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Annstu-Lisa

Es sah wirklich aus, als ob Mamsell Jaquettes Freundlichkeit auf ihre arme Schwägerin Eindruck gemacht hätte.

»Siehst jetzt, Anna, 's ist auf der Welt doch nit ganz aus mit aller Rechtschaffenheit und Gerechtigkeit!« mochte sie wohl zu sich selbst gesagt haben. »Bist jetzt nit 'zwungen, bis nach Medstuby zu lauf'n, um gute Leut' z'find'n.«

Um die Wahrheit zu sagen, war es ihr bei näherer Überlegung durchaus nicht verlockend, in ihr Heimatdorf zurückzukehren und all die gehässigen Reden in Empfang zu nehmen, die ihr dort geboten würden. »Hab' ich's nit gleich g'sagt! Sie taugt halt nit zur Pfarrfrau!« würde es von allen Seiten her heißen, von der Schultheißin an bis zu den kleinen Buben, die in Kantor Medbergs Schulstube lesen lernten.

Außerdem hatte Anna das Geld von jeher sehr hoch geschätzt, und jetzt, mit dreitausend Reichstalern in der Tasche, wurde ihr die Wanderung entschieden leichter; nun hatte sie etwas, das ihre Gedanken sehr beschäftigte.

Eigentlich hatte sie sich in dem kleinen Häuschen über des Doktors Baumgarten immer sehr wohl gefühlt, und der Gedanke kam ihr, ob es nicht eine Dummheit wäre, wenn sie es aufgäbe. Wäre es nicht am Ende klüger, wenn sie ein paar Äcker dazu kaufte, einen Stall baute und Vieh eintat. Wenn Gott seinen Segen dazu gab, konnte sie in einigen Jahren auf einem guten Hofe ihr sicheres Auskommen haben.

Jedenfalls begab sie sich jetzt nicht nordwärts durch das Klarelftal, was der nächste Weg in ihre Heimat gewesen wäre, sondern wanderte in östlicher Richtung den Vänerstrand entlang, was für jemand, der nach Korskyrka wollte, als der gerade Weg erscheinen mußte.

Was Karl Artur betrifft, so dachte Anna nicht anders, als daß sie ihn in seinem herrschaftlich eingerichteten Zimmer ganz wie gewöhnlich an seinem Schreibtisch finden würde. Und ebensowenig fürchtete sie, er werde einem erneuten Zusammenleben Schwierigkeiten entgegensetzen.

Er muß doch woll jemand hab'n, der d' Stuben richtet und 's Essen kocht, dachte sie. Will hoff'n, daß er dann grad so gut mit mir vorliebnimmt wie sonst jemand.

Wie man sieht, hatte ihr die Bewegung in der frischen Frühlingsluft gut getan, und vor allem auch Mamsell Jaquettes Freundlichkeit. Ihre erregten Gefühle hatten sich beruhigt. Sie konnte die Sachen und Dinge jetzt so sehen, wie sie waren, ohne aus einer Mücke einen Elefanten zu machen.

Meile um Meile wanderte sie durch das prächtige Ackerland östlich von Karlstadt dahin. Die Äcker durften sich hier ausbreiten, ohne beständig von Bergrücken zerschnitten zu werden. Die Wälder hatten bis zum Horizont hinausrücken müssen. Mit ihren dreitausend Reichstalern in der Tasche betrachtete Anna diese Gegend mit einem ganz anderen Interesse. Vielleicht wär's 's Richtigst', wenn ich hier blieb', dachte sie. Wo sonst gäb's denn für den Pflug so 'n bequem's Land wie hier?

Soviel ist sicher, sie betrachtete jeden Hof, an dem sie vorbeikam, sehr genau. Überall gab's etwas zu lernen und etwas zu überlegen. Die Augen waren ihr für die äußere Welt aufgegangen. Ihre Gedanken bewegten sich nicht mehr in einem engen Kreis um die zehn Kinder, um Thea, Karl Artur und ihre eigene Angst vor dem Strafgericht.

Als sie an einer der kleinen weißen Kirchen dieser Gegend vorüberkam, geriet sie mitten in einen kleinen Jahrmarkt hinein. Es waren da etwa dieselben Verkäufer, dieselben Waren, dieselben Buden und hin- und herschwankenden Schilde wie auf dem Jahrmarkt zu Korskyrka vor ein paar Wochen. Da sich aber der Tag dem Ende zuneigte, hatten die Menschenscharen, die zwischen den Ständen umherzogen, schon Branntwein genug getrunken, und die Ausgelassenheit war wilder und roher geworden. Auf allen Seiten ertönten Zänkereien und Gelärm. Besonders die Pferdehändler und Zigeuner waren in streitlustiger Stimmung. Man konnte nichts anderes erwarten, als daß das Ganze jeden Augenblick mit einer großen Schlägerei endigen werde. Anna Svärd, die so etwas wohl kannte, ging eilig weiter, um aus dem Gedränge hinauszukommen, ehe der Streit losbrechen würde.

