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9. Das Recept

Sobald Krause am Morgen glaubte, daß die Singstunde der alten Betschwester begonnen habe, schlich er dort sich die Treppe hinauf und horchte. Rechts sang Tante Lise und krähte der Welt zu Liebe von ihrer sogenannten Frömmigkeit. Also links gehalten! Ein scharfer Blick durch's Schlüsselloch zeigte ihm, daß er recht war; und so stand er denn vor dem Mädchen, dem er so viel Schönes sagen wollte, das nun – rein vergessen war! Seine sichtbare Verlegenheit war nicht eben geeignet, das gute Mädchen aus der ihrigen zu reißen. Sie aber – wie denn die Mädchen in dergleichen Bedrängnissen sich immer eher zu helfen wissen, – sprang hurtig auf das gefundene Loos über, und es entspann sich ein Gespräch, das noch leidlich genug gewesen wäre, hätte nicht Lise mit sichtlicher Aengstlichkeit immer nach der singenden Tante hinüber gehorcht, deren störenden Eintritt sie jeden Augenblick zu fürchten schien. Die Aussicht, sich entfernen zu müssen, ehe er seiner Angelegenheit nur von ferne gedacht, oder durch sein längeres Bleiben dem guten Mädchen Verdruß zu verursachen, machte ihn endlich so kühn, daß er in sichtbarer Bewegung Lischens Hand faßte und sprach: »O wie gerne – wie Vieles wollte ich Ihnen noch sagen! Aber es kann ja nicht sein. Darf ich aber« – – Hier ging die Thüre auf und Tante Lisabeth stand da vor den erschrockenen Leutchen! »Aha!« – krähte die Zürnende, – »du eiteles Weltkind! Was muß ich an dir erleben! Mannsleute schleichen heimlich in dein Kämmerlein und du duldest das? Wohl gilt von dir, was im Liede geschrieben steht:

Ich führte heimlich kein
Penelopeisch Leben,
Und dennoch wollt ich sein
Lukretia daneben.

und wie es weiter heißt:

Bei allen Spielen führt' Ich Ueppigste den Reihen.
Ich ging hinein, geziert
Wie Flora in dem Maien.
Es wallte mir das Blut
Im Leib vor Uebermuth.

Und Sie – wendete sich die Strafpredigerin an Krause – Sie beschleichen unerfahrne Jungfrauen ins geheim? Wie reimt sich das für einen geistlichen Herrn? Doch man kennt euch, junge, leichtfertige Vögel!

Nur an dem Zuckerhut
Wollt ihr den Schnabel wetzen;
Das Herz nach vollem Wuth
Der Sinnlichkeit ergötzen.« – –

Unter dem langen Sermon gewann Gottfried sich Besinnung. So ehrlich und ohne Falsch er sonst war, schien ihm hier doch eine kleine List erlaubt, um dem armen Mädchen, das nahe am Weinen stand, noch Härteres zu ersparen. Er zog also seine Brieftasche hervor, bückte sich ehrerbietig vor der zürnenden Alten und erzählte, er sei eigentlich um ihrer und nicht um der Nichte willen hieher gekommen; habe sie aber in ihrer Andacht nicht stören dürfen. Er habe mit großem Leidwesen erfahren, wie sie mit Magenbeschwerden behaftet sei und habe ihr daher ein von seiner verstorbenen Tante geerbtes Recept zu einem trefflichen Magen-Elixier anbieten wollen. Hiermit zog er einen Papierstreifen hervor, auf dem – o Schalk! – ein Paar griechische Verse aus Anakreon geschrieben standen. Etwas ungläubig zog Tantchen die Brille aus der Umhüllung ihres keuschen Busens hervor, beguckte das Blättchen mit großer Aufmerksamkeit, und bat, er möchte ihr das Ding vorlesen. So plapperte mein Pastörchen ihr denn aus Anakreons verliebten Versen ein Paar aufgefangene botanische Benennungen vor und erntete sogar Lob und Dank ein, als er sich erbot, dem Apotheker das Weitere mündlich zu erläutern. Er ward höflich entlassen, und dankte seinem Geschick, das ihn abermals mit einem Papierstreifen gerettet hatte.


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