Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Das gesellschaftliche Leben in Heidelberg

Wie mich der wissenschaftliche Verkehr vollauf befriedigte, so bot mir auch der gesellschaftliche viel Angenehmes. Unter den Dozenten traf ich drei Freunde aus meiner letzten Studentenzeit, den Juristen Heinrich Marquardsen, der bereits glücklich in den Hafen der Ehe eingelaufen war, den Nationalökonomen Eduard Pickford, einen geborenen Heidelberger, der nie darein gelangen sollte, und den Archäologen Julius Braun, genannt das Schiff der Wüste, der mehrmals in der Woche mit langen Beinen nach Weinheim lief, um dort einen allerliebsten Backfisch aus der Mannheimer Familie Artaria durch wunderbare Erzählungen von seinen Orientfahrten zu bezaubern und schließlich wirklich als treffliche Ehehälfte fürs Leben zu erobern. Sie führten mich ein in ihre Freundes- und Familienkreise, die sich nur teilweise mit den akademischen Gesellschaftskreisen deckten. Auch mit meinem Universitätsgenossen Moleschott, der nur noch als Privatgelehrter Heidelberg angehörte, verkehrte ich bis zu seinem Weggang nach Zürich im Frühling 1856 nicht bloß wissenschaftlich; er hatte sich in glücklicher Ehe mit einer liebenswürdigen Mainzerin aus der Familie Strecker einen eigenen Herd geschaffen. An seinem Tische lernte ich eines Abends David Strauß kennen, den ich mir freilich ganz anders vorgestellt hatte. Der unerschrockene Feldhauptmann im Heere der Himmelsstürmer glich auf ein Haar einem ausgetrockneten schwäbischen Schulmeister; trotz alles Feuerschlagens des unendlich lebhaften Moleschott wollte der Zunder des berühmten Geistes nicht ins Glimmen kommen.

Zwei andere Freunde noch aus der Schulzeit, Karl und Franz Mittermaier, jener Arzt, dieser Jurist, waren im Juni 1854 von Madeira zurückgekehrt, jener, um sich als Arzt in Heidelberg niederzulassen, dieser, um als Genesener seiner vollen Kräftigung jetzt in der Heimat entgegen zu gehen. Sie stellten mich ihrem Vater vor, dem berühmten Strafrechtslehrer. Er stand mit der halben rechtsgelehrten Welt in Schrift- und Schriftenwechsel und hatte die Güte, mich mit dem Wichtigsten und Neuesten bekannt zu machen, was in seinem Gebiete für die Gerichtsarzneikunde auf dem Büchermarkte erschien. In das Jahr 1856 fiel der berüchtigte englische Giftmordprozeß Palmer, der zwei Jahre lang fast alle Zeitungen, namentlich die medizinischen, beschäftigte, und der vom gerichtlich-psychiatrischen Standpunkte wichtige Prozeß Buranelli, der gleichfalls in England spielte und von den beiden Juristen Mittermaier, Vater und Sohn, eine Beleuchtung erfuhr, die schwere Mißstände in dem Verfahren der englischen Gerichte aufdeckte.

In der Sandgasse lebte noch die alte Doktorin und mütterliche Freundin, Frau Ottendorf, Jugenderinnerungen, S. 277. frischen Muts und klugen Sinns. Im Erdgeschoß des Hauses, dessen oberen Stock sie bewohnte, befand sich die große Mineralien-Verkaufsanstalt, die einst Ritter von Leonhard ins Leben gerufen hatte. Sie stand unter der Leitung eines Mineralogen Lommel, eines Biedermannes, der mir erzählte, wie sie einst der geniale, aber grobe Geologe Leopold von Buch mit seinem Besuche beehrt habe. Zuletzt verweilte er noch, mit energischen Schritten auf- und abschreitend, in Nachsinnen versenkt, im Hausgang, an dessen Wänden Felsblöcke, gleichfalls zu Handelszwecken, aufgestapelt standen. An einem Ende des Hauseingangs machte er jedesmal Halt und warf auf einen hier aufgestellten Felsblock einen verlorenen Blick. Dies weckte die Neugierde eines Jüngers der geologischen Wissenschaft, der in der Anstalt arbeitete und meinte, der große Meister müsse dem Felsgestein etwas Besonderes absehen. Darum lief er, sobald Buch sich wieder zum erneuten Gehen umwandte, gleichfalls an den Stein und besah ihn ernsthaft. So ging das eine Weile fort. Da wandte sich Buch plötzlich unwillig an den neugierigen Jüngling, der gerade wieder den Stein beguckte, mit der Frage: »Was sehen Sie nur immer so einfältig den Stein an?« – »Weil Sie ihn ansehen,« war die Antwort. – »Unglaublich!« murrte Buch und verließ das Haus.

