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Viertes Buch

Endlich kam das Schiff in Portsmouth an, und augenblicklich war das Verdeck mit einer Menge feiler Dirnen bedeckt, deren käufliche Reize den leichtsinnigen Matrosen in wenigen Stunden von dem seit dreijähriger Reise ersparten Lohn entblößten. Aber welch einen Unterschied fand Firnos in ihren frechen Blicken und ausgelassenen Gebärden von dem Bild, welches ihm De Grey so oft von der Zurückgezogenheit und Bescheidenheit seiner Landsmänninnen entworfen hatte. Eine von ihnen gibt ihm einen freundschaftlichen Schlag auf die Achsel und ladet ihn ein, mit in ihr Logis zu gehen, eine andere ohne weitere Umstände gibt ihm einen herzhaften Bewillkommnungskuß; Firnos fährt vor Abscheu zurück, denn ihr Atem riecht nach Branntwein.

Als sie im Wirtshaus angekommen waren, äußerte Firnos seine Verwunderung. »Bald werdet Ihr und wahrscheinlich zu Eurer Kränkung finden,« sagte De Grey, »wie keusch die englischen Weiber sind; obschon sie durch die Tyrannei der Gewohnheit mehr zurückgehalten werden, als von selbst zurückhaltend sind, so nötigt sie doch diese Gewohnheit, allgemein keuscher zu sein, als sie sonst sein würden oder wie die Natur sie bestimmt hat, es zu sein. Jene unglücklichen Geschöpfe, welche einen Handel mit ihren Körpern treiben, sind bloße Ausnahmen von der allgemeinen Regel, und vielleicht haben gerade diejenigen, deren Blicke uns so frech und ausgelassen scheinen, das kälteste Temperament, sie sind gezwungen, verliebt zu scheinen, da Liebe einmal ihr Tagewerk ist, sie müssen ihre Lippen zum Lächeln zwingen, während ihr Herz eine Beute des Grams ist. Es ist noch nicht spät, wir haben noch drei Stunden übrig, ehe wir zu Bett gehen. Versprecht mir, um Eurer Gesundheit willen, Eurer Leidenschaft Herr zu sein, und ich will nach einem dieser beklagenswürdigen Mädchen schicken, und wahrscheinlich werden wir finden, daß sie, die das Vergnügen zu ihrem Handwerk macht, eines der hoffnungslosesten aller Geschöpfe ist. Die arme Unglückliche nimmt vielleicht bloß deswegen ihre Zuflucht zum Trunke, um ihr quälendes Nachdenken zu ersäufen.«

Der Aufwärter meldete bald die Ankunft der Nymphe, nach einem kurzen Anpochen an die Tür kam sie herein und grüßte die zwei Reisenden, als ob es ihre ältesten Bekannten wären. Ihr einladender Busen sah aus dem dünnsten Musselin hervor, und ihr ganzer Anzug bedeckte bloß ihre Reize, aber verbarg sie nicht. Sie schien so glücklich, daß sie kaum ihre Zufriedenheit bei ihrem Anblick zurückhalten konnte, sie tanzte und hüpfte im Zimmer herum, ein beifälliges Lächeln belohnte auch die gewöhnlichste Höflichkeit, welche sie ihr sagten, sie lachte und sprach ohne Unterlaß, bis das Abendessen ihre Zunge beschäftigte, wo sie weit mehr aß, als man glauben sollte, daß ihr Magen fassen könne.

Als sich die Bedienten zurückgezogen hatten, und nachdem De Grey ihrer Selbstliebe wegen der Vernachlässigung ihrer Reize eine Apologie gehalten hatte, gab er ihr eine Guinee und verlangte bloß von ihr, daß sie ihm die Geschichte ihres Lebens erzählen möchte.

Sie brach in eine Flut von Tränen aus. De Grey tat alles mögliche, sie zu beruhigen; nach einiger Zögerung fing sie an: »Schmeicheln Sie mir nicht wegen meiner Reize, der Himmel mag wohl Schönheit zum Segen bestimmt haben, der Mann hat sie aber zum Fluch für uns umgeschaffen. Wäre ich häßlich gewesen, so würde ich meine Mutter nicht ins Grab gebracht haben, sondern würde die Stütze und der Trost ihres Alters geworden sein und eine ehrliche Familie nicht mit Schande bedeckt haben. Ach! ich darf mich nicht meiner Kindheit erinnern, und ein Blick in die Zukunft macht mich schaudern, schlägt mich zu Boden.

»Und doch ist der Gang meines Schicksals so gewöhnlich, was mich betroffen hat, wird noch tausend andere betreffen. Ich kann mich keiner hohen Abkunft rühmen; als ich verführt wurde, nicht die Familie eines Edelmanns erlitt den Schimpf, welcher nur mit Blut konnte abgewaschen werden, kein Wappen wurde dadurch geschändet, aber manches liebevolle Herz blutete bei meinem Unglück.

»Meine Mutter wurde durch den Tod ihres Mannes, eines Landpfarrers, Witwe mit drei Töchtern. Meine Schwestern wurden die Weiber von benachbarten Pächtern. Die jüngere starb bald darauf im Kindbett mit einem Mädchen, und meine Mutter und ich, da wir zusammen wohnten, übernahmen die Sorge für dieses Kind.

»Die zwei darauffolgenden Jahre verstrichen in Ruhe und Zufriedenheit, unser Einkommen war sehr gering, aber auch unsere Bedürfnisse waren äußerst wenige. Plötzlich überfiel mich eine harte Krankheit, und die Rechnung des Apothekers brachte uns nach meiner Genesung an den Rand des Verderbens. Meine Mutter, meine gute liebe Mutter, nachdem sie mich den Tag hindurch gewartet hatte, arbeitete während der Nacht mit der Nadel, ich genas, aber sie verlor ihr Gesicht, verlor es meinetwegen, für mich, ihre undankbare Tochter.

»Meine Aufführung war die drei nächsten Jahre ohne Tadel, ja sogar exemplarisch. Ach, mit welchem Vergnügen könnte ich auf diese drei Jahre zurücksehen, wäre der Kontrast zwischen diesen und meinem jetzigen Elend nicht gar zu schrecklich.

»Am Ende des dritten Jahres kam der Lord der Herrschaft, ein junger Mann, gerade volljährig, bei uns an, um Besitz von seinen Gütern zu nehmen, er sah mich, als ich meine gute blinde Mutter. zur Kirche leitete, ich hatte das Unglück, ihm zu gefallen, er bekam leicht Zutritt in unser Haus, und mit dem Wort Tugend, welches er immer in seinem Munde führte, obschon er niemals der Liebe in Gegenwart meiner Mutter erwähnte, gewann er nicht allein die meinige, sondern auch ihre gute Meinung. Eine Erziehung über meinen Stand trug sehr viel zu meinem Unglück bei. Stolz darauf, daß ich die übrigen Dorfmädchen übertraf, war ich eitel genug, mir einzubilden, daß meine geringen Vollkommenheiten ihn verleiten würden, die Niedrigkeit meiner Geburt zu vergessen, und da übrigens auch der junge Squire mir immer mit den schönsten Aussichten für die Zukunft schmeichelte, und wie glücklich meine gute Mutter ihre alten Tage in dem Herrschaftshause verleben sollte, so drückte ich ihn an mein Herz, und in einem unbewachten Augenblick raubte er mir meine Tugend. Ich brauche wohl nicht hinzuzufügen, daß er wenige Wochen darauf mich zu meiner größten Verzweiflung verließ.

»Indessen wurde meine Schande immer sichtbarer und ich das Gespött der ganzen Nachbarschaft. Mein verstorbener Vater hatte sich viele Feinde dadurch gemacht, daß er die Schwester eines Kirchenvorstehers zwang, für ein ähnliches Vergehen in einem weißen Hemde Buße zu tun, jetzt ließen mich nun die Verwandten jenes Mannes, der einer der Honoratioren des Kirchensprengels war, ihre Rache fühlen. Wenn ich in die Kirche kam, erhob sich ein Gezischel und Geflüster, und die Jungen des Dorfes spotteten mich aus. Als ich eines Tages ihren Beleidigungen entflohen war und bei meiner Mutter saß, deren Blindheit sie gehindert hatte, meinen Zustand zu entdecken, entwischte mir ein lauter Seufzer, sie erschrak, und ich wurde genötigt, eine tiefe Melancholie vorzuschützen, wovon ich keine Ursache anzugeben wüßte. ›Ich will dir es wohl erklären,‹ sagte sie, ›ein zärtlich Herz in deinem Alter muß eine Leere fühlen. Die Sorge für eine Familie ist das Geschäft eines Weibes, und verlaß dich darauf, es kommt gewiß noch ein würdiger Mann, der dich bittet, diese zu übernehmen. Diejenige, welche mit so vieler Sorgfalt die Pflichten einer Tochter erfüllte, ist gewiß auch dazu bestimmt, jene einer Mutter zu empfinden. Ich rufe den Himmel zum Zeugen an,‹ fuhr sie fort, ›daß die Jahre meiner Blindheit die glücklichsten Jahre für mich gewesen sind, denn sie haben mir den Wert meines Kindes gezeigt.‹ Ach, wie bei diesen Reden meiner Mutter mein Gewissen mich folterte. Eine Flut von Tränen endigte mit einem Anfall von Krämpfen, ich wurde zu Bett gebracht, die Schmerzen waren vorüber, und zum größten Erstaunen aller Anwesenden gebar ich ein lebendes Kind.

»Meine Mutter blieb einige Wochen in vollkommener Unwissenheit, bis sie eines Tages sich selbst bis zu meinem Zimmer half und das Kind an meiner Brust trinkend fand. Welch ein schrecklicher Schlag für meine fromme Mutter, es verursachte ihren Tod, in zehn Tagen war sie eine Leiche.

»Jetzt war ich nun ganz elend, verstoßen und verlassen von meinen Freunden, gemißhandelt von meinen Bekannten, mit einem gebrochenen Herzen, einem verdorbenen Charakter und einem verwundeten Gewissen. Meine kleine Nichte wurde mir durch meine ältere Schwester sogleich entrissen, und obgleich das kleine Mädchen schon mit allem hinlänglich versorgt war, gab sie ihrer eigenen Schwester mit ihrem hilflosen Waisen nicht einen Schilling. Ihr Abscheu vor einem Bastard war so groß wie vor einer Spinne oder Kröte, sie wollte das Kind nicht berühren und ebensowenig es in ihrer Nähe dulden. Endlich erbot sich eine mitleidige vornehme Frau aus der Nachbarschaft, für das Kind zu sorgen, doch bloß unter der Bedingung, daß ich niemals danach fragen oder mich um dasselbe bekümmern sollte. Welch eine grausame Wahl, aber welche Mutter wird das Wohl ihres Kindes ihrem eigenen Gefühl aufopfern? Ich willigte ein, und seitdem habe ich nie etwas von ihm gehört noch gesehen.

»Gott segne dich, mein kleiner Eduard,« rief sie aus, indem sie sich auf ihre Knie warf, »wenn du nicht schon unter den Engeln bist und mit ihnen jene Glückseligkeit teilest, zu welcher ich alle Hoffnungen verloren habe; möge deiner Mutter Schande nie auf dich zurückfallen, möge die Erinnerung ihres Elends, wenn sie nicht mehr ist, niemals dein Glück unterbrechen! Steh auf, verworfenes Weib, deines Sohnes Schicksal darf dir nie bekannt werden, es ist sogar Gotteslästerung, wenn du ihn segnest.

