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1871

Dichter und Welt

Einen Epilog zur Grillparzer-Feier zu schreiben, ist just nicht meine bestimmte Absicht; aber es ist wohl natürlich, wenn sich auch absichtslos die Gedanken einer verwandten Richtung überlassen und das verrauschte Thema noch in der Einsamkeit nachklingt.

Die Welt soll den Dichter anerkennen – es gereicht ihr zum Vorwurf, wenn sie ihn verkennt oder allzu spät anerkennt – das haben wir in Vers und Prosa, man möchte sagen, in Prosa und Prosa, wie ein Thema behandeln gehört, wovon nur Variationen erlaubt sind; das Thema selbst ist ein Dogma! Da inzwischen der wertvollste Teil jedes Dogmas der dazu gehörige Ketzer ist, so lassen wir das Dogma dogmatisch sein und lesen nur gleich unsere Ketzer-Messe.

Was ist ein Dichter?

Es ist tausendmal gesagt worden – am nachdrücklichsten vielleicht von Carlyle – ein Dichter ist eine höhere Kraftsumme als ein anderer Mensch; er ist vor allem ein großer Mensch. Mehr als ein Zeitgenosse Goethes – ich erinnere mich nur an Jacobi – hat von Goethe bezeugt, er mache den Eindruck eines großen Mannes, auch wenn man nicht wüßte, daß er ein großer Dichter sei. Zur Bewunderung der Welt brauche er gar nicht seinen Werther und Faust. Umgekehrt wieder: wenn jene starkglühende Lebensmasse, welche wir Mirabeau nennen, eine Tragödie gedichtet hätte – wer zweifelt, daß seine Leidenschaften wahrer, seine Konflikte großartiger, seine Könige königlicher, seine Helden heldenhafter gewesen wären, als die so vieler »Bühnentalente«? Wer zweifelt, daß der Dichter der Johann-, Richard- und Heinrichstragödien, daß Shakespeare England nicht ebenso regiert hätte, als er es gedichtet hat? Und war denn z. B. der Dichter des Verlorenen Paradieses, die heldenhaft männliche Republikaner-Seele Milton, als Cromwells rechte Hand, nicht wirklich ein guter Mitregent Englands?

Nichts ist gewisser, als was Carlyle sagt: ein großer Dichter, welcher seine Menschengröße zunächst durch die redenden Künste darstellt, würde sie ebensogut darstellen als großer Feldherr, Eroberer, Staatsmann, Gesetzgeber.

Und das soll die Welt anerkennen?

Aber wer läßt sich denn bereitwillig erobern? Wer läßt sich denn bereitwillig Gesetze geben, wovon man ohnedies schon zu viel hat?

Man sage doch lieber gleich: die Hasen sollen den Hund anerkennen, die Schafe den Wolf, die Gazellen den Löwen, das Stroh die Feuersbrunst oder die zahmen frisierten Städte Europas die lodernde Kriegsbegeisterung Timurs und Solimans!

Der große Dichter erscheint dem Menschengeschlechte zunächst als ein großer Störenfried, ja ganz eigentlich als ein Feind.

Schiller, in dessen Charakter, wie bei allen starken Naturen, ein köstlich-grausamer Zug war, sagt das in einem Brief an Goethe ganz direkt und unumwunden heraus: »Man müsse es den Leuten, wie sie einmal sind, durch die Poesie nicht wohl, sondern recht übel machen; man müsse sie inkommodieren, ihnen die Behaglichkeit verderben, sie in Erstaunen und Unruhe setzen. Dadurch allein lernten sie an die Existenz einer Poesie glauben und bekämen Respekt vor den Poeten«.

Glaubt man in diesen Worten des großen Dichters nicht wirklich Carlyles »großen Eroberer« zu hören? Es den Leuten recht übel machen, sie inkommodieren, ihnen die Behaglichkeit verderben, sie in Erstaunen und Unruhe setzen, klingt das nicht ziemlich authentisch nach der » Geißel Gottes «?

Und das soll die Welt anerkennen?

Natürlich sind Schillers Worte Übertreibung und genialer Übermut und nicht buchstäblich zu nehmen. Aber was eingeschränkter zu nehmen ist, ist doch nicht als sein Gegenteil zu nehmen? Wenn man halb im Scherze gesagt hat: man muß es den Leuten recht übel machen, so will man doch nicht im Ernste gesagt haben: man muß ihnen schmeicheln und nach dem Munde reden? Der Sinn bleibt immer der, der er ist!

