Selma Lagerlöf
In Dalarne
Selma Lagerlöf

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Der neue Weg.

Es war im nächsten Frühling, gleich nachdem der Schnee von der Erde verschwunden war. Der junge Ingmar und der starke Ingmar waren eben ins Dorf hinabgekommen, um die Sägemühle in Gang zu setzen. Den ganzen Winter über hatten sie oben im Walde zugebracht und waren eifrig beschäftigt gewesen, Kohlen zu brennen und Bäume zu fällen, und als Ingmar wieder in die Ebene hinabkam, kam er sich vor wie ein Bär, der eben aus seiner Höhle herausgekrochen ist. Er konnte sich kaum daran gewöhnen, die Sonne an dem freien Himmel strahlen zu sehen, sondern ging und blinzelte mit den Augen, als könnten sie das Licht nicht ertragen. Auch das Getöse des Gießbaches und die Menschenstimmen und all das Geräusch, das ihm unten auf dem Hof um die Ohren sauste, peinigte ihn. Aber zur selben Zeit war er so glücklich über das alles; Gott mochte wissen, daß er es weder in seinem Wesen noch in seiner Rede zeigte, aber in diesem Frühling fühlte er sich so jung wie die neuen Triebe an den Birken.

Es ist nicht zu sagen, wie gut es schmeckte, in einem gut gemachten Bett zu schlafen und ordentlich bereitete Speisen zu essen.

Und dann wieder daheim bei Karin zu sein, die zärtlicher wie eine Mutter für ihn sorgte. Sie hatte einen neuen Anzug für ihn anfertigen lassen, und kam oft aus der Küche herein und steckte ihm irgendeinen Leckerbissen zu, als sei er ein kleiner Junge.

Und wieviel Merkwürdiges war nicht geschehen, während er da oben im Walde gewesen war. Ingmar war am Tage nach der großen Versammlung hinaufgekommen, und war seitdem fort gewesen. Er hatte nur einige unbestimmte Gerüchte über Hellgums Lehre gehört. Aber jetzt Karin und Halvor darüber reden zu hören, wie froh sie waren, und wie sie und ihre Freunde bemüht waren, einander behilflich zu sein, Gottes Wege zu gehen – das war geradezu erhebend.

»Wir erwarten ganz bestimmt, daß du dich uns anschließt,« sagte Karin. Ingmar antwortete, daß er wohl Lust dazu habe, daß er sich aber erst noch bedenken müsse. – »Den ganzen Winter habe ich mich danach gesehnt, daß du unserer Glückseligkeit teilhaftig werden möchtest,« sagte Karin. »Denn wir wohnen nicht mehr auf der Erde, sondern in dem neuen Jerusalem, das vom Himmel herabgestiegen ist.«

Es war auch eine erfreuliche Nachricht für Ingmar, daß Hellgum noch in derselben Gegend war. Im vergangenen Sommer war Hellgum oft nach dem Sägewerk hinabgekommen und hatte mit Ingmar geredet, und sie waren gute Freunde geworden. Ingmar bewunderte Hellgum als den besten Mann, den er getroffen hatte. Nie hatte er jemand gesehen, der so männlich und offen war und sich so fest auf sich selbst verließ.

Zuweilen, wenn sie viel zu tun hatten, zog Hellgum den Rock aus und half ihm beim Sägen. Da war Ingmar ganz stumm vor Staunen geworden; nie hatte er jemand gesehen, der so schnell bei der Arbeit war.

Gerade jetzt war Hellgum auf einige Tage verreist, aber sie erwarteten ihn bald zurück.

»Ja, wenn du erst mit Hellgum gesprochen hast, wirst du dich uns schon anschließen,« sagte Karin. Und das glaubte Ingmar auch, obwohl er unruhig war, sich auf etwas einzulassen, zu dem der Vater nicht seine Zustimmung gegeben hatte.

»Gerade Vater hat uns ja gelehrt, daß wir Gottes Wege gehen sollen.«

Es war alles so gut. Ingmar hatte sich nie denken können, daß es so herrlich sein könne, wieder unter Menschen zu sein. Er vermißte nur eins, nämlich, daß niemand von dem Schulmeister und Gertrud sprach. Das war schade, denn Ingmar hatte Gertrud ein Jahr hindurch gar nicht gesehen. Früher hatte er nie darauf zu warten brauchen. Im vorigen Sommer war kein Tag vergangen, wo nicht von Storms die Rede gewesen wäre.

Es war wohl nur ein Zufall, daß sie so schweigsam waren. Aber es kann so unheimlich sein, wenn man nicht den Mut hat zu fragen, und wenn niemand von selbst darauf kommt, über das zu sprechen, was man am liebsten hören will.

Aber war Ingmar glücklich und zufrieden, so war es mit dem starken Ingmar ganz anders bestellt. Der Alte war stumm und mürrisch. Es war schwer, es ihm recht zu machen. – »Ich glaube, du sehnst dich nach dem Walde zurück,« sagte Ingmar eines Nachmittags zu ihm, als sie jeder auf seinem Balken saßen und ihr Vesperbrot verzehrten. – »Ja, weiß Gott, das tue ich,« sagte der Alte. »Ich sähe es am liebsten, wenn ich gar nicht nach Hause gekommen wäre.«

»Was ist denn bei dir zu Hause nicht recht?« fragte Ingmar.

»Und danach fragst du noch?« erwiderte der starke Ingmar. »Ich glaubte, du wüßtest es ebensogut wie ich, daß die Sache mit Hellgum nicht in der Ordnung ist.« – Ingmar erwiderte, daß er im Gegenteil gehört habe, Hellgum sei ein großer Mann geworden. – »Ja, er ist ein so großer Mann geworden, daß er den ganzen Kirchsprengel auf den Kopf gestellt hat.«

Ingmar konnte nicht umhin, darüber nachzudenken, wie merkwürdig es war, daß der starke Ingmar nie eine Spur von Liebe zu seiner eigenen Familie zeigte. Er kümmerte sich um nichts weiter als um den Ingmarshof und die Ingmarssöhne. Jetzt mußte Ingmar den Schwiegersohn in Schutz nehmen. »Ich finde, es ist eine gute Lehre,« sagte Ingmar. – »So, also das findest du?« sagte der Alte und sah ihn wütend an. »Meinst du, daß der große Ingmar das auch gefunden haben würde?« – Ingmar erwiderte, daß der Vater sicher daran teilgenommen haben würde, ein rechtschaffenes Leben zu führen. – »So, du glaubst also, der große Ingmar wäre mit dabei gewesen, jeden Menschen für einen Teufel und Antichristen zu erklären, der nicht zur Gemeinde gehört, und daß er nicht mit seinen alten Freunden mehr hätte verkehren wollen, weil die an ihrem alten Glauben festhalten?« – »Ich glaube nicht, daß Leute wie Hellgum und Halvor und Karin sich so benehmen,« sagte Ingmar. – »Du kannst es ja versuchen, dich gegen sie aufzulehnen, dann wirst du schon merken, wofür sie dich halten.«

Ingmar schnitt große Stücke von seinem Butterbrot ab und stopfte den Mund voll davon. Er fand, es war schade, daß der starke Ingmar so schlechter Laune war.