»Ich bin nun ein Mädchen der Freude, eine Dienerin der Venus, der Tyrannei jeder Kupplerin, dem Gespötte jeder Spröden, den Zudringlichkeiten jedes Lasterhaften, den Liebkosungen jedes Gecken und dem Verdacht der Polizei unterworfen. Wie oft schon sind mir durch Diebe Anerbieten zur schändlichsten Vereinigung gemacht und Pläne zur schwärzesten Verräterei von den Polizeidienern vorgeschlagen worden, denn die unglückliche Schwesterschaft hält man zu allem fähig. Wenn wir vor einen Gerichtshof gefordert werden, finden wir unsere Richter gegen uns eingenommen. Der Zins von unseren elenden Dachstuben wird verdoppelt, denn wir müssen für die Schande, die wir um uns verbreiten, noch bezahlen, und zahlen wir diesen nicht im voraus, so werden wir auf die Straße geworfen. Einige leichtsinnige Schulbuben stören vielleicht die Ruhe unserer Nachbarn, und wir werden als unordentlich verfolgt und müssen dafür büßen. Wollust ist selten großmütig, sehr oft aber geizig, und doch müssen wir den Lohn unserer Schande mit den Aufwärtern des Weinhauses, oder auch sogar mit den Bedienten unserer Kunden teilen, und wie oft betrügt uns nicht noch fühlloser Geiz um diesen erbärmlichen Lohn.

»Dies ist noch nicht alles. Ihr Männer rühmt die Stärke eures Geschlechts, aber wir müssen nicht allein ertragen, sondern auch noch einen grauen Wollüstling zu einer ekelhaften Umarmung einladen; ich will es nicht erwähnen, wie unser Körper nach und nach zugrunde gerichtet wird, und ebensowenig unseren Ekel schildern, wenn wir genötigt werden, den abscheuerregenden Versuchen einer verdorbenen Einbildungskraft Genüge zu leisten. Und dann die schreckliche Aussicht vor uns, wenn das Freudenmädchen nun nach und nach selbst Kupplerin, die Tyrannin oder Sklavin der armen jungen Geschöpfe wird – sie zieht ebensogut wie wir an dem Wagen des Elends, und doch können wenige von uns hoffen, daß unsere Verbrechen sich so glänzend endigen; wenn unsere Reize entflohen sind, sterben wir vor Hunger in einer elenden Dachkammer, kein Feuer wärmt uns, kein Freund beruhigt uns. Die Tugend selbst voll Verachtung verschmäht es, uns zu helfen, aber unsere Qualen hier sind bloß die Vorgänger von anderen, noch schrecklicheren als diese. Der Galeerensklave hat Hoffnung, seine Verbrechen abzubüßen, der bereuende Dieb kann mit einiger Zuversicht sterben, aber uns verschließt der Mangel jedes Tor zur Reue und treibt uns mit Gewalt bis auf die Letzt zur Sünde; wir hauchen unsere verdammten Seelen in Wahnsinn und Verzweiflung aus.«

Firnos war so sehr durch ihre Erzählung bewegt, daß er wie ein Kind weinte, und als sie fort war, ging er, ganz verloren in Gedanken, im Zimmer auf und nieder. »Eine Sache«, sagte er, »kann ich nicht begreifen, wenn diese Art zu leben so beschwerlich ist, warum ergreift sie nicht eine andere? Es gibt ja noch so viele andere Auswege und sie ist noch jung und gesund.«

»Ach, mein guter Freund,« antwortete De Grey, »Ihr kennt die Vorurteile Europas noch nicht. Das unverheiratete Weib, welches von der verbotenen Frucht der Liebe einmal gekostet hat, ist so beschimpft, daß keine Familie sie auch nur als die geringste Dienstmagd aufnehmen würde; bei keiner Manufaktur und keiner Fabrik wird sie gebraucht werden. Sie steht an dem Abhang einer grundlosen Tiefe, nichts kann sie aufhalten. Aber gute Nacht, Firnos, es ist schon spät; ehe Ihr die Christenheit verlaßt, führt Euch vielleicht noch Eure Neugierde in die Gefängnisse, wo die, die einem Bastard das Leben gegeben hat, unter dem nämlichen Dach mit der eingekerkert ist, welche einen ermordet hat.«

Susanne, die Aufwärterin, zeigte Firnos sein Zimmer und bestand darauf, ihm seine Stiefel auszuziehen. Firnos wünschte ihr eine gute Nacht. Sie fragte ihn, ob er noch etwas brauche. Er wiederholte sein Kompliment und sie ihre Frage; sie seufzte und ging hinweg. – Susanne kam mit einem Kohlenbecken zurück, es war eine schöne Herbstnacht, nach einem schwülen Tage; die Fenster waren weit offen, der Prinz sah sie starr an. »Gewisse Herren«, bemerkte Susanne, »wären sehr kalter Konstitution.«

Es war eine Schlauheit in ihrem Lächeln, welche in einem Augenblick die arme Pfarrtochter ganz aus seinem Gedächtnis verdrängte. Er bemerkte die schönen schwarzen Augen und ihre volle Brust, welche sich unter einem rotseidenen Halstuch auf und nieder hob. Auf einmal entstand ein lautes Getümmel, der Aufwärter brach die Tür des Zimmers auf und überraschte Firnos, als er eben Susannen half, das Bett zu wärmen. »Hier,« sagte er zu dem Hausknecht, »Ihr seid mein Zeuge,« und nun folgte ein Strom von Schimpfwörtern und eine Menge Flüche gegen die arme Susanne, daß sie ihren Herrn und Gebieter entehrt habe; der Aufwärter führte nämlich, durch die Ehe dazu berechtigt, diese Titel. Alle Gäste des Wirtshauses wurden durch diesen Lärm wieder aufgeweckt und Firnos vor einen Friedensrichter geführt. De Grey vermittelte so geschwind als möglich die Sache, und der aufbrausende Hahnrei erhielt fünfzig Guineen, seine Hörner damit zu vergolden.

Firnos ging wieder zu Bett und nahm keine hohe Meinung von dem Gemeinsinn und der Gerechtigkeit der Nation mit sich. »Wie sonderbar,« sagte er, »ein Mädchen wird Mutter und man wirft sie zur Tür hinaus, in Kalekut hätten all ihre Freunde ihr von Herzen Glück gewünscht, und den Körper eines menschlichen Wesens betrachtet man in einem freien Lande als das Eigentum eines Ehemannes. Oh, meine teure Mutter! welches Ungemach magst du nicht unter einem so seltsamen Volke erlitten haben?«

Die zwei Freunde beratschlagten sich nun den nächsten Morgen über die Maßregeln, welche sie zu Agalvas Entdeckung ergreifen wollten. De Grey brannte vor Ungeduld, seinen Bruder Edmund zu sehen, und es wurde beschlossen, sich auf dessen Landsitz so lange verborgen zu halten, bis es gewiß sei, daß des Majors Familie die Verfolgung wegen seines unglücklichen Todes eingestellt habe; unterdessen erhielt ein Agent den Auftrag, sich auf das sorgfältigste nach der Prinzessin von Kalekut zu erkundigen und jedwede Nachforschung einzuziehen.

Der Abend nahte sich schon, als der Wagen, mit vier raschen Pferden bespannt, durch die schöne Allee rollte, die zu dem Familiensitz der De Greys führte. Sie langten an, Firnos sprang heraus, eine Dame stürzte die Stufen herunter, drückte ihn an ihre Brust, und ein heißer Kuß der Vergessenheit versiegelte die Vorwürfe wegen seiner langen Abwesenheit. Es war Clara De Grey, sie hielt ihn für ihren Gemahl, und bald wäre sie vor Beschämung umgesunken, als ihr Schwager ihr den Erbprinzen von Kalekut vorstellte.

Es war kein Besuch im Hause. Clara mußte die Abwesenheit ihres Gemahls entschuldigen, welche ihr schon so viele Tränen gekostet hatte.

De Grey erkundigte sich sehr angelegentlich nach seinen Freunden und Verwandten, die er so lange nicht gesehen hatte. »Und mein Oheim, der Kanzler, muß ein großes Vermögen hinterlassen haben. Wer waren seine Erben?«

Clara: »Wer sonst, als seine Kinder?«

De Grey: »Seine Kinder?«

Clara: »Die ganze Insel verwunderte sich darüber: die Gräfin gebar einen Sohn und Erben, und das Jahr darauf einen zweiten. Zweifeln Sie etwa an der Möglichkeit einer solchen Begebenheit?«

De Grey: »Keineswegs.« (Denn er erinnerte sich der Einsiedelei und des Gärtnerburschen.)

Clara: »Sie müssen der Witwe einen Kondolenzbesuch abstatten, niemand hält ein besseres Haus wie sie. Sie lebt mit ihren Kindern auf ihrem Landsitz, für welche sie eben jetzt einen neuen Hofmeister angenommen hat, einen jungen Abbé, der kaum der Guillotine entwischt ist.«

De Grey: »Und mein Oheim, der Gouverneur?«

Clara: »Seine Gesundheit war in Westindien ruiniert, der vorletzte Winter war außerordentlich hart und nahm ihn mit weg.«

De Grey: »Und sein junges Weib?«

Clara: »Jawohl, sehr jung! aber ehe sie starb, sah sie noch älter aus als ihre Mutter; ich weiß nicht, was ihr Übel war, sie war epileptisch, oder vielmehr, es war eine Zusammensetzung von mehreren Übeln. Sie war so entnervt, daß sie kaum eine Tasse Tee bis zu ihrem Mund bringen konnte, und bei dem leisesten Schlag an die Tür fuhr sie empor. Ihre Zähne fielen ihr aus, und ihr schönes Haar schwand hinweg, sie war ein lebendes Skelett. Einst zierte ein holdes Lächeln ihren Mund, jetzt schien ein konvulsivisches Grinsen ihr Gesicht zu verzerren, und selbst ihr Atem wurde unangenehm. Ich bemitleidete sie und wünschte ihr in ihrer letzten Krankheit beizustehen; aber sie war sehr oft von Sinnen und sagte in solchen Anfällen so äußerst seltsame Sachen, daß ihre Mutter mich mit Tränen in den Augen bat, das Zimmer zu verlassen. Armes, unglückliches Geschöpf.«

O gewiß, arm und unglücklich, dachte De Grey. Wie weit besser behandelt man solche Dinge in Italien, wo eine Frau die vollkommene Erlaubnis hat, einen Cicisbeo als Reservekorps zu haben, und noch weit besser in Kalekut, wo es ganz und gar keine Heiraten gibt.

De Grey: »Was ist aus dem jungen Frauenzimmer geworden, welche bei meiner Tante als Gesellschafterin lebte?«

Clara: »Man spricht verschieden von ihr; obschon sie in Ihrer Tante Testament sehr gut bedacht war, so argwöhnt man doch, daß sie ihr einige Juwelen entwendet habe. Sie ist Aufseherin in einer Kostschule geworden.«

Firnos war über die natürlichen und erworbenen Vollkommenheiten seiner Wirtin entzückt. »Welch eine bezaubernde Miene,« sagte er zu De Grey, als sie allein waren, »es ist der Spiegel einer Seele, wo jede Tugend blüht. Welche reizende Harmonie in dem Ton ihrer Stimme, wie viel Anziehendes, welche Anmut und Würde vereinigen sich in ihrem Betragen! Es ist so viel Einschmeichelndes in ihrem Benehmen, daß ihr alle Herzen huldigen müssen.«

»Wohl wahr,« antwortete De Grey, »aber die Lebhaftigkeit, die einst aus ihren Augen leuchtete und sie zum Leben und zur Seele jeder Gesellschaft machte, wo ist sie hingeflohen? Wo ist die natürliche Lieblichkeit ihres ungezwungenen Lächelns? Nein, es nagt etwas an ihrem Leben. Es ist eine Unruhe, etwas Melancholisches in ihrer Miene, in ihrem Blick, ja selbst in ihrer Fröhlichkeit; daher, obschon sie jeden persönlichen Reiz, einen ausgezeichneten Rang, die Hochachtung ihrer Freunde und die Schätze der Welt besitzt, so fürchte ich doch, sie ist unglücklich.«

Firnos stimmte in sein Lob mit ein, hoffte aber, daß seine Furcht ungegründet sein würde – denn Firnos war ja verliebt.