Im November 1855 kam ein liebenswürdiger junger Sachse von 26 Jahren, frischer Art und fast kindlichen Gemütes, nach Heidelberg, um die Redaktion der von Emmerling verlegten volkswirtschaftlichen Wochenschrift Germania zu übernehmen. Er trat sogleich in innige Beziehungen zu Pickford und Marquardsen, durch diese bald auch zu mir und ist meiner Frau und mir ein lieber Hausfreund geworden. Bei den heiteren Ausflügen aufs Land, die wir nicht selten in kleiner und großer Gesellschaft unternahmen, durfte Boehmert nicht fehlen; ein seltenes Talent, aus dem Stegreif in gereimten Trinksprüchen seiner guten Laune Ausdruck zu geben, machte ihn zum stets willkommenen Gaste. Im Winter 1856/57 wollte er sich für Volkswirtschaftslehre und Staatswissenschaften in Heidelberg habilitieren, als er einen Ruf nach Bremen an die Redaktion des Bremer Handelsblattes erhielt. Später ist er bekanntlich doch zur Lehrthätigkeit übergetreten, 1866 nach Zürich an die Hochschule berufen worden, 1875 nach Dresden an das Polytechnikum und als Direktor des Kgl. Statistischen Bureaus. Sein wissenschaftlicher Eifer wird nur von seiner gemeinnützlichen, praktischen Arbeitsamkeit übertroffen.

Durch Pickford lernte ich auch den ausgezeichneten Publizisten August Ludwig von Rochau kennen, mit dem mich meine Lebenswege auch später noch wiederholt zusammenführten, ebenso die Familie des alten Hofrats und Kunstkenners Issel, mit dessen liebenswürdigen Töchtern wir manchen Sonntag Nachmittag vergnügt verbrachten. Rochau hatte eine dieser Töchter, die junge Witwe des verstorbenen Dozenten der Medizin Percy Pickford, des Bruders Eduards, in zweiter, glücklicher Ehe heimgeführt. Sein Buch: »die Grundsätze der Realpolitik,« waren 1853 erschienen und hatten »mit der klaren Schärfe des Verstandes dem überwuchernden Pathos der Phrase den Krieg erklärt.« Vgl. Badische Biographien, II. Teil, 1875. S. 186 u. f.

Er gab sie anonym heraus, um nicht als Braunschweiger Gefahr zu laufen, aus Baden ausgewiesen zu werden. Er war ein Mann von ehernem Charakter und vielgeprüfter Patriot und Liberaler, von einem unglaublich empfindlichen Nationalgefühl. Ein Franzose unserer Bekanntschaft hatte sich an öffentlicher Tafel in seiner Gegenwart in leichtfertiger Weise über die Tugend der deutschen Frauen ausgelassen; er verließ die Gesellschaft, ließ ihn durch Freunde von der Tafel rufen und auffordern, seine Aeußerung sofort zu widerrufen, was denn auch unverweilt unter kluger Entschuldigung geschah. Als ein, wertes Andenken an diesen echten deutschen Edelmann besitze ich seine mir von ihm verehrte vortreffliche »Geschichte Frankreichs von 1814-1852.«

