Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zweites Buch

Die Liebe der Gräfin gab De Grey wenigstens zum Teil seine vorige Ruhe und Zufriedenheit wieder, die er schon auf immer verloren glaubte. Zwar verbitterte ihm oft der Gedanke an seiner Schwester trauriges Schicksal manche Freude, manchen Genuß; aber ein Lächeln, ein Blick seiner Geliebten war hinreichend, die schwarzen Wolken zu zerstreuen; Wochen, die er mit ihr verlebte, schienen ihm nur so viele Tage – die Stunden wurden ihm zu Minuten. Er ritt und ging mit ihr spazieren, er badete mit ihr. Sie lasen zusammen dieselben Bücher, widmeten sich denselben Wissenschaften, die Meinung des einen war der Gedanke des andern, oder, wenn sie ja über etwas verschieden dachten, so geschah es bloß, um ihre Sophismen mit ihren eigenen Empfindungen vom geliebten Munde widerlegen zu hören und die Rute zu küssen, die sie zurechtwies.

Endlich erhielt die Gräfin folgenden Brief:

»Pittana Medusina Gräfin von Arcot an Zulma Mirina Gräfin von Raldabar.

»Heil, Glück und eine zahlreiche Nachkommenschaft zuvor.

»Die Tochter Miras wird hoffentlich an der Freude ihrer Freundin teilnehmen und die kleine Unbequemlichkeit nicht achten, die ihr vielleicht die Beschleunigung ihrer Rückreise verursachen könnte. Der Fluch der Unfruchtbarkeit liegt nicht mehr auf mir; ich hoffe künftige Wochen Mutter zu werden und ersuche Euch daher, während meiner Wochen die Stelle der Hofdame bei der Samorina für mich zu übernehmen. Welch frohe Botschaft für meinen Bruder, der so ungeduldig nach einem Erben seufzte, und der deshalb immer etwas an mir auszusetzen hatte. Aber jetzt soll er nichts erfahren, ich will ihn bei seiner Zurückkunft von der Fehde gegen die Perser mit einem Kandidaten zum Orden überraschen. Meine gute Mutter, die jetzt mit dem Kinderzeug beschäftigt ist, grüßt die Tochter Miras. – Mögen Eure Söhne tapfer und Eure Töchter fruchtbar sein.«

Die Abreise der Gräfin wurde auf den folgenden Tag festgesetzt. De Grey sollte seine Geliebte nach Kalekut begleiten.

Vor seiner Abreise versprach er dem Kaiser neuerdings seine tätige Mitwirkung, die Prinzessin Agalva wiederzufinden. Der Monarch gab ihm ein Empfehlungsschreiben an die Samorina, seine Mutter, und nachdem sie von ihrem gastfreundlichen Wirte und Freunden in Virnapor Abschied genommen hatten, eilten sie in einer Chaise mit Sechsen der Hauptstadt zu.

Bald rasselte das Pflaster dieser ungeheuren Stadt unter ihrer Kutsche. Der Engländer hatte zu viel gereist, um von dem prächtigen Kalekut in besonderes Erstaunen gesetzt zu werden. Er hatte Europas und Asiens Hauptstädte besucht. Zwar war der Große Platz Ludwigs des Fünfzehnten in Paris weniger ansehnlich, als der Große Platz in Kalekut, auf dessen Mitte eine goldene Statue der Semiramis glänzte; und das berühmte Brandenburger Tor in Berlin konnte keineswegs mit dem Triumphbogen des Phönix verglichen werden; indessen war De Greys Erwartung so groß, seine Ideen von der Nationalgröße der Naïren so hoch gespannt, daß nichts die Herrlichkeit und Pracht dieser Hauptstadt mehr und gründlicher beweisen kann als: daß De Grey in seinen Erwartungen nicht getäuscht war. Was ihm am meisten auffiel, war die Zufriedenheit, die er auf jedem Gesichte bemerkte, – die allgemeine Fröhlichkeit – das reinliche, nette und geschäftige Treiben in den Kaufmannsgewölben – die Eleganz der Equipagen, und die vielen Jünglinge, die ihre Damen zu Pferde begleiteten. Er bewunderte diese Amazonen, die die stolzesten und wildesten Zelter mit einer nie gesehenen Leichtigkeit ritten, und sich vor der Gräfin im Vorbeifahren verbeugten.

Sie stiegen in der Gräfin Hotel auf dem Samora-Platz ab.

»Liebe Ona,« sagte die Gräfin zu ihrer Tochter, »gehe zur Gräfin von Arcot; empfiehl mich Mutter und Tochter und frage, ob Pittana schon entbunden sei; es ist doch freundschaftlicher, wenn ich meine Tochter, als wenn ich einen Bedienten schicke.«

De Grey: »Warum aber nicht lieber den jungen Grafen?«

Gräfin: »Sollte meine Tochter den Auftrag nicht ebenso gut besorgen können?«

De Grey: »Des bin ich gewiß; ist es aber auch schicklich für ein Fräulein, allein durch die Straßen zu gehen?«

Gräfin: »Saget Eure Einwendung. Zehn gegen eins: es ist wieder eine neue europäische Abgeschmacktheit.«

De Grey: »Ihr habt ganz recht, Gräfin – ich habe wieder zu voreilig und unüberlegt gesprochen. In Europa ist jedes Mädchen die Sklavin ihres sogenannten guten Rufes; deshalb wagt auch keine Mutter, ihre Tochter aus dem Gesichte zu lassen; sie bewacht sie wie eine Sultanin im Harem; selbst wenn sie schon, nach unserer Redensart, in die Welt eingeführt ist, so flieht die Freiheit vor ihr wie ein Schatten. In ihrem dreißigsten Jahre ist sie nicht so frei, als ihr Bruder in seinem zehnten; will sie ihre Freundin besuchen oder etwas einkaufen, so darf sie ohne einen Bedienten keinen Fuß auf die Straße setzen, und wie oft muß sie sich nicht aus Mangel an einer Begleiterin einen Ball oder anderes Vergnügen versagen.«

Gräfin: »Es scheint, daß Ihr Europäer Euch alle erdenkliche Mühe gebt, Eure Weiber zu Närrinnen zu machen.«

De Grey: »Es ist wahr, und wir sind hierin auch meistens glücklich. Man sagt, daß die Amazonen die Arme und Beine ihrer männlichen Kinder verstümmelten, um sie zu den kriegerischen Übungen untauglich zu machen. Unsere Politik ist in Rücksicht der Weiber nicht viel weniger barbarisch: auf ihre Schwachheit und Unwissenheit bauen wir unsere Herrschaft.«

Gräfin: »Dem Himmel sei gedankt, daß hier kein Geschlecht des anderen Vollkommenheiten beneidet. Die guten Eigenschaften des einen sind zugleich für beide vorteilhaft. Eine weise Regierung, weit entfernt den Fleiß eines benachbarten Staates zu hemmen, wird jedoch jeden möglichen Nutzen daraus zu ziehen suchen.«

Den nächsten Morgen, während die Gräfin der Samorina aufwartete, ging De Grey mit ihren Kindern in der Stadt herum. Zu Mittag erzählte sie ihm, mit welcher Ungeduld die Fürstin ihn zu sprechen wünschte – wie das Auge der guten alten Mutter vor Freude glänzte bei dem Gedanken, einen Engländer zu sehen – wie sie sich schmeichelte, einige Nachrichten von ihrer unglücklichen Tochter zu hören. Ach! wie ungegründet waren ihre Hoffnungen, ihr verlorenes Kind wiederzufinden.