»Ach ja,« sagte der Alte nach einer Weile, »so kann es gehen. Hier sitzt du, der du der Sohn des großen Ingmar bist, und hast nichts mehr, worüber du verfügen kannst. Aber meine Anna Lisa und ihr Mann, die leben unter den Großen. Die besten Leute im Dorf bücken sich und machen Kratzfüße vor ihnen, und sie gehen jeden Tag von einem Gastmahl zum andern.«

Ingmar aß nur und kaute ruhig weiter; er fand, es war nichts, worauf er zu antworten brauchte.

Aber der starke Ingmar begann von neuem: »Ja, das ist eine schöne Lehre, das ist sicher und gewiß, darum hat sich auch die halbe Gemeinde Hellgum angeschlossen. So eine Macht wie Hellgum hat noch nie einer in der Gemeinde gehabt. Nicht einmal der große Ingmar. Er trennt die Kinder von den Eltern, indem er predigt, daß die, die zu ihm gehören, nicht unter Sündern leben dürfen. Hellgum braucht nur zu winken, dann verläßt der Bruder den Bruder, der Freund den Freund und der Bräutigam die Braut. Er hat die Macht besessen, es so einzurichten, daß im letzten Winter auf jedem Hof Zank und Streit geherrscht hat. Ja, dem großen Ingmar würde so etwas gewiß gut gefallen haben. Er würde Hellgum sicher in allem gefolgt sein. Ja, das ist ganz sicher.«

Ingmar sah die Schlucht, in der sie saßen, hinauf und hinab. Er hatte die größte Lust, davon zu laufen. Er fand ja freilich, daß der starke Ingmar übertrieb, aber es verdarb ihm doch die gute Laune.

»Ja,« sagte der Alte, »ich leugne nicht, daß Hellgum wunderbare Dinge tut: so wie er seine Schar zusammenhalten kann, und so wie er es vermag, die Leute, die früher nichts voneinander haben wissen wollen, dazu zu bringen, daß sie Freunde werden. Und wie er es dem Reichen wegnimmt und es dem Armen gibt, und wie er sie dazu bringt, gegenseitig ihr Leben zu bewachen. Ich finde ja nur, daß es Unrecht gegen die anderen ist, die Teufelskinder genannt werden und nicht mitspielen dürfen, aber das findest du natürlich nicht.«

Ingmar war ärgerlich über den Alten, weil er so über Hellgum sprach.

»So friedlich wie wir hier früher in der Gemeinde gelebt haben,« sagte der starke Ingmar. »Aber das ist jetzt alles vorbei. Während der Zeit des großen Ingmar hielten hier alle so fest zusammen, daß es hieß, hier wohnte die einträchtigste Bevölkerung in ganz Dalarne. Aber jetzt sind sie alle in Engel und Teufel, in Böcke und Schafe geteilt.«

»Wenn wir nur die Säge in Gang setzen könnten,« dachte Ingmar, »damit ich mit diesem Gerede verschont werden könnte.«

»Es wird wohl nicht lange dauern, bis es auch zwischen dir und mir aus ist,« fuhr der starke Ingmar fort. »Gehst du zu den anderen über, so erlauben sie dir nicht mehr, mit mir zu verkehren.«

Ingmar fluchte und stand auf. »Ja, wenn du mit dem Gerede fortfährst, so ist es nicht unmöglich, daß es so geht,« sagte er. »Ich finde, du mußt begreifen, daß es nicht nützen kann, daß ich mich gegen meine eigene Familie und Hellgum auflehne, der der vorzüglichste Mann ist, den ich kenne.«

Damit brachte Ingmar den Alten zum Schweigen. Nach einer Weile verließ der starke Ingmar die Arbeit. Er wollte nach dem Kirchspiel hinab und seinen Freund, Korporal Fält, besuchen. Er habe schon lange nicht mehr mit einem vernünftigen Menschen geredet, sagte er.

Ingmar freute sich, daß er ging. »Es ist gewiß immer so, wenn man lange fort gewesen ist, daß man nichts Unangenehmes hören mag, sondern wünscht, daß alles um einen her licht und leicht und vergnüglich sein soll.«

Am nächsten Tage kam Ingmar um fünf Uhr morgens nach dem Sägewerk hinunter. Der starke Ingmar war schon vor ihm da. »Heute kannst du mit Hellgum reden,« sagte der Alte. »Er und Anna Lisa kamen gestern abend spät zurück. Ich glaube, sie sind von dem großen Festmahl heimgeeilt, um dich zu bekehren.«

»Nun fängst du schon wieder damit an,« sagte Ingmar.

Die Worte des Alten hatten ihm die ganze Nacht in den Ohren geklungen. Er konte sie nicht wieder los werden. Aber jetzt wollte er nichts Schlechtes mehr von seinen nächsten Verwandten hören. Der starke Ingmar schwieg nur einen Augenblick, dann fing er an, vor sich hin zu lachen. »Worüber lachst du?« fragte Ingmar. Er war eben im Begriff, die Schleuse wegzuziehen und die Säge in Gang zu setzen. – »Ich, ich denke nur an Schulmeisters Gertrud.« – »Was ist mit der?« – »Ja, gestern erzählten sie unten im Dorf, sie sei die einzige, die die geringste Macht über Hellgum hat.« – »Was hat Gertrud mit Hellgum zu schaffen?«

Ingmar zog die Schleuse nicht auf, denn, wenn dle Säge erst einmal in Gang gekommen war, konnte er nichts hören. Der Alte sah ihn prüfend an. »Ich soll ja nicht mehr über die Sache reden.« – Ingmar lächelte ein wenig. »Du wirst es schon so einzurichten wissen, daß du deinen Willen durchsetzt,« sagte er.

»Das kommt von der dummen Dirne Gunhild, des Gemeindevorstehers Lars Clementssons Tochter.« – »Sie ist keine dumme Dirne,« unterbrach ihn Ingmar. – »Nenne es, wie du willst, aber es traf sich so, daß sie auf dem Ingmarshof mit dabei war, als diese Sekte gegründet wurde; sobald sie nach Hause kam, sagte sie zu ihren Eltern, sie habe den einzig wahren Glauben angenommen, und sie müsse von ihnen fortziehen, und auf dem Ingmarshofe wohnen. Die Eltern fragten nun, warum sie von ihnen fortziehen wolle? Ja, damit sie ein gerechtes Leben führen könne. Sie sagten, das könne sie wohl auch bei ihnen führen. ›Das könne niemand, wenn er nicht unter denen lebte, die denselben Glauben hätten.‹ ›Müssen denn alle nach dem Ingmarshofe ziehen,‹ fragte der Vater. ›Nein, nur sie. Die anderen hätten wahre Christen in ihrem Hause.‹ – Der Gemeindevorsteher ist ja ein guter Mann, und er so wie auch seine Frau bemühten sich, Gunhild gütlich zuzureden, aber das Mädchen blieb bei ihrer Ansicht, und machte sie schließlich so aufgebracht, daß der Gemeindevorsteher sie in die Kammer einschloß und sagte, dort solle sie bleiben, bis die Tollheit sich gelegt habe.«

»Ich glaubte, du wolltest von Gertrud erzählen,« unterbrach ihn Ingmar. – »Ich werde auch schon zu Gertrud kommen, wenn du nur warten willst. Im übrigen kann ich aber ebensogut gleich jetzt als später erzählen, daß am nächsten Tage, als Gertrud und Mutter Storm in der Küche saßen und spannen, die Frau des Dorfschulzen zu ihnen kam. Sie erschraken sehr, als sie sie sahen. Sie, die sonst immer so vergnügt aussah, war ganz verweint. ›Was ist denn nur einmal geschehen, und warum siehst du so traurig aus?‹ Da antwortete die Frau: ›Man kann doch nicht anders aussehen, wenn man das Liebste verloren hat, was man besitzt.‹

»Hu, ich hätte wohl Lust, sie durchzuprügeln,« sagte der Alte. – »Wen?« fragte Ingmar. – »Ach, Hellgum und Anna Lisa,« sagte der starke Ingmar. »Sie sind in der Nacht beim Dorfschulzen gewesen und haben Gunhild entführt.« – Da entfuhr Ingmar ein Ausruf. – »Ja, ich bin nahe daran zu glauben, daß Anna Lisa mit einem Räuber verheiratet ist,« sagte der Alte.

