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Zum Geleit

Einer, nur einer habe ich dieses Werk nach seinem Abschluß vorgelesen. Als ich geendet, hörte ich sie beklommen flüstern:

»Wie furchtbar hart ...«

Ich habe über dieses Wort viel nachgedacht; und ganz unmerklich hat es sich in mir gewandelt, zurück zu der Erkenntnis, von der ich ausgegangen: Wie hart das Leben, wie furchtbar hart die Menschen sein können.

Ich habe Männer gekannt, zu Hunderten, die spöttisch mit den Achseln zuckten: »Wollen die Mädel es denn besser? Wenn ich's nicht bin, ist's heut oder morgen ein anderer!« So vielen Frauen bin ich begegnet, die von unermüdlicher Liebe umgeben, deren Kinder in sorgender Hut betreut waren; sprach ich zu ihnen von ihren gescheiterten Schwestern, so wehrten sie verletzt ab: »Von solchen Dingen bitte ich nicht zu reden!«, so fuhren sie verächtlich auf: »Nimmt man sich dieser Dirnen an, was hat die ehrsame Frau dann noch voraus?« Ich habe die kleine Lisa erblickt, in ihrer Jugend Maienzeit, in der Verlassenheit der werdenden Mutter, im Kampf um ihres Kindes Erhaltung, vorm Schwurgericht, im Sumpf des Freudenhauses. Nicht immer war's dieselbe Lisa, und dennoch stets die gleiche: Das junge, hilflose, versinkende Weib, das getäuschte, verführte, verfemte Menschenkind.

Und eine Stimme klang in mir: Sie wissen es nicht, die Männer, die leichten Herzens der flüchtigen Stunde, dem kurzen Rausch ein Menschenglück opfern. Sie wissen es nicht, die Frauen, die vom Frieden des Hauses umhegt, vor Entbehrung geschützt, vor Versuchung gefeit sind. Sie wissen es nicht, die Jungmädel alle, die mit scheuen Augen und klopfendem Herzen sich von dem urewigen Sang der Liebe betören lassen, denen vertrauende Unschuld zum Verhängnis wird.

Und immer lauter, immer unwiderstehlicher hat diese Stimme mich gemahnt: Warne, klage an! Warne die Gefährdeten, unzählige junge Mädchenblüten, die an des Mannes Gifthauch zu verdorren drohen. Klage sie an, die Skrupellosen, die mit den überlegenen Waffen des Geistes, mit Erfahrung und List gegen hingebende Liebe, gläubige Schwäche des reinen Weibes kämpfen. Stelle sie an den Pranger, die Hochmütigen, die ohne Mitleid die Gestrauchelten verdammend sich doch nur selbst richten. Laß deinen Ruf weit hinausdringen, den Schrei nach verstehender, verzeihender, tatwilliger Liebe, die ja von allem Köstlichen in Menschenbrust das Köstlichste ist.

Unter dem Zwange dieser Stimme hab' ich mein Werk geschaffen, hab' ich's so hart geschrieben, so hart getauft.

Wie sagt der Philosoph von Sils-Maria? »Reden wir davon, ihr Weisesten, ob es gleich schlimm ist. Schweigen ist schlimmer; alle verschwiegenen Wahrheiten werden giftig ...«

Eine neue Zeit zieht herauf, über einst Wertvolles, Teures, Geheiligtes hinweg; und doch, – fegt sie zugleich den Wust engherziger Vorurteile aus der Menschheit Herzen hinaus, lehrt sie uns eins, des Lebens Krone, werktätiges Erbarmen, so soll sie mir gegrüßt sein.

Paul Langenscheidt.


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