Nach dem Staatsstreiche Napoleons III. kamen einige französische Verbannte zu kürzerem oder längerem Aufenthalt nach Heidelberg, darunter ein Monsieur Seinguerlet, der seiner Deportierung nach Cayenne nur durch besondere Gnade knapp vor der Abfahrt des Schiffes entgangen war. Er bewahrte zum Andenken an den Aufenthalt auf dem schwimmenden Gefängnis den Holzlöffel, womit er seine Suppe hatte speisen müssen. Er blieb in Heidelberg wohnen und kaufte sich mit seiner Mutter, einer echten Straßburgerin, ein kleines Haus an der Anlage, und war ein sehr unterhaltender Herr, der lange in Paris gelebt hatte und eine Menge Akteurs und Statisten kannte, die bei dem Staatsstreiche mitgespielt hatten, samt der ganzen chronique scandaleuse, die dazu gehörte. Als Mann von Geist und als guter Gesellschafter war er wohl gelitten, verstand, wie ein echter Franzose, ein Diner vorzüglich herzurichten und mit Esprit und heiterer Laune zu würzen. Auch war er Publizist, Mitarbeiter an einer Revue germanique, die sich bestrebte, die Franzosen mit Deutschland vertrauter zu machen, und erhielt zuweilen Besuche bekannter französischer Schriftsteller, z.&nbsp;B. von Charles Dollfus, der einige Vorlesungen von Häußer besuchte und davon sehr befriedigt war. Sein Name Seinguerlet erinnerte zwar an einen schwäbischen Zängerle, er behauptete aber, die Seinguerlets stammten aus der Bretagne, es sei ein Name wie Quimperlé, und man mußte ihm schon aus Höflichkeit glauben. Kurz vor dem Ausbruche des französisch-italienischen Kriegs mehrten sich die Besuche unzufriedener Franzosen bei unserem Bekannten auffallend. Er verhehlte mir eines Tages nicht, daß seine republikanischen Freunde für den Fall einer Niederlage des Kaisers einen Aufstand in Paris vorbereiteten und auf sicheren Erfolg rechneten. Da stellte ich ihm die Frage, wie sich seine Partei, wenn sie das Staatsruder wirklich in die Hand bekäme, zu Deutschland stellen würde? »Ei!« erwiderte er ohne Zaudern, »das Erste, was wir thun müßten, wäre, eine Armee an den Rhein zu schicken, um sie zu beschäftigen, sonst würde unsere Herrlichkeit nicht lange dauern.« Nun wußte ich genug, der letzte Funken politischer Sympathie für Frankreich war in mir erstickt.

Die Geselligkeit zu dem Zwecke, nach des Tages Last und Arbeit abends zur Erholung und Zerstreuung einen Kreis geistig verwandter Bekannter und Freunde aufzusuchen, konnte damals in verschiedener Weise gepflegt werden. Moleschott erzählt, daß er seine Erholung nur beim Thee oder Abendbrot der eigenen oder befreundeter Familien gefunden habe, dasselbe galt für die Juristen Jolly, Goldschmidt, den später so berühmten Lehrer des Handelsrechts in Berlin, u. a. Viele ältere Professoren der Universität mit ihren Freunden fanden sich Sonnabends regelmäßig zusammen in einem geschlossenen Raume des Museums, das damals eine weit größere Bedeutung für die Herrn der Universität und die Honoratioren der Stadt überhaupt hatte, als heute. Am Donnerstag traf sich abends zwanglos eine große Gesellschaft im Holländer Hof an der alten Brücke, vorwiegend Extraordinarii und Dozenten aller Fakultäten, aber auch gebildete Bürger der Stadt und heimisch gewordene Fremde. Am berühmtesten ist geworden die Gesellschaft des sogenannten Engeren, ursprünglich engerer Ausschuß genannt, die, gleichfalls in einem geschlossenen Raume des Museums zusammenkamen, eifrig bestrebt, den Mittwoch in den Donnerstag zu verlängern. Da ich in diesen beiden Gesellschaften, dem Holländer Hof und dem Engeren, vergnügte Abende zugebracht habe, so befriedigt es vielleicht die Neugier mancher Leser, wenn ich ein wenig bei ihnen verweile.

