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VII. Nach dem Wunder

Die Zunft der blinden Sänger hielt Versammlung in der Luciakirche. Ganz oben im Chor hinter dem Altar saßen dreißig blinde Männer auf den geschnitzten Chorstühlen der Jesuitenpatres. Die meisten von ihnen waren arm und hatten den Bettelsack und den Krückstock neben sich liegen.

Es herrschte großer Ernst und tiefe Feierlichkeit unter den Blinden. Sie wußten, was es hieß, Mitglieder der heiligen Sängerzunft, dieser herrlichen, alten Akademia zu sein.

Drunten in der Kirche ertönte ab und zu ein gedämpfter Lärm. Dort saßen die Blindenführer, Kinder, Hunde und alte Frauen, und warteten. Manchmal begannen die Jungen untereinander und mit den Hunden zu tollen, aber sie wurden schnell zur Ruhe verwiesen und der Lärm unterdrückt.

Die Blinden, die Trovatores waren, traten der Reihe nach vor und deklamierten ihre neuen Verse.

»Ihr Männer, die ihr auf dem heiligen Ätna wohnt«, deklamierte einer von ihnen, »ihr Leute, die ihr auf dem Wunderberge lebt, erhebt euch, schenkt eurer Herrscherin einen neuen Schmuck. Sie sehnt sich nach zwei langen Bändern, die ihre Schönheit noch erhöhen sollen; zwei lange, schmale eiserne Bänder will sie an ihrem Mantel anbringen. Schenkt sie eurer Herrscherin, und sie wird euch mit Reichtum dafür lohnen; sie wird euch Gold für Eisen geben. Unzählbar sind die Schätze, die die Mächtige denen geben wird, die ihr jetzt beistehen.«

»Ein milder Wundertäter ist zu uns gekommen«, sang ein anderer. »Arm und unbeachtet steht er in der kahlen alten Kirche. Seine Krone ist aus Blech und seine Diamanten von Glas. ›Bringt mir keine Opfer dar, ihr Armen‹, sagt er, ›baut mir keinen Tempel, ihr Unglücklichen. Ich will für euer Glück arbeiten. Wenn der Reichtum aus euren Hütten strahlt, glänze ich in echten Steinen. Wenn die Not aus diesem Lande entflieht, werden meine Füße mit perlenbesetzten Schuhen bekleidet sein.‹«

Während so ein neuer Reim nach dem anderen hergesagt wurde, wurde er angenommen oder verworfen.

*

Nach dem Wunder mit Fra Felices Testament begannen die Leute für die Eisenbahn zu spenden. Bald hatte Donna Micaela an die hundert Lire beisammen. Da fuhr sie mit Donna Elisa nach Messina, um sich dort die Dampfstraßenbahn, die zwischen Messina und Pharo geht, anzusehen. An etwas Größeres dachten sie nicht; sie wären mit einer Dampfstraßenbahn wohl zufrieden gewesen.

»Muß denn eine Eisenbahn so teuer kommen?« sagte Donna Elisa. »Man braucht ja nur Schienen auf eine gewöhnliche Straße zu legen. Die Ingenieure und feinen Herren machen, daß sie so teuer wird. Wozu brauchen wir Ingenieure, Micaela? Wir wollen doch unsere guten Straßenbauer Giovanni und Carmelo die Eisenbahn bauen lassen.« Sie besichtigten die Dampfstraßenbahn nach Pharo sehr genau und ließen sich jede Auskunft geben, die zu erlangen war. Sie maßen aus, wie weit die Schienen voneinander entfernt waren, wie weit der Zwischenraum zwischen den Gleisen sein mußte, und Donna Micaela zeichnete auf ein Papier, wie die Gleise sich an den Stationen kreuzten. Das war nicht so schwierig. Sie waren überzeugt, daß sie allein zurechtkommen würden.

An diesem Tag schien es bei einem solchen Bau gar kein Hindernis zu geben. Einen Bahnhof bauen sei nicht schwerer als ein gewöhnliches Haus bauen, sagten sie. Und mehr als einen oder zwei Bahnhöfe brauche man gar nicht. An den meisten Haltestellen genüge eine kleine Wartehalle.

Wenn sie nur ohne eine Aktiengesellschaft auskommen konnten. Wenn sie nur keine feinen Herren anstellten und alles das andere, was so viel Geld kostet, vermieden, dann würde ihre Eisenbahn sicher zustande kommen. Sie sollte nicht teuer werden. Den Boden würden sie schon umsonst bekommen. Die hohen Herren, die Grundstücke auf dem Ätna hatten, würden wohl begreifen, wieviel Nutzen sie von der Eisenbahn haben würden und diese gewiß umsonst über ihre Äcker führen lassen.

Sie hielten es für unnötig, daß die Linie vorher abgesteckt wurde. Sie wollten einfach bei Diamante anfangen und dann allmählich bis Catania weiterbauen. Man brauchte nur anzufangen und dann jeden Tag eine kleine Strecke fertigzumachen. Das war gar nicht schwierig.

Nach dieser Weise wurde der Versuch gemacht, auf eigene Faust die Bahn zu bauen. Don Ferrante hatte Donna Micaela keine großen Reichtümer hinterlassen, aber glücklicherweise hatte er ihr eine große Strecke lavabedeckten Ödlands verschrieben. Dort begannen Giovanni und Carmelo, den Weg für die neue Eisenbahn vorzubereiten.

Als diese Arbeit in Angriff genommen wurde, besaßen die Eisenbahnunternehmer nur hundert Lire. Aber das Wunder mit dem Testament hatte sie mit heiligem Wahnwitz erfüllt.

Was mochte das für eine Eisenbahn werden, ach du lieber Gott, was für eine Eisenbahn!

Blinde Sänger boten die Aktien aus, das Heiligenbild gab die Konzession, und die alte Geschäftsfrau Donna Elisa war der Ingenieur!


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