Den Tag darauf, als De Grey an seinen Bruder schrieb, schlug Clara dem Prinzen einen Spaziergang im Park vor. Welch eine gewünschte Gelegenheit für einen Liebhaber, und doch entwischte seinen Lippen das Wort Liebe nie. Er war entschlossen, die Rechte der Natur zu verleugnen und, was es ihm immer auch kosten möge, selbst die Vorurteile der Nation zu ehren.

Er folgte ihr über die Wiese, deren dunkles Grün sehr gegen die Weiße des gotischen Gebäudes abstach. Jetzt führte sie ihn auf einen nahen Hügel, von dessen Höhe das Auge, nachdem es über ganze Landschaften hingeschweift hatte, keine anderen Grenzen fand, als den Ozean und die Luft. Welch eine große Kette von Wäldern und Gebirgen! Herden bedeckten die schönen Täler und kletterten an den Hügeln hinauf. Hier gießt ein majestätischer Fluß seinen schlangenförmigen Lauf durch die Ebene, windet sich um zauberische Inseln und verliert sich dann in der Mitte einer entfernten Waldung. Dort springt ein Hirsch aus dem dicken Gebüsch, steht still und betrachtet ruhig die vorbeiziehenden Wanderer, als ob er sich des Schutzes, den er genießt, bewußt wäre. Eine Schönheit der Natur folgt der anderen, gleichsam als ob jede eifersüchtig auf ihre Vorgängerin wäre. Jeder Schritt bietet eine neue Aussicht dar. Clara macht ihn auf alles aufmerksam, und Firnos gewinnt für die Schönheiten der Natur noch einmal soviel Geschmack.

Ein Regenguß fällt jetzt hernieder und nötigt sie zur Rückkehr. Unglücklicherweise führt sie ihr Weg über einen schmalen Steg. Clara bleibt stehen, damit der Prinz zuerst hinübergehen möchte; der Prinz, unbekannt mit ihrer Absicht, bleibt gleichfalls stehen. Clara, obschon durch und durch naß, schwieg. Der Prinz sah sie verwundert an. Endlich bat sie ihn vorauszugehen, der Prinz, der ihren Beweggrund nicht wußte, hält dieses für eine Höflichkeit, welche sie seiner erhabenen Geburt schuldig zu sein glaubte, und verweigert es. Sie besteht darauf. Er bittet sie, jede Etikette beiseite zu setzen; sie wird unwillig, aber umsonst, er verbeugt sich und bleibt bei seiner Weigerung; zum größten Glück kommt jetzt De Grey, welcher sie suchte, und erklärt ihm nun ihr Betragen. Es war keine übertriebene Zeremonie, sondern die Furcht, ihre hoch aufgeschürzten Füße einem Fremden zu zeigen.

Firnos war zu höflich, um überlaut zu lachen, vielleicht auch, daß in den Augen des Verliebten der geliebte Gegenstand niemals lächerlich erscheinen kann. De Grey aber, nicht von Liebe geblendet, plinkte seinem Reisegefährten zu. »Diese Anekdote«, sagte er, »wollen wir der jungen Gräfin von Raldabar das nächste Mal, wenn sie wieder über den Fluß schwimmt, erzählen.«

Die Folgen dieser Begebenheit waren jedoch sehr ernsthaft. Firnos, der vergebens sich bemühte, eine Leidenschaft zu unterdrücken, die durch jede neuentdeckte Vollkommenheit Claras noch mehr angefacht wurde, war ganz außer sich, als eine geringe, im Anfang vernachlässigte Erkältung ihr ein heftiges Fieber zuzog und die Ärzte sie für gefährlich krank erklärten. Er würde in ihr Zimmer gestürzt sein, ihre fiebernden Hände mit seinen Tränen gebadet und sie um Verzeihung wegen seines unwissentlichen Fehlers gebeten haben, aber die Regeln der Dezenz, die ihn zum Schuldigen gemacht hatten, trieben ihn nun fast zur Raserei, als er an der Tür des Zimmers zurückgehalten wurde. Kein Fremder darf in das Schlafzimmer einer Engländerin. Er verwünschte die Vorurteile und die Tyrannei der Christen. Kaum konnte ihn die Freundschaft De Greys beruhigen, nichts konnte ihn trösten.

»Es ist entsetzlich,« rief er aus, »ein Mitgeschöpf leidet in dem nächsten Zimmer, und ihr, die ihr euch zu einer Religion des Wohlwollens bekennt, verbietet mir, an ihrem Bett zu wachen, um etwas zu ihrer Genesung beizutragen und mich an ihrer wiederkehrenden Gesundheit zu weiden. O guter Himmel, vielleicht verbietet mir eure falsche Güte, das Unglücks woran ich schuldig bin, wieder gutzumachen. Sollte sie sterben, welch eine schreckliche Last läge dann auf meinem Gewissen.«

Er verbarg sich in die abgelegensten und düstersten Gänge des Parkes, und wohl fünfzigmal des Tages kehrte er an die Tür des Schlafzimmers der Geliebten zurück. De Grey wurde fast jede halbe Stunde von ihrem Bett gerufen, entweder um ihm die Hoffnung zu geben, daß sie sich besser befinde, oder ihm wenigstens zu versichern, daß es nicht schlimmer mit ihr geworden sei.

Endlich war sie so weit wiederhergestellt, daß sie ihn in ihrem Vorzimmer empfangen konnte.

Welches Vergnügen empfand er bei dieser Einladung, wie freundlich war der Empfang von ihrer Seite, und wie herzlich war sein Willkommen. Die treue Kammerfrau hatte ihrer Gebieterin seine Angst und seinen Kummer beschrieben, die er ihretwegen empfunden hatte; wie verschieden war dies Betragen von dem ihres abwesenden Gemahls, der, durch einen Eilboten zu seinem kranken Weibe gerufen, bloß seinem Bruder zu seiner Rückkehr Glück gewünscht und ihrer kaum mit einer Silbe in seinem Brief erwähnt hatte. Weder die Vernachlässigung des einen, noch die Aufmerksamkeit des anderen blieben ohne Wirkung. Ganz unvermerkt veränderte sich die Lage ihres Herzens. Ihr Gemahl trat zurück, und Firnos zog in die Festung – schlich sich wie ein Spion hinein. Traue der Maske der Freundschaft nicht, Clara, die Vernunft hat den Freiheitsbaum noch nicht gepflanzt. Bloß Dankbarkeit droht diese Übergabe zu veranlassen. Sind die Wege der Liebe dir so fremd, daß du nicht einmal argwöhnest?

Firnos verließ Claras Sofa nie. Ganze Stunden saß er und heftete seine Augen auf sie oder auf ihre Arbeit, er tat alles, um sie zu zerstreuen, er gab ihr zu den bestimmten Stunden ihre Arznei, und wenn er ihre Krankheit verursacht hatte, so beschleunigte er auch gewiß ihre Genesung; aber indessen er ihre gute Meinung für sich immer mehr gewann, verlor er in seiner eigenen. Er beschuldigte sich einer unmännlichen Schwachheit, daß er nicht Stärke, nicht Mut genug besäße, ein Betragen zu behaupten, das ihm mehr sein Edelmut als seine Grundsätze vorgezeichnet hatten! Der Glaube eines Naïren erlaubte ihm zwar, jedes Weib zu lieben, aber, obschon es mehr Grille als Schuldigkeit war, so hatte er es sich doch zum Gesetz gemacht, sogar auch die Vorurteile Englands zu ehren.

Der Zufall spottete dieser Entschlüsse und trieb mit ihnen sein Spiel. Clara schien viel Vergnügen an seiner Gesellschaft zu finden, und die zuvorkommende Güte, mit welcher sie seine Aufmerksamkeit und sein Bestreben, ihr zu gefallen, annahm, lud ihn ein, es zu verdoppeln. Einst bat sie ihn, das Kissen unter ihrem Kopf wegzunehmen, eine Stecknadel vergaß ihre Schuldigkeit und ließ ihn einen Busen sehen, weißer als Schnee. Eine Bewegung verriet ihn, sie hatte das Herz nicht, zu zürnen, aber er sah nun seine Schwäche und seine Gefahr. Entschlossen, jede Versuchung zu vermeiden, bat er De Grey, den Tag zu ihrer Abreise nach London festzusetzen, als Edmund ankam. Beide Brüder flogen einander in die Arme. »Mein teurer Walter! mein lieber Edmund!« Wie viele Fragen folgten sich jetzt in einem Atem. »Keine Nachricht von Emma?« diese Frage verdüsterte auf einmal beider Gesichter. Edmund bewillkommnete Firnos. »Nun«, sagte er, »muß ich doch auch sehen, wie meine Frau sich befindet.« Wie gleichgültig waren dem Gemahl die Küsse Claras, die den Liebhaber unter die Götter würden versetzt haben.

»Mein neuer Freund,« sagte Edmund das erstemal, als er Firnos allein traf. »Ich will verdammt sein, wenn du nicht verliebt bist. Du seufzest und siehst gar erbarmungswürdig aus. Mut, mein Lieber, spiel' nicht den Heuchler gegen mich, keine Entschuldigung und keine Scheinheiligkeit. Einmal, aber auch nur einmal in meinem ganzen Leben verlor ich den Appetit, und da war ich verliebt. Du hast deinen Appetit verloren, folglich bist du verliebt. Und wenn ich eine schöne Frau sehe, die auf einen jungen wohlgebauten Mann zärtliche Blicke wirft, und dann rot wird wie ein welscher Hahn, oder wie eine Rosenknospe, oder wie die Finger des Morgens (für euch Liebhaber ist doch jede Vergleichung noch nicht delikat genug), muß ich nicht daraus schließen, daß auch sie verliebt ist?«

Firnos, ihm in die Rede fallend: »Ich hoffe, mein Herr, daß Sie keinen Verdacht gegen die Ehre und die Tugend einer Dame hegen.«

Edmund: »Wen sonst als eine Dame, wen anders sollte ich denn in Verdacht haben?«

Firnos: »Aber ein Weib von ihren liebenswürdigen Eigenschaften, ihrer erhabenen Seele, ihren körperlichen Vollkommenheiten!«

Edmund: »Die Wahrheit zu gestehen, ich habe wenig Kenntnis von Seelen, aber einen vollkommeneren Körper wünsche ich nie zu sehen. Ich könnte mich selbst in sie verlieben, wäre sie die Frau eines anderen, und nicht meine eigene.«

Firnos: »Dann wird es Sie weder beleidigen, noch befremden, daß Ihre Frau einen so tiefen Eindruck auf mein Herz gemacht hat; aber um eine Familie, die ich so hochschätze, nicht zu veruneinigen, bin ich willens, morgen nach London zu fahren.«

Edmund: »Mein Bruder hat mir gesagt, daß deine Landsleute ein komischer Schlag von Menschen wären, aber vielleicht haben einige unserer Schwarzröcke, die sonst nichts fortpflanzen können, das Christentum unter euch fortpflanzen wollen. Es ist wahr, ein junger Mann von deinem Alter und deiner Gestalt kann sich ganz artig in London amüsieren, aber ich werde dich nicht weglassen, denn ich habe dir noch einen Auftrag zu geben. Vor allen Dingen aber werde ich dir meine Geschichte erzählen, und gebe dir die volle Erlaubnis, so viel dabei zu gähnen, als du willst.

