waren die Augen des Hofes nur auf ihn gerichtet, und die ganze Gesellschaft staunte, als er wie gewöhnlich klug und vernünftig redete; sie glaubten, daß der Gräfin Erzählung erdichtet oder übertrieben wäre. »Nein, meine liebenswürdige Nichte,« sagte ein Hofkavalier des Samorins, indem er mit dem Kopf schüttelte, »der Engländer ist so wenig wahnsinnig als es ein Engländer sein kann. Ich war nie ungerecht gegen Eure Reize, aber – seine Landsleute, wie er selbst eingestanden hat, halten sich für die Herren und Meister der Schöpfung – und behandeln Euer Geschlecht nur wie ihre Mägde, Ihr werdet mir nie glauben machen, daß er wirklich zu Euren Füßen kniete.«

Die Baronin wettete mit ihrem Oheim, daß er De Grey vor Ausgang der Nacht kniend sehen sollte.

Nach dem ersten Tanze verließ sie den Saal, und De Grey, der sie nie aus den Augen verlor, folgte ihr bald in eines der anstoßenden Nebenzimmer, wo er sie wie in tiefem Nachdenken auf einem Sofa sitzend antraf. Ihr Kopf lag in ihrer Hand, und ihr Ellbogen stützte sich auf ihr Knie. Bei seiner Ankunft fuhr sie wie befremdet über seine Überraschung zusammen. De Grey war keiner von den unbedeutenden Männern, die eine eigensinnige Schöne wie ihren Schoßhund behandeln konnte; auch hatte die Unterwürfigkeit, die er ihr im Garten gezeigt hatte, keinen inneren Drang des Herzens, sondern nur die falsche europäische Etikette zum Grunde. Er fühlte das Abgeschmackte seiner übertriebenen Erniedrigung nur zu gut; er sah alle ihre Schwachheiten ein, indessen seine Galanterie ihr jede Vollkommenheit aneignete – er schmeichelte sich also, am besten zu beweisen, daß sie ein schwaches Weib wäre, wenn er sie glauben machte, daß er sie für eine Göttin hielte; aber diesmal machte ihn seine Klugheit zum Narren. Er vergaß, daß die Liebe in Kalekut kein Beweis von Schwachheit war, und entschloß sich, obgleich nicht ohne inneren Kampf seiner Gefühle, und so sehr er auch durch den übrigen Erfolg seiner blumenreichen Liebeserklärung gedemütigt war, einen zweiten Angriff zu wagen.

Er fiel plötzlich auf seine Kniee, drückte ihre Hand bald an seine Lippen, bald an sein Herz, seufzte erbärmlich und wiederholte mit kleinen Abänderungen ungefähr dieselben Ausdrücke, deren er sich des Morgens bedient hatte – ob er sie aus irgendeinem Romane oder einer alten Komödie entlehnt hatte, kann wohl gleichgültig sein, indessen hatte er sie mehr seinem Gedächtnis als seinem Herzen zu verdanken. Er war wieder der niedrigste ihrer Sklaven, sie eine Gottheit! welche Herablassung also, wenn sie den Weihrauch seines Lobes gütig aufnahm, und doch, der verwegene Sterbliche! er war dreist genug, den Nektar von ihren Lippen kosten zu wollen. Sein Triumph war auch schon gewiß – die angenehme Dämmerung des Zimmers – die Musik, die aus dem entfernten Tanzsaal nur schwach gehört wurde – ihr Blut, das vom Tanzen in Wallung war – ein oder zwei Gläser Schiraswein, die sie bei Tafel getrunken hatte, alles begünstigte die Zudringlichkeit eines schönen Mannes, der ihre Hand so zärtlich drückte und ihre Kniee mit mehr als orientalischer Ehrfurcht umfaßte. Ihre heimliche verborgene Liebe litt mit ihm, wenn er sein grausames Schicksal beklagte, an der Pforte des Paradieses zu stehen und nicht eingelassen zu werden.

Das Projekt des Scherzes wurde vergessen; und ob sie gleich den Saal mehr mit dem Vorsatze, ihres Liebhabers zu spotten, als seine Wünsche zu krönen, verlassen hatte, so waren doch die Tore des Paradieses eben im Begriff sich zu öffnen, als hinter einem großen Schirm plötzlich ein Gekicher gehört wurde und ihr Oheim mit einigen Damen und Kavalieren von allen Ecken hervorkam, um ihr zum Gewinn ihrer Wette Glück zu wünschen.

»Verwünscht sei die Wette,« sagte die Baronin, indem sie ärgerlich aufsprang.

