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Ich war selbst eingeschlafen auf meinem Wachposten; das Gewirre des letzten Tages hatte mich ermüdet. Als ich das Auge aufschlug, erwachte auch Victorine plötzlich. Der Hahn hatte schon längst gekräht, die Wirthin rührte sich im Hausflur geschäftig, die Morgensonne lugte durchs Fenster, und Victorine sprang auf und lachte dem jungen Tage wohlgemuth entgegen. Sie war unendlich gut und weich, als sie die Hand mir reichte und mir einen guten Morgen wünschte. Dabei lag eine süße Verschämung in ihren Blicken, sie umspannte mich nicht mehr so hell und siegerisch mit dem Farbenglanz ihres wundersamen Auges, es war eine mädchenscheue Befangenheit in ihrem Wesen, die ihr früher gefehlt, sie fühlte vielleicht still und leise, daß sie von mir geträumt, recht lebhaft geträumt, daß sie mir unendlich näher gewesen als je im Wachsein. Ach! daß sie an meine Brust gesunken, die volle, duftende, blühende Gestalt sich an meinen Busen geschmiegt, ohne mein Zuthun, ohne meine Bitte, von freien Stücken – und doch nicht freiwillig, – daß mich ihre Lippen bis in mein tiefstes Herz hinein geküßt mit dem Hauche der innigsten Liebe – ach! das wußte sie nicht, das durfte sie nicht wissen, niemals – o niemals! Das amazonenhafte Polenmädchen war mir plötzlich zu einer deutschen sinnigen Jungfrau verwandelt, die viel in Dichtern gelesen und nun gefühlvoll und in ihrem Gott vergnügt ein unsagbares, ihr selbst dunkles Geheimniß im verschwiegenen Herzen birgt. Um Victorinens Geheimniß wußte ich nun; mir bebt die Seele noch, und noch glüht mir die Lippe, die ihren Kuß ruhig duldend in sich sog. Um Victorinens Geheimniß weiß ich nun und triumphire still, halte die wogende, zitternde Wonne des Glücks schweigend in mir gefangen; um Victorinens geheimste Seelenregung weiß ich nun, allein ich weiß auch, daß sie geheim bleibt für immer, – ach! für immer! Himmel! wer trägt das übervolle Maß der Seligkeit, dessen Herzensgefäß nicht zerspringt. Aber ruhig, ruhig, mein neugeborenes, im Strome der süßesten Liebe wiedergetauftes Herz!

Victorine summte ein Morgenlied vor sich hin; es war ein gutes altes deutsches Lied. Ihre Mutter ist eine Deutsche, darum spricht sie so fertig deutsch, und darum sang sie jetzt die deutschen Verse. Sie wollte nicht mit mir reden, sie vermied es sichtlich. Und ich hatte nichts zu sagen, nichts zu fragen: wußte ich doch um Alles! Sie stand am Fenster und nickte den Landleuten freundlich zu, die grüßend vorüberzogen. Dann eilte sie in die Küche zur Wirthin, um für ein Frühstück Sorge zu tragen. Gott! wie ist sie in Allem so lieb und wundergut, so war sie nie; fast ist sie mir zu sanft auf einmal, mir könnte bange werden, wenn ich nicht die blühende Gestalt in aller Fülle des jugendlichen Lebens so dicht vor mir hätte. O Du süßes, reines, keusches Polenherz, Du Blüte Deines Volkes, wie sie nie sonst sich entfaltete in der dunklen Nacht des sarmatischen Lebens! Du Königin dieser Nacht Deines Volkes, erlisch mir nicht mit Deinem Blütenlicht zu früh! Daß sie nur auf kurze Zeit in ihrer Farbenpracht duftet: das sagt man von dieser Blume, die so selten ihren Kelch erschließt. Und wenn sie dann einmal blüht in warmer Sommernacht, dann ziehen die Leute der Residenz herbei und betrachten sich das seltene Phänomen. Ach, und hier in dieser Waldschenke blühte die Polenblume in keuscher Nacht nur ganz für mich und lag aufbrechend mit ihrer ganzen tiefen Seele in meinen zitternden Armen!

