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Bei Frau Hildegard Wagner am Kurfürstendamm war Gesellschaft. Niemand konnte der Tafel ansehn, wie schwer die Folgen des Krieges noch auf Deutschland lasteten.

In der Mitte der Langseite des Tisches saß die Wirtin, seit drei Jahren Witwe, schon ergraut, mit scharfen Zügen und durchdringenden schwarzen Augen. Hin und wieder ging ein flüchtiger Blick, aus dem man nicht recht klug wurde, nach dem einen Ende des Tisches hinüber und blieb an dem Paar dort haften.

Ein etwa sechsundzwanzigjähriger schlanker junger Mann, tadellos gekleidet, mit hübschem, blassen Gesicht unter dem braunen, etwas gewellten Haar, das Einglas im Auge, auf dem Frack das Eiserne Kreuz erster Klasse. Assessor Dr. Berg, Referent bei der Abwicklungsstelle für Belgien in Berlin.

Neben ihm ein junges, achtzehnjähriges Mädchen, schwarzhaarig, in lachsfarbigem Kleide, das die weißen, schon recht vollen Schultern freigab, – Trude, die Tochter des Hauses. Ihre großen, dunklen Augen hingen an ihrem Tischherrn; etwas ungeduldig Heischendes lag in ihnen. Sie saß schräg zu ihm, wie Knie an Knie, sprach lebhaft, sichtlich angeregt mit ihm. Er antwortete leise, zerstreut sein Sektglas drehend; ab und zu hob er seinen kühlen, tastenden Blick zu ihr auf.

Und während er dies tat, gingen seine Gedanken eigene Wege, fernab von ihrem Geplauder. Uber eins war er sich klar: Er mußte heiraten. Mußte es, bevor die Paar tausend Mark zu Ende waren, die ihm sein Vater, der Major a. D., vor sechs Monaten hinterlassen. Aber über das andere war er sich noch nicht einig: Sollte er die Trude da neben ihm heiraten? Daß sie ihn nehmen würde, daran zweifelte er keinen Augenblick; und wenn er etwas kannte, so waren es die Weiber. Geld war auch in Fülle da, »später mehr«, wie es in den Anzeigen so hoffnungsvoll hieß. Die Fabrik künstlicher Blumen, die der alte Wagner seiner Frau hinterlassen hatte, war heute noch, wie seit Jahrzehnten, die führende auf dem Markte.

Aber war Trude die rechte Frau für ihn?

Er hatte mit ihrem Bruder Willy im gleichen Regiment gestanden; er als Oberleutnant d. R. und Kompagnieführer; Willy, der stud. jur., war als Kriegsfreiwilliger eingetreten und während der Offensive 1918 zum Leutnant d. R. befördert worden. Auf seine Bitte war Berg nach Kriegsschluß in das Wagnersche Haus gekommen.

Mit Willy verband ihn eine Freundschaft, in Dutzenden von Gefechten erprobt. Freilich war allmählich ein leiser Neid in Berg gegen Willy erwacht, der mit dem goldenen Löffel im Munde geboren war, so sorgenlos der Zukunft entgegensehen durfte. Je mehr aber die einstige Kameradschaft sich lockerte, desto entschiedener machte sich die Teilnahme geltend, die Trude dem Freunde ihres Bruders entgegenbrachte.

Sein Schwarm war sie ja gerade nicht. Gewiß, wundervolle Farben und verteufelte Augen, einen Mund, der mit seinen vollen, leicht aufgeworfenen Lippen meisterlich zu küssen versprach. Aber sie neigte sichtlich zur Fülle, und eine bequeme Frau gab sie zweifellos nicht ab. Immerhin, in der Not ...

Doch noch zögerte er. Erst wollte er einmal seinen Urlaub benutzen, um sich unter den Töchtern des Landes umzusehn, und inzwischen Trude über den Urlaub festhalten, für den schlimmsten Fall. Es waren böse Zeiten, der Stand eines Assessors weniger als je eine Anwartschaft auf sicheres Brot. Mit dem verfluchten Leichtsinn kam man heute nicht weit, es galt ernsthaft sein und ernsthaft rechnen.

Er dachte an seinen ersten Besuch bei Wagners, vor etwa sechs Wochen, als er Trude allein antraf und sie ihn nach ihrer unbefangenen Art gleich in ihr eigenes Zimmer bitten ließ.

Sie saßen in den hellen Madeira-Korbstühlen mit ihren geblümten, weichen Kissen. Er hatte eine Tasse Tee angenommen, beide rauchten Zigaretten.

»Wenn man Phantasie hätte,« hatte sie schließlich gesagt, mit einem koketten Aufblick zu ihm, »könnte man glauben verheiratet zu sein.«

Er wehrte mit der schmalen Hand leicht ab. »Warum die Stimmung gewaltsam trüben?«

»Macht der Gedanke Sie so melancholisch?«

»Mich?« erwiderte er zögernd. »Nein. Ich bin so ziemlich immun.« Wozu ihr verraten, daß er sich mit Heiratsgedanken trug? Nichts reizt ja das Weib mehr, als die Hoffnung, einen Mann zum Ehestande zu bekehren.

»Sind Sie solch ein Feind der Ehe?« fragte sie.

Er zuckte die Achseln. »Zwei Leute, die heiraten,« sagte er, »die kommen mir vor wie zwei Menschen im Hemd, die in der Einsamkeit des Winterfrostes vor Kälte zitternd sich begegnen. Und der eine sagt herzlich zum andern: ›Ich kann dich nicht frieren sehn, hier, nimm mein Hemd‹, und der andere sagt: ›Du dauerst mich ebenso, hier, nimm das meine.‹ Und sie tauschen ihre Seelen – Verzeihung, ihre Hemden, und zittern weiter im Winterfrost. Übrigens, ein heikles Thema in der Kemenate einer jungen Dame.«

Sie suchte sich zu fassen. »Sie sind blasiert,« erwiderte sie etwas gereizt. »Sagen Sie mir einmal ehrlich, warum wollen Sie denn nicht heiraten? Es ist so interessant für uns Mädchen, die wir mit der Binde vor den Augen erzogen werden, einmal in eines Mannes Herz zu blicken.«

Seine grauen, von schwarzen Wimpern umsäumten Augen sahen sie stumm, mit verhaltenem Spott an; sie las es deutlich in seinem Blick, daß er an diese Binde nicht recht glaubte.