Die Menschen – ohne Spur von Bitterkeit wird es gesagt – können sich nur erhalten und behaupten auf einer mittleren Durchschnittslinie ihrer Kräfte und Zustände. Diesem Naturgesetze entspricht in der Kunst die Mittelmäßigkeit, aber die Mittelmäßigkeit haben sie auch zu allen Zeiten gerne und bereitwillig anerkannt.

Das Genie dagegen stört dieses mittlere Gleichgewicht der Menschenzustände, fordert eine Unsumme von Lieblings-Vorstellungen, Gewohnheiten und Neigungen zum Opfer, welche alle von der Mittelmäßigkeit geschont, ja gehätschelt werden, kurz, wird im unausstehlichen Grade fatal, lästig und unbequem. Ja, was das Allerempfindlichste ist: wenn uns z. B. die Genialität eines Mechanikers die plumpe Maschine mit einer leichteren und leistungsfähigeren völlig unbefangen vertauschen läßt, so führt der Fortschritt des genialen Dichters das Gefühl der Beschämung mit sich; es wird den Menschen zumute, als wären sie zuvor einigermaßen langweilig und einfältig gewesen. Außer dem starken Trieb der Gewohnheit wehrt sich daher noch der stärkere Trieb der Selbstliebe, der Eitelkeit, gegen den großen Dichter. Die Großmutter, die sich vor den Reibhölzchen fürchtet und ihr Licht noch mit Stahl und Stein, Zunder und Schwefelfaden anmacht, hält das Lächeln des Enkels gutmütig aus. Dagegen geht es schon tiefer, wenn die rosige Enkelin in ihrer Thekla schwelgt –

Sein Geist ist's, der mich ruft, es ist die Schar
Der Treuen, die sich rächend ihm geopfert,

womit der gute Großvater geneckt wird, dem noch der sterbende Cato von Gottsched imponiert:

Erhabener Plato, ja, dein Schluß hat großen Schein,
Des Menschen Seele muß doch wohl unsterblich sein.

Das hat ihm gefallen, als er jung war, als er seine Selige freite; sein bestes Stück Leben steckt darin, – und war es denn nicht auch schon ein Fortschritt? Ein Fortschritt gegen Lohenstein und Hoffmannswaldau? Gewiß! Aber dabei bleibt er; – etwas Festes und Heiliges muß es ja doch geben! Diese neumodischen Stürmer und Dränger, dieser Lenz und Klinger, Goethe und Schiller, – sein altersschwaches Auge unterscheidet den Unterschied nicht mehr, kann er unmöglich anerkennen, er gäbe sich ja sonst selbst auf. Entweder bekämpft er sie leidenschaftlich, oder überläßt sie mit Gleichgültigkeit – dem jüngeren Volke.

Wohlan, diese Bewandtnis hat es mit der Anerkennung großer Dichter. Jede Generation besitzt ihren Lieblingsdichter, mit dem sie verwachsen ist und er mit ihr, der ihr Ausdruck ist. Der neue Dichter drückt schon nicht mehr sie aus, sondern die Zukunft. Er gehört der Jugend. Ganz ohne Anerkennung dürfte er freilich nicht bleiben, denn sonst wäre er tot geboren. Aber sein Leben ist vorerst Lebens keim; dieser Keim wird von den Händen der Jünger dem Schoße der zweiten, der dritten Generation überliefert, welche, indem sie den »verkannten« nun freudigst anerkennt, ihrerseits schon wieder reaktionär ist und den nächst großen Dichter schon wieder nicht anerkennt. Die Menschheit kann nun einmal nichts anderes brauchen als die Gewohnheit und das mittlere Maß; was in der ersten Generation noch ausschweifend, exzentrisch, unerhört war, daran muß die zweite und dritte Generation sich zu gewöhnen Zeit finden, sie muß die höheren Ideenkreise, wohin sie ein großer Dichter emporhebt, wieder auf ihr mittleres Maß ausgleichen, sich mit ihnen ins Gleichgewicht setzen können. Nichts ist naturgemäßer als die späte Anerkennung und nichts verkehrter, als es anders zu fordern.