Es wurde festgesetzt, daß De Grey den nächsten Morgen Ihrer Kaiserlichen Hoheit vorgestellt werden sollte; das Gespräch fiel auf den Spaziergang, den er in der Stadt gemacht hatte.

De Grey: »Habt die Güte, teure Gräfin, meine Neugierde nur über einen Punkt zu befriedigen; so oft wir vor einem prächtigen Hotel oder anderen schönen Hause vorbeigingen und ich Ona oder ihren Bruder um den Namen des Besitzers fragte, so gehörte immer dieses Haus einer Baronin, jenes Hotel einer Gräfin, ein anderes wieder irgendeiner anderen Dame, und so weiter; ich besinne mich nicht, daß wir nur eins gesehen hätten, das das Eigentum eines Mannes gewesen wäre; wie kommt es, daß alle Eure Häuser Weibern zugehören? Wohnen die Männer etwa in einem ganz anderen Bezirk der Stadt?«

Gräfin: »Keineswegs; aber weder in Kalekut noch in einem anderen Teil des Reiches ist es Sitte, daß die Männer Häuser besitzen; gesetzt, es gäbe Krieg, könnten unsere Krieger wie die Schnecken, mit ihren Häusern auf den Rücken, zu Felde ziehen?«

De Grey: »Aber wo wohnen sie denn?«

Gräfin: »Entweder bei ihren Müttern – Schwestern – Mutterschwestern, oder bei irgendeiner anderen Verwandten; einige wohnen bei irgendeinem anderen Weibe ein. Jedes Haus in unserem Reiche gehört einem Weibe: Der Kaiser, die Fürsten des Reiches, die Befehlshaber der Städte und Provinzen haben zwar ihre Häuser; diese sind aber öffentliche Staats- und keine Familiengebäude und werden nur so lange von ihnen bewohnt, als sie das Amt bekleiden. Ich erbte dieses Haus von meiner Mutter; diese erbte es von meiner Großmutter ältesten Schwester, die es erbaute und ohne Kinder starb. So blieb unser Landhaus seit Jahrhunderten in der Familie, wo es immer von Mutter auf Tochter überging; bei meinem Tode fällt es meiner Tochter Ona anheim.«

De Grey: »Aber der junge Graf und seine Brüder?«

Gräfin: »Bekommen von den Gütern einen Jahrgehalt und wohnen mit ihrer Schwester; so wie meine Brüder bei mir leben, wenn sie in der Stadt sind und nicht bei einer Geliebten wohnen; jetzt ist mein älterer Bruder wider die Perser zu Felde gezogen, und mein jüngerer lebt seit vielen Jahren mit seiner Freundin.«

De Grey: »Wenn aber Bruder und Schwester uneinig werden, kann sie ihn nicht aus dem Hause verstoßen?«

Gräfin: »Sie könnte ihn ersuchen, ihr Haus zu verlassen; aber sagt: in Europa, wo der Bruder Erbe des Hauses ist, kann er nicht ebensogut seine Schwester verstoßen, und kann ein Mann mit seinem anständigen Einkommen nicht leichter eine Wohnung finden, als Eure hilflosen Weiber, die mit allen ihren Schwachheiten an Leib und Seele, mit ihrem so leicht zu verletzenden Ruf, in die weite Welt gestoßen werden können?«

Zum Glück merkte die Gräfin die Tränen nicht, die De Grey, den sein Gewissen an seine Schwester erinnerte, bei diesen Worten in die Augen traten; nach einer kleinen Pause fuhr sie fort:

»Ich glaube gegen mein Mutterland nur gerecht zu sein, wenn ich vermute, daß Familieneintracht nirgends so allgemein sein könnte, als bei uns; denn, nach Eurer Beschreibung von Europa zu urteilen: wenn ein Zwist in einer Eurer Familien entsteht, so ist neun Mal unter zehn Liebe oder Heirat die Ursache ihrer Uneinigkeit. Ein Kind heiratet wider den Willen seiner Eltern – ein anderes weigert sich, bloß aus Gefälligkeit gegen sie zu heiraten. – Bald wird der Glanz einer vornehmen Familie durch eine Mißheirat verdunkelt, bald entsagt und enterbt ein geiziger Vater seine einzige Tochter, weil sie ein Abenteurer oder anderer Glücksritter verführt hat. Solche Zufälle scheinen bei Euch alltäglich zu sein, bei uns sind sie ganz unbekannt. Die Heirat interessiert bei Euch die ganze Familie, die folglich auch das Recht hat, sie zu wünschen und sie zu befördern, oder dawider zu protestieren. Die Liebe hingegen ist bloß persönlich; es ist und kann einer Mutter sehr gleichgültig sein, welchen niedrigen Liebhaber ihre Tochter dem adeligen Phönixritter vorzieht. Noch eine Ursache, warum in unseren Familien mehr Eintracht herrschen muß: hier kann keine mit einer anderen verwandt werden; in Europa kann eine Familie durch eine einzige Heirat mit zehn anderen alliiert werden; die Verwandtschaften werden so ausgedehnt und die Bande der Blutsfreundschaften so verschieden, daß sie notwendig ihre Kraft verlieren. Bei uns ist zum Beispiel der Kaiser einzig und allein mit der kaiserlichen Familie und mit keiner anderen verwandt, und so ist es mit den anderen regierenden Familien in ihren Fürstentümern; ich habe keinen Verwandten in der Welt, der nicht den Namen von unserer gemeinschaftlichen Herrschaft Raldabar führt. Dadurch, daß die Mitglieder einer Familie, sie möge vornehm oder niedrig sein, nur einen und denselben Namen führen, sind sie auch desto enger mit wahrer Liebe und Achtung verbunden; – die zwar weniger liebenswürdigen Eigenschaften, Stolz und Eitelkeit, verketten sie gleichsam miteinander – weniger sind die Gelegenheiten zu Zwist, wie die Veranlassung zur Einigkeit größer ist. Ihr werdet Euch also nicht mehr über die Menge meiner Landsleute wundern, die mit ihren weiblichen Verwandten zusammenwohnen.

»Ich habe bisher nur der Privatvorteile unseres Erbfolgesystems erwähnt; laßt uns nun auch seinen politischen Nutzen betrachten. Es ist die Hauptquelle unserer Nationalmacht, unsere Heere sind unüberwindlich, und seit der Zeit, als Samora das Reich stiftete, hat jeder Krieg seine Grenzen erweitert. Die Trompete ertönt, und jeder Krieger, oder, wenn das Mutterland in Gefahr ist, jeder, der Waffen tragen kann, eilt zu den Panieren des Phönix. Dieser Vogel, dessen Nachfolger erst nach seinem Tode aus seiner Asche aufsteigt, ist nur aus dem Gebiete der Fabeln, aber sehr schicklich gewählt, den Schild unseres Monarchen und das Nationalwappen des Reiches zu zieren. Solange der Mann lebt, wird er von keinen Kindern auf der Bahn der Ehre aufgehalten; erst nach seinem Tode stehen seine Schwestersöhne, wie aus der Asche ihres Mutterbruders, auf, um seinen Namen zu führen und die Ehre der Familie zu behaupten. Das Reich ist gewöhnlich in Frieden mit den Mohammedanern, aber der Ritterorden hat geschworen, wider die Polygamisten zu kriegen, solange noch ein Weib in irgendeinem Harem verschlossen ist. Sie werden Phönixritter genannt, weil ihnen der Kaiser das Nationalwappen verliehen hat.