»Wir sind garnicht so kompliziert, wir Männer,« antwortete er. »Der lyrische Popanz, den Frauen in ihrer Phantasie aus uns machen, der hält der Wirklichkeit nicht stand. Was kann der Nebel dafür, wenn kindliche Gemüter den Erlkönig in ihm sehn? Was der Komödiant, wenn man ihn für den Kaiser hält?«

»Also Komödianten sind die Männer doch?«

Er lachte. »Nur die intelligenten unter uns.«

»Und die anderen?«

»Mit denen spielt die Frau Komödie.«

Die Situation reizte ihn jetzt. »Wozu heiraten?« setzte er hinzu. »Nehmen Sie zwei Frauen an; die eine die legitime, die andere ein kleines Mädel. Die eine auf ihre Rechte, die andere auf ihre Pflichten bedacht. Die eine ist für mich die Kette, die andere nur ein Glied in bunter Kette. Diese läßt sich herablassend Liebe schenken, jene schenkt selbst, in verschwenderischer Fülle. Mit einem Wort: Die eine eine Last, die andere eine Lust.«

Trude sah ihn verblüfft an. »Was sind Sie ein eingefleischter Junggeselle!« sagte sie dann.

Er schwieg, mit ungeduldig zugekniffenen Augen.

»Sagen Sie, Herr Assessor,« fuhr sie fort, »wie müßte Ihre Frau wohl aussehn?«

»Meine Frau?« Er sah sie fest an. »Nun, dunkles Haar, lang und weich wie der Schleier der Salome, rote, nach Sünde lechzende Lippen, schwarze Augen mit langen Wimpern.« Sein Blick glitt an ihr hinab. »Von dem Übrigen darf man ja wohl nicht sprechen.«

»Das Übrige,« antwortete sie keck, »pflegt man ja vorher auch nicht zu kennen.«

»Es lohnt sich bisweilen nicht.«

Sie ärgerte sich über ihn. Sie fand ihn maßlos frech. »Und der würden Sie treu sein?« fragte sie.

Er richtete sich auf. »Verzeihung, meine Gnädigste,« sagte er mit seiner gewohnten Überlegenheit. »Aber ist das nicht nach – leider – so kurzer Bekanntschaft ein bißchen viel Vertrauen verlangt?«

Sie sah ihn lauernd an. »Sind Sie im Verkehr mit Frauen so wenig gegenseitiges Vertrauen gewohnt?«

Er erwiderte fest ihren Blick. »Ich habe darin überhaupt noch keine Erfahrung.«

»Und kein Bedürfnis, Ihre Kenntnisse zu erweitern?«

»Ich glaube nicht,« antwortete er, »daß eine junge, sittlich gefestigte Dame wie Sie mir dazu verhelfen kann.«

»Die stillsten Wasser sind bisweilen die tiefsten,« sagte sie herausfordernd.

»Um so größer die Gefahr.«

»Sind Sie so furchtsam?«

»Wenigstens vorsichtig.«

»Dann werden Sie kaum je ein Frauenherz erobern.«

»Ich habe auch garnicht die Absicht,« erwiderte er lässig.

Sie fühlte sich geschlagen. Und ihre Erbitterung riß sie fort. »Sie verstellen sich ja,« stieß sie heftig hervor. »Jedes Wort, was Sie da sagen, ist geheuchelt.«

»Ich lüge beständig, aus Prinzip,« antwortete er. »Glauben Sie mir nicht ein Wort. Ich rate Ihnen gut.«

»Und wenn Sie wirklich einmal eine Frau liebten, würden Sie die auch belügen?«

»Erst recht,« entgegnete er. »Die Frau braucht unsere Lüge.«

Sie sah ihn verdutzt an »Weiß Gott,« sagte sie, »Sie haben eine schöne Meinung von uns.«

»Ich dränge sie keinem auf.«

»Und wenn wir Mädchen auch so dächten?«

Er lächelte. »Ich wüßte nicht, was uns angenehmer wäre.« Er betrachtete aufmerksam die Asche seiner Zigarette. »Wozu denn überhaupt heiraten,« wiederholte er, »wenn man sich doch bald wieder trennt. Hier in Berlin wird jede zehnte Ehe geschieden. Aus Liebe nimmt man nur sein Ideal, und das gibt immer Mord und Totschlag; alles verzeihen sich Mann und Weib, nur nicht die unausbleibliche Enttäuschung. Denken Sie sich Romeo und Julia verheiratet, mit den feindlichen Schwiegervätern im Hintergrunde; Romeo in Schulden, und Julia mit Zahngeschwür. Ob sie da auch noch zwitschert: Es ist die Lerche, nicht die Nachtigall? Es ist die graue Krähe, auf ödem, sibirischen Schneefeld.«

Sie schwieg eine Weile. »Wahrhaftig, Herr Assessor,« sagte sie dann, »Sie möchte ich nicht zum Manne haben.«

»Ich kann das ganz und voll verstehn,« antwortete er. Er wußte genau: Jetzt war sie es, die ihn belog.

 

Das alles durchlebte Hans Berg noch einmal in der einen Sekunde, in der er dort am Tisch im Wagnerschen Eßsaal die Augen zu Trude emporhob.

Und auch sie beschäftigte sich zu gleicher Zeit mit ihm.

Es lag ein Charme über ihm, der ihm die Herzen zuzwang. Seine grauen Augen, hinter deren klarem Spiegel bisweilen ein Lächeln des Leichtsinns aufflackerte, ein Strahl von Draufgängertum hochblitzte und wieder verschwand, sprachen ihre eigene Sprache; die stumme Sprache der Huldigung, der Werbung, der Erfüllung, diese urewige Sprache der Sinne, die jede Frau versteht, die ihr das Blut zum Sieden bringt, ihr Schauer über die Haut jagt. Während sein Antlitz, sein Blick, seine ganze Haltung sich scheinbar der Frau unterwarf, wog er eisig das Soll und Haben ihrer Erscheinung, ihres Temperaments, ihrer Widerstandskraft ab. Und wenn er sich abschiednehmend vor ihr beugte, sie ihm mit strahlendem Blick für den tiefen Eindruck dankte, den sie auf ihn gemacht zu haben glaubte, hatte er über Ja und Nein entschieden, wußte er, ob sie in drei, in acht, in vierzehn Tagen sein eigen war.

