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1866

Sprache und Zeitungen

Als die preußische Stempelsteuer für deutsche Zeitungen dekretiert wurde, während fremdländische frei eingingen, wußte der Münchener Punch einen guten Rat. Er meinte, die deutschen Zeitungen sollten einmal berechnen, wieviel deutsche Wörter und wieviel fremde ihr Text hätte; wahrscheinlich fänden sie den gegründetsten Rechtstitel, als ausländische Journale zu passieren.

Für Puristen (Sprachreiniger) mag das ein guter Witz gewesen sein. Was uns betrifft, wir sind eigentlich nicht Purist und finden jene Satire schon nicht mehr gerecht. Sie paßte vollständig für ein gewisses Stadium der deutschen Sprachgeschichte. Sie paßte z. B. für das Franzosendeutsch, welches vom Dreißigjährigen Krieg bis auf Friedrich II. herrschte. Sie paßte für das französische Salonkauderwelsch, welches noch in den dreißiger und vierziger Jahren die Romane der Hahn-Hahn lächerlich machte. Nur Blinde können leugnen, daß die deutsche Schreibart seitdem reiner, natürlicher, nationaler geworden ist. Und zuletzt macht es im Gebrauch der Fremdwörter einen großen Unterschied, ob man sie mutwillig, aus purem Affentrieb annimmt, oder im Geiste einer wirklichen Bereicherung und Ergänzung des nationalen gegenüber dem kosmopolitischen Genius. Schon Karl V. bemerkt, es heißt so viele Seelen haben, als man Sprachen spricht, und Varnhagen erinnert im echtesten Zeitgeist unserer Freihandels-Ära, daß im internationalen Verkehr der Völker nicht nur Güter zum Austausch kommen, sondern auch Ideen und Ideenkleider – Wörter. Die Theorien sind überwunden, die darauf drangen, »daß das Geld im Lande bleibe«, oder die von einer »Überschwemmung unserer Märkte« sprachen, wenn wir mit den Wohltaten der Natur und des Fleißes von jenseits unserer Kirchtürme berieselt wurden. Ebenso lächerlich kann der Purist werden, der mit der Schlafmütze auf dem bezopften Schädel ängstlich aus seinen Kyffhäuser-Träumen aufschreit, daß jeder Sprachsechser im Lande bleibe und ja nicht gegen die Sixpences oder Franks und Bajocchi der gottlosen Fremden verwechselt werde.

Als ob Sprachbereicherung effektiv Sprachverderb sein müßte! Und als ob Sprachverderb nur von außen und nicht auch von innen kommen könnte! Leider, er kommt auch innen! Und die Quelle, aus der er kommt, ist jene Literatur, welche vor allen Harpyen des Leipziger Meßkatalogs, vor allem, was für Belehrung, Unterhaltung, Müßiggang, Unsterblichkeit, Wissenschaft und Verdummung geschrieben, gedruckt, verlegt und eingestampft wird, den kolossalsten und überwiegendsten Sprachverbrauch an sich gerissen – der Journalismus.

Der Journalismus dringt, wie der Sauerstoff in der Luft, zerstörend, zersetzend, auflösend und freilich auch neubildend auf das feste Gebilde der Büchersprache ein, er allein reagiert tätiger auf sie als alle übrigen Sprach-Agenzien zusammengenommen. Neuerungen in einzelnen Wörtern und ganzen Redensarten, Neuerungen in Orthographie und Syntax, kurz Sprach-Neuerungen in allen Mustern kreiert der Journalismus fast ausschließlich. Was der gesamten Buchliteratur nicht gelingt, vollendet leicht und spielend die Blattliteratur. Sie ist das Mäuschen, welches die Netze zernagt, in denen die Löwen ihre Ohnmacht fühlen. Voltaire wollte den Franzosen statt des übelklingenden Août das latinisierende August insinuieren. Goethe den Deutschen statt Eidechse Lazerte. Die beiden mächtigsten Sprachkaiser der modernen Welt haben 80 Jahre ihres Lebens drangesetzt und diese winzige Neuerung nicht forciert. Jean Paul schrieb in Dutzenden von Romanen, welche die tonangebende Welt beherrschten, Hilfsmittel und Neuerungsucht statt Hilfsmittel und Neuerungssucht; aber der vergötterte Mann hatte nicht Hilfsmittel genug, seine kleine unschuldige Neuerungssucht durchzusetzen. Man lese dagegen die Sprache Voltaires, Goethes und Jean Pauls im Journalismus – und sie ist um und um revolutioniert. Der Journalismus hat noch ganz andere Dinge mit ihr fertig gebracht.