Doch im Vorbeieilen hörte sie etwas, das sie zum Stehenbleiben und Zuhören brachte. Mitten aus dem Schwatzen der Menschen, dem Quietschen der Drehorgeln, dem Brüllen des Viehs, dem Gerassel der Fuhrwerke, mitten aus dem gewaltigen Jahrmarktsgetöse heraus begann eine Frauenstimme ein geistliches Lied zu singen. Zur Höhe hinauf stieg das Lied, frisch, wunderbar klar und deutlich. Wer es hörte, mußte es wahrlich für ein himmlisches Wunder halten, wie dieser schöne Gesang aus dem rohen, brüllenden Jahrmarktsgetriebe aufstieg.

Die Leute waren vor Verwunderung wirklich wie vor den Kopf geschlagen. Man hörte auf zu kaufen und zu feilschen, man blieb mit der erhobenen Branntweinflasche in der Hand stehen, ohne sie zum Munde zu führen.

Die Sängerin hatte sich auf einen sogenannten Marktschreierwagen, ein ganz einfaches Fuhrwerk ohne Sitz oder Verdeck, gestellt, um über die Köpfe der Menge hervorzuragen. Sie war klein und dick und in einen glatten, schwarzen Mantel gehüllt, die Gesichtszüge waren häßlich, die Augen hervorstehend und wäßrig. Sie hatte schon einen ganzen Kreis Zuhörer um sich her. Man fühlte sich etwas enttäuscht, weil die Person, die so herrlich singen konnte, nicht auch schön war; aber die Schönheit des Gesanges war doch so groß, daß man geduldig stehenblieb und zuhörte. Wenn's nit unmöglich war' …, dachte Anna Svärd. Aber ich täusch' mich g'wiß.

Sie wollte ihren eigenen Augen nicht trauen und sagte sich, daß ja diese Frau, während sie sang, etwas Schönes, etwas Reines und Heiliges bekommen habe. Bei der andern hatte sie nie so etwas, wie bei der Sängerin hier, bemerkt.

Das Lied war zu Ende. Die Frau stieg von dem Wagen herunter, und ein Mann, der vorher unter den Zuhörern stand, nahm ihren Platz ein.

Er trug einen grauen Friesanzug und einen breitrandigen Hut. Diesen zog er rasch ab, warf ihn auf den Boden des Wagens und blieb dann ein paar Sekunden mit gefalteten Händen und niedergeschlagenen Augen im Gebet versunken stehen. Der Wind spielte mit seinem Haar und warf es ihm über die Stirne herein, wodurch die leuchtende Blässe seines Gesichts noch mehr hervortrat. Wie er so dastand, warf ein hervorbrechender Sonnenstrahl einen hellen Glanz auf ihn; er machte das feine Antlitz fast durchsichtig und umrahmte es für ein paar Augenblicke mit einem Glorienschein. Es war, als habe der Sonnenstrahl helfen wollen, aller Blicke auf den Mann zu lenken.

Anna Svärd, die natürlich ihren Mann sofort erkannte, meinte, so schön habe sie ihn noch nie gesehen. Auch der ganze Volkshaufe, der, als das Lied zu Ende war, wieder zum Handeln und Trinken zurückkehren wollte, blieb in der Erwartung, was dieser Mann ihnen wohl zu sagen haben könne, ruhig stehen.

Es dauerte auch nicht lange, bis Karl Artur zu reden anfing. Er schlug seine dunklen Augen auf, ließ seinen Blick über die Leute hingleiten, stand aber sonst ganz regungslos da. Und mitten in der großen andachtsvollen Stille, die sich auf dem Jahrmarktsplatz ausgebreitet hatte, ertönte seine Stimme weithin verständlich.

Man begreift, daß seiner Frau das Blut in den Kopf stieg. Kein Wort erfaßte sie von dem, was ihr Mann sprach. Statt dessen fragte sie sich, was das alles zu bedeuten habe. Was hatten Thea und er hier auf dem Jahrmarkt zu schaffen?

