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Einleitung

Über die Vorteile des Systems der Galanterie und Erbfolge bei den Naïren.

Die Naïren sind der Adel auf der malabarischen Küste, und nach ihrer Behauptung der älteste Adel in der ganzen Welt; denn schon die ältesten Schriftsteller von Hindostan erwähnen der Freiheit der Naïr-Damen, mehrere Liebhaber zu haben. In ihren Häusern, die alle einzeln stehen, sind ebenso viele Türen, wie die Dame Liebhaber hat. Wenn einer sie besucht, so geht er rund um das Haus herum und schlägt, zum Zeichen seiner Ankunft, mit seinem Säbel auf seinen Schild. Hat die Dame keinen Gesellschafter bei sich, so läßt er einen Bedienten mit seinen Waffen in einer Art von Vorhof zurück. An bestimmten Tagen erhält sie von allen ihren Liebhabern zugleich Besuch.

Nur die Mutter hat die Sorge für die Kinder; sogar der Samorin und die übrigen Fürsten haben keine anderen Erben, als die Kinder ihrer Schwestern; und so sind sie, da sie keine Familie haben, immer bereit einem Feinde entgegenzugehen. Sind die Neffen in dem Alter, daß sie die Waffen führen können, so folgen sie ihrem Oheim. Der Name Vater ist einem Naïr-Kinde unbekannt; es spricht von den Liebhabern seiner Mutter, aber nie von seinem Vater. So waren die Naïren, die man jetzt besonders an den Küsten von Malabar findet. Das mächtige Reich aber, welches ihnen in dieser Erzählung beigelegt ist, wird man wie Liliput und Brobdignack vergeblich in einer Geographie suchen. Hindostan steht eigentlich unter der Regierung von Sultanen, Subahs, Rajahs und Nabobs, und ist nicht in Herrschaften und Fürstentümer abgeteilt.

Man hat diesem Utopien eine Feudal-Regierung gegeben, weil die Ausführbarkeit des Systems der Naïren von Liebe und Erbfolge, wenn es nicht gegen eine Regierung streitet, wo alle Privilege und Freiheiten der Geburt gelten, unter einer einfachen Konstitution noch weit wenigeren Zweifeln unterworfen sein wird. Das Paradies der Muttersöhne ist bloßes Ideal; in Rücksicht der Sitten und Meinungen der Perser und anderer orientalischen Völker aber sind die besten Schriftsteller benutzt worden. Die meisten der europäischen Anekdoten sind auf Tatsachen gegründet. Die Absicht dieses Werkes ist, die Möglichkeit einer Nation zu zeigen, die ohne Ehe die höchste Zivilisation erreicht hat. Dies ist ein Paradoxon, doch: on est convenu, wie Mercier sagt, d'appeller de ce nom toute verité nouvelle, qui n'a pas encore eu son passeport.

* * *

Als die Meinungen über die Rechte des Menschen alle Köpfe in Verwirrung setzten, mußte jeder Vorurteilsfreie mit Vergnügen auf die Stimme einer Schriftstellerin Frau Wolstonecraft-Godwin, Verfasserin des Buches über die Rechte der Weiber 1792, in welchem Jahre diese Vorrede geschrieben wurde. hören, die ganz allein auftrat, mit bescheidenem Mute die Rechte der Weiber zu verteidigen und ihre unrühmliche Lage mit Wahrheit und Gefühl zu schildern. Während daß die Barone zu Runnymead Zu Runnymead mußte der von den Baronen des Reichs überwundene König Johann im Jahre 1216 die Magna Charta unterzeichnen. sich mit ihrem Souverain wegen ihrer verletzten Vorrechte entzweit hatten, nahmen der arbeitsame Landmann und der betriebsame Handwerker die Gelegenheit wahr, den Druck der Sklaverei zu endigen. Jetzt also, jetzt oder nie, ist es Zeit, für die eine Hälfte des Menschengeschlechts die Ketten zu zerbrechen, welche Gewohnheit oder Tyrannei ihr geschmiedet haben, und ihre natürlichen Rechte zu behaupten.

Leider hat sich das eine Geschlecht gleichsam verschworen, das Unglück des anderen, das wegen der Fortpflanzung den Unbequemlichkeiten und Schmerzen des Gebärens unterworfen ist, zu vermehren, und nach einer abscheulichen Politik diesen notwendigen Unterschied zu einem untrüglichen Zeichen der Unterwürfigkeit zu machen.

Man beweise aber, warum diese Unterwürfigkeit nötig sei, und worin sie bestehe? Ob sie in Eigenschaften des Körpers oder des Geistes ihren Grund habe? Ob sie aus den unabänderlichen Ratschlüssen der Natur, oder einem zufälligen Erziehungssystem entspringe?

Solange der Bruder und die Schwester noch in der Kinderstube zusammen leben, solange sind sie auch an Kenntnissen einander noch gleich. Darf man aber die Fortdauer dieser Gleichheit erwarten, wenn man bedenkt, wie verschieden sie nachher behandelt werden?

Der Knabe, dessen Eltern von Stande sind, wird in eine öffentliche Schule geschickt, wo er mit Kindern von gleichem Alter umgeht. Er wählt sich unter diesen seine Freunde aus und rächt mit eigener Hand jede Beleidigung, die ihm zugefügt wird. Sein Körper wird durch männliche Übung gestärkt, und überall findet er Gelegenheit, Proben seines Mutes zu geben. Sein Wetteifer wird durch ausgesetzte Preise gereizt; man lehrt ihn, daß die Achtung, die er sich unter seinen Gespielen zu verschaffen wünscht, nur aus vorzüglicher Geschicklichkeit entspringen könne; und selbst die Autorität, welche die höheren Klassen über die niederen haben, und die unter den Schülern eingeführte Subordination ist ein großer Sporn zu seiner Vervollkommnung. Man gibt ihm die ausgesuchtesten Werke des Altertums in die Hände und setzt ihn dadurch in den Stand, die älteren und neueren Sitten miteinander zu vergleichen. Man lehrt ihn sich mit der Vaterlandsliebe eines Brutus zu begeistern und ein unbekanntes Publikum mit einer Rede von Cicero oder Demosthenes zu unterhalten.

In den Ferien ist es ihm erlaubt, jeden Winkel der Stadt zu durchstreifen, alles zu sehen und zu hören, was zu sehen und zu hören ist; in jede öffentliche Versammlung zu gehen, aus dem Senat in eine Marionettenbude, aus dem Gerichtshofe in einen Auktionssaal. Er kann einem Wettrennen beiwohnen und hat auch zugleich Gelegenheit, die menschliche Natur am Spieltische zu beobachten. Zu allem diesem kommt nun noch der so wichtige Vorteil des Reisens. Er darf vor jedem gekrönten Haupt erscheinen, und er wird in die Geheimnisse jeder Regierungsform eingeweiht. Er bildet sich durch die Unterhaltung und Gesellschaft mit Damen von Stande und Erziehung und lernt alle Arten von Menschen an einem Wirtstische kennen. Mit jedem Tage erweitern sich seine Kenntnisse, seine unrichtigen Begriffe verschwinden, und seine Vernunft wird durch die Beobachtung der Vorzüge anderer immer mehr ausgebildet.

Wie sehr ist die Erziehung des anderen Geschlechts von dieser verschieden. In Ländern, wo es keine Klöster gibt, in welchen die weibliche Jugend bei katholischen Völkern erzogen wird, bringt man das junge Fräulein im frühesten Alter in eine Kostschule, wo sie mit eben der Wachsamkeit, wie eine Sultanin im Serail des türkischen Kaisers, verwahrt wird. Der Umgang mit anderen Mädchen ihres Alters wird ihr zwar gestattet; aber immer nur unter der Aufsicht einer Gouvernante, die, vielleicht der Auswurf eines fremden Landes, sich glücklich fühlt, ihre Autorität über ihre weiblichen Zöglinge durch Tyrannei zu zeigen. Musik und Tanz, die man, wenn sie bei der Erziehung der Knaben eingeführt werden, doch nur überhaupt als Beschäftigung einer müßigen Stunde und als Erholung von ernsteren Studien ansieht, werden für die unentbehrlichsten Dinge gehalten, wovon das ganze Fortkommen des weiblichen Zöglings abhängt; und die verschiedenen Arten von Nadelarbeiten, von denen einige freilich wohl ihren großen Nutzen haben, sind gewiß nicht fähig, die Bildung ihres Verstandes zu befördern.

Ihre Lehrmeister sind die einzigen Mannspersonen, die sie sieht, oder vielleicht ein alter Bedienter, der für jede unbedeutende Leckerei, wonach sich die kleine Näscherin sehnt, bestochen werden muß; denn sogar ihre Taschen, wenn sie von einem Besuch bei ihren Anverwandten zurückkommt, werden untersucht. Ihre kleine Büchersammlung ist der strengsten Zensur unterworfen. Jede freie und ungezwungene Bewegung wird ihr als ihrem Stande unangemessen und für ihre Kleidung schädlich vorgestellt, und man bildet ihr ein, daß selbst eine affektierte Delikatesse und jedes Zeichen von Furchtsamkeit ihrer Person einen unwiderstehlichen Reiz geben werde. Zuweilen erhält sie Erlaubnis frische Luft zu genießen; aber auch diese für ihre Gesundheit notwendige Gewohnheit wird einem unnatürlichen Zwang unterworfen. Sie muß in Gesellschaft ihrer Gespielinnen gehen, die so regelmäßig nebeneinander gepaart werden, als wäre der Kasten Noahs das Ziel ihres Spazierganges.

Endlich kommt nun zwar die frohe Stunde, die sie von den Ketten der Schule befreit, allein die Freiheit, nach der sich jedes menschliche Wesen sehnen muß, flieht wie ein Schattenbild vor ihr; denn auch jetzt wird sie nicht einmal so frei als der zehnjährige Knabe. Will sie eine Freundin besuchen oder etwas kaufen, das sie gerade nötig hat, so darf sie sich nicht umsehen, ohne von einem Bedienten begleitet zu werden; und wie oft wird sie nicht aus Mangel an einer Begleiterin in ihrer Hoffnung getäuscht, an einer öffentlichen Lustbarkeit teilzunehmen? Wird eine Maskerade angekündigt, so muß sie alle Zwischenzeit anwenden, ihren Putz in Ordnung zu bringen.

Der junge Mann hingegen ist mit allen seinen Anstalten in einer zehn Minuten langen Unterhaltung mit seinem Schneider fertig. Romane und Rittergeschichten sind ihre einzige Lektüre, denn an Belehrung wird selten gedacht. Dem Jüngling hingegen ist immer jede Leihbibliothek offen gewesen, und er hat schon längst Geschmack an solchen Ungereimtheiten verloren.