»Mein Bruder war listig genug, die Last des Ehestandes ganz allein auf meine Schultern zu wälzen, obschon es eine Knechtschaft ist, wovon wir jüngeren Brüder gewöhnlich befreit sind. Vielleicht hatte er nur zu oft hinter den Vorhang gesehen und wollte sich selbst nicht gerne fangen lassen. ›Bruder,‹ sagte er, ›wenn du dich entschließen kannst zu heiraten, so vertausche ich mein Erbteil mit dem deinigen.‹ ›Lieber Bruder,‹ antwortete ich ihm, ›für dein Vermögen heirate ich, wenn du willst, ein halbes Dutzend Weiber, und um dir zu zeigen, daß es mein Ernst ist, will ich dir hiermit sagen, daß ich gewählt habe.‹ ›Sachte, sachte,‹ sagte er, ›wenn ich dir einen so guten Kauf wie den jetzigen anbiete, darfst du nicht wegen einer Kleinigkeit streiten. Du mußt mir die Wahl für dich überlassen.‹ – Mein wohlweiser Bruder war entschlossen, daß ich ein Mädchen heiraten sollte, weil ich schon in eine andere verliebt war. Kätchen Bligh machte Aufsehen auf unserer Akademie. Der größte Spaß, den wir Studenten uns machen konnten, war, daß wir sie am Sonntag in der Kirche so lange anstarrten, bis sie die Fassung verlor; und wie glücklich war ich, wenn ich Feiertags bei der Witwe Bligh zu Mittag speiste. Einst warf ich die Tochter um, als ich sie in einem Kabriolett spazieren fuhr; sie flog in die Luft wie ein Pfannkuchen und ließ mich so manche Reize sehen, daß ich sie seitdem noch lieber gewann. Kätchen war eben keine Spröde, und doch konnte ich niemals zum Ziel kommen, ich mußte schlechterdings bloß mit ein paar rosenroten Lippen und dem schönsten Busen in der Christenheit vorliebnehmen.

»Meine Mutter erfuhr, daß ich sogar, nachdem ich die Akademie verlassen hatte, noch das Haus der Witwe besuchte, und fürchtete, daß vielleicht das alte Weib mich zu ihrem Schwiegersohn ausersehen hätte. ›Schäme dich, mein Sohn,‹ sagte sie, ›ich glaube, die De Greys und Dymocks wendeten sich in ihren Gräbern um, wenn du es wagen solltest, dich in eine solche Verbindung einzulassen:

Ehre das edle Blut, das in den Adern fließt,
In dessen reinen Strom sich keine Pfütze gießt.‹

»Clara Neville, eine reiche Erbin, wurde mir von meinem Bruder vorgeschlagen. Ich heiratete sie. Da ihr Gut an das unsrige grenzte, so gab beides zusammen ein prächtiges Revier zur Hetzjagd.

»Einige Zeit darauf besuchte ich die Witwe Bligh und wurde sehr kalt aufgenommen; ich blieb nun ohne Umstände weg, und sah sie auch nicht wieder bis vorigen Oktober, wo ich, als ich einmal nach London kam, ein sehr höfliches Billett von einer Frau Doktor Wilson, der Frau eines Lehrers an der Westminster-Akademie, erhielt, die mich um eine Unterredung bat. Ich wußte gar nicht, daß mein alter Schulmeister verheiratet war. Ich eilte zu dem bestimmten Rendezvous und Kätchen flog in meine Arme, in einigen Minuten waren wir so gute Freunde wie vorher. Jetzt hatte sie keine Ursache mehr, grausam zu sein. Der gute Doktor Wilson war ein Schirm für ihre Aufführung und ein Vater zu ihren Kindern. Welche glänzende Gelegenheit, seinen Schulmeister zum Hahnrei zu machen! Nie in meinem Leben habe ich einen ähnlichen Spaß genossen.

»Dieses Spiel haben wir nun seitdem immer fortgesetzt. Den ganzen vorigen Winter gab mir die Schulglocke das Zeichen, daß der alte Pedant auf dem Katheder und die Küste frei sei; und seitdem unsere Familie wieder für den Sommer auf das Land zurückgekehrt ist, bin ich beständig hin und her gereist. Vergangenen Monat kam ich in die Stadt, um Kätchen zu sehen, die erst ganz kürzlich ihren lieben Mann mit einem Sohn und Erben beschenkt hatte. Der gutmütige Mann aber, stolz auf seine Vaterschaft, wurde nun so überaus zärtlich gegen sie, daß er sie nie verließ, und einen Tag nach dem anderen wurde ich in der Hoffnung, sie zu sehen, getäuscht. Endlich erhielt ich ein Briefchen von ihr, worin sie mir meldete, daß der Doktor den kommenden Tag zu einem Gastmahl, das jährlich zu Ehren des Stifters der Akademie gegeben wird, abwesend sein würde, und daß ich sie in meinem Wagen abholen solle. Entweder ihre Niederkunft, oder machte es meine Ungeduld, genug, sie schien mir jetzt noch viel schöner, als sie je gewesen war. Meine Pferde liefen niemals so geschwind, und doch schienen sie mir immer noch zu langsam zu gehen. Wir kehrten in ein Wirtshaus ein, aber ein neugieriger Aufwärter hatte die Frechheit, uns immer zu beobachten, und suchte sich beständig etwas bei uns zu schaffen zu machen und uns zu unterbrechen. Wir waren also genötigt, ohne unsere Wünsche befriedigt zu haben, getäuscht und voll Ärger wieder zum Doktor zurückzugehen. Es war noch früh; ohne einen Augenblick zu verlieren, waren wir in Kätchens Zimmer und Kätchen auf dem Sofa.

»Ein Pastor könnte darüber moralisieren und ein Philosoph sein bißchen Vernunft auskramen, aber ich kann nur der Madame Fortuna einen derben Fluch an den Hals werfen über den schlechten Streich, den sie uns gespielt hat. In dem nämlichen Zimmer stand das Ehebett, wir aber zogen die freundlichen Anerbietungen des Sofas vor; nicht etwa eine abergläubische Ehrerbietung, damit das Allerheiligste des Ehestandes nicht profaniert würde, hielt uns davon zurück, sondern wir fürchteten, die Unordnung der Bettdecke, des Bettuchs usw. möchte uns in Westminster Hall verraten.

»Diesmal spielte uns aber unsere Klugheit einen schlimmen Possen; wer konnte aber auch denken, daß die Vorhänge des besagten Bettes den hochgelehrten Doktor Wilson verbargen?

»Der gute Pädagog hatte die Akademie, ihren Stifter und ihre Professoren so oft hochleben lassen, daß er seine spartanische Nüchternheit vergaß und wie ein wahrer Helot ein Schreckensbild der Betrunkenheit wurde.

»Einer seiner Kollegen, der noch nüchtern genug war, um bemerken zu können, daß er so übel zugerichtet sei, als ob er über den Hellespont geschwommen wäre, übernahm die Mühe, ihn nach Hause zu bringen, damit er die Dünste seines Rausches verschnarchen könnte. Eben jetzt war er wieder zu sich gekommen, er bemächtigte sich einer Rute, die, Gott weiß warum, über seinem Bett hing, schlich sich ganz sachte aus dem Bett, und ob nun aus Macht der Gewohnheit, oder noch halb im Taumel, rief er auf einmal aus: ›Ich will dich lehren, du Bube,‹ und fing nun an, seine Bekanntschaft mit einem Teil meines Leibes, der sich nicht gut nennen läßt, zu erneuern.

»Ich lachte wirklich so herzlich über den ganzen Vorgang, daß ich schwerlich würde so bald ernsthaft geworden sein, hätte der Doktor, der nun einmal in der Laune war, zu peitschen, nicht Miene gemacht, auch meiner Mitschuldigen eine körperliche Strafe angedeihen zu lassen, welche halb lachend, halb weinend und ohne Kraft sich zu widersetzen dastand und meines Schutzes bedurfte.

»Die Szene veränderte sich jedoch, und das Lachen war uns gar bald vergangen, denn der Doktor schwur, daß er mich verklagen und sich von seiner Frau wolle scheiden lassen, die nicht Heuchlerin genug war, die Büßende zu spielen.

»Das schlimmste ist aber nun, daß meine Frau so stolz ist wie Proserpina; würde ich des Ehebruchs mit einem anderen Weibe angeklagt, so würde sie mir eine solche Beleidigung nie vergessen, und obschon ohne Hoffnung einer gänzlichen Trennung würde sie sich doch auf jeden Fall von Tisch und Bett von mir scheiden lassen, und ich wäre alsdann gezwungen, ohne die Aussicht, meine gänzliche Freiheit zu erlangen, ihr Vermögen wieder herauszugeben, um dessenwillen ich sie doch geheiratet habe.

»Es ist wahr, lieber Firnos, unsere Bekanntschaft ist noch sehr neu, aber ich hoffe doch, daß du mir eine Glückseligkeit nicht abschlagen wirst. Ich ersuche dich nämlich, mir bald zu dem Glücke zu verhelfen, in die große Gesellschaft der Hahnreie aufgenommen zu werden, du setzest mich dadurch in den Stand, mein Weib durch Gegenbeschuldigungen in Respekt zu halten und Besitzer ihres Vermögens zu bleiben. Glaube mir, lieber Freund, ich würde nicht einen Augenblick anstehen, dir, wenn du es verlangst, dieselbe Gefälligkeit zu erzeigen; du siehst, was für ein närrischer Schlag von Menschen wir Engländer sind. Der erste Ehemann, der dir aufstößt, verlangt eine Summe Geldes, weil du sein Weib geliebkost hast, und der andere bittet dich, als ein Zeichen deiner Freundschaft, um ein Paar Hörner.«

Firnos: »Die Begriffe Ihrer Landsleute von Ehre wie von Keuschheit müssen wahrscheinlich ungemein von den unsrigen abweichen, denn sonst würden Sie es wohl nicht gewagt haben, mir einen solchen Vorschlag zu tun. Sie kennen meine Grundsätze in Rücksicht der Weiber: jeder Mann hat ein Recht, der Liebhaber eines Weibes zu werden, wenn sie ihm nämlich die Erlaubnis dazu gibt, aber ich war aus Achtung für Ihre Familie willens, diesem natürlichen Rechte zu entsagen.

»Dieses Opfer hätte ich der Freundschaft gebracht. Was gab Ihnen denn das Recht, mich für einen Verräter an der Liebe zu halten oder zu glauben, daß ich fähig sein könnte, mich in ein Komplott wider den Gegenstand meiner Neigung einzulassen? Könnte ich Vergnügen aus den Augen saugen, die nur zu bald in Tränen schwimmen müßten? Sollte ich eine Natter für den Busen nähren, an dem ich so sanft, so selig ruhte? Nein, da die Vollendung meiner Hoffnungen die Quelle ihrer Verzweiflung wird und der Triumph meiner Liebe ihre Eheketten nur noch mehr befestigt, gebe ich alle meine Hoffnungen auf und verbanne ihr Bild aus meinem Herzen. – Morgen reise ich nach London.«

Firnos eilte in den Garten, um seinen Kummer zu verbergen, denn es tat seinem Herzen sehr wehe, von Clara und ach! so bald zu scheiden. Am Ausgange von einem der entlegensten Gänge begegnete er Edmund, der seinen Tiefsinn unterbrach.