»Mitten in der Nacht kamen sie und klopften an das Fenster der Kammer und fragten Gunhild, warum sie nicht auf den Ingmarshof gezogen sei. – Sie sagte, die Eltern hätten sie eingeschlossen. – Dazu hätte der Teufel sie gebracht, sagte Hellgum dann. Das alles hörten die Eltern mit an.«

»Hörten sie das?« – »Ja, sie lagen in der Stube nebenan, und die Tür stand nur angelehnt, sie hörten alles, was Hellgum sagte, um die Tochter zu verlocken.« – »Aber sie hätten ihn ja zur Tür hinauswerfen können.« – »Nein, sie fanden, daß Gunhild selbst wählen solle; sie konnten sich ja nicht denken, daß sie von ihnen gehen würde, so gut wie sie gegen sie gewesen waren. Sie lagen da und warteten darauf, daß sie sagen würde, sie wolle ihre alten Eltern nicht verlassen.« – »Ging sie denn?« – »Ja, Hellgum ließ nicht nach, ehe sie ihm folgte. Und als die Eltern hörten, daß sie ihm nicht widerstehen konnte, da ließen sie sie gehen. Einige Leute haben ja das so auf die Weise.

Aber am Morgen bereute die Mutter es und bat den Vater, mit nach dem Ingmarshof hinaufzufahren und die Tochter wieder nach Hause zu holen. ›Nein‹, sagte er, ›nie im Leben hole ich sie, und nie wieder will ich sie sehen, wenn sie nicht freiwillig zurückkehrt.‹

Da ging die Mutter nach dem Schulhause, um Gertrud zu bitten, mit ihr zu gehen und mit Gunhild zu reden. – »Ging Gertrud mit?« – »Ja, sie ging mit und redete mit Gunhild. Aber Gunhild machte sich nichts aus dem, was sie sagte.« – »Ich habe Gunhild aber nicht bei uns zu Hause gesehen,« sagte Ingmar nachdenklich.

»Nein, jetzt ist sie auch wieder zu ihren Eltern zurückgekehrt. Und das ging so zu. Als Gertrud von Gunhild herauskam, wartete Hellgum auf sie. – Sieh, da steht der, der all dies Elend verursacht hat, dachte sie. Sie ging geradeswegs auf ihn zu und redete tüchtig auf ihn drein. Sie war so zornig, daß sie sich wohl nicht gefürchtet hätte, ihn zu schlagen.«

»Ja, Gertrud, die kann reden,« dachte Ingmar. – »Sie sagte zu Hellgum, sie habe einmal ein Bild gesehen, auf dem ein heidnischer Krieger mit einer Jungfrau von dannen ritt, die er geraubt habe, und so fände sie, führe auch er sich hier auf.« – »Was sagte dann Hellgum dazu?« – »Er stand eine Weile da und hörte sie an, dann sagte er sanftmütig, sie habe recht, er sei zu heftig gewesen. Und dann am Nachmittag brachte er Gunhild zu ihren Eltern zurück und machte es wieder gut.«

Als der starke Ingmar seine Erzählung beendet hatte, sah Ingmar auf und lächelte. »Ja, Gertrud ist ein Prachtmädel,« sagte er, »und Hellgum ist auch ein tüchtiger Mensch, obwohl er ein wenig strenge ist.« – »So, also auf die Weise faßt du das auf,« sagte der Alte. »Ich glaubte, du würdest dich darüber gewundert haben, daß Hellgum Gertrud gegenüber so nachgiebig war.« – Jetzt schwieg Ingmar.

Der starke Ingmar schwieg auch eine Weile, dann begann er von neuem: »Viele unten im Kirchsprengel haben nach dir gefragt. Sie wollten wissen, auf welche Seite du dich zu stellen gedenkst.« – »Das kann doch ganz einerlei sein, wohin ich gehöre.« – »Ja, das könnte man ja meinen,« sagte der Alte.

»Ich will dir etwas sagen,« fuhr er fort, »hier im Kirchspiel sind die Leute daran gewöhnt, daß einer sie leitet und regiert. Jetzt ist der große Ingmar heimgegangen, und der Schulmeister hat seine Macht verloren, und der Pfarrer hat nie welche besessen, jetzt laufen sie mit Hellgum, so lange du dich zurückhältst.« – Ingmar ließ die Hände sinken, er sah ganz unglücklich aus. »Ja, aber ich weiß nicht, wer recht hat.«

»Die Leute warten darauf, daß du sie von Hellgum befreien sollst. Du kannst glauben, uns, die wir einen Winter nicht zu Hause gewesen sind, ist viel Böses erspart worden. Im Anfang war es wohl am schlimmsten, ehe die Leute sich an diese Bekehrungskrankheit gewöhnten, und daran, Teufel und Höllenhunde genannt zu werden. Und am allerschlimmsten war es, als alle die bekehrten Kinder auch anfingen zu predigen.« – »So, also die Kinder predigten auch?« sagte Ingmar zweifelnd. – »Ja, Hellgum hatte mit ihnen darüber geredet, daß sie Gott dienen sollten statt zu spielen, und da fingen sie denn an, die Erwachsenen zu bekehren. Sie lagen an der Landstraße auf der Lauer und stürzten sich über Leute, die dahergegangen kamen, und dann sauste es ihnen um die Ohren: Willst du nicht den Kampf gegen den Teufel aufnehmen? Willst du fortfahren, in Sünden zu leben?«

Ingmar saß da und wehrte sich so gut er nur konnte, er wollte nicht glauben, was ihm der starke Ingmar erzählte. – »Das ist gewiß alles etwas, was dir der Korporal in den Kopf gesetzt hat,« sagte er.

»Ja, das wollte ich dir eben gerade erzählen,« sagte der starke Ingmar. »Nun ist es auch mit Fält vorbei. Ja, wenn ich daran denke, daß das alles vom Ingmarshofe ausgegangen ist, dann ist mir wirklich, als wenn ich den Leuten nicht mehr in die Augen sehen könnte.«

»Hat irgend jemand Fält etwas Böses zugefügt?« fragte Ingmar. – »Ach, so sind ja diese Kinder; eines Abends, als sie nichts weiter zu tun hatten, fiel es ihnen ein, daß sie zu Fält gehen und ihn bekehren wollten. Sie hatten ja natürlich gehört, daß Fält ein großer Sünder ist.« – »Aber in alten Zeiten waren ja doch alle Kinder so bange vor Fält wie vor den Kobolden,« sagte Ingmar. – »Ja, sie waren auch bange, aber sie hatten sich wohl vorgenommen, eine Heldentat zu tun.