Kann wohl jemand dies für eine zweckmäßige Erziehung halten? Ja, wenn die Frau dem Manne von Verstand zur Spielpuppe dienen soll; dann freilich, aber wahrscheinlich nicht, wenn er eine Freundin und Gesellschafterin an ihr haben will. Der Mann, der Beherrscher, hat es beschlossen, durch ihre Unwissenheit das Ansehen zu befestigen, das ihm nur der Zufall über seine Schwester gab. Die Brahminen von Hindostan befolgen eine ähnliche Politik, sie verurteilen jedes Mitglied einer niedrigen Kaste, dessen profane Neugier sich unterstehen sollte die heilige Schrift zu lesen, als einen Verbrecher.

Da die Erziehung der beiden Geschlechter bei den höheren Ständen am meisten voneinander abweicht, so muß hier eine größere Verschiedenheit der entwickelten Kräfte und Anlagen stattfinden. Bei den niederen Ständen findet man weit mehr Gleichheit unter beiden Geschlechtern, und diese Gleichheit hat ihren Grund darin, daß auf das männliche keine so ausgezeichnete Aufmerksamkeit gerichtet, und das weibliche keinem so großen Zwang unterworfen wird. Machte man den Versuch, zwei Personen aus beiden Geschlechtern, die auf dem Lande erzogen worden wären und niemals das Dorf verlassen hätten, miteinander zu vergleichen, so würde die Mannsperson in den Eigenschaften des Geistes keinen Vorzug behaupten.

Ob das weibliche Geschlecht dem männlichen an körperlichen Kräften so nahe als an Geistesfähigkeiten komme, ist freilich noch zu bezweifeln. Allein vielleicht aus demselben Grunde, aus welchem der Tagelöhner eine größere Leibesstärke hat als der, welchen der Mangel niemals zur Handarbeit zwang, der Sänftenträger robuster ist als der Kavalier, und der Bauer stärker als der Gutsherr, besitzt das männliche Geschlecht mehr körperliche Stärke als das weibliche.

In Ländern, wo die Weiber gewöhnt sind, auf dem Felde zu arbeiten, Lasten zu tragen, viele Beschwerden auszustehen und sich jeder Veränderung von Hitze und Kälte auszusetzen, sind sie von den Männern weder durch einen schwachen Körperbau, noch durch zarte Weichlichkeit unterschieden. Als einmal in England bei einer Zurüstung zum Kriege die Furcht vor dem Pressen die Steinkohlenschiffer zu Hause hielt, wurden in einigen Provinzen ihre Barken von ihren Weibern geleitet; und es ist nichts Ungewöhnliches, auf der Themse Weiber von jedem Alter mit Stangen und Rudern Schiffe regieren zu sehen, selbst an Orten, wo der Strom am reißendsten ist. Welcher Reisende wird nicht durch das männliche Aussehen einer Poissarde zu Calais überrascht? Und ein Fischweib zu Billinsgate würde einen ganzen Haufen von St. James-Stutzern in die Flucht jagen.

Kann aber wohl jemand an der Gleichheit der Geschlechter zweifeln, da wir täglich so viele Beispiele von weiblichen Fähigkeiten vor uns sehen? Es haben sich Frauen Es ist ein Vorurteil, wenn man annimmt, daß die Geisteskräfte des Weibes geringer seien, als die des Mannes, weil vielleicht kein Weib in irgendeiner Wissenschaft den Grad der Vollkommenheit erreicht hat, auf dem einige ausgezeichnete Männer gestanden haben. Wie klein ist die Anzahl der Weiber, die sich irgendeiner Wissenschaft gewidmet haben, und doch haben sich einige hervorgetan. Mit welchem Grunde kann man dann behaupten, daß sie weniger Geistesgaben besitzen, weil unter der zahllosen Menge der Männer einige gewesen, deren Größe sie nicht zu erreichen vermöchten? Man kann nicht behaupten, daß gerade die fähigsten Weiber sich aus eigenem Triebe auf diese oder jene Wissenschaft gelegt haben. Nur diejenigen, welche durch einen besonderen Zufall Gelegenheit und Mittel dazu erhielten, haben diese oder jene Kunst, diese oder jene Wissenschaft erlernt. Sie dürfen unter den Wissenschaften nicht die auswählen, wozu sie eine besondere Neigung fühlen. Die meisten lernen nur, was ihre Eltern wissen. Wenn irgendein Mädchen aus eigenem Triebe eine Vorliebe zu einem Zweig des Wissens zeigte, so hatte sie gewiß mit tausend Schwierigkeiten zu kämpfen. Der Jüngling hingegen, wenn er Vergnügen und Hang, Geschicklichkeit und Genie besitzt, wird von allen Seiten in seinem Lieblingsstudium unterstützt. Bei diesen Umständen ist es zu bewundern, daß es den Weibern noch so oft gelingen konnte. Die Fortschritte, die sie gemacht haben, beweisen ihre Fähigkeiten; und daß einige Männer sie übertrafen, beweist nicht, daß das eine Geschlecht dem andern an Geistesgaben überlegen ist. (»Mann und Weib«.) durch Anstrengung ihrer Geisteskräfte in der gelehrten Welt zu einer solchen Höhe emporgeschwungen, daß viele Männer stolz sein würden, mit ihnen an Talenten wetteifern zu können. Frankreich hat Weiber hervorgebracht, deren Name allenthalben verehrt wird, wo man seine fast allgemein studierte Sprache versteht. Auch Deutschland hat Schriftsteller unter dem Geschlechte, das man das schöne und mit Unrecht das schwache nennt, die sich in jedem Zweige der Gelehrsamkeit ausgezeichnet haben; und ein Verzeichnis von englischen Schriftstellerinnen würde für diese Abhandlung zu weitläufig werden. Der größte Teil der Produkte dieser vielen Schriftstellerinnen besteht zwar in Romanen und Rittergeschichten; allein dies hat seinen Grund in einer fehlerhaften Erziehung und nicht in dem Mangel an Talenten.

Wenn sich die Gelehrsamkeit der Weiber nicht weiter als auf Romane und Rittergeschichten erstreckt, so darf man auch nicht erwarten, daß ihre Feder etwas Wichtigeres hervorbringen werde als ein Gedicht oder eine Erzählung. Die Ausarbeitung solcher Kleinigkeiten erfordert aber ebensoviel Genie und Geschmack, wenngleich nicht soviel Tiefsinn, als Werke ernsthafterer Art; und an Genie und Geschmack fehlt es den Weibern nicht. Fragt man den Politiker, welches europäische Reich mit der größten Kraft und Energie regiert werde, so wird er sagen: Rußland.

Ein Geist von gigantischer Stärke war es, der eine Frau auf einen Thron setzte, welchen nur die größte Unerschrockenheit zu besteigen wagen durfte. Eben dieser gewaltige Geist setzte diese außerordentliche Frau in den Stand, sich die Zuneigung einer Nation zu verschaffen, deren Sprache ihr schon so viel Hindernisse in den Weg legte, daß nur die entschlossenste Standhaftigkeit sie zu überwinden hoffen durfte; und derselbe sagte ihr, wann und wo sie die rohen und verschieden denkenden Stämme eines Vierteils der Welt mit dem eisernen Zepter des Despotismus bändigen, oder durch eine milde und sanfte Behandlung zur Folgsamkeit bringen sollte.

Und wer noch an der Kraft und dem Umfang weiblicher Fähigkeiten zweifelt, der weise unter dem männlichen Geschlechte einen vollkommeneren Charakter auf, als die Ritterin von Eon, In einer der schwierigsten öffentlichen Stellen, in dem Posten eines Gesandten, erwarb sich diese Frau die Zufriedenheit ihres Monarchen und den Beifall ihres Vaterlandes. Sie ertrug alle Beschwerlichkeiten einer militärischen Laufbahn und gab bei mehreren Gelegenheiten Beweise ihres Mutes und ihrer Seelengröße. Sie führte mit gleichem Glücke die Feder und den Degen, und noch übertrifft die sechzigjährige Dame vor den Augen eines über ihre Geschicklichkeit erstaunenden Publikums die geübtesten Fechtmeister.

Man könnte vielleicht diese Beispiele für bloße Phänomene und Ausnahmen von einer allgemeinen Regel halten; und man würde recht haben, wenn ein philosophischer Beobachter eine Menge Mädchen versammelt und aus diesen eines, das sich durch vielversprechende Talente auszeichnete, ausgewählt und, um die Größe weiblicher Fähigkeiten beurteilen zu können, demselben eine besondere Erziehung gegeben hätte. Da aber, wie bekannt, ein besonderes Familienverhältnis die männliche Erziehung des Fräulein von Eon verursachte, so kann man mit Recht annehmen, daß andere Frauen, die eine ähnliche Erziehung genossen hätten, zu derselben Höhe von Vollkommenheiten gelängen würden.

Das abgeschmackte Wesen, was man oft an Mannspersonen bemerkt, hat hauptsächlich in der schlechten Erziehung des weiblichen Geschlechts seinen Grund. Der Gelehrte findet Vergnügen in der Gesellschaft des Gelehrten, und der Ungelehrte sucht den Umgang des Laien. Eine Frau, deren ganze Aufmerksamkeit nur auf Putz und Zerstreuung gerichtet ist, kann natürlich an keiner ernsthaften Unterhaltung Geschmack finden; und ein junger Mann, dessen Alter der Wunsch, dem anderen Geschlechte zu gefallen, so angemessen ist, muß, um den Beifall desselben zu erlangen, ein Geck werden. Daher werden die kostbarsten Jahre des Lebens oft mit bloßen Tändeleien hingebracht. Genössen hingegen die Weiber eine zweckmäßige Erziehung, so würde der Stutzer mit Verachtung übersehen werden, und der Mann von Verstand immer den Vorzug erhalten, den er verdient.

Da nun das weibliche Geschlecht dem männlichen unstreitig gleich ist, so ist kein Grund mehr da, warum das Weib dem Manne, als warum der Mann dem Weibe gehorchen soll. In den ersten Zeiten der Welt wurde zwar, zufolge der mosaischen Tradition, das Weib bloß als die Magd Einige behaupten, das Weib sei lediglich zum Nutzen des Mannes geschaffen. Der westindische Pflanzer könnte auch sein Betragen also rechtfertigen und behaupten, daß der liebe Gott den Schwarzen in Afrika seinetwillen geschaffen hätte. (»Mann und Weib«.) ihres Herrn und Gebieters betrachtet: aber dies schrieb ein Mann; wäre es von einem Weibe geschrieben worden, so würden wir auch eine andere Erzählung erhalten haben. Und darf man sich noch wundern, daß solche Meinungen bei den Patriarchen Eingang erhielten, und an den Höfen der Könige David und Salomon, wovon der letztere in seinem Serail zu seinem eigenen Gebrauche und Vergnügen siebenhundert Weiber und dreihundert Kebsweiber hatte, mit Beifall aufgenommen wurden?