»Der Zölibat unserer Landsleute«, fuhr die Gräfin fort, »ist eine Hauptquelle unserer Nationalgröße. Sollte ein Krieg ausbrechen, so haben wir ganze Regimenter unter den Waffen, ehe unsere Feinde so viele Kompagnien eingerichtet haben. Unsere Krieger haben sich um das Schicksal keiner Familie zu kümmern, um das Wohl keiner Waise zu ängstigen, nichts in Ordnung zu bringen, kein Testament zu machen; sie sind heute in Kalekut und morgen an dem Gestade des Indus oder den Grenzen von China; sie eilen dahin, wo sie ihre Pflicht hinruft. Wie leicht ist ihre Reiseequipage! Ein Mantelsack enthält ihre Garderobe; ihrer Kleider sind wenig, denn jede Provinz hat ihre eigene Uniform; selbst wenn sie sich den Wissenschaften widmen, so brauchen sie sich nicht mit Büchern zu beschweren: jede Stadt hat eine Bibliothek. Zwei Pferde und ein Reitknecht ist die ganze Ausstattung, deren ein Mann von Stande bedarf; er lebt von einem jährlichen bestimmten Einkommen; er hat keine häuslichen Angelegenheiten – er gehört einzig und allein dem Staate an.«

De Grey: »Diesen jährlichen Gehalt erhält er von dem mütterlichen Vermögen – Gut! – Reiche Damen können wohl ihre Kinder reichlich versorgen, aber eine arme Mutter, oder eine, die so nicht in den besten Umständen ist, muß die nicht von vielen Kindern gänzlich zugrunde gerichtet werden?«

Gräfin: »Nichts weniger; eine Mutter, die an Kindern reich ist, kann nie arm sein. In Europa vielleicht kann eine arme Mutter ihrer Kinder wegen verhungern, aber hier bekommt jede Mutter, die kein eigenes Vermögen hat, aus der öffentlichen Schatzkammer eine Summe, die der Zahl ihrer Kinder angemessen ist. Die Pflichten der Mutter halten wir hier für die heiligsten Pflichten des Weibes. – Ein Weib, das zur Bevölkerung des Mutterlandes beiträgt, hat mit dem Manne, der für dasselbe streitet, einerlei Recht auf die Dankbarkeit des Staates.«

Denselben Abend noch war De Grey Augenzeuge, wie sehr in diesem glücklichen Reiche die Bevölkerung aufgemuntert wird, und welche Achtung man dem Stande der Schwangerschaft erweist. Pittana ersuchte die Gräfin, mit ihr in den Park zu fahren; De Grey begleitete die Damen in einer offenen Chaise; am Tore trat die Wache vor ihnen ins Gewehr. »Habe ich ein so martialisches Aussehen,« sagte De Grey, »daß mich die Wache für einen Offizier hält? Ich war zwar einst«, setzte er lächelnd hinzu, »ein Held unter der Landmiliz.« –

»Verzeiht,« fiel ihm die Gräfin ein, »diese militärische Ehrenbezeugung galt lediglich der hoffnungsvollen Gestalt meiner Freundin. Ein Weib in guter Hoffnung ist im Dienste des Staates, deshalb muß die Wache vor ihr so gut wie vor einem vorübergehenden Offizier ins Gewehr treten.«

De Grey: »Nun kann ich mir auch die unglaubliche Bevölkerung Eures Reichs enträtseln, warum keine Handbreit Land unbearbeitet liegt und jeder Berg bis auf den Gipfel bebaut und benutzt ist. Kein Wunder, daß Eure Weiber Kinder gebären.«

Gräfin: »Morgen wird Euch die trostlose Samora ein Beweis sein, daß sie solche nicht nur gebären, sondern auch lieben können.«

Als De Grey am anderen Morgen erwachte, lockte ihn ein Lärm auf der Straße an sein Fenster. Eine Menge Menschen strömten in ihren besten Kleidern nach der kaiserlichen Burg; es war der Tag, an dem das Fest des Bades gefeiert wurde.

Bald darauf trat die Gräfin in sein Zimmer; so prächtig und geschmackvoll gekleidet sah er sie noch nie, ob sie gleich im Hofkleide war. Statt eines unbehilflichen Reifrocks, in dem die Damen mit Mühe durch eine mittelmäßige Tür durchsteuern müssen, statt einer Schleppe, mit der sie die Zimmer auskehren, war die Gräfin bequem aber prächtig gekleidet – ein Diadem von kostbaren Steinen war ihr Kopfputz; die Locken ihrer Haare fielen ohne Kunst auf ihren Nacken und erhöhten den Glanz ihres Busens; ihr Purpurkleid, mit einem Diamantgürtel unter der Brust zusammengezogen, wallte in anmutigen Falten, als sie sich De Grey näherte. Die erste Mutter in ihrer vollen Schönheit konnte dem Adam nicht reizender scheinen – Jupiter seine Schwester nicht liebenswürdiger finden.

Die Gräfin beschrieb die Zeremonie des Festes und erzählte das seltsame Ereignis, das es veranlaßte. »Das Ansehen«, sagte sie, »und die Macht der erhabenen Stifterin unseres Reiches war so groß, daß ihr Anblick allein hinreichend war, einen Aufruhr zu dämpfen. Eines Tages war sie eben im Bade, als ihr der Oberste der Leibwache eine Meuterei unter ihren persischen Gefangenen meldete. Die Fürstin stieg aus dem Bade, ging nackend, wie sie war, den Aufrührern entgegen, und weg war ihr Mut, ihre Entschlossenheit; sie warfen sich zu den Füßen ihrer Fürstin und flehten um Gnade. Samora befahl, daß zur jährlichen Feier dieses Ereignisses die erste ihrer Töchter jedesmal öffentlich baden sollte. Nach Euren europäischen Grundsätzen«, fuhr die Gräfin fort, »muß Euch die Seltsamkeit dieser Einrichtung befremden, aber beschuldigt ja dieses erhabene Weib nicht etwa einer eitlen Eigenliebe, um das Andenken ihrer Unerschrockenheit zu verewigen – nein; andere Beweggründe verleiteten sie zu diesem Befehl. Sie sah die Sklaverei, worin unsere Nachbarn ihre vom Kopf bis zum Fuße verschleierten Weiber hielten; sie sah, daß eine falsche oder erzwungene Sittsamkeit der erste Schritt zu ihrer Erniedrigung war; sie bestätigte also, als öffentlich verehrte Prophetin, die Freiheit des Weibes durch einen Religionsartikel; durch den Befehl, daß das erste Weib des Reiches an diesem Tage öffentlich vor der ganzen Nation nackend erscheinen sollte, riß sie das Übel mit den Wurzeln aus.«

Die Menge häufte sich so sehr in den Straßen, daß ihre Kutsche nur Schritt für Schritt fahren konnte. Der Palast, vor dem sie vorfuhren, wich dem königlichen Schloß in Versailles weder an Pracht noch an Größe, und der Tempel der Samora übertraf die St. Peterskirche in Rom. Die Gräfin führte De Grey auf eine Galerie, die für die Fremden bestimmt war; sie verließ ihn aber bald, um dem Einzug ihrer Gebieterin beizuwohnen. Seine Augen flogen von einem Gegenstand zum anderen, er konnte die Pracht dieses ewigen Denkmals syrischer Baukunst nicht genug bewundern.

