Selma Lagerlöf
In Dalarne
Selma Lagerlöf

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Zum Geleit

Es ist fraglos, daß unter den dichtenden Frauen aller Zeiten Selma Lagerlöf den allerersten Rang einnimmt. Das ist vielleicht kühn gesagt – aber es ist darum nicht weniger richtig. Von Sappho angefangen, deren Ruhm bis in unsre Tage stets mehr der Person als ihrem Werke galt, finden wir nicht eine Frau, die in solcher Weise reiche und große Kunst schuf, wie die geniale Tochter Upsalas. Von allen Dichterinnen bis zum neunzehnten Jahrhundert wird heute überhaupt keine mehr gelesen, und die schreibenden Damen dieses Jahrhunderts sind auch zum größten Teile längst, und mit Recht, vergessen. Die Frau de Staël verdankt ihren Ruf viel mehr ihren Abenteuern als ihren Werken, dasselbe gilt von der romantischen Gräfin Hahn-Hahn und der schönen und geistreichen Freundin Mussets, Georges Sand. Der Ruf der Beecher-Stowe, der Verfasserin von »Onkel Toms Hütte«, beruht auf dem Zufallswerte, daß ihr sentimentaler Roman zeitlich mit der Sklavenemanzipation der Südstaaten und dem zum Teil sich darum drehenden nordamerikanischen Bürgerkriege zusammenfiel. So bleiben am Ende nur Elisabeth Barrett-Browning und – vielleicht – die Droste-Hülshoff, deren dichterische Schöpfungen einen bleibenden Wert haben.

Seltsam, daß gerade in unsrer Zeit, in der die schreibende Frau mehr wie je den Markt beherrscht, so unendlich wenig Talente darunter zu finden sind. Es ist geradezu erstaunlich, wie oberflächlich und banal die Produktion des weiblichen Geschlechtes unsrer Tage ist, schlimm bei uns, noch viel schlimmer freilich in England. Freilich haben wir unter dem unendlichen Heer blutiger Dilettantinnen auch solch geistreiche Plauderinnen wie die Gyp oder Colette Willy, solch kräftige Naturen wie die Skram und die Viebig, solch geschickte Erzählerinnen wie die Serao oder die Wohlbrück und solch kluge, weitblickende Frauen wie die Lily Braun. Aber sie alle werden neidlos den Kranz der Lagerlöf zuerkennen, werden mit mir darin übereinstimmen, daß diese merkwürdige Frau alle anderen ihres Geschlechtes weit hinter sich läßt.

Man hat, und nicht mit Unrecht, der künstlerisch schaffenden Frau nachgesagt, daß sie stets viel mehr nachempfindend als selbst schöpferisch sei. Und gewiß ist, daß neben einer jeden Künstlerin eine Reihe Männer stehen, die künstlerisch ihrem Schaffen sehr viel Verwandtes, Gleichwertiges, oft sehr Ähnliches schufen. Die Literaturgeschichte, die Kunstgeschichte, die Musikgeschichte verlieren in der Tat nichts, wenn überhaupt kein weiblicher Name in ihnen erwähnt würde: alles das, was je Frauen schufen, wurde zumindest ebenso vollendet auch von Männern geboten, nie war eine Frau die »Erste« und nie die »Beste«. Selma Lagerlöf ist die erste und einzige Frau, die eine durchaus neue, völlig originelle Note fand. Sie, und nur sie, suchte ihre eigenen Wege, sie allein ging einen bisher unbeschrittenen Weg.

Das ist um so verblüffender, als das Zeitalter der 1854 geborenen Dichterin gerade in ihrem engeren Vaterlande, in Skandinavien, eine solche erstaunliche Fülle ureigenster Dichter hervorbrachte. Bei den beiden norwegischen Dioskuren Ibsen und Björnson steht der mächtige Schwede Strindberg und der prächtige Däne Jakobsen, alles Namen von internationalem und von so starkem Klang, daß er weit über ihr Jahrhundert hinaus tönen wird. Und zur Seite dieser ganz Großen gibt uns das Skandinavien der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts noch eine überreiche Fülle starker Talente, die fast alle auf durchaus eigenem Boden pflügen. Was wäre natürlicher, als daß eine schreibende Frau, mag ihr Talent auch noch so groß sein, die von dem einen oder dem anderen gebahnten Wege weiterginge, so wie es die Skram, die Michaelis und so manche andere taten?

Selma Lagerlöf ließ sich von keinem beeinflussen. Sie fand, gleich in ihrem ersten Werke, ihr ureigenes Land und ist ihm treu geblieben die Jahre hindurch. »Gösta Berlings Saga« ist eines der herrlichsten Kunstwerke der Weltliteratur, ihren »Christuslegenden« ist kaum etwas Stimmungsvolleres an die Seite zu stellen. Und daran schließen sich die farbenreichen »Königinnen von Kungahälla«, die »Herrenhofsage« und vor allem »Jerusalem« mit seinen zwei Teilen »In Dalarne« und »Im heiligen Lande«.

Ruhig, fast feierlich ist der Fluß ihrer Sprache, scheinbar ganz anspruchslos die Art ihres Vortrages, mit der sie die tiefsten Dinge und die größten Gedanken zu geben weiß. Wirklichkeit und Wunderwelt sind mit einem innigen Zauberbande aneinander gekettet und in eine Sphäre höchster, künstlerischer Abgeklärtheit gerückt. So sind ihre Gestalten immer Menschen und wachsen dennoch zu einem merkwürdigen Übermenschlichen hinaus. Es ist eine neue Kultur der Romantik, welche nirgends in der Literatur ihresgleichen hat, die uns einhüllt in einen eigenen Hauch buntfarbigen Nebels, und in unsern Ohren ein seltsam tönendes Rauschen erklingen läßt. Die Zeiten verschieben sich: Menschen unsrer Tage scheinen fernab gerückt, Längstvergangenes wieder wird uns wie Alltägliches vertraut. Das Reich der Selma Lagerlöf liegt irgendwo in der Träume Reich, und wer in ihm wandelt, vergißt seines Alltags Nöte. Es ist gut für den Menschen, wohl zu wissen, daß es noch etwas anderes gibt, als seines kleinen Lebens Freuden und Sorgen, daß es – irgendwo! – noch ein Fleckchen gibt, wohin sich die Seele flüchten will, die vergessen will. Und sie findet solcher Fleckchen viele, in den Büchern der Lagerlöf.

Düsseldorf, Dezember 1912.

Hanns Heinz Ewers.

 


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