Es hat wahrscheinlich Weiber gegeben, und gibt deren auch noch, die aus wahrer Größe der Seele sich entschlossen, den Geschlechtstrieb, der doch jedem Geschöpfe so natürlich ist, zu unterdrücken, um der Herabwürdigung eines lästigen Joches zu entfliehen. Einen solchen erhabenen Geist hatte die Königin Elisabeth von England. Gewarnt durch das unglückliche Geschick ihrer Schwester, die, statt in ihrem Gemahl einen vernünftigen Gesellschafter zu finden, einen übermütigen und gebietenden Herrn bekam, lehnte sie großmütig jedes ihrer Eitelkeit schmeichelnde Anerbieten ab und unterdrückte den so natürlichen Wunsch, den Thron ihrer Väter auf eigene Kinder zu übertragen.

Die Ehe scheint ausschließlich zum Vorteil des Mannes eingeführt zu sein. Auf das Weib ist ganz und gar keine Rücksicht genommen Sogar in dem unkultivierten Zustand, den man als einen Zustand der Unschuld betrachtet, mißbrauchen die Männer ihre Gewalt. Der Druck, dem die Weiber in der neuen Welt unterworfen sind, verursacht ihre sehr schwache Bevölkerung. Diese Tyrannei ist allgemein, aber nirgendswo so grausam als an den Ufern des Orinoko. So freigebig auch die Natur hier ist, so trifft man in diesen Gegenden doch nur wenige Einwohner an. Die Mütter ermorden ihre neugeborenen Töchter, indem sie die Nabelschnur so kurz abschneiden, daß sie sich verbluten. Sogar das Christentum vermochte nicht, diese scheußliche Gewohnheit abzuschaffen. Der Jesuit Gumilla erzählt, daß er einmal einer Neubekehrten, die einen solchen Mord begangen hatte, ihr Verbrechen auf die nachdrücklichste Art verwiesen hatte. Das Weib hörte den Missionar mit der größten Aufmerksamkeit an und bat nachher um Erlaubnis zu antworten.
»Wollte Gott,« sagte sie, »Vater, wollte Gott, daß meine Mutter Liebe und Mitleid genug gehabt hätte, mir alle die Leiden zu ersparen, die ich bereits ausgestanden, und die mir bis an das Ende meines Lebens noch bevorstehen. Hätte meine Mutter mich bei meiner Geburt vernichtet, so wäre ich gestorben, ohne den Tod zu fühlen, und glücklich meinem traurigen Schicksal entgangen. Wie viel habe ich gelitten. Wie viel muß ich noch leiden.
»Bedenkt, Vater, wie die Indianer ihre Weiber unterdrücken; sie begleiten uns auf das Feld, haben keine Last als Pfeile und Bogen. Wir müssen ein Kind in einem Korb und einen Säugling an der Brust tragen. Sie verlassen uns, um einen Vogel zu schießen oder einen Fisch zu fangen, wir müssen graben. Sie kehren leicht und ohne Last nach Hause zurück, wir müssen ihnen bei ihrer Zurückkunft Wurzeln zum Essen und Mais zum Trinken vorlegen. Sie unterhalten sich, besuchen ihre Freunde und schlafen nach dem Abendessen ein, indem wir die Nacht durch Mais mahlen und Chika bereiten müssen; und was ist unser Lohn? Sie trinken die Chika, und wenn sie betrunken sind, ziehen sie uns bei den Haaren herum und treten uns mit Füßen.
»Vater! Wollte Gott, meine Mutter hätte mich bei meiner Geburt vernichtet. Du weißt, ob meine Klagen gegründet sind; was ich dir jetzt gesagt habe, siehst du täglich; aber viele unserer Martern bleiben dir unbekannt. Hart ist das Los des Weibes, das die Sklavin ihres Mannes ist, die den ganzen Tag im Schweiß ihres Angesichts arbeiten muß, und sogar die Nacht keine Ruhe genießt; aber schrecklicher ist ihre Lage noch, wenn der Mann nach zwanzig Jahren ein junges, unvernünftiges Weib nimmt; sie prügelt uns und unsere Kinder, behandelt uns als Mägde, und bei dem kleinsten Wortwechsel, bei dem geringsten Widerstand, fällt auch der Mann mit dem Prügel über uns her. Ach Vater, wie kannst du verlangen, daß wir dieses Elend geduldig ertragen sollten. Kann eine Indianerin wohl besser und menschlicher handeln, als wenn sie ihr Kind von einem Joch befreit, das tausendmal ärger ist als der Tod. Ich sage es noch einmal, ich wünschte, daß meine Mutter Liebe genug für mich gehabt, mich umzubringen, als ich das Tageslicht erblickte. Mein Herz hätte nicht so viel leiden, meine Augen nicht so viel weinen müssen.« ( Raynal, 12. Buch.)
Mit weniger Brutalität, aber mit gleicher Parteilichkeit und Ungerechtigkeit besteht die Ehe unter den meisten Völkern der Erde. Es wäre zu mühsam, die Beispiele zu sammeln, aber diese Stelle des Abt Raynal zeigt nicht nur den elenden Sklavenzustand, worin das Weib allerorten gehalten wird, sondern beweist zugleich, daß ihre Leibesschwäche nur allein von Inaktivität und Mangel an körperlicher Übung herrühre.
. Sie muß allen seinen Einfällen folgen, ohne sich im mindesten seinen Befehlen widersetzen zu dürfen. Sie muß seiner Bequemlichkeit wegen ihre Wohnung verändern und, um nach seinem Willen zu leben, alle Freundschaftsverbindungen ihrer Jugend aufopfern. Sie muß geduldig seine Abwesenheit ertragen, wenn es ihm einfällt, sie zu verlassen. Wenn er ihr ewige Treue geschworen hat, mit welchem Rechte darf er ohne ihre Erlaubnis in Krieges- oder Seedienste treten? Ist er berechtigt, eine lange Reise zu unternehmen und sie vielleicht in der Blüte der Jugend, da ihre Leidenschaften am heftigsten sind, zurückzulassen, um ihre verwitweten Nächte in der Einsamkeit durchzuschaudern? Ist es so leicht, die Rolle der Penelope zu spielen, wenn sie vermuten muß, daß unterdessen ihr Ulysses seine Schätze an eine orientalische Tänzerin verschwendet, oder den Becher der Kirke aus der Hand einer Mulatten-Schönheit empfängt? Ein heutiger Ehemann würde sehr überrascht werden, wenn er bei der Rückkehr von seinem Morgenspaziergange hörte, daß seine Gattin eine Reise nach Bath unternommen hätte, um an einem Balle teilzunehmen; ungeachtet er ganz und gar kein Bedenken tragen würde, ohne ihr das mindeste zu sagen, sie zu verlassen, um einem Pferderennen zu Newmarket beizuwohnen.

Man möchte vielleicht den Einwurf machen, daß kein Staatskörper, keine gelehrte Gesellschaft, keine politische Versammlung ohne einen Präsidenten gehörig bestehen, und daß die Ehe nicht fortdauern könnte, wenn nicht eines der Eheleute mit der oberen Autorität bekleidet wäre. Ist dies wirklich so, so ist die Ehe eine ungerechte und unpolitische Einrichtung, durch deren Aufhebung die Sklaverei des einen Geschlechtes geendigt, ja die Glückseligkeit beider Geschlechter gemehrt werden würde. Selbst die Bevölkerung, weit entfernt dadurch zu leiden, würde sogar dadurch befördert werden.

Es liegt von Natur in der menschlichen Seele ein solcher Widerwille gegen alles, was Zwang ist, daß jedes Vergnügen seine Kraft zu erfreuen verliert, wenn es das Ansehen einer Pflicht gewinnt. Schriebe man dem Trunkenbold den Wein als eine Medizin vor, so würde er ihm wie die bitterste Arzenei schmecken; und der Jüngling, der nicht auf die Lehren seines Hofmeisters hört, wird den Ratgebungen eines bloßen Freundes, der ihm zu befehlen kein Recht hat, freiwillig folgen. Der mindeste Zwang ohne Not ist nicht nur eine Verminderung der Freiheit und folglich auch der Glückseligkeit, sondern hebt auch den beabsichtigten Vorteil auf. Darf man also wohl nicht billig an der Weisheit des Gedankens, Treue erzwingen zu wollen, zweifeln? Keine Beobachtung im Tierreich kann denselben rechtfertigen.

Solange noch die Leidenschaft dauert, welche zwei Liebende zur Ehe vereinigt, solange hat man auch Hoffnung, daß ihre Ehe nicht unfruchtbar sein werde. Folgt aber Gleichgültigkeit und Abneigung auf die Freuden des Genusses: so müssen alle zwangvollen Bande nicht nur zu einer Quelle von Verdruß für das getäuschte Paar werden, sondern auch der Staat wird dadurch zweier Mitglieder beraubt, weil sie nun keine neue Verbindung eingehen dürfen, von der man sich einen besseren Erfolg versprechen könnte. Diese Behauptung wird noch mehr durch die Bemerkung bestätigt, daß, wenn die ersten Jahre des Zusammenwohnens von keinen Kindern beglückt sind, wenig Wahrscheinlichkeit da ist, daß aus dieser Ehe überhaupt Kinder erfolgen werden. Es gibt mancherlei Ursachen, weswegen eine Ehescheidung verlangt werden kann, welche die Menschheit mit Freuden bewilligen muß, und die Politik nicht verweigern kann.

Unter allen großen Städten von Europa ist Berlin die einzige, wo die jährliche Bevölkerung zunimmt, und eben dort wird die Ehe bloß für einen einfachen Kontrakt gehalten, der nach Gefallen der Kontrahenten aufgehoben oder erneuert werden kann. Die Liebe war die Ursache ihrer Verbindung; hat die Ursache aufgehört, so lassen sich keine heilsamen Folgen weiter erwarten. Die Absicht der Ehe wird ebenso vollkommen durch die Gleichgültigkeit vereitelt, als dies durch den Tod des einen oder anderen Teils geschehen würde, und beide sollten als verwitwet betrachtet werden und völlige Freiheit haben, wieder neue Verbindungen einzugehen. In dem ganzen protestantischen Teile von Deutschland wird die Ehescheidung ohne viele Schwierigkeit bewilligt, wenn eine der Parteien des Ehebruchs oder einer Ausschweifung, die dem Vermögenszustande der anderen Partei nachteilig ist, überführt werden kann. Auch wird sie selten einem Paare versagt, das gegenseitig seine Einwilligung zur Trennung gibt.

Wie lächerlich ist doch die weit ausposaunte Freiheit des Briten im Vergleich mit diesem unschätzbaren Rechte, welches die Deutschen genießen, die er, durch Vorurteile und Stolz verleitet, für Sklaven hält! Würde wohl ein vernünftiger Preuße, wiewohl er in keinem Parlamente repräsentiert wird und, wenn man ihn anklagt, nicht auf die Entscheidung einer Jury dringen kann, seine Lage mit der Lage eines Engländers vertauschen; und für die Freiheit – ungestraft einen beleidigenden Kupferstich oder eine Satire gegen die vornehmsten Personen im Staat zu verbreiten, oder das britische Lieblings-Nationalvergnügen zu genießen, nämlich das Strohbild eines beim Volke verhaßten Ministers zu verbrennen – das Recht aufgeben, die Gefährtin seines Lebens zu wählen und zu verändern?

