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Der Besuch

Ganz sicher war es den beiden alten Leuten in der Propstei klar geworden, daß ihnen die große Freude, jeden Tag beieinander zu sein, nicht allzulange mehr vergönnt sein werde. Wie um die kostbaren Stunden wohl auszunützen, waren sie jetzt noch mehr beisammen als vorher, ja, bisweilen kam die gute Frau Propst mitten am hellen Vormittag ohne irgendeine weitere Erklärung zu ihrem Manne in sein Studierzimmer. Sie ließ sich auf dem Sofa nieder und saß da ganz still mit einem Strickzeug oder vielleicht mit ihrem surrenden Spinnrad, das ihr eine noch liebere Unterhaltung war, während der alte Mann, ohne sich stören zu lassen, ruhig an seinem Herbarium weiter arbeitete und aus seiner langen Pfeife dampfte.

Auf diese Weise saßen sie an dem Montag wieder beisammen, als Karl Artur mit seiner Frau nach der Propstei kam, um seine Aufwartung zu machen. Der junge Geistliche, dem die Gewohnheiten des Hauses bekannt waren, suchte nicht erst in der Eßstube oder im Wohnzimmer, sondern ging gleich ins Studierzimmer, wo die Pröpstin mit ihrem Bandwebstuhl saß, während sich die großen Papierfaszikel auf dem Schreibtisch auftürmten und leichte, an der Decke hinziehende Tabakswölkchen zu weiterer Behaglichkeit beitrugen.

Karl Artur hielt eine kleine Rede, indem er für alles, was er in der Propstei Gutes genossen habe, dankte und dabei noch ganz besonders das letzte große Geschenk hervorhob. Der Propst antwortete mit ein paar herzlichen Worten, während die Pröpstin in aller Eile den Webstuhl in eine Ecke schob und die neue Pfarrfrau auf dem Sofa neben sich Platz nehmen ließ.

Frau Propst Forsius, die solch einer schmeichelhaften Aufmerksamkeit sehr zugänglich war, wischte sich, während sie Karl Arturs schönen Wortschwall anhörte, eine Träne aus dem Auge; aber wenn darum jemand denken sollte, sie erkläre sich dadurch mit der Heirat einverstanden, so wäre dies ein großer Irrtum. Eine alte Frau von so reicher Lebenserfahrung konnte es natürlich nur beklagen, wenn ein unbemittelter Predigtamtskandidat hinging und sich verheiratete und wenn die Erwählte ein armes Bauernmädchen war, so machte das die Sache kein bißchen besser. Nein, darüber konnte man ganz sicher sein, sie hatte dieser unsinnigen Torheit mit allen Kräften entgegengearbeitet; aber Frau Sundler hatte eben Karl Artur verheiratet haben wollen, und gegen Frau Sundler hatte die Pröpstin nichts ausrichten können.

Frau Forsius konnte es nicht lassen, die frühere Hausiererin mit einer gewissen Neugier zu betrachten. Wie diese da neben ihr auf dem Sofa saß, sah sie ganz ängstlich aus, und auf einige an sie gerichtete Fragen gab sie nur leise, kurze Antworten. Etwas anderes war ja auch weder zu wünschen noch zu erwarten; aber was die Pröpstin in hohem Grade verwunderte, war Karl Arturs Benehmen gegen seine Frau.

Wenn ich es nicht besser wüßte, dachte sie, würde ich nicht glauben, es sei ein neuverheirateter Mann, der mit seiner jungen Frau hierherkommt, sondern ein mürrischer alter Schullehrer, der uns eine schlechte Schülerin vorführen will.

Und Frau Forsius hatte auch Grund, sich zu verwundern. Karl Artur ließ seine Frau nicht ein Wort sagen, ohne es zu rügen. »Meine gnädige Tante, du mußt entschuldigen«, hieß es unaufhörlich, »Anna weiß es nicht besser. Medstuby ist ja ein vortrefflicher Ort, aber im Vergleich zu Korskyrka ist man dort hundert Jahre zurück.«

Die junge Frau machte keinen Versuch, sich zu verteidigen. Das große kräftige Menschenkind war sich seiner Unzulänglichkeit im Vergleich zu ihrem Manne geradezu bedauernswürdig bewußt.

Aha, aha, dachte Frau Forsius, das hab' ich mir doch gedacht! Es geht noch an, solange sie schweigt und sich nicht zur Wehr setzt, aber diese Zeit wird schon auch noch kommen.

Karl Artur erzählte weit und breit von seiner Reise nach Medstuby, von der Hochzeit und den neuen Verwandten. Er schilderte alles höchst humoristisch, und sicherlich war vieles in seiner Darstellung, das seine Frau verletzten mußte. Einmal wagte sie auch eine Einwendung zu machen.

