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Den 11. August.

Der geheimste Reiz in der Liebe – Niemand will es sich gestehen! – ist am Ende doch die Eigenliebe. Die Verklärung der eignen Persönlichkeit im Schimmer der Neigung, mit der ein zweites Wesen uns überrascht und überglückt, das ist's, was uns berauscht, unsern innersten Nerv so tief erschüttert, alle Fibern und Fasern unserer ganzen Natur so süß durchschauert!

Wolfgang Menzel hat in seinem »Narciß« dies Thema ergründet. Sonst weniger Freund der Dialektik im Fühlen und Denken, hier hat er als Dichter verstanden, was ihm im Gedankenstoffe versagt blieb. In der Mythe selbst lag die stille Weisheit, die er fand und zum Ausspruch brachte. – Lieben ist nichts; geliebt sein – da liegt die ganze Seligkeit. »Was geht's Dich an, wenn ich Dich liebe!« sagte Göthe freilich, aber nur Göthe, denn er wurde am tiefsten, reinsten und schönsten von sich selbst geliebt. Dies gediegene Glückseligkeitsgefühl, dies Sichselbstgenügen in aller Sicherheit, aller Fülle der reichsten Natur, dies Sichselbsthaben, Sichselbstgenießen, in sich tief eingefriedigt, ruhig schäumend, aber nie tobend, diese Wonne des Gedankens im eignen Behagen – wo habt Ihr das sonst noch?– In den plastischen Gebilden der griechischen Kunst, in jenem Apollo, der im Gefühle des eignen Daseins athmet, nichts will und hat als sich selbst, von seiner eignen Schönheit gesättigt. Vom Selbstgenuß berauscht, hört er die hüpfenden Pulse in sich klopfen, fühlt sich als den Reflex der Sonne der Welt. –

Man komme mir nicht mit Egoismus! Ihr müßt das entwürdigte Wort erst in den Adelstand erheben, so, wie es ist, taugt die bürgerliche Canaille nicht für Göthe's schöne, reine, selbstbewußte Hoheit. Manche Begriffe sind durch Gebrauch und Mißbrauch so entartet, daß sie nicht mehr mit Anstand in nobler Gesellschaft sich zeigen dürfen. So ist das anfänglich schöne Wort: Rührung, eine gemeine Metze geworden. Man denkt bei Rührung und Gerührtwerden gleich an Brei mit Löffel und Quirl, bei Egoismus gleich an schnöde Arroganz, an stolze Verschlossenheit und Selbstsucht, – eine Sucht ist schon eine Krankheit.

Es ist freilich ein übel Ding, Begriffe zu adeln, es läßt sich wol thun, aber nur mit dialektischen Finten. Man nennt das »aufheben« in eine höhere Sphäre, und was ich aufhebe, vernichte ich in dem ursprünglichen Vorhandensein, ziehe es aber doch zugleich in die Höhe, assimilire es höhern Anfoderungen und bewahre auch wiederum das Alte, nur scheinbar Vernichtete, an dem Dinge. Den Glauben ausheben in Wissen, soll heißen, jenen seiner unbewußten, niedern, bürgerlichen Sphäre entziehen und ihn in seiner Wesenheit, aber doch baronisirt, als neuen Adam anerkennen. Es liegt darin viel Perfidie der speculativen Methode. Daß es dialektische Kunstgriffe gibt und geben muß, weiß ich sehr gut; sie finden sich im All des Daseins selber. Es ist ein heiliger, großer Kunstgriff des Schöpfers, in der Welt, seinem Kunstwerke, seiner Autobiographie, sich zu offenbaren, sich seiner Wesenheit zu entäußern und doch der ewig Unenträthselte, der ewig zu Enträthselnde zu bleiben. An dieses Räthsels Lösung zehrt der Menschengeist, bis er sich selbst verzehrt hat. – Auch in Dem, was wir Liebe nennen, liegt eine neckende Sophistik. Die Seele gibt sich hin, lebt ganz im andern Wesen und sucht und findet und behält sich doch selbst in ihrer vollen Eigenheit, noch individueller als still für sich in der unangefochtenen Ruhe der Vereinzelung. In diesem Verlieren des eignen Selbstes, in der zerflossenen Trunkenheit der Sinne, die uns ganz uns selbst entrückt, in dem völligen Verluste seiner selbst, fühlt sich unser Ich in gesteigerter Potenz, in verdoppelter Eigenheit, denn auch unsere Launen, die Zufälligkeiten, das Ephemere unserer Persönlichkeit, Nichts erlischt im Rausche der Liebe, Alles in uns erfaßt sich rapider, durchdringender und in einer Verklärung, die sonst im Strome des Lebens uns nicht möglich dünkt. An die Lösung dieses Räthsels, an die Enthüllung dieses Geheimnisses verschwenden wir die schönste Lebenskraft, bis der Tod Stillstand gebietet. Die vielerlei Sophistik erkenne ich wol, die sich im Seelenleben und im Dasein überhaupt erzeugt, und weil im Dasein, auch im Denken. Alles muß schon im Sein sich finden, und was nicht im Sein ist, kann im Denken nicht erst werden, am allerwenigsten zu etwas Anderem, als was es kraft seines Seins schon ist und war.