Das verehelichte Paar hat sich zwar gegenseitig ewige Beständigkeit gelobt; aber ist der Mensch, auf den man sich in den unwichtigsten Angelegenheiten nicht verlassen kann, der alles, was er verlangt hat, sobald er's besitzt, wieder verwirft, der nach jedem Genusse seufzt, den er noch nicht gehabt hat, der seine Leidenschaften und Meinungen ebenso oft verändert, als der Schneider die Form seiner Kleider – ist der fähig, etwas Beständiges zu versprechen? Sollte der, dessen Vernunft durch Gewohnheit erstickt oder durch Vorurteil geblendet wird; dessen wetterwendischer Charakter in der Kraft der Gesundheit und in der Stunde der Krankheit zweierlei ist, und dessen Chamäleons-Laune heute diese, morgen wieder eine andere Farbe annimmt – sollte der die Sprache der Untrüglichkeit annehmen und gleich dem Donnerer der Alten mit einem unwiderruflichen Winke seine stolzen Beschlüsse bestätigen? Erfahrung ist das Vorrecht des Alters; und kann man nicht hoffen, mit jedem hinzukommenden Tage weiser zu werden? Welches vernünftige Wesen würde auf diesen Vorzug Verzicht tun und unsinnig seine Augen gegen die Strahlen der Überzeugung verschließen. So weise auch jemand sein mag, so ist doch jeder Zuwachs seines Verstandes fähig, seinen Handlungen ein von dem vorigen so verschiedenes Licht zu geben, daß er an ihrer Schicklichkeit zweifeln kann. Niemand sollte sich daher einer ewigen Verpflichtung unterwerfen.

Solange sich noch zwei Liebende umeinander bewerben, solange sucht jedes von ihnen in den Augen des anderen liebenswürdig zu scheinen, und es muß für beide Teile schwer sein, gegenseitig den wahren Charakter des anderen kennen zu lernen. Kein viehischer Wollüstling oder roher Landjunker wird seiner Schönen vor der Hochzeit eine Straßennymphe oder ein Jagdpferd vorziehen. Kein Spieler wird seine Göttin mit den Flüchen des Pharotisches oder den burschikosen Ausdrücken eines Renommisten unterhalten, und um den häuslichen Liebhaber zu fangen, verwandelt sich die prachtliebende Kokette in eine empfindsame Schäferin und plaudert von Eingezogenheit und Mutterpflichten. Wie oft schmeichelt sich der betrogene Bräutigam, eine Cornelia nach Hause zu führen, und findet eine Messalina.

Kaum aber ist der unglückliche Knoten geschlungen, so zerstreut die Sonne der Vernunft die Dünste der Leidenschaft und zeigt in ihren wahren Farben die Szenen, welche eine verliebte Einbildungskraft unrichtig dargestellt hatte. Ist die Stunde gekommen, wo die beiden Liebenden sich nun nicht mehr trennen können: so werden sie vor dem Abgrunde schaudern, in welchen sie gefallen sind; aber keine Fruchtbarkeit ihres Genies wird imstande sein, sie aus dem dädalischen Labyrinth herauszuführen. Zu spät werden sie dann von der Unmöglichkeit ihres Gelübdes überzeugt werden. Läßt sich erwarten, daß eine Liebe von Dauer sein werde, wenn die Gegenstände derselben der Achtung unwürdig sind? Kann ein tugendhafter Mann eine unmoralische Frau verehren? Oder kann man von einer vernünftigen Frau verlangen, einem Manne, der an Geistesfähigkeiten weit unter ihr steht, zu gehorchen? Glücklich ist das Herz, das aus Mangel an Gefühl ruhig die Unvollkommenheiten eines geliebten Gegenstandes ertragen kann, wenn die Hand der Zeit die Maske der Täuschung weggerissen hat! Denn vielleicht bald wird das gefühlvollste Weib die viehischen Liebkosungen eines taumelnden Trunkenboldes dulden müssen, und nur das Klopfen an der Haustür dem Ehemanne die Rückkehr seiner teuren Ehehälfte verkündigen. Ein jedes, der Gesellschaft des anderen müde, lebt nach eigenem Gefallen; die Jagdbelustigungen rufen den Mann aufs Land, währenddem der Aufenthalt in der Stadt seiner Gattin jede Zerstreuung verspricht. Der Mann, müde des Jochs, von welchem er sich nicht losmachen kann, und verhindert, eine andere ehrenvolle Verbindung einzugehen, sucht seinen Kummer in den Armen einer niedrig und schlecht denkenden Weibsperson zu vergessen; und seine Gattin trägt kein Bedenken, seine Vernachlässigung zu erwidern und ihr einladendes Auge auf irgendeinen neuen Liebhaber zu werfen. Auf diese Art werden die Kinder eines Fremden die Erben von seinem Vermögen, unterdes seine eigenen Kinder das Brot des Elends essen und vielleicht ein ruchloses Leben durch einen schandvollen Tod endigen müssen.

Wie bedauerungswürdig ist die Lage der Person, die durch jugendliche Leidenschaft verblendet einem der Dankbarkeit und Zärtlichkeit unfähigen Gegenstand ihre Freiheit aufgeopfert hat; besonders wenn diese Verbindung nachher die betrogene verhindert, eine glücklichere Wahl zu treffen. Welcher vernünftige Richter würde ihr die Trennung dieser quälenden Verbindung versagen? Oder wer würde dem einzigen Abkömmling eines alten Hauses, dem alle seine Hoffnungen zu einem Erben durch die Unfruchtbarkeit seiner Gemahlin vereitelt werden, verbieten können, sich von ihr trennen zu dürfen?

Ebenso muß auch jeder Menschenfreund das Schicksal eines hintergangenen Weibes beklagen, das in der Blüte der Jugend zu den kalten Umarmungen eines unvermögenden Gatten Ist es nicht schade, daß das erste Glas vom Jünglinge – denn wie soll er es anders machen – einer Buhlschwester zugebracht wird und die Hefen für ein ehrliches Mädchen aufbewahrt werden? Wer kann es diesem verdenken, wenn es sich zu seiner Zeit nach einer frischen Bouteille umsieht? (»Über die Ehe«.) bestimmt ist, und das aus mißverstandener Delikatesse nicht beim Richter ihre Klage vorzubringen wagt.

Würde auch keines von beiden hintergangen, und das liebenswürdigste Paar mit allen Gaben des Geistes und mit körperlichen, durch die Kunst noch erhöhten Reizen beschenkt, so ist doch das Menschenherz der Veränderung unterworfen und seine Unbeständigkeit ein gemeines Sprichwort. Alle Vorzüge, die auch der eine Teil besitzt, sind vielleicht nicht imstande, in den Augen des andern den Mangel einer ganz unbedeutenden Eigenschaft zu ersetzen. Ein schön getanztes Menuett eines zum ersten Male gesehenen Herrchens kann die Burg der Weibertreue bestürmen, und die melodische Stimme einer Ausländerin das Männerherz; in Flammen fetzen. Geben dann beide der Stärke ihrer Neigungen nach, so sind ihre Gelübde nur eine Quelle unnötigen Kummers; oder wollen sie standhaft ihre Pflichten beobachten, so werden sie sich beide mit der unnatürlichen Erwartung des Todes des anderen nähren müssen, und der erste und wichtigste Endzweck ihrer Verbindung wird durch ihren Entschluß leiden.

Auch dann, wenn die häuslichen Verhältnisse das dauerhafte Glück versprechen und der Gegenstand der Versuchung sich durch keinen besonderen Vorzug empfiehlt, wird doch der gesättigte Sterbliche seiner Seligkeit müde werden und in dem wahren Geiste des Don-Quijotismus jeder Dulcinea Wie selten ist die Verführerin eine Lais, die zu ihrer Zeit den Verstand aller Philosophen und das Herz aller Helden überwand. (»Über die Ehe«.), die der Zufall seinem Blicke darbietet, göttliche Ehre erweisen; und wäre das Paradies auch von einer Einöde umgeben, so würde er doch über die Schranken herausspringen. Man könnte hier einwerfen, es sei die Pflicht des Gesetzgebers, die unordentlichen Begierden des Menschen im Zaume zu halten und ihnen nicht zu schmeicheln. Zuvor aber überlege man, ob diese Liebe zum Wechsel schädlich ist oder nicht. Man hat ebensowenig Grund, einen Mann zu zwingen, eine Frau morgen noch zu lieben, weil er sie heute liebt, als von ihm zu verlangen, auf dem nächsten Balle mit einer Dame zu tanzen, mit der er zufällig auf dem letzten getanzt hatte.

Noch ein anderer Beweis, der das Unpolitische der Ehe in Ansehung der Bevölkerung zeigen kann. Offenbar ist es weit leichter, daß eine Frau einen Liebhaber und ein Mann eine Freundin bekomme, als es für beide sein würde, einen Gefährten auf Lebenszeit zu finden. Wie viele arme Mädchen sind nicht wegen der gegenwärtigen Ordnung der Dinge zu einer ewigen Jungfrauschaft verurteilt, und müssen endlich die Welt verlassen, ohne die Anzahl ihrer Bewohner vermehrt zu haben! Manche Schöne kann schon dreißig Winter zählen, ehe sie das Glück hat, einen Jüngling zu bezaubern.

Wäre hingegen ein freier Umgang beider Geschlechter erlaubt, so könnte sie vielleicht schon vor diesem Alter Mutter einer zahlreichen Familie sein. Wenn die Verbindung zwischen den Geschlechtern nach dem Willen der Natur geordnet, und nicht durch menschliche Grundsätze eingeschränkt würde, so müßte das Mädchen eine wahre Mißgeburt von Häßlichkeit sein, das nicht irgendeine Mannsperson zu einer Verbindung auf eine Zeitlang bewegen könnte.

Sieht man nicht täglich Weiber von zweideutigem Ruf, ungeachtet sie nicht die mindesten Geistesvorzüge besitzen, und zuweilen selbst nicht einmal persönliche Empfehlung haben, von Scharen des anderen Geschlechts, selbst von Leuten von Geschmack und von Stande umgeben? Warum trifft man hingegen unter den sogenannten alten Jungfern Personen, die alle körperlichen Reize besaßen, die sich durch jede nützliche und interessante Vollkommenheit, durch Sanftheit des Charakters und Güte des Herzens auszeichneten? Was ist die Ursache dieses unnatürlichen Vorzugs? Man würde sich wundern, wenn ein Jüngling, der zu tanzen wünschte, eine Mittänzerin aus der Küche holen wollte, wenn er eine aus dem Assembleesaale haben könnte. Müßte er aber am Ende seiner akademischen Laufbahn sich eine Dame wählen, die sein ganzes Leben durch seine Mittänzerin sein sollte, so würde der Tanz nicht länger eine Modezerstreuung bleiben; Spaa und Pyrmont würden öde werden; der junge Landedelmann würde die Kuhmagd zur Kirchweih des benachbarten Dorfes begleiten, während seine Schwester in der hochadeligen Gesellschaft, einsam wie die Geduld auf einem Monumente, warten müßte, bis die gnädige Mama ihre Whistpartie geendigt hätte.