Allmählich war sie indes doch imstande, einige Sätze festzuhalten. Sie hörte Karl Artur den Leuten erzählen, daß er Jesu Gebot folgen und auf Wege und Stege hinausgehen wolle, um das Evangelium vom Himmelreich zu verkündigen. Er wolle nicht mehr von der Kanzel aus predigen und habe seinen Abschied vom Pfarramt verlangt.

Die Menge, die das alles schön und erstaunlich fand, lauschte fast atemlos. Ab und zu wurde zwar die Stille von irgendeinem halbberauschten Raufbold unterbrochen, der schrie, er habe es satt, diesem Schwätzer auf dem Marktschreierwagen zuzuhören. Dies hier sei ein Jahrmarkt, wo man lustig sein und nicht Predigten anhören wolle. Aber diese Schreier wurden rasch zum Schweigen gebracht; denn die Zuhörer, die diese neue Verkündigung hören wollten, waren in der Mehrzahl. Man wäre geneigt zu sagen, daß außer Anna Svärd niemand Zorn oder Widerwillen empfand. Sie aber war auch im höchsten Grad empört. War ihr Mann also nicht mehr Pfarrer? Wollten er und Thea wie Zigeuner im Lande umherziehen? Sie, seine Frau, hatte da wohl auch noch ein Wort mitzusprechen! Fast konnte sie sich nicht mehr beherrschen, und schon wollte sie sich bis in die erste Reihe des Volkshaufens durchdrängen, um der schönen Rede ein Ende zu machen. Sie wollte laut hinausrufen, was für Menschen Thea und Karl Artur seien. Jedes von ihnen war ja seinerseits verheiratet! Hurenmenschen waren sie! Und wollten sich dabei heilig hinstellen und Gottes Wort verkündigen!

Doch gerade als sie sich vorwärtsdrängen wollte, legte sich eine Hand auf ihre Schulter. Sie schaute auf und sah die alte Annstu-Lisa vor sich, die älteste und berühmteste von allen Hausiererinnen, hochgewachsen, knochig, das Gesicht von Wetter und Wind wie Rinde gebräunt, mit trüben, unerforschlichen Augen, die ganze Person schwerfällig und unerschütterlich wie ein großer Felsblock.

Annstu-Lisa war wegen ihrer Schlauheit und ihrer unersättlichen Gier nach Tabak, Kaffee und Kartenspiel berüchtigt; aber daneben hatte das Weib auch noch andere Gaben, von denen man nicht gerne sprach. Und Anna hatte wohl davon flüstern hören, daß sie nicht allein scharfsichtig, sondern auch hellseherisch sei und die Leute auf gewisse Weise dazu bringen könne, an ihrem Stand zu kaufen und jeden Preis zu bezahlen, den sie begehrte. Als darum Anna jetzt die Hand der Annstu-Lisa auf ihrer Schulter fühlte, begriff sie, daß das Weib sie nicht ohne Absicht angefaßt hatte.

Die Alte sagte kein Wort, und Anna hätte deren Hand mit einem einzigen Ruck abschütteln können; aber merkwürdigerweise tat sie es nicht. Statt dessen blieb sie ganz ruhig stehen und lauschte dem Redner, wie alle die andern auch.

Aber so, wie Karl Artur an diesem Abend auf dem Jahrmarkt redete, hatte sie ihn früher nur ein einziges Mal sprechen hören, nämlich an jenem Sonntag in Korskyrka, wo er über die wunderbaren Worte von der Liebe predigte.

Sie erinnerte sich ganz genau, wie damals alles gewesen war. Wie sie fortwährend gehofft hatte, Thea werde nicht in die Kirche kommen, um ihn mit ihren Hexenkünsten zu erschrecken, und wie unglücklich sie gewesen war, als Thea schließlich doch noch erschien und Karl Artur sofort den Faden seiner Predigt verlor. Gerade darum konnte sie auch jetzt verstehen, wie glücklich er sich fühlen mußte, daß die großen Gaben ihm wiedergegeben waren! Wenn sie, seine Frau, jetzt vortrat, dann kam er sicher aus dem Konzept, und ein größeres Leid könnte sie ihm wahrhaftig nicht antun. Aber während sie noch überlegte, wie sie ihm am meisten schaden könnte, da war ihr, als habe sie nicht mehr die Annstu-Lisa neben sich, sondern die Frau Propst Forsius, die regungslos und andachtsvoll dastand und ihr zeigte, wie eine Pfarrfrau in Korskyrka sich aufführen müsse, wenn ihr Gatte auf der Kanzel stand. Und plötzlich kam Leben in Anna, sie bewegte sich, doch jetzt nicht mehr, um sich zu Karl Artur vorzudrängen. Statt dessen suchte sie in entgegengesetzter Richtung aus dem Volkshaufen herauszukommen, um den Jahrmarkt zu verlassen, und das gelang ihr auch leicht genug, denn Annstu-Lisa ging vor ihr her und bahnte den Weg.