Edmund: »Firnos, deine Abreise würde uns sehr schmerzen und, gestehe es nur ohne Zurückhaltung, auch du würdest nicht ohne Schmerz von uns scheiden.

»Du hast mehr Verstand und vielleicht auch mehr Ehrlichkeit als ich, ich ehre deine Bedenklichkeiten und komme daher, dir einen anderen Vorschlag zu tun. Ich wünschte, das System der Naïren wäre auch bei uns in Großbritannien eingeführt; solange aber noch die Ehe besteht, muß jeder Ehemann entweder der Kerkermeister oder der Hahnrei seiner Frau sein. Was mich betrifft, ich füge mich in mein Schicksal; ließe ich mich von diesem Weibe scheiden, so bekäme ich vielleicht eine andere, die noch zehnmal schlimmer wäre, denn ein Weib muß ich ja doch einmal haben, um Nachkommenschaft zu erhalten. Bei allem dem wünschte ich sie aber doch glücklich und zufrieden zu sehen. Ich hoffe, daß deine Gesellschaft sie zu der Einwilligung vermögen wird, daß wir zusammen eine Ehe nach jetziger Art führen, wo jedes seinen eigenen Weg geht, und daß sie in deinen Armen, obschon als mein Weib, sich vollkommen glücklich fühlen wird. Sollte sie aber dessenungeachtet noch auf eine Scheidung bestehen, so verspreche ich dir feierlich, daß dein guter Erfolg bei ihr kein Hindernis sein soll, und sollte sie mich sogar der Untreue anklagen, so will ich ihr doch ihre Aufführung niemals vorwerfen.«

Firnos: »Und Sie versprechen mir dies?«

Edmund: »Auf Kavaliersparole, – hier ist meine Hand.«

Firnos konnte kaum sein Entzücken zurückhalten, er hatte nun seine Geliebte vor den bösen Folgen einer Liebschaft sichergestellt, auch ihres eigenen Mannes Vollmacht, ihr seine Liebe zu erklären. Die Glocke läutete zur Tafel, er erhielt seinen Platz neben Clara und war lauter Fröhlichkeit. Die ganze Gesellschaft bemerkte seine gute Laune.

Er ist nun ihr unverdrossener Bewunderer, das ganze Schloß spricht schon von ihnen, nur sie allein bemerkt seine besondere Aufmerksamkeit nicht. Wie geschäftig er ist, ihr den Mantel zu überreichen, wie geduldig wartet er, ihr den Arm zu geben! Er studiert den Chesterfield und Richardson, und so wie Achilles dem Alexander, so ist jetzt Lovelace dem Firnos das Muster der Vollkommenheit. Wie oft begegnet er ihren Augen, die zärtlich auf ihn geheftet sind, beide erröten, beide sind gleich verwirrt, aber bis jetzt hat er noch keinen anderen Beweis ihrer Liebe. Er wagte es, ihr seine Leidenschaft zu gestehen, eine stille Träne rollte über ihre Wange, sie seufzte und antwortete nicht. Ein anderer Liebhaber würde dies zu seinem Vorteil ausgelegt haben, aber Firnos war ein Sohn der Natur, der nicht in der Schule der Galanterie erzogen war. Seine Landsmänninnen, unbekannt mit aller Kunst, bekennen freimütig die Empfindungen ihrer Seele.

Sogar die Verwirrung, mit der eine Liebeserklärung gemacht wird, hat eine Art Beredsamkeit, die zum Herzen dringt. Auch Clara bemerkte dies an Firnos, und seine Zerstreutheit oder sein gänzliches Stillschweigen in der größten Gesellschaft brauchten ihrer Meinung nach keine Entschuldigung. Ach, Clara, sein Sieg würde nicht lange mehr ungewiß sein, könntest du ihn hören, wenn er ganz allein ist, mit welcher Leichtigkeit er alsdann seinen Gefühlen Worte gibt, die er in deiner Gegenwart nur wie ein Kind herstammeln kann. Wüßtest du, welche Mühe er sich gibt, jeden Gedanken und jede Empfindung, die du gegen ihn geäußert hast, in sein Gedächtnis wieder zurückzurufen; wie die geringste Kleinigkeit, wenn sie nur in der entferntesten Verbindung mit dir steht, ihm wichtig wird; wie jedes Band, die Farbe deines Kleides, ja jede Blume deines Straußes und die Art, wie er befestigt war, in seinem Gedächtnisse eingeprägt bleibt, wie er jeden Spaziergang, den du mit ihm gewandelt bist, bloß darum so häufig besucht, um an dich denken zu können, und auf jede Bank, die du mit ihm geteilt hast, sich setzt, um von dir zu träumen. Hier drückte er deine Hand, und du erwidertest mit einem leisen Gegendruck; hier schlugst du seinen Antrag aus, aber deine Blicke waren nicht in Übereinstimmung mit deinen Worten, sie erfüllten ihn mehr mit Hoffnung als mit Verzweiflung. Jetzt entdeckte er in ihnen einen verborgenen Sinn, den er vorher nicht gefunden hatte, er verwünschte nun seine Blödigkeit, wo er alles sollte gewagt haben, oder klagte sich einer unbescheidenen Dreistigkeit an, wo er in den Grenzen der kalten Höflichkeit sollte geblieben sein. Er runzelt die Stirn und geht, mit sich selbst sprechend, auf und ab. Er denkt darüber nach, wie er eine neue Erklärung einkleiden soll. Ach, armer Firnos!

Noch lange würde er wahrscheinlich Clara der Fühllosigkeit angeklagt haben, hätte nicht ein Zufall seine Wünsche begünstigt. Sie sah, wie sehr ihre Neigung gegen ihren Gemahl sich minderte, und zitterte bei der Entdeckung. So oft Firnos' Bild sich ihr darstellte, strafte sie sich selbst für dieses unwillkürliche Verbrechen, indem sie ihre Liebkosungen gegen Edmund verdoppelte. Durch Geduld suchte sie seine Besserung zu bewirken und seine Liebe zu verdienen, indem sie ihn der ihrigen würdiger zu machen suchte. Aber ach! ihre Zärtlichkeit brachte gerade die entgegengesetzte Wirkung hervor. Er, der sonst nur gleichgültig war, wurde jetzt grob.

Clara war entschlossen, eine Erklärung von ihm zu fordern, aber er vermied jede Gelegenheit, mit ihr allein zu sein. Sie ging in sein Zimmer, aber er war nicht darinnen. Kaum konnte sie sich aufrecht halten und war einer Ohnmacht nahe, als sie auf dem Tisch eine Karikatur erblickte, wo Edmund in einer sehr unzweideutigen Lage mit Kätchen vorgestellt wurde, indes der Pädagog, geschmückt mit einem Paar Hörnern und mit der Rute in der Hand, wie der Racheengel am Paradiese dastand. In dem Hintergrund sah sie sich selbst, niedergeschlagen und traurig, in Gelb, die Farbe der Eifersucht, gekleidet. Sie war an einen Meilenzeiger gebunden, in dessen Nähe zwei Rittersitze durch einen ungeheuren Ehering vereinigt waren.

Clara hatte kaum Kraft genug, aus dem Zimmer zu schwanken. Firnos begegnete ihr auf der Galerie, sah ihre Schwäche und brachte sie bis an ihr Zimmer, in welches er ihr zu folgen wagte.

Sie warf sich auf das Sofa und fing an, heftig zu weinen. Sie erzählte ihm, so gut es ihr Schluchzen und Seufzen zuließ, diese neue Beleidigung. »Undankbares Geschlecht,« rief sie aus, »sind wir arm, so werden wir die Schlachtopfer eurer Lüste, und sind wir reich, die Betrogenen eures Geizes! Vernachlässigt, betrogen und dem allgemeinen Gelächter preisgegeben, bleibt mir kein einziger Vorteil, den ich von dem Gegenstand meiner Neigung ziehe, als ein erklärter Haß gegen euch alle. Seine Schlechtigkeit soll für die Zukunft mich vor jeder Schwäche schützen.«

»Dann würden Sie sich selbst strafen, nicht rächen,« antwortete Firnos, indem er ihr die Hand drückte.

»Mich rächen! Ja, dies ist eine Sprache, die meinem Herzen willkommen, eine Sprache, die der Nevilles würdig ist. Genug der Tränen, Klagen und Seufzer! Ich will die Närrin nicht länger spielen; Rache sei meine Losung und Firnos mein Geliebter!« Sie sprang auf, warf die Arme um seinen Hals und zog ihn neben sich auf das Sofa; Firnos bedeckte ihr Gesicht und ihren Busen mit Küssen.

Firnos ging, um die Tür zu verriegeln.

»Nein,« rief Clara, »die Nevilles waren bisher ohne Tadel und werden immer ohne Furcht bleiben. Was sie tun, tun sie öffentlich, und wie sehr wünschte ich, daß mein Gemahl jetzt hereinträte, um Zeuge meines Triumphs zu sein. Aber weg von diesem Sofa – in das Hochzeitsbett. – Dort, wo seine keuschen Mütter seit Jahrhunderten ihre jungfräulichen Schätze darbrachten und wo er, der Heuchler, sich an meinem Erröten ergötzte, dort will ich meine Rache vollziehen.«

Er erholte sich zuerst von seinem Entzücken. Jetzt erst fing er an zu begreifen, daß seine unendliche Glückseligkeit kein Traum war. Er drückte sie an seinen Busen. O daß ihre Seelen auf ihren Lippen ineinanderfließen könnten. Ein hohes Erröten färbte ihre Wangen, die vorher blaß vor Arger waren. Sie liegt bewegungslos in seinen Armen und duldet bloß seine Umarmungen, ohne ihn zu reizen.

Ihr zweites Erwachen glich nicht dem ersten. Atemlos lag er an ihrem Busen und hatte für nichts anderes Sinn, als für die Gefühle des Augenblicks. »Was habe ich getan?« rief sie, »wozu hat mein Zorn mich verleitet?« Ein Strom von Tränen floß aus ihren Augen. Sie hatte die Folgen nicht überlegt, denen ihre Rache sie aussetzen würde. Er wollte sie in seine Arme schließen, sie stieß ihn aber mit Gewalt zurück. »Verlaß mich,« rief sie, »ich bin verloren; vorher war ich verachtet, jetzt bin ich verachtungswert, verächtlich in meinen eigenen Augen.« Firnos versuchte, sie zu beruhigen; so oft er sich ihr aber nahte, stieß sie ihn zurück.

Endlich glückte es ihm; wie beharrlich ist doch jeder Liebhaber und wie beredsam, wenn er wiedergeliebt wird. Seine Gründe siegen, indem er ihr die Vorteile zeigt, die sie aus einer nicht allein erträglichen, sondern sogar auch aus einer beneidenswerten Lage ziehen kann. Wie glücklich das Weib, das durch die üble Aufführung ihres Gemahls berechtigt wird, in ihren Handlungen nach ihrem eigenen Willen zu verfahren.

Sie antwortete nicht, aber ihre Tränen hörten auf zu fließen, ihre Klagen wurden sanfter, waren bloße Seufzer; Firnos wollte die kostbaren Augenblicke nicht verlieren. »Ach,« sagte sie mit erstickter Stimme, »wie unglücklich würde ich sein, wenn du mich auch betrögst.«

Firnos' Sieg hatte eine vollkommene Veränderung bewirkt, ein neuer Geist schien den alten Wohnsitz der De Greys zu beleben. Wenn die Gesellschaft bei der Tafel saß, saß das Vergnügen obenan, und Fröhlichkeit belebte das Gesicht eines jeden Gastes.