Wie? ruft der furchtsame Denker aus, ist es möglich, daß jemand wünschen kann, aus unseren Wohnungen Bordells, aus unseren Müttern Kupplerinnen, aus unseren Töchtern H… zu machen! Bewahre dem Himmel! Aber in einer Sozietät, wo es keine Ehefrauen gibt, würden auch keine H… sein; wo kein Kind gesetzmäßig geboren werden kann, würde auch keins ein Bastard genannt werden, sondern alle würden Kinder der Natur und der Liebe heißen. Solange die Ehe eine Gilde ist, wird die Liebe eine Pfuscherin bleiben.

Hier könnte indes noch mit Recht die Frage aufgeworfen werden: wenn man den Weibern eine vollkommene Freiheit zugestände, würde sich dann nicht jeder Mann darüber beklagen, ein Kind ernähren zu müssen, dessen Vater er zu sein nur eine bloße Möglichkeit für sich hätte? Allein sobald die Wörter Ehemann und Ehefrau als aus dem Gebrauch gekommene Wörter nur noch in den Wörterbüchern vorkommen, so kann auch das Wort Vater aus den Gesetzbüchern ausgestrichen werden.

Man lasse die Kinder der Mutter gehören, und nur von ihrem Vermögen Erben sein; man lasse jedes Weib ohne Aufsicht eines Mannes leben und ohne allen Zwang die Freiheit genießen, welche die Männer bis jetzt genossen haben; man lasse sie Besuch von so vielen Freunden annehmen, als sie nur haben will, und von welchem Stande sie sein mögen. Nach ihrem Tode teile man ihr Vermögen unter ihre Kinder. Das Vermögen, das den Töchtern zufällt, komme auf dieselbe Art wieder auf die Nachkommen dieser, und die Erbschaft der Söhne gehöre nach ihrem Tode ihren Schwestern und ihren Schwesterkindern.

Die Kinder könnten bei ihrer Mutter bleiben, die für ihre Erziehung sorgen müßte. Wären die Töchter zu dem Alter gekommen, in welchem sie mit der Liebe bekannt zu werden anfangen; so müßten sie ihrer Neigung ebenso ohne allen Zwang nachhängen dürfen wie ihre Brüder, die sich bei den Töchtern anderer Familien einquartieren dürfen. Dann würde die Liebe nicht länger das zitternde Gespenst sein, das das Licht des Himmels scheut, in engen Gassen umherschleicht und die verborgenen Winkel mit höllischen Orgien anfüllt; nein, sie würde wieder jenes reine und edle Feuer werden, welches den vorzüglichen Reiz des noch unentweihten Paradieses ausmachte.

Wie fruchtbar ist dieser Plan für die Glückseligkeit des menschlichen Geschlechts! In den Becher der Liebe, der bestimmt war, den Balsam des Lebens zu enthalten, goß die geschäftige Betriebsamkeit des zu seinem Schaden erfinderischen Menschen ein giftiges Gemisch, das den Genuß unseres Daseins trübte. Um die Rose, welche die Stunden unserer Jugend mit Wohlgerüchen anfüllen sollte, hat der Wahnsinn des Menschen spitzige Dornen gewunden, die nur zu oft böse Geschwüre verursachen; Geschwüre, die selbst dann, wenn das Toben der Leidenschaft aufgehört hat, tödlich werden können. Jeder wohltätige Philosoph muß die Pflanze erhalten wollen. Er versuche denn, ob nicht das scharfe Messer, ohne die Pflanze zu verletzen, die Dornen wegschneiden könne, die ihr Wachstum verhindern.

Zweifelt noch jemand an dem Elende, das aus dem Zwange entspringt, unter welchem die Liebe seufzt, so betrachte er nur den Zirkel seiner Bekannten: und erinnere sich, wie viele Kinder in seiner eigenen Nachbarschaft enterbt worden, wie viele Brüder im Zweikampfe umgekommen, und wie viele Eltern mit gebrochenem Herzen gestorben sind. Gewiß wird er in mancher Familie eine Clarissa Harlowe finden. Dies ist der interessanteste Gegenstand, den nur ein Dichter zur Bearbeitung wählen kann; dieser Gegenstand entlockt dem Auge des Zuschauers im Schauspielhause Tränen und bietet den Stoff zu allen Romanen, womit die Schränke der Leihbibliotheken überhäuft werden.

Wenn Romane, worin vorzüglich die Schwierigkeiten, die jener Liebhaber wegen des gegenwärtigen Zustandes der Dinge zu überwinden hat, geschildert werden, wahre Gemälde des menschlichen Lebens sind, wie groß muß dann das Elend sein, das aus derselben Quelle entspringt! Führte man hingegen dies neue System ein, so würde wahrscheinlich kein Roman mehr die Aufmerksamkeit irgendeines Lesers interessieren können; denn alsdann würde keine von diesen unverhältnismäßigen Verbindungen, die ihre Zwecke verfehlen müssen, mehr geschlossen werden.

Wie oft ist ein Mädchen aus den Armen eines geliebten Jünglings gerissen und als ein Opfer des kindlichen Gehorsams lebendig in die Arme eines verliebten Graukopfs begraben worden! Der liebessieche Geizhals würde nun kein junges Weib mehr zu kaufen finden; die Liebe zu üppiger Bequemlichkeit würde keinen munteren Jüngling mehr verleiten, seine Freiheit gegen das Leibgedinge der Witwe zu verhandeln. Der hinfällige und mürrische Podagrist würde nicht mehr für seine Gebrechlichkeiten eine unverdrossene Wärterin erheiraten können. Der Lehrling würde nicht mehr die Witwe seines Lehrherrn heiraten, um dessen Kunden zu bekommen; der Squire würde nicht mehr die Tochter seines Nachbarn zur Gattin wählen, um das Gewicht seiner Familie im Parlamente zu verstärken; und ein Gesandter würde sich nicht um eine fremde Prinzessin bewerben, um einen Friedens- und Handelstraktat zu schließen.

Die Schwäche und der Mangel an Standhaftigkeit, den man bei dem weiblichen Geschlechte bemerkt, entspringen vorzüglich aus der Einschränkung, der es sich, um seinen guten Namen zu erhalten, unterwerfen muß. Gestände man aber den Weibern ihre natürliche Freiheit zu, so würde dieser Zwang nicht länger notwendig sein, und sie würden sich der ihnen gehörigen Achtung würdig zeigen; vorausgesetzt, daß sie eine bessere Erziehung genossen hätten, und daß es ihnen erlaubt wäre, ihren eigenen Neigungen zu folgen. Würde wohl ein Jüngling, der auf einer öffentlichen Schule sich selbst überlassen war, sich in jeder Schwierigkeit selbst helfen können, wenn er nie aus den Augen seines Hofmeisters gekommen wäre? Es würde nun nicht mehr nötig sein, daß eine Duenna jede geringe Bewegung der Mädchen beobachtete, weil sie, wenn dies neue System eingeführt würde, in allem, was die Liebe betrifft, vollkommene Freiheit genießen dürften, und auch jede Mißheirat unmöglich sein würde.

Mancher möchte vielleicht fürchten, daß das weibliche Geschlecht diese Freiheit mißbrauchen und die Bevölkerung durch die Menge der Liebhaber leiden würde. Eine Nation, die eben erst die Ketten der Sklaverei gebrochen hat, ist freilich im Anfange vielleicht unordentlich und tumultuarisch; allein bald nachher wird die Freiheit ein milderes Ansehen nehmen, sich den Gesetzen der Vernunft unterwerfen und auf die Stimme der Menschlichkeit hören. Ein freigeborener Mensch wird ein friedlicher Bürger, ein losgelassener Sklave aber zügellos werden. Daß das weibliche Geschlecht eine eben erst erlangte Freiheit mißbrauchen werde, ist möglich, aber keineswegs gewiß, und selbst nicht einmal wahrscheinlich. Man lasse die Weiber von allem menschlichen Zwange frei sein, so werden sie den Pfad betreten, den die Natur ihnen angewiesen hat. »Ich bin der Meinung,« sagt der Verfasser des Buchs über die Ehe, »daß alles, was natürlich ist, nicht schädlich sein kann, ich lasse so wachsen, wie die liebe Natur es will, und halte meine Bäume nicht unter der Schere.«

Liederliche Weibspersonen sind selten fruchtbar, und eine geheime Liebe ist meistens ohne Erfolg. Vielleicht ist im ersteren Falle die Menge der Liebhaber die Ursache der Unfruchtbarkeit; allein wäre das Gebären immer so schandvoll und immer eine Quelle von so vieler Unbequemlichkeit, wie in diesen beiden Fällen, so würde man alsdann auch mit Recht zweifeln können, ob die verheirateten Matronen die Mütter von so zahlreichen Familien sein würden, als sie zuweilen sind. Führte man aber das neue System ein, so würde der Kindermord ein unerhörtes Verbrechen sein. Die vornehme Mutter würde einen doppelten Grund haben, für ihre Kinder zu sorgen, weil die Kinder den mütterlichen Namen und die mütterlichen Vorrechte erben würden, da sie hingegen jetzt den Namen und die Vorrechte des Vaters erben, die der Mutter nicht so sehr am Herzen liegen können. Sie würde aber ebenso ihren einzigen Stolz in die Menge ihrer Kinder setzen, wie jene berühmte Dame, die mit der größten Gleichgültigkeit die Edelsteine und Kostbarkeiten einer ihrer Freundinnen besah und, als sie nun von dieser gleichfalls gebeten wurde, auch ihr teuerstes Kleinod zu zeigen, auf ihre Kinder wies und sagte: dies ist mein kostbarster Schatz. Da die Bevölkerung von allen Politikern für den wichtigsten Gegenstand gehalten wird, worauf der Staat seine Aufmerksamkeit richten muß, so sorge man dafür, daß jede Mutter, die sich in dürftigen Umständen befindet, aus dem öffentlichen Schatze nach der Anzahl ihrer Kinder eine festgesetzte Summe erhalte.