Hundert Instrumente und tausend Stimmen verkündigten bald die Ankunft der Samorina. Die ersten Fürsten des Reiches mit den sämtlichen Staatsministern waren in ihrem Zuge, die Hofchargen, Hofdamen und Kavaliere folgten – die Gräfin von Raldabar übertraf alle übrigen an Geschmack und Schönheit.

Der Hohepriester schwingt jetzt das Rauchfaß empor – die Luft duftet von Wohlgeruch. Es herrscht eine Stille in dem vollen Tempel, als ob nicht eine menschliche Seele atmete. Die Samorina nähert sich dem Bade am Fuße des Altars – ihre Kammerherren helfen ihr das Purpurkleid ablegen – das Musselinhemd fällt zu Boden, nackend steht sie mit majestätischer Würde unter dem goldenen Bilde der göttlichen Stifterin. Mit Zuversicht und ohne das goldene Geländer zu berühren, geht sie die Marmorstufen hinab; eine Flöte akkompagniert im lydischen Takte die sanfteste Stimme, die je das Lob der Liebe sang. – Die Fürstin gelangt in die Mitte des Bades – die Stimme schweigt – der sanfte Ton der Flöte verliert sich in dem rauschenden kriegerischen Schall der Trompete – die Tuba bläst zum Angriff, die Trommel verkündigt den Anmarsch – das ganze Konzert versinnbildlicht den Aufruhr, der dem Throne der Samora drohte. Die Fürstin geht mit edler Ruhe durch das Bad und steigt majestätisch die entgegengesetzten Stufen hinauf – die Musik schweigt, wie vor ihrer Gegenwart verstummend, sobald sie die oberste Stufe erreicht.

Unter einem allgemeinen Stillschweigen werfen sich nach hergebrachtem Gebrauche die Gesandten von Persien und China zu den Füßen der Samorina; endlich winkt sie ihnen aufzustehen und jeder von ihnen muß sie, soviel es ihm auch Zwang kosten mag, mit einem seidenen Tuche trocknen (das der Perser muß grün, die Leibfarbe Mohammeds sein), diese Tücher werden dann einem, von dem Großmeister dazu bestimmten Phönixritter eingehändigt, und in der Folge zu den Fahnen des Ordens verwendet, wo sie in den Ausfällen gegen die Polygamisten den Enthusiasmus für den Ruhm der Naïren erhöhen und ihre angeborene Verachtung ihrer Feinde vermehren.

Während die Orgel einen Dankgesang für die hergestellte Ruhe des Reiches anstimmt, kleidet sich die Samorina in ihren Fürstenmantel.

Ein Wollüstling, der eine Venus baden zu sehen erwartet hätte, würde sich sehr getäuscht haben; denn die ehrwürdige Samorina, so majestätisch sie auch war, war doch alt genug, um Urgroßmutter zu sein, sie war kein Gegenstand der Sinnlichkeit. De Grey aber als Menschenbeobachter freute sich, ein Fest gesehen zu haben, das so selten in seiner Art war, und zu dem die Kalekuter nicht aus Neugierde, sondern aus Andacht herbeiströmten. Er wußte, daß Aberglaube die Menschen von jeher zu den albernsten Gebräuchen verleitete; er hatte in Rom Fürstinnen gesehen, die im Vatikan der faulen Pilger Füße mit Andacht wuschen, und während seines Aufenthaltes in Ägypten – wo sonst die Frauen im Tempel zu Memphis, um dem Stier Apis ihre Reize zu zeigen, ihre Kleider aufhoben – war er in Kairo Augenzeuge, wie die Kopten in einem großen Behälter voll Weihwasser ganz nackend herumsprangen und tanzten, um das Gedächtnis der Taufe Christi zu feiern. Er wunderte sich also um so weniger über die Einfalt der Weiber in Kalekut, die in das Wasser, das ihre geheiligte Fürstin geweiht hatte, ihre Finger andächtig tauchten und verschiedene mystische Figuren auf ihre Stirne zeichneten.

Vorzüglich wurde das Wasser dieses Bades für ein bewährtes Mittel wider die Unfruchtbarkeit gehalten.

Jetzt erschienen zwei Reihen von Jünglingen und Jungfrauen: die Hoffnung des Mutterlandes. Gesundheit glühte auf ihren Wangen, Vergnügen in ihren Augen. Es war ihnen ein Tag, der eine neue Laufbahn für sie öffnete; der Tag, den ihnen ihre nächtlichen Träume seit Monaten vorgespiegelt, den sie so lange mit banger Sehnsucht erwartet hatten. Das Herz pochte der guten Mutter, als ihre Tochter vorbeizog und sie als ihr Ebenbild, als ihr zweites Selbst, an ihren Lebensfrühling erinnerte; froh lächelte der Mutterbruder, als er in den Händen seines Schwestersohnes das Schwert erblickte, mit dem er selbst vor Jahren umgürtet war. Der Neffe soll es jetzt zum Nutzen des Reiches, zur Ehre seiner Familie und zu seinem eigenen Ruhm führen.

Die Samorina und ihr Sohn stehen in ihrem Kaiserornat auf den Stufen des Altars unter Samoras Bilde. – Die Herolde des Reiches umringen sie in ihren prächtigen Amtskleidern. Der Wappenkönig des Ordens ruft laut den Namen eines jeden Junkers und Fräuleins aus, wenn sie sich dem Altare nähern, um in den Stand der Herren und Frauen aufgenommen zu werden.

Die Samorina umgürtete jeden Jüngling mit dem Schwerte, das er in seiner Hand trug. »Schwestersohn der Helden,« sagte sie, »verteidige die Rechte und die Freiheit des Weibes.« Jedes Mädchen trug einen weißen Gürtel, die Farbe der Unschuld, um ihren Leib; in der Hand hatte sie einen grünen, die Farbe der Hoffnung.

– Der Samorin löste die weiße Binde und umgürtete sie mit der grünen. »Tochter eines freien Weibes,« sagte er, »sei eine Mutter von Helden.«

Der Schall der Trompete verkündigte jedesmal die Mündigkeit der Neuumgürteten. Ihre persönliche Freiheit ist nun öffentlich anerkannt; ein billiges Recht, das leider in den meisten Ländern dieser Erde entheiligt und mit Füßen getreten wird.

Das Fest der Mündigkeit wurde in Kalekut von Semiramis selbst gestiftet; damit nicht zu frühe Liebe der Gesundheit und den Kräften ihrer Untertanen nachteilig sein möge, befahl diese heilige Prophetin, daß jeder liebefähige Jüngling bei einem öffentlichen Feste mit einem Schwerte, und jedes mannbare Mädchen mit einem grünen Gürtel umgeben werde – daß vor dieser feierlichen Einweihung Liebe durchaus verboten sei – daß, wenn zwei Unmündige sich wider dieses Gesetz vergehen, sie als Kinder zu bestrafen seien – daß aber ein Mann oder ein Weib, die ein unmündiges Mitglied des Staates verführten, auf ewig für ehrlos erklärt werden sollen. Das ist das Gesetz der Natur und der Samora.

Nach geendigter Zeremonie kehrt der Zug langsam zurück – Glückwünsche fliegen von allen Seiten den Mündigen zu – die Samorina geht am Arme ihres Sohnes unter einem Staatshimmel bis an ihren Wagen; acht milchweiße Pferde führen sie stolz durch die jubelnde Menge; alle Glocken werden geläutet, die Kanonen donnern von den Bastionen, bis der ganze Zug den kaiserlichen Palast erreicht.