Wer zweifelt daran? Schreiber dieses ist noch kein alter Mann und doch ist ihm ein Teil seiner Schul- und Jugendsprache bereits abhanden gekommen. In seiner Jugend schrieb man Gegenwart, heutzutage sagt man Jetztzeit, ein greulicher Zischlaut, einer Schlangensprache würdiger als einer Menschensprache! In seiner Jugend sagte man der Anfang, die Beurteilung. Jetzt sagt der Journalismus die Inangriffnahme, die Inbetrachtnahme. Es fehlt wenig und man wird bald auch schreiben: die Inslebentretung; hin und wieder ist's schon geschehen. Statt der Schreibart: ein gewisser Meyer, taucht mehr und mehr das Gelüste auf, ein sichrer Meyer zu schreiben. Unlogisch sind im Grunde beide Ausdrücke, sie wollen nahezu ihr Gegenteil bezeichnen, nämlich das, was ein wenig ungewiß und unsicher ist. Aber der Gebrauch von jenem »gewiß« wird vom Sprachgenius wenigstens durch die Analogie gedeckt; man sagt, ein gewisser Meyer, wie man sagt: ich habe ein gewisses Gefühl, es gibt gewisse Dinge usw. Man sage in diesen Fällen statt gewiß sicher, und die Verstandlosigkeit springt sofort in die Augen.

Noch ärger aber wird dieser mutwillige Kitzel der Neuerungssucht, wenn er ohne Grund und Verstand noch mehr als den Sprachgebrauch, nämlich das Sprachgesetz, die Grammatik selbst verletzt.

Das zusammengesetzte Verbum übergehen ist trennbar und untrennbar, nicht nach Belieben und Laune, sondern nach dem Wechsel seiner Bedeutung. Einen andern Sinn gibt »ich übergehe« und einen andern »ich gehe über«. Dort ist die Hauptsache die Person, hier aber die Richtung, in welcher gegangen wird. Die Deutlichkeit der letzteren Bedeutung verstärkt sich noch durch eine Präposition, und Präpositionen haben, solange die Welt steht, die Raumverhältnisse, den Ort und die Richtung einer Tätigkeit angezeigt. Man sagt: ich gehe zu einer Sache über.

Gar nicht selten aber schreiben bereits die Zeitungen: »wir übergehen zur Tagesordnung«, anstatt: wir gehen zur Tagesordnung über. Wenn's nur neu klingt! Möchte es doch der boshafte Zufall recht oft fügen, daß sich beide Bedeutungen dicht nebeneinander einstellten, denn das gäbe dann so prächtige Sätze, wie z. B. diesen: Indem wir diesen Punkt übergehen, übergehen wir zu folgendem Gegenstand!!

Die genannten Ausdrücke sind so unglücklich, größtenteils schon für Auge und Ohr so beleidigend, daß man sie nur zu nennen braucht, um sie zu richten. Sie kritisieren sich von selbst. Ein wenig versteckter liegt die Unschönheit oder Sinnwidrigkeit – um über einzelne Wörter hinauszugehen in folgenden Phrasen und Redensarten, welche Kinder des Journalismus sind, und welche von der Umgangs- und Büchersprache schon nachgesagt werden, ohne daß jemand ein Arg daran hätte. Indem wir sie anführen, wird man uns daher Raum gönnen müssen, es unter Begleitung kleiner kritischer Exkurse zu tun.