Sollte aber auch die Unfruchtbarkeit bei einigen Weibern ihren Grund in ihren Ausschweifungen Gibt es denn wirklich Weiber, die nichts von der Liebe kennen als den physischen Genuß, und sich demselben mit so wenig Zurückhaltung überlassen, als eine Mannsperson? – Wahrscheinlich! Aber wegen ihrer geringeren Anzahl, die doch niemand mit der Menge der Männer vergleichen wird, sind sie als weibliche Ungeheuer zu betrachten, und wollte man diesen noch die unglücklichen Geschöpfe anschließen, die mit ihren Körpern ein Gewerbe treiben, so würde man nicht nur ungerecht sein (denn Verführung, Eitelkeit, Mangel und andere solche Ursachen, mit nur sehr wenigem Hang zur Wollust vermischt, sind es, welche die meisten in den Abgrund stürzen), sondern man würde auch nicht imstande sein, eine gleiche Anzahl von liederlichen Weibern hervorzubringen. Dies kann man mit Gewißheit behaupten: die Erhaltung dieser Kreaturen hängt einzig und allein von den Männern ab, die bei ihnen nichts als physischen Genuß suchen. Solange ihr Handwerk geht, leben sie wohl und bequem, nicht selten im Überfluß; es müssen also viele Männer zur Unterhaltung eines einzigen Weibes beitragen, und wie groß man immer die Anzahl wollüstiger Weiber annimmt, so muß doch die Zahl solcher Männer noch zwanzigmal größer sein. (»Mann und Weib«.) haben, so läßt sich doch gewiß nicht vermuten, daß die Anzahl solcher Kreaturen der Menge alter Jungfern gleich sein werde, womit jede Nation, jede Stadt, jedes Dorf überhäuft ist. Eine H… kann doch ihrem Vaterlande durch Hervorbringung eines Bürgers nützen; eine Nonne aber ganz und gar nicht. Die Königin Elisabeth von England starb als eine kinderlose Jungfrau; Kleopatra wurde Mutter. Die Fabel zählt ein ganzes Heldengeschlecht auf, das von der Venus entsprungen ist; und es ist doch schade, daß auch nicht ein einziger Philosoph seine Abkunft von der Minerva ableiten kann.

Ungeachtet die Verbindung eines Mannes mit einer Beischläferin nur von kurzer Dauer ist, so würde es doch ungerecht sein, deswegen zu behaupten, daß jede Verbindung, die nach Gefallen der Parteien geendigt werden kann, bald aufhören müßte. Eine Neigung zwischen einem Wollüstling und einer gemeinen H… hat bloß Wollust und Habsucht zum Grunde; die einzige Eigenschaft des Mannes ist sein Geldbeutel, und des Mädchens einzige Empfehlung ihr Geschlecht. Nur zu bald wird Ekel seine Brust erfüllen, oder wenn sein Vermögen nicht mehr hinreicht, ihre Habsucht zu befriedigen oder ihre Ausschweifungen zu unterstützen, wird er von ihr verlassen werden.

Darf man erwarten, daß die Zauberkraft dauern wird, die den taumelnden Wollüstling an ein rohes und verworfenes Weibsbild fesselt? Indes darf man doch daraus nicht schließen, daß edlere Menschen die Beständigkeit in der Liebe nicht schätzen sollten. Ein Weib kann, auch ohne daß ein Ring an ihren vierten Finger der linken Hand gesteckt ist, ebenso fruchtbar sein, wie ein fruchtbarer Weinstock um dein Haus herum (siehe 128. Psalm), sie kann alle Tugenden besitzen und mit jeder Vollkommenheit geschmückt sein. Sollte ein Mann von seinem Gefühle ein solches Weib nicht lieben können? Wenn nicht eine freiwillige Treue dies Paar belebt, muß nicht erzwungene Treue unnatürlich und also auch nachteilig und unpolitisch sein? Die spanische Dame hat die unbegrenzte Freiheit, ihren Cicisbeo zu wählen und zu wechseln; und doch gleicht dieses außerordentliche Band, das an Glückseligkeit die Ehe übertrifft, derselben gewöhnlich an Treue, und oft kann das verliebte Paar nur durch den Tod getrennt werden. Auch würde jeder Teil aufmerksamer und gefälliger gegen den anderen sein, wenn beide sich nach Gefallen voneinander trennen können. Sieht man hingegen jetzt in Gesellschaft einen Mann und eine Frau, die sich durch mürrisches und gleichgültiges Betragen gegeneinander auszeichnen: so kann man sicher daraus schließen, daß es Eheleute sind.

Der junge Mann erhebt seine Geliebte zu einer Gottheit und erweist ihr sogar noch mehr als göttliche Ehre. Jeder Putz ihres Anzugs verrät einen vorzüglichen Geschmack; jeder Zug ihres Gesichtes drückt eine gefühlvolle Seele aus: ihr Antlitz ist das Antlitz der Venus; in ihrem Blick herrscht die Majestät der Juno, aus ihrem Mund bezaubert der Witz der Minerva, der Gedanke an sie füllt den einsamen Spaziergang aus; ihr Lächeln versüßt ihm die mitternächtlichen Träume, und ihre Gegenwart ist ihm Elysium. Kein Hofmann stattet mit solcher Pünktlichkeit beim Minister die Morgenvisite ab, als ihr Liebhaber ihr Putzzimmer besucht; kein Fürst erhält je die Hälfte der Schmeichelei, die sie von ihm als eine Schuldigkeit fordert. Zuletzt bringt der Zauber seine erwünschte Wirkung hervor. Ihre Schwäche wird durch den Weihrauch besiegt, und ihr weiches Herz fühlt Mitleid mit dem erdichteten Elend ihres Anbeters, sie läßt sich durch das Band der Ehe fesseln, verwandelt sich aus einer Göttin in eine Magd und wird als eine Sklavin behandelt.

Betrachtet man das Unglück, das durch eine Mißheirat über eine ganze Familie kommen kann, so wird man gewiß ein System billigen, wodurch die Möglichkeit zu dieser Quelle von Familienzank und Mißvergnügen aufgehoben wird. Der Mann von Stande muß es mit Vergnügen ansehen, wenn einer von seinen Verwandten eine Bürgerstochter heiratet, und der reiche Bankier wird oft in der Bewerbung um die schon verwelkte Hand eines in ihren Hoffnungen getäuschten Fräuleins über die Vorwürfe ihrer Anverwandten siegen. Solange noch einige durch den Handel beglückte Abenteurer den Adel an Reichtum übertreffen; solange das Mädchen von geringem Stande mit dem jungen Fräulein an Reizen wetteifert; solange noch hervorstechendes Talent und ausgezeichnete Verdienste unter den niedrigen Klassen zu finden sein werden, solange wird es auch noch Mißheiraten geben.

Die Eltern werden alle ihre Autorität anwenden müssen, um die Wünsche ihres Kindes zu unterdrücken, und das Kind wird mit Sehnsucht dem Tode der Eltern entgegensehen. Selbst in dem demokratischsten Staate, in welchem die strengste Gleichheit zu herrschen scheint, würde der reiche Bürger sich der Verheiratung seiner Tochter mit einem Mann von geringem Vermögen widersetzen. Wäre aber dies neue System eingeführt, so würde das von Habsucht und Familienstolz gänzlich freie Herz sich der Tugend ergeben, oder sich von der Schönheit oder anderen persönlichen Eigenschaften des geliebten Gegenstandes, sie seien wirklich oder eingebildet, fesseln lassen; was aus Liebe entsteht, ist für die Bevölkerung allemal vorteilhafter als was sich auf Konvenienz oder Ehrgeiz gründet. Ein betörter Edelmann könnte alsdann die Gesellschaft einer ungebildeten Dienstmagd genießen, ohne seine Familie zu entehren; keine Agnes Bernauerin, keine Ines von Castro dürfte mehr durch einen jammervollen Tod die Gewalt ihrer Reize büßen.

In einem Staate, in welchem keine erblichen Titel, keine Privilegien oder Immunitäten des Adels, keine heraldischen Auszeichnungen gälten, könnten auch wahrscheinlich keine Ehen bestehen. Welcher vernünftige Mensch würde, wenn er sieht, daß Männer durch die Ausschweifung ihrer Weiber und Weiber durch die Torheit ihrer Männer unglücklich geworden sind, sich einer Zeremonie unterwerfen, die eine Quelle von beständigem Verdruß und Kummer werden, und woraus nicht ein einziger Vorteil entspringen könnte? Der gemeine Mann verheiratet sich, weil es der vornehmere tut; und die Großen werden durch die Hoffnung, ihre Vorrechte auf ihre Nachkommen zu übertragen, dazu verleitet; aber würde ihre elterliche Zärtlichkeit oder diese natürliche und nützliche Eitelkeit nicht durch einen solchen Vorteil geschmeichelt, warum sollten sie sich denn überhaupt verheiraten? – In England, wo der Familientitel nur von dem Stammhalter der Familie geführt wird, sieht man oft, daß der, welcher gewohnt war, die unbeschränkteste Unabhängigkeit des Zölibats zu genießen, sich den Pflichten der Ehe unterwirft, sobald er durch das unerwartete Absterben eines Verwandten die Würden seiner Familie bekommt. Mit welchem Grunde können die Gesetze von Frankreich behaupten, daß alle seine Bürger von Geburt gleich sind, da sie doch eine Einrichtung dulden, nach welcher ein Kind als gesetzmäßig und ein anderes als ein Bastard geboren wird?

Auch paßt dies System für eine monarchische oder aristokratische Regierungsform. Verliebte sich ein Fürst in eine Dame von niederem Adel, so könnten die Kinder keinen Anspruch auf fürstliche Vorrechte machen, sondern würden die Vorzüge der Klasse des Adels genießen, zu welcher die Mutter gehört, deren Namen und Wappen sie führen müssen. Ließe sich ein Kavalier mit einem Mädchen von geringem Herkommen in einen Liebeshandel ein, so würde die Frucht dieser Verbindung zum Pöbel gehören. Schenkte hingegen auf der anderen Seite eine Fürstin oder eine Edeldame einem niedrigen Liebhaber ihre Zuneigung, so würden die Kinder ohne die mindeste Frage, wer oder was ihr Vater wäre, alle Würden, Privilegien und Vorrang des mütterlichen Hauses erben.

Sollte jemandem erbliche Würde oder ein Adelsbrief geschenkt werden, so könnten dieselben auf seine Geschwister, die Kinder seiner Mutter übertragen werden. Die Thronfolge könnte nach eben den Regeln eingerichtet werden; dem verstorbenen Monarchen müßte sein Bruder oder der Sohn seiner Schwester, der ältesten Prinzessin, in der Regierung folgen.

Sowohl der Regent als der Untertan würden durch diesen Plan gewinnen. Der Fürst könnte in Liebessachen ganz seiner eigenen Neigung folgen. Es würde nicht länger nötig sein, aus fremden Ländern Prinzessinnen zu holen, die von ausländischen Vorurteilen angesteckt und von einer Schar fremder Höflinge begleitet sind und vielleicht sehnsuchtsvoll sich in ihr Vaterland zurückwünschen. Indem keine Eheverbindungen mehr zwischen den regierenden Häusern statthaben würden, so würden die Völker weniger in auswärtige Kriege verwickelt werden.