Bald darauf führte die Gräfin De Grey zur Samorina, die ihn in ihrem Kabinette empfing. – Sie verbat sich, oder vielmehr vergaß alle Regeln der Etikette – der Anblick eines Engländers wirkte zu sehr auf sie; Tränen traten ihr in die Augen, als sie ihn sitzen hieß. De Grey hatte noch nie Güte und Würde in einem solchen Grade vereinigt gesehen – noch nie hatte er Gesichtszüge gefunden, die im Alter noch so einnehmend gewesen wären. Ihre Erziehung hatte ihr die höchsten Begriffe von ihrem Range eingeprägt – ihr gutes Herz kam allen Menschen entgegen.

Samorina: »Ich hoffe, die Gräfin hat Euch einen bequemen Platz verschafft, das Bad zu sehen. Als Reisender wäret Ihr vielleicht noch Augenzeuge eines merkwürdigen Festes, das, ach nur zu wahrscheinlich, nach viertausend Jahren zum letztenmal gefeiert wurde. Eine Prinzessin aus unserer Familie hat jährlich öffentlich gebadet, aber leider bin ich der letzte weibliche Abkömmling von Samora. Ich fühle die Abnahme meiner Kräfte, meine letzte Stunde rückt heran, und ehe ein Jahr vergeht, kann ich bei meinen Müttern aufgenommen sein; der Himmel weiß, welches Unglück unserem Reiche droht; alle Prophezeiungen kommen darin überein, daß die Unterlassung dieses Festes großes Übel nach sich ziehen wird. Ach! und ich war einst so glücklich, ach so glücklich, war Mutter, zwar nur von vier – aber von vier hoffnungsvollen, alles versprechenden Kindern; und ach! drei habe ich davon verloren. Waret Ihr lange genug in Malabar, um die Größe meines Verlustes ganz zu fühlen? Ihr wißt, wie teuer, wie ehrwürdig der Name Mutter in jeder Naïrin Ohr klingt. Ein Sohn und ein Enkel sind die einzigen lebenden Nachkommen der Samora; sie allein werden meine Bahre zum Grabe geleiten; mit ihnen stirbt mein Stamm aus; keine Nachkommenschaft wird unsere Asche verehren.

»Ach! ich war einst so glücklich, eine Tochter zu haben. – Ich will ihrer Schönheit nicht erwähnen; sehet hier die Gemälde meiner Kinder – das ist Agalva – das war ihr blaues Auge – so die Locken ihrer Haare – diese Anmut herrschte in ihrem Lächeln – aber die Grazie, die ihre Bewegungen, ihr ganzes Wesen beseelte, vermochte kein Maler auszudrücken; sie ist in das Gedächtnis der Mutter eingeprägt, aber nicht auf der Leinwand zu schildern. Kein Pferd erscheint unter meinem Fenster, daß ich mich nicht der Schicklichkeit erinnerte, mit der sie ihren Zelter bestieg und regierte. Auf jedem Hofballe sehe ich sie vor meinen Augen, wie sie alle übrigen Tänzerinnen weit hinter sich ließ. So jung sie war, so besaß sie schon eine angeborene Würde, die man für Stolz gehalten haben würde, wenn nicht ihre Anmut alle Herzen an sich gezogen hätte.

»So viel von ihrer Gestalt und körperlichen Eigenschaften. Sie wurde in einer der ersten öffentlichen Schulen erzogen und war immer die Erste unter ihren Mitschülern; wie oft hatte ich das Vergnügen, ein Gedicht oder andere Abhandlungen von ihr dem Hofe vorzulesen, die den Preis erhalten hatten. Sie war achtzehn Jahr alt, als sie sich zum erstenmal Mutter fühlte. – Noch habe ich den Brief, worin sie mir Nachricht davon gab – noch oft benetze ich ihn mit meinen Tränen. Sie kam zurück und brachte Firnos, den Erbprinzen, zur Welt.

»Nachdem sie ihr Kind entwöhnt hatte, bereiste sie unser Reich. Daß die Höflinge in Kalekut und die Untertanen ihrer mütterlichen Staaten sie für ein Wunder hielten, war natürlich; aber wie mußte die Mutter entzückt sein, als ihr Lob auch von den entfernten Provinzen zurücktönte; sie war der Gegenstand der Bewunderung auch an den Höfen der unabhängigen Fürsten; jede Mutter beneidete Agalvas Mutter. Ach! wer beneidet mich jetzt? was bin ich nun? Ein verlassenes Weib, ein Baum, der seine Zweige verloren hat, ein verdorrter Stamm, dessen Wurzeln zwar vier Jahrtausende alt sind, aber der jetzt von jedem Windstoß mit Umsturz bedroht wird.

»Agalva kam von ihren Reisen zurück. Bei dem Feste, das ich deshalb bei Hofe gab, wurde dem Samorin einer Eurer Landsleute, der Kapitän eines Kriegsschiffes, vorgestellt und zum Balle geladen. Agalva, glücklich ihre Kenntnisse zu erweitern, erkundigte sich bald nach den Sitten und Gebräuchen von England. Er beschrieb ihr die Eigenheiten und – verzeiht mir den Ausdruck – die Albernheiten Eures Vaterlandes; seine Beschreibung erregte in ihr wider alle Erwartung den Wunsch, diese seltsame Nation näher kennen zu lernen. Sie entschloß sich bald, mit ihm nach England zu reisen. Der Kapitän versicherte mir, daß, obgleich die Weiber in seinem Lande nichts weniger als ihren freien Willen hätten, so würde doch ihre persönliche Freiheit nicht wie in Persien oder China Gefahr laufen, in einem Harem verletzt zu werden, und niemand würde sie zwingen, sich wider ihren Willen zu verheiraten. Indes das beruhigte mich nicht – ich wandte alles an, um ihr abzuraten, aber ihr Entschluß blieb fest; nur so viel vermochte ich über sie, ihren Sohn meiner Fürsorge zu überlassen. Sie verließ uns mit dem Versprechen, nach einem Jahr zurückzukehren, aber ach! es sind nun achtzehn Jahre verstrichen, ohne daß wir von ihr gehört haben. Könnt Ihr Euch einen Begriff von den Gefühlen machen, die das Mutterherz in dieser schrecklichen Ungewißheit martern? Bald schwebt sie mir vor den Augen, wie sie mit den Wellen kämpft, – oft zerreißt mir der Gedanke das Herz, daß sie ermordet ist – in einem Gefängnisse, oder wohl gar – in den Banden der Ehe schmachtet.

»Das waren seit so vielen Jahren meine Leiden; die politischen Folgen ihres Verlustes waren nicht immer so unglücklich, als sie seit einigen Jahren sind. Ich hatte eine zweite Tochter, den Kaiserstamm fortzupflanzen, aber dieser einzige Überrest der mütterlichen Hoffnung, dieses Idol von Kalekut, diese letzte Stütze des Reiches, wurde uns in der Blüte der Jugend entrissen. Ihr Tod war schrecklich. Dies Gemälde neben ihrem geliebten Bruder Aigrof ist ihr Bild. Sie war auch schön, und beinahe so schön als ihre Schwester Agalva, aber ihr Charakter war verschieden; sie war sanft und mild, ihre Tränen waren nicht zu stillen, als Aigrof Kalekut verließ, um sich an der Grenze mit den Phönixrittern zu vereinigen.