Ein Lieblingsausdruck des Journalismus ist die Redensart: unberechenbare Tragweite. Wir denken recht gut die Zeit, wo man sich noch mit Folgen und Wirkungen begnügte, die man etwa groß oder wichtig nannte. Das reicht nun länger nicht aus. Die guten ehrlichen Alten sind, gestürzt, entthront von dem jüngeren Zeus der unberechenbaren Tragweite. Ein stattliches Wort, wir gestehen es! Wenn es nur ebensogut die Kritik vertrüge, als es pompös ins Ohr fällt! Das Wort ist bildlich und das Bild ist von dem Geschützwesen entlehnt. Aber wie weit trägt ein Geschütz? Wenn's hoch kommt, eine halbe Meile. Und mit dieser Spanne im Räume will man die Unendlichkeit geschichtlicher Wirkungen in der Zeit vergleichen? Und der Vergleich soll noch grandios scheinen? Aber freilich, die Tragweite allein tut's nicht. Sie muß unberechenbar sein, das ist der Effekt von dem Defekt. Ein Defekt in Wahrheit! Wir leugnen zwar nicht, daß manches in die Geschichte getreten ist, was wohl unberechenbar heißen kann, z. B. das Pulver, die Buchdruckerkunst, die Entdeckung von Amerika, die Reformation, die Enzyklopädie, die Elektrizität, der Dampf. Aber es läßt sich zählen. Wir möchten nicht jahraus jahrein fast bei allem, was um uns vorgeht, mit dem Bekenntnis zur Hand sein, daß es uns »unberechenbar« deucht. Das ist demütigend. Das ist kein Zeugnis für den Scharfsinn der menschlichen Denkkraft. Der Koloß der unberechenbaren Tragweite tut vielleicht einmal im Jahrhundert seine Wirkung; täglich produziert, wird er ein recht kleiner, hilfloser Zwerg.

Eine Journal-Kreatur, die jedermann zuläßt, die aber fast allein schon imstande wäre, uns das ganze jüngere Schrifttum zu verleiden, ist der Gebrauch des Wortes vertreten. Sonst sprach und schrieb man: Herr A. hat den Hamlet gespielt, der Düsseldorfer Maler B. hat eine Landschaft nach München geschickt. Jetzt schreibt und spricht man: der Hamlet war durch Herrn A. vertreten, Düsseldorf war durch eine Landschaft von B. vertreten. Ist diese Neuerung gleichgültig? Wir glauben es nicht; wir halten sie vielmehr für bedeutungsvoll. Es bedeutet einen gewissen Servilismus des Subjekts gegen das Objekt, der uns weder anständig noch logisch deucht. Der Ausdruck ist dem Parlamentarismus entlehnt. Fünfzigtausend Menschen z. B. schicken einen ins Parlament, der sie vertritt. Hier erscheint der Eine im Dienste der Fünfzigtausend; das hat seinen Sinn. Welchen Sinn aber hat es, daß ein Schauspieler den Hamlet vertritt oder daß ein Maler Düsseldorf vertritt? Der Schauspieler vertritt nicht den Hamlet, er schafft ihn. Der Hamlet des Shakespeare ist nur für die Einbildungskraft da, der Hamlet mit Mienen und Gebärden, der Hamlet der sinnlichen Anschauung ist das Werk des Schauspielers. Ebenso schickt ein Düsseldorfer nicht eine Landschaft nach München, um Düsseldorf zu vertreten, sondern um sich selbst zu vertreten, in seinem Interesse, nach seinem Belieben. Sehen wir also dem »Vertreten« schärfer ins Auge, so ist es genau aus dem Geiste geboren wie die unberechenbare Tragweite: sein Wesen ist äußere Großheit bei innerer Armut. Denn freilich ist dem kleinen kurzen Dasein der Individualität scheinbar geschmeichelt, daß man ihr den großen Hintergrund der Gattung gibt, daß man sie als Repräsentanten auffaßt und zum Ambassadeur ihres ganzen Begriffes stempelt. Wie aber der Ambassadeur seine meisten und liebsten Handlungen denn doch auf eigene Rechnung vollzieht, z. B. bei Tisch oder in der Liebe; so wird die freie, lebendige Individualität ganz gewiß wünschen, in ihrem eigenen Namen zu existieren und nicht als Silhouette in der Schattenwelt der Begriffe zu lohndienern. Diese Auflösung und Nichtachtung der Persönlichkeit scheint uns in merkwürdiger Übereinstimmung mit dem zu stehen, was man heute den Materialismus nennt, ja wir erblicken in dem Ausdrucke »vertreten« das wahre Schibboleth dieses Materialismus. Sollten wir nämlich kurzweg sagen, was Materialismus ist, so würden wir sagen: er ist das Setzen der Sache über die Person. Und das ist die Signatur unseres Zeitalters. Eine rapide Folge großer Erfindungen hat die Generation so überrascht und trunken gemacht, daß sie in Anstaunen ihrer eigenen Werke nach Art der Wilden ihre Gebilde für göttlicher hält als sich selbst. Sie nennt ihr Zeitalter das Jahrhundert des Dampfes, während man im vorigen Jahrhundert von einem Zeitalter Rousseaus und Friedrichs des Großen sprach. Für diese Denkungsart ist der Ausdruck »vertreten« wie geschaffen. Er verleiht der Sache den ersten, der Person den zweiten Rang. Er kehrt das natürliche Verhältnis vom Subjekt und Objekt um und stellt den Gesichtspunkt so, als ob die Dinge nicht durch den Menschen da wären, sondern ganz abstrakt durch sich selbst, und der Mensch nur angestellt wäre, sie zu vertreten. Kurz, der Sturz des Idealismus! Aber noch leben Idealisten, Leute, welche den guten Willen haben, gut zu sprechen und zu schreiben. Diese machen wir aufmerksam, wie sehr sie ihren Stil verunzieren, wenn sie dem Journalismus solche Barbarismen nachschreiben. So lesen wir z. B. in Tschudis Tierleben der Alpen sehr oft, wie diese und jene Tiergattung »bei uns vertreten« ist – was sich in einem Naturgemälde, wo doch alles nur konkrete Sinnlichkeit ist, doppelt leidig ausnimmt. Als ob ein Bär auf dem Jura hauste, um das Bärengeschlecht in der Schweiz zu »vertreten«!