Edmund behandelte seine Gemahlin mit Höflichkeit, sogar mit Hochachtung. Als er sah, daß sie jeden Anspruch an seine Liebe aufgegeben hatte, wurden sie bald die besten Freunde. Freundschaftlich schüttelte er Firnos die Hand. »Wie sehr bin ich dir verbunden,« sagte er, »aber – doch ich will nicht weiter fragen.« – Er gab ihnen jede Gelegenheit, allein zu sein. Aber wie vergnügt war Firnos, der Urheber dieser Harmonie! Er ist der Held bei jeder Lustpartie, der Vereiniger jeder Gesellschaft, die Seele jeder Unterhaltung. Welche Blumen der Einbildungskraft in allem, was er sagt, wie glänzend seine Gedanken! Sogar auch Clara wagt es dann und wann, ihre Lebhaftigkeit zu zeigen, und scheint über sich selbst verwundert zu sein. Ein angenehmer Einfall zieht die Augen der ganzen Gesellschaft auf sie, ihr allgemeiner Beifall muntert sie zur Fortsetzung auf, und Edmund denkt manchmal bei sich selbst: »Ist dies meine Frau?«

Die Dauer dieser glücklichen Tage kann aber nicht ewig sein. Der kaiserliche Prinz von Kalekut hat sein Mutterland nicht verlassen, um Clara in die Gesellschaften zu begleiten oder den Damen von Berkshire Frühstücke zu geben. Der Agent De Greys meldete ihm, daß des Majors Familie eingewilligt hätte, die Verfolgungen aufzugeben, und daß er es jetzt wagen könnte, in London zu erscheinen, daß aber alle seine Erkundigungen nach der indischen Prinzessin bis jetzt noch fruchtlos geblieben wären. De Grey, dessen Sorgfalt Firnos anvertraut war, und welcher dem Samorin versprochen hatte, der Führer seiner Jugend zu sein, verzweifelte, daß er imstande sei, einen Mann, der so sehr in Liebe versunken war, zu bereden, den Gegenstand seiner Neigung zu verlassen, und musterte schon in Gedanken die Gründe, der er ihm entgegenstellen wollte. Wie erstaunte er aber, als Firnos schon bei der ersten Aufforderung erklärte, daß er bereit sei, mit ihm den folgenden Tag nach London zu gehen. »Wie glücklich würde ich sein,« sagte er, »wenn ich mein ganzes Leben mit einem Weib von so vortrefflichen Eigenschaften zubringen dürfte. O Clara, mit dir zu leben, mit dir zu sterben, wäre der Inbegriff aller meiner Wünsche, es wäre mir Seligkeit; aber mein Schicksal erlaubt es mir nicht. Meine Pflicht ruft mich weiter. Halte mich weder für fühllos, noch für unbeständig, wenn ich seiner Stimme gehorche. Lebe wohl, Clara, deine Verdienste bezaubern mich jetzt noch so sehr als jemals; und doch, wäre es nur möglich, daß durch unsere Liebe meiner Mutter Entdeckung nur einen Augenblick wäre verzögert worden, so würde ich es mir nimmer vergeben. Lebe wohl, Clara, ich verlange, ich wünsche keine Treue von dir; sei glücklich, wie du es verdienst. Ich verspreche dir auch keine Treue; denn ich halte, was ich verspreche. Aber dein Andenken wird mir ewig teuer bleiben, und deine Nachfolgerin soll dir keine Schande machen. Sie soll deines Liebhabers, deines Geliebten würdig sein.«

So sprach der Abkömmling der Semiramis und kehrte sein Gesicht weg, um eine Träne zu verbergen.

Wie betrübt war Clara, als er ihr die Notwendigkeit seiner Abreise erklärte, doch war sie zu vernünftig, um zu wünschen, daß er zurückbleiben möchte. Die Tränen des Abschieds flossen vereint ineinander, als De Grey zum Aufbruch mahnte und ihn antrieb, in den Wagen zu steigen. Edmund begleitete sie nach London, denn den folgenden Tag wurde er wegen des Ehebruchs verhört.

Da De Grey sehr viel Freunde in London hatte, die er nach seiner so langen Abwesenheit besuchen wollte, so nahm Edmund Firnos mit auf einen Maskenball, der von einer Dame von Stande gegeben wurde. Es war dem Prinzen eine ganz neue Erscheinung: Maskeraden, die Kinder des Karnevals, die Saturnalien der europäischen Weiber, zu welcher Zeit sie einer vorübergehenden Freiheit genießen, würden in Kalekut, wo die Weiber keine Masken brauchen, um frei zu sein, als überflüssig und töricht angesehen werden. Firnos konnte keinen besseren Begleiter haben als Edmund, denn dieser hatte eine ausgebreitete Bekanntschaft und war in der Chronique scandaleuse sehr wohl bewandert.

Fast von jeder Maske wußte er eine beißende Anekdote zu erzählen, wahr oder falsch, dies kümmerte ihn nicht; da er aber solche Erzählungen überaus liebte und Firnos viele Beweise darin fand, daß Gewohnheit und Vorurteil den weiblichen Geist doch noch nicht gänzlich unterdrückt habe, so erzählte der eine immerfort, indes der andere mit Vergnügen zuhörte.

Jetzt zeigte er ihm eine Dame, die sich von der Seite des schnarchenden Gemahls weggeschlichen hatte, um hier mit einem Liebhaber zusammenzutreffen, der ihrer Jugend und Schönheit würdiger war. »Sieh ihre Ängstlichkeit, wie sie jeden Domino ansieht. Armes Weib, ich fürchte, sie ist getäuscht und ihr Liebhaber hat sein Versprechen vergessen, und solch eine gute Gelegenheit kommt nun lange Zeit nicht wieder, denn nicht jede Woche ist Maskerade; o nein, da kommt er, der schwarze Domino mit dem rosenfarbenen Band um den Arm. Der Ritter trägt die Farbe seiner Dame. Sie gibt ihm einen Schlag mit dem Fächer, sie dreht sich um, er folgt ihr. Ich wünsche euch eine gute Nacht.«

Nicht lange nachher huschte eine weibliche Maske an ihnen vorbei, eine männliche folgte ihr und bat sie in den wärmsten Ausdrücken, ihr doch eine Zusammenkunft zu bewilligen. »Diese wollen wir im Gesicht behalten,« sagte Edmund, »vielleicht gewähren sie uns einigen Spaß.« – Die eine Maske fuhr in ihren dringenden Bitten fort, und sie beharrte auf ihrer Weigerung. »Gehen Sie,« rief sie, »Sie haben ja schon eine Frau.« – »Ja,« antwortete er, »aber eine, die Ihren Vollkommenheiten bloß zur Folie dienen kann und mein Vergnügen an Ihrer Unterhaltung nur vermehrt. Wie tölpisch und plump ist ihre Figur, welch ein Ebenmaß und welche Grazie in der Ihrigen, welcher Ausdruck in dem Auge! Herunter mit der bösen Maske, und ich schwöre bei den Ketten, welche die Macht Ihrer Reize mir angelegt hat, bei dieser schönen kleinen elfenbeinweißen Hand, daß, wenn die Schönheit Ihres Gesichtes den Reizen Ihrer Gestalt gleichkommt, ich zu Ihren Füßen sterben werde, zu den Füßen, von welchen mein Weib unwürdig ist, die Schuhriemen aufzulösen.« Die Dame demaskierte sich. – Himmel, es war sein Weib! –

Der Mann schien sehr niedergeschlagen und veränderte die Farbe, bald aber faßte er sich wieder, zwang sich zu einem Lachen und behandelte die ganze Sache als einen Spaß. »Dies ist das Vorrecht des Herrn und Gebieters in diesem Lande der Freiheit,« sagte Edmund; »wäre das arme Weib auf einer ähnlichen Untreue ertappt worden, so würde sie niemals ein Ende davon gehört haben, man hätte sie entweder in aller Stille zu ihren Freunden zurückgeschickt, oder man hätte sich ihrer auf eine englische Art entledigt und sie der Schande eines Kriminalprozesses preisgegeben.«

Firnos: »Aber welch eine ungeheure Menge Masken, der Saal füllt sich immer mehr, unerträglich ist die Hitze; eine Maske vor dem Gesicht muß schon hinlänglich sein, einen zu ersticken. Wie können die zarten Weiber dieses Landes es ertragen? Werden sie sich nicht demaskieren?«

Edmund: »Einige werden es wahrscheinlich tun, aber viele auch um keinen Preis. Es würde als ein Kompliment für die Dame des Hauses angesehen werden, welches sie berechtigen würde, jene zu besuchen.«

Firnos: »Ist sie nicht von Adel? Sollten jene sich nicht glücklich schätzen, ihre Höflichkeit erwidern zu können?«

Edmund: »Wenige von unseren angesehensten Damen können sich einer besseren Geburt rühmen, und obschon alle diese Masken sich sehr bereitwillig finden lassen, mit ihr zu essen und zu trinken und sich auf ihre Unkosten zu belustigen, so würde doch manche ihre Tür für sie verschließen. Man hat sie im Verdacht der Galanterie.«

Firnos: »Welch ein Unsinn! Was werden Sie mir noch vorreden? Aber wer kommt da? Eine schöne Gestalt, bei allen Mächten der Liebe. – Das Kleid einer Vestalin, aber der Gang eines Blumenmädchens – wie geschwind sie ist mit ihren Antworten – den jungen Stutzer hat sie gleich zum Schweigen gebracht.«

Edmund: »Ich kenne die Stimme – ich will darauf schwören, es ist Kätchen Bligh; wenn ich nicht irre, so hat sie schon dem Glase zugesprochen; ein oder zwei Gläser Champagner machen sie unwiderstehlich reizend. Leb' wohl, Firnos, du mußt jetzt für dich selbst sorgen.«

Als Firnos allein war, ging er zu den Tanzenden, aber er fand die reizenden Walzer seines Mutterlandes nicht. Die englischen Tänze, obschon angenehm, bleiben doch kalt und sind nicht einladend. Kaum daß die zwei Geschlechter einander im Vorbeigehen die Hand berühren, aber der Walzer von Kalekut vereinigt zwei Liebende. Eins ist mit dem anderen verwebt; sie scheinen unabhängig von der ganzen Welt. Des Geliebten Arm umschlingt den zarten Leib der Geliebten, ihre Hand ruht mit Wohlgefallen auf seiner Schulter, er atmet ihren Atem, er fühlt die Schläge ihres Herzens. Doch Firnos' Aufmerksamkeit lenkt sich von der Gesellschaft weg und gegen die Tür. Ein Weib von majestätischer Gestalt tritt herein, und – ist es keine Täuschung? in der Kleidung einer Naïrin. Ihre Größe, ihre Miene, ihre Kleidung, welche die Kleidung einer kaiserlichen Prinzessin war, versicherte dem Prinzen, daß es seine Mutter sei. Er konnte seinen Gefühlen nicht widerstehen, er zitterte ihr entgegen, fiel auf seine Knie und ergriff ihre Hand. »O meine teure Mutter,« rief er, und sank zu ihren Füßen in Ohnmacht.