De Grey verließ beschämt die Gesellschaft; der Gedanke, das Spielwerk eines leichtsinnigen Weibes gewesen zu sein, war ihm unerträglich. Mit großen Schritten geht er in seinem Zimmer auf und ab – bald wirft er sich auf das Sofa, bald auf das Bett – mürrisch entläßt er seinen Bedienten, der ihn auskleiden will – er denkt an keinen Schlaf – er öffnet sein Fenster, schlägt es mit Gewalt zu, öffnet es wieder, und sieht gedankenlos auf die Terrasse hinab.

Unterdessen ging die Gesellschaft auseinander. Eine prächtige Nachtmusik unter dem Fenster einer seiner Nachbarinnen, die ihn zu jeder anderen Zeit entzückt hätte, war ihm in seiner jetzigen Stimmung unausstehlich. Plötzlich verläßt er sein Zimmer und flieht in den Garten; hier läuft er herum, einen Gang, eine Allee auf, die andere nieder, ohne zu wissen, wo er war oder wohin er ging; bis er sich endlich über die Grenzen des Gartens, an das Gestade des unendlichen Ozeans verirrte. Eine Totenstille herrscht über dem Weltmeer – kein Lüftchen bewegt sich – die dunkelblauen Wellen steigen und fallen nicht – hier und da glänzt ein kleiner Wirbel wie ein Edelstein in der Helle des Mondes, dessen Bild die ausgedehnte Fläche wie ein Spiegel zurückwirft. Die Wolken, die vor seinem Throne langsam vorbeiziehen, scheinen stolz zu sein sich in der Tiefe des Meeres zu sehen, wie sie ihrem Oberhaupte huldigen. Welch eine herrliche Szene für einen glücklichen Liebhaber, der Arm in Arm mit seiner Geliebten herumirren könnte; aber mit De Grey war es anders, obgleich die Launen eines Weibes einen Mann von seiner Sinnesart nie unglücklich machen können, so war doch eine vermeinte Beleidigung hinreichend, seinen Ehrgeiz und Stolz tief zu kränken – und hätte jetzt ein Sturm fürchterlich in seinen Ohren gesaust – das Feuer des Himmels ihm in die Augen geleuchtet – und die schäumenden Wogen den Himmel erreicht, als ob sie das Feuer der Sterne auslöschen wollten, so würden in diesem Augenblicke diese Schrecken mehr mit seiner Seele harmoniert haben.

Der Morgen dämmerte, als er nach Hause kam – Unglücklicher De Grey! Du weißt nicht, was du versäumt hast! Die Baronin hat vergebens an deiner Tür gepocht – sie war in deinem Zimmer, sie fand dein Bett leer, sie kehrte traurig in das ihrige zurück, als sie dich nirgends finden konnte. Sie kam ihren Fehler gut und dich glücklich zu machen, während du über ihren Leichtsinn schmähtest. Du schließt deine Augen unentschieden, ob du sie wiedersehen sollst oder nicht, während sie ihre Kissen umfaßt und sich glücklich in deinen Armen träumt. –

Es war hoch am Tage, als er von seinem Bedienten geweckt wurde, dem die Gräfin Raldabar folgte. Sie setzte sich neben sein Bett.

»Unsere Freundschaft,« sagte sie, »so neu sie auch ist, hoffe ich, ist aufrichtig und wird die Freimütigkeit entschuldigen, mit der ich von Eurem seltenen Benehmen sprechen werde, welches, so sonderbar es auch unseren Landsleuten vorkam, vielleicht falsch dargestellt oder übertrieben wurde, oder wenigstens von zu weniger Kenntnis unserer Sitten herrührte. Ich kann unmöglich glauben,« fuhr sie fort, »daß Ihr wirklich fähig wäret, eine Dame von Stande geflissentlich oder mit Eurem Willen zu beleidigen; und doch kann die Art, mir der Ihr die Baronin von Madura behandelt habt, keinen hohen Begriff von Eurer Höflichkeit geben – Ihr habt mit ihr gewalzt, und statt sie dann in ihr Zimmer zu begleiten – habt Ihr sie verlassen; das konnte einmal als Mißverständnis hingehen; aber Ihr habt Euch das zweitemal zum Walzen mit ihr engagiert, natürlich, wie sie glaubte, um Euren Fehler gutzumachen, und Ihr habt sie wie das erstemal dem marternden Gefühl betrogener Hoffnung preisgegeben. Ich kann nicht begreifen, wie sie ihren Stand und Würde so weit vergessen konnte, mit Euch zum drittenmal zu walzen, was, wie ich höre, sie hernach alle Abende getan hat. Sie ist ein unbedachtsames, leichtsinniges Mädchen; ihre Mutter ist in Kalekut, und ihrem Mutterbruder blieb wahrscheinlich die ganze Sache unbekannt; bedenkt nur selbst die Schmach, der Ihr sie in den Augen der Hofbedienten ausgesetzt habt; und doch – behauptet sie laut: daß Ihr sie liebt. Ich habe wohl gesehen, daß Ihr gewöhnlich Euren Platz neben ihr einnahmt, daß Euch ihr Umgang zu unterhalten schien, daß Ihr ihre Hand küßtet und drücktet, indessen werdet Ihr doch die Komödie, die Ihr gestern spieltet, nicht etwa für einen Beweis Eurer Liebe halten wollen; wenn es so wäre, so hat mich die Baronin ersucht Euch zu sagen, daß entweder Ihr selbst – verzeiht mir den Ausdruck – von Sinnen sein – oder wenigstens sie für wahnsinnig halten müßt.«