Der Glaube ist aber seiner Natur nach ein Demokrat und sollte bleiben was er ist, und nicht in die Adelskaste des Wissens hinübergezogen werden. Geburtsadel ist etwas, gemachter Adel – ist das noch Adel? Die Demokraten des Geistes dürfen ihr Bürgerthum nicht ableugnen, und die Aristokraten des Geistes sollten nichts zu sich herüberziehen. Es muß einmal ausgefochten werden Stirn gegen Stirn, die Strebenden, Ringenden, Erobernden und gegenüber die Besitzenden, vornehm Ruhenden, Conservativen. Kein Zweifel, wer unterliegen wird! Die ganze Welt wird demokratisch werden – oder, ich fürchte, geheim jakobinisch, wenn man sich länger sperrt, offen herauszutreten und zu sagen was man will. Die Schätze des Wissens zumal sollen nicht verschlossen und vergraben liegen bleiben, Alles muß Gemeingut werden, das Tiefste, das Schönste. Was Einer gedacht in stiller Einsamkeit, was ihn groß gemacht in geweihter Stunde der Empfängniß, was er im Verborgenen gefühlt, gelacht und getrauert, gejubelt und geweint, er soll es der Welt preisgeben, es darf nicht verloren gehen; alle Geheimkrämerei, alle Vornehmthuerei soll aufhören. Die ganze Welt ist in Aufruhr wie niemals, es ist eine ideelle Völkerwanderung im Anrücken, um das Heil des Lebens zu erforschen und sich zu eigen zu machen. Die ganze Literatur ist eine fort und fort sich wälzende Revolution der Gemüther. Die Poeten zumal sind ganz toll; es ist gar kein Auskommen mehr mit ihnen. Sie sitzen nicht mehr auf dem Sopha beim Thee in Abendzirkeln und schwatzen geistreich klug über Stanzen und Sechsmesser, süßliche Empfindsamkeit und Nervenanfälle. Sie werfen die Verse zum Fenster hinaus und springen ihnen nach, weil's draußen in freier Luft, auch wenn es stürmt und wettert, doch besser ist als in enggezirkelter Klike und in der Gène der Stanzensprache. Sie rücken in fesselloser Rede in langen Gliedern heran, sie werden Alles umzingeln und niederschmettern und erst auf Trümmern sich ausruhen, der diabolische Börne auf den Ruinen des Staates, der blaßkranke Heine mit dem leuchtenden Auge voll Pfiffigkeit auf dem Säulenschaft des umgestürzten Christenthums. Ach, ach! und die Scharen ihrer Trabanten rings um sie her, keuchend nach Beute, und doch so ermattet, daß sie nichts mehr fassen, um es der lechzenden Lippe zu bieten. So lange Widerstand war, schnoben sie ewige Rache, schrieen sie nach Blut, glühten sie in begeistertem Hasse und wälzten Alles vor sich her. Und wenn sie am Ziel sind, – o schlimmes Ruhebett, o triste Säule des Triumphs! – liegen sie keuchend und ächzend am Boden und lagern sich todmüde auf Trümmerhaufen. – Ist das dann Euer Sieg? Galt es darum, die erblich überkommenen Verhältnisse der bürgerlichen Gesellschaft zu vernichten? Liegt Alles nur darum dampfend und rauchend um Euch her in Schutt und Asche, um ein so blutig düsteres, schmuzig besudeltes Morgenroth der Freiheit über Trümmern aufgehen zu lassen? Ist das der ersehnte Völkerfrühling?

Aber nur ruhig! Der Wahnwitz erschöpft sich schnell, die Vernunft hat auch ihr Bewegungsprincip, sie geht unendlich ruhig, aber unendlich sicher. Sie will keine starre Legitimität des Hergebrachten, sie hat ihre Opposition in sich selber. Sie ist demokratisch, aber nicht jakobinisch, nicht tempelräuberisch. Sie ist langathmig und weitbrüstig, sie überhetzt sich nicht, sie tanzt nicht mänadenhafte Gallopaden, sie läuft nicht Sturm; sie geht sinnend still und Schritt vor Schritt. Wenn man nur nicht den Verstand verliert über diese Langmuth der Vernunft, über dem Warten und Harren nur nicht zum Narren wird; dann wäre Alles gut!

Ich kann hier nichts revolutioniren im Irrenkasten als meinen Hirnkasten, nichts aufwiegeln als mich selbst. Also metaphysicire nur weiter, liebe Seele, spinne dich ein, du deutsche Raupe, – entweder stirbst du im Vernunftgespinnst deiner Gedanken, und dann stirbst du in deinem Berufe, oder du steigst als Schmetterling hinaus ans Licht der schönen Gotteswelt und schwingst die freiern Flügel allwärts durch das weite Erdenleben!

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