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Die Hochzeit

1

An einem Samstagnachmittag stand Anna Svärd auf der Veranda des Schulzenhofes und sah einem Schlitten entgegen, der in langsamer Fahrt durch die Allee daherkam. Es war Winter und bitterkalt, aber sie fühlte die Kälte nicht. Ihr Herz klopfte zum Zerspringen, und ihre Wangen glühten. Sie wußte, wer in dem Schlitten saß – er, dem sie mit den Zugvögeln Grüße geschickt hatte.

Anna Svärd befand sich nun schon vier Monate zur Ausbildung auf dem Schulzenhof, und sie war da in einer richtigen Schule gewesen. Frau Ryen hatte sie gelehrt, darauf Achtung zu geben, wie sie selbst ging und stand, wie sie aß und trank, wie sie sprach und antwortete, wie sie grüßte und sich verabschiedete, wie sie lachte und hustete, wie sie nieste und gähnte und noch tausend andere Dinge. Niemand hätte verlangen können, daß aus Anna Svärd in so kurzer Zeit eine richtige Dame geworden wäre, aber Anna hatte doch gelernt, Unterschiede zu sehen. Wenn sie jetzt nach Medstuby hineinkam, merkte sie, daß es in der Kammer ihrer Mutter nach dem Stall und der Scheune roch, daß Jobs-Erik den Tabakssaft auf den Zimmerboden spuckte, sie hörte, daß ihr Bruder bei jedem Wort fluchte und daß der Werktagspelz ihrer Mutter vor Schmutz starrte. So etwas war ihr früher nie aufgefallen; jetzt verursachte es ihr ein gewisses Unbehagen.

Vor allem aber war sie sich ihrer eigenen Fehler und Mängel bewußt geworden, und als sie jetzt den Schlitten mit ihrem Bräutigam daherfahren sah, war es nicht lauter Freude, die sie fühlte, denn möglicherweise gefiel sie ihm gar nicht mehr, wenn er sie zwischen gebildeten Leuten sah. Schultheißens hatten zwei Töchter – nun ja, diese hatten allerdings Stubsnasen und ganz helles Flachshaar; aber wie konnten sie sich bewegen! Welch leichten Gang hatten sie, und wie schön klang es, wenn sie redeten! Und wie zierlich waren sie gekleidet! Wenn Anna doch nur die Mittel gehabt hätte, sich auch städtische Kleider anzuschaffen! Aber zu ihrem großen Kummer trug sie immer noch ihre Volkstracht. Eine Pfarrfrau in Wärmland konnte doch nicht so bunt wie ein Grünspecht herumgehen!

Außerdem wußte sie gar nicht recht, warum der Bräutigam kam, und das beunruhigte sie auch. Vielleicht kam er geradezu hergereist, um die Verlobung aufzulösen.

Gleich nach Weihnachten hatte er zwar die nötigen Papiere geschickt, damit sie in der Kirche aufgeboten werden konnten. Und die Leute sagten, wenn ein Paar in der Kirche dreimal aufgeboten worden sei, dann sei es so gut wie verheiratet. Aber auch das gab ihr keine Sicherheit.

Alle Leute in Medstuby hatten sich über das Aufgebot gefreut. Jobs-Erik zum Beispiel hatte nicht so recht an die Hochzeit glauben wollen. Aber am dritten Sonntag hatte der Oheim feierlich erklärt, er werde ihr die Hochzeit ausrichten. Ein dreitägiges Fest sollte es werden, wie man noch nie eines gesehen habe, mit Speisen und Getränken in Hülle und Fülle, mit Spielleuten und Tanz und Scherz und Kurzweil bis tief in die Nacht hinein. Denn wenn seine Nichte eine so gute Heirat mache, müsse die Hochzeit auch danach sein. Eine der Schultheißentöchter hatte in Annas Namen an den Bräutigam geschrieben und ihm Jobs-Eriks Versprechen mitgeteilt; aber merkwürdigerweise war auf diesen Brief nur die Antwort eingelaufen, daß er Anna selbst besuchen werde. Hatte er vielleicht seine Verlobung bereut, als er erfuhr, daß man schon von der Hochzeit redete? Oder was sollte dieser Besuch bedeuten? Nein, Anna kam nicht zu einer richtigen Lösung dieser Fragen, denn der Schlitten hatte jetzt den Hügel hinter sich und fuhr in den Hof herein. Nun würde sie ihn also wiedersehen, und das war herrlich! Wie es nun gehen mochte, schön und gut war es, daß sie ihn wiedersah.

Als er aus dem Schlitten stieg, stand nicht nur Anna Svärd auf der Hausstaffel, nein, auch der Schultheiß und die Frau Schultheiß hatten sich auf den Stufen aufgestellt, um den Gast zu begrüßen. Nun trat er zu ihr, schlang die Arme um sie und wollte sie küssen. Aber sie wurde ganz verlegen und entzog sich dem Kuß. Sie konnte sich doch nicht von ihm küssen lassen, wenn die andern dabei waren und zusahen! Im nächsten Augenblick fiel ihr allerdings ein, wie es bei den Herrschaften Brauch und Schick war: Da küßte man sich in Gegenwart anderer, und nun ärgerte sie sich über sich selbst, weil sie sich dumm benommen hatte.