Kaum waren sie indes auf der Landstraße, als Anna fühlte, wie der Zorn aufs neue in ihr aufloderte, und sie wendete sich an Annstu-Lisa, ohne im allergeringsten verbergen zu wollen, wie empört sie war.

»Hättest dich doch nit da dreinmisch'n brauch'n!« sagte sie.

»Hätt' ich denen nit sag'n soll'n, was für Leut' sie sind?«

»Ich hab' g'seh'n, daß du drauf und dran g'wesen bist, dich ins Unglück zu stürz'n«, antwortete das Weib mit ihrer trocknen, kräftigen Stimme, »und ich wollt' dir helf'n, weil du vor drei Jahr' vom Jahrmarkt wegblieb'n bist, damit ich und d' Ris-Karin und die anderen armen Tröpfe Platz hätt'n. Die dort drüb'n sind ja jetzt am Abend schon halb berauscht, da weißt nit, was du ang'stift' hättst!«

Anna Svärd sah die Alte überrascht an. Daß sie ihrer Kameraden wegen damals von den Herbstjahrmärkten weggeblieben war, hatte sie keinem Menschen je gesagt.

»Bist so unwissend wie 'n neugebor'nes Kind«, fuhr die Alte fort. »Jetzt bist bald drei Jahr' mit dem Mann dort drüben verheirat' g'wesen und siehst noch nit, daß deine und seine Weg' auseinanderlauf'n, während seine und die der andern zusammengeh'n. Glaub' doch nit, daß du dem, was dir b'stimmt ist, entgeh'n kannst!«

Als die Annstu-Lisa das sagte, erwachte in Anna Svärd etwas Altes und fast Vergessenes. Aber jetzt erinnerte sie sich genau: Irgendwo in Gottes Himmel droben stand sicherlich alles, was sie durchmachen mußte, aufgezeichnet, und was geschrieben war, das war geschrieben. Keine Macht der Welt konnte etwas daran ändern, ja nicht einmal Gott selbst. Das glaubten Mutter Svärd und Jobs-Erik, das glaubten alle Leute in Medstuby, und in diesem Glauben lebten und starben sie mutig und glücklich.

Nach einer Weile wendete sich Anna Svärd an die Alte, die noch immer schweigsam und geduldig neben ihr herlief.

»Ja, jetzt sollst schön bedankt sein, Lisa! Bin woll nit so dumm, mich gegen das aufz'leh'n, was mir b'stimmt ist.«

Annstu-Lisa hielt sofort an und reichte Anna eine Hand, die furchtbar groß war, aber trotzdem die Hand des andern immer nur ganz schwach drückte.

»Ja, muß jetzt woll wied'r an mein' Stand z'rück«, sagte sie.

Aber Anna Svärd richtete noch eine Frage an sie, ehe sie sich trennten. »Du, Lisa, wenn doch so viel von mir weißt, kannst mir vielleicht auch sag'n, wohin ich meine Schritt' jetzt lenk'n soll?«

Und die Antwort wurde ohne jegliches Zögern gegeben. »Geh nur gradaus weiter, denn was dir b'stimmt ist, kommt am heutigen Abend noch zu dir.«

Darauf wendete sich Lisa rasch um und kehrte zum Jahrmarkt zurück, Anna Svärd aber blieb stehen und schaute ihr noch lange nach. Lisa war ihr eine große Hilfe gewesen, gerade wie Mamsell Jaquette auch.

Bald wanderte sie in dem schönen Frühlingsabend weiter, und sie wartete jetzt mit großer Sicherheit auf das, was kommen sollte; es mußte etwas Freundliches und Gutes sein. Aber sie war schon sehr lange gegangen, ohne daß etwas geschehen, wäre. Schließlich wurde sie hungrig und müde, und so ließ sie sich auf einem Grabenrand nieder, um von ihrem Reiseimbiß zu essen.

Und nun geschah es, daß gerade, als Anna ein Butterbrot zum Munde führte, zwei Bettelweiber des Wegs dahergezogen kamen, zwei graue schmutzige Frauen mit einem unglaublich langen Schwanz von grauen schmutzigen Kindern hinter sich.