Ganz das nämliche, wenn auch im minderen Grade, haben wir der Phrase »angezeigt« nachzusagen. Dieser Kunstausdruck gehörte sonst ausschließlich der praktischen Heilkunde an. Er scheint erst in den letzten Jahren, in welchen Cholera und Typhus den Verkehr zwischen Arzt und Publikum so verhängnisvoll gesteigert haben, aus dem Munde der Ärzte in die Schriftsprache, und hier zunächst in den hungrigen Schlund aller Neuerungen, in die Journalsprache, übergegangen zu sein. Vor zwei Dezennien kannte ihn keine Zeitung; heute spielt er eine außerordentlich beschäftigte Rolle. Überall wo man sonst passend, dienlich, schicklich, ratsam, anwendbar, wohltätig, erfolgreich, heilsam, geboten, ersprießlich, dankbar, zweckmäßig, lohnend, erforderlich, notwendig, schuldig, nützlich gesagt, kurz einen Ausdruck erwählt hätte, welcher die individuelle Physiognomie der Sachlage sprechender porträtiert hätte, dort ist jetzt alles angezeigt oder nicht angezeigt. Eine Unzahl von zarteren Aussprüngen des Sprachwuchses wird durch diese Redensart vernichtet, ja, es ist eigentlich nicht abzusehen, wie weit diese Vernichtung, nicht gehen sollte. Denn daß »angezeigt« einfach die Synonyma verdrängte, d. h. ein einzelnes Wort das andere, wäre noch der geringere Nachteil; aber auf den Ruhepunkt eines solchen Schlagwortes wird oft der ganze Gedanke selbst umgelegt. Warum z. B. sollte ein moderner Flaneur sein Gehirn anstrengen und den Gedanken erzeugen: eine Strafe würde die Selbstachtung dieses Kindes in ihrem zartesten Keime verletzen – wenn ihm sein Zeitungsstil die Phrase an die Hand gibt: eine Strafe wäre hier nicht angezeigt ? In der Vulgärsprache verschluckt man Silben und Wörter; wie bequem ist es nun, den Gedanken selbst zu verschlucken! Der Presse, die oft so peinlich pressiert ist, könnte man solche Abbreviaturen noch nachsehen; wenn wir aber bedenken, daß von den Millionen Zeitungs-Exemplaren, welche zu jeder Stunde gelesen werden, die Phraseologie unaufhaltsam ins Volk dringt, so müssen wir auch der Presse solche gedankentötende Phrasen strenger zurechnen. Sie verderben die Umgangssprache, machen sie fauler, monotoner, langweiliger.