Die Gesellschaft im Holländer Hof unterschied sich kaum von irgend einer anderen, zusammengesetzt aus Stammgästen, die gewohnt sind, sich am Wirtstisch zusammen zu finden, um über die Tagesbegebenheiten zu plaudern; nur spielten hier bei dem Ueberwiegen der Gelehrten die Ereignisse an den Universitäten, in Wissenschaft und Kunst eine hervorragende Rolle. Das Einzige, was mir von Erinnerungen an diese geselligen Abende geblieben, ist eine kleine Geschichte, die unserem Freunde Julius Braun mit Herrn Spitz, dem Wirte, begegnete. Sie trug sich an einem Abende zu, kurz bevor die Gäste zusammen strömten; zu ihrem richtigen Verständnis aber muß ich eine kurze Bemerkung vorausschicken. An diesem Tage war der Neckar allmählich über seine Ufer und das damals niedrigere Vorland am Gasthof gestiegen, und das wachsende Wasser bedrohte abends dessen Keller mit Ueberschwemmung. Ohne davon etwas zu bemerken, war Julius Braun soeben sehr befriedigt von Karlsruhe zurückgekommen, wo er wöchentlich einmal einen Vortrag über Kunstgeschichte hielt. Das Publikum hatte mehr und mehr Interesse an seiner Darstellung gewonnen, von Vorlesung zu Vorlesung war es an Zahl gewachsen, und Braun, ganz in sein Glück versunken, eilte in den Holländer Hof, um den Freunden das volle Herz auszuschütten. Gleich im Thorgang begegnete er Herrn Spitz, der aus seinem Keller kam, wo er Vorkehrungen gegen die drohende Gefahr getroffen hatte. Herr Spitz dachte nur an das wachsende Wasser, unser Freund an das wachsende Publikum. Der Wirt fragte ängstlich: »Herr Doktor, wie steht's?« – Braun erwiderte seelenvergnügt: »Gut, Herr Spitz, sehr gut! Es wächst, es wächst!« – »Alle Teufel! Herr Doktor, das ist nicht gut!« rief Herr Spitz und rannte vors Thor um nachzusehen, ob das Wasser wirklich noch wachse. Beruhigt kehrte er zurück: »Herr Doktor, Sie haben sich getäuscht, es wächst nicht!« – Darauf unser Freund: »Herr Spitz, es wächst, Sie können sich darauf verlassen.« – »Ach was? Herr Doktor,« bemerkte der Wirt unwillig, »ich verlasse mich auf meine Augen mehr als auf die Ihrigen.«

Ganz anders unterhielt man sich im Engeren. Ueber ihm schwebte der Geist Josef Scheffels, auch wenn seine leibliche Person im fernen Lande Italia oder im schwäbischen Klettgau oben auf dem Hohentwiel war, von wo er fleißig den Freunden Bericht gab und schöne Lieder zur Kurzweil schickte. Den Engeren hatte in den Wintertagen 1848/49 Professor Häußer mit dem Rechtspraktikanten Scheffel und anderen durch die schlimmen Zeitläufe angegriffenen und tröstlicher Ermunterung bedürftigen Freunden und Bekannten gegründet und das Stiftungsfest darum ein- für allemal auf den Aschermittwoch verlegt. Häußer, der Geschichtsschreiber der Pfalz, war selbst ein unverwüstlich heiterer und redegewandter Sohn des weinfrohen Landes. Er führte den Vorsitz an der Tafelrunde und die Paladine waren ein bunter Kranz von alten Mannheimer Schulkameraden, die ihr Geschick nach Heidelberg geführt hatte, der städtische Ratschreiber Sachs und der Oberleutnant a. D. Pfeufer, von Bürgern der Stadt, ein hinkender Kunsthändler namens Meder, und Rat (Advokat) Mays, neben Häußer der beste Kenner der Pfälzer Geschichte, auch ein Bahnbeamter, der Kassier der Main-Neckarbahn, Schleuning, genannt der Staatstrompeter und eine Vierzahl von Dozenten, der geistvolle, lebensprühende Ludwig Knapp, und die dem Leser bereits bekannten Doktoren Julius Braun, Marquardsen und Pickford. Auch A. von Rochau, der ernste Publizist, erschien zuweilen, um sich an den heiteren Spielen des Humors zu erfrischen. Der unentbehrlichste aber aller Genossen des Bundes war der Augur von Tigelinum, der Pfarr von Ziegelhausen, Schmezer, ohne dessen außerordentliche Sangeskunst keine Sitzung vollkommen gelang. Von großem schauspielerischen Talente, besaß er einen wohlgeschulten herrlichen Tenor und fand oder komponierte zu Scheffels Liedern passende Melodien. Zu vielen der besten hatte er den Dichter durch seine astronomischen und geologischen Vorträge angeregt, die er vor einem größeren Publikum, darunter Scheffel, mehrere Winter hindurch im Holländer Hofe abgehalten hatte.

Zwei solche Abende im Engeren sind mir im Gedächtnis geblieben, ein verhältnismäßig stille verlaufener, litterarischer, und ein lauter musikalischer, jedenfalls der lauteste seit dem Bestehen des Engeren.