Als er die Augen wieder aufschlug, fand er die Dame beschäftigt, ihn wiederherzustellen, sie hatte ihre Maske abgenommen, er sah die Gesichtszüge seiner Mutter (die er allerdings aus dem Porträt in der Galerie von Virnapor kannte). Sie fragte nach seiner Gesundheit. »Meine Mutter, meine liebe Mutter,« sagte er, »habe ich dich endlich gefunden, hast du deiner Familie, deinem Lande, deinem Firnos ganz entsagt? Wie viele Tränen sind wegen deines Verlustes geflossen, das ganze Reich ist wegen deiner in Trauer, ganze Provinzen tun Gelübde für deine Zurückkunft. Dein Bruder und deine Mutter sind untröstlich wegen deiner Abwesenheit, ich, dein gehorsamer Sohn, habe den Ozean durchstrichen, um dich zu suchen; endlich habe ich dich gefunden, dich, meine teure Mutter!«

»Armer junger Mann,« sagte die Dame, als sie sah, daß sie der Gegenstand einer allgemeinen Aufmerksamkeit wurde, »welche Sprache spricht er? Ich bin ganz erstaunt, er muß von Sinnen sein; ich hoffe, man wird so viel Menschlichkeit gegen ihn haben und nach ihm sehen.« – Wie froh war sie, als sie sich hinweggestohlen hatte.

Firnos suchte sie im ganzen Zimmer umsonst, er fragte jede von den Masken, die aus Neugierde oder Mitleid sich dicht um ihn versammelt hatten, aber keine von ihnen kannte sie. »Oh, sie ist meine Mutter,« rief er aus. – »Ihre Mutter,« sagten sie, »Ihre Mutter? Sie würde Ihnen wenig Dank für das Kompliment wissen, da sie kaum siebzehn Jahre alt ist.« – Endlich, da sie ihn ruhig sahen, verließen sie ihn, und als er so lange gewartet hatte, bis der Saal ganz leer war und der Tag durch die Fenster sah, kehrte er in der größten Unruhe zu Edmund De Grey zurück.

De Grey konnte kaum seiner Erzählung Glauben beimessen.

Firnos: »Aber die nämlichen Augen, dieselbe gebogene Nase, dasselbe dunkelbraune Haar – Größe, Gestalt, genug, jeder Zug so, als da sie sich malen ließ.«

Edmund: »Mein lieber Firnos, überlege doch, daß deine Mutter kein Mädchen von achtzehn Jahren sein kann, daß ihr Bildnis in Virnapor zwanzig Jahre zuvor gemalt wurde.«

Firnos: »Nein, nein, sie ist es selbst, sie hat ihre Schönheit so lange zu erhalten gewußt, die ganze Gesellschaft wurde durch ihre Jugendblüte getäuscht und irrte sich in ihren Jahren. Sie ist es selbst, aber sie hat ihrer Familie abgesagt und verleugnet ihren Sohn. O meine Mutter, hat dieses Land ein Herz wie das deinige verderben können?«

De Grey wurde durch seine Erzählung unschlüssig gemacht, er versprach, die Sache zu überlegen, aber zuvor müßte er seinen Bruder nach Westminster Hall führen, und da er Firnos in seiner jetzigen Lage nicht gerne allein lassen wollte, so überredeten sie ihn, sie zu begleiten.

Unerachtet alles dessen, was nur ein geschickter Advokat zu seinen Gunsten anführen konnte, wurde doch der arme Edmund zu einer Strafe von zehntausend Pfund verdammt.

Er war eben im Begriff, den Gerichtshof zu verlassen, indem er glaubte, daß sein Name und sein Stand ihm hinlänglich Kredit verschaffen würden, als er angehalten und ihm befohlen wurde, so lange in Gewahrsam zu bleiben, bis er bezahlt hätte. Firnos sah seine Verlegenheit, zog einen Ring von seinem Finger (ein Ring, wie ihn nur der Kronprinz von Kalekut besitzen konnte) und bot ihn als Sicherheit dar. Ein Jude, der zufälligerweise mit in dem Gerichtshof war, erklärte, daß selbst der König von Großbritannien kein so kostbares Juwel in seiner Krone habe. Der Richter verlangte, ihn zu sehen. »Junger Mann,« sagte er, »wollt Ihr für den Verklagten Bürgschaft leisten? Wer seid Ihr? Wer ist es, der einen solchen Schatz besitzt? Seid Ihr ein freier Mann Freier Mann – der das Bürgerrecht zu London hat.

Firnos: »Nicht allein ein freier Mann, Milord, sondern auch der Sohn eines freien Weibes, obschon kein Engländer, und je mehr ich von diesem Lande sehe, je weniger wünsche ich, einer zu werden. Mit welcher Bewunderung auch die benachbarten Nationen von der britischen Freiheit sprechen, so habe ich doch hier eine Hälfte des menschlichen Geschlechtes, ich meine Eure Weiber, als das Privateigentum des anderen gefunden. Fast in jedem Teil der Welt geborene Sklavinnen, müssen sie sich noch glücklich schätzen, wenn es ihnen erlaubt ist, ihre Kerkermeister zu wählen, aber unter den noch despotischen Regierungen von Rußland, Spanien und Venedig sind sie, wenn schon Gefangene, doch nicht in Ketten, sie haben die Freiheit eines Pferdes, das einen Strick um die Füße hat. Das Weib ist Herr über ihren eigenen Körper und kann ihre Reize dem Gegenstand ihrer Neigung überlassen. Aber nur in Großbritannien geschieht es, daß der Mann den Lohn von seines Weibes Vergnügen für sich behält und mit so weniger Schonung die Strenge des Gesetzes gegen den anwendet, der sich in ihr Schlafzimmer eingedrängt hat, als wollte er einen, der in sein Haus eingebrochen, oder der in seinen Garten übergestiegen ist, oder einen Wilddieb seiner Herrschaft verfolgen.

»In diesem Lande habe ich die Weiber so sklavisch behandeln sehen, daß es nicht möglich war, ihnen noch mehr Schimpf anzutun. Nein, und wenn Ihr sie zeichnetet, wie Ihr Eure Schafe zu zeichnen gewohnt seid, so würde es mich nicht wundern. Eure Weiber sind weniger frei als die Sklavinnen in Euren Kolonien; die Negerin, wenn sie ihr Tagewerk vollbracht hat, hat doch wenigstens die Erlaubnis, in besten Armen zu ruhen, den sie sich selbst wählt. –

»Aber ich predige hier tauben Ohren, denn Eure Vorurteile sind so tief eingewurzelt, daß Ihr sogar den armen Wilden von Tahiti ihre natürlichen Rechte mißgönnt, jene Rechte, welche Ihr eigenmächtigen Despoten nicht genießen dürft. Sogar Euer Heinrich der Achte war so gut ein Gegenstand des Mitleids als des Abscheus. Vielleicht wird ein zukünftiger Tyrann der Südsee, ein Glaubensverteidiger, dessen Wille so wie der seinige Gesetz ist, und dessen gerunzelte Stirn auch sogar den Hartherzigsten mit Schrecken erfüllt, doch in Zukunft der Sklave jenes Aberglaubens werden, den Ihr unter ihnen verbreiten wollt; dann wird er eine größere Straflosigkeit im Mord, als in der Unbeständigkeit finden, und genötigt werden, mit einem neuen Gegenstand seiner Begierden durch das Blut ihrer Vorgängerin zum hochzeitlichen Bette zu waten. Das Blut der dortigen Anna Boleyn, auf dem Schafott vergossen, komme über Eure Nation. Auch sogar der erklärteste Feind des Despotismus würde gewiß die Nachbarschaft der Bastille der dieses Ehegerichts weit vorziehen.«

Der Richter war über einen Redner, der gegen die Würde des Gerichtshofes sich solche Freiheiten erlaubte, ganz erstaunt, aber der Wert des Diamanten machte ihn unschlüssig, was er tun sollte, und er ließ den jungen Naïr ungestraft weggehen. »Schade, daß er nicht im Parlament ist,« sagte eine weibliche Stimme. Um dem Beifall des Pöbels auszuweichen und um so geschwind wie möglich fortzukommen, nahm De Grey den ersten besten Fiaker anstatt seines eigenen Wagens.

Der Prinz saß ganz still neben ihm, seine Gedanken beschäftigten sich mit dem Abenteuer der vergangenen Nacht, als plötzlich etwas Schimmerndes in einer Ecke des Wagens seine Augen an sich zog.

Sein Entzücken war über alle Beschreibung, es war das Bildnis seiner Mutter. Sein Herz wollte zerspringen, seine Brust hob sich, er setzte sich wieder nieder und konnte keinen Laut von sich geben, fest faßte er De Greys Hand, Freudentränen drangen in seine Augen. »Meine Mutter, meine Mutter,« stammelte er endlich. De Grey untersuchte das Porträt. »Ist dies das Bildnis der Prinzessin Agalva?« –

»Ja,« antwortete Firnos, »es ist das nämliche, das sie vergangene Nacht trug, diese goldene Kette hing um ihren Hals.«

»Wenn dies ihr Bildnis ist,« antwortete De Grey, »so glaube ich schwerlich, daß die Prinzessin ihr eigenes Porträt tragen würde.«

De Grey ließ den Fuhrmann halten und fragte ihn.

»Ah! so wahr ich lebe,« sagte dieser, »ist dieses Bild die fremde Dame, die ich diesen Morgen nach Bedlam (dem Tollhause) gefahren habe.« – »Keine Frechheiten, Schurke!« rief De Grey, indem er ihn beim Kragen faßte. – »Nein, gewiß nicht, Euer Gnaden, so wahr ich hoffe selig zu werden, es ist wahr. Der Wagen eines vornehmen Herrn brach diesen Morgen auf der Straße entzwei, Madame stieg in den meinigen und befahl mir, nach Bedlam zu fahren. Ich für meinen Teil war mit dem Spaß gar nicht zufrieden. Ich fahre keine Bedlamskutsche, dachte ich, aber sie betrug sich sehr ruhig. Ich vermute, sie ist aus Stolz toll geworden, denn sie war wie eine Prinzessin auf dem Theater geputzt und bezahlte mir den Fuhrlohn doppelt, welches noch ein Beweis mehr ist, daß sie toll ist, denn Leute von Verstand zanken sich um jeden Heller.« – Das Wort toll war ein Donnerschlag für den Prinzen, die Möglichkeit, daß seine Mutter ihrer Sinne beraubt sein könnte, leuchtete ihm ein. »Dies allein«, sagte er mit einem Seufzer, »erklärt ihr Betragen von vergangener Nacht.« – Endlich wurde der Kutscher über den langen Aufenthalt ungeduldig und fragte sie, wo er hinfahren sollte. »Lasset uns das Beste hoffen,« sagte der Prinz und befahl ihm, nach Bedlam zu fahren.

Vergebens fragten sie nach einer indischen Prinzessin, De Grey zeigte dem Aufseher das Porträt. – »Nein,« sagte dieser, »das ist die junge Miß Montgomery. Ein Kavalier ist hier eingesperrt, der sich einbildet, aus einem Lande zu sein, das viele tausende Meilen von hier liegt, und weil seine Heirat sein Unglück hier verursacht hat, so erzählte er, daß dort gar keine Ehen wären. Wenn er guter Laune ist, so ist er sehr unterhaltend und erzählt so viele schöne Sachen von einer Stadt, welche er Kalekut nennt, daß mein Weib und meine Tochter ihm ganze Stunden zuhören. Das Fräulein kam ihn zu besuchen, er fiel auf seine Knie und schwur, daß sie eine Prinzessin sei, und sie, um ihn bei Laune zu erhalten, besucht ihn öfters in einer Maskeradenkleidung. Sie ist jetzt bei ihm.«

Als die zwei Freunde nach einer Zelle geführt wurden, hörten sie ein lautes Rufen um Hilfe. Sie eilten dem Orte zu und fanden einen Wahnsinnigen, der ein Weib in der Kleidung einer Naïrin heftig umfaßt hielt. Jedes Zeichen von Tollheit war in seinem Gesichte, seine Haare standen empor, er knirschte mit den Zähnen, und die Kleidung von beiden war durch den langen Kampf zerrissen. Die Raserei gab ihm noch einmal so viel Kräfte. »Hilfe, Hilfe,« rief sie, »heut ist er schlimmer als jemals.« – Beim Anblick des Aufsehers ließ der Wahnsinnige seine Beute fahren.