Sobald Karl Artur sich seines Pelzmantels entledigt hatte, gingen alle miteinander ins Eßzimmer, wo der Kaffeetisch mit den feinsten Tassen des Hauses und mit vielen leckeren Kuchen gedeckt war. Anna bekam ihren Platz neben ihrem Bräutigam. Sie hatte ja jetzt schon jeden Tag mit der Schultheißenfamilie Kaffee getrunken und wußte also, wie sie sich zu benehmen hatte. Aber einmal ums andere vergaß sie das Gelernte. Ohne daran zu denken, goß sie ihre Tasse so voll, daß der Kaffee überfloß, und ihr Stück Zucker steckte sie in den Mund und schlürfte den Kaffee hindurch. Sie benahm sich, wie wenn sie mit Mutter Svärd und Ris-Ingeborg Kaffee tränke, und plötzlich warf ihr die Frau Schultheiß einen Blick zu, worüber sie sich an dem Kaffee fast verschluckte.

Wieder ärgerte sie sich über sich selbst, tröstete sich aber damit, daß dies nichts zu sagen habe. Immerhin stand doch nicht alles so, wie es sollte, das fühlte sie wohl. Ihr Bräutigam war nicht so gegen sie wie bei ihrem letzten Beisammensein. Ach, er war sicherlich nur gekommen, um die Verlobung aufzuheben!

Während man Kaffee trank, hörte Anna eifrig zu, und sie erkannte wohl, wie gebildet und ausgesucht er sich mit der Schultheißenfamilie unterhielt. Wie leicht und gewandt wurden von beiden Seiten liebenswürdige Dinge gesagt! Karl Artur dankte der Familie für alles, was sie in diesen vier Monaten an seiner Braut getan habe, und Frau Ryen erwiderte, er sei ihnen durchaus keinen Dank schuldig; im Gegenteil, eher müßte sie sich bedanken, denn Anna sei sehr tüchtig und habe sich im Haushalt außerordentlich nützlich erwiesen.

Alle miteinander, sowohl die Frau Schultheiß als auch der Herr Schultheiß mitsamt den Töchtern, sahen, seit der Bräutigam angekommen war, viel freundlicher aus und sprachen mit sanfteren Stimmen. Sie hatten wohl nicht erwartet, daß er so war, wie er sich jetzt zeigte. Vielleicht hatten sie sich eingebildet, er sei bucklig oder einäugig. Sicherlich hatten sie geglaubt, er müsse irgendeinen Fehler haben, wenn er ein armes Dalmädchen heiraten wolle.

Und das konnte Anna ihnen wohl verzeihen, denn auch sie hatte nicht mehr gewußt, wie schön und in allen Teilen vollkommen er war. Sie fragte sich, ob die andern wohl den hellen Schein sähen, der auf seiner Stirn lag. Und eine Wohltat war es, daß seine Augenlider so schwer waren und er sie meist gesenkt hielt, denn sonst hätte man nur immer regungslos in diese tiefen, wundervollen Augen hineinschauen wollen. Es sah aus, als fühle sich der Bräutigam höchst behaglich bei der Schultheißenfamilie. Der Kaffeetisch war abgeräumt, aber er blieb noch eine ganze Weile in eifriger Unterhaltung sitzen. Nicht allein der Schultheiß und seine Frau, sondern auch die beiden Töchter mischten sich in das Gespräch. Anna meinte, sie nähmen ihr den Bräutigam vollständig weg, und mit jeder Minute wurde ihr trauriger und sonderbarer zumut.

Ja, zu denen g'hört er, dachte sie. Aus mir macht er sich nix mehr. Jetzt sieht und merkt er, daß ich nit für ihn pass'. Jetzt bin ich für ihn und für die andern gar nicht mehr vorhanden.

Doch ja, jetzt drehte er sich zu ihr um. Er schlug die Augen auf und warf ihr einen Blick zu, den sie genauso empfand, wie wenn die Sonne plötzlich hinter einer Wolke hervorbricht. Er sagte, er möchte jetzt gern ins Pfarrhaus gehen, ob es nicht sehr weit entfernt sei? – Nein, weit sei es gerade nicht; er müsse nur die Dorfstraße entlang gehen und sich dann links wenden. Es liege eine kleine Strecke nördlich von der Kirche entfernt.

Anna sagte das ziemlich unfreundlich; alle Anwesenden merkten es und sahen sie verwundert und mißbilligend an. Aber sie konnte nicht anders antworten, obgleich sie ganz genau wußte, daß es dem Bräutigam vollkommen ernst war; denn eigentlich hätte er doch, anstatt ins Pfarrhaus zu gehen, ihre Mutter und andere Verwandte aufsuchen sollen.

»Ich dachte, du werdest mir den Weg zeigen«, sagte er.

»O ja, das kann ich woll«, versetzte sie.

Sie wollte sich nicht weigern, denn jetzt wollte er offenbar allein mit ihr reden, um Schluß zu machen. Aber sie konnte nicht freundlich und glücklich aussehen; das Herz lag ihr wie ein toter Klumpen in der Brust, denn er war ja in allem so ganz anders geworden. Die andern, die ihn früher nicht gesehen hatten, konnten freilich nicht merken, wie verändert er war.