In jener Sitzung verlas Häußer gar ergötzliche Tagebuchblätter, angeblich aus der Feder des Heidelberger Lycealprofessors X, denen vermutlich Erzählungen von dessen Schülern zu Grunde lagen und die Häußer sicherlich selbst redigiert hatte. Der Schulmonarch war nicht bloß um seiner gelehrten Aussprüche, sondern auch um seiner ökonomischen Talente willen in weiten Kreisen berühmt. Das Tagebuch berichtete über eine Ferienreise, die der erholungsbedürftige Mann durch die badische Pfalz unternommen und glücklich ausgeführt hatte. Mit 45 Kreuzern machte er sich auf den Weg, beehrte überall die Eltern der Scholaren mit seinem werten Besuche und operierte wiederholt mit großem finanziellem Geschick, verkaufte z.&nbsp;B. einem begegnenden Handwerksburschen ein Fläschchen sauren Weins, den er für einen besseren, ihm verehrten, beim Weinhändler mit Vorteil eingetauscht hatte, und kehrte schließlich mit einem Baargewinn von 30 Kreuzern, insgesamt einem Gulden und 15 Kreuzern im Beutel, nach Hause zurück.

An dem musikalischen Abend wohnte ich der von Schmezer eingerichteten ersten Aufführung des Enderle von Ketsch bei. Schmezer hatte das Lied in Musik gesetzt, sang es vor und der Chor fiel mit einem Höllenlärm ein:

Jetzt weicht, jetzt flieht, jetzt weicht, jetzt flieht.
Mit Zittern und Zähnegefletsch,
Jetzt weicht, jetzt flieht, wir singen das Lied
Vom Enderle von Ketsch!

Die Instrumente dazu, Kasserole und dergleichen, waren aus der Küche geholt und als Pauke diente ein großer, schaurig schallender Ofenschirm aus Blech; sicherlich wären die Toten von Enderles Geschrei erwacht, wenn sie in den Häusern am Ludwigsplatz, auf den das Zimmer im Museum hinausging, geschlafen hätten.

Im Frühling 1855 kam der Dichter zu Besuch, nicht bloß von den Freunden im Engeren, sondern einer großen Gemeinde liebender Verehrer mit Jubel empfangen. Er hat eben, wo er in jungen Jahren länger verweilte, alle Herzen erobert. Ich habe in meinen Jugenderinnerungen S. 167. von der Huldigung erzählt, die ihm gegen dreißig Freunde und Bekannte unter dem Vorsitze des würdigen von Bangerow bereiteten und seinem glänzenden, aus den Pandekten gepflückten Trinkspruch auf diesen, seinen geliebten Lehrer. Er mietete sich in dem Leonhard'schen Hause am Klingenteichthore ein und erschien uns im Umgange lange nicht mehr so frisch und allezeit aufgelegt, wie früher. Unter vier Augen gestanden es sich die Freunde, daß er nicht mehr ganz der alte sei und Rochau meinte, am Ende gehe er noch ins Kloster. Er brachte das Manuskript seines Ekkehard mit und schloß in Heidelberg mit dem unternehmenden, aber bereits der Schwindsucht verfallenen, heiseren jungen Buchhändler Karl Meidinger aus Frankfurt a. M. jenen schlimmen Vertrag, worin er diesem das Verlagsrecht seines Romans für 15 Jahre um 1200 Gulden Honorar verkaufte, einen übereilten Handel, der ihm nach dem baldigen Bankrott und Tode Meidingers so vielen Verdruß bereiten sollte. Er hatte das Buch vorher der Metzler'schen Verlagsanstalt in Stuttgart, die seinen Trompeter von Säckingen verlegt hatte, angeboten, war aber nicht handelseins mit ihr geworden, denn der berühmte Sang vom Oberrhein lag noch größtenteils unverkauft und brachte es erst fünf Jahre nach seinem Erscheinen zur zweiten Auflage, was die Metzler'sche Anstalt zu vorsichtig gemacht hatte.