Jetzt hat Victorine den Caffee hereingebracht und mir eine Tasse eingeschenkt. Sie sitzt, den Rücken mir halb zugewandt, und schlürft den braunen Saft mit den kirschrothen Lippen. Wir reden nicht miteinander, wir sind unendlich stumm; sie weiß nicht, daß ich von ihr schreibe und mein Tagebuch von nun an nur von Victorinen handelt. Es rührt sich Niemand. Engel, sagt man, schweben dann durch den Raum der Luft, so stille sitzen wir beieinander. Welche betäubende Wonne liegt in der Verschwiegenheit des Glückes, welches Beben fliegt durch meinen innern Menschen, ganz Seele, ganz Gebet, ganz seliger Tod. Wer diese Stille kennt, der kennt das Tiefste. Und doch – ich weiß nicht – es zitterte in dieser verstohlenen Seligkeit ein Tropfen Wermuth. Durften wir, konnten wir denn aber reden? Mit dem einzigen Worte: Victorine, Du hast mich diese Nacht im Traum geküßt! mit diesem einen Ausspruch wäre der Zauber gebrochen, der unsere verschwiegenen Geister bindet. Nein! Victorinens Nachtkuß war zu innig unbewußt, zu keusch, zu willenlos, – es läßt sich nie davon reden. Ich bringe es nicht über die Lippen, was ich zu tief erkannt, zu rein empfunden. Nur was ich nicht ganz verstanden, kann ich besprechen. So geht mir's also, um Kleines an Großes zu knüpfen, wie Talleyrand, der auch nur von Dem reden konnte und kann, wovon er nichts verstand und versteht.

Der Wirth trat in die Thür mit dem Bemerken, der Schwarze sei eingeschirrt.

»Gott sei Dank!« seufzte Victorine, »daß sich diese unheimliche Stille unterbricht. Lassen Sie uns fort!«

Sie stand auf und sah mich an. Es lag etwas unendlich Trostloses in ihren Blicken, eine kühle Verzagtheit, vor der ich erschrak.

»Victorine!« rief ich und umschlang ihren Arm, »Ihnen muß unwohl sein, wenn Sie diese Stille unheimlich nennen. Waren denn unsere Seelen nicht bei einander, glauben Sie nicht an ein stilles Zwiegespräch der Geister? Sie waren mir näher als je in diesen Augenblicken, – aber es muß Ihnen nicht wohl sein!«

»Mir ist ganz wohl,« sagte sie still bewegt, »wenn nur Allen so wohl wäre! Meine Mutter, meine Mutter!«

»Seien Sie ruhig, Victorine, muthig und gefaßt. Ich bin Ihre Stütze, ich verlasse Sie nicht, ich schwöre Ihnen eine ewige Treue.«

Sie zuckte lächelnd mit der Lippe, ich weiß nicht, war es Spott oder Wehmuth, oder Beides. »Fort, fort!« rief sie übermäßig laut, entriß sich meinem Arm und eilte hinaus. Ich folgte bestürzt.

Draußen war sie ganz das raschbewegliche Polenmädchen von früher. Sie schlug dem Knecht, der den Rappen am Zügel hielt, auf die Jacke, daß eine Wolke Staub sich aus ihm entlud, klopfte dem Pferde den Hals, schwang sich wie im Fluge auf ihren Sitz und ergriff selbst Peitsche und Zügel. Kaum saß ich oben, da rief sie ihr »Fort, fort!« noch einmal laut, und der Rappe flog schnaubend mit dem leichten Fuhrwerk hin, denn sie ließ ihm die Schweppe um die Ohren sausen. Sie sang die Varsovienne vor sich hin, bald leiser, bald mit schallender Kehle. Der Weg war schlecht und holperig, bald ging's durch sumpfigen Wiesengrund, bald über Knüppeldamme. Aber sie wußte trefflich zu lenken, wo die Passage abschüssig war, und ließ auch über Stock und Stein nicht nach mit dem scharfen Trott, in dem sie den Gaul erhielt. Was war ich kurzsichtiger, mithin bedenklich handelnder, deutscher Jüngling, was war ich für ein schwaches Männchen gegen das kräftig gewandte Polenmädchen! Ich bewunderte die Sicherheit ihrer lenkenden Hand bei aller Keckheit, mit der sie die Peitsche gebrauchte. »So fuhr ich einmal,« sagte sie zur Entgegnung, »meine Brüder, meinen Vater und noch Einen aus dem Pulverdampf bei Praga. Alle Vier waren verwundet von russischen Kugeln, der Vater am Kopfe, die Brüder in der Seite und im Nacken, und der Vierte war durchs Herz geschossen. Die Horden der Kalmücken sprengten über die blutige Halde, die Lanzenspitzen blinkten hinter uns durch den Rauch wie Blitze im Wolkengewühl. Ich fuhr im wilden Galopp in den dunklen Wald hinein. Nicht über Steine ging die rauhe Fahrt, über Polenleichen sprangen die Räder hinweg. Und ich erreichte das sichere Waldgebüsch, aber als ich hielt, da waren Vater und Brüder schon todt, und mein vierter Pole blickte mich an mit dem gebrochenen Auge, das Abschied nahm. O Gott! ich hatte doch nur Todte gerettet, Man rettet aus Polen nur Todte, nur Todte!«