Der Hauptvorzug des neuen Systems liegt darin: Partus sequatur ventrem. Es wäre billiger, daß das Kind den Namen der Mutter führte, indem die Verwandtschaft zwischen dem Kinde und der Mutter unleugbar ist, die mit dem anerkannten Vater ungewiß Unter einigen Stämmen der Indianer in Nordamerika gehört das Kind der Mutter, weil sie dafür halten, daß es stets ungewiß sein muß, wer eigentlich der Vater sei. (»Carvers Reisen«.)
Sollte der Wilde den kultivierten Europäer an Scharfsinn übertreffen?
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Wahrscheinlich sind unter den höheren Ständen immer die keuschesten Weiber gewesen. Die Damen sind weniger den Versuchungen ausgesetzt. Ihre Furcht vor Schande, ihr point d'honneur ist größer; aber indem die Gerechtigkeit den Matronen diese verdiente Lobrede hält, muß die Wahrheit gestehen, daß es unmöglich zu beweisen ist, daß sie immer so ohne Tadel waren, wie ihre Eheherren ohne Furcht. In einer genealogischen Kette darf kein Glied fehlen. Man darf zwar glauben, daß die vornehme Gemahlin ebenso erhaben gesinnt war wie ihr Gatte, daß sie ihre Ehegelübde ebenso treu gehalten wie er seinen Rittereid. Die Ehre ist das Glaubensbekenntnis des Adels; ein wohltätiger Stolz seine Tugend. Die weibliche Seele ist der edelsten Schwärmerei fähig, und wie oft haben nicht unsere Edelfrauen die Gefühle ihrer Herzen auf dem Altar der Ehre geopfert, aber der Herold muß doch bedauern, daß der wahre Vater des Adeligsten der Sohn eines Plebejers sein kann, und daß ein Wappen, welches jetzt an dem Wagen oder an dem Kredenztisch eines Turnierfähigen glänzt, vielleicht von seinem geheimen Urheber auf dem Ärmel getragen wurde.

Man behauptet umsonst, seine Familie stamme von Karl dem Großen ab; könnte aber jemand eine Herkunft beweisen, die er von einer Frau zur anderen, von der Schwester dieses merkwürdigen Helden an ableiten könnte, nur erst dann würde man ihn als verwandt mit dem unvergeßlichen Stifter des westlichen Reichs anerkennen muffen.

Kann wohl in einem Lande, wo der Cicisbeismus herrscht, etwas lächerlicher sein als Familienstolz? So abgeneigt der hochmütige Don ist, seine natürliche Freiheit seiner Eitelkeit aufzuopfern, so ängstlich sorgt er doch dafür, daß sein Name fortgepflanzt werde. Er verheiratet sich also, und überläßt seiner Gattin die Sorge, einen Erben zu seinen Titeln hervorzubringen. In einigen Ländern von Europa ist diese Gewohnheit doch so allgemein, daß niemand mit einiger Wahrscheinlichkeit für den Sohn desjenigen gehalten werden kann, dessen Besitzungen er erbt.

In England ist weibliche Keuschheit ohne Zweifel weit allgemeiner, als in irgendeinem europäischen Lande, und doch ist es zu bezweifeln, ob die Nation von der widersinnigen Achtung, worin dieselbe steht, Vorteil hat. Gerade sie ist die Ursache von der ungeheuren Anzahl feiler Kreaturen, von welchen die Hauptstadt und andere große Städte wimmeln. Unter diesen sind Mädchen von Stande und Erziehung, denen man kein Verbrechen nachsagen kann; aber leider waren sie nicht imstande, den Trieben der Natur zu widerstehen. Deswegen verbannt, und des Schutzes und der Freuden des elterlichen Hauses verlustig, müssen sie durch ein elendes erniedrigendes Gewerbe ihren Lebensunterhalt suchen.

Wegen der gezwungenen Keuschheit der verheirateten und überhaupt aller Weiber, denen ihr guter Name teuer ist, werden die Männer zu Verbindungen mit verworfenen Weibspersonen verleitet; daher entstehen denn die schrecklichen und fast allgemeinen Verwüstungen der venerischen Krankheit, womit Männer aus allen Klassen heimgesucht werden. Von der Steifheit, die im Umgang zwischen beiden Geschlechtern herrscht, nimmt die britische Jugend zu Trinkgelagen, Faustkämpfen und anderen unanständigen Beschäftigungen ihre Zuflucht. Man vermeidet die Gesellschaften, wo man geniert wird. Wären die englischen Damen galanter, so würden ihre Kavaliere liebenswürdiger werden, und Ungeschliffenheit und linkisches Wesen würden nicht mehr den Glanz des Nationalcharakters verdunkeln.

Aber auch in England verlasse sich der Ehemann nicht zu sehr auf die Treue seiner Gattin. Der Ehebruch wird immer nur durch Zufall entdeckt, und was durch Zufall entdeckt wird, kann auch durch Zufall verhehlt bleiben. Das Weib kann der Wachsamkeit der strengsten Eifersucht spotten, wenn sie auch wie Danae in einem ehernen Turme eingeschlossen, oder wie eine Sultanin in dem Harem eines Serails verwahrt wird. Ebensowenig wird ihr Liebhaber geneigt sein, seine Leidenschaft zu bändigen, wenn auch eine Strafe von fünfzehntausend Pfund drohen sollte, ihn ins Verderben zu stürzen.

Kann man auch die englischen Gesetze nicht der Parteilichkeit gegen die Männer und der Ungerechtigkeit gegen Ehebrecherinnen beschuldigen, so sind doch die Weiber zu beklagen. Die Frau darf zwar ihren Ehemann der Treulosigkeit überführen, da aber das Weib sich bei einem Liebesantrag bloß leidend verhält, so war wahrscheinlich selten eine Frau, die sich dieses Rechtes bediente, je imstande, in eine zweite Ehe zu treten; sie hält es daher für klüger, zufrieden zu sein, wenn sie auch nur teil an dem Besitze ihres Gemahls hat, und zieht die wenigen Zärtlichkeitsbezeugungen, die er ihr erweist, der Gewißheit einer beständigen Witwenschaft vor. Der Mann hingegen, wenn er sich von einer Frau hat scheiden lassen, kann sich immer um eine zweite bewerben.

Wie unglücklich ist derjenige, dessen Gattin ihren Gelübden untreu würde. Ist er ein guter Wirt, so ist er ungewiß, ob er der Vater derer ist, die seine Erben sein sollen. Hat er seine Vermögensumstände verbessert, wer wird die Früchte dieser Verbesserung genießen? Vergeblich würde er die Eichel der Erde anvertrauen, keiner von seinen Söhnen wird unter dem Schatten der majestätischen Eiche ruhen. Wird sein Eifer in öffentlichen Geschäften mit einem Erbtitel belohnt, so wird das unechte Kind einer Ehebrecherin die Belohnungen seiner Tätigkeit erben. Niedergebeugt von diesem quälenden Gedanken, artet seine vorige Kraft in träge Gleichgültigkeit aus, und Melancholie trübt die Stunden, die der Geselligkeit gewidmet sein sollten. Von diesen Zweifeln wird er gemartert, bis seine Auflösung herannaht, und sogar auf dem Sterbebette erblickt er in der aufmerksamen Pflege dessen, den er für seinen Sohn erkennen muß, nur die Heuchelei eines Fremden, der vor Ungeduld brennt, seine Augen zuzudrücken, um seine Koffer durchwühlen zu dürfen.

Gesetzt, es wäre auch (wie es meistens der Fall gewesen), daß die Weiber immer ihren Gelübden treu geblieben sind, so ist es doch allzu gewiß, daß diese gezwungene unnatürliche Treue ihnen nicht weniger Herzenspein gekostet hat. Leider haben sie nicht weniger Bedauern als Bewunderung verdient. Der Weg der Pflicht war mit Dornen besät. Wehe den Tyrannen, deren Vorurteile ihnen die Gelegenheit gaben, sich diese Krone des Märtyrertums zuzueignen. Eilt, ihr Männer, versäumt daher nicht, eure eigenen Ungerechtigkeiten gutzumachen: Befördert ein System, das euren Schwestern solche Aufopferungen ersparen würde.

Hat eine Ehefrau mit ihrem Bedienten einen verbotenen Umgang, so sind ihre Kinder vielleicht nicht die Kinder ihres Gemahls. Ließe sich hingegen eine Schwester zu einem solchen Liebhaber herab, so würden die Kinder, ungeachtet der Niedrigkeit des Vaters, alle Ansprüche auf die Gunst und den Schutz eines Mutterbruders machen dürfen. Würde dies System eingeführt und die Art der Erbfolge verändert, so könnte jeder gewiß sein, daß sein Name und Vermögen von seinen wahren Anverwandten geerbt würden, wenn seine Familie auch bis zum jüngsten Tage fortdauern sollte. Wer das alte System dem neuen vorzieht, zieht eine Möglichkeit einer Gewißheit vor und verwirft eine ausgemachte Wahrheit, um eine bloße Voraussetzung anzunehmen.

Die verschiedenen Beschäftigungen und Pflichten der Geschlechter verdienen hier einige Aufmerksamkeit. Ungeachtet beide Geschlechter einander gleich sind, so folgt es doch nicht, daß beide zu einerlei Beschäftigungen bestimmt seien. Zwei Brüder können zwei verschiedene Gewerbe treiben, ohne daß eins dem anderen untergeordnet wäre. Der Mann ist zum tätigen und die Frau zum häuslichen Leben bestimmt. Man lasse die Männer ihre eigenen Herren sein und sich den öffentlichen Geschäften widmen, und ebenso lasse man die Weiber ganz allein von sich selbst abhängen und ihre häuslichen Angelegenheiten besorgen. Es würde der Bevölkerung zum Nachteil gereichen, wenn eine Armee von Weibern errichtet würde; denn wenn man die Kriegerinnen während ihrer Schwangerschaft ins Feld führte, so würde eine Kugel allemal zwei menschliche Wesen zugleich töten, und es würde höchst lächerlich sein, wenn die wichtigsten Nationalgeschäfte durch die Niederkunft Ihrer Exzellenz der Frau Geheimen Rätin unterbrochen werden müßten.

Wenn auch das weibliche Geschlecht nicht fürs Schlachtfeld, für den Senat oder für den Richterstuhl bestimmt ist, so lasse man dasselbe doch einen solchen Unterricht genießen, daß es für die Erziehung des künftigen Generals, Politikers oder Gesetzgebers sorgen kann; denn eben der Grund, der allen Anspruch des Kindes auf den Namen und das Vermögen des Vaters ungültig macht, spricht auch den Vater frei, das Kind zu erziehen und zu ernähren. Die Sorge und die Aufsicht des Kindes muß daher gänzlich und ausschließlich der Mutter überlassen werden. Ihrer Seele müßten also solche Grundsätze eingeprägt sein, welche sie lehren könnten, in jeder schwierigen Lage die gehörige Entschlossenheit zu zeigen. Sie müßte in allen Umständen ihres Lebens unabhängig und selbsttätig sein. Welch eine herrliche Veränderung würde dies System in den Sitten des weiblichen Geschlechts hervorbringen! Die Weiber würden nicht mehr jene unbedeutenden Geschöpfe sein, die ihre Zeit mit den unwichtigsten Beschäftigungen hinbringen und ihre ganze Aufmerksamkeit auf die Erwerbung der oberflächlichsten Vollkommenheiten richten, sondern sie würden einen entschlosseneren und, wenn man sich des Ausdrucks bedienen darf, einen männlicheren Ovidius nennt die Lukretia eine Matrona virilis. Ist die Verachtung des Todes ein Zeichen einer starken Seele, dann verdient sie allerdings diesen Ehrennamen. Hätte sie aber in einem aufgeklärteren Jahrhundert gelebt, so hätte sie sich nie um einer unwillkürlichen Handlung willen getötet, die, wäre sie auch willkürlich gewesen, nie unverzeihlich wäre. Ihr heroischer Tod verdiente eine gültigere Ursache. Charakter annehmen.