In demselben Jahre, es war im Dezember, holte mich eines Morgens eilends ein Franzose, der viel mit uns verkehrte, ein Herr Filliard, ein äußerst lebhafter junger Gelehrter, der in Martinique geboren, etwas schwarzes Blut in den Adern hatte, zu Scheffel, der in seiner Wohnung bei dem Kutscher Hatz in der Plöckstraße krank lag. Scheffel war am Abend vorher von Karlsruhe eingetroffen, im Holländer Hof abgestiegen, zufällig auf Filliard gestoßen und plötzlich von heftigem Blutandrang zum Kopfe und großem Angstgefühl befallen worden. Er fürchtete sich allein zu sein und der gutmütige Filliard, der Scheffel sehr wohl leiden mochte, nahm ihn mit sich auf sein Zimmer und übte die ganze Nacht hindurch Samariterdienste an dem aufgeregten, gänzlich schlaflosen Dichter. Ich hielt es für ratsam, ihn baldmöglichst zu seinen Eltern nach Karlsruhe zu verbringen und begleitete ihn selbst dahin. Seine Mutter und Schwester empfingen ihn, furchtbar erschreckt, sein Vater war nicht zu Hause, und ich führte ihn sofort in sein Zimmer unter dem Dache, ein großes, wohl eingerichtetes Gemach. Hier schmückte eine ansehnliche Bibliothek die Wand und ein Haufen Bücher, darunter dicke Folianten, lagen auf dem Tische. Zornig schritt er auf den Tisch zu, ergriff eines der Bücher und schleuderte es darüber hin, mit den Worten: »Sieh! das sind die schändlichen Schmöker, die mich so elend gemacht!« In der That, er hatte sich geistig überarbeitet und seine beste Schaffenskraft war leider für immer dahin.

Im folgenden Jahre muß es dann gewesen sein, daß ich mich mit ihm über seine nächsten Lebenspläne unterhielt. Ich war erstaunt, daß er die Einladung des Großherzogs von Weimar, der ihn gerne in seine Umgebung gezogen hätte, ausschlug und die Stelle eines Fürstlich Fürstenbergischen Bibliothekars in dem rauhen Donaueschingen vorzog. »Mein Entschluß«, bemerkte er mir, »ist reiflich erwogen. Ich möchte in Weimar kein Epigone sein.« –

Nach längerem Besinnen schließe ich dieses Kapitel mit einigen Worten schmerzlichen Gedenkens an das anmutigste Mädchen Heidelbergs in meinen Studentenjahren, an Johanna Kapp, die damals nicht bloß die männliche, auch die weibliche Jugend bezauberte. Ihr Vetter Fritz Kapp, mir innigst befreundet, hatte mich bei ihr eingeführt. Bei meiner Wiederkehr nach Heidelberg hatte ich mich herzlich darauf gefreut, sie wiederzusehen, und meine Frau meine freudige Erwartung geteilt. Sie sollte in München längere Zeit sich als Bildhauerin versucht haben, doch jetzt wieder bei ihrem Vater jenseits der Brücke in Neuenheim leben. Wir suchten sie auf, aber wir fanden jene Johanna nicht mehr, die noch 1849 Gottfried Keller zu wunderbaren Versen begeistert hatte, als er zum letzten Male über die schöne Brücke geschritten war, die ihn so oft auf dem Wege zu ihr nach Neuenheim getragen hatte. Zwei der besten Dichter jener Zeit, Keller und Hofmann von Fallersleben, haben für sie geschwärmt und um ihre Hand angehalten, sie aber jagte aussichtslos einem Phantom nach und verzehrte sich in der Liebe zu Ludwig Feuerbach, dem Philosophen, der nicht geneigt war, ältere Bande, die ihn fesselten, zu lösen. Schon hatte der Frost, der die Rose ganz entblättern und vernichten sollte, die äußersten Blütenblätter mit ertötendem Reife berührt. Wir verzichteten auf den Verkehr mit der Unglücklichen, die in der Kunst dillettierend das vergebens suchte, was nur das Leben gewährt.

Ich kann mir nicht versagen, die schönen Strophen Kellers hier anzufügen.

Schöne Brücke, hast mich oft getragen,
Wenn mein Herz erwartungsvoll geschlagen,
Und mit dir den Strom ich überschritt.
Und mich dünkte, deine stolzen Bogen
Sind in kühnerm Schwunge mitgezogen,
Und sie fühlten meine Freude mit.

Weh der Täuschung, da ich jetzo sehe,
Wenn ich schweren Leids hinübergehe,
Daß der Last kein Joch sich fühlend biegt!
Soll ich einsam in die Berge gehen
Und nach einem schwachen Stege spähen,
Der sich meinem Kummer zitternd fügt?

Aber sie mit anderm Weh und Leiden
Und im Herzen andre Seligkeiten,
Trage leicht die blühende Gestalt!
Schöne Brücke magst du ewig stehen:
Ewig aber wird es nie geschehen,
Daß ein bessres Weib hinüberwallt!

.


 << zurück weiter >>