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1869

Herkules und Alpheus

In allen zivilisierten Rechtsstaaten gibt es umsichtige Preßgesetze und außerordentlich pflichtgetreue Staatsanwaltschaften, welche den Gebrauch des ländlichen Wortes Hornvieh in unendlich vielen Fällen erschweren, ja unmöglich machen, so daß eine »taktvolle Presse« in Benützung dieses unschuldigen, aber von den Zeichendeutern für zweideutig gehaltenen Wortes die äußerste Reserve sich aufzulegen beflissen ist. Desto ungenierter springt aber auch die taktvollste Presse mit dem Worte Augiasstall um. Und doch ist ein Augiasstall ohne das gehörige Hornvieh gar nicht denkbar und ist besagter Stall just dadurch so hochberühmt geworden, weil ihn Tausende von Ochsen hundert Jahre lang – organisch-chemisch benutzt hatten. Doch nein, nicht dadurch allein. Das Renommee jener altehrwürdigen historischen Stallung knüpft sich nicht sowohl an das Andenken des größtmöglichen Mistes, welchen die Welt je gesehen, als vielmehr an den Namen jener tüchtigen Arbeitskraft, welche mit sotanem Miste radikal aufgeräumt hat. Es ist ein rührender Zug vom schönen Menschengemüt, von der Dankbarkeit und Großmut des Volksherzens, daß man bei dem Worte Augiasstall nicht an die Ochsen, – sondern an Herkules denkt.

Aber an eines sollte man doch dabei denken und zwar an die Hauptsache. Herkules war ja bei der Reinigung des Augiasstalles doch nur die Haupt person, aber die Haupt sache war die von ihm benützte Wasserkraft, der Fluß Alpheus. Das scheint mir wichtig.

Bekannt ist nämlich, daß Herkules mit dem berühmten Stallmist nicht etwa gabelweis aufräumte, oder, wie wir es in der neuesten Aera der Ehegerichts-Akten nennen würden, von »Fall zu Fall«. Nein, ein Gott arbeitet aus dem Ganzen und Vollen; – und dann erst die Götternase! Herkules bewies sich als ein echter Abkömmling vom Westend der alten Welt, vom Olymp, daß er den faulen Misthaufen vor der Erfindung des Kölnerwassers nicht mit der Mistgabel anrühren wollte. Dieser Zug legitimiert ihn als Gentleman, als Sohn eines ambrosiaessenden Vaters.

Herkules beobachtete also ein Verfahren, welches nicht gabelweis, sondern radikaler, zugleich aber auch reinlicher war als der Radikalismus der Bierbank, distinguierter, vornehmer. Er operierte gleichsam wie ein whigistischer Lord und Aristokrat. Kurz, er leitete, wie männiglich weiß, den Fluß Alpheus in den Augiasstall und ließ durch die Wellen des Flusses den Mist hinwegspülen. Ein Meisterstreich, und mit Recht hat er den Ruhm davon!

Sollte ihn aber doch nicht ungeteilt haben! Die eigentliche Herkulesarbeit, wie man sieht, hat immerhin nicht Herkules verrichtet, sondern der Fluß Alpheus. Die Welt beruhigt sich bei der Arbeit des Herkules, gleichsam als ob sich ihr Gelingen von selbst verstehen müßte. Es versteht sich aber nicht von selbst, durchaus nicht von selbst.

Sooft vom Augiasstall die Rede ist, – und in der wunderbaren Herrlichkeit unsrer modernen Rechtsstaaten und Fortschritts-Ären ist täglich von ihm die Rede, – sooft dieses duftige Wort mir entgegenkommt, denke ich weit weniger an Herkules als an Alpheus. Ich frage mich dann: wie wenn dieser Fluß zufälligerweise nun nicht ein rasches und strömendes Wasser gewesen wäre, sondern ein träges und schleichendes? Und bei dieser Frage überläuft mich ein Grauen!

Dann hätte das träge und schleichende Wasser den kompakten Augiasmist nicht nur nicht weggeschwemmt, sondern es hätte seinen eigenen Schlamm noch darauf abgesetzt. Nach einiger Zeit wäre es verdunstet und eingetrocknet wie jedes Sumpfwasser, und der fruchtbare Schlamm, – denn fruchtbar ist er, das muß man bezeugen! – hätte ohne Zweifel eine prachtvoll-geile Flora aufblühen lassen, eine Flora parlamentaria von Armee-Lieferungen, deren Lieferanten die Parlamentsherrn sind, von staatsgarantierten »Weltbahnen«, deren Konzessionen und Verwaltungsratsstellen die Parlamentsherren bekommen, von Franz Josefs- und eisernen Kronen-Orden, deren Kreuze und Sterne die Brust der Parlamentsherren bedecken. Besagte Flora hätte dann weithin geleuchtet und gepranget, so daß sie allen Glücksrittern, allen Ehren- und Ämterjägern, kurz allen »Talenten« wirklich und veritabel als ein Paradies erscheinen, als ein Eldorado und Garten Eden, als die neueste und glücklichste Ära, wie eine neuere und glücklichere schon nicht mehr zu erdenken und auszusinnen. Nur schade aber, daß dabei der Mist des Augiasstalles mit nichten hinweggeschwemmt worden, sondern unter der neuen beblümten Schlammdecke, die ihn wohl gar noch beschützte, ruhig liegen geblieben wäre, gleichsam als ein wohlkonserviertes Herkulanum und Pompeji der »ererbten Übelstände«.

Also auch Herkules hätte nichts ausgerichtet, wenn nicht die Wasserkraft, mit welcher er operierte, von einem starken Gefälle kam. Ein paar Zoll weniger – und das Gefäll stagnierte, und der ganze Ruhm dieser Herkulesarbeit war fort, und der ganze Augiasstall mit all seinem Miste blieb da! Es liegt eine peinliche Spannung in diesem Gedanken. Von einer Lehre, welche darin liegt, will ich gar nicht sprechen, denn wer läßt sich denn noch belehren?!

Dagegen gereicht es mir zu wirklichem Troste und verscheucht all meine hypochondrischen Grillen, daß sich heute die Schleusen unsers Alpheus wieder geöffnet haben und der prächtig wogende Strom des österreichischen Reichsrates mir in erhabenen, weltgeschichtlichen Rhythmen die majestätische Götterarbeit des Herkules vor die andächtig lauschenden Sinne zaubert. Das ist ein Stromgefäll, wie es ein Herkules braucht! Am Ufer dieses Stromes müssen alle angekränkelten und ungesunden Zweifel schweigen, – alles schweigt!


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