Sie kamen eines Abends zu Fält herein, als er in seiner Stube saß und seine Grütze kochte. Als sie die Tür öffneten und Fält mit seinem steifen Schnurrbart und mit seiner gebrochenen Nase dasitzen und mit seinem einzigen Auge ins Feuer starren sahen, wurden sie so bange, daß ein paar von den Kleinsten davonliefen. Aber zehn oder zwölf kamen herein und warfen sich in einem Kreis vor dem Alten auf die Knie und fingen an zu singen und zu beten.« – »Aber warf er sie denn nicht hinaus?« sagte Ingmar. – »Ja, hätte er das nur getan,« sagte der starke Ingmar. »Ich begreife nicht, was mit ihm vorging. Der dumme Kerl, er hatte wohl dagesessen und daran gedacht, daß er in seinen alten Tagen so einsam und verlassen sei, und dann war es wohl das, daß es Kinder waren, die zu ihm kamen. Er hat es sich wohl zu Herzen genommen, daß sie immer bange vor ihm gewesen waren. Und als er dann alle die zum Himmel emporgewandten Augen voll blanker Tränen sah, fühlte er sich wohl entwaffnet.

Die Kinder warteten nur darauf, daß er auffahren und sie schlagen würde. Sie sangen und beteten, aber sie waren bereit, davon zu laufen, sobald er sich nur rührte.

Da sehen ein paar von ihnen, daß Fälts Gesicht so wunderlich zu zucken begann. – Nun kommt es, nun kommt es, dachten sie und erhoben sich, um zu fliehen. Aber der Alte blinzelte mit den Augen und dann kamen ihm Tränen herabgerollt. Da liefen die Kinder zu Hellgum, und jetzt ist es, wie gesagt, so mit Fält. Er tut nichts weiter als zu Versammlungen zu laufen, und er fastet und betet und hört Gottes Stimme.«

»Ich kann wirklich nicht einsehen, daß darin ein Unglück liegt,« sagte Ingmar. »Fält war ja kurz davor, sich tot zu trinken.« – »Nein, du hast ja so viele Freunde zu verlieren, daß dir das wohl nichts ausmachen würde. Du würdest vielleicht auch finden, daß es hübsch wäre, wenn die Kinder den Schulmeister bekehrten?« – »Ich kann mir wirklich nicht denken, daß sich die Kinder an Storm heranwagen würden,« sagte Ingmar. Er war ganz atemlos vor Verwunderung. Es mußte doch wirklich etwas Wahres in dem sein, was der starke Ingmar sagte, daß das ganze Kirchspiel auf den Kopf gestellt sei. – »Freilich taten sie das. Eines abends, als Storm in der Schulstube saß und in seinen Büchern schrieb, kamen so an Stücker zwanzig herein und fingen an, ihm etwas vorzupredigen.« – »Und was tat Storm?« fragte Ingmar, er konnte sich eines Lachens nicht erwehren. – »Er war so überrascht, daß er im ersten Augenblick weder etwas sagen noch tun konnte. Aber dann wollte ein Zufall, daß gleichzeitig Hellgum in der Küche war, um mit Gertrud zu reden.« – »War Hellgum bei Gertrud?« – »Ja, Hellgum und Gertrud sind ja gute Freunde geworden, seit er sich damals in der Sache mit Gunhild nach ihr gerichtet hatte. Als Gertrud den Lärm in der Schulstube hörte, sagte sie zu Hellgum: ›Nun kommen Sie gerade recht, um was Neues zu sehen, Hellgum. In Zukunft, scheint es mir, sollen die Kinder den Schulmeister in die Schule nehmen.‹ Da lachte Hellgum; er begriff wohl, daß dies zu weit ging. Er jagte die Kinder hinaus, und dann hatte dieser Unfug ein Ende.«

Ingmar bemerkte, daß ihn der starke Ingmar, während er dies sagte, mit einem ganz eigenen Blick ansah. Es war, als stehe ein Jäger da und sähe einen angeschossenen Bären und denke darüber nach, ob es wohl notwendig sei, ihm noch einen Schuß zu geben.

»Was erwartest du eigentlich von mir?« sagte Ingmar. – »Was sollte ich wohl von dir erwarten? Du bist ja nur ein Junge. Du hast ja auch gar nichts. Du hast ja nur deine beiden leeren Hände.« – »Ich glaube wirklich, du verlangst, daß ich Hellgum totschlagen soll.« – »Unten im Kirchdorf sagten sie, daß alles wieder gut werden würde, falls du Hellgum dazu bringen würdest, von hier fort zu reisen.« – »Es ist ja nichts Neues, daß Streit und Zank ausbricht, wenn eine neue Lehre kommt,« sagte Ingmar. – »Es wäre ja auf alle Fälle eine gute Gelegenheit für dich, den Leuten zu zeigen, was du taugst,« fuhr der starke Ingmar halsstarrig fort.

Ingmar wandte dem Alten den Rücken und setzte die Säge in Gang. Er hätte vor allem gern gewußt, wie es Gertrud gehe, und ob sie sich schon den Hellgumianern angeschlossen habe, aber er war zu stolz, um seine Unruhe zu verraten.

Um acht Uhr ging Ingmar nach Hause auf den Ingmarshof, um Frühstück zu essen. Wie gewöhnlich waren besonders gute Speisen für ihn hingestellt, und Halvor wie auch Karin waren sehr freundlich. Sobald Ingmar sie sah, war es ihm, als könne er kein Wort von der langen Rede des starken Ingmar glauben. Ihm wurde wieder so leicht ums Herz, und er war fest überzeugt, daß der Alte übertrieben hatte.

Aber bald entstand in ihm die Unruhe um Gertrud von neuem, und zwar so heftig, daß er nichts essen konnte. »Bist du nicht kürzlich bei Schulmeisters gewesen, Karin?« fragte er plötzlich. – »Nein,« antwortete Karin schnell, »mit solchen gottlosen Leuten verkehre ich nicht.«

Ingmar schwieg; denn das war eine Antwort, die viel zu denken gab. War es nun richtig, zu schweigen oder zu reden? Redete er, so würde er sich mit seiner Familie erzürnen, aber er wollte auch nicht, daß sie glauben sollten, daß er einverstanden mit etwas sei, das verkehrt war. »Ich habe nie etwas von Gottlosigkeit bei Schulmeisters bemerkt,« sagte er so leise, daß es kaum zu hören war, »und ich habe doch vier Jahre dort gewohnt.«

Karin dachte jetzt fast dasselbe wie Ingmar vor einem Augenblick; sie wußte nicht, ob sie reden oder schweigen sollte. Aber sie mußte Ingmar ja die Wahrheit sagen, selbst, wenn sie Ingmar wehe tun würde, und darum sagte sie, daß, wenn Menschen Gottes Ruf nicht folgen wollten, sie ja gottlos sein müßten.