Wäre denn die Menschheit rein des Teufels, daß sie immer wieder Rückfälle hätte, sooft sie sich löblichermaßen vorgenommen, ihre Dichter endlich anzuerkennen? Wie sich die Deutschen auf ein Haar um ihren ersten Nationaldichter Schiller gebracht hätten, der als Jüngling von Vater und Vaterland verjagt wurde, und ohne die rechtzeitige Hilfe eines seltenen Aristokraten noch als Mann verhungern konnte, – das wäre doch eine derbe Lektion gewesen, eine Lektion für ewige Zeiten! Warum hat sich bald darauf Heinrich v. Kleist erschossen? Warum blieb Grabbe bühnenunfähig, da doch der zweite Teil des Faust für die Bühne gepreßt wird? Warum wurde Grillparzer vergessen? Warum wurde Hebbel vernachlässigt? Warum der geniale Klein? Keine Schillers, aber der nationalen Aufmerksamkeit doch würdiger, als sie ihnen faktisch zuteil geworden! Warum? Weil sie alle mehr auszudrücken hatten, als das mittlere Maß ihrer Gegenwart. Parallel mit diesen verkannten Dichtern standen ja andere in schönster Anerkennung, nämlich die Dichter des mittleren Maßes und der gewohnten Ideenkreise, die Mittelmäßigkeits-Dichter Iffland, Kotzebue, Müllner, Houwald, Raupach, die Birch-Pfeiffer und Friedrich Halm, welch letzteren Hebbel mit: Distinktion »eine vergoldete Mittelmäßigkeit« zu nennen pflegte.

Man sieht, die Welt ist gerecht. Sie erkennt den Dichter an, der das Leben des Augenblicks hat und der in Kunstform nur das ist, was jedermann in Natur ist. Wer mehr ist, der gehört der Zukunft, die Welt reponiert ihn daher auch der Zukunft, oder – wie man härter sagt – sie verkennt ihn.

 

Meine Frau

Brief an Dr. Leidesdorf in Oberdöbling

Die Mission eines Irrenarztes, geehrtester Herr, fängt nicht selten schon mit der Aufgabe an, den Patienten überhaupt erst abzuholen und aus seinem Hause zu bringen, denn nie geht er freiwillig und häufig widersetzt er sich der Autorität seiner nächsten Angehörigen. Ich bitte Sie daher, sich einen Plan zu entwerfen, wie Sie meine Frau in Ihre Heilanstalt abholen wollen, eine arme Unglückliche, welche unter folgenden Symptomen den Verstand verloren hat.

Schon am 1. August fing sie an, auf die ›Wiener Abendpost‹ zu abonnieren, und am 15. kaufte sie sich eine böhmische Grammatik. Diese deutlichen Absichten, sich ein Leid anzutun, machten mich wachsam und ich beobachtete sie von diesem Augenblicke an sorgfältiger. Natürlich kenne ich die Regel, einem Geistverwirrten die Aufmerksamkeit auf seinen Zustand zu verbergen, und ich verbarg die meinige so gut, daß ich am 22. einen jungen Herrn aus der Gesellschaft Jesu bei ihr überraschte, welcher auf den Knieen lag und ihr die Unfehlbarkeit erklärte. Der Unfehlbare ergriff die Flucht bei meinem Anblicke, so daß ich über seinen theologischen Standpunkt jeden Zweifel verlor und meine Frau mit einem schismatischen Blicke vorwurfsvoll ansah. Sie aber blickte dem jungen Kirchenvater nach, seufzte, und murmelte etwas von der Stellung der Kirche in der Familie. Noch konnte ich nicht unterscheiden, ob es die Sprache Zwergers, oder die Sprache des Irrsinns oder beides zugleich war.

Leider! das Unglück schreitet schnell, bald wurde mir alles, alles klar!

Am 28. fand ich einen Rittmeister bei ihr, einen Kavalier aus einer unserer ersten Feudalfamilien, welcher nicht auf den Knieen lag, sondern – besser! Der Rittmeister muß mich mit Moltke verwechselt haben, denn er begab sich auf einen fluchtähnlichen Rückzug. Ich ließ den Elenden laufen; in diesem Augenblicke, wo ich alles verloren, fühlte ich nur, was ich alles besessen, und mein Gefühl war nicht Zorn, sondern Schmerz. Ich wurde weich.

Emilie, sagte ich, ist das die Treue, die du mir vor vier Jahren geschworen?