»Nein,« sagte er, »deine fühllose Grausamkeit verdient keine bessere Behandlung; ich verließ mein Mutterland, meine Familie, meine Mutter, um dir zu folgen, und du willst mich in einem Lande, wie dieses ist, verlassen?«

Seine Hände fielen bewegungslos herab, seine Knie zitterten, er lief, soweit es ihm seine Kette erlaubte, dann warf er sich nieder und verbarg sein Gesicht in das Stroh, man hörte seine Seufzer: »Die Prinzessin will mich in dem Lande der Barbaren verlassen,« rief er schmerzlich aus.

Die Dame wendete sich zum Aufseher. »Ich borgte sein Lieblingsgemälde gestern von ihm, um es auf der Maskerade zu tragen; ich fürchte, ich habe es verloren. Er vermutet nun, daß ich willens sei, nach Kalekut zurückzukehren, und daß ich ihn sogar um dieses Zeichen meiner sonstigen Gunst beneide. Heute hat er seine gewöhnliche Ehrerbietung beiseite gesetzt, und obschon er mich noch für die Prinzessin hält, so ist er sogar auch heftig und gewalttätig gegen mich gewesen.« –

Sie drehte sich um und erschrak heftig. Zu ihren Füßen lag der nämliche Jüngling, dessen Betragen auf der Maskerade sie so sehr außer Fassung gebracht hatte. Er hatte das Porträt mit der Kette um seinen Hals. –

»Himmel,« rief sie aus, »was sehe ich!« – »Deinen Sohn,« seufzte Firnos und badete ihre Hand mit Tränen. »O meine Mutter, meine teure Mutter.« – »In der Tat äußerst seltsam,« sagte sie, »ich weiß nicht, was ich davon denken soll.«

»Verzeihen Sie, schöne Dame,« sagte De Grey, der am ersten seine Sprache wiedererhielt, »wer Sie auch immer sein mögen, so sehe ich doch an Ihrer Jugend, daß Sie die Prinzessin nicht selbst sein können, wahrscheinlich aber sind Sie doch nicht ganz unbekannt mit ihrem Schicksal. Dies ist der Prinz von Kalekut, welcher nach England gekommen ist, um seine so lange verlorene Mutter wiederzusuchen, auch er wurde durch Ihre große Ähnlichkeit mit seiner Mutter getäuscht.«

»Wie?« antwortete sie. »Der Sohn Agalvas? – die ich nie sah, aber von der ich schon so viel gehört habe, daß ich sie von ganzem Herzen liebe. Willkommen in England!«

Firnos: »Wo ist meine Mutter?«

Sie: »Ihre Mutter – ist sie nicht nach Kalekut zurückgekommen? Es sind nun siebzehn Jahre, daß sie England verlassen hat.«

Wenige Fragen bestätigten die traurige Wahrscheinlichkeit, daß seine unglückliche Mutter auf ihrer Rückreise in der See ihr Grab gefunden hätte.

Der Schmerz des Prinzen war still und traurig, und endlich löste er sich in Tränen auf. Camilla und De Grey nahmen beide tiefbewegt eine seiner Hände, sie konnten bloß mit ihm klagen, Trost konnten sie ihm nicht geben. »Und wer ist der Fremde,« fragte der Prinz, »der sich so sehr um ihr Schicksal bekümmert?«

Camilla: »Es ist Naldor, ihr Landsmann, den sie bei ihrer Abreise in England zurückgelassen hat.«

Firnos: »Ach, wie oft habe ich seine Mutter über seine Abwesenheit klagen hören. Armes Weib, ihr Herz wird bald darüber brechen.«

Der Prinz warf sich bei ihm nieder und umfaßte ihn, aber der Wahnsinnige mit einem gefühllosen Hinstarren schien weder über seine Liebkosungen erstaunt, noch bei seinen Tränen gerührt zu sein; als er aber das Porträt erblickte, riß er es von seinem Halse herunter und wurde nun ganz ruhig.

Es war nun Zeit, dieses Haus des Elendes zu verlassen. »Ich kam in einem Fiaker hierher,« sagte Camilla. »Eine Kutsche mit vier Pferden warf meinen Wagen an der Ecke einer Straße um; in jener erblickte ich eine von meinen Bekannten, ein unbesonnenes Mädchen von fünfzehn Jahren, die ein unwürdiger Glücksritter in seinen Schlingen hält und eben jetzt nach Gretna Green Gretna Green. In England darf man sich nicht ohne dreimalige Bekanntmachung verheiraten. Alle minderjährigen Ehelustigen, die zu einer unklugen oder entehrenden Verbindung die Einwilligung ihrer Familie nicht erhalten können, müssen nach Schottland entlaufen. Dort ist gar keine weitere Zeremonie notwendig, wechselseitige Erklärung, als Mann und Weib leben zu wollen, ist hinreichend.
Gretna Green, ein elendes Dorf, ist der erste Grenzort, und ein Grobschmied der vornehmste Einwohner desselben. Er wird mit vielem Gelde bezahlt, durch sein Zeugnis die Eheketten zu schmieden. Auf der Landstraße nach Schottland ist es ein alltägliches Schauspiel, eine Postkutsche im vollen Laufe zu sehen, die das Schicksal eines verliebten Paares führt – und eine halbe Stunde darauf, gleichfalls über Hals und Kopf, Väter, Brüder oder Vettern, die Verliebten einzuholen. Oft muß die Behendigkeit der Pferde entscheiden, ob eine betrogene Erbin und die Ehre einer berühmten Familie vor der Verbindung mit einem Glücksritter gerettet wird.
entführte.

»Der Schaden, den mein Wagen erlitten hat, verdrießt mich nicht, vielleicht rettet sie dieser Verzug (denn auch ihre Kutsche ist umgeworfen worden) von Verderben. – Aber vielleicht ist auch mein Wagen wieder ergänzt und wartet unten. Wollten Sie mir erlauben, Sie mit mir nach Hause zu nehmen und Sie meiner Mutter vorzustellen, welche eine der besten Freundinnen und Verehrerinnen der Prinzessin ist, und die Ihnen auch wahrscheinlich noch bessere Auskunft von ihr geben kann.«

Auf dem Wege dahin erzählte ihnen Camilla Naldors Unglücksfälle. Nach Agalvas Abreise wurde er mit einem Weibe von schlechtem Charakter bekannt, die ihn überredete, mit ihr die Reise durch Großbritannien zu machen. In einem Gasthof in Edinburg brach auf einmal der Wirt in das Zimmer, und da er sie beide im Bette überraschte, beschuldigte er ihn, daß er sein Haus wie ein Bordell behandele. Seine niederträchtige Bettgefährtin flüsterte ihm zu, daß er sie für sein Weib ausgeben solle; er, unbesonnen genug, willigte ein und wurde nun wegen ihrer Schulden, deren immer eine nach der anderen zum Vorschein kam, in Anspruch genommen und zur Bezahlung gemahnt. Als sie den guten Erfolg ihrer List sah, floh sie mit einem begünstigten Liebhaber und verließ ihn im Gefängnis. Schrecklich ist die Lage für einen jeden, aber unerträglich für einen Naïr! Er hatte jetzt einen Bund geschlossen, der eine Entehrung der Religion seiner Vormütter war, und das Weib, das ihn zu dem unwillkürlichen Abfall verleitet hatte, verlachte jetzt seine Leichtgläubigkeit und spottete seiner Verzweiflung. Er mußte alle Hoffnungen zur Rückkehr in sein mütterliches Haus aufgeben, konnte nun nicht mehr seine alte Mutter trösten, seine Schwester beschützen und den Pfad der Ehre wandeln, den seine Oheime als Staatsmänner und Krieger schon vor Jahrhunderten betreten hatten. Seine erlittenen Unglücksfälle machten ihn wahnsinnig, er wurde aus dem Gefängnis in das Tollhaus gebracht. Zuzeiten machte er eine so seltsame Beschreibung von seinem Lande, daß die ganze medizinische Fakultät darüber erstaunte, und der schottische Doktor, welcher zum Direktor des Bedlams ernannt wurde, wünschte einen so seltenen Patienten besser beobachten zu können; so wechselte nun Naldor das Spital von Edinburg mit seinem jetzigen Aufenthaltsort.

Unterdessen wurde er von seinen Freunden in London vermißt, die einige Jahre hindurch in gänzlicher Unwissenheit seinetwegen waren. Endlich, einige Monate zuvor, ehe Firnos nach England kam, hatte Camilla ihre Mutter und älteste Schwester nach Bedlam begleitet, um es zu besehen, wo sie Naldor fanden. Er hielt sie für Agalva, und seit der Zeit hatte sie ihn öfters in einer Kleidung, welche die Prinzessin in England zurückgelassen hatte, besucht, und so oft er sie in der naïrischen Kleidung erblickte, wurde er, sogar wenn er in dem heftigsten Anfall von Raserei war, gleich ruhig.

Sie hielten jetzt vor einem schönen Hause in einem der ersten Quartiere Londons. Camilla führte ihre Gäste in den Saal und ging, um ihre Mutter damit bekannt zu machen. Mistreß Montgomery erschien bald darauf und umarmte Firnos mit der Zärtlichkeit einer Mutter. »Willkommen, Firnos,« sagte sie, »sehen Sie wohl, wie gut ich mich Ihres Namens noch erinnere, wie oft habe ich ihn von Ihrer Mutter aussprechen hören. Mit welcher Ungeduld würde ich Sie nach meiner Freundin, meiner Wohltäterin, meinem Schutzengel gefragt haben, aber leider höre ich, daß Sie ebenso wenig von ihrem Schicksal wissen als ihre Freunde in England, ja als ich selbst, welche nun Monate und Jahre lang ihre Briefe erwartet und ihre gemutmaßte Nachlässigkeit auf das schmerzlichste empfand; ich glaubte schon, sie hätte die Freundin vergessen, welche sie liebte, ehrte und fast anbetete, welche sie vor Verzweiflung rettete, und die ihr ihr Leben, ihre Gefühle, ja alles dankte.«

Sie nahm die Hand des Prinzen und vermischte. die Tränen mit den seinigen. In einer halben Stunde vereinigte sie die herzlichste Freundschaft.

»Unglückliche Agalva,« sagte Mistreß Montgomery, »teure großmütige Freundin, welches Elend magst du ausgestanden haben, wenn du noch am Leben bist. Laßt uns das Beste hoffen, laßt uns hoffen, daß dasselbe gute Geschick, das gestern und heute durch Ihr und Camillas Zusammentreffen uns bewiesen hat, daß es noch nicht ganz von uns gewichen ist, und das meiner Dankbarkeit das Vergnügen Ihrer Bekanntschaft gemacht hat, daß dieses auch tätig zugunsten Ihrer Mutter sein wird. Die vorsichtige Prinzessin, vielleicht mit einer Ahnung ihres Schicksals, gab, ehe sie von England abreiste, ihr Tagebuch in die Hände Naldors, und da dieser unglückliche Mann immer von Stadt zu Stadt reiste, vertraute er es glücklicherweise vor seiner Reise nach Schottland mir an.«

Mistreß Montgomery holte das Tagebuch, und die zwei Freunde kehrten zu Edmund De Grey zurück.


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