Ein Strom von Thränen überschüttete wild ihr Angesicht. Ich entriß ihr die Zügel und hielt. Ich umfaßte Victorinens glühende Stirn und drückte sie an meine Wange. So lag sie eine Weile, bis der Sturm des Schmerzes vorüber war. Dann stieß sie mich von sich und schien wieder gewappnet gegen Alles. Aber sie ließ mir die Zügel und saß stiller als vorhin. »Wie konnte ich nur noch Thränen haben!« sagte sie leise. »Seltsam! ich wüßte die Zeit nicht, wo ich geweint hatte!«

Als die Thürme von Welmar aus dem Thale aufstiegen, ward sie wieder lebendiger, ihre Unruhe war bald tobende Lustigkeit, bald drängende Angst und Sorge. Den Vorübergehenden warf sie muthwillig alle Geldstücke zu, die sich in meinen Kleidern befanden, und als die Taschen geleert waren, riß sie sich die Cravate ab und gab sie lachend einem hinkenden Wanderer, der unsere Mildthätigkeit ansprach. Zuletzt, als auch Taschentuch, Mütze und Handschuh auf gleiche Weise verschleudert waren, hatte sie nichts als fromme Grüße und Wünsche, die sie ebenso reichlich vertheilte.

Am Thor trat der wachhabende Officier an unser Cabriolet und bat um Stand und Namen.

»Ich bin Victorine Miaska, die Polin im Hotel St. Petersburg!« sagte Victorine voreilig, und der verwunderte Mann bedurfte einiger Augenblicke, um sich von seinem Staunen zu erholen. Gott im Himmel! jetzt nahm ich erst wahr, in welchem Costüm Victorine sich producirte. Ohne Kopfbedeckung konnte sie nicht mehr für einen Jüngling gelten, trotz ihrer sonstigen Kleidung; das Haar drohte, aus dem Bande sich aufzulösen, einzelne Locken und Flechten fielen zurück auf ihre Schulter.

Der Officier wandte sich an mich, und ich gab Stand und Namen an mit der Bemerkung, ich sei der Neffe des Präsidenten R. »Ihre Legitimation!« bat der Argwöhnische, und ich hatte es schmerzlich zu bereuen, daß die Eile meiner Flucht vom Mondstein es unmöglich gemacht, an dergleichen Nothwendigkeiten zu denken.

»Ich bin genöthigt, hier am Thore zu warten, bis ich den Oheim von meiner Ankunft in Kenntniß gesetzt habe,« sagte ich mit möglichster Ruhe.

»Sie werden den Präsidenten hier nicht antreffen,« entgegnete Jener; »er ist seit einigen Tagen nach seinem Landgute geführt, bei Isebüttel.«

»Sie müssen für mich haften!« sagte Victorine und sprang vom Wagen. »Ich darf keinen Augenblick versäumen, leben Sie wohl!«

»In diesem Aufzuge, Victorine! ich beschwöre Sie!«

Aber sie war schon einige Schritte fortgeeilt, und ich bat den Officier, das Aussehen zu vermeiden und sie gewähren zu lassen. An der Ecke der Straße blickte sie noch einmal nach mir zurück. Sie nickte freundlich mit dem Kopfe und verschwand. – Ach! Victorine, Du mein geliebtes Polenherz! –

*

 


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