Sie antwortete: Nun ja, ich bin dir auch treu, – verfassungstreu.

Jetzt erst wurde ich zornig, denn ich hielt dieses Wort für einen schamlosen Hohn. Weib! – schrie, ich, in dem Augenblicke, wo ich deinen Ehebruch – –

Da schnellte sie auf und stand da mit der ganzen Hoheit einer beleidigten weiblichen Würde.

Ich verbiete mir dieses Wort, ich konfisziere es! herrschte sie mich an. Ehebruch! Ich breche dir die Ehe so wenig, als Graf Hohenwart, Exzellenz, die Verfassung bricht. Es fällt mir nicht ein. Ich bin verfassungstreu über allen Zweifel, ja über den Augenschein selbst hinaus. Was du gesehen hast, war nichts als eine Revision unserer Ehe-Verfassung. Ich will endlich Frieden mit meinen Anbetern. Jener Abbé wartete schon im Schnee auf mich, als ich noch ins Institut ging, ebenso stand der Rittmeister mit einer Bonbonnière voll Praslins vis-a-vis in der Sackgasse. Es ist hohe Zeit, daß die Herren befriedigt werden. Ich will meinen Ausgleich mit ihnen.

Ihre Augen rollten im Wahnsinn, Nacht umschleierte meine Blicke. Der Kolporteur brachte die ›Abendpost‹. Es war ein fürchterlicher Moment!

Helfen Sie rasch, Herr Doktor. Noch kann ich nicht glauben, daß meine arme Frau für immer verloren. Ihre Gesundheit ist gut, ihre Organe vortrefflich, ihre somatischen Funktionen normal. Am Ende tut's eine bloße Luftveränderung. Was meinen Sie zu Gastein ? Oder zum Kaiserbad in Pest- Ofen ? Das sind zwei Orte, auf die ich in diesem Augenblicke viel Vertrauen setzen würde. In jener Luft, glaube ich, könnten noch mehr Narren als meine arme Frau zur Vernunft kommen.

Aber ach, soeben ereignete sich ein Fall, der mich von neuem beängstigt. In diesem Augenblick meldet sich ein Herr aus Laibach und wünscht eine »intime Konferenz« mit meiner Frau. Ich frage ihn, was er will; er antwortet: das ist sein Amtsgeheimnis! Aus dem Innern aber ruft meine Frau: Zwonimir, bist du endlich da? Wo bleibst du so lange? Komm' in meine Arme! Sie fliegt ihm entgegen – mich aber schiebt sie beiseite, – winkt mir zärtlich – und sagt: Mann, was tue ich nicht für deinen häuslichen Frieden!

Am Ende werd' ich noch selbst toll. Verlieren Sie keinen Augenblick. Es ist Gefahr im Verzuge, eilen Sie, retten Sie! Ganz ergebenst Ihr ...

Antwort des Dr. Leidesdorf

Mein Herr! Ihre Frau ist nicht verrückt, sondern bloß eine wahrhafte Österreicherin. Sie mißverstehen die Symptome gänzlich. Darf ich Ihnen im übrigen einen Rat geben, so wäre es dieser: Brechen Sie die Ehe, scheiden Sie die Ehe, kurz separieren Sie sich auf alle Weise von Ihrer Frau und treten Sie mit jedem Ihrer Schritte in die gehässigste und ungerechteste Opposition zu ihr. Von diesem Augenblicke an wird Ihre Frau ihren Ausgleich mit Ihnen suchen und Sie mit einer Zärtlichkeit verfolgen, als ob Sie allein und einzig auf der Welt wären. Ich bürge für den Erfolg meines Rates. Bei allen Narren meiner Anstalt – und meine Praxis ist groß – hat diese Krankheit bei dieser Behandlung immer denselben Verlauf zur Heilung genommen. Sie können meinethalben bis zur Moskauer Knute gehen; – ich weiß, was ich sage, ich spreche von Fällen der Praxis, – wenn Sie dächten, Sie hätten sich aufs roheste, gröbste und unverschämteste gegen sie vergangen, dann bringt es die Natur dieser Wahnsinnsform mit sich, daß Sie sofort der Mann ihres Herzens werden und jedem in der Welt, der gut, artig und sittlich ist, den Rang abgelaufen haben. Dem Patienten, der an dieser Manie erkrankt ist, ist der Barbar immer das Liebste.

Ihr

Dr. Leidesdorf.


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