 

Die Hausfrau wünschte gesegnete Mahlzeit. Trude ließ sich von ihrem Tischherrn nach einer durch Palmen abgetrennten Ecke des Salons führen.

»Nun, Herr Assessor, so ernst?« sagte sie und setzte sich in einen Klubsessel.

»Im Gegenteil,« antwortete er, hinter ihr stehen bleibend. »Ich bin glänzender Laune.«

»Und worüber amüsieren Sie sich? Bitte, sagen Sie es mir.«

»Ein andermal, unter vier Augen,« antwortete er.

»Dann hör' ich es nie.«

Er lachte auf. »Kommt Zeit, kommt Rat – vorausgesetzt, daß Sie hübsch artig sind.«

Sie streifte ihn mit wissendem Blick. »Das wird was Schönes sein, was Sie artig nennen.«

»Etwas sehr Hübsches,« erwiderte er ernsthaft, »so weit mir meine Freundinnen versicherten.«

Sie schlug ein Bein über das andere, sodaß er den dünnen seidenen Strumpf sehen mußte. Es lag etwas Provozierendes in dieser wenig mädchenhaften Haltung; sie erinnerte an eine Frau, die sich entkleidet.

»Eigentlich,« sagte sie, »müßte ich als wohlerzogenes Mädchen jetzt aufstehn und Sie verlassen.«

»Tun Sie es nicht,« antwortete er. »Sie haben sich eben so wundernett aufgebaut.«

Sie errötete und nahm das Bein herab. »Sie und keine Erfahrung!« sagte sie fast bitter, auf ihr Tischgespräch zurückkommend. »Ich sah Sie neulich mit einer jungen Dame, reichlich verwegen, groß und schlank, oder vielmehr mager wie ein Gamin. War das auch Ihr Ideal?«

Er setzte sich zu ihr. »Mimi, die Filmdiva,« sagte er. »Sie ist reizend, im psychologischen Moment.«

»Im psychologischen?« fragte sie ironisch.

»Ich bin höflich genug,« antwortete er, »der Frau eine Psyche zuzusprechen.«

Trude sah ihn kopfschüttelnd an. »Was sind Sie maßlos eingebildet,« sagte sie. »Und dabei machen Sie stets ein Gesicht, als ob sie genau das Gegenteil meinen.«

»Es ist ja so unendlich gleichgültig, was ich meine,« antwortete er, sich durch das braune Haar fahrend. »Nichts ist scheußlicher, als an einander vorbeizureden. Uns beide trennt eine Welt.«

»Die Halbwelt,« antwortete sie böse.

»Die Hälfte,« erwiderte er kühl, »ist manchmal mehr als das Ganze. Auch Sie also neidisch auf verbotenes Land?«

»Tiefland,« entgegnete sie verächtlich.

»Auf dem Hochland der prüden Moral ist mir die Luft zu dünn. Ich ziehe die Ebene vor.«

»Den Morast.«

Er lächelte. »Sie glauben nicht, wie gesund Moorbäder sind.«

»Gesund und schmutzig.«

»Besser als reinlich und ungesund.«

»Man kann auch rein und gesund sein.«

»Zweifellos,« antwortete er. »Aber dann pflegt man solchen heiklen Fragen aus dem Wege zu gehn.«

 

Sie wurden unterbrochen. »Herr Assessor,« rief Frau Hildegard Wagner zu ihm hinüber. »Sie sind ja jetzt unser Hausgenosse?«

»Freilich, gnädige Frau,« antwortete Berg. »Ich habe die Ehre. Seit vierzehn Tagen die Zierde des Halmschen Heims.«

»Zufrieden?« fragte sie.

»Ich danke, ja.«

Er dachte daran, wie er auf seines Freundes Willy Veranlassung Ende April, vor vier Wochen, als seine Wirtin Knall und Fall einen einarmigen Kriegsbeschädigten heiratete und seine Zimmer brauchte, bei Halms erschienen war. Frau Dora Halm war Frau Hildegards Cousine.

Das Haus war feierlich still gewesen, wie ein Gotteshaus. Schwere rote Läufer lagen auf der Vordertreppe, die sich um den Fahrstuhl aus durchbrochenem Schmiedeeisen herumwand.

Er war über den Hof gegangen, zwei Treppen hinaufgestiegen und hatte an der Tür mit dem Porzellanschild »Frau Dora Halm« geläutet. Es war sieben Uhr, schon dunkel.

Lange regte sich nichts. Dann ein leichter Schritt. Das Licht flammte auf.

Zögernd, kaum handbreit, öffnete sich die Tür. Eine ängstliche Mädchenstimme:

»Wer ist da?«

»Assessor Dr. Berg. Ich komme von Wagners, der Zimmer wegen.«

Die Kette fiel, die Tür öffnete sich ganz. Das Licht vergoldete einen schlichten Kranz schwerer, blonder Flechten. In dem feinen Oval des Gesichts ein kleines Naschen, darunter ein frischer, weicher, kindlich unberührter Mund. Und dann – Berg fuhr zurück: Noch nie hatte er in einem Mädchenhaupt so große, unschuldige blaue Augen gesehn.

Sein Blick glitt an ihr hinunter. Nur schüchtern zeichnete sich die junge Brust in der einfachen Waschbluse ab. Mittelgroß, schlanke Hüften, zierliche Hände und Füße. Und so jung, so jung ...

Aber zugleich empfand er eine unangenehme Überraschung. An diese Tochter – hieß sie nicht Lisa? – hatte er garnicht mehr gedacht, bei ihrer Erwähnung sich wohl ein Kind vorgestellt.

Solche Haustöchter konnten verteufelt lästig werden. Entweder sie verliebten sich in den Zimmerherrn, oder sie führten einen häuslichen Krieg gegen ihn; in jedem Falle spionierten sie, sodaß man keine Postkarte, keinen Zettel offen liegen lassen konnte.

Aber ein zweiter Blick auf das junge Mädchen beruhigte ihn; von diesem harmlosen Ding hatte er wohl kaum etwas zu befürchten.

»Darf ich die Zimmer sehn?«

Sie ließ ihn eintreten, öffnete die Tür zu seiner Linken.