Mit einer andern Phrase macht sich's der Journalismus als Kunstkritiker bequem. Wir meinen die Phrase: ein schönes Streben. Was ist heutzutage gangbarer, als diesem und jenem Künstler ein schönes Streben nachzurühmen, sein schönes Streben zu loben, ihm ein schönes Streben zu bezeugen usw. usw.? Die Kunstsprache früherer Kritiker kennt diesen Ausdruck nicht; selbst Goethe, der doch ganze Generationen zu beurteilen hatte, braucht ihn kaum zwei- oder dreimal. Heutigen Datums aber ist er landläufig. Wir halten das für ein betrübendes Zeichen der Zeit. Es muß eine Zeit des Marasmus, der byzantinischen Greisenhaftigkeit sein; es muß ein gewisses Bewußtsein von Unfähigkeit und Ohnmacht durch die Gemüter schleichen, wenn in der Kunst, die vom Können sich nennt, das bloße Streben zugerechnet wird. Wie? haben wir uns oft gefragt, will man sich wirklich mit dem Streben begnügen? Will man dem Streben im Ernste die Würde und das Verdienst des Machens zuerkennen? Was ist schön am Streben, wenn nicht das richtige und entsprechende Verhältnis zu einer Tat? Wenn ein Lappländer das Streben hätte, auf seinem Grundstück Orangen zu ziehen, wäre das auch ein schönes Streben? Das Streben ohne Frucht ist also unmöglich ein schönes, vielmehr ein krankhaftes, eitles; das fruchtbare Streben aber ist über den Ausdruck streben hinaus: es ist ein Erreichen, ein Fertigmachen, es ist eine Tat. Was heißt also: ein schönes Streben? Heißt's eine Tat? Nein, denn sonst würden wir dem Täter die Tat rühmen. Heißt's ein Tun-wollen, aber nicht -können? Es scheint so. Oder heißt's nicht einmal ein Tun-wollen, sondern nur ein Haschen nach dem Effekt, ein Geizen nach dem Gewinn, ein Jagen nach der Ehre der Tat, ohne daß man überhaupt etwas tun wollte? Es scheint noch mehr so. Das schöne Streben wäre also eine jener Phrasen, womit die Presse das Virtuosentum, oder vielmehr, da der ausgewachsene Virtuos ungleich stärkerer Kost bedarf, die Brut des Virtuosentums, die zarte Jugend der künftigen Taugenichtse pflegt. Das schöne Streben verträte demnach auf den Kunstpässen die Rubrik der Polizeipässe: Besondere Kennzeichen – keine. Die Charakterlosigkeit, die undefinierbare Mittelmäßigkeit, die Abwesenheit irgendeines bestimmten Kraftausdruckes, kurz, alles was sonst Halbheit, Schwäche, Unfertigkeit, Dilettantismus, Nihilismus hieß, das soll unter der Empfehlung eines schönen Strebens endlich dreister auftreten dürfen. Wir verwahren uns dagegen! –

Mit den obigen Phrasen im direkten Widerspruch steht die Phrase: eine Mission haben. Mission heißt Sendung und zwar Sendung von Gott. Moses hatte eine Mission, die Jungfrau von Orleans hatte eine. Aus der Heiligensprache ging das Wort in die Profansprache über und zwar für große und erhabene Veranlassungen. Der Journalismus endlich tilgte auch diese letztere Bedeutung daran; in seinem Streben, den Tag möglichst interessant zu machen, beehrt er alles beim Tag und der Stunde Beschäftigte mit dem Komplimente, daß es eine Mission habe. Seltsam; während der Mensch die Dinge nicht mehr erzeugt, sondern nur noch vertritt, während er keine Tat mehr hat, sondern nur noch ein schönes Streben, wird ihm desungeachtet jede Bagatelle zur Mission. Im Munde der Zeitungen hat der moderne Mensch keinen Beruf, keine Pflicht, keine Arbeit mehr, sondern er schwimmt in Missionen. Aber wie komisch, wenn ein Legationssekretär dritten Ranges eine Mission nach Flachsenfingen hat, oder wenn eine Sängerin durch einen Schnupfen ihrer Mission entzogen wird, oder wenn ein Dorfgeschichtenschreiber im Drama seine Mission verfehlt und in der Kuh- und Ochsenpoesie seine Mission erfüllt usw.!