Aber es wurde noch schlimmer. Als er schon im Begriff war, hinauszugehen, um seinen Pelzmantel anzuziehen, fiel ihm plötzlich etwas ein. Und da bat er den Schultheiß und seine Frau, ein paar Worte allein mit ihnen reden zu dürfen. Jawohl, sie seien bereit dazu. Sie nahmen ihn in die Amtsstube, während Anna und die Töchter im Eßzimmer zurückblieben. Keines von ihnen sprach ein Wort, aber Anna schien es, als sähen sie sie recht mitleidig an. Sie hätte ihnen gerne gesagt, sie wisse wohl, um was es sich handle, und sie werde es schon verwinden. Es sei gar nicht so schlimm für sie, denn sie könne ja wieder ihren Ranzen auf den Rücken nehmen, falls nichts aus der Heirat werde.

Schultheißens sahen ganz bekümmert und ernst drein, als sie wieder ins Eßzimmer zurückkamen, und das konnte Anna wohl verstehen. Nun hatten sie sie hier im Hause gehabt und sich alle Mühe gegeben, ihr gute Manieren beizubringen, und nun hatten sie erfahren, wie unnötig das alles miteinander gewesen war.

Als Anna und ihr Bräutigam auf die Landstraße hinausgekommen waren, gingen sie so weit wie möglich voneinander entfernt; aber es war erst Ende Februar, und so hatte die Sonne den hohen Schneewällen noch nichts anhaben können; diese lagen noch unberührt an beiden Seiten des Weges da. Der Fahrweg dazwischen war sehr schmal, und es fiel Anna schwer, sich so weit von ihrem Bräutigam entfernt zu halten, wie sie wünschte.

Die Tage waren indes schon recht lang geworden, und es herrschte jetzt noch helles Tageslicht. Eine schmale Mondsichel schaute vom bleichen Himmelsgewölbe herab. Anna meinte, die Sichel dort droben sehe gefährlich scharf und feingeschliffen aus. Ach, das ist wohl die Sichel, mit der mein Glück abgemäht werden soll!

Anna war an Kälte gewöhnt und machte sich sonst nichts daraus, ob es auch noch so kalt war. Aber so bitterkaltes Wetter wie an diesem Abend hatte sie noch nicht erlebt. Bei jedem ihrer Schritte knirschte der Schnee laut unter ihren Füßen, 's ist nit verwunderlich, daß d'r Schnee jammert, dachte sie. 's tut ihm weh, weil alle die Schritt', die auf ihm 'rumtret'n, so kummervoll sind.

Schließlich erreichten sie den Pfarrhof, und da erst brach Karl Artur das Schweigen. »Nun erwarte ich von dir, Anna, daß du dich dem nicht widersetzt, um was ich den Pfarrer bitten will. Du wirst wohl begreifen, daß ich es so einzurichten versuche, wie es für uns beide am besten ist.«

Nein, sie werde gewiß keinen Widerstand leisten, darüber könne er ganz beruhigt sein. Er solle es ganz nach seinem eigenen Wunsche einrichten.

»Ich danke dir für dieses Versprechen«, sagte er.

Hierauf gingen sie in das Studierzimmer des Pfarrers und fanden ihn da an seinem Schreibtisch sitzen. Es war ja Samstagabend, und er war wohl bei seiner Predigt. Er warf auch den beiden, die eben hereinkamen und ihn störten, durchaus keine freundlichen Blicke zu. Der Bräutigam stellte sich vor, und als der Pfarrer hörte, daß es ein Amtsbruder war, der ihn zu besuchen kam, da setzte er gleich ein anderes Gesicht auf.

Anna Svärd war an der Tür stehengeblieben und verhielt sich ganz still, während die beiden Pfarrer die üblichen Reden austauschten. Aber nach einer kleinen Weile trat der Bräutigam zu ihr, nahm sie bei der Hand und stellte sich mit ihr vor dem Pfarrer auf.

»Herr Oberpfarrer«, sagte er, »ich weiß, Ihre Zeit ist sehr besetzt, und ich will daher nicht zögern, Ihnen das vielleicht etwas eigentümliche Anliegen vorzutragen, weswegen ich hierhergereist bin. Es wird Ihnen gewiß nicht schwerfallen, Herr Oberpfarrer, sich in die Gefühle der Liebe und Sehnsucht eines jungen Mannes hineinzuversetzen. Erst am Tage vor meiner Abreise kam mir der Gedanke, welch ein Glück es wäre, wenn ich nicht allein nach Korskyrka zurückkehren müßte, und dieser Gedanke entzückte mich. Aber war eine Möglichkeit vorhanden, ihn in die Tat umzusetzen? Das kleine Heim, das ich für mich und meine Gattin ausersehen hatte, war fast fertig. Gute Freunde versprachen mir, die Maler und Schreiner anzutreiben, damit wir Ende nächster Woche einziehen könnten. Diese Sache braucht also kein Hindernis zu sein.«

Anna Svärd sah, daß des Pfarrers Gesicht einen ganz abweisenden Ausdruck angenommen hatte. Er war gewiß fest entschlossen, Einwendungen zu machen, allein der Bräutigam ließ ihn nicht zu Wort kommen.