Die Wohnung war offenbar schon auf Abmieten hin angelegt. Ein langer Gang, der auf die Küche mündete, links davon drei Zimmer auf den Gartenhof hinaus. Die beiden der Küche zunächst gelegenen Zimmer mit Tür zum Gang, das der Treppe zu gelegene ohne Verbindung mit dem Korridor, jedoch mit einer besonderen Tür zur Treppe hinaus. Der Mieter konnte also durch dieses Zimmer ein- und ausgehn, ohne die Halmsche Wohnung zu betreten.

Die Ausstattung war etwas altmodisch, aber blank und sauber.

Mit einem Blick hatte sich Berg orientiert: Das erste Zimmer, ohne Gangtür, mit Ausgang zum Treppenflur als Schlafzimmer, das nächste mit der Tür zum Korridor als Wohnzimmer; so war sein Schlafraum durch das Wohnzimmer von den Halms verbleibenden Räumen getrennt. Fremde Besucher, die durch den Korridor kamen, gelangten von ihm in das Wohnzimmer; für seine Freunde und Freundinnen kam es nicht darauf an, ob sie von der Treppe zuerst durch das Schlafzimmer kamen.

Elektrisch Licht, Steckdose für die Tischlampe, große Heizkörper, kalt und warm Wasser, Klingel. Ein prüfender Druck auf die Matratze, ein zweiter auf die Sprungfedern des Sofas, – alles nach Wunsch.

»Haben Sie die Sonne hier, mein Fräulein? Ganz abgesehn davon, daß Sie wohl selbst der Sonnenstrahl in diesen Räumen sind.«

Lisa stand befangen in der Wohnstube. »Die Mutter muß gleich kommen,« sagte sie verlegen.

»Davon hängt schwerlich die Lage der Zimmer ab, nicht wahr, mein Fräulein?« antwortete er mit leisem Spott.

Sie faßte Mut. »Von mittags an haben wir Sonne.«

»Und die Zimmer kosten –?«

»Ich weiß das nicht. Die Mutter –«

Du großer Gott, dachte er. Ein junges Lämmchen, weiß wie Schnee ... »Also warten wir auf die Mama,« sagte er ergeben.

Er war nicht gerade begeistert. Irgend etwas warnte ihn zuzugreifen. Aber andererseits waren die Zimmer geradezu ideal. Und die Kleine blickte ihn mit ihren blauen, reinen Augen in so grenzenloser Ehrfurcht an, daß es ihn wohltuend berührte.

»Nun, mein verehrtes Fräulein,« sagte er lächelnd, nur um die Zeit totzuschlagen, »sehr entzückt über mein Auftauchen sehn Sie gerade nicht aus.«

»Doch,« antwortete sie scheu. »Ich freue mich. Die Mutter hat einen großen Verlust gehabt ... deshalb möchten wir ...«

»Da muß ich Ihnen ja als Verkörperung dieses Mißgeschicks erscheinen?«

Sie schüttelte den blonden Kopf. »Eher als Helfer,« sagte sie ehrlich.

Die Tür draußen ging, Lisa huschte hinaus. Frau Halm kam herein. Sie war etwa vierzig; aber wie sie da im Türrahmen stand, mit dem unmodernen Hut, dem abgetragenen Mantel und Zwirnhandschuhen, wirkte sie wie eine alte Frau, die nichts mehr auf sich gibt, nichts mehr vom Leben erhofft. Es schien Berg, als ob mit ihrem Eintreten ein Schatten sich auf das Zimmer senke. Und wirklich sah sie erregt, fast feindselig aus den jungen Mann, der gekommen war, sie aus dem besten Teil ihres Heims zu vertreiben. Denn diese Zimmer waren das Letzte, Einzige, was ihr aus glücklichen Tagen geblieben war; und während sie beide alles Nötige besprachen, glitt ihr Blick in Schmerzen über jedes Stück. Hier auf dem Sofa hatte ihr Gatte gesessen, als er aus Afrika kam; das Bett war das seinige, der stumme Zeuge längstvergangener Nächte. Den Rauchtisch hatte sie ihm am ersten Weihnachten ihrer Ehe beschert; die Tischdecke dort war sein letztes Geschenk gewesen. Und sie fühlte es wie Haß gegen den Eindringling in sich aufsteigen, der hier, in ihren Räumen, schalten und walten würde, als Herr, rücksichtslos, ohne Pietät.

Einen Augenblick hielt das Schicksal in seinen Händen wägend die Glück und Unglück bringenden Kugeln, einen Augenblick wollte Frau Dora Halm sagen: Nein, ich kann nicht! Aber die Not reckte sich vor ihr auf, die schwarze Kugel rollte. Und besiegt schloß Frau Dora mit Berg ab.

 

»Meine Cousine?« hörte Berg jetzt Frau Wagner auf eine Frage ihres Nachbars antworten. »Was die macht? Nun, die sitzt da drüben mit der Lisa und spinnt Trübsal. Warum? Ja, lieber Herr Professor, wem nicht zu raten ist, dem ist auch nicht zu helfen. Wozu hat sie denn eine Verwandte im Haus? Aber das will natürlich alles besser wissen. Ich habe schon immer geholfen und werde es jetzt noch mehr tun müssen, Lisa könnte auch schon verdienen, aber so was erlaubt natürlich Doras Stolz nicht. Und dann noch diese soziale Fürsorge! Jeden Nachmittag tobt sie los. Bedürftige Kinder, und das eigene fängt zuhause Fliegen und wartet auf den Prinzen. Jetzt hat sie ja zwei Zimmer an den Herrn Assessor abgegeben.«

Berg sah zu Trude hinüber. Er dachte daran, es wäre klüger gewesen, mit dem Mieten zu warten. Morgen ging er auf Urlaub; bis dahin hätte ihn seine alte Wirtin doch schließlich behalten und er für den Ferienmonat die Miete erspart. Aber der Gedanke an Trude hatte ihn veranlaßt, die Zimmer zu nehmen, ehe sie anderweit vermietet waren.

Trude fühlte seinen Blick. Sie winkte ihn mit den Augen zu sich heran. »Nun seien Sie doch einmal ein bißchen nett,« sagte sie in ungeduldiger Bitte.