Jetzt fiel ihr Ingmar ins Wort: »Es ist ja so unaussprechlich wichtig mit den Kindern, was für eine Erziehung sie bekommen. Storm hat das ganze Kirchspiel und dich auch und Halvor erzogen.« – »Aber er hat uns doch nicht gelehrt, ein rechtschaffenes Leben zu führen,« sagte Karin. – »Ich meine, das hättest du immer gesagt, Karin.« – »Ich will dir sagen, wie es war nach der alten Lehre zu leben, Ingmar. Es war, als bewege man sich auf einem runden Balken, den einen Augenblick steht man und den nächsten fällt man. Aber wenn ich mich von meinen Mitmenschen an die Hand nehmen und mich stützen lasse, so kann ich auf dem schmalen Pfade der Gerechtigkeit gehen, ohne zu fallen.« – »Ja,« sagte Ingmar, »aber das ist ja auch keine Tugend.« – »Es ist immerhin noch schwer genug, aber es ist doch nicht mehr unmöglich.«

»Aber wie war es denn mit dem Schulmeister?« fragte Ingmar. – »Ja, die zu uns gehörten, nahmen die Kinder aus der Schule. Wir wollten nicht, daß die Kinder etwas von der alten Lehre hören sollten.« – »Aber was sagte denn der Schulmeister dazu?« – »Er sagte, das Gesetz verlange, daß die Kinder zur Schule gehen sollten.« – »Ja, das meine ich auch.« – »Da schickte er den Gendarm zu Israel Tomasson und zu Krister Larsson und ließ die Kinder holen.« – »Und nun seid Ihr mit Storms verfeindet?« – »Ja, wir halten uns nur zueinander.« – »Ihr seid wohl mit dem ganzen Dorf verfeindet?« – »Wir halten uns von denen fern, die uns nur zu Sünden verlocken wollen.«

Je länger die drei miteinander redeten, desto leiser sprachen sie. Sie waren ja alle sehr ängstlich in bezug auf jedes Wort, das fiel. Sie fanden alle, daß die Unterhaltung eine traurige Wendung nahm.

»Aber von Gertrud kann ich dich grüßen,« sagte Karin. Sie versuchte einen munteren Ton anzuschlagen. »Hellgum hat diesen Winter viel mit ihr geredet; er sagt, daß sie sich heute abend uns anschließen will.«

Ingmars Lippen begannen zu beben. Es war, als habe er den ganzen Tag darauf gewartet, getroffen zu werden, und jetzt fiel der Schuß. Jetzt flog die Kugel in seinen Körper.

»So? Will sie sich euch wirklich anschließen?« sagte er mit beinahe unhörbarer Stimme. »Es geschehen wunderliche Dinge hier unten, während man da drüben in dem dunklen Walde umhergeht.«

Ingmar bekam den Eindruck, daß Hellgum die ganze Zeit versucht haben mußte, sich bei Gertrud einzuschmeicheln und ihr Schlingen gelegt hatte, um sie zu locken.

»Was soll denn nun aus mir werden?« fragte Ingmar mit einem wunderlich hilflosen Ton. – »Du mußt dich unserm Glauben anschließen,« sagte Halvor bestimmt. – »Jetzt ist Hellgum nach Hause gekommen, und sobald du erst mit ihm gesprochen hast, bekehrst du dich.« – »Es ist ja aber möglich, daß ich mich nicht bekehren werde,« sagte Ingmar. Da wurden Halvor und Karin stumm wie das Grab.

»Es ist ja doch möglich, daß ich keinen anderen Glauben haben will, als mein Vater,« wiederholte Ingmar. – »Du solltest nichts sagen, ehe du nicht mit Hellgum gesprochen hast,« sagte Karin. – »Aber wenn ich nun nicht zu euch übertrete, so wollt ihr mich wohl nicht länger in eurem Hause haben?« sagte Ingmar und erhob sich von seinem Stuhl. Als sie nicht antworteten, war es Ingmar, als könne alles um ihn her auf einmal einstürzen. Aber im selben Augenblick richtete er sich auf und sah mutiger aus. »Es ist am besten, wenn ich jetzt gleich Klarheit hierüber erhalte,« dachte er.

»Ich möchte gern wissen, wie es mit dem Sägewerk werden soll,« fuhr Ingmar fort. – Halvor saß da und sah Karin an. Sie waren beide bange, etwas zu sagen. »Du mußt wissen, Ingmar, daß wir niemand in der Welt so lieb haben, wie dich,« sagte Halvor. – »Ja, aber wie wird es mit dem Sägewerk?« fuhr Ingmar fort. – »Jetzt sollst du erst all deine Bretter fertig sägen, Ingmar.«

Als Halvor so ausweichend antwortete, ging Ingmar ein Licht auf. »Vielleicht wollt ihr Hellgum das Sägewerk verpachten?« fragte er, und Halvor und Karin wurden ganz verwirrt durch Ingmars Heftigkeit; von dem Augenblick an, wo er das von Gertrud gehört hatte, war er so unzugänglich geworden. – »Laß nur Hellgum mit dir reden,« sagte Karin beruhigend. – »Er soll schon mit mir reden,« sagte Ingmar, »aber es wäre angenehm für mich zu wissen, wonach ich mich zu richten habe.« – »Du zweifelst doch nicht daran, daß wir es gut mit dir meinen, Ingmar?« – »Aber Hellgum wollt ihr das Sägewerk verpachten?« sagte Ingmar. – »Wir möchten Hellgum gern eine passende Arbeit verschaffen, damit er hier in Schweden bleiben kann. Wir hatten uns gedacht, du könntest sein Kompagnon werden, damit du zu dem rechten Glauben gelangst. Hellgum ist tüchtig bei der Arbeit.« – »Ich weiß nicht, seit wann du dich fürchtest, gerade heraus zu reden, Halvor,« sagte Ingmar. »Ich möchte nur wissen, ob es Eure Absicht ist, daß Hellgum das Sägewerk haben soll.« – »Wenn du dich gegen Gott auflehnst, so soll Hellgum es haben.« – »Vielen Dank, Halvor; jetzt weiß ich, welch ein Vorteil es für mich sein würde, wenn ich zu eurem Glauben übertrete!« – »Du weißt wohl, daß es nicht so gemeint ist,« sagte Karin. – »Ich verstehe eure Meinung recht gut,« sagte Ingmar. »Wenn ich nicht zu eurem Glauben übertrete, dann verliere ich sowohl Gertrud als auch das Sägewerk und mein altes Heim hier.«

Ingmar verließ schnell die Stube. Er fürchtete sich, dazubleiben.

Als er auf den Hof hinaus kam, dachte er wieder: »Es ist wohl am besten, wenn dieser Sache ein Ende gemacht wird. Ich muß wissen, wonach ich mich zu richten habe.«

Mit langen Schritten begab er sich zum Schulhause hinab.

Als Ingmar die Pforte öffnete, fiel ein leichter Regenschauer, so ein milder, dichter Frühlingsregen, herab. In des Schulmeisters Garten hatte es schon angefangen zu knospen und zu keimen. Die Erde ward so schnell grün, daß man meinte, man könne das Gras wachsen sehen. Gertrud stand draußen auf der Treppe. Sie sah in den Frühlingsregen hinaus, und die beiden großen Faulbäume, die voll von halbaufgesprungenen Blättern waren, breiteten ihre Zweige über sie aus.