»Am letzten Dienstag fuhr ich ab und hätte eigentlich schon am Donnerstag oder Freitag in Medstuby eintreffen sollen, doch ein widriges Schicksal warf alle meine Berechnungen über den Haufen. Ermattete Pferde, dem Trunk verfallene Wagenführer, Eisgang auf den Flüssen haben mein Eintreffen hier bis zu diesem Nachmittag unmöglich gemacht. Aber, Herr Oberpfarrer, soll all dies wirklich diese mir so lieb gewordenen Hoffnungen vernichten können? Der hauptsächlichste Einwand wäre gewesen, daß meine Braut sich schon auf die große Hochzeit gefreut habe, die der Oheim auszurichten versprochen hat. Ich kann diese ihre Freude wohl verstehen. Aber nicht einen Augenblick habe ich daran gezweifelt, daß sie auf ein Gastmahl verzichten will und sofort mit mir ziehen wird. Und so frage ich Sie nun, Herr Oberpfarrer, ob Sie uns morgen nach Schluß des Gottesdienstes in der Kirche trauen wollen?«

Der Pfarrer zögerte ein paar Augenblicke mit der Antwort. Er kannte seine Gemeinde und wußte wohl, wie viele sich schon auf das große Gastmahl freuten, und so fürchtete er, man werde ihn tadeln, wenn er die Änderung billige.

»Meine lieben jungen Freunde!« sagte er. »Wollt ihr nicht den Rat eines alten Mannes befolgen und von dieser Anordnung abstehen? Sie, Herr Magister, werden verstehen, daß hier bei uns von dieser Heirat sehr viel geredet worden ist. Man erwartet nicht, sie werde so ganz unbemerkt und überstürzt vor sich gehen. Man hofft auf ein großartiges Fest.«

Der Bräutigam machte eine abwehrende Bewegung. »Lassen Sie mich vollkommen aufrichtig sein, Herr Oberpfarrer. Sie wissen wohl ebensogut wie ich, was eine großartige Hochzeit heißen will. Völlerei, Schwelgerei, Schlägerei, Unzucht. Die ursprüngliche Veranlassung zu meiner Reise war, dem Gedanken an eine solche Art Fest von Anfang an Einhalt zu gebieten, und ich sehe keinen anderen Ausweg, dieses Ziel auf beste und passendste Weise zu erreichen, als durch den Plan, den ich Ihnen zu entwickeln eben die Ehre gehabt habe.«

Der Pfarrer sah zur Zimmerdecke empor und in der Stube umher, wie wenn er nach einem Ausweg suchte, um diesem eigensinnigen jungen Amtsbruder zu entrinnen. Schließlich fiel sein Blick auf Anna Svärd. Da hellte sich sein Gesicht auf, er meinte offenbar, nun den Ausweg gefunden zu haben.

»Herr Magister Ekenstedt, Sie haben mich noch nicht wissen lassen, wie sich Ihre Braut zu diesen meiner Ansicht nach etwas überstürzten Plänen stellt«, sagte er.

Doch Karl Artur antwortete sofort ohne alles Zögern: »Ehe ich in dieses Zimmer eingetreten bin, hat mir meine Braut versprochen, meine Anordnungen gutzuheißen.«

Mit dem besten Willen konnte Anna Svärd hier eine wenn auch noch so kleine Bewegung des Erstaunens nicht unterdrücken, und das sah der Pfarrer. »Aber du, Anna, bist du dir auch vollständig klar über diese Anordnungen?« fragte er, indem er sich direkt an die Braut wandte.

Tiefe Röte überzog ihr Gesicht. Eines war ihr während der Unterredung jedenfalls ganz klar geworden: Karl Artur wollte sich wirklich mit ihr verheiraten. Sie brauchte keine Angst zu haben. Er hatte sie nicht zu gewöhnlich und bauernmäßig gefunden, er wollte sie nach wie vor zu seiner Frau machen.

Aber gleichzeitig war sie unzufrieden und beunruhigt. Warum hatte er nicht vor allen Dingen sie gefragt, ob sie bereit sei, ihn gleich morgen zu heiraten?

Er hat mich nit gradso lieb wie ich ihn, dachte sie; wenn er mich lieb hätt', würd' er z' allererst mich g'fragt hab'n, wie ich 's haben möcht'.

Wenn sie sich aber auch im tiefsten Innern verletzt und benachteiligt fühlte, so war das eine Sache für sich. Etwas anderes war es, den Bräutigam dem Pfarrer gegenüber nicht im Stich zu lassen, und so sagte sie: »Du wirst woll verstehen, lieber Herr Propst, daß ich bereit bin, ihm in die weit' Welt 'nausz'folgen, wohin 's auch immer gehen mag.«

»Nun, Herr Magister, wenn es sich so verhält, dann steh' ich Ihnen natürlich zur Verfügung«, schloß der Pfarrer.

2

Die Frau Schultheiß saß in ihrer guten Stube mit dem Finger an der Nase, wie sie zu tun pflegte, wenn sie mit irgend etwas zurechtkommen wollte.