»Ach, Unsinn! Du, Pröpstin, wirst woll nit glauben, daß das …«

»Anna!« rief Karl Artur in strengem Ton. Und da brach seine Frau mitten in ihrem Satz jäh ab. Darauf wendete sich der Ehemann an die Frau Propst und sagte:

»Meine gnädige Tante, du wirst entschuldigen. Ich habe Anna vielmals gesagt, daß es nicht angeht, ›du‹ oder ›Pröpstin‹ zu sagen. Wir können uns hier unten wirklich nicht nach dem richten, was Schick und Brauch in Medstuby ist.«

Darauf fuhr er in seiner Erzählung fort; aber die Pröpstin hörte nur noch zerstreut zu.

Was soll nur daraus werden? dachte sie höchst beunruhigt. Und ich hatte doch gehofft, er werde eine Frau bekommen, die ihm aus allen seinen Schwierigkeiten heraushelfen könnte!

Woran die Frau Propst in erster Linie dachte, war natürlich das Verhältnis zu Frau Sundler. Sie selbst wußte zwar sehr gut, daß durchaus nichts Unpassendes dabei war, dagegen aber war es höchst ärgerlich, daß über ihres Mannes Stellvertreter schlimme Gerüchte im Umlauf waren. Sie hatte zwar versucht, die Klatschbasen im Kirchspiel eines Besseren zu belehren, indem sie sagte, Thea Sundler sei viel zu klug, um sich in so ein Abenteuer einzulassen, sie verlange gewiß nichts weiter, als Karl Artur vorsingen oder in seiner Gesellschaft bei Sonnenuntergang den Krähenhügel hinaufwandern zu dürfen, um nach Wolken mit goldenen Rändern auszuschauen. Aber was half das? Da sie, Regina Forsius, nun fünfzig Jahre in Korskyrka Pröpstin gewesen war, hörte man zwar an, was sie sagte, aber im nächsten Augenblick war die Verleumdung schon wieder im Gange. Und noch eins! Wohl verstehen wir, warum Thea diese Heirat so sehr befürwortet. Und noch eins! Noch eins! Der Organist soll beruhigt werden. Weißt du wohl, daß die Frau wie ein Dienstmädchen in der Küche schlafen soll? Und noch eins! Hast du die Schlafbank gesehen? Jawohl, jawohl! Meinst du, das sei ein Ehestand!

Über diese Schlafbank hatte die Pröpstin nur allzuviel reden hören, und deshalb hatte sie sich entschlossen, ein altes Himmelbett, das in einem Gastzimmer stand, in die Wohnung der Neuvermählten zu schicken. Sie nahm an, dies habe sehr viel zur Beruhigung der Verleumdung beigetragen; aber die beste Arznei für die Lästerzungen wäre jetzt eben doch, wenn Karl Artur seine Frau liebte und das zeigen würde.

Ich möchte wohl wissen, was Forsius jetzt über all dies denkt, dachte die Frau Propst. Als Karl Artur am Sonnabend bei ihm war, hat er mit großer Begeisterung von seiner Frau geredet. Und deshalb fragte sie sich jetzt: Ob nicht am Ende Thea Sundler dort gewesen ist und irgendein Unglück angestellt hat? Sie fühlte wirkliches Mitleid mit dem armen Dalmädchen und zerbrach sich den Kopf, wie man ihr möglicherweise helfen könnte.

Immerhin hatte Anna Svärd jetzt ihre Schüchternheit doch so weit überwunden, daß sie die Augen aufzuschlagen wagte und sich im Zimmer umschaute. Aber weder der Bücherschrank noch das Herbarium des Propstes fesselte ihre Aufmerksamkeit. Dagegen flog beim Anblick des Bandwebstuhles ein entzücktes Lächeln über ihr Gesicht.

»Ei sieh, 'n Bandwebstuhl!« rief sie und sah dabei so froh aus, wie wenn sie ihn am liebsten umarmt hätte. Der Zauber, den der einfache Webstuhl auf sie ausübte, war so groß, daß sie nicht ruhig sitzenbleiben konnte. Sie verließ den sichern Platz auf dem Sofa, wagte ein paar Schritte auf den Webstuhl zu, und als sie ihn erreicht hatte, befühlte und betrachtete sie ihn genau.

»Kannst mir glauben, ich hab' früher viele Bunde Band g'woben, jawoll!« sagte sie zu ihrem Manne, wie um ihr Vorgehen zu entschuldigen.

Der Webstuhl hatte ihr augenscheinlich ein großes Sicherheitsgefühl verliehen, und die Pröpstin, die dachte, eine vertraute Beschäftigung werde sie noch heimischer machen, fragte, ob sie nicht an dem schmalen Gewebe ein bißchen weitermachen wolle.