De Grey: »Und doch glaube ich mit dem größten Anstand gehandelt zu haben – ich bin mir nicht der geringsten Unart oder Unhöflichkeit bewußt, ich bin der Baronin mit jener Ehrfurcht begegnet, die ein Mann von gutem Ton einer Dame von Stande schuldig ist – ich kniete –«

Gräfin: »Ja, mein Herr, Ihr knietet; das ist der zweite Punkt, worüber ich mit Euch sprechen muß. Der Oberhofmarschall war diesen Morgen schon bei mir – er war ein Zeuge der Szene von gestern abend – er sah Euch knien und behauptet, Euer Geständnis gehört zu haben, daß Ihr ein Sklave seid – er beschuldigt mich, daß ich eine unwürdige Person am Hofe des Kaisers eingeführt hätte. Alles was ich antworten konnte, war, daß Euer Paß Euch für einen Edelmann ausgab. Ich ersuche Euch also, mir Euer Betragen gegen die Gräfin zu erklären und mir einzugestehen, ob Ihr wirklich ein Sklave seid.«

De Grey: »Ich ein Sklave! Ich stamme aus einer der ältesten und berühmtesten Familien her – doch warum sollte ich mich ereifern? – Ich merke wohl das Mißverständnis, das von unseren europäischen Begriffen von Galanterie veranlaßt wurde. Eine Aufklärung über mein Betragen gegen die Gräfin wird Euch alle Zweifel über meine Geburt heben. Die Gräfin, ich gestehe es, gefällt mir, ich liebte sie, aber nicht, weil ich keine so liebenswürdig fand, sondern weil die Dame, die mich wahrhaft glücklich gemacht hätte, schon versagt war.« (De Grey begleitete die letzten Worte mit einem Blick, den die Gräfin vollkommen verstand.) »Sie nahm meine Hand an,« fuhr er nach einer kleinen Pause fort, »um mit mir zu walzen, aber ich wußte nicht, daß diese kleine Willfährigkeit mich auch berechtigte, auf der Stelle mehr zu verlangen; ich zögerte mit dem Geständnisse meiner Liebe, bis ich mir schmeicheln konnte, der ihrigen gewiß zu sein. Gestern machte ich ihr eine bei uns gewöhnliche Liebeserklärung. Eine Dame ist nicht schuldig, den Wünschen eines jeden, der sie liebt, zu willfahren, aber wenigstens sollte sie auf eine schicklichere Weise ein Anerbieten zurückweisen, das mit so vieler Ehrfurcht gemacht wird.«

Gräfin: »Aber wozu niederknien? warum Euch einen Sklaven nennen?«

De Grey: »Sklave ist in Europa der technische Ausdruck oder das Kunstwort für Liebhaber; und niederzuknien fordert die Etikette bei einem Liebesantrag; denn unsere Geliebten üben nicht allein eine Art von Despotismus über ihren Liebhaber aus, sondern sind gewohnt, während der spannelangen Zeit, in welcher ihnen ein Liebhaber aufwartet oder die Kur macht, zu Göttinnen erhoben zu werden.«

Gräfin (mit Verwunderung): »Aufwartet? Ihr Europäer behandelt Eure Weiber als Sklavinnen – und dann vertauscht Ihr plötzlich Euren Rang und wartet ihnen auf. Die Tage der Aufwartung müssen wohl eine Art Saturnalien sein, wo jedem Sklaven erlaubt war, seines Herrn zu spotten. Die Weiber in unserem Lande sind frei, und doch hat sich nie ein Naïr mit dem Ausdruck: Aufwartung erniedrigt. Mein lieber De Grey, vergeßt nie, daß ein Edelmann vor niemand in der Welt seine Knie beugen soll; den Irrtum wegen des Sklaven werde ich dem Oberhofmarschall erklären; übrigens erinnert Euch stets, daß, wenn Euch während Eures hiesigen Aufenthaltes ein Weib, von der obersten Samorina an bis zur Kuhmagd herab, gefallen sollte, Ihr Eure Wünsche ohne Scheu entdecken – und immer eine liebevolle Aufnahme oder eine höfliche, unbeleidigende Verweigerung erwarten könnt; und warum soll es nicht so leicht sein, eine Dame um ihre Liebe zu ersuchen, als sie zum Tanze zu bitten? Auch wird eine Dame von Kopf, oder die wenigstens Herzensgüte besitzt, nie mit Eurer guten Meinung beleidigt, wenn sie auch keine Neigung zu Euch fühlen sollte.«