Ingmar blieb verwundert stehen. Alles hier unten war so friedlich und so schön. Noch einmal legte sich die Erregung, in der er sich befand. Gertrud hatte ihn noch nicht gesehen; er schloß die Pforte leise und ging auf sie zu.

Aber als Ingmar näher kam, blieb er noch einmal stehen und sah Gertrud erstaunt an. Als er sich von ihr getrennt hatte, war sie nicht viel mehr als ein Kind gewesen. Aber in diesem einen Jahr, wo er sie nicht gesehen hatte, war sie zu einer stolzen, tannenschlanken Jungfrau geworden. Gertrud war jetzt ganz erwachsen, groß und schlank. Der Kopf saß schön auf dem feinen Halse, ihre Haut war weiß und weich wie Flaum, mit frischem Rot auf den Wangen. Die Augen waren tief und träumerisch geworden, der ganze Ausdruck der früher schelmisch und froh gewesen war, war jetzt in Ernst und milde Sehnsucht verwandelt. Als Ingmar Gertrud so sah, füllte sich sein Herz mit Glückseligkeit; es ward still und friedlich um ihn her. Es war, als ob große Glocken den Feiertagsfrieden einläuteten. Es war so herrlich, daß er das Bedürfnis empfand, auf die Knie zu fallen und Gott zu danken.

Aber als Gertrud Ingmar erblickte, wurden ihre Züge plötzlich starr, und die Augenbrauen zogen sich zusammen, so daß sich eine kleine, feine Falte zwischen ihnen bildete.

Ingmars Gedanken waren an diesem Tage schneller als sonst; er sah sofort, daß Gertrud sich nicht darüber freute, daß er kam, und er empfand einen plötzlichen, schneidenden Schmerz, gleichsam wie einen Hieb. »Sie wollen sie dir nehmen,« dachte er. »Sie haben sie dir schon weggenommen.«

Der Feiertagsfriede war verschwunden, und seine ganze Aufregung und Unruhe kehrte wieder.

Ohne irgendeine Einleitung fragte Ingmar dann Gertrud, ob es wahr sei, daß sie die Absicht habe, sich Hellgum und seinen Anhängern anzuschließen. – Gertrud antwortete, es sei wahr. – Ingmar fragte heftig, ob sie wohl erwogen habe, daß die Hellgumianer sie nicht mit anderen verkehren lassen würden, als mit denen, die so dachten wie sie. Gertrud antwortete ruhig, das habe sie erwogen.

»Hast du Erlaubnis von deinem Vater und deiner Mutter erhalten?« fragte Ingmar. – »Nein,« sagte Gertrud, »die wissen nichts davon.« – »Aber Gertrud –!« – »Still, Ingmar, ich muß es tun, um Ruhe zu erlangen. Gott zwingt mich.« – »Ach,« fuhr Ingmar auf, »das ist nicht gut, das ist – – – .« Gertrud wandte sich heftig nach ihm um. Ingmar sagte nur: »Ich will dir doch sagen, daß ich mich Hellgum niemals anschließen werde. Gehst du zu den Hellgumianern über, so sind wir beide getrennt.«

Gertrud sah so aus, als verstünde sie nicht, was sie dies angehe.

»Tue es nicht, Gertrud,« bat Ingmar. – »Du mußt nicht glauben, daß ich leichtsinnig handle, ich habe es genau überlegt.« – »Überlege es dir noch einmal.« – Gertrud wandte sich ungeduldig von ihm ab. – »Du mußt ja auch um Hellgums willen die Sache überlegen,« sagte Ingmar mit steigendem Zorn und packte Gertrud am Arm, um sie festzuhalten. – Gertrud schüttelte seine Hand ab. »Bist du denn ganz von Sinn und Verstand, Ingmar?« – »Ja,« erwiderte Ingmar. »Hellgum und all sein Tun und Treiben macht mich verrückt. Diese Sache muß ein Ende haben.« – »Was muß ein Ende haben?« – »Das werde ich dir ein andermal erzählen.«

Gertrud zuckte die Achseln. – »Ja, dann lebe wohl, Gertrud,« sagte Ingmar, »und denk' an das, was ich dir sage: du wirst nie zu den Hellgumianern gehören.« – »Was hast du vor, Ingmar?« fragte Gertrud; sie fing an unruhig zu werden. – »Lebe wohl, Gertrud, und denk' an das, was ich gesagt habe,« rief Ingmar. Er war schon unten auf dem Kieswege.

Ingmar ging jetzt nach Hause. »Ach, wäre ich doch so klug wie mein Vater,« dachte er unterwegs. »Hätte ich doch die Macht des großen Ingmar. Was soll ich tun? Ich verliere alles, was ich habe und sehe keinen Ausweg.«

Das einzige, was er mit Sicherheit wußte, war, daß, falls alles dies Unglück über ihn kam, Hellgum nicht mit heiler Haut davonkommen sollte. Er begab sich nach der Hütte des starken Ingmar, um mit Hellgum zu reden. Als er an die Tür kam, hörte er mehrere Stimmen laut und eifrig sprechen. Es klang, als wenn mehrere Fremde darin seien, und Ingmar kehrte schnell um. Als er ging, hörte er einen Mann sehr laut sagen: »Wir sind drei Brüder, und wir sind von weit hergekommen, um dich zur Verantwortung zu ziehen, Johan Hellgum, um unseres jüngsten Bruders wegen, der vor zwei Jahren nach Amerika gereist ist. Da ließ er sich in deiner Gemeinde aufnehmen, und in diesen Tagen haben wir einen Brief erhalten, daß er seinen Verstand verloren hat von dem Grübeln über deine Lehre.«

Ingmar ging schnell von dannen. Da waren wohl noch mehrere als er, die Klage gegen Hellgum zu führen hatten, und alle zusammen standen sie gleich hilflos da.

Ingmar ging nach dem Sägewerk hinab. Der starke Ingmar war schon in voller Arbeit. Während die Säge kreischte und der Gießbach lärmte, glaubte Ingmar einen Schrei aus der Hütte zu vernehmen. Er achtete jedoch nicht weiter darauf. Er hatte keinen Sinn für etwas anderes, als den starken Haß, den er gegen Hellgum empfand. Er zählte sich selbst alles auf, was ihm Hellgum genommen hatte; Gertrud und Karin und das Sägewerk und die Heimat.

Noch einmal war es ihm, als höre er einen Schrei. Es fiel ihm ein, daß die Fremden und Hellgum vielleicht in einen Streit geraten sein könnten. Es könnte ja nicht schaden, wenn sie ihn totschlügen, dachte er zornerfüllt.

Da ertönte ein lauter Hilferuf, und Ingmar lief schnell den Abhang hinauf.

Je näher er kam, desto deutlicher hörte er Notschreie, und als er da zu dem Hause hinabkam, war es ihm, als bebe die Erde unter Kampfgetümmel.