Sie hatte Anna Svärd tatsächlich liebgewonnen, und es hatte ihr leid getan, daß das junge Mädchen um die stattliche Hochzeit, auf die es gehofft hatte, kommen sollte. Auch hatte Frau Ryen schon am Samstagabend alle Leute, sowohl die in ihrem eigenen Hause als auch die in Medstuby, in Bewegung gesetzt, um ihr bei der Sache zu helfen. Der Brautstaat, der im Jobshof aufbewahrt wurde, war nachgesehen und aufgeputzt worden, und am Sonntagvormittag war Ingeborg vom Rishof mit ihrer Schwester auf den Schulzenhof gekommen und hatten Anna Svärd nach altgewohnter Sitte in den Brautstaat gekleidet. Der Hochzeitszug, der sich auf dem Hügel vor der Kirche versammelt hatte, war dank den Anstrengungen der Frau Schultheiß recht groß und ansehnlich geworden. Zwei Spielleute waren beim Einmarsch in die Kirche an der Spitze geschritten. Der Schultheiß, Kantor Medberg, Jobs-Erik, Kirchenälteste und Schöffen mit ihren Frauen waren dicht hinter dem Brautpaar gegangen. Dalburschen und Dalmädchen in ihren Festgewändern hatten den Zug beschlossen. Alles miteinander war schön und festlich gewesen. Die allerlängsten Vorbereitungen hätten kaum ein besseres Ergebnis haben können.

Ein Hochzeitsessen im Jobshof hatte allerdings nicht stattfinden können, dafür aber hatte die Frau Schultheiß ein kleines Festmahl bei sich daheim gerichtet. Glücklicherweise hatte sie sich schon im voraus auf ein Zusammensein des Bräutigams mit seinen neuen Verwandten vorbereitet gehabt, so daß sich die Sache ziemlich leicht ausführen ließ. Die Gäste waren ja außerdem lauter kluge Leute, die wohl verstanden, daß es sich nicht um eine üppige Gasterei handeln konnte. Wenn sie aber gewußt hätte, wie langweilig diese Mahlzeit verlaufen würde, ach, dann hätte sie wohl ihre gute Absicht nicht ins Werk gesetzt! Alle, die zu dem Fest kamen, waren sonst recht gesprächige Leute, aber an diesem Abend wußte keines etwas zu sagen. Frau Ryen selbst tat, was sie konnte, und ihr Mann nebst den Töchtern taten auch ihr Bestes. Sogar der Bräutigam strengte sich an, das Gespräch im Fluß zu erhalten; aber es lag etwas Drückendes in der Luft. Die Leute dachten vielleicht an die großartige Hochzeit mit all ihrem Staat und ihrem Vergnügen, deren sie verlustig gegangen waren. Was die Braut betrifft, so unterließ sie es vollständig, irgend etwas zu sagen. Den ganzen Abend hindurch saß sie, die dichten Augenbrauen finster zusammengezogen, still da und starrte immer geradeaus. Sie sah aus wie eine Angeklagte, die auf ihr Urteil wartet.

Dieser Ehestand fängt wirklich nicht gut an, dachte die Frau Schultheiß. Ich möchte wohl wissen, worüber Anna Svärd nachgrübelt. Kann sie wohl darum so niedergedrückt aussehen, weil ihr die große Hochzeit im Jobshofe nicht ausgerichtet werden durfte?

Um die Zeit schneller vergehen zu lassen, hatte sich Frau Ryen an Magister Ekenstedt gewandt und ihn gefragt, ob er nicht eine kleine Rede halten wolle. Er war auch gleich ihrem Wunsche nachgekommen, und jetzt eben hörte sie auch zu. Er sprach gut und fließend; aber Frau Ryen konnte sich nicht verhehlen, daß seine Worte sie erschreckten. Was sagt er denn da? dachte sie. Dieser junge Mann wagt sich bestimmt auf ein Eis hinaus, das nicht fest genug ist, ihn zu tragen.

Sie verwunderte sich immer mehr. Was, um Himmels willen, bedeutet denn das? dachte sie wieder. Will er sein Leben als Jesu Nachfolger in Armut verbringen? Und hat er sich, um dieses durchzuführen, eine Frau gesucht, die von gleicher Gesinnung sei wie er, die den Reichtum verachte wie er auch, die verstehe, daß es kein größeres Glück gäbe, als unter den Mitmenschen die Werke Gottes zu tun?

Frau Ryen, die nur allzugut wußte, daß die junge Braut während der ganzen Zeit ihrer Verlobung von einem Pfarrhof mit Pferd und Kuh, Magd und Knecht geträumt hatte, meinte, es gehe ihr ein Mühlrad im Kopfe herum.

Das ist ein schreckliches Mißverständnis, dachte sie. Anna Svärd weiß von all dem gar nichts. Was soll nur daraus werden?

Je länger sie zuhörte, desto besser verstand sie, was für eine Art von Menschenkind sie vor sich hatte. Meine liebe Anna Svärd ist einem Schwärmer in die Hände gefallen, dachte sie. Er hat sich eine Frau aus dem Bauernstande gewählt, um jemand neben sich zu haben, der an Arbeit gewöhnt ist und das Hauswesen selbst versorgen kann. Er gehört zu jenen jungen Menschen, die nach Bauernart leben wollen. Vornehm zu sein, ist nicht mehr modern.

Sie ließ ihre Blicke von einem zum andern der Tischgenossen schweifen. Was dachte wohl Jobs-Erik, der nie einen Heller unnötig ausgab? Was dachte die alte Berit, die auf Leben und Tod mit der Armut gekämpft hatte? Was dachte Ris-Ingeborg, die jeden Abend mit den Sorgen um ihren Hof einschlief? Und was mochte die junge Frau selbst über diese Verkündigung denken, sie, die drei Jahre lang mit dem Kramsack auf dem Rücken durchs Land gezogen war?