»Ich glaube,« antwortete er, »wenn einer von uns garstig war, – ich nicht.«

Sie sah ihn fest an. »Wenn Sie wüßten, ein Mädchen hat Sie lieb, und Sie mögen sie gleichfalls, würden Sie dann auch so sein?«

»Unbedingt. Es ist der kürzeste Weg, um einig zu werden.«

»Woher soll aber solch ein Mädchen Ihre Liebe merken?«

Er wollte sie demütigen. »Ich glaube überhaupt nicht an Liebe,« sagte er hart. »Wenigstens nicht an ewige. Alles fließt, alles vergeht.«

»Sind Sie dann nicht zu bedauern?« fragte sie mit einem Ausschlag ihrer schönen Augen.

»Wenn die Erkenntnis der Wahrheit bedauernswert ist, ja,« antwortete er ohne Zögern.

Sie schüttelte den Kopf. »Und kann Sie nichts eines Besseren belehren?«

»Mich hat das Leben belehrt.«

»Auch das Leben trügt.«

»Den Narren.«

Ein Frösteln lief über ihre vollen Schultern. »Durch was für Hände müssen Sie gegangen sein!«

Seine grauen Augen blitzten auf. »Durch weiche, bebende Frauenhände. Die sich in Sehnsucht an mir emporrankten, in Hingebung meinen Hals umschlangen.«

»Und dennoch?«

»Gerade deshalb.«

Sie staunte ihn ungläubig an. »Frauen, die Ihnen alles gaben?«

Er zuckte die Achseln. »Alles und nichts.«

»Sie hassen die Frau,« sagte sie traurig.

»Nicht alle. Ich denke soeben an eine. Die bekannte Ausnahme.«

»Die haben Sie verehrt?« fragte sie gespannt.

»Verehrt?« erwiderte er gedehnt. »Ich habe dieser Frau eine Geschichte erzählt, von einer erdichteten Erna, die ich geliebt und die mich wieder geliebt hat, und die am nächsten Tage, nachdem wir uns gestritten – genau wie heut wir beide – in meiner Junggesellenklause den Tee trank. Um vier.«

»Die Geschichte war erlogen?«

»Ich sagte es schon, Frauen wollen belogen sein. Es ebnet ihnen den Weg.«

»Und die junge Dame, der Sie das erzählten, was sagte die?«

»Sie errötete. Wie Sie soeben, mein gnädiges Fräulein.«

»Und den nächsten Tag?«

»Kam sie.«

»Zu Ihnen?«

»Mit Puderquaste und Brennschere.«

»Zum Tee?«

»Das auch.«

»Und woraus hatte sie geschlossen, daß die Geschichte eine verkappte Einladung für sie selbst war?«

»Ihre Meinung von der Psyche der Frau ist recht bescheiden.«

»Sie blieb allein bei Ihnen?«

»Mein Terrier war dabei.«

»Und keiner hat sie entdeckt?«

»Ich.«

Sie wurde ungeduldig. »Kein anderer, meine ich doch.«

»Nein,« antwortete er. »Ich hatte nur vormittags eine Aufwartung. Die Tür stand auf. Über mir wohnte eine Korsettfabrikantin. Auto zur Rückfahrt durch Fernsprecher.«

Sie zögerte. »Das sind ja tolle Sachen,« sagte sie dann. »Und wie endete die Geschichte?«

»Ich danke,« sagte Berg zu der siebzehnjährigen Annie, der Tochter der Pförtnersleute, die ihm Kognak anbot. »Zu beiderseitiger Genugtuung,« antwortete er dann auf Trudes Frage.

»Und sie hat nicht die Ehe von Ihnen erwartet?«

»Von mir?« erwiderte er ruhig. »Keine Spur. Sie war ja verlobt.«

Sie sah ihn fassungslos an. »Ist denn so etwas möglich?«

Seine grauen Augen glühten auf. Sprach er aus echter Empfindung, aus tiefer Erinnerung heraus, oder spielte er nur seine Rolle meisterhaft? »Mich liebte sie, nicht ihn,« sagte er erregt. »Sie nahm ihn unter dem Zwange ihrer Eltern. Sie kam zu mir, zwischen Verlobung und Trauung, ohne die dumpfe Luft des Standesamts, den hohlen Prunk der flimmernden Kirche. Nicht erst beim Hochzeitssekt von frechen Augen der Gäste entkleidet, von zweideutigen Witzen beschmutzt, nicht zwischen Kellnern und Stubenmädchen ins Brautbett Spießruten laufend. Sie wollte, daß ihre Unschuld in Schönheit starb. Sie jauchzte, als sie sich gab, und weinte, als sie mich ließ.«

»Und wenn sie frei gewesen wäre, hätten Sie sie zur Frau genommen?«

Er zauderte einen Moment, ehe er die Würfel seines Lebens rollen ließ. »Ja,« sagte er dann fest. »Sie war bezaubernd.«

»Auch wenn sie nicht gekommen wäre, – zum Tee?«

Er schnitt mit der Hand scharf durch die Lust. »Wer mich liebt, bis zum Vergehen, schenkt sich mir. Wer sich versagt, liebt mich nicht. Ich will wissen, woran ich bin.«

»Ist das nicht eine recht einseitige Forderung?«

»Es steht dem jungen Mädchen frei, denselben Wunsch zu hegen.«

»Und wenn sie Ihnen nicht genügt?«

»Dann sind wir beide vor einer Dummheit bewahrt.«

»Beide?«

»Auch ich laufe Gefahr, ihr zu mißfallen. Gleiche Rechte und gleiche Pflichten.«

»Nur daß das Mädchen sich in Ihre Hände gab.«

Er war erstaunt, wie scharf sie ihn durchschaute. »Geben ist seliger denn nehmen,« antwortete er. »Im übrigen wagt ein Weib, das sich häßlich weiß, kein solches Experiment.«

»Man kann sich täuschen.«

»Besser sich als den andern. Und besser vorher, als nachher. Ce sont les petits embarras du métier.«

»Ist das nicht furchtbar unanständig?«

»In Liebesdingen gilt alles Vernünftige als unanständig.«

»Ich finde das empörend.«

»Jede Befreiung von Vorurteilen wird mit einer Empörung eingeleitet.«

»Und womit abgeschlossen?«

Er hatte keine Zeit zu antworten. Herr Goldschmidt aus Köln, Warenhausbesitzer und Millionär, eine Badebekanntschaft vom letzten Sommer, bat Trude um ein Lied. Berg ging zu den jungen Leuten hinüber, in deren Mitte sein Freund Willy, der Sohn des Hauses, das Wort führte.