Die da werd'n mir vielleicht den Bissen vom Mund wegreiß'n, dachte Anna und rückte ein wenig zurück hinter einen Steinblock, damit die Bettelschar vorbeiziehe, ohne sie zu sehen.

Was die Weiber und die Kinder auf dem Leibe trugen, läßt sich kaum beschreiben. Sie hatten Scheuerlappen auf dem Kopfe, als Kleider trugen sie Säcke, die einen ganzen Sommer lang auf Vogelscheuchen gesessen hatten, und die Schuhe waren aus alten Birkenrindenstücken zusammengenagelt.

Aber die beiden Weiber waren weder über den Schmutz noch über die Lumpen ärgerlich. Sie lachten und schwatzten so eifrig, daß man es schon von weitem hörte.

»Nie hätt' ich glaubt, daß das Rumziehen und Betteln so lustig sein könnt'«, sagte die eine von ihnen.

»Man hätt' sich auch nie so 'n Mordsglück denk'n können, wie du g'habt hast«, erwiderte die andere. »Zehn Stück Kinder ohne jegliche Bezahlung!«

Anna Svärd wurde allmählich mißtrauisch, ob dies mit rechten Dingen zugehe. Wie sie gehört hatte, kam es vor, daß sich vermögliche Bauernfrauen aus den nördlichen Wärmlandsbezirken gegen das Frühjahr, wenn die Scheunen leer geworden waren, auf den Bettel verlegten, um Korn zu Brot und zur Aussaat herbeizuschaffen. Die hier waren offenbar auch nicht vergebens unterwegs gewesen. Die Weiber sowie auch die Kinder schleppten volle Säcke auf dem Rücken daher.

»Wenn's nur nit so weit heim war'!« sagte das erste Bettelweib lachend. »Man hätt' ja fast 'nen Mietswagen nötig, bis ganz 'nauf in den Eksbezirk z'rück.«

Kaum war dieses Wort ausgesprochen, als Anna Svärd auch schon auf den Weg hinaussprang und die Bettelweiber anstarrte. Trotz dem Schmutz und den Haarzotteln, die ihnen über die Augen hereinhingen, erkannte sie deren Züge. Die eine saß in einer Waldkate – sie war wohl so arm, daß sie betteln mußte –, aber die andere war eine reiche Witwe gewesen, als Anna sie zuletzt gesehen hatte. Damals hatte sie ihr mit Bohnenkaffee aufgewartet und ihr einen Nackenkamm abgekauft.

Sobald die Weiber Anna Svärds ansichtig wurden, fingen sie an zu betteln. »Ihr habt g'wiß was in dem Sack, das Ihr uns für d' Kinder schenk'n könnt?«

»Bist denn du nit die Frau auf Norrviken?« fragte Anna halb spöttisch. »Ist's denn möglich, daß du so arm word'n bist, daß du jetzt mit 'em Bettelsack 'rumzieh'n mußt?«

»Im Hof ist Feuer ausbrochen«, sagte das Weib. »D' Küh' sind umkomm'n, 's Korn ist verfror'n …«

Mehr konnte sie nicht sagen, denn plötzlich ertönte ein gellender Schrei aus der Kinderschar heraus. Zehn Bettelkinder stürzten auf Anna Svärd zu, umhalsten sie und hätten sie beinahe umgeworfen.

Anna Svärd kümmerte sich zuerst nicht um die Kinder, sie legte nur dem Weib ihre Hand schwer auf die Schulter.

»Ach so, du bist's, die mit 'em Oheim von den Kindern verheirat't ist«, sagte sie. »Jetzt kommst sofort mit zum Vogt! Und dann kannst auf'm Schub heimfahr'n, du und d' Kinder!«

Als das Weib das hörte, stieß sie einen Schrei aus. Sie warf ihren Sack ab und lief auf und davon, so schnell sie ihre Beine tragen konnten; und dasselbe tat auch das andere Bettelweib mitsamt allen Kindern, die zu ihr gehörten.

Aber Anna Svärd blieb auf der Landstraße stehen mit den zehn Kindern um sich her und mit Freude und Frieden im Herzen.

Doch ehe sie mit ihnen redete und zu fragen anfing, wie sie es bei dem Oheim gehabt hätten, meinte sie, nun müßten sie und die Kinder Gott danken, daß er sie wieder zusammengeführt hatte. Und sie stimmte ein Abendlied an, das erste, das sie die Kinder singen gelehrt hatte:

»Der Tag ist nun vergangen,
Die güld'nen Sterne prangen
Am hohen Himmelssaal …«


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