Sie alle sind doch jedenfalls ebenso erschrocken wie ich, dachte sie. Aber sie sitzen ganz gelassen da und tun, als ob es gar nichts Besonderes wäre.

Da ging ihr plötzlich ein Licht auf. Ach, diese Leute nahmen den jungen Pfarrer ja gar nicht ernst! Dieses Reden vom Segen der Armut war etwas, das zu seinem Amt gehörte. Es war eine schöne Rede und erbaulich zu hören; aber keiner von allen den Zuhörern glaubte auch nur einen Augenblick, der Bräutigam werde selbst so leben wollen, wie er predigte. Warum sollten sie sich beunruhigen? Sie wußten ja wohl, daß es arme Pfarrer gab, und keines der Anwesenden bildete sich ein, ein so junger Pfarrer werde schon eine fette Pfarrei bekommen haben; aber trotzdem würde er sicherlich seiner Frau einen größeren Wohlstand bieten können, als diese bisher gewohnt gewesen war. Er war ja besserer Leute Kind, und solche sterben in Schweden niemals Hungers.

Frau Ryen, die ihrerseits begriff, daß es dem Bräutigam ernst war und daß das Leben, das auf seine Frau wartete, hart und anstrengend sein würde, fragte sich, wie sie sich verhalten solle.

Diese beiden Menschen sind ja kaum miteinander zusammengewesen, dachte sie. Und da Anna nicht schreiben kann, haben sie einander auch nicht durch Briefe kennenlernen können. Sie kennen einander noch ebensowenig wie damals, wo sie sich auf der Landstraße trafen. Wäre es nicht klug, der Braut die Augen zu öffnen? Sie ist ein prächtiges Menschenkind, obgleich sie nicht auf der Seite des Entsagens steht. Kann ich sie in ihren Ehestand treten lassen, ohne ihr einen Wink zu geben, was ihrer wartet?

Wie lange sie auch überlegte, schließlich beschloß sie doch, sich nicht in die Sache zu mischen. Wenn die beiden nicht schon Mann und Frau gewesen wären, hätte sie ein Eingreifen für ihre Pflicht gehalten; aber so wie es stand, fand sie es am klügsten, die Eheleute einander selbst zu überlassen.

Als das Festmahl vorüber war, die Gäste abgezogen waren und Frau Ryen mit ihren zwei Töchtern die Braut ins Gastzimmer geleitet hatte, wo das Brautbett bereitstand, kam der junge Ehemann selbst zu der Hausfrau und bat sie um eine Unterredung.

Nach dieser Unterredung, die wenigstens eine halbe Stunde dauerte, ging Frau Ryen in ihr Schlafzimmer und holte ihre Bibel vom Nachttischchen. Mit dieser unter dem Arm ging sie die Treppe hinauf und in das Gastzimmer, wo ihre beiden Töchter Anna Svärd eben von all dem Brautstaat befreit hatten und ihr nun ins Bett halfen.

Frau Ryen sah auf den ersten Blick, daß Anna Svärd noch immer mit dicht gerunzelten Brauen und unergründlichem Blick irgendeinem furchtbaren Unglück entgegenzustarren schien. Als sie nun die Frau Schultheiß mit der Bibel unter dem Arm eintreten sah, nickte sie mehrere Male bedeutungsvoll, wie wenn sie sagen wollte: Nun bekomm' ich doch recht. Auf dies hab' ich schon den ganzen Abend gewartet.

Die Frau Schultheiß beeilte sich durchaus nicht. Sie putzte das Licht, schickte die Töchter zu Bett, setzte ihre Brille auf und blätterte in ihrer Bibel. Als sie die gesuchte Stelle gefunden hatte, sagte sie zu Anna, es seien da einige Verse, die sie ihr jetzt, wo sie in die Ehe trete, gern vorlesen möchte.

Anna Svärd setzte sich im Bett auf und faltete die Hände. Ganz sicherlich fand sie das Vorlesen aus der Bibel höchst unnötig. Es sollte ja gewiß nur eine Einleitung zu etwas Schwerem sein, das ihr nun mitgeteilt würde, und sie wäre am liebsten des Wartens überhoben gewesen.

Frau Ryen fing an, aus dem dreizehnten Kapitel des ersten Briefes an die Korinther vorzulesen:

»Die Liebe ist langmütig und freundlich, die Liebe eifert nicht, die Liebe treibt nicht Mutwillen, sie blähet sich nicht.

Sie stellt sich nicht ungebärdig, sie suchet nicht das ihre, sie läßt sich nicht erbittern, sie trachtet nicht nach Schaden.

Sie freuet sich nicht der Ungerechtigkeit, sie freuet sich aber der Wahrheit.

Sie verträgt alles, sie glaubt alles, sie hofft alles, sie duldet alles.«

Frau Ryen, die vielleicht an ihren eigenen Hochzeitsabend dachte, las die wunderbaren Worte mit gerührter Stimme, und Anna Svärd wurde unwillkürlich mit fortgerissen. Was da vorgelesen wurde, war wie aus ihrem eigenen Herzen heraus gesprochen. Noch nie hatte sie etwas aus der Bibel gehört, was so richtig und wahr gewesen wäre.

Als Frau Ryen geendet hatte, wiederholte Anna Svärd den letzten Vers vor sich hin.

»Willst du es vielleicht noch einmal hören?«

»Ja«, antwortete die Braut, und sie sagte das Wort nur flüsternd, so gerührt war sie.