Ingmar öffnete eine Tür stets leise und vorsichtig, und diesmal war er doppelt behutsam. Er kam ganz geräuschlos in die Stube geschlichen. Da drinnen stand Hellgum gegen die Wand gedrängt und verteidigte sich mit einer kurzen Axt. Die drei Fremden, die alle starke, kräftige Männer waren, fielen mit Holzscheiten über ihn her, die sie wie Keulen schwangen. Flinten hatten sie nicht bei sich, daraus konnte man sehen, daß sie nur gekommen waren, um Hellgum eine ordentliche Tracht Prügel zu versetzen. Aber als er sich gegen sie verteidigte, waren sie von Mordlust ergriffen worden, so daß es sich jetzt um Hellgums Leben handelte.

Sie achteten kaum auf Ingmar, das war ja nur ein langer, unbeholfener Junge, der da in die Stube kam.

Einen Augenblick stand Ingmar still und sah zu. Es war ihm, als sei es ein Traum, wenn das, was man am glühendsten wünscht, sich dem Blicke offenbart, ohne daß man begreift, woher es kommt. Von Zeit zu Zeit stieß Hellgum einen Hilferuf aus. »Du brauchst nicht zu glauben, daß ich so dumm bin, dir zu helfen,« dachte Ingmar.

Einer von den Männern traf Hellgum mit einer solchen Gewalt auf den Kopf, daß er die Axt fallen ließ und niederstürzte. Die anderen warfen die Holzscheite zur Seite, zogen die Messer heraus und stürzten sich über Hellgum. Da durchzuckte Ingmar ein Gedanke. Es gab in seiner Familie ein altes Wort, daß sie einmal alle in ihrem Leben eine niedrige oder schlechte Handlung begehen mußten. War jetzt die Reihe an ihn gekommen?

Plötzlich fühlte einer der Brüder sich von hinten von zwei starken Armen ergriffen, die ihn in die Höhe hoben und ihn zum Zimmer hinauswarfen. Der andere hatte keine Zeit, daran zu denken, daß er sich aufrichten wolle, als es ihm ebenso erging, und der dritte, dem es gelang, wieder auf die Beine zu kommen, erhielt einen Stoß, so daß er rücklings zu den anderen hinaussauste.

Als sie alle drei hinausgeschmissen waren, stellte sich Ingmar in die Tür. »Habt ihr nicht Lust, wieder hineinzukommen!« rief er und lachte. Er hätte nichts dagegen gehabt, wenn sie ihn angegriffen hätten. Es tat gut, einmal seine Kräfte gebrauchen zu können.

Die drei Brüder schienen auch aufgelegt zu sein, noch einmal wieder anzufangen, da rief einer von ihnen, daß sie fliehen müßten, und er sah jemand auf dem Pfade hinter den Erlenbüschen daherkommen.

Aber sie waren rasend darüber, daß sie Hellgum nicht überwunden hatten, und indem sie sich umwandten, um zu gehen, lief einer zurück, stürzte sich auf Ingmar zu und stieß ihm das Messer in den Nacken. »Das sollst du dafür haben, daß du dich in unsere Angelegenheiten einmischst,« rief er. Ingmar sank zu Boden, und mit lautem Hohngelächter lief der Mann davon.

Ein paar Minuten später stand Karin in der Hütte. Sie fand Ingmar auf der Türschwelle mit einer Wunde im Nacken sitzen. Im Zimmer sah sie Hellgum. Er hatte sich wieder erhoben und stand gegen die Wand gelehnt. Er hielt die Axt in der Hand, und das Blut stürzte ihm über das Gesicht.

Karin hatte die Flüchtlinge nicht gesehen, sie glaubte, daß Ingmar Hellgum überfallen und ihn verwundet hatte.

Sie erschrak so, daß ihr die Knie zitterten. »Nein, das ist nicht möglich,« dachte sie. »Niemand aus unserer Familie kann zum Mörder werden.« Im selben Augenblick mußte sie an die Geschichte ihrer Mutter denken. – »Daher stammt es,« murmelte sie.

Karin eilte an Ingmar vorbei zu Hellgum. – »Nein, nein, erst Ingmar,« rief Hellgum. – »Man soll sich doch nicht des Mörders annehmen, ehe man für das Opfer gesorgt hat,« sagte Karin. – »Ingmar erst, Ingmar erst,« brüllte Hellgum. Er war in so heftiger Erregung, daß er die Axt gegen sie schwang. »Er hat ja die Mörder zurückgeschlagen und mir das Leben gerettet.«

Als Karin endlich den Zusammenhang verstanden hatte und sich umwandte, um nach Ingmar zu sehen, hatte er sich erhoben und war hinausgegangen. Karin sah ihn über den Hofplatz schwanken.

Da lief ihm Karin nach: »Ingmar, Ingmar!« rief sie.

Ingmar fuhr fort zu gehen, ohne sich nur nach ihr umzuwenden.

Karin holte ihn ohne weitere Anstrengung ein. Sie legte ihre Hand auf seinen Arm. »Steh' still, Ingmar, damit ich dich verbinden kann.«

Ingmar riß sich los und ging weiter. Er ging ganz wie ein Blinder, ohne auf Weg oder Steg zu achten. Das Blut aus der Wunde war unter den Kleidern hervorgequollen, es floß in den einen Schuh hinab und füllte ihn ganz. Bei jedem Schritt, den er tat, wurde das Blut aus dem Schuh hinausgepreßt und hinterließ eine rote Spur auf der Erde.

Karin ging ihm nach und rang die Hände. »Steh' still, Ingmar, steh' still, Ingmar! Wohin gehst du? Steh' still, Ingmar!«

Ingmar ging weiter, geradeswegs in den Wald hinein, wo keine Menschen waren, die ihm helfen konnten. Karin sah unverwandt auf seinen Schuh, der mit Blut angefüllt war. Jede Minute wurde die Fußspur röter und röter.

»Jetzt geht er in den Wald hinein und legt sich hin, um zu verbluten,« dachte Karin.

»Gott segne dich, daß du Hellgum geholfen hast,« sagte Karin sanft, »es gehört der Mut und die Kraft eines Mannes dazu.«

Ingmar ging weiter, ohne auf sie zu hören.

Karin lief an ihm vorüber und stellte sich ihm in den Weg. Er wich ihr aus, ohne sie anzusehen. Er murmelte nur: »Geh' hin und hilf Hellgum!«

»Hör' jetzt einmal, Ingmar. Halvor und ich sind beide sehr traurig über das gewesen, worüber wir heute morgen sprachen. Ich war gerade auf dem Wege zu Hellgum, um ihm zu sagen, daß, wie es auch gehen möge, du das Sägewerk behalten müßtest.« – »Ja, jetzt kannst du es Hellgum ja geben,« antwortete Ingmar.

Er ging weiter, strauchelte über Stock und Stein, ging und ging aber.

Karin ging hinter ihm drein und versuchte, ihm ins Herz zu reden: »Du mußt verzeihen, daß ich einen Augenblick irrte und glaubte, du wärst mit Hellgum in Streit geraten. Es war nicht leicht, etwas anderes zu glauben.«

»Es wurde dir leicht zu glauben, daß dein Bruder ein Mörder ist,« sagte Ingmar, ohne sich nach ihr umzusehen.

Er ging immer weiter. Wenn das Gras, das seine Füße niedertraten, sich wieder aufrichtete, tropfte Blut von den Grashalmen.

Erst als Karin Ingmar Hellgums Namen jeden Augenblick nennen hörte, wurde es ihr so recht klar, wie sehr er ihn haßte. Und zur selben Zeit begriff sie auch, wie groß das war, was Ingmar getan hatte.