Aber erst glitt noch einmal sein Blick zu Trude, die am Flügel stehend in den Noten blätterte. Ja, sie war reizend, mit ihrem ebenholzschwarzen Haar, den dunklen Augen, der rosigen, gleich seidenem Atlas schimmernden Haut, dem geschmeidigen Körper. Seit heute abend war sie sein. Ob Wochen noch, ob Monate vergingen, – wie ein steuerloses Schiff in der Strömung trieb sie seinem Strande zu, um dort Rettung zu finden oder zu scheitern.

Er wandte sich zu Willy, dem Riesen mit dem blonden, ungebändigten Haar und den kornblumenblauen Augen, der so wenig seiner Schwester glich. Alles an ihm schien ein wenig zu groß geraten; es lag etwas Täppisch-Gutmütiges über ihm, das seinem Freunde gegenüber noch schärfer hervortrat.

Vom Felde heimgekehrt, lebte Willy sein Leben für sich. Er hatte sich eine eigene Wohnung genommen und besuchte die Mutter, die er nicht ausstehn konnte, und die Schwester, mit deren Anschauungen er wenig harmonierte, nur Sonntags zum Essen und bei festlichen Gelegenheiten. Er war mündig und lebte mehr als behaglich von der ihm vom Vater bis zum Tode der Mutter ausgesetzten Rente.

Willy war mitten in einer Debatte über das Schicksal des deutschen Kaisers, den er eifrig verteidigte. »Übrigens,« setzte er gutgelaunt hinzu, »spielen bei mir persönliche Beziehungen hinein. Mit mir hat sich S. M. einmal höchst freundschaftlich unterhalten.«

Die Augen der kleinen Annie, der Pförtnerstochter, die eben ihr Tablett vorsichtig über das Parkett balancierte, hafteten in andächtigem Staunen an ihm.

»Das hast du mir ja noch nie erzählt,« bemerkte Berg.

»Nee, hab' ich auch nicht,« lachte Willy. »Werde den Teufel tun, ausgerechnet meinem hohen Kompagniechef. Du warst gerade auf Urlaub, ich führte die Kompagnie. August 1916, in Galizien, auf dem Marsch nach der Slota Gora. Eine Bullenhitze. Ein paar Kerls, die ausgetreten waren, bummelten hinterher, andere hatten schlapp gemacht und saßen auf der Bagage. S. M. kam plötzlich von hinten, im Auto. Und da ließ er neben mir halten und sagte: ›Feldwebel, das ist ja eine unglaubliche Schweinerei bei Ihnen.‹«

»Und das hast du so hingenommen?« lachte Berg.

»Hm, ja,« antwortete Willy. »Ein Kaiserwort soll man nicht drehn noch deuteln.«

»Und nicht einmal das E. K. I hat er dir nachträglich gestiftet?«

»Nein,« erwiderte Willy mit seiner unzerstörbaren Ruhe. »Ich hatte in der Eile ganz vergessen, mich Seiner Majestät bekannt zu machen.«

Und während er der kleinen Annie ein Glas Bier abnahm, sah er einen Augenblick mit seinen blauen Augen freundlich zu ihr auf.

Seine Annie ... Wie ein Kätzchen war sie, schlank, mit ihren feinen Gelenken und biegsamen Bewegungen. Gewiß, ihr rotes Haar war wenig gepflegt, ihre billigen Blusen spannten sich und klafften über der Jungmädchenbrust und dem schmalen Rücken; ihr Teint war blaß, in dem matten Schimmer, den Stadt- und Stubenluft den blutarmen Mädchen ausdrückt. Aber sie hatte hübsche, regelmäßige Brauen über braunen, goldgesprenkelten Augen, die im Frohsinn ihr eigenes, verschmitztes Lächeln zeigten, als spotteten sie über das unverschämte Näschen zwischen ihnen, den großen Mund, der mit seinen roten Lippen, den blitzenden Zähnen und Grübchen sein eigenes Leben zu haben schien. Sie war unscheinbar und doch zum Anbeißen, ungebildet, aber gut zu leiden. Nie nahm sie etwas übel, nie war sie schlechter Laune, stets dankbar für alles. Und er liebte ihr schlagfertiges Mundwerk, mit dem sie sich gegen seinen trocknen Humor wehrte.

Ein Jahr lang hatten sie sich schon lieb. So oft er auf dem Wege zur Mutter in das Haus gekommen war, fand er sie auf ihn lauernd. Eines Tages, als er das Haus verließ, war er vor ihr stehn geblieben.

»Komm mal her, Mädel,« sagte er in seiner ruhigen, selbstsicheren Art. Er duzte sie alle von vornherein, und keine nahm daran Anstoß. »Du läufst mir zu viel über den Weg, das schätze ich nicht. Also komm schon mit, damit es Ruhe gibt.«

Ohne ein Wort folgte sie ihm.

»Sie sagen keinem etwas?« fragte sie eine Stunde später ängstlich. »Sie schwören es mir? Der Vater schlägt mich sonst tot.«

»Nein, Schäfchen,« antwortete er gutmütig. »Und an die Litfaßsäule laß ich es auch nicht kleben.«

Was war sie damals für ein Dummchen gewesen! Inzwischen war sie freilich recht helle geworden. Und in dem einen hatte er Wort gehalten: So oft Berg und den anderen Freunden gegenüber die Rede auf Annie kam, klagte er mürrisch über das zimperliche Mädel, das keinen Tropfen Blut in den Adern haben mußte.

Sie liebte ihn hingebend, ganz gegen ihre sonst so kecke Art. Wie ein Zwergwindspiel um einen Bernhardiner war sie um ihn herum, kaum ihm bis an die Schultern reichend, immer willig, immer bemüht, ihm zu gefallen. Er zerbrach sie fast mit seinen Zärtlichkeiten. Doch wenn sie mit schmerzenden Gliedern von ihm ging, küßte sie ihm die Hände.