Jetzt waren ihre Brauen nicht mehr so stark gerunzelt, und ihre Augen sahen weniger starr aus. Frau Ryen fing an zu hoffen, daß sie sich ihres Auftrages ohne allzu heftigen Widerstand entledigen könnte.

Sieh, sieh, dachte Frau Ryen, Anna Svärd ist weit davon entfernt, dumm zu sein. Sie hat vorhin ihres Mannes Rede mit angehört und versteht vielleicht schon, wie alles zusammenhängt.

Nachdem sie die schönen Worte über die Liebe noch einmal vorgelesen hatte, legte sie die Bibel weg.

»Wenn es sich nun zeigen sollte, daß nicht alles so für dich wird, wie du erwartest, dann denk an diese Worte!« sagte sie.

Die tiefen, schwermütigen Augen richteten sich auf Frau Ryen. Diese Äußerung konnte vielleicht nur als eine passende Ermahnung an eine neuverheiratete Frau gemeint sein. Aber sie konnten auch eine Einleitung zu dem Schrecklichen sein, das kommen mußte. Und die Frau Schultheiß beeilte sich auch, eine Erklärung zu geben.

»Siehst du, Anna, ich meine, wenn man jemand mit der rechten Liebe liebhat, dann kümmert man sich nicht darum, wie man es in weltlicher Beziehung bekommt. Pferde und Kühe, Mägde und Knechte, sie sind's ja nicht, die man heiraten soll.«

Frau Ryen fand Anna Svärds Benehmen höchst sonderbar. Eine Andeutung, wie die eben ausgesprochene, hätte ja die schrecklichste Unruhe bei ihr hervorrufen müssen. Aber Anna sagte weder ein Wort, noch machte sie eine Bewegung. Frau Ryen mußte also nach weiteren Erklärungen greifen.

»Mein Kind, du darfst nicht denken, ich mische mich ungebeten in deine Angelegenheiten. Eben vorhin, nachdem du schon hier heraufgegangen warst, kam dein Mann zu mir und redete ganz offen mit mir darüber, wie ihr es in Zukunft haben solltet. Ich fragte ihn, ob du wirklich all dies wüßtest, und er antwortete mir, du habest es vom ersten Augenblick an gewußt.«

Diesmal drangen wirklich ein paar Worte über Anna Svärds Lippen. »Was hätte ich denn wissen sollen?« fragte sie. Aber der Ton ihrer Stimme war vollständig gleichgültig. Das Entsetzliche, worauf sie wartete, hatte offenbar damit nichts zu tun.

»Erinnerst du dich nicht«, fuhr Frau Ryen fort, indem sie unwillkürlich lauter sprach, als ob sie mit jemand redete, der noch nicht ganz wach sei, »erinnerst du dich nicht, daß dein Mann zu dir sagte, er wolle ein Leben in Jesu Nachfolge führen? Dasselbe hat er heut abend auch zu mir gesagt.«

»Ja, aber …«

»Ich hatte gleich den Verdacht, du werdest ihn gar nicht verstanden haben. Und als ich das deinem Manne auseinandersetzte, bat er mich, dir doch sofort mitzuteilen, was auf dich warte. Er bat mich, dir zu sagen, daß er keine Pfarrei habe. Er ist ein Hilfsgeistlicher mit einhundertfünfzig Reichstalern Gehalt. Bis jetzt hat er Kost und Logis in der Propstei gehabt; da er sich nun aber verheiratet, bekommt er statt dessen wohl Mehl, Butter und Milch, und zwar gewiß so viel, daß es für euch beide reicht, aber auch nicht mehr, und wenn du nun große Erwartungen gehegt hast …«

Als Anna Svärd das gehört hatte, stellte sie eine Frage; aber die Frau Schultheiß merkte, daß sie es nur aus Höflichkeit tat, denn selbst schien sie auch nicht das geringste Interesse für diese Sache zu haben. Sie fragte, wo sie wohnen würden.

»Dein Mann machte im Herbst eine kleine Erbschaft von einer Tante«, sagte Frau Ryen. »Es waren zwar nur eintausend Reichstaler und eine Zimmereinrichtung. Für das Geld hat er ein Häuschen gekauft mit nur einem Zimmer und einer Küche. Nun, das reicht wohl für euch zwei. Aber du mußt wissen, es sind keine Wirtschaftsgebäude da, keine Äcker, keine Wiesen. Du mußt selbst das Essen kochen, mußt Feuer anmachen, Brot backen, scheuern und alles selbst tun.«

Die Frau Schultheiß fragte sich, ob Anna Svärd sich nur so gleichgültig stelle, und ob der Sturm, der in ihrem Innern toben mußte, wohl über den Mann, wenn dieser kam, losbrechen würde. Aber auch darauf deutete nichts hin. Das starke, kräftige Mädchen sah alle ihre Hoffnungen in Trümmer gehen, ohne auch nur das geringste Zeichen des Bedauerns an den Tag zu legen.

»'s ist bedauerlich, daß ich dich überredet hab', mich zu erziehen«, sagte Anna Svärd.