De Grey: »Aber würde es auch schicklich sein, sich einer Dame zu erklären, ehe sie Gelegenheit hatte, uns kennen zu lernen?«

Gräfin: »Hierzulande, warum nicht? In Europa will ich zugeben, daß es sehr schicklich sein mag, die Glücksumstände und den Charakter eines Mannes ganz zu kennen, mit dem man sich auf die Zeit seines Lebens verbinden soll, aber hier – findet ein Weib sich in ihren Hoffnungen getäuscht, so verläßt sie ihren Liebhaber mit so wenig Ängstlichkeit, als sie sich weigern würde, zum zweitenmal mit einem ungeschickten Tänzer zu tanzen. Endlich vergeßt in Zukunft nie, daß ein Engagement für den letzten Walzer zugleich ein Engagement für die ganze Nacht ist.«

Bei diesen Worten meldete ein Bedienter den Phönix-Ritter. De Grey warf das Naïrenkleid über sich, welches den Vorteil hat, daß man in einem Augenblick gekleidet ist, und empfing den Grafen mit der Achtung, die dem Freund der Gräfin gebührte. »Liebe Gräfin,« sagte der Ritter, »ich habe Euch im ganzen Schlosse gesucht, ich bringe unangenehme Nachricht – ich muß Euch verlassen; der Großmeister hat unseren Orden an den Ufern des Indus zu einer Fehde wider Persien aufgefordert – ich hätte die Verordnung früher erhalten sollen und habe keinen Augenblick zu verlieren; lebt wohl! meine Pferde sind gesattelt.«

Ein Mädchen in Europa hätte ihren Liebhaber beschworen, ihr zuliebe sein kostbares Leben nicht so in Gefahr zu setzen – die Gräfin von Raldabar sagte: »Geht, kommt mit Lorbeeren gekrönt und meiner Liebe noch würdiger zurück«; und so trennten sich nach einer Umarmung die beiden Liebenden.

»Unser Hof«, sagte sie, als er fort war, »verliert einen seiner liebenswürdigsten Kavaliere, und ich meinen liebsten Freund; wir kennen uns lange und liebten uns zu verschiedenen Zeiten; nie waren wir beide zugleich frei, ohne uns auf so lange zu verbinden, als es unsere wechselseitigen Verhältnisse erlaubten. Seht eine Neigung und Liebe, die auf Achtung gegründet ist und von der Vernunft geleitet wird. Er ist einer der Ritter, die sich im Orden am meisten ausgezeichnet haben. – Manches Mädchen hat seine Tapferkeit einem Harem entrissen; wie glücklich würde ich sein, ihn einst als Großmeister des erhabenen Ordens zu begrüßen. Dieser Schal, den ich beständig trage, ist ein Geschenk von ihm – er war einst der Turban eines Emir, den er erlegte.«

De Grey: »Unglückliche Gräfin! Ich nehme wahren Anteil an Eurer traurigen Lage – eine Trauerode auf die Verdienste des Geschiedenen singen zu müssen –«

Gräfin: »Unglücklich? Das wäre in der Tat lächerlich; bei seiner Zurückkunft werde ich ihn mit offenen Armen empfangen, aber während seiner Abwesenheit werde ich mich so gut als möglich unterhalten.« –

Als De Grey die Gräfin den nächsten Abend in den Tanzsaal führte, sagte er: »Liebe Gräfin, diesen Morgen rietet Ihr mir, nie zu vergessen, daß ein Engagement für den letzten Walzer auch ein Engagement für den Rest der Nacht sei; wollt Ihr so gütig sein, die Worte zu wiederholen?«

Gräfin: »Ohne Anstand.«

De Grey (einfallend): »Meine Gnädige, kann ich die Ehre haben, den letzten Walzer mit Euch zu tanzen?«

Gräfin: »Ihr sollt das Vergnügen haben; – kann denn ein Europäer die Dinge nie bei ihrem rechten Namen nennen? Entheiliget das Wort Ehre nicht zu einer unbedeutenden Sache.«


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