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IX. Die Flucht

Damals war das kleine Christusbild von Aracoeli noch immer in Diamante.

Die Engländerin, der es gehörte, war so entzückt von dieser Stadt, daß sie sich gar nicht entschließen konnte, weiterzureisen.

Sie hatte das ganze erste Stockwerk des Gasthauses gemietet und sich da vollständig häuslich niedergelassen. Nun kaufte sie zu teuren Preisen alles, was sie an alten Tongefäßen und an alten Münzen auftreiben konnte. Sie kaufte Mosaiken, Altarbilder und Heiligenbilder. Sie war auf die Idee gekommen, sich eine Sammlung aller Kirchenheiligen anzulegen. Da hörte sie auch von Gaetano erzählen, und sogleich ließ sie ihn zu sich ins Hotel bitten.

Gaetano raffte alles, was er in der letzten Zeit geschnitzt hatte, zusammen und nahm es mit zu Miß Tottenham. Sie war sehr erfreut über die kleinen Figuren und wollte alle miteinander kaufen.

Aber die Zimmer der reichen englischen Dame sahen aus wie die Rumpelkammer eines Museums. Alles, was man sich nur denken konnte, war da versammelt, und alles lag in grenzenloser Unordnung durcheinander. Da standen halbgeleerte Koffer, Mäntel und Hüte hingen an den Wänden, Bilder und Kupferstiche lagen umher, ebenso Reisehandbücher, Fahrpläne, Teegeschirr und Spirituskocher sowie Hellebarden, Meßbücher, Mandolinen und Wappenschilder. Dies öffnete Gaetano die Augen. Er wurde plötzlich rot, biß sich auf die Lippen und begann seine Bilder wieder einzupacken.

Sein Blick war auf ein Bild des Jesuskindes gefallen. Es war das Verstoßene, das hier mitten in dieser Unordnung stand mit seiner ärmlichen Krone auf dem Kopf und seinen Messingschuhen an den Füßen. Die Farbe auf dem Gesicht war abgescheuert, die Ringe und die Schmucksachen, mit denen es behängt war, hatten Flecken von Grünspan, und das Wickelband war vom Alter vergilbt.

Als Gaetano das sah, wollte er seine Bilder nicht an Miß Tottenham verkaufen, sondern einfach wieder fortgehen. Und als Miß Tottenham ihn fragte, was er denn auf einmal habe, fuhr er auf, begann sie zu beschimpfen und fragte sie, ob sie wohl wisse, daß viele von den Sachen, die sie da um sich herum habe, heilig seien?

Ob sie wohl wisse oder ob sie nicht wisse, daß das Bild dort das heilige Jesuskind selbst sei? Und sie habe es an der einen Hand drei Finger verlieren und die Steine aus seiner Krone fallen lassen, und nun liege es schmutzig und mit Grünspan befleckt und entehrt herum. Wenn sie so das Bild des eingebornen Sohnes Gottes behandle, wie würde sie dann erst alles andere verkommen lassen? Nein, ihr wolle er nichts verkaufen.

Als Gaetano auf diese Weise über Miß Tottenham herfiel, war diese ganz entzückt von ihm, ja sie war geradezu begeistert. Hier war wahrer Glaube und echter heiliger Zorn. Dieser junge Mann mußte Künstler werden.

Nach England, nach England mußte er! Sie wollte ihn zu ihrem Freund, dem großen Meister senden, zu ihrem Freund, der die Kunst umzuschaffen versuchte, zu ihm, der die Menschen lehren wollte, schönen Hausrat und schöne Kirchengeräte zu schnitzen, der eine ganze schöne Welt schaffen wollte.

Sie bestimmte und ordnete alles an, und Gaetano ließ sie gewähren, weil er selbst jetzt am liebsten von Diamante weg wollte. Er sah ein, daß er das Leben da nicht mehr aushalten konnte. Er glaubte, Gott selbst führe ihn weg von der Versuchung.

Ganz unbemerkt reiste er ab. Donna Micaela erfuhr kaum etwas von dem Plan, bis er fort war. Er hatte nicht gewagt, ihr Lebewohl zu sagen.


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