Kann noch jemand leugnen, daß die Mutter ganz dazu gemacht ist, für die Erziehung ihrer Kinder zu sorgen? Niemand würde es vorher gedacht haben, daß unter den amerikanischen Bauern eine Versammlung Gesetzgeber aufstehen würde, deren tiefdurchdachte politische Pläne die Unternehmungen der größten Staatsmänner zu vereiteln und die Bewunderung der gebildeten Europäer zu erregen vermochten. Ließe man den Weibern ihre völlige Freiheit, wer könnte bestimmen, wie weit ihre Fähigkeiten reichen würden? Hatten nicht die Gracchen ihren unsterblichen Ruhm und den Vorrang, den sie unter ihren Mitbürgern genossen, ihrer Mutter Cornelia zu verdanken? Sogar schon in der Kinderstube, wenn der Charakter der beiden Geschlechter anfängt sich zu entwickeln, fühlt das Mädchen, unterdes sich ihr Bruder mit dem Steckenpferde herumtummelt und von dem Schalle einer Trommel belebt wird, eine zärtliche Zuneigung für ihre Docke und beschäftigt sich mit der Ökonomie ihres Puppenhauses. Sind nicht in den meisten neuen Sprachen die besten Werke über die Erziehung von Frauen geschrieben?

Die Frau von Stande würde, wenn sie sich der berühmten Helden, die ihr Geschlecht hervorgebracht hat, erinnert, nicht mehr bei dem herannahenden Kriege zittern oder ihren Sohn von der bevorstehenden Gefahr abzuhalten suchen; sondern sie würde ihm vielmehr die Namen derjenigen seiner Oheime nennen, deren in der Geschichte gedacht wird, und vom Enthusiasmus eines erhabenen Familienstolzes glühend, würde sie ihn zur Nachahmung ihrer Tugenden aufmuntern. Sie würde wie die Damen in den Ritterzeiten, aus deren schöner Hand der siegende Streiter den Lorbeerkranz des Sieges erhielt, die vorzüglichste Aufmunterung zu verdienstlichen Taten und heroischer Tapferkeit sein. Die Mutter würde bei dem Andenken an einen furchtsamen Sohn erröten; der Feige würde einem braven Mädchen kein Lächeln entlocken; und fände ein Liebhaber oder Sohn auf dem Schlachtfelde seinen Tod, so würde die erste Frage sein, welche die Geliebte und die Mutter mit spartanischer Entschlossenheit an seine Waffenbrüder tun würde: »Starb er an einer ehrenvollen Wunde?«

Wären der Charakter und die Beschäftigungen der Weiber von dieser Beschaffenheit, so würde zugleich dem Genie und den Talenten der Männer ein größeres Feld offen stehen. Der kluge Bacon bemerkt, daß die größten Männer nicht verehelicht gewesen sind. Welch eine große Reihe von Philosophen, Politikern und Feldherren könnte man sich von einer Nation versprechen, wo jeder erhabene Geist, frei von der Pflicht für seine Kinder zu sorgen, irgendeinen großen Entwurf verfolgen könnte! Diese Sorge hat oft den Soldaten vom Schlachtfeld zurückgehalten, hat die Wißbegier des Astronomen unterdrückt und die Stimme des Patrioten erstickt. Wie oft sind die Nachtwachen des Philosophen durch das Schmälen einer Xantippe unterbrochen worden? Wie mancher Hampden würde die Gewalttätigkeit eines Tyrannen angeklagt, wie mancher Sydney das Schafott bestiegen haben, wenn er nicht gefürchtet hätte, seinen Kindern den Haß eines beleidigten Hofs zuzuziehen! Der Botaniker würde, wenn er nicht verheiratet wäre, alle die entlegensten Waldungen durchstreifen; der Mineralog vor Verlangen brennen, jedes fremde Bergwerk zu untersuchen, und der Naturforscher würde sein Vaterland verlassen, um die Beschreibung von einem neuentdeckten Vulkane mitzuteilen. Wie manche Weltumsegler würden wie Cook einen unsterblichen Namen erwerben, wie manche Reisende gleich einem Bruce, vor Ruhmbegierde brennend, in den Busen unbekannter und unkultivierter Länder dringen! Wie sehr würde jede Kunst, jede Wissenschaft vervollkommnet, mit welchem Tiefsinn jeder Spekulationsgegenstand untersucht, mit welcher festen Entschlossenheit jeder Staat regiert und mit welcher Verzweiflung jede Schlacht gefochten werden!

In dem Jahre 1792, als die österreichischen und preußischen Armeen sich gegen die Revolution in Frankreich vereinigten, eilte jeder unverehelichte Patriot zu der Fahne der neuen Republik, ganze Dörfer wurden von allen männlichen Einwohnern entvölkert, und nur die blieben zurück, die durch körperliche Schwäche und durch die Sorge für eine Familie verhindert wurden, ihrem Vaterlande beizustehen. Damit die römisch-katholischen Priester ihre ganze Aufmerksamkeit auf das Interesse der Kirche richten möchten, verbot ihnen die Politik des vatikanischen Hofes, zu heiraten; und es nimmt niemand gern eine verheiratete Person sogar zum Bedienten oder zur Magd.

Sind Leute besonders glücklich, so sind sie es durch die Liebe. Für zwei Leute, die sich beide eines in des anderen Armen glücklich fühlen, muß das Leben ein wahres Elysium sein. Warum soll sie aber die Ehe an einen Ort binden, dessen Reize gleich dem Garten Eden verschwinden, und sie als die Leibeignen ( glebae adscriptos) einer Einöde zurücklassen können? Liebe ohne Ehe muß eben das Glück gewähren, was Liebe und Ehe vereinigt vermögen; aber Ehe ohne Liebe muß ein gleichgültiger oder kummervoller Zustand sein. Der neuvermählte Liebhaber kann mit einem hungrigen Füllen verglichen werden, das in einer reichen Weide angebunden ist. Wie zufrieden sind anfangs beide mit ihrer schwelgenden Lage! Man könnte aber mit gleichem Grunde annehmen, daß der Genuß des Tieres aus dem Stricke entspringt, das es an den Fleck bindet, als daß die Glückseligkeit des Liebhabers ihren Grund in seiner Ehe haben müßte. Sollte der Hunger des Tieres gestillt werden, oder die Zuneigung des Liebhabers erkalten, so würden beide ihre Kette fühlen.

Ist das menschliche Leben nicht schon genug mit Elend angefüllt? Sind nicht die sehnlichsten Hoffnungen der Sterblichen den bittersten Täuschungen unterworfen? Wird nicht ihr Dasein durch den Verlust ihrer Freunde getrübt, und spotten nicht eine Menge Krankheiten der Stärke ihrer Gesundheit? Muß aber der Gesetzgeber ihr Elend noch vermehren? Nein, er müßte nicht jede Befriedigung der Wünsche mit der Strenge eines ägyptischen Zuchtmeisters abmessen; wenn die Folgen unschädlich sind, muß er sie billigen Die Wilden in Nordamerika lachen über die Idee der Europäer, auf lebenslang ein und dasselbe Weib haben zu wollen. Sie behaupten, der große Geist habe sie erschaffen, glücklich zu sein und also nur so lange zusammen zu leben, als Mann und Weib miteinander harmonieren.. Könnte wohl seine Weisheit ein System dulden, das die Stärke und das Genie des Mannes einschränkt? Oder würde seine Gerechtigkeit eine Einrichtung begünstigen, die das Weib zur Sklavin herabwürdigt?

Wer würde nicht den Rang eines ersten Bürgers in einem Staatskörper von freien Menschen einem despotischen Throne über einem kriechenden und zitternden Haufen von unterjochten Sklaven vorziehen? Und welchem Mann von edlen Empfindungen würde nicht die Liebe der geistreichen und gebildeten Heloise besser gefallen, als der leidende Gehorsam, den Sarah ihrem Herrn und Gebieter Abraham bewies?

Die Verfasserin des Buchs über die Rechte der Weiber schlägt die Stiftung öffentlicher Schulen vor, wo die Jugend beiderlei Geschlechter zusammen erzogen werden könnte. Solange die Ehe und die gegenwärtigen Begriffe von Keuschheit dauern, würde dies Projekt unmöglich sein, weil das Mädchen beständig der Gefahr ausgesetzt sein würde, verführt zu werden. Führt man aber das anempfohlene System ein, so könnte nichts so reich an glücklichen Folgen sein, als eine solche Stiftung. Von einer Verbindung zweier einander fremden Personen kann man sich nicht die Dauer versprechen, als wenn sie zwischen einem Paar geschlossen wird, das vorher alle Gelegenheit hatte, einer des anderen Charakter kennen zu lernen. Würde nicht Freundschaft, Gewohnheit und die süße Rückerinnerung jeder Begebenheit, die ihnen in den Tagen der Kindheit und Unschuld begegnete, beitragen, ihre Zuneigung zu befestigen? Wie dauerhaft sind nicht die in der Schule oder auf der Universität gestifteten Freundschaften? –

Dies sind die Vorzüge, welche das hier untersuchte System der Galanterie und Erbfolge vor dem bisherigen System der Ehe empfehlen. O ihr, die ihr euch wohlwollender Empfindung rühmt, die ihr, vom Menschengefühle belebt, den gefangenen Afrikaner befreien und auf Sierra Leone die weiße Fahne der Freiheit wollt wehen lassen, ihr braucht euch nicht so weit aus der kultivierten Welt zu entfernen, um Gegenstände eures Mitleids zu suchen. Macht ihr Anspruch auf den Namen Menschenfreunde, so zieht den Schleier des Vorurteils und Aberglaubens von euren Augen weg; befreit eure Schwestern, entlaßt eure Weiber eines drückenden Jochs und befördert mit allem eurem Einflusse ein System, das den Beifall der Politiker verdient, weil es die Zunahme der Bevölkerung beschleunigen kann, das auf die Begünstigung des Aristokraten Anspruch macht, weil es dem Adel eine zuverlässige und unbezweifelte echte Geburt sichert, und das die Unterstützung des Patrioten erwartet, weil es die Freiheit und Glückseligkeit des Menschengeschlechts verbreiten würde.


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