»Aigrofs Charakter war nicht für unsere Zeiten, es schien, als wäre er einige Jahrhunderte zu spät geboren. In den Ritterzeiten wäre er ein Held gewesen, er achtete das Leben nicht, er hielt es bloß für ein Mittel, sich die Unsterblichkeit zu erkaufen; schon als Kind, wenn er die Gemälde seiner Voroheime betrachtete, weinte er oft bitterlich und ballte grimmig die kleine Faust vor Ärger, daß er an ihrem Ruhm keinen Teil hatte. Ich beobachtete ihn mit der Angst einer Mutter; seine Rastlosigkeit, seine Tränen waren mir heilig; mit solchen weiht die Natur ihre Günstlinge ein. Ach! wer hätte voraussehen können, daß diese Ruhmbegierde den Stamm der göttlichen Samora einst vertilgen würde. Als sein Kinn noch glatt war, schwang er sich schon zu den ersten Stufen des Ordens; er wurde ernannt, die Ufer des Indus vor den Einfällen der Perser zu schützen. Eine Nacht fanden diese Barbaren Gelegenheit, unbemerkt über den Fluß zu gelangen; sie wichen den Festungen und Städten aus, stürzten sich in die wehrlosen Dörfer und verheerten die friedlichen Hütten der Landleute; sie mordeten die Säuglinge an der Brust der Mütter und trieben Weiber und Mädchen wie die Herden vor sich hin nach dem Ufer. Es war Mitternacht, als Aigrof die Sturmglocke hörte – er saß noch in seinem Zimmer und las die Taten der Vorzeit. Ohne sein Pferd zu erwarten, stürzt er sich unter die zerstreuten jammernden Bauern, seine Gegenwart flößt ihnen Mut ein – mit Gewalt widersetzen sie sich dem Feind, bringen ihn zum Weichen und verfolgen ihn beim Scheine der brennenden Hütten.

»Aigrofs Weg ist mit Blut bezeichnet; jeder seiner Streiche tötet; aber die Flammen entdecken den Feinden bald den gestickten Phönix auf seiner Brust; fliehend richten sie ihre Pfeile nur auf ihren geschworenen Feind; Aigrof fühlt die tödlichen Wunden nicht, er jagt sie bis in ihre Kähne; das Gestade ist voll von Erschlagenen und Geretteten; Jubel und Freudengeschrei ertönt in der Luft, als die Bauern die Ketten und Bande ihrer Schwestern, ihrer Geliebten lösten, Aigrof teilt ihre Freude, sie umfaßten seine Knie, benetzten seine Hände mit Tränen des Dankes. Sie erschrecken, sie sind naß von dem Blut ihres Wohltäters.

»Indessen schallte die Trompete des Phönix, und seine Mitbrüder eilten nach dem Gestade, sie fanden nur seinen Leichnam; er gab in den Armen der Mädchen, die er gerettet hatte, seinen Geist auf. Das war Aigrofs ruhmvolles Ende. Ich weiß nicht, ob ich damals mehr Schmerz über seinen Verlust, oder Stolz über seinen Ruhm fühlte.

»Aigrof hatte den Abend vorher seinen Lieblingsdichter gelesen; die folgende Stelle stimmte so mit seinen Gesinnungen überein, daß man sie in seiner Schreibtafel aufgezeichnet fand.

»›Ja, Tod! am Arm der Ehre will ich dir zueilen – – o daß ich dich im Glanze eines Eroberers herbeirufen könnte, daß mein letzter Blick über fliehende Feinde sich schlösse. – O möchte doch ein Triumphlied mein Grabgesang sein, meine Ruhestätte der Wallfahrtsort der Helden werden. – – Morgen weg mit dir, Leben – ja, morgen weg mit dir – dein Wert liegt in der Art dich zu verlieren – Leben ist Vergessenheit – der Tod führt zur Unsterblichkeit.‹ Siehe Dia na Sore.

»Der Orden ließ ihm auf der Stelle, wo er sein edles Leben aushauchte, ein Denkmal von weißem Marmor errichten; die obigen Worte sind darauf mit goldenen Buchstaben eingegraben. Der Indus, in den sein Blut floß, befeuchtet jetzt die Lorbeeren um sein Grab, und ach! leider auch das Grab seiner geliebten Schwester.

»Ihre Erziehungsjahre waren vorbei. Sie bereiste das Reich; groß war ihre Sehnsucht, das Grab ihres Bruders zu sehen; bei ihrer Ankunft entließ sie ihr Gefolge. Einsam und allein überließ sie sich ihrer Schwermut; eine Stunde verfloß nach der anderen, das Schicksal ihres Bruders hielt sie mit Zaubermacht an seinem Grabe; – heiter und still war die Nacht – der volle Mond spiegelte sich in dem langsam dahinfließenden Indus.

»Ein hochmütiger Mirza, der zufällig auf der anderen Seite des Ufers gejagt hatte, ruhte nun vor seinem Zelte und rauchte auf weichen Kissen seine Pfeife. – Vermißte der üppige Perser eben seinen Harem oder war seine Einbildung von Gedanken an die Huris und die Freuden des Paradieses erhitzt, – seine Sinnlichkeit verlangte ein Weib, und jedes Weib wäre ihm vollkommen gewesen. Liebe ist diesen Unholden fremd. Er sah die weißen Kleider an dem anderen Ufer des Flusses, das war genug. Indessen zu feig, sich selbst über den Indus zu wagen, schickte er einen Verschnittenen und einige Sklaven ab, das unglückliche Mädchen zu rauben. Bei Annäherung des Kahnes schrie sie um Hilfe – ein Phönixritter, der sie begleitete, eilte mit ihren Bedienten herbei, aber zu spät – der Verschnittene ist mit seiner Beute schon in seinem Kahne, der Kahn schon vom Ufer entfernt; sie besteigen ein Boot und verfolgen die Räuber, das Wasser schäumt, in den Bergen hallt das Echo der tauchenden Ruder wider – mit jedem Zuge kommen sie dem Kahne näher – die Sklaven arbeiten, bis ihnen die Kräfte fehlen, die Drohungen und Versprechen des Verschnittenen sind vergebens, das Boot erreicht den fliehenden Kahn; der Ritter will sich desselben bemächtigen, als der Unmensch meinem unglücklichen Kinde den Dolch in die Brust stößt und sich in das Wasser stürzt. Ihre Asche ruht im Grabe ihres Bruders. Der Mord einer kaiserlichen Prinzessin veranlaßte einen Krieg, Persien wurde mit Feuer und Schwert bestraft, aber, wenn Schiras im Blute der Mohammedaner schwimmen sollte und die Pflugschar über die Mauern von Ispahan hinginge, meine Kinder würden mir nicht wiedergegeben. Der tyrannische Zepter des Schicksals unterdrückte die Nachkommenschaft der Samora.