»Ach, das ist das Geringste«, entgegnete Frau Ryen. »Es war eine Freude, dich etwas zu bilden, denn du bist ja so gelehrig. Hier auf dem Schulzenhof haben wir dich alle gern, das verstehst du doch wohl, mein Kind? Dies hier ist der erste leidige Augenblick, den ich deinetwegen habe.«

Anna Svärd fand nicht ein Wort des Dankes für Frau Ryens Freundlichkeit, und diese fühlte sich fast ein wenig gekränkt.

»Du tröstest dich vielleicht damit, daß dein Mann bald eine bessere Stelle bekommen werde. Aber auch darauf darfst du dich nicht so sicher verlassen. Wenigstens sagt er, er wolle sein Leben lang arm bleiben. Oder falls du an seine wohlhabenden Eltern denkst, dann muß ich dir noch etwas sagen. Er hat sich deinetwegen mit ihnen überworfen, und nun hat er weder ein Erbe noch sonst etwas von ihnen zu erwarten.«

»'s tut mir nur um meine Mutter leid«, sagte Anna Svärd; »sie hat g'meint, sie werd' bis zu ihrem Tod ihren Unterhalt bei uns hab'n.«

»Wenn der Propst in Korskyrka einmal stirbt«, fuhr Frau Ryen unbarmherzig fort, »dann wird dein Mann als Hilfsgeistlicher woanders hingeschickt, und gerade das ist noch das Allerschlimmste, denn du kannst nicht mit ihm gehen, sondern bleibst allein in eurer Hütte zurück, und der Propst in Korskyrka ist sechsundsiebzig Jahr alt, er wird also nicht mehr allzulange leben.«

»Ja, ich versteh', 's wird schwer für uns werd'n«, sagte Anna Svärd ebenso unberührt wie vorher.

»Nachdem ihr nun also einer ganz unsicheren Zukunft entgegensehen müßt«, redete Frau Ryen weiter, »finde ich deines Mannes Vorschlag ganz richtig. Er bat mich nämlich, dich zu fragen … er meinte, ihm selber falle es schwer … er wollte, ich solle dir vorschlagen, daß …« Sie wurde durch eine heftige Bewegung ihrer Zuhörerin unterbrochen. Anna Svärd hatte sich ihr gerade zugewendet; sie saß vorgebeugt da und lauschte atemlos. Jetzt war sie ganz Ohr. Alle Schlaffheit war von ihr gewichen.

Frau Ryens Wangen färbten sich mit einer leichten Röte.

»Liebes Kind«, sagte sie, »du siehst mich ja an, daß ich fast Angst bekomme. Aber ich finde seine Bedenken wohl begründet. Es wäre gewiß nicht klug von euch, wenn ihr Kinder bekommen würdet. Nun, du verstehst doch wohl, was ich meine?«

Anna Svärd war auf ihr Kissen zurückgesunken. Sie weinte nicht, aber sie rang die Hände, und ihre Gesichtszüge verzerrten sich wie bei einem verzweifelten Menschen. »Ich wußt' es, ich wußt' es!« stöhnte sie. »Ich hab's erwartet. Er hat mich nicht mehr lieb.«

»Liebes Kind«, sagte Frau Ryen, »nimm es doch nicht auf diese Weise! Dein Mann ist nicht wie die andern. Er ist eben von ganz anderer Art, verstehst du. Er liebt dich; aber Leute von seinem Schlag meinen, sie dienten Gott damit, daß sie sich das versagen, was sie sich am meisten wünschen.«

»Liebt er mich, wenn er mir so'ne Botschaft schickt?« rief Anna Svärd mit schriller Stimme. »Er ist meiner überdrüssig, hast du das nit an allem g'merkt? Aber jetzt soll er mich auch los werd'n!«

Sie warf die Decke zurück, raffte ihre Strümpfe und Schuhe an sich und begann sich anzukleiden.

»Liebes Kind«, versuchte Frau Ryen zu beruhigen, »ich versichere dir, du täuschest dich. Dein Mann sagte mir, er hege eine warme Liebe für dich. Seit er hierhergekommen sei, habe er immerfort mit seiner Neigung gekämpft. Er habe nicht einmal mit dir zu sprechen gewagt.«

Sie hielt inne, denn Anna Svärd zog ihre Kleider so rasch an, als gälte es, einer Feuersbrunst zu entfliehen. »Ach, Unsinn!« schrie sie. »Hat er mich lieb, wenn er so 'ne Hochzeit ins Werk setzt? Ich weiß nit, was er von mir will.«

Frau Ryen sah, wie hastig Annas Hände sich bewegten und wie wild die Augen in dem blassen Gesicht glühten. Und da ging sie, nein, sie lief eilends zum Zimmer hinaus.

Sie fand Karl Artur Ekenstedt in dem dämmrigen Eßzimmer. Er lag im Gebet versunken auf den Knien. Frau Ryen stürzte auf ihn zu und schüttelte ihn am Arm. Da richtete er sich mit einer verlegenen Röte im Gesicht auf.

»Ich habe Gott gebeten, er möge Anna meine Botschaft in der richtigen Weise aufnehmen lassen«, sagte er.

»Jetzt ist wahrhaftig nicht Zeit zum Beten!« rief Frau Ryen, indem sie ihn nochmals heftig am Arm schüttelte. »Wenn Sie nicht eilends zu Anna hinaufgehen und ihr zeigen, daß Sie sie so lieben, wie ein Mann seine Frau lieben soll, dann werden wir sie wohl morgen in einer Wake im Dalelf suchen müssen!«


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