»Du bist allzu gut, meine gnädigste Tante«, fiel Karl Artur ein. »Meine Frau würde das Gewebe nur verwirren. Sie kann ein solches Anerbieten nicht annehmen, davon kann keine Rede sein.«

»Wie du redest, Karl Artur! Gewiß soll sie weben, wenn es ihr Spaß macht.«

Im nächsten Augenblick saß die neue Pfarrfrau an dem Webstuhl, und nun begann ein Weben, das sogar die alte Pröpstin in Verwunderung versetzte. Sie und die beiden Männer umstanden den Webstuhl; die Finger der Weberin flogen wie bei einem Taschenspieler; man konnte ihre Bewegungen nicht mit den Augen verfolgen.

»Gina, mein lieber Schatz«, sagte der Propst, »du hast dir gewiß eingebildet, du verstehst die Kunst des Bandwebens. Da siehst du, wie weit du noch davon entfernt bist, dich für einen Meister ausgeben zu können.«

Über das Antlitz der jungen Frau verbreitete sich ein glückliches Lächeln. Man begriff, nun war sie ganz rasch in ihre Heimat versetzt worden. Rund um sie her hatte sie bekannte Dinge; die Mutter war am Herd beschäftigt, vor dem Fenster sah sie lange graue Häuser, sie hörte Worte, die in ihrer heimatlichen singenden Sprache geredet wurden.

Nach einigen Minuten raschen Webens war das Garn auf der Spule zu Ende. Mit einem Seufzer schaute die glückliche Weberin auf. Ihre Augen suchten die ihres Mannes. War er unzufrieden? Hatte sie sich wieder verkehrt betragen?

Karl Artur verhielt sich abwartend, aber die Frau Propst Regina Forsius beugte sich vor, befühlte das Gewebe, nickte beifällig und machte eine Reverenz vor Karl Artur.

»Das muß ich sagen! Alle Achtung! Und ich muß aufs herzlichste gratulieren! Ei, wer seine Hände so gebrauchen kann! Ich bin ganz fest überzeugt, du, Karl Artur, hast die Frau bekommen, die du brauchst.«

Der junge Pfarrer verzog das Gesicht ein wenig. »Meine gnädigste Tante …«, begann er.

Aber die Pröpstin ließ ihn nicht zu Worte kommen. »Ich weiß, was ich sage, Karl Artur. Und geh nun nicht hin und laß dir von irgend jemand weismachen, du hättest eine bessere Wahl treffen können.«

Eine Weile nachher, als die Gäste gegangen waren, stand die Frau Propst vom Sofa auf und trat an den Schreibtisch, um zu hören, was ihr Gatte für einen Eindruck von dem Besuch bekommen hatte.

Der Alte hatte seine Herbariumsfaszikel auf die Seite geschoben; er hielt den Gänsekiel in der Hand und beschrieb eifrig einen großen Papierbogen mit schmucken Buchstaben. Als seine Frau sich vorbeugte, sah sie, daß er dabei war, ein Schreiben an Seine Hochwürden, den Bischof zu Karlstadt, abzufassen.

»Aber was in aller Welt, Forsius …!« rief sie.

Ihr Mann hörte auf zu schreiben, steckte die Feder in den kleinen Topf mit Schrotkörnern und wendete sich an seine Frau.

»Gina, mein lieber Schatz«, sagte er, »ich schreibe an den Bischof, damit er Karl Artur in eine andere Gemeinde schickt und mir einen neuen Hilfsgeistlichen verschafft. Ich versprach ja Charlotte, Nachsicht mit ihm zu haben, und ich hab' es bis aufs äußerste versucht, aber jetzt muß er fort von hier. Bedenke, Gina, die ganze Gemeinde behauptet, er sei so verliebt in die Frau des Organisten, daß er aus dem Konzept komme, sobald sie sich in der Kirche zeigt.«

Die Frau Propst war ganz entsetzt.

»Aber Forsius, Karl Artur ist ja jetzt verheiratet, und er hat sich hier in der Gemeinde Haus und Heim gegründet. Er meint, er dürfe dauernd hier bleiben, wenigstens solange du lebst, und danach hat er sich eingerichtet. Und denkst du gar nicht an seine Frau?«

»Gina, mein lieber Schatz«, sagte der Propst, »ich fühle großes Mitleid mit der prächtigen jungen Person, die ihr Heimatdorf verlassen hat, um ihrem Manne in unsere Gegend zu folgen. Und gerade ihretwegen schreibe ich schon heute. Wenn Karl Artur noch länger hier im Kirchspiel bleibt, kannst du ganz versichert sein, daß sie ebenso verstoßen wird wie Charlotte, wie seine Mutter.«


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