Der Ausdruck Beruf ist also mit Mission offenbar schlecht übersetzt. Was aber sollen wir dazu sagen, daß in allen Diktionärs der Zeitungsbureaus engagieren zu deutsch gewinnen heißt? Eine wunderliche Übersetzung! Indem wir sie zu begreifen suchten, war unser erster Gedanke, man übersetzt vielleicht so in seltenen und ausnahmsweisen Fällen, in Fällen, wo wirklich ein ausgezeichneter Grad von Höflichkeit »angezeigt« ist. Man sagt für engagieren gewinnen, etwa von einem großen bedeutenden Künstler, welchen gleichzeitig viele zu engagieren wünschen, so daß derjenige, der ihn wirklich engagiert, in der Tat wie der glückliche Gewinner eines Treffers zu betrachten ist. Aber dem ist nicht so. Nicht bloß das Beste, alles wird »gewonnen«. Die obskursten Namen werden gewonnen, frische und ausgesungene Stimmen, neue und abgespielte Komödianten. Auch gut. Im Grunde ist es so mißbräuchlich nicht; jeder Mietkontrakt zielt auf Gewinn; jeder, der ein Engagement anbietet, hofft zu gewinnen. Also schreiben wir statt engagiert, gewonnen werden. Aber schreiben wir's konsequent; schreiben wir auch: die Köchin ist von ihrer Frau, der Schneidergeselle von seinem Meister gewonnen worden. In der Tat dürfte eine gute Köchin viel schwerer zu gewinnen sein als ein Hüpfer und Schreier. Nicht doch, sagt ihr, man will der Kunst die Ehre geben. Wirklich? Wir wollen sehen! Zeigt uns also gefälligst das Zeitungsblatt, auf welchem gedruckt steht: Die Nibelungen von Hebbel sind dort und dort zur Aufführung gewonnen worden! Und die Nibelungen von Hebbel gehören doch ein klein wenig in die Kunst, nicht wahr? Ihr errötet? Aha! wir stehen also vor einer jener Zeitungsphrasen, welche die Gedankenlosigkeit, nicht eine durchdachte und anständige Absicht kreiert hat. Dramen werden nicht gewonnen! Ein Drama wird nur schlecht und recht angenommen. Annehmen hat zum Gegensatz Abweisen, und eine fatale aber unausbleibliche Ideenverbindung nötigt uns, bei dem einen auch das andere zu denken. Zu denken? nur zu denken? Ei doch, man schreibt es ja ausdrücklich! Man schämt sich nicht zu schreiben: Hebbels Nibelungen sind von dem Hoftheater in Kuhschnappel zurückgewiesen worden. Zurückgewiesen! Pfui über das gendarmenhafte, bettelvogtmäßige Wort in der Kunstsprache! Wenn schon ein Drama nicht gewonnen wird, könnt ihr nicht sagen, es wird erworben? Und könnt ihr nicht sagen, es wird abgelehnt, statt zurückgewiesen?

Jedermann fühlt, wie weit wir diese Proben der journalistischen Sprachfabrik noch fortführen könnten. Ja, vielleicht nimmt sich ein aufmerksamer Leser in der Provinz, der seine Zeitung wirklich noch liest, nicht bloß durchfliegt, nach dieser Anregung die Mühe und notiert sich einmal aus dem Laufe seiner Jahrgänge alle sprachlichen Neubildungen, die ihm nach und nach auffallen. Der Mann dürfte schöne Silvesternächte feiern! Er dürfte die Entdeckung machen, daß ihm von der Sprache Goethes und Lessings Jahr für Jahr ein Stück abhanden gekommen ist.