»Zuweilen leuchtet uns ein Lichtstrahl des Trostes in die schreckliche Zukunft, wir nähren oft den Schein von Möglichkeit, bis er zur Wahrscheinlichkeit, fast bis zur Gewißheit wächst. Wir schmeicheln uns noch, daß Agalva lebt, daß ein nicht vorherzusehender Zufall – und wie zahllos sind die Zufälle des menschlichen Lebens! – sie noch in Eurem Lande zurückhält, und auf Euch, großmütiger Mann, bauen wir jetzt all unsere Hoffnung, Ihr werdet uns Euren Beistand nicht versagen. – So peinigend auch unsere Lage zwischen Furcht und Hoffnung ist – so sehr sie auch meine Kissen mit Dornen besät, und so gewiß sie noch meinen Lebensfaden zerreißen wird – können wir doch nicht verlangen, daß Ihr wegen uns Eure Rückreise beschleunigen solltet; aber, wenn Ihr zurückkehrt, so erlaubt, daß Euch ein Vertrauter meines Sohnes begleite – unterstützt ihn dort mit Eurem Rat und steht ihm in seinen Nachsuchungen bei!«

De Grey versicherte die Samorina seiner Bereitwilligkeit, ihre Wünsche zu erfüllen, und verließ sie mit seiner Begleiterin; aber wie glücklich war die gute Fürstin, als ihr die Gräfin in einigen Tagen die erfreuliche Nachricht brachte, daß er gesonnen sei, sich in Kalekut niederzulassen, und nur nach England reise, um seine Angelegenheiten in Ordnung zu bringen, seine Freunde und Familie noch einmal zu sehen und vielleicht eine geliebte Schwester zu holen, die ohne Zweifel den Druck, worunter die Weiber in Europa lebten, gern mit den Rechten vertauschen würde, die sie in Kalekut von ihren Vormüttern geerbt hätten, und daß er versprochen habe, alle möglichen Nachforschungen wegen Agalva anzustellen, zu denen ihm seine Kenntnis des Landes mehr als einem Fremden günstig wäre.

Da gerade ein Schiff im Hafen bereit lag, so willigte De Grey gern ein, in einigen Tagen abzureisen.

Indessen wünschte die Samorina noch, daß er vor seiner Abreise ihren Enkel, den Erbprinzen, sehen sollte, um Agalva (wenn er doch so glücklich wäre, sie in England zu finden) die guten Eigenschaften und vielversprechenden Talente ihres Sohnes schildern zu können.

Ohne Zeitverlust verfügte sich De Grey mit seiner Gräfin nach der Universität zu Romoran. In einigen Stunden entdeckten sie die Türme dieses mächtigen Gebäudes, das in jeder Rücksicht ein ewiges Denkmal der kaiserlichen Kunstliebe war. An der Brücke, welche den Spielplatz der Jünglinge begrenzte, sahen sie in der Ferne die Jugend im Ballspiele begriffen; sie stiegen aus. – Bald hörten sie ein lautes Jubelgeschrei und ein lautes Bravo. Ein Jüngling schlug den Ball in die Höhe; ein anderer von der Gegenpartei, gebildet wie Apoll, läuft pfeilschnell seinem Fall entgegen, fängt und wirft ihn noch weit höher, und fängt ihn wieder. Ein lautes: »Firnos lebe!« ertönte über die ganze Wiese, die jungen Damen, die unter dem Schatten einer Kastanienallee dem Spiele zusahen, klatschten dem Prinzen lauten Beifall zu, und »Firnos lebe!« wurde von seiner Partei in einem fort wiederholt. Angenehm überraschte den Prinzen das unerwartete Kompliment der Gräfin von Raldabar. De Grey wurde ihm vorgestellt; bei dem Worte Engländer ergriff er De Greys Hand mit Entzücken; der reizende Gedanke, daß seine Mutter zurückgekehrt wäre, bemeisterte sich seiner. Aber ach! der Fremde konnte nur seinen Beistand zu ihrer Entdeckung versprechen.

Die kaiserliche Familie war eine der schönsten des Landes, aber Agalvas Sohn konnte der Bildsäule eines Adonis oder Alkibiades zum Modell dienen. Er war umringt von auserlesenen Jünglingen, aber keiner kam dem Thronerben von Malabar gleich. Begabt mit allen äußerlichen Vollkommenheiten der Gestalt, sah er dem Bilde des Kaisers ähnlich, ehe er den Thron seiner Voroheime bestieg; Feuer strahlte aus seinen Augen – die Leibesübung erhob seine Gesichtsfarbe – der leichte Wind spielte in seinen goldenen Locken; doch war De Grey weit mehr von dem einnehmenden Betragen des Prinzen, als von seiner Schönheit hingerissen.

Ein ländliches Fest war für die Spielenden in einem großen Zelte bereitet; die Schülerinnen, die schon den grünen Gürtel hatten, nahmen teil an dem Feste; die Gräfin und De Grey saßen neben dem Prinzen.

Des Abends speisten der Prinz und der alte Hofmeister der Gräfin, die auch auf diesem Institut erzogen war, mit den Fremden im Gasthofe. Das Gespräch fiel bald auf den Zweck von De Greys Reise nach England. Der Prinz drückte De Greys Hand an sein Herz und dankte mehr mit Blicken als mit Worten.

De Grey fragte den alten Schullehrer verschiedenes über die Einrichtung des Instituts und erfuhr, daß beide Geschlechter einige Stunden des Tages zusammen in den meisten Wissenschaften unterrichtet würden, die übrige Zeit aber für die Schüler zu Leibesübungen, für die Schülerinnen zur Erlernung des Hauswesens bestimmt wäre.

»Ich bezweifle nicht,« sagte De Grey, »daß die Vereinigung der beiden Geschlechter von großem Nutzen ist. Welch ein Sporn muß es nicht für den Fleiß eines Jünglings sein, vor den Augen seiner Geliebten ein öffentliches Lob oder anderen Lohn seiner Verdienste zu erhalten; indes würde ich doch für die Gesundheit eines Jünglings zittern, der in einer und derselben Schule mit jungen reizenden Mädchen erzogen wird. Der weiße Gürtel scheint mir eine zu schwache Schutzwehr gegen die Anfälle solcher Jünglinge, wie wir sie beim Ballspiele versammelt sahen.«

Hofmeister: »Sprecht nicht so laut, oder wir werden gleich die ganze Akademie wie ein Hornisnest um uns versammeln; dieser Gedanke allein wäre hinreichend, einen allgemeinen Aufstand zu erregen. Ihr vergeßt, daß der weiße Gürtel heilig ist, und daß ein mündiger Jüngling, der ihn entheiligen sollte, für ehrlos erklärt und aus dem Institut ausgeschlossen würde. Über die jüngeren Klassen wachen die Lehrer und Aufseher, und wenn auch zuweilen der Einweihung und deren Rechten vorgegriffen wird, so geschieht es äußerst selten, und gewiß seltener auf der Akademie, als bei Kindern, die zu Hause erzogen werden. Ein Gymnasium oder eine Universität ist eine kleine Republik; jeder weiß, daß alle Augen auf seine Handlungen gerichtet sind; er mag Fenster einschlagen, bei Tag oder Nacht in den Straßen lärmen, die Lehrstunden versäumen, das Theater den Kollegien, das Pferderennen dem Schreibtisch vorziehen; doch wo seine Ehre mit ins Spiel kommt, da wird er sich gewiß nicht so leicht vergehen. Aber erlaubt mir zu fragen, wie es in Euren Ländern zugeht, wo vermutlich die beiden Geschlechter voneinander getrennt sind und jedes für sich erzogen wird?«

De Grey wurde verlegen; er schämte sich, der niedrigen Liebschaften, Trinkgelage und anderer Ausschweifungen zu erwähnen, die die europäischen Universitäten so sehr entehren, wo der Jüngling, ausgeschlossen von allem Umgang mit Weibern von Stande und Erziehung, sich in die Arme einer feilen Dirne wirft, wo er, aus Mangel anderer schicklichen Unterhaltungen, sich in Schenken und Bierhäusern herumtreibt; und da er nicht wußte, ob die Beschuldigungen, die den Nonnenklöstern und Kostschulen gemacht, werden, gegründet sind, so hätte er um so weniger gewagt, die Freuden zu enthüllen, die die armen eingesperrten Mädchen für den Umgang mit Männern entschädigen sollen. Er schwieg, bis endlich der Hofmeister wieder das Wort nahm.