Berg hatte den Blick gesehn, den Willy mit Annie tauschte. Und während er sich der Gruppe der älteren Herren näherte, die sich im ehemaligen Zimmer des Hausherrn in ihren bequemen Klubsesseln beim Burgunder von den Strapazen des Essens erholten, grübelte er darüber nach, wie man in solchen Junghasen sich verlieben konnte, und noch dazu platonisch. Sie sagte ihm nichts mit ihrem Knabenkörper; und nur das interessierte ihn ein wenig, ob sie bloß Willy gegenüber oder aus Veranlagung so keusch war. Und flüchtig dachte er daran, daß Willy im Herbst nach Heidelberg gehn wollte. Das wäre eine kleine Rache, die er an diesem Glückspilz nehmen könnte.

Er kehrte in das Musikzimmer zurück. Im Spiegel ihm gegenüber sah er sein Bild, schlank, mit kleinen, nervigen Händen und schmalen Füßen. Ein Mädchenantlitz, wie überhaupt über der ganzen Erscheinung aus den ersten Blick etwas Frauenhaftes, Graziöses lag; nur zwei wuchtige Durchzieher und eine Säbelabfuhr über die Stirn, die bis in den Knochen gegangen war, milderten diese Weichheit, auch wenn die grauen Augen nicht wie Stahl aufblitzten, die schmalen Lippen sich nicht in ungeduldigem Widerspruch zusammenpreßten.

Aber wenn diese Eigenschaften seiner Erscheinung mehr negative waren, so besaß er zugleich zwei positive Reize: Seinen Blick, wenn er schwieg, seine Stimme, wenn er sprach. Diesen Blick der grauen, schwarzumwimperten Augen, in deren Tiefe sich ungebändigte Leidenschaft verriet, die ihre Sprache für sich hatten, werben, heischen, betteln, befehlen konnten; diese Stimme, die jetzt wie leiser Harfenklang betörte, jetzt wie eine durch die Lust pfeifende Gerte den Widerspruch des Weibes erstickte, ihm seinen Willen aufzwang.

Die Frage, ob sich ein Frauenherz ihm öffnen würde, kannte er kaum. So oft er ein Mädchen begehrte, so sah er es von vornherein als sein Eigentum an, wie der Holzfäller weiß, daß er den Baum, den er mit seiner Axt gezeichnet, auch niederlegen wird. Und dieses Gefühl, dieser Hochmut der Selbstverständlichkeit, die Zuversicht des Niebesiegten, die aus jedem seiner Blicke, jedem Worte sprach, wirkte suggestiv auf jede neue Beute. Er siegte, nur weil in seinem Denken und Willen für eine Niederlage kein Platz war.

Eben hatte Trude am Flügel zu singen begonnen. Rein und schön klang der Liebessang der Dalila: Ach, sieh mich vor Wonne beben, du mein höchstes Glück, mein Leben ...

Berg fühlte, sie sang nur für ihn, bot sich in diesen sehnsüchtig lodernden Tönen ihm an. Und während ihre Stimme immer freier, siegreicher durch den großen Raum zu ihm hinüberjauchzte, fühlte er ihre Augen wie Feuersglut auf seinem Antlitz brennen.

Ja, er durfte ihrer sicher sein. Aber, wenn er wirklich auf sie zurückgreifen mußte, – wie würde sich Frau Hildegard, die Mutter, dazu stellen, die drüben in ihrem Perlgrauen Seidenkleide unter den alten Freunden des Hauses thronte? Diese Mutter, die an und für sich in ihrer Säuerlichkeit ihm denkbarst unsympathisch war?

Und alles das tauchte wieder vor ihm auf, was Willy ihm in seiner offenen Art nach und nach in der Öde des Unterstandes von seinem Elternhause erzählt hatte.

 

Zwanzig Jahre waren Willys Eltern verheiratet gewesen und sich doch weltenfern geblieben.

Mit starken Armen hatte Robert Wagner als junger Anfänger begonnen sich seine Existenz aufzubauen. Aber der Ehrgeiz war mächtig in ihm. Er hatte sich damals gesagt: Was er in eiserner Arbeit in einem Menschenleben erreichen konnte, das würden ihm, mit Kapital zur Seite, schon die nächsten zehn Jahre bringen. Er war jung, ansehnlich, ein froher Mensch. Und als er seine künftige, fünf Jahre ältere Frau kennen lernte, mit ihren achtzigtausend Mark Mitgift, als sie sich ihm geradezu antrug, da sargte er in einer langen, schlaflosen Nacht die kleine Näherin ein, die ihn jahrelang durchgefuttert, ihm alles, was sie besaß, geschenkt, nur keine Mittel, da tat er den Schritt, den er so oft bereuen sollte, heiratete das schöne Geld und nahm die zänkische Hildegard in den Kauf.

Über das erste Jahr der Ehe waren sie schlecht und recht hinweggekommen; der Aufschwung, den sein bisher so kleiner Betrieb nahm, ließ ihn seine Frau mit dankbaren Augen ansehn. Aber Liebe, die nur von Dankbarkeit sich nährt, verkümmert bald. Nur zu rasch mußte Frau Hildegard erkennen, daß seine Heirat nichts als ein Geschäft für ihn gewesen war; und je mehr sie ihn liebte, desto weniger verzieh sie ihm das.

Jahr um Jahr verging in steigendem Unfrieden.

Es kamen die Nadelspitzen, die sie vor fremden Ohren in seinen Stolz hineintrieb, der Spott über das erloschene Eheleben, an dem er nach ihren verschleierten Worten schuldig war. So oft sie ihn erbleichen sah unter den Stichen, die ihre scharfe Zunge ihm versetzte, frohlockte sie, hoffte sie innerlich auf seine Wiederkehr. Bis er eines Tages lächelnd ihrem Angriff standhielt, ihre Anspielungen unterstrich. In diesem Augenblick wußte sie, daß er sich getröstet, daß er sie betrog.

Sie kannte seine Art, sie wußte, wie leidenschaftlich er im Grunde war, ahnte, daß er noch nicht verzichtet hatte, fürchtete die Nebenbuhlerinnen. Und lag so manche Nacht schlaflos, mit gespannten Sinnen, in selbstquälerischer Erwartung, die Kammertür des Mädchens gehen zu hören.