»Alle Menschen werden jetzt von dem reden, was du heute getan hast, und dich dafür loben,« sagte sie. »Du wirst doch nicht von all dieser Ehre wegsterben wollen?«

Sie hörte Ingmar höhnisch lachen. Er sah sie mit einem bleichen, verstörten Gesicht an. »Kannst du nicht nach Hause gehen, Karin? Ich weiß ja, wem du am liebsten helfen möchtest.«

Sein Gang wurde immer schwankender, und es zog sich jetzt ein großer Streifen Blut auf der Erde hin, wo er gegangen war.

Dieser Blutstrom brachte Karin ganz außer sich. Die große Liebe, die sie immer für Ingmar empfunden hatte, flammte mit neuer Kraft auf, als erhalte sie Nahrung von dem roten Blutstreifen. Und jetzt war sie auch stolz auf Ingmar und fand, daß er ein kräftiger Sproß an dem alten Stamm sei.

»Ingmar,« sagte Karin, »ich finde, du kannst es nicht vor Gott und den Menschen verantworten, dein Leben so aufs Spiel zu setzen, und das mußt du wissen, falls ich etwas tun kann, um dir Lust am Leben zu schenken, so brauchst du es nur zu sagen.«

Ingmar stand still, er umklammerte einen Baumstamm, um sich aufrecht zu halten. Sie hörte ihn höhnisch lachen, dann sagte er: »Du willst Hellgum vielleicht nach Amerika schicken?« Karin stand da und sah die Blutlache an, die sich um Ingmars linken Fuß angesammelt hatte. Sie versuchte nachzudenken, was es sei, das der Bruder verlangte, und es war ungefähr dasselbe, als solle sie den schönen Paradiesgarten, in dem sie den ganzen Winter gelebt hatte, verlassen und von neuem das Leben in der elenden Welt der Sünde anfangen, das jetzt hinter ihr lag.

Ingmar wandte sich ganz um, sein Gesicht war erdfahl. Die Haut an den Schläfen und an der Nase zog sich ganz stramm wie bei einem Toten. Aber die große Unterlippe trat gebieterischer hervor denn je, und der scharfe Zug um den Mund zeigte sich deutlich. Es war nicht anzunehmen, daß er seine Forderung aufgeben würde.

»Ich glaube nicht, daß Hellgum und ich hier in der Gemeinde zusammen leben können,« sagte Ingmar. »Aber ich sehe ja freilich, daß ich ihm werde weichen müssen.«

»Nein,« sagte jetzt Karin schnell, »wenn ich dich nur pflegen darf, so daß du am Leben bleiben kannst, dann verspreche ich dir, dafür zu sorgen, daß Hellgum abreist.«

»Gott wird schon einen anderen Helfer für uns finden,« dachte Karin gleichzeitig, als sie das sagte. »Aber ich kann keinen anderen Ausweg sehen, als das zu tun, was Ingmar will.«

* * *

Ingmar war verbunden und zu Bett gebracht. Die Wunde war nicht gefährlich, er sollte sich nur ein paar Tage ruhig verhalten. Er lag oben und Karin saß an seinem Bett.

Den ganzen Tag lag Ingmar da und phantasierte, er erlebte alles noch einmal, was ihm in den Tagen widerfahren war. Karin wurde sich bald klar darüber, daß es nicht allein Hellgum und das Sägewerk war, was ihm zu schaffen machte.

Am Abend war es klar und ruhig; da sagte Karin zu ihm: »Hier ist jemand, der gern mit dir reden möchte.« – Ingmar antwortete, er sei zu müde, um mit jemand zu sprechen. – »Ja, aber ich glaube, daß es dir gut tun würde.«

Gleich darauf trat Gertrud zu Ingmar ein. Sie sah sehr feierlich und bewegt aus. Ingmar hatte Gertrud lieb gehabt, auch damals, als sie schelmisch und neckisch gewesen war, aber damals war stets etwas in ihm gewesen, das sich gegen diese Liebe aufgelehnt hatte. Jetzt war ein schweres Jahr voller Sehnsucht und Unruhe an Gertrud vorübergegangen und hatte sie so umgewandelt, daß Ingmar, wenn er sie nur sah, ein mächtiges Verlangen empfand, sie zu gewinnen.

Als Gertrud an das Bett trat, hielt er die Hand vor die Augen. »Willst du mich nicht sehen?« sagte Gertrud.

Ingmar schüttelte den Kopf. Jetzt war er wie ein launenhaftes Kind.

»Ich möchte nur gern ein paar Worte zu dir sagen dürfen,« sagte Gertrud.

»Du kommst wohl, um mir zu erzählen, daß du dich den Hellgumianern angeschlossen hast?«

Gertrud kniete neben dem Bett nieder. Sie entfernte Ingmars Hand von seinen Augen.

»Da ist etwas, wovon du nichts weißt, Ingmar.« – Ingmar sah sie fragend an, er sagte nichts. Gertrud errötete und zögerte, aber dann sagte sie: »Im vorigen Jahr, gerade als du von uns fortzogst, hatte ich angefangen, dich auf die rechte Weise lieb zu haben.«

Ingmar wurde ganz rot. Er lächelte ein wenig vor Freude, aber gleich darauf war er wieder ernsthaft und mißtrauisch. – »Ich habe mich so sehr nach dir gesehnt, Ingmar.« – Ingmar lächelte zweifelnd, streichelte ihr aber leise die Hand zum Dank, daß sie gut gegen ihn hatte sein wollen. – »Und du kamst nicht ein einziges Mal zu mir hinab,« klagte sie. »Es war, als wenn ich nicht mehr für dich da sei.«

»Ich wollte dich nicht wiedersehen, ehe ich nicht ein ganzer Mann geworden war und um dich freien konnte,« sagte Ingmar, als wenn dies etwas sei, das sich ganz von selbst verstehe.

»Aber ich glaubte, du hättest mich vergessen.« Gertrud traten die Tränen in die Augen. »Du weißt gar nicht, was für ein Jahr ich durchgemacht habe. Hellgum ist so gut gegen mich gewesen und hat mich getröstet. Er sagte, mein Herz würde still werden, wenn ich mich ganz Gott hingäbe.«

Da sah sie Ingmar mit einer ganz neuen Erwartung im Blick an.

»Ich wurde so bange, als du heute kamst. Ich fürchtete, ich würde dir nicht widerstehen können, und daß der Kampf von neuem beginnen würde.«

Da breitete sich ein strahlendes Lächeln über Ingmars Antlitz aus. Aber er schwieg noch immer. »Aber heute abend hörte ich, Ingmar, daß du dem geholfen hattest, den du haßtest, und da konnte ich nicht mehr.« Gertrud wurde dunkelrot. »Ich fühlte, daß es mir unmöglich sei, etwas zu tun, das mich von dir scheiden würde.«

Im selben Augenblick beugte sie sich über Ingmars Hand und küßte sie.

Ingmar war es, als wenn große Glocken vor seinen Ohren einen hohen Feiertag einläuteten. Sonntagsfriede und Sonntagsstille zogen in ihm ein, und die Liebe lag ihm auf der Zunge, süß wie Honig, und verbreitete sich erfrischend und erquickend über sein ganzes Sein.



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