Man mißverstehe uns nicht. Das Prinzip, welches diesen Neuerungen zugrunde liegt, fechten wir keineswegs an. Die Zeitung bedarf ihre eigene Redeweise; wir gestehen ihr das zu. Stets neu, stets interessant, stets wachsam, wichtig und alarmierend, wie sie ist, sein muß und sein will, spricht sie die Sprache der Aufregung. Stets fatiguiert, stets enttäuscht, stets um Erfolge und Ziele, ja oft ums Dasein betrogen, stets sklavisch im Joche, mit Schnellpressen und Setzmaschinen, mit Posten und Telegraphen stets im Wettrennen, spricht sie aber auch die Sprache der Abspannung. Drittens spricht die Zeitung, die mit der ganzen Mitwelt mitleben, und um Einfluß zu haben, auf gutem Fuß mit ihr stehen muß, die das Vortreffliche nur selten, dagegen das Schlechte und Mittelmäßige als Regel, als Tuch und Unterfutter des Jahrhunderts sieht, die Sprache der Schonung, der Höflichkeit. Auf dieses dreiteilige Schema ungefähr wird sich alles zurückführen lassen, was von neuerungssüchtiger Eigentümlichkeit den Zeitungsstil kennzeichnet, was seine Phraseologie motiviert.

Wir haben nichts dagegen. Kein Motiv ist schlecht, nur die Art, ihm genug zu tun, kann es sein. Spricht die Zeitung die Sprache der Aufregung, so kann sie damit sicherlich übertrieben, schwülstig und hyperbolisch-mißbräuchlich werden (siehe: Mission und unberechenbare Tragweite!), sie kann aber eben von dieser Aufregung Schwung, Glanz, Feuer und Leben, dichterische Kraft und Originalität erhalten und die Sprache aufs glücklichste heben. Spricht die Zeitung die Sprache der Abspannung, so kann sie freilich Gefahr laufen, sich das Denken ein wenig leicht zu machen, sich Denk-Abbreviaturen zu erfinden, Ausdrücke, die in passenden Fällen angehen, in tausend unpassenden zu wiederholen (vertreten und angezeigt!), kurz einen stehenden Stil auszubilden, der womöglich sich selbst schreibt. Andererseits aber wäre ein stehender Stil gar nicht so übel. Alle Welt weiß, wie sehr es unserem Deutsch daran fehlt, wie spröde der Stoff jeder einzelnen Schriftstellern den Hand widerstrebt, wie geschmeidig dagegen die Plastizität – um ein physiologisches Wort zu gebrauchen – des Französischen und selbst auch des Englischen zur Hervorbringung bezeichnender und handsamer Rede-Stereotypen sich anläßt. Spricht endlich die Zeitung die Sprache der Schonung und Höflichkeit (schönes Streben, gewonnen für engagiert werden), so ist es ebenso bekannt, daß unser Deutsch, welches mehr zur derben Aufrichtigkeit, als zur feinen Umschreibung inkliniert, eine Schule des guten Tones gar wohl vertragen könnte und noch lange keinen Überfluß, vielmehr einen rustikalen Mangel an wohltuenden Redensarten besitzt. Auch hier könnte die Zeitung um unsere Sprachkultur von Verdienst sein.

Aber in all diesen Fällen mußten wir sagen: sie könnte! Unsere angeführten Proben dagegen dürften gezeigt haben, was für ein Unterschied ist zwischen dem möglichen Können und dem wirklichen Tun. Die Zeitung kann beides: sie kann unsere Sprache ausbilden und kann sie mißbilden. Ja, eines von beiden muß sie sogar, denn nichts ist gewisser, als daß sie die Sprache nicht lassen kann, so wie sie ist. Journale müssen nun einmal anders sprechen als Bücher, und unaufhaltsam ist der moderne Massen-Bildungsgang vom Buch zum Journal. Sehr richtig hat Lamartine bemerkt: sonst wuchsen die Journale aus den Büchern, heute wachsen die Bücher aus den Journalen. Mehr und mehr wird der Roman Feuilletonroman, die gelehrte Abhandlung populäre Vorlesung, die Wissenschaft Korrespondenz; der Zeitungs-Mitarbeiter pflegt nach und nach sein Eigentum in Buchform zu sammeln und wieder an sich zu nehmen, und zahllos sind bereits die Bücher, welche nichts anderes sind, als zurückgenommenes Zeitungsgut. Schriftsprache wird mehr und mehr heißen: Journalsprache.