Und nun begann der heimliche Krieg, das Erhaschen-Wollen und Sich-nicht-fangen-Lassen. Vor dem unbarmherzigen Spiegel sah sie ja – und die blühende Jugend ihrer heranwachsenden Kinder trug dazu bei, diesen Eindruck zu verschärfen –, wie sie gealtert war, wie der Ehekrieg, Erbitterung und Zorn ihre Runen in das einst glatte Gesicht geschrieben hatten. Und was ihr der Spiegel verschwieg, das las sie in ihres Mannes Blicken, die gleichgültig, wie erstorben über sie hinwegglitten. So erkaltete ihr heißes Blut immer mehr, versteinte ihr Herz, und nur eins blieb in ihr lebendig, der Grimm der Frau, der der Gatte das Letzte, Höchste, den Flammensturm der Liebe schuldig geblieben, blieb der Haß gegen alle die anderen, die den Becher der Liebe hatten leeren dürfen, in jungem, jauchzenden Glück.

Nie würde Frau Hildegard zugegeben haben, daß auch sie Schuld an dieser Entfremdung trug. In ihren Augen war sie noch immer dieselbe Taubenseele, für die sie sich stets gehalten hatte. Und wenn ihr Gatte ihr sagte, daß längst der letzte Rest von Weiblichkeit, Weichheit und Güte von ihr gewichen sei, so endete jede solche Erörterung mit einer Flut von Vorwürfen gegen ihn, der selbst alles durch seine Lieblosigkeit in ihr zerstampft hatte. Es war der ewige Kreislauf ehelichen Zwistes: Er betrog seine Frau, weil er sie unausstehlich fand, sie war es, weil sie sich betrogen fühlte.

Sie bäumte sich gegen seinen Frohsinn auf, goß Essig in jedes Gericht auf der Tafel seines Lebens. Sie wurde kleinlich, weil sie seiner großzügigen Art, wie allem in ihm widerstrebte, was ihm der Menschen Herz gewann. Sie bemühte sich, grundsätzlich zu widersprechen, sie wurde sein Gegensatz, der Schatten seiner Lichtseiten, alles, was er nicht war, gehässig, geizig, neidisch.

Er hatte sein Möglichstes getan, um sich den Sonnenschein im Hause zu erhalten und wenigstens den heranwachsenden Kindern, Willy und Trude, gegenüber sich keine Blößen zu geben. Und als er sehen mußte, wie seine Frau sich auch bei diesen beständig über ihn beklagte, die Kinder als Bundesgenossen gegen ihn warb, da griff er ein. Willy schickte er nach Brandenburg aufs Gymnasium, Trude nach Hildesheim in die Pension; und als sie zurückgekehrt war, gab er der Not gehorchend sich keine Mühe mehr, vor ihren wissenden Augen die Komödie einer friedlichen Ehe zu spielen.

Denn Trude hatte es meisterhaft verstanden, sich ihre Stellung im Elternhause zu schaffen. Die Eltern hatten Respekt vor ihr; und wenn einmal in ihrer Gegenwart die Temperamente durchgingen, besaß sie eine so unnachahmliche, absprechende Art, sich zu erheben, die Zeit zu wünschen und hinauszugehn, daß meist dadurch zugleich der Streit erstickt wurde.

Innerlich hielt Trude zum Vater und machte kein Hehl daraus, wie sehr sie es verstand, daß er sich draußen für die Strapazen seines Ehelebens entschädigte.

»Du, Vater,« sagte sie einmal, »ich sah dich gestern am Kaiserhof in ein Auto steigen.«

Er fuhr zurück. »Irrtum,« sagte er dann. »Das war ich nicht.«

»So?« antwortete sie keck. »Du nicht? Aber die kleine Buchhalterin aus der Fabrik, der Rotfuchs, der ist's bestimmt gewesen. Wer war denn da mit ihr?«

Er brauste auf. »Nun halt' aber den Rand!«

»Schön,« erwiderte sie. »Ich wollte nur wissen, wer der die seidenen Unterröcke und Strümpfe bezahlt. So etwas kann ich mir nicht leisten.«

Er zog die Brieftasche hervor. »Wieviel?« fragte er kurz. »Um meine Ruhe zu haben,« setzte er unwirsch hinzu.

» A discrétion,« lächelte sie und steckte die Scheine in ihren Ausschnitt. »Aber wenn du Ruhe haben willst, Papa, – das scheint mir doch sehr zweifelhaft, ob gerade der Rotfuchs der richtige Weg dazu ist.«

Im allgemeinen hatte er zuletzt, nach langen Jahren, doch seinen Frieden gehabt, sobald nicht außergewöhnliche Ereignisse Frau Hildegards Zorn erregten. Auch damit fand er sich für gewöhnlich in guter Laune ab und sagte nur: »Es ist merkwürdig. Von zwei Eheleuten ist meist der eine nett, der andere übel ... Mich finden die Leute immer nett.« Dann haßte sie ihn doppelt; und da ihr jeder Humor fehlte, zahlte sie ihm seinen Spott mit immer gesteigerten Bosheiten zurück.

Und das alles tat sie, weil sie ihn, ohne es selbst zu wissen, liebte. Mit einer Liebe, die in Haß getränkt war, mit einem Haß, der in Liebe glühte.

An solchen vergifteten Tagen haßte auch er sie, hatte er keinen Wunsch als den einen, dessen Erfüllung er sich nach solchen Szenen in stiller Einsamkeit oder in beharrlichem Schweigen unter ihren Augen ausmalte: Dieses Weib einmal vor sich zu sehn, steif, kalt, als Leiche aufgebahrt. Auf sie zu blicken, ohne dem harten Haß ihrer Augen zu begegnen, den messerscharfen Klang ihrer Stimme zu hören; ihr einmal in das starre Gesicht schauen zu dürfen, als Herr über sie, als Sieger. Und dann sich wenden und hinausgehn, in das lachende Leben hinein.

Das Schicksal gönnte ihm diese Stunde nicht. Eines Tages, vor jetzt drei Jahren, hatte er gefröstelt, gefiebert, einen steifen Grog nach dem anderen getrunken, sich an Grippe zu Bett gelegt, zum letzten Mal mit seiner Frau gezankt, und war nicht wieder aufgestanden.

Frau Hildegard, die nun die Zügel der Regierung im Hause ergriff und auch die Fabrik mit Hilfe des langjährigen, bewährten Personals weiterführte, hatte das Rennen gemacht.

* * *


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