»Ich für meinen Teil segne noch den Augenblick, wo mich meine Mutter auf diese Schule schickte; ich war ein Kind von acht Jahren, ich wurde bald mit einem Mädchen von gleichem Alter bekannt. – In der Schule saßen wir auf einer Bank, in den Erholungsstunden spielten wir zusammen – ungetrennt wuchsen wir auf – zu gleicher Zeit und an einem Tage wurden wir mündig – Hand in Hand gingen wir zu Samoras Bild. – Mit welchem Stolz empfing ich nicht das Schwert aus der Hand der Samorina; aber mein Herz schlug weit heftiger, als ich sah, wie der Kaiser den weißen Gürtel meiner Geliebten löste und sie mit dem schönen grünen Bande umgürtete. Die Bewegung, die in meinem Herzen vorging, war den Umstehenden bemerkbar, sie blieb dem Auge des Kaisers selbst nicht unbemerkt; lächelnd sagte er zu meiner Geliebten: ›Gib acht, daß dein Freund sein Schwert nicht verliert, denn alle seine Aufmerksamkeit ist auf deinen Gürtel gerichtet.‹ Die Ungeduld eines Bräutigams konnte unmöglich der meinigen gleichkommen, sogar eines Bräutigams in Persien, der seine Braut nicht eher sehen darf, als bis die unwiderrufliche Zeremonie vorbei ist. Bei ihm wird die Neugierde für Liebe gehalten – aber mein Herz wärmte Liebe; wahre Liebe wärmte unsere beiden Herzen, und hat nun mit gleichem Feuer vierzig volle Jahre gedauert; seit vierzig Jahren ist sie die Freude, der Trost unseres Lebens.«

De Grey: »Vierzig Jahre! In einem Lande, wo keine äußeren Bande fesseln, vierzig Jahre, wo sich die Geliebten so leicht trennen können. Gibt es noch ein Beispiel einer solchen Treue?«

Hofmeister: »Beständigkeit wäre ein richtigerer Ausdruck, Treue zeigt man nur, wenn man seiner Pflicht seine Neigung aufopfert. Das Wort Treue sollte in der Liebe nie gebraucht werden: Liebe ist der Hauch der Seele: wie sollte man wünschen, Pflichten daran zu legen? Gleich dem Schatten des Anchises würde sie aus den Armen entwischen und in der Luft vergehen.

»Es ist wahr, wir wechseln in unserem Lande nach Gefallen unsere Geliebten, aber glaubt darum nicht, daß unsere Neigungen weniger beständig sind, als bei den anderen Völkern; streicht in Eurem oder anderen Ländern, wo die Ehe geduldet wird, von der Liste der beständigen Paare alle diejenigen aus, die bloß aus Ehre oder Geiz, aus Furcht vor Schande oder Tod, die aus Unwissenheit (denn in manchen Ländern hat das Weib nie einen anderen Mann als ihren Gatten gesehen) oder die aus Aberglauben beständig sind – zählet dann die übrigen, die es aus Neigung oder Liebe sind, und Ihr werdet finden, daß die beständigen Paare in Kalekut ihre Anzahl in jeder anderen Stadt der Welt übertreffen. Es wird auch einleuchtend, wenn man bedenkt, daß bei uns jeder Gelegenheit hat, den Charakter des anderen kennen zu lernen; und welchen Vorteil schafft uns hierin nicht unser Erziehungssystem! Die angenehme Erinnerung jedes kleinen Zufalls aus jenen Tagen der Unschuld und Kindheit gibt oft den persönlichen Verdiensten einen höheren Reiz und verbindet zwei Schulgesellen, bis der Tod eines von ihnen aus den unteren Klassen hier wegnimmt, hoffentlich, um sie dort oben in den höheren wieder zu vereinigen.«

Der Hofmeister beschrieb dann das Stiftungsfest und bedauerte nur, daß es erst nach De Greys Abreise statthaben würde.

An diesem Tage speisten alle, die jemals auf dieser Schule erzogen worden, in einem der ersten Gasthöfe in der Hauptstadt. Das war seiner Meinung nach der vergnügteste Tag im ganzen Jahre. Er fuhr dann mit seiner alten Schulgesellin nach der Stadt; sie war Großmutter, aber in seinen Augen immer noch so liebenswürdig, als in dem Augenblick, da sie den grünen Gürtel erhielt. Endlich erzählte der gute Alte noch eine Anekdote, die er, wie De Grey hörte, bei jeder Gelegenheit erzählte und jährlich am Stiftungstage wiederholte; wie er nämlich einst mit Heldenmut für seine Geliebte, die in das Stuhlkissen eines Sprachmeisters Nadeln gesteckt hätte, die Rute ausgehalten habe.

Der nächste Morgen wurde zur Besichtigung der Universität, der verschiedenen Schulgebäude und Hörsäle, sowie der Spielplätze verwendet.

Unter anderem zeigte ihnen Firnos in dem Lehrsaal den Namen Agalva Rofina, den seine unglückliche Mutter während ihres Aufenthalts eigenhändig in die Eichenwand eingeschnitten hatte; darunter stand der Name des Prinzen von Cambaya, ihres Freundes und Mitschülers. Die Tochter der Rofa übertraf alles, was sie umgab; sie war groß in der unbedeutendsten Kleinigkeit; selbst ihr Name war schöner und künstlerischer als die anderen eingeschnitten.

Als der Wagen vorfuhr, stand auch der des Prinzen bereit. – »Ich will von Euch noch nicht Abschied nehmen,« sagte er zu De Grey, »ich begleite Euch.«

Den folgenden Morgen verlangte die Samorina De Grey zu sprechen und entdeckte ihm, daß Firnos entschlossen wäre, sich mit ihm nach England einzuschiffen. »Alles Zureden ist umsonst; nichts vermag ihn von einer so gefährlichen Reise abzuhalten,« sagte sie, »ich kann nichts tun, als ihn Eurer Sorgfalt anvertrauen. Er ist der einzige Thronerbe des Reichs; Euch allein vertraue ich jetzt meine Hoffnung, die Hoffnung des Mutterlandes an.«

Ihre Abreise vom kaiserlichen Hofe war für die Abreisenden wie für die Zurückbleibenden gleich schmerzlich.

Die Augen der guten Samorina schwammen in Tränen. Sie hatte so viele Kinder verloren. Agalva wiederzusehen konnte sie kaum hoffen, und ihr Herz flüsterte ihr zu, daß auch ihr Enkel für sie verloren wäre. Sie drückte ihn an ihre Brust, ohne einen Laut hervorbringen zu können.

Selbst den Samorin überwältigte der Schmerz; er drückte De Grey die Hand. –

»Kehrt glücklich zurück mit meiner und mit Eurer Schwester, und mein Dank …« er hielt inne, sein Zartgefühl erlaubte ihm nicht weiter zu reden, – er wiederholte nur: »Kehrt glücklich zurück und bleibt unter uns.«

Die Gräfin begleitete ihn nach dem Hafen und winkte ihm mit einem weißen Tuche ihr Lebewohl so lange zu, bis sich das Schiff ganz aus ihren Augen verlor.


 << zurück weiter >>