Kleinlich, kindisch und veraltet ist unter diesen Umständen die Aufgabe des Purismus. Was will eine Handvoll Fremdwörter mehr oder weniger zu bedeuten haben, wo es sich innerhalb der Sprache selbst um eine ganze große Revolution handelt?! Auch ist diese Revolution den Puristen entwachsen. Glaubt man, der Riese wird Gesetze annehmen von einer Académie francaise oder einer Accademia della Crusca? Das waren Institutionen für jugendliche Literaturen, für aristokratische zumal, die in Händen nur eines kleinen Bildungsadels lagen. Die großgewachsene, allgemein verbreitete und demokratische Literatur des Journalismus läßt sich vom privilegierten Puristen nicht gängeln. Nur einer kann jetzt Purist sein, nämlich der Journalist selbst, der denkende Journalist an tonangebenden Blättern.

Wir haben den Journalismus in seiner korrosiven Einwirkung auf die Sprache mit dem Sauerstoff in der Luft verglichen. Aber ein Unterschied ist es doch. Der Sauerstoff ist eine blinde Naturkraft und Journale werden von bewußten Vernunftwesen geschrieben. Sie können aufmerken auf das, was sie tun, sie können zerstören und aufbauen mit freier Wahl.

Mög' euch denn das Bewußtsein eurer Mission – einer wirklichen Mission! – keinen Augenblick verlassen, Hüter der Sprache, Schreiber der Sprache! Bedenkt dieses: Vor einem gutgehaltenen Parke steht das Plakat: »Es wird höflichst ersucht, nichts abzureißen und zu beschädigen.« Den Bestand eines Forstes hütet das Waldfrevelgesetz, und der Zerstörer, welcher Mutwillen übt oder durch sein unvernünftiges Vieh Mutwillen üben läßt, wird empfindlich bestraft. Den Wald und Garten der Sprache schirmt – nichts! Er ist eurer gänzlichen Diskretion überlassen. Kein Hand- und Fußeisen bestraft eure Baumfrevel, nicht einmal ein hölzerner Pfahl steht da mit einer polizeilichen Bitte. Wehrlos ist euch die Sprache preisgegeben, wie nie ein Volk seinem Despoten, eine Sklavin ihrem Herrn überliefert war. Nichts beschränkt euren Mißbrauch, wenn euch die stumme Schönheit nicht rührt, welche aus Lessings und Winckelmanns Schriften, aus Goethes und Schillers Kunstwerken den Gruß heimatlicher Ehren euch entgegenbringt. Geht mit eurer Sprache um wie mit eurer Ehre! Verleidet dem Sohn des Jahrhunderts den Genuß eurer neuen Ideen nicht durch eure neuen Barbarismen. Bedenkt, daß das Neue schon an sich genug der Widersacher hat, wollt ihr auch noch jene Gemüter zurückschrecken, welche eure Neuerungen aus bloßer – Reinlichkeitsliebe zurückweisen? Wollt ihr zu euren religiösen und politischen Feinden auch noch ästhetische haben? Diese Gefahr aber liegt gar nicht so fern. Wir sind bald hier bald dort feinfühligen Gemütern begegnet, welche sich das Zeitungslesen abgewöhnt haben aus Abscheu vor dem modernen Zeitungsjargon. Auch der Sprachsinn hat seine Empfindlichkeit, wie ihn der Gehörsinn gegen falsche Noten hat. Aber nur ein Operndirektor ist in der Lage, heute einen Mozart und morgen einen Richard Wagner aufzuführen, um sowohl die Harmonischen als auch die Disharmonischen zu befriedigen. Die Zeitungssprache dagegen kann nicht heute für Klassiker und morgen für Barbaren schreiben. Sie muß Partei ergreifen. Und entscheidet sie sich für die Partei der Barbaren, so gibt es im Parteidienst bekanntlich keinen Stillstand und keine Mäßigung, sondern sie wird es in kurzem dahin gebracht haben, – daß das Deutsch Lessings und Goethes aufhört eine lebende Sprache zu sein!


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